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Puzzeln - Bernhard Possert

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<strong>Puzzeln</strong><br />

Eine ideale Metapher<br />

für die Moderation<br />

Jede/r von uns hat schon mal Puzzle gebaut. Bei manchen ist es eine Kindheitserinnerung, bei<br />

manchen eine Passion, auf alle Fälle ist es eine gut brauchbare Metapher! 1 von <strong>Bernhard</strong> <strong>Possert</strong><br />

Es gibt Dinge in unserem Leben, die lernen wir durch<br />

Abschauen und die vergleichen wir laufend mit anderen:<br />

Wie öffnet jemand sein/ihr Auto Wie verhalten wir uns<br />

in der Straßenbahn Nicht dass sich da alle gleich<br />

verhalten - aber man vergleicht sich (zumindest könnte<br />

man es) und passt sein Verhalten unter Umständen an.<br />

Mir scheint, so lernen Menschen, die in einen neuen<br />

Kulturkreis kommen: anfänglich Zurückhaltung - viel<br />

Beobachten - Nachahmen.<br />

Daneben gibt es Bereiche unseres Verhaltens, die<br />

vergleichen wir mit (fast) niemand: Wie duschen wir uns<br />

Wie decken wir uns zu beim Schlafengehen Welche<br />

Ordnung haben wir in unserer (Hand)tasche Bereiche,<br />

in denen sich die schrulligsten Eigenheiten herausbilden<br />

können! 2 Diese Eigenheiten sind nicht nur sehr speziell<br />

(das ist das Verhalten beim Auto-Öffnen genau<br />

genommen auch), das Besondere scheint mir zu sein,<br />

dass wir für dieses unbeobachtete Verhalten oft<br />

besondere Glaubenssätze aufstellen. “Das ist ja die einzig<br />

vernünftige Art, wie man das machen kann!”<br />

Langer Rede kurzer Sinn: mir scheint, dass Puzzle-Bauen<br />

eine diese Tätigkeiten ist, die oft unbeobachtet geschieht<br />

(Wer hat den Nerv jemand stundenlang zuzuschauen der<br />

ein 3000-Teile-Puzzle baut). Wenn man da so<br />

stundenlang vor sich hinbaut und studiert: “Eine Stück<br />

Seil quer über das Puzzle-Stück“, da bilden sich dann<br />

Strategien aus – Glaubenssätze, warum diese Strategien<br />

sinnvoller sind als andere. 3<br />

Flow!<br />

Warum das Puzzle bauen für mich selbst so faszinierend<br />

sein kann, hab ich noch nicht ganz verstanden. Ich schätze<br />

hier entsteht Flow: Zur Erinnerung: 4<br />

Bedingungen für das Erlebnis von Fließen, dem<br />

Aufgehen in der Tätigkeit:<br />

Widerspruchsfreie Handlungsanforderungen<br />

Gefühl der Kontrolle über das, was passiert<br />

Effekte können sein<br />

Zeitverzerrung<br />

Gefühl der Ichlosigkeit<br />

Gefühl, der Körper handelt selbst<br />

gesteigerte Wahrnehmung<br />

Glücksgefühle<br />

Ach ja, und wofür kann Puzzle bauen eine Metapher<br />

sein<br />

Manche Leute haben sich einen Algorithmus<br />

zurechtgelegt.<br />

Exkurs: Algorithmus<br />

Ein Zentralbegriff der Komplexitätstheorie ist derjenige<br />

des Algorithmus. Ein Algorithmus ist eine exakte<br />

„mechanische“ Vorgehensweise, um etwas zu<br />

bewerkstelligen. Es handelt sich um einen Satz von<br />

Anweisungen, der so vollständig ist, dass keinerlei<br />

Einsicht, Intuition oder Phantasie erforderlich wird.<br />

Jedes Computerprogramm ist ein Algorithmus, und<br />

Algorithmen sind auch das Rezept für eine<br />

Gemüsesuppe, die Bauanweisung für ein Fahrrad und<br />

die Spielregeln der meisten einfachen Spiele. Auch die<br />

Rechenregeln, die man in der Grundschule lernt, sind<br />

