Wie der frühe Film zum Erzählkino wurde - Filmportal.de
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<strong>Wie</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>frühe</strong> <strong>Film</strong> <strong>zum</strong> <strong>Erzählkino</strong> <strong>wur<strong>de</strong></strong><br />
Vom kollektiven Publikum <strong>zum</strong> individuellen Zuschauer<br />
Thomas Elsässer: <strong>Wie</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>frühe</strong> <strong>Film</strong> <strong>zum</strong> <strong>Erzählkino</strong> <strong>wur<strong>de</strong></strong>. Vom kollektiven Publikum <strong>zum</strong><br />
individuellen Zuschauer. In: Irmbert Schenk (Hg.): Erlebnisort Kino. Marburg: Schüren 2000, S.34<br />
- 54<br />
Einer <strong><strong>de</strong>r</strong> Grün<strong><strong>de</strong>r</strong>väter <strong>de</strong>s Neuen Deutschen <strong>Film</strong>s, Edgar Reitz, hat sich in <strong>de</strong>n<br />
neunziger Jahren <strong>de</strong>s öfteren über die Zukunft <strong>de</strong>s Kinos ausgelassen. Gefragt, ob wir<br />
wohl noch Kinos brauchen, wenn 'man <strong>Film</strong>e genauso gut im Theater, in <strong><strong>de</strong>r</strong> Kirche o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
im Wohnzimmer zeigen kann', antwortete er: "[wenn die] Projektion in je<strong><strong>de</strong>r</strong> beliebigen<br />
Richtung lenkbar [ist, wird] auch das Publikum mobiler. Die Ausrichtung <strong>de</strong>s Publikums,<br />
das ja immer noch wie im Theater vor einer Bühne mit Vorhang sitzt, erweist sich als<br />
Relikt aus einer alten Welt. Diese immense Freiheit macht uns zunächst natürlich hilflos,<br />
weil die Räume für dieses Kino <strong><strong>de</strong>r</strong> Zukunft noch gar nicht erfun<strong>de</strong>n sind. In <strong><strong>de</strong>r</strong> Frühzeit<br />
<strong>de</strong>s <strong>Film</strong>s öffnete sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Vorhang, und <strong><strong>de</strong>r</strong> Blick <strong>wur<strong>de</strong></strong> über die Leinwand hinaus bis<br />
nach Hollywood gelenkt o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>zum</strong>in<strong>de</strong>stens in die Reichshauptstadt. Heute ist die<br />
Erfahrung, daß Bil<strong><strong>de</strong>r</strong> in je<strong>de</strong>m Augenblick von überall her zu uns kommen können, keine<br />
Sensation mehr. [...] Die Bildschirme für ein Simultankino sind längst vorhan<strong>de</strong>n: auf<br />
Messen und Veranstaltungen, in Hotelhallen, Bahnhöfen und Flughäfen. Überall laufen<br />
Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>. Was wäre das für eine Sensation, wenn plötzlich eine Geschichte auf allen<br />
Bildschirmen liefe!" 1<br />
Reitz erwähnt das <strong>frühe</strong> Kino, von <strong>de</strong>m wir uns, nach ihm, <strong>de</strong>finitiv verabschie<strong>de</strong>t haben.<br />
Das lädt zu Reflexionen über die Kinogeschichte ein, bei <strong>de</strong>nen, genau betrachtet,<br />
Gesichtspunkte auftauchen, die auch die Zukunft unter einem an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Licht erscheinen<br />
lassen könnten. <strong>Wie</strong> so oft bei Prognosen über die Medien, stützen sich Reitz'<br />
Voraussagen hauptsächlich auf technische Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen, wie die Digitalisierung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Bil<strong><strong>de</strong>r</strong> o<strong><strong>de</strong>r</strong> die Verbreitung <strong>de</strong>s Internet. Sie scheinen zu bestätigen, daß wir uns mitten<br />
in einem Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>s Öffentlichen Raums befin<strong>de</strong>n, bei <strong>de</strong>m das Kino als traditioneller<br />
Erlebnisort einen beson<strong><strong>de</strong>r</strong>en, wenn auch beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s ambivalenten Stellenwert hat.<br />
Etwas banal formuliert, geht es um <strong>de</strong>n erstaunlichen Zuwachs an Besuchern bei <strong>de</strong>n<br />
Erstaufführungskinos, seit Hollywood mit <strong>de</strong>n blockbusters o<strong><strong>de</strong>r</strong> event movies wie<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>n<br />
internationalen Markt beherrscht: sie haben das Kino allgemein bei <strong>de</strong>n jüngeren<br />
Zuschauern wie<strong><strong>de</strong>r</strong> populär gemacht. Dieses revival wird meist <strong>de</strong>n neuen Technologien,<br />
u.a. <strong>de</strong>m Kino <strong><strong>de</strong>r</strong> special effects vom Schlage "Jurassic Park", "In<strong>de</strong>pendance Day" o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
