24.12.2014 Aufrufe

neue Schule? - Gew-offenbach.de

neue Schule? - Gew-offenbach.de

neue Schule? - Gew-offenbach.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Wenn Lehrkräfte verschlissen wer<strong>de</strong>n, Schülerinnen<br />

und Schüler wenig lernen und sich vorwiegend negative<br />

Haltungen verfestigen, ist dies nicht weiter hinzunehmen.<br />

Wie können wir mit dieser Situation so umgehen,<br />

dass ein erfolgreiches Lernen wie<strong>de</strong>r möglich<br />

wird Können wir die <strong>Schule</strong> so gestalten, dass entsprechen<strong>de</strong><br />

Reifungsprozesse angeregt wer<strong>de</strong>n Und<br />

welche Unterstützung brauchen wir dazu Hilfreich für<br />

die Beantwortung dieser Fragen kann dabei <strong>de</strong>r Blick<br />

auf erfolgreiche Konzeptionen im psychotherapeutischen<br />

Bereich sein.<br />

Vor einer Problematik, die interessante Parallelen<br />

aufweist, stand in <strong>de</strong>n 70er Jahren die Psychoanalyse.<br />

Die Behandlung erfolgte vielfach noch nach Mustern,<br />

die Jahrzehnte zuvor entwickelt wor<strong>de</strong>n waren.<br />

Gleichzeitig verän<strong>de</strong>rten sich die Probleme, die die<br />

Klienten mitbrachten. Statt zwanghafter Neurosen<br />

herrschten vermehrt Bor<strong>de</strong>rline- und narzisstische<br />

Störungen vor, die kaum therapierbar schienen. Mit<br />

stark zunehmen<strong>de</strong>r Ten<strong>de</strong>nz: „In <strong>de</strong>n Fällen, in <strong>de</strong>nen<br />

Menschen heute therapeutische Hilfe in Anspruch<br />

nehmen, liegen fast immer Beeinträchtigungen <strong>de</strong>s<br />

Selbstwertgefühls zugrun<strong>de</strong>“, schrieb Wintels 30 Jahre<br />

später (in: Andreas Wintels, Individualismus und<br />

Narzissmus, Mainz 2000, S.22). In dieser Situation<br />

entwickelten Kohut und seine Mitarbeiter die Selbstpsychologie,<br />

die ermöglicht, diese Problematik vor<br />

ihrem gesellschaftlichen Hintergrund zu verstehen und<br />

erfolgreich zu behan<strong>de</strong>ln. Interessanterweise näherten<br />

sie sich dabei methodisch in einigen Punkten <strong>de</strong>r<br />

Humanistischen Psychologie an.<br />

Der Selbstpsychologie zufolge wer<strong>de</strong>n Selbstsicherheit<br />

vermitteln<strong>de</strong> Strukturen im Kontakt entwickelt. In <strong>de</strong>r<br />

Spiegelung durch An<strong>de</strong>re erfahren wir, wer wir sind.<br />

Eine zentrale Rolle spielen „Selbstobjekte“. In<br />

Erfahrungen mit ihnen, oft an<strong>de</strong>ren Menschen, zu<br />

<strong>de</strong>nen eine enge Bindung besteht und die <strong>de</strong>n eigenen<br />

Bedürfnislagen verständnisvoll gegenüberstehen,<br />

fin<strong>de</strong>t sich das Selbst und konsolidiert sich zu einem<br />

Ganzen. „Selbstobjekterfahrungen“ vitalisieren, steigern<br />

das Selbstwertgefühl und för<strong>de</strong>rn Reifungsprozesse;<br />

wir brauchen wie die Luft zum Atmen. Damit<br />

räumt die Selbstpsychologie auch mit <strong>de</strong>r Vorstellung<br />

auf, wir könnten uns zu vollständig unabhängigen<br />

Individuen entwickeln, die An<strong>de</strong>rer nicht mehr<br />

bedürften.<br />

„An<strong>de</strong>re“ in diesem Sinne sind zunächst Bezugspersonen,<br />

die in <strong>de</strong>r Lage sind, sich in die kindlichen<br />

Bedürfnisse einzufühlen. Die Auflösung familiärer<br />

Beziehungsstrukturen nimmt in unserer Gesellschaft<br />

jedoch zu. Vielfach ist eine Verlässlichkeit nicht<br />

gegeben, weil Trennungen Unsicherheit vermitteln<br />

und/o<strong>de</strong>r Eltern durch eine überfor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Berufstätigkeit<br />