ein Algorithmus. Sie können sich darauf verlassen, dass<br />

die Regeln immer zum richtigen Ergebnis führen werden,<br />

wenn Sie zwei Zahlen addieren, egal wie groß die Zahlen<br />

sind. Wenn Sie ein falsches Ergebnis bekommen, wissen<br />

Sie, dass Sie die Rechenregeln falsch angewandt haben.<br />

Niemand zieht den Algorithmus selbst in Zweifel. Ein<br />

Algorithmus muss genau sein. „Wenn du dich im Wald<br />

verirrst, verlier die Nerven nicht, verlass dich auf deinen<br />

gesunden Menschenverstand und lass es drauf<br />

ankommen“, ist ein Ratschlag, aber kein Algorithmus.<br />

Die Pfadfinderregel „Wenn du dich im Wald verirrt hast,<br />

geh bergab, bis du an einen Fluss kommst. Dann geh<br />

flussabwärts, und du wirst schließlich zu einer Stadt<br />

kommen“ ist ein Algorithmus.<br />

Es ist nicht leicht, wirksame Algorithmen zu finden.<br />

Unvorhergesehene Umstände können immer eintreten.<br />

Es ist nicht schwer, sich Fälle auszudenken, in denen der<br />

Pfadfinder-Algorithmus versagen würde. Sie könnten<br />

doppel punkt 2/2004<br />

21


sich in einem Wüstenbecken befinden, wo der Weg<br />

bergab zu einem ausgetrockneten See und nicht an einen<br />

Fluss führt. In einigen abgelegenen Weltgegenden gibt<br />

es Flüsse, die in einen See oder ins Meer münden, ohne<br />

je an einer menschlichen Ansiedlung vorbeizukommen.<br />

Und was schlimmer ist, die Anweisungen sagen nichts<br />

darüber aus, was man tun soll, wenn man sich auf so<br />

ebenem Gelände befindet, dass es kein offensichtliches<br />

Bergab gibt. Ein idealer Algorithmus müsste unter allen<br />

denkbaren Bedingungen funktionieren.<br />

Wir benützen nicht immer Algorithmen. Es gibt Köche,<br />

die sich an Rezepte halten, und es gibt Köche, die so<br />

frei improvisieren, dass sie behaupten, sie könnten nicht<br />

beschreiben, wie sie das Gericht gekocht haben. Keine<br />

von beiden Methoden ist falsch oder richtig. Aber nur<br />

der algorithmische Zugang ist analysierbar. 5<br />

(Exkurs Ende)<br />

Die möglichen Algorithmen<br />

beim Puzzlebauen:<br />

zuerst alle Teile umdrehen, währenddessen oder danach<br />

die Randteile herauslegen, währenddessen oder danach<br />

alle Randteile so legen, dass der Außenrand nach unten<br />

zeigt, währenddessen oder danach die Randteile nach<br />

Arten sortieren: Ecken, 2 Nasen, keine Nasen, Nase links,<br />

Nase rechts; danach: ein Eck in die Hand nehmen und<br />

zu allen denkbaren Teilen halten und probieren;<br />

Erster Stopp: Ein Algorithmus ist „dumm“: Es kümmert<br />

ihn nicht, ob farblich die Teile, die probiert werden,<br />

zueinander passen; er probiert einfach alle durch! Als<br />

Mensch bin ich nicht ganz so dumm: ich sehe die Farbe,<br />

vergleiche die Größe der Nase und des Loches etc.; ich<br />

bitte Sie, sich bei diesem Unterschied einen gedanklichen<br />

Knoten im Taschentusch zu machen: Darauf kommen<br />

wir zurück!<br />

Habe ich nun einen Teil zu meinem Eck gefunden, lasse<br />

ich das Eck liegen, nehme das gefundene Teil und<br />

probiere weiter etc.; ich nehme also das Teil in die Hand<br />

und probiere zu den liegenden möglichen Teilen, und<br />

nicht: der Reihe nach mögliche Teile in die Hand nehmen<br />

und dann zum Fix-Teil halten: eine Frage der Effizienz!<br />

Ja, natürlich, <strong>Puzzeln</strong> ist nur eine Freizeitbeschäftigung,<br />

