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KONGRESSJOURNAL 2014 public

Das Fachmagazin wurde beim Kongress für Allgemeinmedizin publiziert. Die Inhalte setzen sich aus Live-Berichten, Vorträgen und Interviews mit Referenten zusammen. Die Fachinserate werden hier nicht angezeigt, da diese nicht für die Öffentlichkeit erlaubt sind. Graz/29. November 2014

Das Fachmagazin wurde beim Kongress für Allgemeinmedizin publiziert. Die Inhalte setzen sich aus Live-Berichten, Vorträgen und Interviews mit Referenten zusammen. Die Fachinserate werden hier nicht angezeigt, da diese nicht für die Öffentlichkeit erlaubt sind. Graz/29. November 2014

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Bei Typ-2-Diabetes<br />

KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

Gut gerüstet –<br />

einfach sicher fühlen!<br />

AT/JEN/00021 07.11.<strong>2014</strong><br />

Fachkurzinformation auf Seite 28<br />

Kongress_Journal_covercorner_10.11.14.indd 1 14.11.14 10:40<br />

Offizielle Kongresszeitung der Steirischen Akademie für Allgemeinmedizin Graz/29. November <strong>2014</strong><br />

45. Kongress für Allgemeinmedizin<br />

Der jugendliche Patient<br />

in der Allgemeinpraxis<br />

Interview mit Dr. Reinhold Glehr<br />

Viel in Bewegung<br />

Über den Hausarzt<br />

als zentrale Schnittstelle<br />

wird in der<br />

Politik schon lange<br />

diskutiert. Ergebnisse<br />

gibt es aber<br />

kaum. Dennoch<br />

sieht ÖGAM-Präsident<br />

Dr. Reinhold<br />

Glehr derzeit viel Bewegung in der Politik<br />

und hofft darauf, dass die Stellung der<br />

Allgemeinmedizin in Österreich endlich<br />

aufgewertet wird. Seite 14<br />

Müde Jugendliche<br />

Die Eulen der Nacht<br />

Ins Bett gehen die jugendlichen Nachteulen<br />

erst nach Mitternacht. „Dies führt<br />

zu einer verkürzten Gesamtschlafdauer<br />

und einem Schlafdefizit“, erklärte Prim.<br />

Univ.-Prof. Dr. Reinhold Kerbl. TV, Handy<br />

und Social Media bzw. Internet sind<br />

zusätzliche Schlafräuber. Seite 16<br />

Sexualmedizin<br />

Tanz der Hormone<br />

Für Pubertierende sind die Eltern vernunftgesteuert,<br />

langweilig, nicht offen<br />

für Neues, peinlich und uncool. Letztlich<br />

ist die Erwachsenenwelt nicht mehr die<br />

Welt der Pubertierenden. „Neue Verhaltensmuster<br />

müssen sich aber erst etablieren,“<br />

so Dr. Elia Bragagna. Seite 26


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

IMPRESSUM<br />

Medieneigentümer & Herausgeber:<br />

Crisafulli & Stodulka<br />

Unlimited Media GmbH<br />

Unlimited Media<br />

Verlag & Redaktion:<br />

Salierigasse 26/4, 1180 Wien<br />

Kontakt:<br />

office@unlimitedmedia.at,<br />

Thomas Stodulka: 0699/11 08 92 73<br />

unlimitedmedia.at, zoe.imwebtv.at<br />

Chefredaktion:<br />

Thomas Stodulka, Eliana Crisafulli,<br />

INHALT<br />

4 Kongressleiter Dr. Walter Fiala im Interview<br />

6 Polypharmazie: Wirkung & Wechselwirkung<br />

6 Österreichischer Impfplan <strong>2014</strong>: Impfen in der Praxis<br />

8 Impressionen <strong>2014</strong>: Kongress im Bild<br />

10 Allergien im Jugendalter: Es liegt was in der Luft<br />

10 Kinder- und Jugendpsychiatrie: Angst, Panik und Depression<br />

12 Junge Allgemeinmediziner Österreich: Nachwuchs-Schwierigkeiten<br />

13 Homöopathie bei Kindern und Jugendlichen<br />

14 Allgemeinmedizin in Österreich: Dr. Reinhold Glehr im Interview<br />

16 Müde Jugendliche: Wenn die Nacht zum Tag wird<br />

17 Logotherapie & Existenzanalyse: Christoph Schlick im Interview<br />

18 Welt-Diabetes-Tag: Dem Diabetes ins Gesicht schauen<br />

20 Drogenmissbrauch und häufig verwendete Substanzen<br />

21 Allergien und Intoleranzen: Wenn etwas nicht vertragen wird<br />

22 Adipositas bei Jugendlichen: Kampf dem Obelix-Syndrom<br />

24 Seltene Erkrankungen in der Allgemeinpraxis<br />

26 Interview mit Dr. Elia Bragagna: Tanz der Hormone<br />

27 Männer, Tattoos, Piercing: Haut und Körper als Symbol<br />

30 Schulungsinitiative: Inhalieren richtig gemacht<br />

Lektorat: Alexandra Lechner<br />

Art Direktion & Layout:<br />

Unlimited Media<br />

Anzeigenberatung:<br />

Alexandra Szczepanik, WebOwls;<br />

franke media kg, www.frankemedia.at;<br />

Clemens Lindinger<br />

Druck:<br />

Druckerei Odysseus Stavros<br />

Vrachoritis GmbH,<br />

Haideäckerstraße 1, 2325 Himberg<br />

Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit<br />

wird auf eine geschlechtsspezifische<br />

Differenzierung verzichtet.<br />

Entsprechende Begriffe gelten im<br />

Sinne der Gleichbehandlung für<br />

beide Geschlechter. In den Texten<br />

wird durchgängig die männliche<br />

Form benutzt. Im Sinne des Gleichbehandlungsgesetzes<br />

sind diese Bezeichnungen<br />

als nicht geschlechtsspezifisch<br />

zu betrachten.<br />

Offizielle Kongresszeitung der<br />

Steirischen Akademie für<br />

Allgemeinmedizin<br />

Graz <strong>2014</strong> <strong>KONGRESSJOURNAL</strong> 3


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

Kongressleiter Dr. Walter Fiala im Interview<br />

Der Kongress boomt:<br />

1.800 Teilnehmer<br />

Seit 45 Jahren treffen sich Österreichs Allgemeinmediziner Ende<br />

November in der Stadthalle Graz zur Fortbildung, zum Erfahrungs-<br />

und zum Informationsaustausch. Auch heuer werden<br />

insgesamt 1.800 Kongressbesucher erwartet. Während andere<br />

Kongresse unter schwindenden Teilnehmerzahlen und leeren<br />

Ausstellerhallen leiden, boomt Graz. Wir baten Dr. Walter Fiala<br />

gleich am Eröffnungstag zum Gespräch. Im Interview erklärt der<br />

Kongressleiter, was die Steirische Akademie für Allgemein- und<br />

Familienmedizin (STAFAM) anders macht als die anderen.<br />

Dr. Walter Fiala freute sich schon<br />

am Eröffnungstag auf die vielen<br />

angemeldeten Teilnehmer.<br />

Foto: Siss Furgler<br />

Was ist das Besondere an diesem<br />

Kongress, dass er auch nach 45<br />

Jahren so gut funktioniert?<br />

Die Besonderheit besteht darin,<br />

dass an drei Tagen ein Generalthema<br />

in Vorträgen und Seminaren<br />

aufbereitet wird. Die Themen und<br />

Vortragenden werden vom Vorstand<br />

der STAFAM nach den Bedürfnissen<br />

der Allgemeinmedizin ausgesucht.<br />

Wir ersuchen alle Vortragenden nur<br />

die deutsche Sprache zu verwenden,<br />

auch bei den Projektionen. Es behindert<br />

die Konzentration, wenn der<br />

Vortragende Deutsch spricht und auf<br />

den Dias eine andere Sprache aufscheint.<br />

Wir ersuchen auch, alle Abkürzungen<br />

auszuschreiben. Täglich<br />

werden neue Kürzel erfunden und es<br />

grenzt an Hochmut vorauszusetzen,<br />

dass jeder Teilnehmer alle kennen<br />

muss. Und wir versuchen, Vortragende<br />

zu ermutigen, auf Statistiken und<br />

Studien zu verzichten. Vielmehr geht<br />

es um deren eigene Erfahrungen.<br />

Wie wichtig ist für den<br />

Allgemeinmediziner Fortbildung?<br />

Ein großer Allgemeinmediziner, Gerhart<br />

Tutsch, hat gesagt: „Der Allgemeinmediziner<br />

muss wissen, was<br />

es gibt, und können, was er tut!“ Im<br />

raschen Wechsel und der Zunahme<br />

des Wissens ist der Allgemeinmediziner<br />

besonders gefordert, er soll<br />

sich in fast allen medizinischen Wissensgebieten<br />

auskennen. Und dies<br />

vor dem Hintergrund der enormen<br />

Überbelastung in den Ordinationen.<br />

Zudem sind wir die einzige Berufsgruppe<br />

der Welt, die Fortbildung in<br />

ihrer Freizeit – oder Dienstzeit mit<br />

Bezahlung einer Vertretung – auf eigene<br />

Kosten betreibt, die sich nicht<br />

gleich in Mehrverdienst umsetzen<br />

lässt, wie etwa Ultraschall- und Endoskopiekurse<br />

für Internisten.<br />

Was erwartet die Teilnehmer<br />

heuer beim Kongress?<br />

Freilich sind wir an neuesten Ergebnissen<br />

aus der Forschung interessiert,<br />

aber wichtiger sind uns die persönlichen<br />

Erfahrungen unserer Vortragenden,<br />

denen wir auch ohne lange<br />

Aufzählungen von Statistiken und<br />

Studien vertrauen. Die Pharmazeutische<br />

Ausstellung und das Abendprogramm<br />

geben zusätzlich Raum<br />

und Zeit für Gedankenaustausch, der<br />

genauso wichtig ist wie die Wissensvermittlung<br />

im Vortragssaal.<br />

Diesmal lautet das Thema: Jugend.<br />

Welche Highlights gibt es?<br />

Bei der jugendlichen Patientengruppe<br />

ist es wichtig, das Vertrauen<br />

zu gewinnen. Kein Jugendlicher will<br />

krank sein, außer in akuten Situationen.<br />

Von Psyche über Sucht, Verletzungen,<br />

Stoffwechselerkrankungen<br />

bis hin zur Sexualität deckt der<br />

Kongress viele Behandlungssituationen<br />

ab. Sehr wichtig ist uns auch<br />

der Festvortrag, der uns zeigen wird,<br />

dass die Jugend immer ein Spiegel<br />

unserer Gesellschaft ist. Nur durch<br />

die Änderung unseres Verhaltens ist<br />

die Jugend positiv beeinflussbar.<br />

Gibt es schon ein Kongressthema<br />

für das Jahr 2015?<br />

Für das nächste Jahr haben wir ein<br />

ungemein spannendes und herausforderndes<br />

Thema gewählt: Der<br />

Mensch zwischen Naturwissenschaft<br />

und Heilkunst. Darauf freuen<br />

wir uns schon heute.<br />

Infos zum Kongress 2015<br />

und eine komplette<br />

Kongressnachlese finden Sie auch<br />

im Internet: www.stafam.at<br />

4 <strong>KONGRESSJOURNAL</strong>Graz <strong>2014</strong>


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

Impressionen <strong>2014</strong><br />

Kongress<br />

im Bild<br />

Jugendliche zum Thema des<br />

Kongresses zu machen, war keine<br />

leichte Aufgabe. Zudem sind und<br />

waren Jugendliche immer ein<br />

Spiegelbild der Gesellschaft. Auch<br />

heute sind Drogen, Pornofilme und<br />

Lokale, die rund um die Uhr offen<br />

haben, keine isolierten Probleme<br />

der Jugend, sondern dienen vor<br />

allem den Erwachsenen für deren<br />

Gewinnmaximierung.<br />

„Aber der Kongress ist gut gelungen,<br />

