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Auch auf der Norddeutschen Hütte, den Stahlwerken in Gröpelingen, arbeiteten Zwangsarbeiter<br />

aus Polen<br />

haupteten, dass die Unterlagen darüber<br />

verschwunden seien.<br />

Durch einen glücklichen Zufall wurde<br />

beim Nachfolgebetrieb der Norddeutschen<br />

Hütte, den Bremer Stahlwerken,<br />

eine Kartei der Zwangsarbeiter entdeckt,<br />

die genauere Angaben über Zusammensetzung<br />

und Lebensumstände<br />

der ausländischen Arbeiter während der<br />

Nazizeit erlaubt. 2<br />

437 polnische Arbeiterinnen und Arbeiter<br />

arbeiteten zwischen 1939 und 1945<br />

auf der Norddeutschen Hütte bei der<br />

Koks- Eisen- und Zementherstellung. Sie<br />

stellten das größte Kontingent ausländischer<br />

Arbeiter. Nur 34 von ihnen konnten<br />

bei Privatleuten wohnen, die anderen<br />

waren in verschiedenen Lagern, entweder<br />

auf dem Gelände der Hütte oder<br />

an der Grambkermoorer Landstraße untergebracht.<br />

Die Lager waren eingezäunt<br />

und wurden bewacht.<br />

Die Verpflegung war trotz der schweren<br />

Arbeit auf der Hütte äußerst mangelhaft.<br />

Essen für Polen und Ostarbeiter<br />

wurde zwar ebenfalls in der Werkskantine,<br />

aber gesondert von dem der Deutschen<br />

und Westarbeiter gekocht. Ein<br />

deutscher Augenzeuge berichtet über<br />

das Essen: „Da war Spinat, unzerkleinert<br />

in langen Stängeln, und so schlecht gekocht,<br />

dass es nicht die Schweine fressen<br />

würden.“ Die Polen und Ostarbeiter<br />

waren deshalb immer auf der Suche<br />

nach etwas Essbaren, versuchten Kartoffeln<br />

oder Rüben aus der Küche oder<br />

von den Äckern der Bauern mitzunehmen,<br />

um sie nachts im Lager zu kochen.<br />

Wer erwischt wurde, erhielt empfindliche<br />

Geldstrafen. Diese betrieblichen<br />

Strafen wurden zur Abschreckung im<br />

Betrieb ausgehängt. Unter Umständen<br />

aber wurde auch die Gestapo eingeschaltet.<br />

So erging es dem ukrainischen<br />

Arbeiter Alexej Ponomarjow. Er zapfte<br />

sich auf dem Weg von der Arbeitsstelle<br />

ins Lager aus der Milchkanne eines Bauern<br />

etwas Milch ab, wurde erwischt und<br />

von der Gestapo ins KZ Neuengamme<br />

eingewiesen.<br />

„Arbeitserziehungslager“ für<br />

Flüchtlinge<br />

Wer die bitteren Lebensumstände nicht<br />

mehr aushielt oder von Heimweh ergriffen<br />

versuchte nach Hause zu kommen,<br />

wurde ebenfalls von der Gestapo<br />

verfolgt. Die Zwangsarbeiterkartei<br />

der Norddeutschen Hütte enthält bei<br />

97 polnischen Arbeitern den Vermerk<br />

„Bummeln“, bei 34 den Hinweis „abgerückt“<br />

und bei weiteren 24 die Eintragung<br />

„über Urlaub“. In all diesen Fällen<br />

verschwanden die Betreffenden von der<br />

Arbeitsstelle oder kamen aus einem Urlaub<br />

nicht nach Bremen zurück. Wurden<br />

sie erwischt, kamen die Unglücklichen<br />

in der Regel in ein Arbeitserziehungslager.<br />

Wer nach einigen Wochen in den<br />

Betrieb zurück überwiesen wurde, war<br />

häufig vollkommen abgemagert und<br />

zerschlagen. Auch Haft ist in einigen<br />

Fällen von den Personalbearbeitern der<br />

Hütte vermerkt worden. Drei Karteikarten<br />

tragen die Bemerkung „Gestapo“, 24<br />

den Vermerk „in Haft“.<br />

Die Nazi-Behörden verschleppten auch<br />

ganze Familien nach Deutschland. Im<br />

Dezember 1939 hatten die Besatzungsbehörden<br />

in Polen die Arbeitspflicht<br />

auch für vierzehnjährige Kinder festgelegt.<br />

In der Kartei der Norddeutschen<br />

Hütte findet sich der Name von Terese<br />

Ludkowski aus Marianova, Kreis Konin<br />

in der Nähe von Poznan. Sie war 14 Jahre<br />

alt, als man sie mit ihren Eltern zur Arbeit<br />

auf der Hütte zwang. Alle Drei fingen<br />

am 6. Juli 1944 im Betrieb an und<br />

wohnten im Lager auf dem Hüttengelände.<br />

Sie verließen den Betrieb, als die<br />

britischen Truppen am 27. April 1945 Bremen<br />

besetzten. Wo die jüngeren Geschwister<br />

von Terese, Josef und Kasimir,<br />

damals acht und drei Jahre alt geblieben<br />

sind, ist auf den Karteikarten nicht<br />

vermerkt. Lebten sie im Lager, waren sie<br />

in Polen zurückgeblieben?<br />

Eine erhebliche Zahl polnischer Arbeiterinnen<br />

und Arbeiter sahen die Heimat<br />

nicht wieder. Die Kartei der Hütte verzeichnet<br />

15 Todesfälle. Bei einigen notierten<br />

die Personalsachbearbeiter auch<br />

die Todesursache: gestorben durch Arbeitsunfälle<br />

oder durch Fliegerbomben.<br />

Eine unbekannte Zahl starb in Haft oder<br />

wurde hingerichtet, so wie der 16jährige<br />

Walerjan Wróbel, der aus Heimweh<br />

den Hof des Bauern anzündete, bei dem<br />

er arbeiten musste, in der naiven Hoffnung,<br />

dann nach Hause abgeschoben<br />

zu werden. Er wurde zum Tode verurteilt<br />

und hingerichtet. Christoph Schminck-<br />

Gustavus hat ihm in dem Buch „Das<br />

Heimweh des Walerjan Wróbel“ eine<br />

bewegende Erinnerung gewidmet.<br />

Eike Hemmer<br />

Anmerkungen<br />

1 Christoph Schminck-Gustavus, Hungern für<br />

Hitler, Erinnerungen polnischer Zwangsarbeiter<br />

im Deutschen Reich 1940-1945<br />

2 Vgl. Hemmer/Milbradt, Bei Bummeln drohte<br />

Gestapohaft, Zwangsarbeit auf der Norddeutschen<br />

Hütte während der NS-Herrschaft<br />

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