aber auch beim Klettern versuche ich es besser, wenn es<br />

besser geht, und vor allem: hier ist puzzeln eine<br />

Metapher!<br />

Weiter mit dem Puzzle:<br />

Ich habe nun den Rand: wo geht´s weiter Wir stellen<br />

uns vor: viel Meer, viel Himmel, und ein paar Schiffe,<br />

viel Holz, Seile, ein paar Matrosen, und ein rotes Segel;<br />

ok, also wo fangen wir an Beim roten Segel ... und dann<br />

Stück für Stück weiter; wenn nun die Schiffe halbwegs<br />

fertig sind, müssen wir, so denke ich, die Taktik ändern!<br />

Bis jetzt haben wir nach dem visuell passenden Teil<br />

gesucht. Meer und Himmel klingen so, als ob es viele<br />

Teile mit ähnlicher Färbung gäbe. Und hier kommt<br />

wieder der notwendige Wechsel in der Taktik: bis zu<br />

einem gewissen Grad suche ich nach speziellen<br />

Färbungen, aber wenn dann nur mehr Grün oder Blau<br />

übrig bleibt, sortiere ich neu nach Formen: alle mit 4<br />

Nasen, 2 Nasen gegenüber, 2 Nasen aneinander, 3 Nasen,<br />

1 Nase, keine Nase, Irreguläre.<br />

Und nun beginnt das Herumsuchen. Der Vorteil: die<br />

Menge der Teile die in Frage kommen, ist eingeschränkt.<br />

Warum lasse ich mich so lang und breit über die<br />

verschiedenen Taktiken beim <strong>Puzzeln</strong> aus Nun, ich halte<br />

das <strong>Puzzeln</strong> für<br />

eine ausgezeichnete Metapher für<br />

Moderationen:<br />

Es gibt zu Beginn einer Moderation ein paar Dinge,<br />

die man benötigt, um den „Rand“ zusammen zu<br />

bekommen: Einleitung vom/von der<br />

AuftraggeberIn, Ziele, Zeitrahmen, Erwartungen, ...<br />

Das kann sehr rasch gehen; es kann aber sein, dass<br />

das Eingrenzen des Zieles bereits harte Arbeit ist!<br />

Sobald der Rahmen steht, kann es sehr frei gehen:<br />

Man sucht die „roten Segel“: Bereiche, die man<br />

leichter abhandeln kann, wo man einmal warm wird,<br />

wo man merkt: es geht eh was weiter!<br />

Es gibt die Phasen, in denen scheinbar nichts<br />

weitergeht: man probiert konfus einfach drauflos, ob<br />

ein Teil irgendwo passen könnte – wenn alle Schiffe<br />

gebaut sind und nur mehr Himmel und Meer übrig<br />

bleiben. Aufgabe des/r Moderators/in hier: die<br />

Gruppe überzeigen: sortieren, ordnen,<br />

auseinanderklauben – und dann auch tun! Hier ist<br />

der/die ModeratorIn gefordert! Nicht nur<br />

überzeugen, dass man ordnen sollte, sondern selbst<br />

im Chaos bereits verborgene Ordnungen sehen und<br />

anbieten können! So wie ein/e BildhauerIn, der/die<br />

in einem Steinblock bereits die fertige Skulptur sieht<br />

und dann nur mehr wegklopft, was nicht zur Skulptur<br />

gehört. Manche ModeratorInnen sehen verschiedene<br />

Ordnungen im Haufen: logische Ebenen,<br />

notwendige Bedingungen, zeitliche Abfolgen,<br />

verschiedene Matrix-Strukturen, ... und jede Struktur<br />

hat dann ihren Algorithmus: Man schüttet das Chaos<br />

in die Algorithmus-Apfel-Sortiermaschine,<br />

herauskommen schön sortierte Kisten mit<br />

verschieden großen Äpfeln.<br />

Extra betonen möchte ich die Notwendigkeit, mitten<br />

im Prozess die Taktik zu ändern. Ein weiterer<br />

Querverweis: in einem Seminar über militärisches<br />

Führungsverhalten glaube ich den Unterschied<br />

zwischen Anweisung und Auftrag gehört zu haben:<br />

wenn ein Gebiet z.B. gut einsehbar ist, kann es eine<br />

Anweisung geben, den Fluss an genau dieser Stelle<br />

auf diese Weise zu überqueren und dann ...; ist das<br />

Gebiet nicht einsehbar, kann es einen Auftrag geben:<br />

22 doppel punkt 2/2004


den Fluss überqueren – aber das Wie bleibt dem/r<br />

Ausführenden überlassen. Ich wehre mich nicht<br />