die Themen sind vielfältig, interessant<br />

und praxisnah“, freute sich<br />

Kongressleiter Dr. Walter Fiala bei<br />

der Eröffnungsrede am Donnerstag.<br />

Zum 45. Mal treffen sich <strong>2014</strong><br />

die Allgemeinmediziner in Graz,<br />

insgesamt 60.000 teilnehmende<br />

Besucher stellen der Steirischen<br />

Akademie für Allgemeinmedizin ein<br />

besonderes Zeugnis aus. Dass die<br />

Ärztinnen und Ärzte, deren Mitarbeiter<br />

und auch die Aussteller begeistert<br />

waren, bezeugt nicht zuletzt<br />

diese Fotocollage. Das Thema des<br />

nächsten Kongresses steht auch<br />

schon fest: Der Mensch zwischen<br />

Naturwissenschaft und Heilkunst.<br />

8 <strong>KONGRESSJOURNAL</strong>Graz <strong>2014</strong>


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

9 <strong>KONGRESSJOURNAL</strong>Graz <strong>2014</strong>


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

Polypharmazie<br />

Wirkung & Wechselwirkung<br />

Polypharmazie ist in der Allgemeinpraxis ein breiter und wichtiger<br />

Themenkomplex. Allerdings existiert nicht einmal eine einheitliche<br />

Definition des Begriffs. Jedes einzelne Medikament hat nicht nur Wirkung,<br />

sondern auch Nebenwirkungen. Je mehr Medikamente ein Patient<br />

einnimmt, umso größer ist auch die Gefahr einer Polypharmazie.<br />

Das Gefahrenpotential steigert sich<br />

vor allem bei älteren und multimorbiden<br />

Patienten und solchen,<br />

die in Behandlung mehrerer Ärzte<br />

oder Spitäler stehen. Dr. Reinhild<br />

Höfler, niedergelassene Ärztin für<br />

Allgemeinmedizin in Graz, Lehrbeauftragte<br />

für Allgemeinmedizin an<br />

der MUG, sieht das Problem aber<br />

nicht nur aus der Sicht der Verschreiber:<br />

„Teilweise ist die Verordnung<br />

mehrerer bis vieler Medikamente<br />

unumgänglich. Oft handelt<br />

es sich aber um zusätzliche, unbeabsichtigte<br />

oder sogar unbemerkte<br />

Einnahme von Medikamenten oder<br />

pharmakologisch wirksamer Substanzen.<br />

Hier wird die Polypharmazie<br />

zum Problem, das nur alle gemeinsam<br />

lösen können.“<br />

Über das Thema „gewohnheitsmäßige<br />

Eigenmedikation“ erfährt oftmals<br />

die Assistentin viel mehr Details. Die<br />

Patienten plaudern gerne über Ratschläge<br />

von Nachbarn, alte Hausmittel<br />

und Tipps aus Zeitschriften. Der<br />

behandelnde Arzt muss dafür schon<br />

sehr gezielt nachfragen. Häufig ist den<br />

Patienten gar nicht bewusst, dass<br />

auch pflanzliche Substanzen – zum<br />

Beispiel in Tees – eine Arzneimittelwirkung<br />

haben. Dadurch sind aber<br />

auch Wechselwirkungen mit verordneten<br />

Medikamenten möglich.<br />

Auch viele weitere Faktoren, unter<br />

anderem nicht gewartete Medikamentenlisten<br />

sowie wechselnde<br />

Betreuungspersonen und dadurch<br />

entstehende Kommunikationsprobleme<br />

oder Verwechslungen durch<br />

unterschiedliche Handelsnamen von<br />

Medikamenten bei gleichen Wirkstoffen<br />

können ein folgenschweres aber<br />

vermeidbares Problem darstellen.<br />

Foto: Dr. Reinhild Höfler<br />

Österreichischer Impfplan <strong>2014</strong><br />

Impfen<br />

in der Praxis<br />

Jedes Jahr wird der Impfplan<br />

in Österreich in enger Zusammenarbeit<br />

zwischen dem BM für<br />

Gesundheit und Experten des<br />

Nationalen Impfgremiums überarbeitet.<br />

In seinem Seminar gibt<br />

Univ.-Prof. Dr. Ingomar Mutz,<br />

einen Überblick über die wichtigsten<br />

Fakten und Neuheiten.<br />

Bei der heurigen Neuauflage ging es<br />

darum, einen einfacheren Überblick<br />

über aktuelle, zur Verfügung stehende<br />

Impfungen zu geben. Auch wird eine<br />

bessere Differenzierung zwischen jenen<br />

Kernimpfungen getroffen, welche<br />

im Rahmen des kostenlosen Kinderimpfprogramms<br />

von der Öffentlichkeit<br />

getragen werden, und anderen<br />

wichtigen Impfungen, welche nicht<br />

im öffentlichen Impfkonzept bereitgestellt,<br />

aber dennoch für den Individualschutz<br />

empfohlen werden.<br />

Der Impfplan Österreich <strong>2014</strong> enthält<br />

mehrere signifikante Veränderungen.<br />

Eine davon ist etwa die Aufnahme<br />

der HPV-Impfung in das öffentlich finanzierte<br />

Schulkinderimpfprogramm<br />

für Buben und Mädchen. Weiters enthält<br />

der Plan wichtige Informationen<br />

über die Ausweitung der kostenlosen<br />

Masern-Mumps-Röteln-Impfung<br />

und die Aufhebung der Altersgrenze<br />

von 45 Jahren. Im Seminar gibt Ingomar<br />

Mutz aber nicht nur einen umfassenden<br />

Überblick über Impfen in der<br />

Praxis, sondern geht auf die Themen<br />

Impfaufklärung, Impftechnik, Nebenwirkungen,<br />

Impfängste, Besonderheiten<br />

in der Schwangerschaft, bei<br />

Reisen sowie die neueren Impfungen<br />

gegen Humane Papillomviren, Herpes<br />

zoster und Meningokokken B ein.<br />

Ärzteseminar: „Impfen in der Praxis“<br />

SA 9.00 – 12.00<br />

6 <strong>KONGRESSJOURNAL</strong>Graz <strong>2014</strong>


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

Allergien im Jugendalter<br />

Es liegt was in der Luft<br />

Allergien und Asthma sind<br />

gerade bei Jugendlichen ein<br />

weltweites Problem. Denn in<br />

vielen Ländern, wie auch in<br />

Österreich, gibt es einen Anstieg<br />

der Erkrankungshäufigkeit<br />

bei der allergischen Rhinitis –<br />

Tendenz weiterhin steigend.<br />

Prim. Priv.-Doz. Dr. Fritz Horak, Allergiezentrum<br />

Wien West, ging in seinem<br />

Vortrag auf den epidemiologischen<br />

Hintergrund ein. Frühzeitiger Allergenkontakt,<br />

Umweltschadstoffe und<br />

mangelnde Schutzfaktoren sind die<br />

Probleme. Er erörterte auch die Frage,<br />

warum Kinder und Jugendliche überhaupt<br />

Allergien bekommen. Wichtig<br />

ist in diesem Zusammenhang das<br />

Immunsystem, denn es kann sich<br />

unter verschiedenen Einflussfaktoren<br />

entweder in Richtung Allergie<br />

oder Toleranz entwickeln. Bestehen<br />

einmal allergieverdächtige Symptome,<br />

ist die richtige und rechtzeitige<br />

Diagnostik relevant. Die Anamnese<br />

ist hier immer noch das wichtigste<br />

Tool des Allergologen. Meist folgen<br />

ein Haut-Allergietest und/oder die<br />

Bestimmung spezifischer IgE im Serum<br />

des Patienten. Bei bestimmten<br />

Fragestellungen ist auch eine Komponentendiagnostik<br />

hilfreich. „Auch<br />

der Allergen-Chip kann einen guten<br />

Einblick in das spezifische Profil eines<br />

Allergiepatienten geben, ist aber nicht<br />

in jedem Fall indiziert“, so Fritz Horak.<br />

Die richtige Therapie ist bei allen<br />

Allergien entscheidend. Neben der<br />

Allergenkarenz, die nicht für jedes Allergen<br />

gleich gut möglich ist, sind die<br />

symptomatische Therapie und die<br />

spezifische Immuntherapie wichtige<br />

Säulen in der Behandlung. Für<br />

die symptomatische Therapie liegen<br />

je nach Symptomatik verschiedene<br />

Leitlinien vor, die ein meist stufenweises<br />

Vorgehen nahelegen. Lokale<br />

Therapiemaßnahmen stehen hier<br />

systemischen Ansätzen gegenüber.<br />

Die spezifische Immuntherapie ist die<br />

wichtige dritte Säule in der Behandlung.<br />

Sie ist die einzige kausale Therapieform,<br />

die das Immunsystem nachhaltig<br />

positiv beeinflussen kann. Dabei<br />

kommt es vor allem auf eine richtige<br />

Patienten- und Präparate-Auswahl<br />

Prim. Priv.-Doz. Dr. Fritz Horak:<br />

„Frühzeitiger Allergenkontakt,<br />

Umweltschadstoffe und mangelnde<br />

Schutzfaktoren sind die Probleme.“<br />

an, um einen guten Therapieerfolg zu<br />

gewährleisten. Dadurch wird auch das<br />

Risiko von Nebenwirkungen gering<br />

gehalten. Fritz Horak: „Die Zukunft der<br />

Allergologie ist aber weiterhin spannend.<br />

In wenigen Jahren werden neue<br />

Tabletten-Anwendungen der sublingualen<br />

Immuntherapie auf den Markt<br />

kommen. Außerdem wird an weiteren<br />

Applikationswegen der spezifischen<br />

Immuntherapie gearbeitet.“<br />

Infos: www.allergiezentrum.at<br />

Foto: privat<br />

Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />

Angst, Panik und Depression<br />

Schon die Brüder Grimm schrieben<br />

in ihren Märchen über „Einen,<br />

der auszog, das Fürchten zu lernen“.<br />

Dr. Thomas Kröpfl, Graz: „Viele Kinder<br />

und Jugendliche brauchen das<br />

heute nicht. Leider haben rund 20<br />

Prozent der Kinder und Jugendlichen<br />

psychische oder psychosoziale<br />

Probleme.“ Sie leiden an Ängsten,<br />

Depressionen, sie werden gemobbt<br />

oder schikaniert und schweben dabei<br />

manchmal sogar in Suizidgefahr. Leider<br />

sind viele Angststörungen stabil,<br />

sind also Grundlage für psychische<br />

Störungen im Erwachsenenalter.<br />

Die gute Nachricht: Diese Probleme<br />

sind behandelbar, aber sie müssen<br />

rechtzeitig erkannt werden. Für den<br />

Allgemeinmediziner ist wichtig, die<br />

Ängste der kleinen Patienten ernst zu<br />

nehmen. Auch sollte er sehr genau<br />

auf den Zeitpunkt des Auftretens, die<br />

Dauer und Ausprägung der Angstsymptomatik<br />

achten. Immerhin verüben<br />

acht bis neun Prozent der Jugendlichen<br />

einen Suizidversuch und<br />

einer von 1.500 Jugendlichen stirbt.<br />

10 <strong>KONGRESSJOURNAL</strong>Graz <strong>2014</strong>


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

Junge Allgemeinmediziner Österreich<br />

Nachwuchs-Schwierigkeiten<br />

Die Allgemeinmedizin in<br />

Österreich steckt momentan<br />

in einer schwierigen Phase.<br />

„Die Ausbildungsreform ist<br />

nicht der große Wurf, den wir<br />

uns erhofft haben“, erklärt<br />

Dr. Maria Wendler, Ärztin in<br />

Ausbildung zum Fach Allgemeinmedizin<br />

in Linz, Mitglied<br />

der JAMÖ – Junge Allgemeinmedizin<br />

Österreich.<br />

Infos für Jungmediziner: Angebote, Aktivitäten und Vernetzungsmöglichkeiten<br />