"Titanic" zugeschrieben, <strong>de</strong>nen es gelungen ist, eine neuartige Erfahrung <strong>de</strong>s<br />
audiovisuellen Apparats in eine vom Massenpublikum leicht erkennbare Produktform zu<br />
gießen. Damit sind aber auch schon die ebenso oft negativ apostrophierten<br />
Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen genannt. Erstens, <strong><strong>de</strong>r</strong> immer größer in Szene gesetzte Rummel um das<br />
merchandizing <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong>e in <strong>de</strong>n Spielwarenlä<strong>de</strong>n und Kaufhäusern ("The Phantom<br />
Menace"), das Vermarkten von klassischer Literatur (Jane Austen, Henry James, Victor<br />
Hugo, mit <strong>Film</strong>szenen o<strong><strong>de</strong>r</strong> Stars auf <strong>de</strong>n paper-back-Einbän<strong>de</strong>n) und von Geschichte.<br />
So <strong>wur<strong>de</strong></strong>n die Briefe von Titanic-Überleben-<strong>de</strong>n in England zu Rekordpreisen<br />
versteigert. Wobei das Auktionshaus unverblümt zugab: mit <strong>de</strong>m <strong>Film</strong> sei das Interesse<br />
um ein zig-faches gestiegen, jetzt sei <strong><strong>de</strong>r</strong> Moment, die Familienstücke auf <strong>de</strong>n Markt zu<br />
bringen. 2 www.filmportal.<strong>de</strong> 1
Zweitens, man geht zwar ins Kino, aber nicht nur wegen <strong>de</strong>s <strong>Film</strong>s. Das mag übertrieben<br />
sein, jedoch sind die zwei Stun<strong>de</strong>n Dunkelheit nur Teil eines auf an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Erlebnisse hin<br />
ausgerichteten Abendprogramms, wobei <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong> und seine Stars die Anmache sind. <strong>Wie</strong><br />
Edgar Reitz es an an<strong><strong>de</strong>r</strong>er Stelle formuliert hat: "Der <strong>Film</strong> ist eine Art Übereinkunft, wohin<br />
man geht. Er gibt <strong>de</strong>m Ausgehbedürfnis einen Namen und eine Adresse." 3<br />
Dementsprechend verhalten sich Kino-Besucher immer ungezwungener: sie re<strong>de</strong>n<br />
während <strong>de</strong>s <strong>Film</strong>s, gehen auch mal raus, machen sich es im Kinosessel so richtig<br />
gemütlich, wie sie es als couch-potato vor <strong>de</strong>m häuslichen Fernseher o<strong><strong>de</strong>r</strong> in <strong><strong>de</strong>r</strong> Kneipe<br />
gewöhnt sind. Der italienische Regisseur Gianni Amelio hat seinem Kummer darüber<br />
einmal so Luft gemacht: "Die jungen Leute heute wollen ein Produkt, was man nicht<br />
individualistisch, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n kollektiv konsumiert. Sie gehen in Gruppen von 20-25 und<br />
brauchen ein Kino, das sich <strong>zum</strong> Komplizen ihres Verhaltens macht, d.h. ein Kino mit<br />
regelmäßigen Gags, bei <strong>de</strong>nen Du Deinem Nachbar auf die Schulter schlagen kannst.<br />
Diese Art von Kino funktioniert ein bißchen wie eine Diskothek: man geht zusammen ins<br />
Kino, aber nicht in erster Linie, um einen <strong>Film</strong> zu sehen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n um das Zusammensein<br />
auf Kosten <strong>de</strong>s <strong>Film</strong>s zu genießen." 4<br />
Ein drittes, ebenfalls von <strong><strong>de</strong>r</strong> Kritik oft negativ besetztes Kennzeichen <strong>de</strong>s Wan<strong>de</strong>ls ist,<br />
daß Hollywood das Erzählen verlernt hat und nun <strong>Film</strong>e macht, die virtuelle<br />
Achterbahnen sind (roller coaster ri<strong>de</strong>s; Beispiel: "Speed"), reinen Nervenkitzel liefern<br />
(Beispiel: die slasher movies), wie Pornos Vorlust und Frust anheizen (Beispiel: "Basic<br />
Instinct") o<strong><strong>de</strong>r</strong> einen Flight-Simulator simulieren (Beispiele: "Top Gun" o<strong><strong>de</strong>r</strong> "Air Force<br />
One"). Ohne auf diese Behauptungen im einzelnen einzugehen o<strong><strong>de</strong>r</strong> sie hier zu<br />
nuancieren, könnte als gemeinsamer Nenner solcher Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen ten<strong>de</strong>nziell ein<br />
neuer visueller, aber auch kognitiver Bezugsrahmen für das Kinoerlebnis ausgemacht<br />
wer<strong>de</strong>n: die Simulation eines entgrenzten Raums (IMAX Screens und 3-D <strong>Film</strong>en), die<br />
Dichte (und Dissonanz) <strong><strong>de</strong>r</strong> Sinneseindrücke und die Fülle <strong><strong>de</strong>r</strong> sich oft wi<strong><strong>de</strong>r</strong>sprechen<strong>de</strong>n<br />
audiovisuellen Informationen verführen zu an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Sehgewohnheiten und selektiven<br />
