24.12.2014 Aufrufe

neue Schule? - Gew-offenbach.de

neue Schule? - Gew-offenbach.de

neue Schule? - Gew-offenbach.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Die Medienindustrie gaukelt dagegen eine zumin<strong>de</strong>st<br />

am Schluss meist „heile Welt“ vor. In <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntifikation<br />

mit omnipotenten Heldinnen und Hel<strong>de</strong>n können wir<br />

uns für einen Moment unserer Unsicherheit entledigen.<br />

Hier ist alles möglich, außer <strong>de</strong>r Umsetzung in<br />

unseren Alltag. Im Vergleich mit <strong>de</strong>n Medienhel<strong>de</strong>n<br />

jedoch sind wir alle Versager. Wer <strong>de</strong>n Aufstieg von<br />

Tellerwäscher zum Millionär nicht schafft, wer nicht so<br />

perfekt ist wie die Figuren, die uns in <strong>de</strong>n Medien<br />

vorgeführt wer<strong>de</strong>n, hat schon verloren. Der Weg zum<br />

Erfolg aber bleibt im Bereich <strong>de</strong>s Magischen. Stetes<br />

Bemühen ist er je<strong>de</strong>nfalls nicht. Und scheint nicht tatsächlich<br />

eher Zufall eine Rolle zu spielen bei <strong>de</strong>r Frage,<br />

wer zu etwas kommt und wer nicht Lohnen die Mühen<br />

einer soli<strong>de</strong>n Ausbildung, wenn hochqualifizierte<br />

Aka<strong>de</strong>miker/innen arbeitslos wer<strong>de</strong>n Erfolgreich<br />

scheint, wer reich (geerbt) und schön ist, und dazu<br />

kann schulische Bildung nicht verhelfen. Begrün<strong>de</strong>te<br />

Zukunftsängste haben auch die, die in <strong>de</strong>r <strong>Schule</strong><br />

erfolgreich sind.<br />

Foto: Reinhard Krause (taz) mit frdl. Genehmigung<br />

Wenn nun die Reifungsprozesse misslingen, besteht die<br />

Gefahr, dass die betroffene Person nur oberflächliche<br />

Kontakte eingeht, Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen vermei<strong>de</strong>t<br />

und statt<strong>de</strong>ssen Erlebnisse sucht, die mit einem Gefühl<br />

von Großartigkeit verbun<strong>de</strong>n sind. Dies ist oft mit<br />

Süchten verbun<strong>de</strong>n; das zu Größenerlebnissen verhelfen<strong>de</strong><br />

Kokain ist nicht umsonst Mo<strong>de</strong>droge.<br />

Die Beschäftigung mit eigenen Defiziten wird sorgfältig<br />

vermie<strong>de</strong>n. Die Stabilisierung <strong>de</strong>s eigenen fragilen<br />

Selbst steht so sehr im Vor<strong>de</strong>rgrund, dass je<strong>de</strong> Empathie<br />

für an<strong>de</strong>re Menschen fehlt. An<strong>de</strong>re dienen lediglich als<br />

Objekte, die benutzt wer<strong>de</strong>n; ihre Bedürfnisse wer<strong>de</strong>n<br />

kaum registriert, sie spielen keine Rolle. Im Gegenteil<br />

kann es von eigenen Unzulänglichkeiten entlasten, die<br />

Schwächen an<strong>de</strong>rer herauszustellen. Mobbing hat in<br />

<strong>de</strong>r Regel diese Funktion.<br />

Wir sollten im Auge behalten, dass es sich dabei<br />

keineswegs um Bosheit, son<strong>de</strong>rn um Selbstheilungsversuche<br />

han<strong>de</strong>lt, die notwendig misslingen müssen.<br />

Auch ein tiefes Verstehen <strong>de</strong>r eigenen Person ist dabei<br />

ausgeschlossen, Schein statt Sein ist die Devise.<br />

Diese Problematik weist über die einzelner Schülerinnen<br />

und Schüler weit hinaus. Mir fiel vor kurzem ein<br />

Plakat <strong>de</strong>r „Dresdner Bank“ auf. Ein vor seinem<br />

Spiegelbild(!) stehen<strong>de</strong>r junger Mann fragt sich: „Soll<br />

ich sie zum Essen einla<strong>de</strong>n O<strong>de</strong>r gibt's noch bessere<br />

Geldanlagen“. Wo keine Empathie möglich ist,<br />

verkümmert Resonanz zur Rendite.<br />

Narzisstische Strukturen sind Zeitgeist. Wir fin<strong>de</strong>n sie<br />

wie<strong>de</strong>r in Kultur und Politik, in <strong>de</strong>n „Blasen“ <strong>de</strong>r<br />

Börsen, in <strong>de</strong>r Verfolgung wirtschaftlicher und politischer<br />

Ziele ohne Rücksicht auf soziale und ökologische<br />

Folgen, aber bei gleichzeitiger medienwirksamer<br />

Verheißung von Verbesserung. Vor<strong>de</strong>rgründig ist es<br />

entlastend, nicht anzusehen, was durch das eigene<br />

Han<strong>de</strong>ln in einem nicht auf Solidarität, son<strong>de</strong>rn auf<br />