Fotos: Unlimited Media<br />

Dr. Maria Wendler<br />

Es gibt immer noch keinen Facharzt<br />

für Allgemeinmedizin, die Ausbildungsstellen<br />

für Sonderfächer sind<br />

im Vergleich zu vor wenigen Jahren<br />

leicht zu haben und die Reform der<br />

Primärversorgung gibt zwar Hoffnung<br />

für die Zukunft, besteht bisher<br />

aber nur aus schönen Worten. „Unter<br />

solchen Umständen ist es besonders<br />

wichtig, dass wir unsere eigenen Ressourcen<br />

mobilisieren - als Individuen<br />

und als Interessensgemeinschaft. Vor<br />

allem als junge Allgemeinmediziner<br />

müssen wir uns untereinander mehr<br />

vernetzen“, so Dr. Maria Wendler. Es<br />

geht darum, Erfahrungen auszutauschen<br />

und Strategien zu entwickeln,<br />

um den widrigen Umständen zu<br />

trotzen. Maria Wendler: „Unser Ziel<br />

ist es ja, gute Allgemeinmediziner zu<br />

werden. Um das zu erreichen, müssen<br />

wir aber aktiv die Entwicklung im<br />

positiven Sinne mitgestalten.“<br />

Deshalb nutzen die Mitglieder der<br />

JAMÖ den Grazer Kongress für Allgemeinmedizin,<br />

um am JAMÖ-<br />

Stand über ihre Aktivitäten und<br />

Angebote zu sprechen: etwa den<br />

„Journal Club Primary Care“ in Wien,<br />

ein internationales Austauschprogramm,<br />

oder die Förderung der<br />

Teilnahme an internationalen Kongressen.<br />

Der Workshop beim Allgemeinmedizinkongress<br />

diente vor<br />

allem der Kommunikation und der<br />

Vernetzung. In den letzten Jahren hat<br />

er sich zu einer Plattform für den Austausch<br />

zwischen erfahrenen Hausärzten,<br />

jungen Allgemeinmedizinern,<br />

Turnusärzten und sogar Studenten<br />

entwickelt. Mittlerweile ist der JAMÖ-<br />

Workshop ein Fixpunkt im Kongressprogramm.<br />

Maria Wendler: „Als eine<br />

der größten, regelmäßigen Allgemeinmedizinveranstaltungen<br />

in Österreich<br />

ist der Kongress eine willkommene<br />

Gelegenheit, sich zusammenzufinden<br />

und Neuigkeiten zu diskutieren.“<br />

Im Zentrum standen Fragen aus<br />

dem Bereich der postgraduellen<br />

Ausbildung, zum Beispiel: Wie reagieren<br />

die Krankenhäuser in den<br />

verschiedenen Regionen auf die sinkende<br />

Verfügbarkeit von Allgemeinmedizin-Turnusärzten?<br />

Aber es wurde<br />

auch über die Auswirkungen auf<br />

die Ausbildungsqualität diskutiert.<br />

Welche Verbesserungsbestrebungen<br />

gibt es und wie kann man sie vielleicht<br />

im eigenen Umfeld umsetzen?<br />

Andere Themen waren die Visionen<br />

der Jungmediziner, die Zukunft der<br />

Allgemeinmedizin, Forschung, aber<br />

auch neue Arbeitsstrukturen.<br />

Die JAMÖ freut vor allem die Teilnahme<br />

der unterschiedlichen Grupen.<br />

Für Studenten war der Workshop<br />

eine gute Gelegenheit, sich für<br />

die zukünftigen Herausforderungen<br />

zu wappnen, um das Bestmögliche<br />

aus Studium und Turnus herauszuholen.<br />

Ärzte, die den Turnus bereits<br />

hinter sich haben, diskutierten<br />

über Vertretungen oder die ersten<br />

Schritte in der eigenen Niederlassung.<br />

Aber auch erfahrene Hausärzte<br />

nutzten die Möglichkeit, ihren<br />

Erfahrungsschatz zur Verfügung zu<br />

stellen und die Sichtweisen der neuen<br />

Generationen kennen zu lernen.<br />

WEITERE INFOS:<br />

www.jamoe.at<br />

www.facebook.com/jungeallgemeinmedizin<br />

www.twitter.com/jungeAM<br />

12 <strong>KONGRESSJOURNAL</strong>Graz <strong>2014</strong>


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

Homöopathie bei Kindern und Jugendlichen<br />

Ähnliches mit Ähnlichem behandeln<br />

Homöopathie behandelt individuell<br />

jede Person nach ihren<br />

Stärken und Schwächen in ihrer<br />

Gesamtheit. Nach Hahnemann<br />

(1755 bis 1843) gilt die Ähnlichkeitsregel,<br />

die besagt, dass eine<br />

Arznei das heilen kann, was sie<br />

selber darstellt.<br />

Dr. Holger Förster<br />

Ärzteseminar: „Homöopathie bei<br />

Jugendlichen“, SA 14.30 – 17.30<br />

Foto: privat<br />

Globuli sind vor allem bei viralen<br />

Infekten, allergischen Problemen oder<br />

Schlafstörungen höchst wirksam.<br />

„Homöopathie ist ein allgemein anerkanntes<br />

Naturheilverfahren, welches<br />

das gesamte Spektrum körperlicher,<br />

seelischer und geistiger<br />

Charakteristika von Kindern und Jugendlichen,<br />

die erkrankt sind, mit in<br />

die Behandlung einbezieht“, erklärt<br />

Dr. Holger Förster, Facharzt für Kinder-<br />

und Jugendheilkunde, Salzburg.<br />

In der homöopathischen Sprechstunde<br />

mit Jugendlichen geht es oft<br />

um allgemeinmedizinische Themen<br />

wie rezidivierende Infekte, Allergien,<br />

aber auch um spezielle Themen des<br />

Adoleszenten wie Akne, Regelbeschwerden,<br />

Körperwahrnehmungsstörungen<br />

bis hin zur Anorexie. Ein<br />

großes Thema sind auch „psychosomatische“<br />

Beschwerden in Form<br />

von Ticks, Kopf-Bauchschmerzen,<br />

Stottern und die Problembereiche<br />

Schlafen und Schule bis hin zu ADHS,<br />

Angststörungen und Depression.<br />

Homöopathie ist eine Regulationstherapie,<br />

das heißt, sie kann Veränderungen<br />

im Organismus positiv<br />

beeinflussen, solange keine strukturellen,<br />

materiellen Ursachen vorliegen.<br />

Holger Förster: „Wir wählen Arzneien<br />

aus dem pflanzlichen, tierischen, mineralischen<br />

Bereich in potenzierter<br />

Form üblicherweise als Globuli oder<br />

Tropfen. Neben der Therapie von<br />

einfachen viralen Infekten, die uns<br />

jetzt besonders begleiten, bewährt<br />

sich Homöopathie vor allem bei allergischen<br />

Problemen wie Pollinose<br />

oder Asthma und Verhaltensauffälligkeiten,<br />

sichtbar in Schulproblemen,<br />

Schlafstörungen oder auch im Formenkreis<br />

des ADHS.“<br />

Foto: Unlimited Media<br />

Besonderes Augenmerk wird naturgemäß<br />

auf die Anamnese gelegt,<br />

die bei Jugendlichen meist schwierig<br />

ist. Wichtig ist es, die Gesamtheit<br />

des Menschen zu erfassen und somit<br />

sind alle Eindrücke während eines<br />

homöopathischen Gespräches<br />

wichtig und vielleicht auch unwichtig<br />

erscheinende Nebensächlichkeiten<br />

zielführend bei der Wahl der Arznei.<br />

Im zweiten Schritt muss eine Arznei<br />

gesucht werden, die den gefundenen<br />

Charakteristika möglichst nahe<br />

kommt: Ähnliches mit Ähnlichem behandeln.<br />

Dabei kann man sich diverser<br />

Fragebögen bedienen, um schließlich<br />

aus Lehrbüchern, Algorithmentafeln<br />

oder Computerprogrammen eine<br />

gute Arznei zu finden. Eingegangen<br />

wird bei der komplexen Suche nach<br />

der richtigen homöopathischen Arznei<br />

aber auch auf bewährte Indikationen,<br />

die mit guter Sicherheit schnell zum<br />

Erfolg führen können. Holger Förster:<br />

„Wenngleich wir noch immer nicht<br />

die Wirkung der Homöopathie naturwissenschaftlich<br />

erklären können, so<br />

sehen wir doch im täglichen Umgang<br />

mit dieser Therapieform die teilweise<br />

verblüffende Wirksamkeit — auch an<br />

denen, die nicht daran glauben.“<br />