Wahrnehmungsmustern. Kino wird nicht länger erfahren als ein Fenster zur Welt, durch<br />
das man Neues kennen lernen o<strong><strong>de</strong>r</strong> an frem<strong>de</strong>m Leben teilhaben kann, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n es<br />
alterniert zwischen virtuellem Umfeld, in das man eintaucht, und einer<br />
Benutzeroberfläche, über die man Informationen abruft. Daneben ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Bildschirm auch<br />
Schaufenster, in <strong>de</strong>m alles zu haben, alles <strong>zum</strong> Zerschlagen bzw. alles <strong>zum</strong> Greifen<br />
nahe ist.<br />
Allegorien <strong>de</strong>s körperlichen Sehens<br />
Betrachtet man nun aber diese Prozesse gegen die Folie <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong>geschichte, muß einem<br />
auffallen, daß – im Gegensatz zu Reitz' Meinung – das <strong>frühe</strong> Kino eigentlich <strong>de</strong>m<br />
zukünftigen in vieler Hinsicht ähnlicher ist als <strong>de</strong>m 'klassischen' <strong>Erzählkino</strong>, das nun auch<br />
angeblich <strong><strong>de</strong>r</strong> Vergangenheit anheimfällt. Der Zustand <strong><strong>de</strong>r</strong> uns geläufigen Rezeption – in<br />
Andacht, Stille und Konzentration – ist aus historischer Sicht ein recht wi<strong><strong>de</strong>r</strong>sprüchliches<br />
Verhalten, das erstens nicht natürlich, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n in gewisser Weise anerzogen o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
angelernt ist und, zweitens eng verbun<strong>de</strong>n mit <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong>sprache o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong>form, die wir die<br />
Hollywood-Norm zu nennen gewohnt sind, die wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um ohne die industrielle<br />
Organisation, die wir die <strong>Film</strong>wirtschaft nennen, kaum entstan<strong>de</strong>n wäre. Wir können<br />
schwer einem Rezeptionsmodus nachtrauern, <strong>de</strong>ssen historische Bedingungen so eng<br />
mit <strong><strong>de</strong>r</strong> für diese Nostalgie so zwiespältigen Hollywood-Ästhetik zusammenhängen.<br />
Weshalb in filmwissenschaftlichen Kreisen <strong><strong>de</strong>r</strong> Ruf nach 'weniger <strong>Film</strong>geschichte und<br />
mehr Kinogeschichte' laut gewor<strong>de</strong>n ist, während Reitz (allerdings noch zur Zeit <strong>de</strong>s<br />
Kinosterbens) programmatisch davon spricht, daß <strong>Film</strong>geschichte nicht an<br />
www.filmportal.<strong>de</strong> 2
Lichtspieltheater gebun<strong>de</strong>n ist. 5 Ein Zeitsprung zurück <strong>zum</strong> <strong>frühe</strong>n Kino, d.h. <strong>de</strong>m <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
10er Jahre und noch davor, scheint angebracht. War das, worüber wir uns heute<br />
Gedanken machen o<strong><strong>de</strong>r</strong> uns entrüsten, nicht alles schon einmal dagewesen Das<br />
Greifen nach <strong>de</strong>n Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong>zum</strong> Beispiel<br />
Erinnern wir uns an die vielen <strong>Film</strong>e aus <strong>de</strong>n Jahren um die Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>twen<strong>de</strong>, zuerst in<br />
<strong>de</strong>n USA, aber dann auch in an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Län<strong><strong>de</strong>r</strong>n, die uns einen tolpatschigen Zuschauer –<br />
einen sogenannten 'Rube' o<strong><strong>de</strong>r</strong> Einfaltspinsel – vorführten, <strong><strong>de</strong>r</strong> im Kino auf die Leinwand<br />
kletterte und entwe<strong><strong>de</strong>r</strong> das Bild greifen, hinter das Bild schauen o<strong><strong>de</strong>r</strong> sich zur schönen<br />
Dame ins Schlafzimmer gesellen wollte. Diese 'Uncle Josh'-<strong>Film</strong>e, wie sie auch hießen,<br />
sind ein überaus aufschlußreiches Phänomen <strong>de</strong>s <strong>frühe</strong>n Kinos, <strong>de</strong>nn es stellt sich die<br />
Frage: gab es überhaupt eine solche Verwechslung <strong><strong>de</strong>r</strong> Gegenstän<strong>de</strong> und Personen mit<br />
ihren Darstellungen – ähnlich wie die Berichte vom einfahren<strong>de</strong>n Zug, vor <strong>de</strong>m sich die<br />
Zuschauer <strong>zum</strong> Ausgang flüchteten 6 O<strong><strong>de</strong>r</strong> haben wir es hier nicht vielmehr schon mit<br />
einer doppelten Bezugsebene zu tun, die selbst eine 'Legen<strong>de</strong>' inszeniert 7 Ein sich<br />
selbst für sophisticated halten wollen<strong>de</strong>s Stadtpublikum kann erst einmal über die (so<br />
