Download [pdf | 1.3 MB] - Region Stuttgart
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Titelthema: Architekten und Bauingenieure<br />
Jörg Schlaich<br />
im gespräch<br />
10<br />
179: Herr Schlaich, gehen Sie selbst<br />
ins Stadion zum Fußballgucken?<br />
Schlaich: Ehrlich gesagt selten, aber<br />
wenn eines unserer Stadien eingeweiht<br />
wird, bin ich möglichst dabei. Ich bin kein<br />
so großer Fußballfan, dass es sich wegen<br />
mir lohnen würde, Stadien zu bauen.<br />
Schlaich-Bauwerke stehen in der<br />
ganzen Welt, Ihre Dächer, Türme und<br />
Brücken sind legendär. Was machen<br />
Sie besser als andere Bauingenieure?<br />
Eigentlich nichts. Wichtig ist es einfach,<br />
zu erkennen, dass der Bauingenieur nicht<br />
der Statiker ist, sondern dass er eine gestalterische<br />
Aufgabe hat, genauso wie der<br />
Architekt. Bei einer Brücke sind wir nicht<br />
nur dafür verantwortlich, dass sie stehen<br />
bleibt und wirtschaftlich ist, sondern auch,<br />
dass sie sich in ihr Umfeld einfügt. Vielleicht<br />
bin ich mir etwas mehr als manche<br />
meiner Kollegen dieser kulturellen Verantwortung<br />
bewusst.<br />
Denn nicht nur bei Autos, Maschinen und anderen<br />
Produkten ist die Qualitätsarbeit aus dem Südwesten<br />
berühmt in der Welt. „Manchmal belächelte Werte der<br />
Schwaben wie Fleiß und Zuverlässigkeit bewähren sich<br />
auch im Planungsprozess“, schmunzelt Schupp. Carmen<br />
Mundorff von der Architektenkammer Baden-Württemberg<br />
bestätigt: An den hiesigen Planern werde neben der<br />
Entwurfsarbeit besonders die Organisationsfähigkeit in<br />
der Projektabwicklung geschätzt. Nicht umsonst kommt<br />
der Marktführer in Sachen Projektsteuerung, das Büro<br />
Drees & Sommer (S. 14), ebenfalls aus der <strong>Region</strong>.<br />
Das Rüstzeug für eine gute Ausführungsplanung bekommen<br />
die Planer bereits in der Ausbildung verpasst.<br />
Einmalig ist in der <strong>Region</strong> auch das Miteinander der Bauingenieure<br />
und Architekten: Schon in der Ausbildung<br />
erproben die künftigen Planer beider Disziplinen die<br />
Zusammenarbeit, etwa im gemeinsamen Institut für Entwerfen<br />
und Konstruieren (IEK) der Universität <strong>Stuttgart</strong>.<br />
Heiß begehrt sind auch die Architektur- und Bauingenieur-<br />
Studienplätze an der Staatlichen Akademie der Bildenden<br />
Künste und der Hochschule für Technik. Allein an der Universität<br />
bewerben sich Jahr für Jahr fast 900 junge Leute<br />
auf einen der gut 200 Architektur-Studienplätze. Viele<br />
179 Das Standortmagazin der <strong>Region</strong> <strong>Stuttgart</strong> 1/2010<br />
Warum wird so viel gedankenlos<br />
gebaut?<br />
Einerseits aus Bequemlichkeit der Entwerfenden,<br />
andererseits aus der falsch<br />
verstandenen Sparsamkeit der Bauherren.<br />
Wir haben vor einiger Zeit ein paar<br />
Brücken der Deutschen Bahn gestalterisch<br />
überarbeitet. Die sind sogar billiger<br />
geworden. Einfach weil wir alles Unnötige<br />
wie Lager und Fugen weggelassen haben.<br />
Und Teile, die weggelassen werden,<br />
muss man am Ende auch nicht warten.<br />
Sie sagen, dass das Bauen immer auch<br />
soziale Gesichtspunkte berücksichtigen<br />
muss. Wie kann gesellschaftlich verantwortungsvolles<br />
Bauen aussehen?<br />
Ich wurde 1970 gebeten, in Kalkutta<br />
die damals größte Schrägseilbrücke der<br />
Welt zu entwerfen – und zwar unter<br />
der Bedingung, dass die Inder sie selbst<br />
bauen können. Damit bekam die Brücke<br />
eine doppelte Wirkung: Als Verbindung<br />
über den Fluss und um Arbeitsplätze<br />
zu schaffen. Die Brücke hat mindestens<br />
5.000 Menschen vor Ort Arbeit und Brot<br />
gegeben. Einige haben sich hinterher<br />
selbstständig gemacht mit dem, was sie<br />
gelernt haben.<br />
Können Bauingenieure und Architekten<br />
aus der <strong>Region</strong> <strong>Stuttgart</strong> auch vor Ort<br />
zeigen, was sie drauf haben?<br />
Ja, es gibt hier eine große Offenheit für<br />
neue Ideen. Gerade mit dem Tiefbauamt<br />
<strong>Stuttgart</strong> haben wir großes Glück, es war<br />
bei Projekten unseres Büros immer sehr<br />
begeisterungsfähig für neue Ideen. So<br />
konnten wir hier viele Sachen machen, die<br />
woanders nicht möglich gewesen wären.<br />
Warum ist denn gerade hier in<br />
der <strong>Region</strong> Ihr Berufsstand so gut<br />
vertreten?<br />
Weil die Schwaben schon immer Tüftler<br />
und Bastler waren. Aber es hat auch<br />
mit der Tradition und der guten Ausbildung<br />
zu tun. Leute wie Fritz Leonhardt<br />
haben immer wieder engagierte Schüler<br />
angezogen. Außerdem hat die Hochschule<br />
immer großen Wert darauf gelegt,<br />
dass die angehenden Architekten und<br />
Bauingenieure engen Kontakt haben<br />
und zusammenarbeiten, die „<strong>Stuttgart</strong>er<br />
Schule“.<br />
große Vertreter der Zunft haben hier gelernt und später<br />
selbst ihr Wissen weitergegeben. Die „<strong>Stuttgart</strong>er Schule“,<br />
verbunden mit Namen wie Paul Bonatz (Hauptbahnhof<br />
<strong>Stuttgart</strong>), Fritz Leonhardt (<strong>Stuttgart</strong>er Fernsehturm),<br />
Frei Otto und Günter Behnisch (Olympiapark München),<br />
Jörg Schlaich (Brücken, Türme, Dächer) oder Werner<br />
Sobek (experimentelle Wohnhäuser), ist in der ganzen<br />
Welt ein Begriff.<br />
Die ganze Welt als Baustelle<br />
Dem guten Ruf der <strong>Stuttgart</strong>er Ausbildungseinrichtun-<br />
gen ist es auch zu verdanken, dass die <strong>Region</strong> heute die<br />
höchste Architektendichte Deutschlands hat: Auf 137<br />
<strong>Stuttgart</strong>er kommt ein Architekt, rund 10.000 Planer sind<br />
es in der <strong>Region</strong>, in Baden-Württemberg mehr als in<br />
ganz Frankreich.<br />
So entsteht aus Konkurrenzdruck der Zwang zur Qualität<br />
und zum Blick über den Tellerrand. „Es gibt hier nicht<br />
zu viele Architekten. Es gibt zu viele, die nicht genug Geld<br />
verdienen, weil sie sich zu sehr auf den lokalen Markt<br />
fokussieren“, meint Manuel Schupp. Der deutsche Markt<br />
schrumpfe, schon allein aufgrund der demografischen<br />
Julia Grudda/MFG<br />
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