Infos: www.dr-foerster.at<br />

HILFE BEI<br />

DURCHSCHLAFSTÖRUNGEN:<br />

• Belladonna:<br />

plötzliches Auffahren aus Schlaf,<br />

heftiges Schreien, Zähneknirschen,<br />

rotes Gesicht, Schwitzen<br />

• Cypripedium:<br />

wacht munter auf und will spielen<br />

• Jalapa: schreit stundenlang<br />

• Zincum valerianum:<br />

allgemeine Unruhe, schweres<br />

Ein- und Durchschlafen<br />

Graz <strong>2014</strong> <strong>KONGRESSJOURNAL</strong> 13


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

Allgemeinmedizin in Österreich: Dr. Reinhold Glehr im Interview<br />

„Viel in Bewegung“<br />

Über den Hausarzt als zentrale Schnittstelle wird in der Politik schon<br />

lange diskutiert. Ergebnisse gibt es aber kaum. Dennoch sieht<br />

Dr. Reinhold Glehr, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für<br />

Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM), derzeit viel Bewegung<br />

und hofft auf eine Neuordnung der Arbeitsverteilung zwischen<br />

stationärem und ambulantem Bereich.<br />

Wie sehen Sie die Stellung der Allgemeinmedizin<br />

in Österreich?<br />

Im österreichischen Gesundheitssystem<br />

ist derzeit viel in Bewegung. Mit<br />

dem Zielsteuerungsvertrag zwischen<br />

Bund und Ländern 2013 wurden<br />

strategische Ziele mit Programmcharakter<br />

für die Neuordnung der Arbeitsverteilung<br />

zwischen stationärem<br />

und ambulantem Bereich vereinbart.<br />

Multiprofessionelle, interdisziplinär<br />

organisierte Versorgungsformen unter<br />

einem Dach sollen eine wohnortnahe,<br />

permanent zugängliche Gesundheitsversorgung<br />

sicherstellen.<br />

Bestehende Ordinationen werden<br />

verbindlicher in Netzwerken zusammenarbeiten.<br />

An der Konkretisierung<br />

mit einer gestärkten Allgemeinmedizin<br />

wird intensiv gearbeitet. Wie die<br />

Umsetzung jedoch erfolgt, ist schwer<br />

abzusehen. Zu hoffen ist, dass Bewährtes<br />

im Eifer der Reform nicht<br />

zerstört und die Qualität der Versorgung<br />

nicht verschlechtert werden.<br />

Wird der Nachwuchs auf das Berufsleben<br />

als „Niedergelassener“<br />

gut vorbereitet?<br />

In der nun im Nationalrat verabschiedeten<br />

Ärztegesetznovelle hat sich viel<br />

geändert. Endlich soll nun die verpflichtende<br />

Lehrpraxis im Fach Allgemeinmedizin<br />

Wirklichkeit werden:<br />

im Umfang von sechs Monaten bei<br />

freiberuflichen Ärzten. Gleichzeitig<br />

wird der Allgemeinmedizin-Turnus<br />

als „Approbationsausbildung für alle<br />

Ärzte“ durch den neunmonatigen<br />

Common-Trunc ersetzt. Danach erfolgt<br />

die Entscheidung für die jeweilige<br />

Fachausbildung – auch in Richtung<br />

Allgemeinmedizin.<br />

Vor allem die Lehrpraxis ist ja ein<br />

Problemfall der letzten Jahre ...<br />

Die noch nicht gesicherte Finanzierung<br />

der Lehrpraxis ist wohl das entscheidende<br />

Kriterium. Wichtig wird<br />

aber auch sein, dass die Weiterbildung<br />

zum Arzt für Allgemeinmedizin in der<br />

vorgeschriebenen Zeit absolviert werden<br />

kann. Da müssen sich Kammer,<br />

Träger und niedergelassener Bereich<br />

sinnvoll einigen. Das bereits gestartete<br />

„Lehrpraxismodell Vorarlberg“<br />

mit Beteiligung von Bund, Land, Ärztekammer<br />

und Sozialversicherung<br />

stimmt mit seinen Qualitätskriterien<br />

und dem fugenlosen Wechsel in die<br />

Lehrpraxis aber hoffnungsvoll.<br />

In Deutschland fehlen schon viele<br />

Allgemeinmediziner. Haben wir<br />

auch in Österreich ein Problem<br />

beim Nachwuchs?<br />

Dr. Reinhold Glehr: „Wir haben in<br />

Europa ja keinen absoluten Mangel an<br />

Ärzten, sondern eher einen strukturellen,<br />

der aus Versäumnissen der letzten<br />

Jahre resultiert.“<br />

Die Rahmenbedingungen werden<br />

sich dem Bedarf rasch anpassen<br />

müssen, sonst ist dieselbe Problematik<br />

wie in Deutschland zu erwarten.<br />

Wir haben in Europa ja keinen absoluten<br />

Mangel an Ärzten, sondern eher<br />

einen strukturellen, der aus Versäumnissen<br />

der letzten Jahre resultiert.<br />

Die Zusammenarbeit zwischen<br />

Krankenhaus und niedergelassener<br />

Praxis funktioniert nicht überall.<br />

Gibt es Lösungen für ein besseres<br />

Schnittstellenmanagement?<br />

Die Ärztenetzwerke nach dem Modell<br />

Styriamed.net stellen hier eine Entwicklung<br />

dar, die auch den Konzepten<br />

der Gesundheitssystem-Reform<br />

entspricht. Gemeinsam erarbeitete<br />

Regeln der Zusammenarbeit, bessere<br />

Kommunikation über Dringlichkeit,<br />

Öffnungszeiten und Urlaubszeiten,<br />

Telefonhotline für Nachfragen, bessere<br />

Definition des betreuenden Arztes,<br />

gemeinsame medizinische und<br />

organisatorische Meetings und ein<br />

gemeinsames Fehlermanagement<br />

können die Probleme an den Schnittstellen<br />

vermindern.<br />

Foto: privat<br />

14 <strong>KONGRESSJOURNAL</strong>Graz <strong>2014</strong>


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

Müde Jugendliche<br />

Wenn die Nacht zum Tag wird<br />

Immer wieder sind auch Ärzte<br />

mit dem Problem Müdigkeit<br />

bei Jugendlichen konfrontiert.<br />

Schüler fallen durch Konzentrationsprobleme<br />

und schlechte<br />

Schulleistungen, Lehrlinge<br />

durch Fehlleistungen, aber<br />

auch durch eine erhöhte<br />

Unfallgefährdung auf.<br />

Prinzipiell ist eine veränderte Schlafgewohnheit<br />

in der Pubertät durchaus<br />

natürlich, da die Jugendlichen<br />

in relativ kurzer Zeit ihre gesamten<br />

Verhaltensmuster ändern. Ins Bett<br />

geht man erst nach Mitternacht. Dies<br />

führt zu einer verkürzten Gesamtschlafdauer<br />

und einem Schlafdefizit.<br />

TV, Handy und Social Media bzw.<br />

Internet sind zusätzliche Schlafräuber.<br />

„Die Verschiebung des Schlafes<br />

nach hinten geht auch mit hormonellen<br />

Verschiebungen einher“, erklärt<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Reinhold<br />

Kerbl, LKH Leoben. Verantwortlich<br />

dafür sind in erster Linie Cortisol und<br />

Melatonin. Wobei nicht ganz klar ist,<br />

ob die Hormone das Schlafverhalten<br />

beeinflussen oder umgekehrt.<br />

An Wochenenden kommt es durch<br />

den sozialen Gruppendruck zu einer<br />

zusätzlichen Schlafphasenverschiebung.<br />

Fortgehen bis in die frühen<br />

Morgenstunden und Schlaf bis am<br />

Nachmittag bringen das System<br />

umso mehr aus dem Gleichgewicht.<br />

Zwar wird das während der Schuloder<br />

Arbeitswoche angesammelte<br />

Schlafdefizit zum Teil kompensiert,<br />

gleichzeitig aber rächt sich dies am<br />

Montagmorgen, wenn die Jugendlichen<br />

für die Schule oder die Arbeit<br />

um 6:00 Uhr oder noch früher aufstehen<br />

müssen. „Müdigkeit kann bei<br />

Jugendlichen viele Ursachen haben,<br />

Jugendliche Nachteulen: Ins Bett geht man erst nach Mitternacht. Dies führt zu<br />

einer verkürzten Gesamtschlafdauer und einem Schlafdefizit. TV, Handy und<br />

Social Media bzw. Internet sind zusätzliche Schlafräuber.<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Reinhold Kerbl:<br />