distanzierten und auch diffamierten) Dummen vom Dorf lachen. Dabei ist eine weitere<br />
Dimension <strong>de</strong>nkbar, die in erster Linie das Selbstverständnis <strong>de</strong>s Kinos betrifft, als<br />
Erfahrungs- und Erlebnisort ganz allgemein. Denn die Situation <strong>de</strong>s ,'nach <strong>de</strong>n Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
Greifens' im <strong>frühe</strong>n <strong>Film</strong> liegt noch etwas komplizierter, als es <strong>de</strong>n Anschein hat. 8<br />
Man könnte sich z.B. die Geschichte <strong><strong>de</strong>r</strong> Stereoskopie als weitverbreitete Unterhaltung<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> populären visuellen Kultur <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>ts in Erinnerung rufen, um einen<br />
Hinweis zu bekommen, wie stark das aufkommen<strong>de</strong> Kino fest etablierte Traditionen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Bildhaftigkeit mehr o<strong><strong>de</strong>r</strong> weniger bewußt unterdrückt und in Vergessenheit gebracht hat.<br />
Allerdings ist auch dies ein gradueller Vorgang. So gehört bei <strong>de</strong>n Gebrü<strong><strong>de</strong>r</strong>n Lumière<br />
die Überlagerung von Fotographie, Stereoskopie und leben<strong>de</strong>n Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>n noch <strong>zum</strong><br />
Grundgestus ihrer <strong>Film</strong>e. 9 Jonathan Crary hat in seinem Buch "Techniques oft the<br />
Observer" die Raum- und Körpererfahrungen, die das 19. Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>t mit <strong>de</strong>n Apparaten<br />
<strong>de</strong>s Sehens assoziierte, eingehend beschrieben, wobei er nachweisen konnte, wie stark<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Körper als perzeptuelles und motorisches Moment mit in <strong>de</strong>n Sehvorgang<br />
einbezogen war. 10 Auch Walter Benjamin hat in einer bekannten Stelle im Kunstwerk-<br />
Aufsatz auf die Körperlichkeit im Umgang mit <strong>de</strong>n Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>n verwiesen: "Die Dinge räumlich<br />
und menschlich näher zu bringen, ist ein genauso lei<strong>de</strong>nschaftliches Anliegen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
gegenwärtigen Massen, wie es ihre Ten<strong>de</strong>nz einer Überwindung <strong>de</strong>s Einmaligen je<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Gegebenheit durch die [photographische] Aufnahme von <strong><strong>de</strong>r</strong>en Reproduktion ist.<br />
Tagtäglich macht sich unabweisbarer das Bedürfnis geltend, <strong>de</strong>s Gegenstands aus<br />
nächster Nähe im Bild, vielmehr im Abbild in <strong><strong>de</strong>r</strong> Reproduktion, habhaft zu wer<strong>de</strong>n." 11<br />
Nehmen wir Benjamins Gedanke, das Anliegen <strong><strong>de</strong>r</strong> Massen sei, <strong><strong>de</strong>r</strong> Dinge habhaft zu<br />
wer<strong>de</strong>n, und zwar in <strong><strong>de</strong>r</strong> Form <strong>de</strong>s Abbilds, als zentralen Punkt, so scheint, daß hier<br />
sowohl ein Problem als auch seine Lösung angesprochen wer<strong>de</strong>n, <strong>zum</strong>in<strong>de</strong>st eine<br />
'Lösung' im Sinne <strong><strong>de</strong>r</strong> Institution 'Kino' und <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong>-Industrie, die die Dinge 'näher bringt'.<br />
Darüberhinaus aber <strong>de</strong>utet Benjamin auch <strong>de</strong>n historischen Grund <strong>de</strong>s Problems an, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
eine solche technische Lösung, wie sie das Kino ermöglicht, nötig macht, nämlich die<br />
Fetisch-Form <strong><strong>de</strong>r</strong> Ware, welche Nähe und Ungreifbarkeit prototypisch inszeniert.<br />
Eine kleine Szene aus <strong>de</strong>m ersten Teil von Fritz Langs "Die Nibelungen" (1924)<br />
ver<strong>de</strong>utlicht <strong>de</strong>n Vorgang in exemplarisch-allegorischer Weise. Nach<strong>de</strong>m Siegfried <strong>de</strong>n<br />
Hüter <strong>de</strong>s Nibelungenschatzes, Alberich, bezwungen hat, zeigt dieser ihm <strong>de</strong>n Schatz,<br />
www.filmportal.<strong>de</strong> 3
<strong><strong>de</strong>r</strong> auf einem Felsen wie auf einer Leinwand plötzlich als bewegtes Bild erscheint.<br />
Überwältigt von <strong><strong>de</strong>r</strong> Pracht, will Siegfried nach <strong>de</strong>m Schatz greifen, worauf dieser wie<br />
eine Fata Morgana verschwin<strong>de</strong>t. Hier wird noch einmal die <strong>Film</strong>tradition <strong>de</strong>s 'Rube'<br />
