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Pfaffenspiegel

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liebten, eine gestickte Brieftasche, eine trockene Blume, ein Messer oder ein Pelschaft eines verstorbenen Freundes, oder irgendein<br />

anderer Gegenstand.<br />

Die größten Reliquiennarren sind wohl die Engländer. Welche Summen geben sie nicht für manchen unbedeutenden Gegenstand<br />

aus, der diesem oder jenem großen Manne gehörte! Andere haben wieder eine Vorliebe für Dinge, an welche sich irgendeine<br />

gräßliche Erinnerung knüpft. Ich hörte von einem Engländer erzählen, der sich alle möglichen Werkzeuge sammelte, die dazu<br />

gedient hatten, einem Menschen das Leben zu nehmen. Seine Sammlung bestand aus blutigen Messern, Pistolen und Stricken, und<br />

er hat gewiß bedauert, daß sich so viele Selbstmörder ersäufen - bloß weil ihm dadurch Reliquien entgehen. Die<br />

Autographensammler, was sind sie anders als Reliquiennarren?<br />

Wie alles an und für sich Schöne und Gute in der Übertreibung lächerlich wird, so auch diese Sucht, Reliquien zu sammeln. Wollte<br />

ich mir die Mühe geben, so würde es mir nicht schwerfallen, höchst seltsame Andenken namhaft zu machen, die von diesem oder<br />

jenem großen Manne aufbewahrt werden. Man hat aber unrecht, wenn man die Kleiderreliquien als die lächerlichsten bezeichnet.<br />

Die Reliquienverehrung ist eine solche, die sich mehr auf den Körper bezieht, und dasjenige Andenken, welches mit demselben in<br />

der genauesten Berührung war, hat für den eifrigen Verehrer den meisten Wert. Mögen wir daher auch über den Berliner<br />

Enthusiasten lachen, welcher sich aus dem Mundstück der von Fräulein Sonntag gebrauchten Klistierspritze eine Zigarrenspitze<br />

machen ließ, so tun wir doch unrecht, wenn wir den Leipziger Schillerverein deshalb lächerlich machen, weil er eine alte Weste von<br />

Schiller andächtig verwahrt.<br />

[77]<br />

Ich kann wenigstens versichern, daß ich immer eine große Aufregung empfunden habe, wenn man mir - selbst die Kleidungsstücke<br />

wahrhaft großer oder doch berühmter Männer zeigte. Lächerlich fand ich es freilich, als ich als Kadett in die Potsdamer<br />

Garnisonskirche geführt wurde, um dort eine öffentlich ausgestellte Uniform nebst Federhut des damals erst kürzlich verstorbenen<br />

Kaisers Alexander von Rußland zu verehren! Hätte die russische Knute als Reliquie dabeigelegen, dann hätte mir vielleicht auch<br />

der Anblick der Uniform erhebendere Empfindungen eingeflößt.<br />

Napoleons Degen, den Blücher dem Berliner Kadettencorps schenkte und der dort im Feldmarschallsaale zu den Füßen Friedrich<br />

Wilhelms III. plaziert ist, erweckte in mir ganz andere Gefühle, und als ich mich in dem silbernen Waschbecken des großen Kaisers<br />

wusch, welches bei Besse Alliance mit erbeutet wurde, da überkam mich ordentlich ein Schauer. In Sanssouci konnte ich es mir<br />

nicht versagen, mich in den Lehnstuhl zu setzen, in welchem der große Friedrich gestorben ist; ja im Thronsaal setzte ich mich gar<br />

auf Preußens Thron, von dem ich indessen schleunigst entfernt wurde. Kurz, wir sind alle Reliquienverehrer.<br />

Sowohl Griechen als Römer hatten ihre Reliquien, und einige davon waren fast römisch-katholisch, wie zum Beispiel das Ei der<br />

Leda! Das Palladion war ja auch eine Reliquie, und noch dazu eine wundertätige, wie auch der vom Himmel gefallene heilige<br />

Schild und viele andere. -Die Mohammedaner bewahren Fahne, Waffen, Kleider, den Bart und zwei Zähne ihres Propheten, und so<br />

finden wir Reliquien bei jedem Kultus und bei jedem Volke.<br />

Auf menschliche Schwächen verstehen sich die Pfaffen<br />

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vortrefflich, und dieser Kenntnis verdanken sie ihre Macht und ihren Reichtum. So konnte ihnen denn auch nicht die<br />

Reliquiennarrheit entgehen, und sie machten sie zu einem Goldbergwerk, welches noch bis heute unerschöpft ist.<br />

Bekannt ist das abgeschmackte Märchen von dem Kreuz, welches dem Kaiser Konstantin und seinem Heere am Himmel erschienen<br />

sein soll, mit der Überschrift: In hoc vinces (in diesem Zeichen wirst du siegen). Nichts ist lächerlicher als die Ernsthaftigkeit, mit<br />

welcher die Historiker diese Geschichte untersuchen, besonders da die Lügenhaftigkeit aus der verworrenen und sich widersprechenden<br />

Erzählung des Eusebius auf den ersten Blick zu erkennen ist. Daß Konstantin etwas Ähnliches geträumt hat, wie es<br />

auch erzählt wird, will ich gern glauben, wie auch, daß die Verheißung des Sieges und die Kreuzfahne, die er machen ließ, wirklich<br />

zu dem Siege, den er erfocht, beitrugen.<br />

Seitdem wurde das Kreuz Mode, und bald fand die Mutter des Kaisers, Helena, das wahre Kreuz Christi, wie auch sein Grab auf.<br />

Die Schriftsteller aus dieser Zeit melden davon zwar nichts, ebensowenig wie von der wunderbaren Luftreise des Hauses der Maria.<br />

Selbst der Fabelhans Eusebius, der diese Reise der Kaiserin Helena beschreibt, meldet von ihrem merkwürdigen Funde nichts.<br />

Aber die Geschichte ist einmal als wahr angenommen, und die katholische Kirche feiert ein eigenes «Kreuzerfindungsfest». Der<br />

Segen, den Helena entdeckte, war aber zu groß; sie fand nicht allein das Kreuz Christi, sondern auch das der beiden «Schacher».<br />

Die Inschrift, die Pilatus zur Verhöhnung der Juden machen ließ, fand sich nicht mehr vor, wie sollte man nun das heilige Kreuz<br />

erkennen? Pfaffen sind aber erfinderisch, und so war man denn auch um eine<br />

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Auskunft nicht verlegen. Man legte einen Kranken auf eines der Kreuze und er wurde weit kränker. Man vermutete also, daß dies<br />

wohl das Kreuz des gottlosen Schachers sein müßte, und legte den Kranken auf ein anderes. Ihm ward um vieles besser, und

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