Profit ausgerichtetem Kontext angerichtet wird.<br />

Zusätzlich bieten Größenerlebnisse eine (Schein-)<br />

Möglichkeit, Gefühlen <strong>de</strong>r Entfremdung und<br />

Vermassung, die die Struktur unserer Gesellschaft mit<br />

sich bringt, wenigstens punktuell zu entkommen.<br />

In <strong>de</strong>n beschriebenen Verhaltensweisen unserer<br />

Schülerinnen und Schüler spiegeln sich grundlegen<strong>de</strong><br />

gesellschaftliche Wi<strong>de</strong>rsprüche wie<strong>de</strong>r. Eine aus<br />

pädagogischer Sicht verantwortungsbewusste <strong>Schule</strong><br />

muss gera<strong>de</strong> auch <strong>de</strong>shalb ein Ort sein, <strong>de</strong>r die<br />

emotionale Situation <strong>de</strong>r Schülerinnen und Schüler<br />

ernst nimmt und ihnen Möglichkeiten zur<br />

Entwicklung bietet.<br />

Wie das aussehen kann, soll unter Berücksichtigung<br />

<strong>de</strong>r Erfahrungen <strong>de</strong>r Selbstpsychologie diskutiert<br />

wer<strong>de</strong>n. Von zentraler Be<strong>de</strong>utung für die Praxis <strong>de</strong>r<br />

Selbstpsychologie ist <strong>de</strong>r Begriff „Ambiente“. Damit ist<br />

nicht nur die räumliche Umgebung gemeint, son<strong>de</strong>rn<br />

die Atmosphäre insgesamt, die <strong>de</strong>m Klienten begegnet.<br />

Dies schließt die Haltung <strong>de</strong>s Therapeuten ein.<br />

Da Menschen mit einem fragilen Selbst in hohem<br />

Maße dazu tendieren, in allem, was ihnen begegnet,<br />

Hinweise auf ihren Selbstwert zu sehen (eben weil sie<br />

Selbstobjekterfahrungen suchen), bekommt die Frage,<br />

wie ein Raum eingerichtet ist und wie <strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r<br />

dort empfängt, gera<strong>de</strong> gelaunt ist, eine eminente<br />

Be<strong>de</strong>utung. Ein Mensch mit narzisstischen Defiziten<br />

wird nur zu motivieren sein, sich auf einen Lernort<br />

einzulassen, wenn er spüren kann, dass hier positive<br />

Erfahrungen für ihn möglich sind.<br />

Das Ambiente muss Angenommensein, Verständnis<br />

und Akzeptanz vermitteln; eine freundlich entspannte<br />

Atmosphäre, die nicht lustfeindlich ist. Hand aufs Herz:<br />

davon sind die meisten <strong>Schule</strong>n Meilen entfernt.<br />

<strong>Schule</strong>n wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Regel kostengünstig errichtet<br />

und in Stand gehalten, und das sieht man ihnen an.<br />

Viele wirken schon von außen grau und trist.<br />

Ich habe mich gefragt, was passieren wür<strong>de</strong>, wenn<br />

man eine „schwierige“ Klasse in eine Hun<strong>de</strong>rtwasser-<br />

<strong>Schule</strong> verlegen könnte. Ich gehe davon aus, dass eine<br />

bisher ungekannte Atmosphäre von Neugier, Ent<strong>de</strong>ckerfreu<strong>de</strong><br />

und Lust, in die <strong>Schule</strong> zu gehen, die<br />

Folgen wären. Dieselben Klassen wür<strong>de</strong>n beginnen,<br />

eine geschätzte Umgebung zu pflegen, anstatt sie mit<br />

halb ausgetrunkenen Colaflaschen, Kaugummis,<br />

Bonbon- und Butterbrotpapieren zu garnieren.<br />

Zu <strong>de</strong>n ersten Erfahrungen in einer <strong>neue</strong>n <strong>Schule</strong><br />

gehören bürokratische Akte, das Verkün<strong>de</strong>n von<br />

Regeln, das Austeilen von Erklärungen, die unterschrieben<br />

wer<strong>de</strong>n müssen, zum Teil sogar Tests.<br />

Details aus einer Offenbacher <strong>Schule</strong> (vgl. S. 9)<br />

Persönliche Begrüßungen, die Mut machen, stehen<br />

nicht im Vor<strong>de</strong>rgrund. Positive Ansätze gibt es in<br />

Grundschulen, die die Kin<strong>de</strong>r an „Kennenlerntagen“<br />

neugierig auf die <strong>Schule</strong> machen und ihnen zeigen,<br />

was hier alles Schönes gemacht wird. Für <strong>de</strong>rartige<br />

Ansätze ist mehr Raum zu gewähren. So könnten die<br />

Schülerinnen und Schüler an Stelle einer anonymen<br />

Anmeldung im Sekretariat auch in weiterführen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Schule</strong>n zu einem freundlichen Gespräch eingela<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n, bei <strong>de</strong>m man die Klassenlehrerin o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Klassenlehrer kennen lernen kann und spezielle<br />

Wünsche und Motivationen besprochen sowie die<br />

Möglichkeiten, die die <strong>Schule</strong> bietet, dargestellt wer<strong>de</strong>n<br />

können. Einzelgespräche wür<strong>de</strong>n auch <strong>de</strong>nen, die sich<br />

in großen Gruppen zu Beginn unsicher fühlen, <strong>de</strong>n<br />

Einstieg erleichtern.<br />

Dafür fehlen allerdings in <strong>de</strong>r Regel sowohl Raum als<br />

auch Zeit, und für Kaffee und Gebäck ist ohnehin kein<br />

Geld da. Spinnerei Welche Be<strong>de</strong>utung haben Anfänge<br />

für die Entwicklung <strong>de</strong>r Einstellung zu einem <strong>neue</strong>n<br />

Ort! Wenn es gelänge, hier schon das Eis zu brechen,<br />

könnte sehr viel an zähflüssigem Unterricht gespart<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

14

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!