„Müdigkeit kann bei Jugendlichen viele<br />

Ursachen haben, auch organische –<br />

und die gehören abgeklärt.“<br />

auch organische – und die gehören<br />

abgeklärt“, meint Reinhold Kerbl. Es<br />

kann zum Beispiel eine Schlafapnoe<br />

(am häufigsten), ein Hypoventilationssyndrom,<br />

eine Anämie, ein<br />

Chronic-fatigue-Syndrom vorliegen<br />

oder auch eine psychische Erkrankung,<br />

vor allem eine Depression.<br />

Wenn mögliche organische Ursachen<br />

ausgeschlossen wurden, zielt<br />

ein erster Ansatz zur Hilfe auf eine<br />

Verhaltensänderung ab: Schlafhygiene,<br />

vernünftiger Gebrauch von<br />

Handy, TV und Internet, Vermeidung<br />

überlangen Fortgehens.<br />

In punkto medikamentöser Behandlung<br />

kann Melatonin in Betracht gezogen<br />

werden. Dies kann zu einer<br />

Vorverlagerung des Schlafbeginns<br />

und somit zu einer Verlängerung der<br />

Gesamtschlafdauer führen. Reinhold<br />

Kerbl: „Melatonin ist zwar als Medikament<br />

für Kinder nicht zugelassen,<br />

jedoch auch als Nahrungsergänzung<br />

erhältlich. Es ist im Grunde eine<br />

harmlose Substanz mit so gut wie<br />

keinen Nebenwirkungen.“ Trotzdem<br />

ist eine medikamentöse Therapie<br />

nicht erste Wahl und sollte auf seltene<br />

oder mit anderen Mitteln nicht<br />

beherrschbare Fälle beschränkt bleiben.<br />

Das gilt ebenfalls für das Wachstumshormon,<br />

das nur im extremen<br />

Ausnahmefall einer pathologischen<br />

Schlafphasenverschiebung indiziert<br />

ist. Auch eine Lichttherapie kann hilfreich<br />

sein. Ein vermehrter Blauanteil<br />

in den Morgenstunden und ein erhöhter<br />

Rotanteil in den Abendstunden<br />

fördern den gesunden Schlaf<br />

und tragen zu einer Normalisierung<br />

der Melatoninproduktion bei.<br />

Foto: privat<br />

16 <strong>KONGRESSJOURNAL</strong>Graz <strong>2014</strong>


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

Logotherapie & Existenzanalyse: Christoph Schlick im Interview<br />

Suche nach Sinn und Werten<br />

Gerade bei Jugendlichen können Aggression und auch Depression<br />

eine Folge von nicht gefundenem bzw. verlorenem Sinn sein.<br />

Christoph Schlick, Leiter des Institutes für Logotherapie und<br />

Existenzanalyse in Salzburg, verfügt über eine langjährige Erfahrung<br />

in Forschung und Lehre, Beratung und Therapie nach Frankls<br />

Logotherapie und Existenzanalyse. Im Interview sprach er über<br />

sinnorientierte Psychotherapie, der Suche nach Sinn und Werten,<br />

aber auch über Persönlichkeitsentwicklung.<br />

Wie können Logotherapie und Existenzanalyse<br />

helfen?<br />

Es geht um ein Menschenbild, das<br />

die Person in ihrer Freiheit und Verantwortung<br />

ernst nimmt. Der Mensch<br />

will sinnorientiert leben, er will Werte<br />

in den vielfältigen Situationen des<br />

Lebens finden und verwirklichen,<br />

sagt ihr Begründer, der Wiener Arzt<br />

und Philosoph Viktor E. Frankl. Mit<br />

der Existenzanalyse gibt uns Frankl<br />

Werkzeuge mit auf den Weg, um die<br />

Möglichkeiten, Wertigkeiten und den<br />

Sinn des eigenen Lebens zu entdecken.<br />

Die Logotherapie ist Lebenshilfe,<br />

um den erkannten Sinn auch<br />

im privaten und beruflichen Alltag<br />

ein- und umzusetzen.<br />

Ist die Suche nach dem Sinn bei<br />

Jugendlichen ein wichtiges Thema?<br />

Jugendliche sind sowieso unsicher,<br />

hinzu kommen die Pubertät und das<br />

Überangebot an Sinn und Werten.<br />

Daher geht es um die Frage: Wie können<br />

sich junge Menschen orientieren?<br />

Können sie sich überhaupt entscheiden?<br />

Viele Jugendliche kommen aus<br />

Familien, in denen sich die Strukturen<br />

immer mehr auflösen und sie immer<br />

weniger übernehmen können.<br />

Was wollen Sie dem Arzt vermitteln?<br />

In der sinnorientierten Psychotherapie<br />

geht es um Menschen, denen<br />

das Wofür fehlt. Dadurch tun sie sich<br />

schwer in ihrer Entwicklung und beruflichen<br />

Orientierung. Mir geht es<br />

nicht um Gesellschaftskritik, Ärzte<br />

sollten die Zusammenhänge kennen.<br />

Wenn ein Jugendlicher über<br />

körperliche Probleme spricht, steckt<br />

vielleicht eine psychische Verunsicherung<br />

dahinter.<br />

Christoph Schlick: „Die Logotherapie<br />

ist Lebenshilfe, um den erkannten<br />

Sinn auch im privaten und beruflichen<br />

Alltag ein- und umzusetzen.“<br />

Welche Tipps gibt es?<br />

Die Frage nach dem Sinn kann man<br />

nie direkt stellen. Besser ist: Was ist<br />

dir als Jugendlicher wichtig? Wenn<br />

ein junger Mensch dabei zu stottern<br />

beginnt, hat er Probleme oder keinen<br />

Halt. Im nächsten Schritt geht es<br />

darum, ihm zu helfen. Welche Tipps<br />

kann man dem Jugendlichen geben?<br />

Hat er eine Aufgabe? Wie schaut seine<br />

Beziehungsstruktur aus? Hat er<br />

Vertrauenspersonen? Hat er jemanden,<br />

mit dem er wirklich gut reden<br />

kann – nicht nur seine „oberflächlichen“,<br />

pubertierenden Freunde, die<br />

ähnliche Probleme haben. Hat er nur<br />

seine Eltern, von denen er sich lösen<br />

muss? Das wären die ersten Themen.<br />

Mein Grundansatz auf dieser Lösungsebene<br />

sind gut gelebte Beziehungen.<br />

Das muss man lernen: mit<br />

sich selbst in Bezug zu sein, zu wissen,<br />

wie es mir geht, was ich brauche.<br />

Welche Beziehung gibt es zu anderen<br />

Menschen? Welche Aufgaben<br />

habe ich? Wie ist der Bezug zur Welt,<br />

zur Natur, zur Kultur? Interessant ist,<br />

dass Jugendliche, die sich in irgendeiner<br />

Form musisch betätigen – sie<br />

müssen nicht musikalisch sein –, weniger<br />

gefährdet sind, eine Krise zu haben.<br />

Sie haben einen anderen Bezug<br />

zur Welt als Jugendliche, die nur am<br />

Konsum interessiert sind.<br />

Der Hausarzt wird meist nur der<br />

erste Ansprechpartner sein, nicht<br />

der Therapeut.<br />

Ja und es ist auch nicht notwendig,<br />

diese Jugendlichen in Therapie zu<br />

schicken. Der Arzt muss erkennen,<br />

dass es nicht um rasches Verschreiben<br />

eines Medikaments geht. Wichtig<br />

ist die Frage nach einem intakten<br />

Beziehungsnetz. Gerade bei jungen<br />

Menschen herrscht hier ein Defizit,<br />

daran sollte man immer denken.<br />

Infos: www.sinnzentrum.at<br />

Foto: Christian Jungwirth<br />

Graz <strong>2014</strong> <strong>KONGRESSJOURNAL</strong> 17


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

Welt-Diabetes-Tag<br />

Dem Diabetes ins Gesicht schauen<br />

Etwa acht bis neun Prozent aller<br />

Menschen in Österreich leiden<br />

laut Diabetes-Bericht 2013<br />

an Diabetes. Sechs Prozent<br />

(430.000 Menschen) haben<br />

einen ärztlich diagnostizierten<br />

Diabetes, weitere 150.000 bis<br />

200.000 sind noch nicht diagnostiziert.<br />

Anlässlich des Welt-<br />

Diabetes-Tags am 14.11.<strong>2014</strong><br />

wies die Österreichische Diabetes<br />

Gesellschaft (ÖDG) auf die Gefahren<br />

des Diabetes mellitus hin.<br />

„Aufgrund des steigenden Lebensalters<br />

wird sich die Zahl der Betroffenen<br />

noch weiter erhöhen. Darum<br />

möchten wir einmal mehr darauf<br />

aufmerksam machen, was Diabetes<br />

bedeutet. Und zwar nicht nur<br />

für die Betroffenen – sowohl jene,<br />

die es wissen, als auch jene, die<br />

sich gar nicht bewusst über ihre<br />

Erkrankung sind – und ihre Angehörigen,<br />

sondern auch für das österreichische<br />

Gesundheitssystem<br />

und unsere Gesellschaft“, erklärt<br />

Univ.-Prof. Dr. Thomas C. Wascher,<br />

Hanuschkrankenhaus, Vorsitzender<br />

der ÖDG. Immerhin gibt es in Österreich<br />

rund 10.000 Todesfälle als<br />

Folge von Diabetes, 2.500 Amputationen,<br />

300 neue Dialysepatienten<br />

und 200 neu erblindete Patienten.<br />

Dieser Gefahr des Diabetes blickt<br />

man buchstäblich ins Auge, wenn<br />

man den Logos der ÖDG-Initiative<br />

„Face Diabetes“ begegnet. Mit dieser<br />

Initiative weist die ÖDG darauf hin,<br />

dass sich einerseits die Betroffenen<br />

täglich mit ihrer chronischen Erkrankung<br />

und deren Management auseinandersetzen<br />

müssen, aber auch<br />

die österreichische Politik, die Gesellschaft<br />

und alle Menschen. Anlässlich<br />

Am Welt-Diabetes-Tag erstrahlen<br />

bekannte Gebäude und Sehenswürdigkeiten<br />

auf der ganzen Welt in<br />

Blau. Heuer war erstmals das Wiener<br />

Riesenrad dabei.<br />

des Welt-Diabetes-Tags veranstaltet<br />

die Initiative eine Reihe von Aktivitäten,<br />

um die öffentliche Wahrnehmung<br />

für Diabetes und seine Prävention<br />

zu schärfen. Zum einen wird<br />

das von einem Augenpaar getragene<br />

Logo „Face Diabetes“ im öffentlichen<br />

Raum projiziert, etwa in Wien, Am<br />

Graben und an der stark befahrenen<br />

Altmannsdorfer Straße. Außerdem<br />

werden im November öffentliche Verkehrsmittel<br />

in den Landeshauptstädten<br />

Wien, Graz, Innsbruck, Salzburg<br />

Foto: Public Health PR<br />

und Linz mit dem „Face Diabetes“-<br />

Logo gebrandet. Ein TV-Spot mit Dirk<br />

Stermann, ein Quiz mit Gewinnspiel,<br />

ein Newsletter und alle Aktivitäten der<br />

Initiative sind auf der Website nachzulesen:<br />

www.facediabetes.at.<br />

Seit 2008 erstrahlen am Welt-Diabetes-Tag,<br />

am 14. November, bekannte<br />

Gebäude und Sehenswürdigkeiten<br />

auf der ganzen Welt in Blau. Die World<br />

Diabetes Day Monument Challenge<br />

wurde von der International Diabetes<br />

Federation (IDF) ins Leben gerufen.<br />

Auf Initiative der ÖDG werden auch<br />

<strong>2014</strong> (bis Ende November) wieder<br />

ausgewählte österreichische Bauwerke<br />

in blaues Licht getaucht: das Wiener<br />

Riesenrad, der Hochstrahlbrunnen<br />

am Schwarzenbergplatz in Wien, das<br />

Grazer Rathaus, das Ars Electronica<br />

Center in Linz, das Bregenzer Festspielhaus,<br />

Salzburg Congress und das<br />

Stadttheater Hallein. International<br />

sind unter anderem das Empire State<br />

Building in New York, das London Eye<br />

und die Bronzefigur „Die Kleine Meerjungfrau“<br />

in Kopenhagen dabei.<br />

Weitere Infos:<br />

www.facediabetes.at<br />

www.oedg.org<br />

18 <strong>KONGRESSJOURNAL</strong>Graz <strong>2014</strong>


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

Verfügbar sind viele unterschiedliche und bunte Drogen, wirklich nennenswert verwendet wird aber meist Cannabis.<br />

Drogenmissbrauch und häufig verwendete Substanzen<br />

Über Cannabis, Opioide und Ecstasy<br />

Aktuelle Daten des Wiener Suchtmittelmonitorings zeigen keine Veränderungen<br />