zuletzt deshalb dagegen, mir vom/von der<br />

AuftraggeberIn vorschreiben zu lassen, wie ich die<br />

Moderation methodisch zu gestalten habe. Aufträge<br />

– sicher: ohne Ziel keine Moderation! Aber taktische<br />

Anweisungen: diese Freiheit brauche ich als<br />

ModeratorIn. Das ist das einzige, womit ich wirklich<br />

Bewegung in festgefahrene Situationen bringen kann.<br />

<strong>Puzzeln</strong> als Metapher auch deshalb, weil hier Phasen<br />

der Euphorie, der Ernüchterung, der Hoffnung, der<br />

Resignation und der Zufriedenheit abwechseln: der/<br />

die ModeratorIn kennt das, stärkt und führt die<br />

Gruppe durch die Emotionen, macht Mut, schilt und<br />

lobt.<br />

Was wenn ein Teil fehlt Manchmal suchen wir beim<br />

<strong>Puzzeln</strong> genau ein Teil – und können es nicht finden.<br />

Was tun Beim <strong>Puzzeln</strong> (und auch in Moderationen)<br />

kann es passieren, dass die Leute das einfach nicht<br />

wahrhaben wollen! Wir suchen und suchen – aber<br />

was nicht da ist kann man nicht finden. Bei der<br />

Moderation: wenn eine Information fehlt oder<br />

jemand anders zuerst eine Entscheidung treffen muss,<br />

können wir darüber diskutieren, was wir glauben wie<br />

es ist oder wie es sein sollte: Aber das löst unser<br />

Problem nicht!<br />

Noch eine Parallele – hoffentlich! Beim <strong>Puzzeln</strong><br />

entsteht oft Flow, weil (siehe oben) es „<br />

widerspruchsfreie Handlungsanforderungen“ und<br />

ein „Gefühl der Kontrolle über das, was passiert“<br />

gibt. Gelingt es mir als ModeratorIn, die<br />

verschiedenen Inhalte der Moderation in solche Teile<br />

zu gliedern, dass es keine widersprechenden<br />

Handlungsanforderungen gibt und die Gruppe das<br />

Gefühl hat, die Kontrolle über das, was passiert, zu<br />

haben<br />

Oh, eines hätte ich vor lauter Algorithmen fast<br />

vergessen: So manches passiert, vieles geschieht,<br />

obwohl wir moderieren und strukturieren: Auch das<br />

eine Lehre aus dem <strong>Puzzeln</strong>: rechtshirniges Denken,<br />

das wirken kann, wenn man den Druck loslässt,<br />

bringt Ideen und Lösungen zustande, die über Logik<br />

nicht erreichbar gewesen wären. Beim <strong>Puzzeln</strong>:<br />

plötzlich sieht man wie die Teile zusammen gehören<br />

– ein Bild entsteht!<br />

Fußnoten<br />

1<br />

So wie Sie sich als LeserIn “erlauben”, querzulesen, so erlaube ich mir einmal, zu schwadronieren. Das Schwadronieren ist das<br />

Querlesen der SchreiberInnen, meine ich.<br />

2<br />

vgl Kant und sein Zudeck-Ritual: „Beim Schlafengehen setze er sich erst ins Bett, schwang sich mit Leichtigkeit hinein, zog den einen<br />

Zipfel der Decke über die eine Schulter unter dem Rücken durch bis zur anderen und durch eine besondere Geschicklichkeit auch<br />

den anderen unter sich, und dann weiter bis auf den Leib. So emballiert und gleichsam wie ein Kokon eingesponnen, erwartete er den<br />

Schlaf.“ (Weischedel, Die philosophische Hintertreppe, München 2001, 178.<br />

3<br />

Wenn jemand dann viel “puzzelt” und sich diese Gewohnheiten und Überzeugungen immer tiefer in die Furchen der Persönlichkeit<br />

graben - dann kann es passieren, dass es Funken gibt, wenn zwei Personen mit tiefen Furchen (oder eine Person mit Furchen und ein<br />

Kind) zusammen ein Puzzle bauen wollen (oder sollen: das wär ein tolles Selbsterfahrungsseminar, nicht).<br />

4<br />

Mihaly Csikszentmihalyi, Flow!<br />

5<br />

William Poundstone, Im Labyrinth des Denkens, 1995, S. 154f<br />

doppel punkt 2/2004<br />

23

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