anzitiert, d.h. Siegfried, <strong><strong>de</strong>r</strong> 'Thumbe Thor' beweist sich als kinematographischer<br />
Einfaltspinsel. Allerdings spielt in die Szene schon die Vorstellung <strong>de</strong>s Schaufensters und<br />
damit ein ironischer Verweis auf eine mo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne Konsumkultur, zu <strong><strong>de</strong>r</strong>en fester<br />
Verankerung im Leben <strong>de</strong>s Mittelstands und <strong><strong>de</strong>r</strong> arbeiten<strong>de</strong>n Bevölkerung <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong> so<br />
viel beigetragen hat. In diesen eher kommerziellen als mythologischen Zusammenhang<br />
gehört dabei das klischeehaft eingesetzte Motiv <strong>de</strong>s Alberich als jüdischer Händler und<br />
Kaufhausbesitzer, in <strong>de</strong>m sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Schaubu<strong>de</strong>nbesitzer Caligari mit <strong>de</strong>m Mephisto aus<br />
Murnaus "Faust" verbin<strong>de</strong>t, um aus diesem Vorgaukeln <strong>de</strong>s 'Schatzes' auch eine<br />
Verbildlichung o<strong><strong>de</strong>r</strong> Allegorie <strong>de</strong>s Kinos an sich zu machen, als einer Maschine, die ein<br />
nie zu stillen<strong>de</strong>s Verlangen nach 'Habhaftwer<strong>de</strong>n' in seine Zuschauer einpflanzte und<br />
damit das Kino zur obsessionellen Wunschmaschine wer<strong>de</strong>n ließ.<br />
Als das Publikum das Greifen verlernte<br />
Man könnte daran ein be<strong>de</strong>nkenswertes Paradox festmachen, nach <strong>de</strong>m die Entwicklung<br />
<strong>de</strong>s Kinos weniger damit zu tun hätte, daß 'die Bil<strong><strong>de</strong>r</strong> laufen lernten' (wie es so oft heißt),<br />
son<strong><strong>de</strong>r</strong>n uns eher fragen läßt, wie es dazu kam, daß die Zuschauer das Greifen nach <strong>de</strong>n<br />
Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>n verlernt haben, warum es ihnen ausgetrieben <strong>wur<strong>de</strong></strong>,<br />
nicht zuletzt in<strong>de</strong>m man solche Impulse in <strong>de</strong>n 'Uncle Josh'-<strong>Film</strong>en <strong><strong>de</strong>r</strong> Lächerlichkeit<br />
preis gab.<br />
<strong>Wie</strong> muß man sich <strong>de</strong>n historischen Verlauf dieses Vorgangs und <strong>de</strong>ssen Bedingungen<br />
vorstellen Das <strong>frühe</strong> Kino ist seit rund 25 Jahren ein bevorzugtes Objekt <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
<strong>Film</strong>geschichte: ohne ein ebenso komplexes wie wi<strong><strong>de</strong>r</strong>sprüchliches Forschungsgebiet<br />
ungebührlich vereinfachen zu wollen, kann man <strong>de</strong>nnoch Konstanten ausmachen, wenn<br />
man die Konturen und Brüche zwischen <strong>de</strong>m <strong>frühe</strong>n –<br />
auch 'primitiv' genannten – Kino und <strong>de</strong>n 'klassischen' <strong>Film</strong>en ab 1917/1919 besser<br />
verstehen und nachzeichnen will. Vorab könnte man sagen, daß das <strong>frühe</strong> Kino in seiner<br />
Grundform 'theatral', 'szenisch-gestisch', performativ ist, im Gegensatz <strong>zum</strong> klassischen<br />
Kino als 'narrativ', transparent-illusionistisch, <strong><strong>de</strong>r</strong> aristotelischen Poetik im<br />
Handlungsaufbau und <strong><strong>de</strong>r</strong> Personenkonstruktion folgend. <strong>Film</strong>historiker sprechen<br />
<strong>de</strong>shalb auch beim <strong>frühe</strong>n <strong>Film</strong> von einem Kino <strong>de</strong>s 'Zeigens' (showing) und beim<br />
klassischen von einem Kino <strong>de</strong>s 'Erzählens' (telling). Noel Burch sprach von einer<br />
'präsentieren<strong>de</strong>n' und einer 'repräsentieren<strong>de</strong>n' Modalität, aber eingebürgert hat sich<br />
inzwischen die Terminologie von Tom Gunning, <strong><strong>de</strong>r</strong> in einem Fall von einem 'Kino <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Attraktionen' und im an<strong><strong>de</strong>r</strong>en vom 'Kino <strong><strong>de</strong>r</strong> narrativen Integration' spricht: "Diese Begriffe<br />
[Kino <strong><strong>de</strong>r</strong> Attraktionen/Kino <strong><strong>de</strong>r</strong> narrativen Integration] stellen einen Versuch dar, zwei<br />
<strong>frühe</strong>re Ansätze zu überwin<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>nen zuvor versucht wor<strong>de</strong>n war, die Geschichte<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong>formen vor <strong><strong>de</strong>r</strong> Einführung <strong>de</strong>s langen Spielfilms zu verstehen. Der erste (und<br />