des Drogenkonsums. Cannabis ist nach wie vor die einzige<br />

illegale Droge mit einer nennenswerten Konsumprävalenz. Befragungen<br />

unter Studierenden zeigen, dass in dieser Gruppe Alkohol eine<br />

wesentlich größere Gefahr darstellt als der Konsum illegaler Drogen.<br />

Der Konsum neuer psychoaktiver Substanzen spielt kaum eine Rolle.<br />

Konsumerfahrungen mit illegalen<br />

Drogen finden sich in Österreich<br />

am häufigsten bei Cannabis mit<br />

Prävalenzraten von etwa 30 bis 40<br />

Prozent bei jungen Erwachsenen.<br />

In den meisten Repräsentativstudien<br />

finden sich Konsumerfahrungen<br />

von zwei bis vier Prozent für „Ecstasy“,<br />

Kokain und Amphetamine und<br />

von ein bis zwei Prozent für Opiate.<br />

Beim problematischen Drogenkonsum<br />

in Österreich macht der Opioidkonsum<br />

– meist kombiniert mit anderen<br />

Substanzen – aktuell das Gros<br />

aus. Problematisch bezieht sich dabei<br />

in erster Linie auf das Konsumverhalten<br />

und nicht auf die Substanz selbst.<br />

Als problematisch wird Drogenkonsum<br />

dann bezeichnet, wenn dieser<br />

mit körperlichen, psychischen und/<br />

oder sozialen Problemen einhergeht.<br />

OA Dr. Rainer Schmid, Toxikologische<br />

Intensivstation im Wilhelminenspital<br />

Wien: „Etwa 90 Prozent aller Personen<br />

in drogenspezifischer Betreuung<br />

haben die Leitdroge Opioide. Aktuell<br />

gibt es zwischen 30.000 und 34.000<br />

Personen mit problematischem Drogenkonsum<br />

unter Beteiligung von<br />

Opioiden.“ Etwa die Hälfte davon lebt<br />

in Wien. Eine Drogensucht tritt nach<br />

wie vor in Ballungszentren häufiger<br />

auf als in ländlichen Gebieten. Allerdings<br />

steigen die Zahlen in den anderen<br />

Bundesländern, während in Wien<br />

die Prävalenzzahlen in den letzten<br />

Jahren stagnieren.<br />

Ein häufiges Problem stellt die Überdosierung<br />

von Opioiden dar – hier<br />

wiederum von Substitutionspräparaten,<br />

welche intravenös, peroral,<br />

aber auch geraucht oder gesnifft<br />

appliziert werden. Besonders wegen<br />

der Atemdepression entstehen<br />

lebensbedrohliche Zustandsbilder.<br />

Reine Heroinüberdosierungen sind<br />

mittlerweile sehr selten geworden.<br />

Kokain ist ein Alkaloid und ein starkes<br />

Stimulans. Das geruchlose Pulver<br />

wird meist geschnupft, gelegentlich<br />

intravenös oder inhalativ<br />

missbraucht. Ein Strecken mit zu viel<br />

Strychnin kann toxische Symptome<br />

verursachen! In erster Linie wird das<br />

ZNS aktiviert (Euphorie, Unruhe, Tremor,<br />

Halluzinationen, Krämpfe) aber<br />

auch Angst, paranoide Symptome,<br />

Suizidtendenz kommen vor. Probleme<br />

kann es auch mit Koronarspasmen,<br />

Palpitationen, Thoraxschmerz<br />

oder Hypertension geben.<br />

Cathinonderivat (Cath/Quat-Strauch)<br />

ist ein fein- bis grobkristallines Pulver<br />

und wird meist gesnifft, seltener<br />

geschluckt. Es hat eine typisch aufputschende,<br />

antriebsteigernde Wirkung,<br />

wird von den Konsumenten<br />

auch als bewusstseinserweiternd beschrieben.<br />

Ecstasy ist eine Sammelbezeichnung<br />

für eine Vielzahl von<br />

Phenylethylaminen, meist Mischformen,<br />

im Idealfall reines Methylendioxy-Methylamphetamin.<br />

Crystal Meth hat als Grundstoff<br />

Ephedrin (Ephedra-Kraut) und kann<br />

sehr einfach chemisch synthetisiert<br />

werden. Als Reaktionsprodukt<br />

kommt es als hoch reine Substanz<br />

in kristalliner Form auf den Markt.<br />

Ephedrin und Pseudoephedrin sind<br />

auch in frei verkäuflichen Erkältungsmitteln<br />

zu finden.<br />

WEITERE INFOS:<br />

www.a-k-n.at/dokumente<br />

www.partypack.de<br />

www.checkyourdrugs.at<br />

www.bmg.gv.at<br />

20 <strong>KONGRESSJOURNAL</strong>Graz <strong>2014</strong>


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

Adipositas bei Jugendlichen in Österreich<br />

Kampf dem Obelix-Syndrom<br />

Übergewicht und Adipositas<br />

bei Kindern und Jugendlichen<br />

werden verursacht durch das<br />

Zusammenspielen von Erbanlagen<br />

und der Umwelt. OA<br />

Dr. Daniel Weghuber, Salzburg:<br />

„Die Erbanlagen unserer Gesellschaft<br />

haben sich in den letzten<br />

Jahrzehnten nicht geändert,<br />

sehr wohl aber die Bedingungen,<br />

unter denen wir leben.“ Auf<br />

Lebensstil, Lebensumstände<br />

und die Umwelt muss daher<br />

vermehrt geachtet werden – vor<br />

allem bei der Prävention und<br />

der Therapie von kindlicher oder<br />

jugendlicher Adipositas.<br />

Übergewicht und Adipositas treten<br />

in Österreich bei immer mehr Kindern<br />

und Jugendlichen auf – Tendenz<br />

weiter steigend. Für eine erfolgreiche<br />

Therapie ist aber nicht nur der Blick<br />

auf die Waage entscheidend, sondern<br />

eine interdisziplinäre Betreuung im<br />

Team. Diagnostik und Therapie müssen<br />

auf andere medizinische Disziplinen<br />

ausgeweitet werden. Bauch- und<br />

Halsumfang, Haut, Bewegungsapparat<br />

und Atmung sind ebenso wichtige<br />

Parameter, die in Diagnostik und<br />

Therapie einbezogen werden müssen.<br />

Zudem führt nur eine interdisziplinäre<br />

Zusammenarbeit im Team<br />

zum Erfolg. Der Arzt ist dabei am<br />

wenigsten gefragt. Wichtiger sind Experten<br />

aus den Bereichen Ernährung,<br />

Bewegung und Psychologie. „Darüber<br />

hinaus ist wichtig, dass dieses<br />

Team die Betroffenen nachhaltig und<br />

über einen langen Zeitraum betreut“,<br />

so Daniel Weghuber.<br />

Das ist natürlich viel Aufwand, aber<br />

internationale Studien zeigten deutlich,<br />

dass andere Maßnahmen keinen<br />

OA Dr. Daniel Weghuber: „Als Experten<br />

und als Gesellschaft müssen wir<br />

Methoden entwickeln, die alle Betroffenen<br />

bestmöglich erreichen.“<br />

dauerhaften Erfolg bringen. Ein Großteil<br />

der Angebote führt bei den Übergewichtigen<br />

nicht zum Ziel – eben der<br />

Gewichtsabnahme. Diese ist heute<br />

auch nicht mehr das primäre und alleinige<br />

Bestreben, es geht vor allem<br />

darum, Bewusstsein und Verständnis<br />

zu erzeugen und in die Therapie, neben<br />

medizinischen Werten, verstärkt<br />

psychologische Aspekte und natürlich<br />

Bewegung einzubeziehen.<br />

Daniel Weghuber: „Wichtig sind<br />

auch sportmedizinische Variablen.<br />

Tests können zeigen, ob jemand<br />

körperlich fit oder unfit ist – und das<br />

ist entscheidender als das Gewicht,<br />

Foto: privat<br />

das die Waage anzeigt.“ Ein weiteres<br />

Problem ist die soziale Ungerechtigkeit.<br />

Da ausgeklügelte und wirksame<br />

Programme viel Zeit und Geld<br />

benötigen, werden die Teilnehmer<br />

ganz gezielt ausgewählt – ob sie<br />

erfolgreich sein werden oder nicht.<br />

Daniel Weghuber: „Das bedingt die<br />

Tatsache, dass viele junge Menschen,<br />

die eine Therapie benötigen,<br />

