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Polnische Einwanderinnen<br />

in Berlin auf<br />

dem Weg zum Bahnhof,<br />

von wo aus sie in die<br />

Landwirtschafts- und<br />

Industriegebiete des<br />

Deutschen Reiches<br />

verschickt wurden.<br />

[Foto: Doku Blumenthal]<br />

Drittel der Bevölkerung aus Polen, etwas<br />

mehr als 2.000 Menschen. Aber<br />

auch diese Zahlen geben den ganzen<br />

Umfang der Migration nicht wieder, da<br />

viele Polen zunächst als Saisonarbeiter<br />

angeworben wurden, sie sich aber bald<br />

durch Familiennachzug in Bremen sesshaft<br />

machten. 3 Auf dem Höhepunkt der<br />

Ansiedlung der polnischen Bevölkerung<br />

wurden 1912 im Kreis Blumenthal 7.000<br />

Polen gezählt, im <strong>Ort</strong> Blumenthal rund<br />

33% der Bevölkerung. 4<br />

Ein weiterer Betrieb, der aufgrund der<br />

niedrigeren Löhne auf die Anwerbung<br />

polnischer Arbeiter setzte, war die Bremer<br />

Jutespinnerei und –weberei in Bremen-Hemelingen.<br />

Wenn man sogenannte<br />

Inlandspolen aus dem Posener<br />

Gebiet und andere Polen zusammenzählt,<br />

waren im Jahr 1900 von den rund<br />

1.000 Arbeitern mehr als 75% ausländische<br />

Beschäftigte, d.h. überwiegend<br />

polnische Frauen. Auch die Delmenhorster<br />

Hanseatische Jutespinnerei und<br />

–weberei, 1871 gegründet, und die bereits<br />

erwähnte Nordwolle deckten weit<br />

mehr als die Hälfte ihres Arbeitskräftebedarfs<br />

mit ausländischen Arbeitskräften,<br />

überwiegend Polen, aber im Fall<br />

der Nordwolle auch Menschen aus Böh-<br />

3 Vgl. Friedrich Jerchow, 1883-1983. Die Geschichte<br />

der Bremer Woll-Kämmerei zu Blumenthal.<br />

Ein Jahrhundert im Dienst der Textilwirtschaft,<br />

Bremen 1983, S. 31ff.<br />

4 Vgl. Diethelm Knauf, Blumenthal 1860-1945,<br />

Bremen 1998, S. 17.<br />

men und Kroatien. 5 Ein wichtiger Zweig<br />

der Bremischen Industrialisierung wurde<br />

demnach mit Hilfe polnischer Frauen<br />

und Männer vorangetrieben, die nicht<br />

nur die ethnische, sondern auch die<br />

konfessionelle Zusammensetzung vormals<br />

kleiner Dörfer änderten. Dennoch<br />

scheint der Zusammenhalt auf der Arbeit<br />

trotz dieser Unterschiede funktioniert<br />

zu haben. Darauf deuten zumindest<br />

gemeinsame Streiks in der Bremer<br />

Jutespinnerei und auch in der Delmenhorster<br />

Nordwolle hin, wo polnische,<br />

böhmische und deutsche Arbeiter in der<br />

Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gemeinsam<br />

für bessere Arbeitsbedingungen<br />

mehrfach streikten. Auch der gewerkschaftliche<br />

Organisationsgrad war trotz<br />

der genannten Heterogenität hoch und<br />

erreichte z.B. 1913 in Hemelingen über<br />

50%. 6<br />

Sowohl im Bremer Norden als auch im<br />

Bremer Westen entstanden mit der St.<br />

Marien-Kirche in Blumenthal und der St.<br />

Marien-Kirche in Walle 1892 bzw. 1898<br />

neue Gotteshäuser für die stark gestiegene<br />

Anzahl an Katholiken. Polnische<br />

Pfarrer, die mehrfach für einige Wochen<br />

in dieser Zeit nach Blumenthal kamen,<br />

wie auch das Engagement einheimischer<br />

Seelsorger trugen zur Verwur-<br />

5 Vgl. Marlene Ellerkamp, Industriearbeit,<br />

Krankheit und Geschlecht. Zu den sozialen Kosten<br />

der Industrialisierung: Bremer Textilarbeiterinnen<br />

1870-1914, Göttingen 1991, S. 30ff.<br />

6 Vgl. ebd., S. 227ff.<br />

zelung der Polen bei, zumal es auch damals<br />

polnische Gottesdienste gab. 7<br />

Die Industrialisierung zog natürlich<br />

nicht nur durch die Textilindustrie, sondern<br />

besonders auch im Baugewerbe<br />

und in der Metallindustrie ausländische<br />

Arbeiter und hier vor allem Polen nach<br />

Bremen und ins Umland.<br />

Insgesamt waren nach der Statistik des<br />

Deutschen Reiches im Jahr 1907 in Bremen<br />

rund 1.300 Personen aus dem Posener<br />

Gebiet, 1.000 aus Pommern, rund<br />

1.700 aus Schlesien, 2.500 aus West- und<br />

Ostpreußen beschäftigt. Hinzu kommen<br />

noch rund 6.500 Menschen aus<br />

dem Ausland. Dabei gab es auch spezifische<br />

Verteilungen auf die einzelnen<br />

Branchen. So waren in der Textilindustrie<br />

zum damaligen Zeitraum 27% aus<br />

dem Posener Gebiet (10%) bzw. aus dem<br />

Ausland, wobei letztere auch in starkem<br />

Maße Menschen aus Böhmen betraf. 8<br />

7 Vgl. für die Entwicklung der beiden Gemeinden<br />

St.-Marien 100 Jahre St. Marien. Erlebte Geschichte<br />

einer-Gemeinde Bremen (Hrsg.), Kirchengemeinde<br />

im Bremer Westen 1898-1998,<br />

Bremen 1998; sowie Kath. Kirchengemeinde St.<br />

Marien in Blumenthal (Hrsg.), 1854-2004. Der<br />

Weg einer Diasporagemeinde. Chronik St. Marien<br />

Blumenthal, Bremen 2004.<br />

8 Vgl. für die Zahlen Karl Marten Barfuss, Gastarbeiter<br />

in Nordwestdeutschland 1884-1918,<br />

Bremen 1985, S. 247.<br />

7

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