heute am meisten diskreditierte) Ansatz war, eine sich linear fortschreiben<strong>de</strong> Entwicklung<br />
anzunehmen, die ,wesentlich auf <strong>de</strong>n Eureka-Momenten und Erfindungen genialer<br />
Einzelpersonen beruhend, von <strong>de</strong>n primitiven Formen <strong>de</strong>s <strong>Film</strong>emachens <strong>zum</strong> späteren<br />
narrativen Stil führte. Der zweite Ansatz (etwas eleganter, aber <strong>de</strong>nnoch irreführend, wie<br />
ich meine) hat diesen Wan<strong>de</strong>l als das sich Wegbewegen von theatralischen Formen zu<br />
einem mehr filmischen Umgang mit <strong>de</strong>m Erzählstoff verstan<strong>de</strong>n." 12<br />
Gunnings so zentraler Artikel wird inzwischen als einer <strong><strong>de</strong>r</strong> einflußreichsten aber auch<br />
umstrittensten Versuche angesehen, die Eigenheit <strong>de</strong>s <strong>frühe</strong>n Kinos neu zu bestimmen. 13<br />
www.filmportal.<strong>de</strong> 4
So <strong>wur<strong>de</strong></strong> er von feministischen Kritikerinnen aufgenommen, um die verschie<strong>de</strong>nen<br />
Formen <strong>de</strong>s exhibitionistischen Bil<strong>de</strong>s als geschlechterspezifisches Merkmal zu <strong>de</strong>uten. 14<br />
Aber auch Theoretiker <strong>de</strong>s postklassischen Hollywoodkinos, <strong>de</strong>nen – wie schon erwähnt<br />
– das geän<strong><strong>de</strong>r</strong>te Verhältnis von Geschichten-Erzählen zu <strong>de</strong>n special effects in <strong>de</strong>n<br />
Superspektakeln <strong><strong>de</strong>r</strong> neunziger Jahre aufgefallen ist, glauben im <strong>frühe</strong>n 'Kino <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Attraktionen' eine historische Parallele ent<strong>de</strong>ckt zu haben. 15 So liefert die 'neue<br />
<strong>Film</strong>geschichte' (new film history) eine Reihe – vielleicht schon wie<strong><strong>de</strong>r</strong> zu viele –<br />
hauptsächlich formal bestimmter Gegensatzpaare, die sich jedoch ebenso vom<br />
Zuschauer her, d.h. vom Kino als Erfahrungsort aus, konkretisieren lassen, wobei <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Hintergrund dieser Unterschie<strong>de</strong> auch für die heutige Situation zu neuen Einsichten<br />
führen könnte.<br />
Man hat es nämlich im Kino letztlich mit zwei ihrem Wesen nach entgegengesetzt<br />
konstituierten Räumen zu tun, <strong>de</strong>m Bild- und Projektionsraum (screen-space) und <strong>de</strong>m<br />
Zuschauer-Raum (auditorium-space). Während beim Theater das Auditorum<br />
architektonisch und physisch mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Bühne eine Einheit bil<strong>de</strong>t, die erst durch szenische<br />
Mittel (Vorhang, Rampe, Schnürbo<strong>de</strong>n, Orchester-Graben usw.) vom Zuschauer getrennt<br />
wird, sind die bei<strong>de</strong>n Räume im Kino grundsätzlich voneinan<strong><strong>de</strong>r</strong> getrennt – und gera<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>shalb wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um eng auf einan<strong><strong>de</strong>r</strong> bezogen, mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Ten<strong>de</strong>nz, sie immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
illusionistisch o<strong><strong>de</strong>r</strong> durch an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Formen <strong><strong>de</strong>r</strong> Sinnstimulierung, Wahrnehmungslenkung<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> kognitiven Manipulation im Kopf o<strong><strong>de</strong>r</strong> Körper <strong>de</strong>s Zuschauers verschmelzen zu<br />
lassen. Zu <strong>de</strong>nken wäre hier beim heutigen Kino weniger an die Erweiterung <strong>de</strong>s<br />
Blickfelds durch Breitwand, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n an die Art, wie sich das Raumgefühl seit Einführung<br />
<strong>de</strong>s Dolby-Stereo und <strong>de</strong>s Multi-Kanal-Soundtracks verän<strong><strong>de</strong>r</strong>t hat: man soll die Illusion<br />
haben, 'im Bild drin' o<strong><strong>de</strong>r</strong> vom Bild selbst umgeben zu sein.<br />
Aus dieser Perspektive erscheint das <strong>frühe</strong> Kino zwar nicht als Vorwegnahme solcher<br />
Sehgewohnheiten, <strong>de</strong>nnoch klingt in <strong><strong>de</strong>r</strong> Vorführpraxis <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten Dezennien die später<br />
bei Kracauer und Benjamin geführte Diskussion über <strong>de</strong>n 'Kult <strong><strong>de</strong>r</strong> Zerstreuung' schon<br />