-- o<strong>de</strong>r auch aufgrund eigener Bedürftigkeit --<br />

nicht in <strong>de</strong>r Lage sind, ihre eigenen Bedürfnisse um die<br />

ihres Kin<strong>de</strong>s willen zurückzustellen.<br />

Auch die von <strong>de</strong>r Wirtschaft gefor<strong>de</strong>rte Mobilität hat<br />

hier ihren Preis: Umzüge machen <strong>de</strong>n Aufbau <strong>neue</strong>r<br />

Beziehungsgeflechte notwendig. Vielfache Wechsel --<br />

auch <strong>de</strong>r hauptsächlichen Bezugspersonen -- müssen<br />

übrigens beson<strong>de</strong>rs häufig Kin<strong>de</strong>r aus Migrantenfamilien<br />

verkraften.<br />

Zur Entwicklung eines stabilen Selbst ist das Erleben<br />

eigener Effektanz (Selbstwirksamkeit) notwendig<br />

(Ernest Wolf, Theorie und Praxis <strong>de</strong>r psychoanalytischen<br />

Selbstpsychologie, Frankfurt/Main 1998).<br />

Durch das, was ich selbst bewirken kann, erfahre ich,<br />

wer ich bin. Wolf for<strong>de</strong>rt daher dazu auf, sich auf<br />

„optimale Responsivität“ zu beschränken: Kin<strong>de</strong>r<br />

brauchen zur Entwicklung ihrer Fähigkeiten nur dann<br />

Unterstützung, wenn sie allein nicht weiter kommen.<br />

Denn wenn es gelingt, etwas selbstständig zu bewirken,<br />

wird das Selbstwertgefühl in beson<strong>de</strong>rem Maße gestärkt.<br />

Eltern, die selbst narzisstisch bedürftig sind, können<br />

die Entwicklung ihrer Kin<strong>de</strong>r hier kaum unterstützen.<br />

Sie haben die Ten<strong>de</strong>nz, ihr Kind zu „überspiegeln“. Sie<br />

sehen im Kind sich selbst, und in<strong>de</strong>m sie es zu einer<br />

Prinzessin o<strong>de</strong>r einem Prinzen machen, machen sie<br />

sich selbst zum Königspaar. Oft ist es für sie unerträglich,<br />

die Gefühle mitzuerleben, die ihr Kind hat, wenn<br />

es etwas immer wie<strong>de</strong>r probiert, aber es zunächst nicht<br />

schafft. Sie haben die Ten<strong>de</strong>nz einzugreifen und <strong>de</strong>m<br />

Kind alle Schwierigkeiten abzunehmen. Damit verhin<strong>de</strong>rn<br />

sie zugleich, dass ihr Kind Mo<strong>de</strong>lle dafür<br />

entwickelt, eigenständig Probleme zu lösen. Sie<br />

können es schwer aushalten, wenn ihre Kin<strong>de</strong>r beginnen,<br />

eigene Schritte zu gehen, weil sie ihre Bedürftigkeit<br />

zur Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r eigenen Stabilität<br />

brauchen.<br />

Das Ent<strong>de</strong>cken <strong>de</strong>r weiteren Umwelt ohne Eltern, das<br />

Erleben <strong>de</strong>r eigenen Selbstständigkeit in einer<br />

Kin<strong>de</strong>rgruppe, die durch Feld und Flur streift, ist für<br />

Kin<strong>de</strong>r heute schon aufgrund <strong>de</strong>s zunehmen<strong>de</strong>n<br />