diese nicht erhalten. Als Experten<br />

und als Gesellschaft müssen wir<br />

daher Methoden entwickeln, die alle<br />

Betroffenen bestmöglich erreichen.“<br />

Umweltfaktoren, Ernährung und<br />

Bewegung spielen auch eine große<br />

Rolle in der Prävention von Adipositas.<br />

„Der Stein der Weisen wurde<br />

dafür noch nicht gefunden“, so der<br />

Salzburger Experte. Aber es gibt eindeutige<br />

Hinweise, dass Prävention<br />

möglichst früh passieren sollte – am<br />

besten schon während der Schwangerschaft<br />

oder im Baby-Alter.<br />

Prävention ist aber nicht nur Thema<br />

jedes Einzelnen, es hat immer auch<br />

eine gesellschaftliche Dimension.<br />

Diese reicht von politischen Maßnahmen<br />

– wie der Kennzeichnung<br />

und Besteuerung von Nahrungsmitteln<br />

– bis hin zur Forderung nach täglichem<br />

Turnunterricht in der Schule.<br />

Weitere Informationen:<br />

www.gewichtig.at<br />

22 <strong>KONGRESSJOURNAL</strong>Graz <strong>2014</strong>


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

Interview mit Sexualmedizinerin Dr. Elia Bragagna<br />

Tanz der Hormone<br />

Pubertät ist die Zeit, in der uns<br />

unsere Kinder zu entgleiten<br />

scheinen. Sie werden unberechenbarer<br />

und sie wandeln sich.<br />

Im Interview spricht Sexualmedizinerin<br />

Dr. Elia Bragagna über<br />

die Pubertät, welche Veränderungen<br />

stattfinden und die Kluft<br />

zwischen Jugendlichen und<br />

Erwachsenen.<br />

Wieso ist für Erwachsene der<br />

Umgang mit Pubertierenden so<br />

schwierig?<br />

Eigentlich erwarten Erwachsene<br />

berechenbare Reaktionen und die<br />

Fähigkeit, selbst unter starken Emotionen<br />

komplexe soziale Situationen<br />

zu meistern. Für Pubertierende sind<br />

die Eltern vernunftgesteuert, langweilig,<br />

nicht offen für Neues, in ihrer<br />

alten Zeit gefangen, peinlich oder<br />

uncool. Letztlich ist die Erwachsenenwelt<br />

nicht mehr die Welt der Pubertierenden.<br />

Anerzogene Verhaltensmuster<br />

gelten nicht mehr, neue<br />

müssen sich erst etablieren.<br />

Was bewirken die großen körperlichen<br />

Veränderungen in dieser Zeit?<br />

Auf der körperlichen Ebene durchlaufen<br />

Jungendliche sichtbare und<br />

unsichtbare Veränderungen. Zu den<br />

sichtbaren gehören die Geschlechtsreife,<br />

die erste Menstruation und die<br />

erste Ejakulation. Diese Veränderungen<br />

können das Gefühl der Zugehörigkeit<br />

zum eigenen Geschlecht<br />

verstärken oder verunsichern. Sehr<br />

belastend werden deswegen in dieser<br />

Zeit sichtbare Erkrankungen empfunden,<br />

etwa Akne, Psoriasis, Narben,<br />

Alopecia areata oder Adipositas.<br />

Dazu kommen noch unsichtbare<br />

Auswirkungen, die es den Jugendlichen<br />

schwer machen, den neuen<br />

Platz in der Welt der Pubertierenden<br />

einzunehmen: Depression, Schizophrenie,<br />

Epilepsie, Asthma oder auch<br />

onkologische Erkrankungen.<br />

Vor allem die Gedankenwelt scheint<br />

neu geordnet zu werden. Die Fähigkeiten<br />

eines Teenagers entwickeln<br />

sich in Reihenfolge des Gehirnumbaus.<br />

Zuerst reift die Körperbeherrschung,<br />

dann die Sprachkompetenz<br />

und das abstrakte Denken, als Letztes<br />

Sozialkompetenz und Empathie.<br />

Damit beginnt die Erprobung<br />

neuer Fähigkeiten und das Belohnungssystem<br />

der Eltern verliert an<br />

Einfluss. Das ZNS-Areal für Selbstdisziplin,<br />

Selbstkontrolle, Urteilsund<br />

Einfühlungsvermögen, Planen,<br />

Konzentration, Motivation, der frontale<br />

Cortex, reift sehr spät, erst um<br />

das 20. Lebensjahr. Bei den Mädchen<br />

ist dieser Reifungsprozess ein<br />

bis zwei Jahre früher abgeschlossen.<br />

Dr. Elia Bragagna: „Jugendliche<br />

brauchen positive Bewältigungsstrategien<br />

und Begleitung durch<br />

die Phase der Pubertät.“<br />

Welche Rolle spielen die Hormone?<br />

Das wird unterschiedlich bewertet,<br />

aber Hormone spielen eine wichtige<br />

Rolle. Die steigenden Hormonspiegel<br />

bereiten das ZNS während der<br />

Pubertät auf neue Verhaltensweisen<br />

vor. Die hormonellen Hauptakteure,<br />

wie Testosteron, Östrogen, Prolaktin,<br />

Cortisol, Oxytocin, Vasopressin und<br />

der Botenstoff Dopamin beeinflussen<br />

einander immer gegenseitig. Die<br />

Epiphyse schüttet das Hormon Melatonin<br />

täglich zwei Stunden später<br />

aus als vorher, mit der Folge, dass<br />

die Jugendlichen erst später einschlafen<br />

und morgens unausgeschlafen<br />

und müde sind. Mädchen<br />

und Burschen entwickeln einen<br />

grundsätzlich anderen Sprachgebrauch.<br />

Burschen reden eher über<br />

konkrete Dinge und unpersönliche<br />

Themen, während die Mädchen<br />

Mitgefühl ausdrücken. Kein Wunder,<br />

dass sie einander nicht verstehen!<br />

Was passiert bei den männlichen<br />

Jugendlichen konkret?<br />

Männliche Jugendliche erleben einen<br />

Testosteron-Tsunami. Die Schaltkreise<br />

für sexuelles Verlangen sind<br />

doppelt so groß wie bei Frauen. Sie<br />

konzentrieren sich auf sexuell attraktive<br />

Frauen. Das Paarungsverhalten<br />

und das Bedürfnis nach Sexualität<br />

werden stimuliert. Sie müssen sich<br />

Themen wie Konkurrenzkampf, Dominanzstreben<br />

und Statusdenken<br />

stellen und sind dabei auch noch<br />

ungeduldig und reizbar. Der Dopaminspiegel<br />

steigt kontinuierlich und<br />

verstärkt die sexuelle Motivation um<br />

das Zwei- bis Zweieinhalbfache gegenüber<br />

weiblichen Pubertierenden.<br />

95 Prozent der männlichen Pubertierenden<br />

masturbieren etwa drei<br />

Mal täglich, während 71 Prozent der<br />

weiblichen Jugendlichen es ein Mal<br />

täglich machen.<br />

Foto: Hergott Ricardo<br />

26 <strong>KONGRESSJOURNAL</strong>Graz <strong>2014</strong>


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

Und bei den Mädchen?<br />

Die jungen Frauen erleben mit dem<br />

Beginn des monatlichen Zyklus<br />

sich täglich verändernde körperliche<br />

und emotionale Rahmenbedingungen.<br />

Sie erleben Gefühle intensiver,<br />

empfinden Stress stärker, machen<br />

sich Sorgen wegen des Aussehens,<br />

denken häufiger an Jungs, reden<br />

mehr, pflegen engeren Kontakt zu<br />

Gleichaltrigen und haben ein stärkeres<br />

Bedürfnis nach sozialer Bindung.<br />

Sie sind bestrebt, eine Beziehung<br />

um jeden Preis aufrecht zu erhalten.<br />

Wie kann der Erwachsene Jugendliche<br />

unterstützen?<br />

Jugendliche brauchen positive Bewältigungsstrategien<br />

und Begleitung<br />

durch die Phase der Pubertät.<br />

Hilfreich ist, wenn Eltern, Pädagogen,<br />

Ärzte, Erwachsene um diese<br />

Männliche Jugendliche erleben einen Testosteron-Tsunami. Sie konzentrieren<br />

sich auf sexuell attraktive Frauen. Das Paarungsverhalten und das Bedürfnis<br />