an. Man könnte fast sagen, ehe das Kino <strong>de</strong>m Zuschauer das Greifen nach <strong>de</strong>n Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
hat abgewöhnen können, hat es seinem Publikum erst beibringen müssen, auf Stühlen<br />
sitzen zu bleiben und <strong>de</strong>n Blick auf die Leinwand zu konzentrieren. Die ersten<br />
La<strong>de</strong>nkinos waren Ausschank-Kinos und hatten oft gar keine Stuhlreihen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
Tische und Stühle, so daß die uns heute geläufige Kinobestuhlung nicht nur im Zeichen<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Imitation <strong>de</strong>s Theaters durch seinen anrüchigen Neffen, <strong>de</strong>n Kintopp, stand, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
auch auf eine Art Reglementierung <strong>de</strong>s Publikums hinwies, das mit <strong>de</strong>n festen Sitzreihen<br />
zu einer gewissen Ordnung gezwungen <strong>wur<strong>de</strong></strong>. Es gibt hierzu ein recht aufschlußreiches<br />
Dokument <strong>zum</strong> <strong>frühe</strong>n Kino als polymorphem Erlebnis-Ort, <strong>de</strong>n 1907 veröffentlichten<br />
Bericht <strong><strong>de</strong>r</strong> Kommission für 'Leben<strong>de</strong> Photographien', in Auftrag gegeben von <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Gesellschaft <strong><strong>de</strong>r</strong> Freun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s vaterländischen Schul- und Erziehungswesens zu<br />
Hamburg. In ihren Bemühungen, die Öffentlichkeit von <strong><strong>de</strong>r</strong> Schädlichkeit <strong>de</strong>s Kinos für<br />
die Jugend zu überzeugen, hat die Kommission einen sehr ins Anschauliche und Detail<br />
gehen<strong>de</strong>n Bericht über die konkreten Zustän<strong>de</strong> überliefert. So <strong>wur<strong>de</strong></strong> z.B. in <strong>de</strong>n Kinos<br />
geraucht, Bier getrunken, in Schmöker-Heften gelesen, Süßigkeiten verzehrt: "In<br />
allerletzter Zeit sah ich, wie 6 höhere Schüler aus einem Theater <strong><strong>de</strong>r</strong> leben<strong>de</strong>n<br />
Photographien durch <strong>de</strong>n Kellner hinausgewiesen <strong>wur<strong>de</strong></strong>n, weil sie die Vorstellung durch<br />
allerlei Ulk störten. Auch [macht sich] <strong><strong>de</strong>r</strong> Verkauf von Näschereien, sowie das<br />
Zigarettenrauchen <strong><strong>de</strong>r</strong> Knaben und ihr Lesen <strong><strong>de</strong>r</strong> bekannten bunten Schundbücher in<br />
<strong>de</strong>n Pausen [unangenehm bemerkbar]." 16<br />
www.filmportal.<strong>de</strong> 5
Offensichtlich gab es ein 'Leben in <strong><strong>de</strong>r</strong> Bu<strong>de</strong>', gegen das sich die <strong>Film</strong>e behaupten<br />
mußten. Dabei scheint das marketing und <strong><strong>de</strong>r</strong> hard sell schon in vollem Gange gewesen<br />
zu sein:<br />
"Bald ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Raum voll Qualm, die Luft ist verbraucht. Die Kellner haben Arbeit o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
bieten sich aufdringlich an. Erwachsene lassen die sie begleiten<strong>de</strong>n Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> einmal<br />
nippen von ihrem Glase, diese aber ziehen es gewöhnlich vor, <strong>de</strong>n erbettelten Groschen<br />
in <strong>de</strong>n Automat zu stecken. Einmal kam ich gegen halb elf Uhr und setzte mich neben<br />
zwei Jungen, welche vor einem Glase Bier saßen und rauchten. Sie kannten schon fast<br />
alle Bil<strong><strong>de</strong>r</strong> und wollten hauptsächlich die neu-erschienenen sehen. Die bei<strong>de</strong>n waren<br />
Austräger und gegen 10 Uhr von ihren letzten Gängen zurückgekommen." 17<br />
Natürlich waren <strong>de</strong>n Kinoreformern die im Schutze <strong><strong>de</strong>r</strong> Dunkelheit (aber auch ohne sie)<br />
offen getriebene Unmoral ein beson<strong><strong>de</strong>r</strong>er Dorn im Auge: "Peinlich war es zu sehen, wie<br />
einige höhere Schüler die Theater <strong><strong>de</strong>r</strong> leben<strong>de</strong>n Photographien ausnutzten. Ich fand<br />
regelmässig solche junge Herren, die sich mit ihren Flammen aus besseren Kreisen in<br />
eine Saalecke zurückgezogen hatten, um sich während <strong><strong>de</strong>r</strong> Vorstellung beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s<br />
lebhaft und unbeobachtet [dachten sie wenigsten – möchte man da hinzufügen] zu<br />
unterhalten. Früher waren die Pärchen auf die Strasse angewiesen, z.B. auf <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Eimbütteler Chaussee. Volksschülerinnen sah man selten unter ihnen, <strong>de</strong>nn es gilt in<br />