Verkehrs kaum noch möglich. Oftmals müssen sie<br />

durch die halbe Stadt zu ihren Spielgefährten<br />

chauffiert wer<strong>de</strong>n, und Erwachsene sind meist<br />

„helfend“ zur Stelle, wenn es einmal schwierig wird.<br />

Die Autonomie <strong>de</strong>s Individuums wird in <strong>de</strong>r weiteren<br />

Entwicklung gestärkt durch „aversive“ Spiegelungen.<br />

Beson<strong>de</strong>rs bei Jugendlichen spielt dieser Vorgang eine<br />

große Rolle. Ich erfahre auch, wer ich bin, wenn mir<br />

ein an<strong>de</strong>rer zeigt, wer und wie ich nicht bin. Das kann<br />

nur funktionieren, wenn das Gegenüber <strong>de</strong>n Mut hat,<br />

authentisch aufzutreten und die eigenen Grenzen<br />

<strong>de</strong>utlich zu machen. Wenn Eltern bzw. Pädagoginnen<br />

und Pädagogen aber zu sehr selbst darauf angewiesen<br />

sind, von <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn positiv gespiegelt zu wer<strong>de</strong>n,<br />

kann dieser Prozess nicht gelingen.<br />

Reifungsprozesse ermöglichen, dass auch Erfahrungen,<br />

die sich nicht auf Personen beziehen, Selbstobjekterfahrungen<br />

ermöglichen. So können etwa<br />

kulturelle o<strong>de</strong>r politische I<strong>de</strong>ntifikationen zur Stabilisierung<br />

<strong>de</strong>s eigenen Selbst beitragen.<br />

Gelingt die Entwicklung, wird <strong>de</strong>r Umgang mit<br />

Selbstobjekten reifer. Es ist nun möglich, in ihnen,<br />

soweit es sich um an<strong>de</strong>re Menschen han<strong>de</strong>lt, Personen<br />

mit eigenständigen Wünschen und Bedürfnissen zu<br />

sehen, und das eigene Selbst ist nicht bedroht, wenn<br />

einmal nicht die gewünschte Resonanz erfolgt.<br />

Auch im kulturellen und politischen Bereich ist es<br />

dann möglich, Enttäuschungen zu verarbeiten und<br />

eine Weltsicht zu entwickeln, die neben „schwarz“ und<br />

„weiß“ eine zunehmen<strong>de</strong> Anzahl von Grautönen<br />

aufweist. Unterschiedliche Realitäten können so<br />

akzeptiert wer<strong>de</strong>n. Erst die Vorstellung, dass auch<br />

an<strong>de</strong>re Wahrnehmungen und Einstellungen als die<br />

eigenen ihren Wert und ihre Existenzberechtigung<br />

haben, macht einen tiefen und gleichberechtigten<br />

Austausch mit an<strong>de</strong>ren Menschen möglich.<br />

Voraussetzung ist natürlich, dass auch die Eltern bzw.<br />

Pädagoginnen und Pädagogen fähig sind, die<br />

Realitäten an<strong>de</strong>rer zu ertragen.<br />

Unsere vernetzte und damit auch komplexer gewor<strong>de</strong>ne<br />

Welt erschwert jedoch einfache Orientierungen.<br />

Versuche, die Welt in „gut“ und „böse“ einzuteilen,<br />

können zwar kurzfristig faszinieren, wer<strong>de</strong>n aber in <strong>de</strong>r<br />

Regel bald von <strong>de</strong>r Realität eingeholt. Klare Strukturen<br />

sind nicht ohne Weiteres erkennbar. Dies auszuhalten<br />

erfor<strong>de</strong>rt ein hohes Maß innerer Stabilität. Fehlt diese,<br />

können sich Gefühle von Unsicherheit und Haltlosigkeit<br />

verstärken. Auch die Katastrophen und Kriege, mit<br />

<strong>de</strong>nen wir vermehrt konfrontiert wer<strong>de</strong>n, tragen zur<br />

Ausbreitung von Gefühlen <strong>de</strong>r Hilflosigkeit bei.<br />

13

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!