nach Sexualität werden stimuliert.<br />

neurobiologischen Vorgänge wissen,<br />

milde sind und gleichzeitig für sie<br />

den präfrontalen Cortex konstruktiv<br />

ersetzen. Ärzte können durch eine<br />

sexualmedizinische Haltung im Praxisalltag<br />

sexual relevante Erkrankungen<br />

erkennen, behandeln und dadurch<br />

Sexualstörungen verhindern.<br />

Für die sexuelle Zukunft der Betroffenen<br />

werden hier Weichen gestellt.<br />

Männer, Tattoos, Piercing<br />

Haut und Körper als Symbol<br />

Tattoos und Piercings erfreuen<br />

sich in der westlichen Welt steigender<br />

Beliebtheit. Etwa jeder<br />

fünfte Österreicher trägt eine Tätowierung.<br />

Die Diskussionen über<br />

gesundheitliche Risiken beschäftigen<br />

seit langem die Medizin.<br />

Dr. Georg Pfau, Sexualmediziner und<br />

Männerarzt in Linz: „Beim Tätowieren<br />

werden Farbstoffe in die Haut eingebracht,<br />

die dann von Makrophagen<br />

‚gefressen‘ und so fixiert werden.“<br />

Unter Piercing versteht man das Anbringen<br />

von Schmuckstücken an den<br />

verschiedensten Körperteilen. Es wird<br />

geschätzt, dass in Österreich etwa<br />

500.000 Personen ein Piercing tragen.<br />

Tattoos und Piercings sollen vor<br />

allem die sexuelle Attraktivität betonen.<br />

Männer benützen die Sexualität<br />

zur Selbstdarstellung, sie neigen dazu<br />

ihre „Männlichkeit“ zu unterstreichen.<br />

Die Motive sind daher Totenköpfe<br />

oder Raubtiere. Ganz grundsätzlich<br />

dient das Tätowieren aber auch dem<br />

Protest gegen das Establishment,<br />

dessen Motor das von den bürgerlichen<br />

Schichten gepflegte Stigma<br />

gegenüber Tätowierten ist. Andere<br />

Motive sind die Dokumentation einer<br />

Zusammengehörigkeit, die Institutionalisierung<br />

einer Beziehung oder das<br />

Symbol für die Zugehörigkeit zu einer<br />

okkulten Vereinigung.<br />

Mögliche Komplikationen sind Entzündungen,<br />

Infektionen, Allergien<br />

und Tumore. Georg Pfau: „Fest steht,<br />

dass die Beurteilung der Prävalenz<br />

von Komplikationen schwer fällt,<br />

weil Tattoo- und Piercingstudios außerhalb<br />

der Medizin tätig sind.“ Die<br />

Zusammensetzung der Farbstoffe<br />

wird häufig als „Betriebsgeheimnis“<br />

betrachtet. Ärzte fordern seit langem<br />

die Standardisierung der Farbstoffzusammensetzung.<br />

„Das Hauptproblem<br />

liegt aber ganz woanders.<br />

Früher oder später wollen 50 Prozent<br />

ihre Tattoos wieder los zu werden<br />

- möglichst ohne Narben oder<br />

Rückstände.“ Allerdings ist es nach<br />

Durchsicht der Datenlage bis heute<br />

nicht möglich, Tattoos verlässlich<br />

spur- und narbenlos zu entfernen,<br />

auch nicht unter Zuhilfenahme modernster<br />

Techniken wie Laser.<br />

WEITERE INFOS:<br />

www.maennerarzt-linz.at<br />

www.sexualmedizin-linz.at<br />

27 <strong>KONGRESSJOURNAL</strong>Graz <strong>2014</strong>


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

Seltene Erkrankungen in der Allgemeinpraxis<br />

Der Hausarzt sieht’s ein Mal im Jahr<br />

In der Europäischen Union werden seltene Erkrankungen über ihre Häufigkeit definiert.<br />

Ein Krankheitsbild gilt dann als selten, wenn zu einem beliebig wählbaren Stichtag nicht<br />

mehr als fünf von zehntausend Einwohnern in der EU an dieser Krankheit leiden. Es ist also<br />

höchstens eine unter zweitausend Personen betroffen. Europaweit leiden Schätzungen<br />

zufolge aber rund 36 Millionen Menschen an seltenen Erkrankungen.<br />

Hinter dem Sammelbegriff „seltene<br />

Erkrankungen“ verbergen sich<br />

geschätzte 6.000 bis 8.000 unterschiedliche<br />

Krankheitsbilder, die in<br />

ihrer Gesamtheit sechs bis acht Prozent<br />

der (europäischen) Gesamtbevölkerung<br />

betreffen. Ein Großteil<br />

davon ist chronisch, oftmals lebensbedrohlich<br />

und nur selten heilbar –<br />

von der European Medicines Agency<br />

(EMA) wurden in den letzten elf<br />

Jahren 67 Orphan Drugs für die EU<br />

zugelassen.<br />

„Seltene Erkrankungen stellen nicht<br />

nur die Patienten, sondern auch die<br />

Ärzte vor schwierige Herausforderungen“,<br />

erklärt Dr. Erwin Rebhandl,<br />

Arzt für Allgemeinmedizin und Präsident<br />

der AM PLUS (Initiative für<br />

Allgemeinmedizin und Gesundheit).<br />

Der Allgemeinmediziner übernimmt<br />

für Menschen mit seltenen Erkrankungen<br />

eine wichtige Funktion, vom<br />

ersten Verdacht über die Einleitung<br />

der notwendigen Abklärung bis hin<br />

EINFACHE SUCHE AUF WWW.SYMPTOMSUCHE.AT<br />

Für die Suche nach möglichen seltenen<br />

Erkrankungen müssen mindestens zwei<br />

Symptome oder ein Leitsymptom eingegeben<br />

werden. Je mehr Symptome<br />

eingegeben werden, umso größer ist<br />

auch die Wahrscheinlichkeit einer Verdachtsdiagnose.<br />

Die Ergebnisse zeigen<br />

jeweils die für die Begriffe möglicherweise<br />

zutreffenden, im System hinterlegten<br />

Erkrankungen an. Jede Erkrankung wird zudem ausführlich beschrieben und es<br />

finden sich Angaben über spezialisierte Zentren für allfällige Überweisungen.<br />

Dr. Erwin Rebhandl: „Seltene Erkrankungen<br />

stellen nicht nur die Patienten,<br />

sondern auch die Ärzte vor schwierige<br />

Herausforderungen.“<br />

zur langfristigen Begleitung. Häufig<br />

müssen Menschen mit einer seltenen<br />

Erkrankung einen langwierigen<br />

Weg durch das Gesundheitswesen<br />

auf sich nehmen, ehe schlussendlich<br />

eine korrekte Diagnose gestellt wird.<br />

Im Schnitt kann das drei bis vier Jahre<br />

dauern, so der „Ergebnisbericht<br />

Seltene Erkrankungen“, den Gesundheit<br />

Österreich und das Bundesministerium<br />

für Gesundheit 2012 erstellt<br />

haben. Erwin Rebhandl: „Umso<br />

wichtiger ist es, Wissen über diese Erkrankungen<br />

gebündelt zu sammeln,<br />

um Betroffenen so rasch wie möglich<br />

Hilfe zukommen zu lassen.“<br />

Eine Unterstützung zur rascheren<br />

Diagnosestellung ist die Symptomdatenbank<br />

www.symptomsuche.at.<br />

Die Initiative AM PLUS hat dieses Tool<br />

gemeinsam mit pharmazeutischen<br />

Unternehmen geschaffen, um Allgemeinmedizinern<br />

zu helfen, auf<br />

Basis unterschiedlicher Symptome<br />

nach möglichen seltenen Erkrankungen<br />

zu suchen und diese schon<br />

frühzeitig auszuschließen beziehungsweise<br />

einzugrenzen. Zusätzlich<br />

erhalten die Mediziner Ratschläge<br />

zur Überweisung von Patienten<br />

an spezialisierte Zentren.<br />

Erwin Rebhandl: „In einer Hausarztpraxis<br />

findet man durchschnittlich<br />

ein bis zwei Mal im Jahr so eine Erkrankung.“<br />

Die Symptomdatenbank<br />

ist eine einfache Möglichkeit, bei<br />

Verdacht auf seltene Erkrankungen<br />

relativ rasch genauere Informationen<br />

zu generieren und eine erste Anlaufstelle<br />

zu finden, die eine exakte Diagnosestellung<br />

ermöglicht. Die Datenbank<br />

wird mit Unterstützung von<br />

Experten laufend erweitert. Derzeit<br />

sind etwa 24 Krankheitsbilder online<br />

gestellt, weitere werden folgen.<br />

Foto: Unlimited Media<br />

24 <strong>KONGRESSJOURNAL</strong>Graz <strong>2014</strong>


KONGRESS<br />

JOURNAL<br />

„Stand der Dinge“: Alle Inhalationssysteme und Inhalationshilfen werden hier erklärt<br />

Fotos: Unlimited Media<br />

Schulungsinitiative Inhalationssysteme<br />

Inhalieren richtig gemacht<br />

Trotz modernster Medikamente ist das Management von Asthma<br />

und COPD leider nicht optimal. Viele Patienten machen Fehler bei<br />

der Bedienung ihrer Inhalationsgeräte. Helfen kann letztlich nur<br />

die richtige Schulung. Die Steirische Akademie für Allgemein -<br />

medizin und die Österreichische Gesellschaft für Pneumologie<br />

(ÖGP) haben deshalb beim 45. Kongress für Allgemeinmedizin<br />

eine Schulungsinitiative gestartet.<br />

Im Foyer der Stadthalle Graz sind<br />

alle Inhalationssysteme und Inhalationshilfen<br />

ausgestellt und werden<br />

erklärt. Die wissenschaftliche<br />

Leitung liegt bei Dr. Daniel Doberer<br />

und Priv.-Doz. Dr. Georg-Christian<br />

Funk. Daniel Doberer: „Das Problem<br />

ist, dass bis zu 70 Prozent<br />

aller Patienten bei der Inhalation<br />

ihres Asthma- oder COPD-Medikaments<br />

Fehler machen. Dadurch<br />

kommt das Medikament gar nicht<br />

erst in die Lunge.“ Oft liegt dies an<br />

der zu komplizierten Handhabung<br />

des Inhalationsgerätes oder auch<br />

an einer fehlenden Schulung. „In<br />

den letzten zwei bis drei Jahren<br />

sind sehr viele neue Geräte auf den<br />

Markt gekommen. Bei dieser breiten<br />

Produktpalette behält selbst ein<br />

Pulmologe kaum den Überblick“,<br />

erklärt der Lungenfachmann. Für<br />

den Hausarzt oder gar den Patienten<br />

wird die richtige Handhabung<br />

mit den neuen Geräten natürlich<br />

immer schwieriger. Aber gerade der<br />

Hausarzt ist oft erster Ansprechpartner<br />

und langjähriger Wegbegleiter<br />

bei der Behandlung von COPD<br />

und Asthma. Daniel Doberer: „Ob<br />

der Patient vom Allgemeinmediziner,<br />

vom Facharzt oder von einem<br />

Atemtherapeuten eingeschult wird,<br />

ist letztlich egal. Wichtig ist, dass die<br />

Schulung am verwendeten Gerät<br />

auch wirklich durchgeführt wird. Dafür<br />

muss der Arzt sorgen, es sollte<br />

nie passieren, dass nur das Medikament<br />

verschrieben wird.“<br />

Am Stand der Schulungsinitiative gibt<br />

es bis Kongressende auch Videos der<br />

ÖGP, eine unterstützende App und<br />

jede Menge Informationsmaterial<br />

rund um Asthma und COPD. Daniel<br />

Doberer sieht seine Funktion vor<br />

Ort aber nicht als Lehrer, sondern als<br />

Teilnehmer an den Diskussionen der<br />

Kolleginnen und Kollegen, in die „wir<br />

als Experten unseren Beitrag einfließen<br />

lassen werden“.<br />

Das Schulungsteam: Ingrid Schmidt, MSc, Dr. Daniel Doberer und Jeanette Valda, MSc<br />

30 <strong>KONGRESSJOURNAL</strong>Graz <strong>2014</strong>

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