ihren Kreisen für anstößig, mit einem 'Poussierstengel' auf <strong>de</strong>m Bürgersteig auf und<br />
abzugehen." 18<br />
So gesehen, könnte die Geschichte <strong>de</strong>s Kinos tatsächlich als eine Art Ethnographie <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Geschlechterwerbung in <strong><strong>de</strong>r</strong> westlichen Welt geschrieben wer<strong>de</strong>n, wie man sie schon als<br />
Fußnote zur Geschichte <strong><strong>de</strong>r</strong> Chicagoer Schlachthäuser zitiert hat, <strong>de</strong>nn dort <strong>wur<strong>de</strong></strong>n die<br />
ersten Klima-Anlagen entwickelt, die ziemlich bald von <strong>de</strong>n Kinopalästen <strong><strong>de</strong>r</strong> Großstädte<br />
übernommen <strong>wur<strong>de</strong></strong>n, wo auch in <strong>de</strong>n kalten Wintern das Kino oft die billigste Heizung<br />
darstellte." 19<br />
Das vielleicht herausragendste Merkmal <strong>de</strong>s <strong>frühe</strong>n Kino-Erlebnisses war die Musik bzw.<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Ton, die Geräusche und <strong><strong>de</strong>r</strong> Kommentar. Auch dies ist ein historischer Vorgang voller<br />
Paradoxe. Lange Zeit glaubte man zu wissen, daß <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>frühe</strong> <strong>Film</strong> stumm war. Danach<br />
stellte sich heraus, daß fast überall – und dies seit <strong>de</strong>n Anfängen <strong>de</strong>s bewegten Bilds –<br />
begleiten<strong>de</strong> Musik, oft sogar ein gesprochener Kommentar <strong>de</strong>s Kino-Erklärers o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
ausgefeilte Geräusch-Effekte das Kino-Erlebnis mitbestimmten. Nun ist in <strong>de</strong>n letzten<br />
Jahren auch diese Erkenntnis einer Revision unterzogen wor<strong>de</strong>n: 'stumme <strong>Film</strong>e' gab es<br />
anscheinend doch, die sich – für die Zuschauer wohltuend – absetzten von einer Unzahl<br />
stören<strong><strong>de</strong>r</strong> o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>zum</strong>in<strong>de</strong>st unpassen<strong><strong>de</strong>r</strong> Geräusche. Hält man sich an <strong>de</strong>n Bericht <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Hamburger Kommission, herrschte eine kakophon-babylonische Konfusion von Ton,<br />
Musik und Sprache vor, die oft zu handfester Kritik geführt hat: "Auch sei hingewiesen<br />
auf die lärmen<strong>de</strong> Musik, meistens durch Orchestrions vorgetragen – eines dieser<br />
Instrumente spielte während <strong><strong>de</strong>r</strong> Vorführung eines amerikanischen Pfer<strong>de</strong>-Diebstahls<br />
u.a. 'Wir treten <strong>zum</strong> Beten'."<br />
O<strong><strong>de</strong>r</strong>: "Die Räume waren mit Ausnahme eines in St Pauli schlecht gelüftet [...] und mit<br />
Tabaksdünsten erfüllt. Die die Darstellungen begleiten<strong>de</strong> Musik war mechanisch,<br />
ohrenbetäubend und <strong>de</strong>m Charakter <strong>de</strong>s Vorgeführten selten entsprechend. Nur in einem<br />
Theater <strong>wur<strong>de</strong></strong>n die Darbietungen von einem Klavierspieler passend begleitet." 20<br />
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Selbst die Anwesenheit einer Pianistin bot keine Gewähr für passen<strong>de</strong> Musik, wie zwei<br />
bei Rick Altman zitierte satirische Zeichnungen aus <strong>de</strong>m amerikanischen Fachblatt<br />
Moving Picture World vom Januar 1911 belegen, wobei an<strong>zum</strong>erken wäre, daß die<br />
Karikaturen selbst im 'zeigen<strong>de</strong>n' Modus <strong>de</strong>s <strong>frühe</strong>n <strong>Film</strong>s gezeichnet sind! 21<br />
Der Zuschauerraum als Kollektiv<br />
Eingehend hat <strong><strong>de</strong>r</strong> britische Historiker Nicholas Hiley über die Maßnahmen <strong><strong>de</strong>r</strong> Londoner<br />
Behör<strong>de</strong>n recherchiert, dieses die Volksmoral zersetzen<strong>de</strong> Durcheinan<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Körper<br />
und Sinne, Bedürfnisse und Begier<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>s Essens und Schauens, <strong>de</strong>s Grabschens und<br />
Glotzens durch Hygiene-Vorschriften, Ausschank-Lizensen, Ozon-Spen<strong><strong>de</strong>r</strong> und<br />
feuerpolizeiliche Maßnahmen unter Kontrolle zu bekommen. So mußte <strong>zum</strong> Beispiel in<br />
<strong>de</strong>n Westend-Kinos alle zwei Stun<strong>de</strong>n ein beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s dafür angestellter Bediensteter mit<br />
einer Flittspritze <strong>de</strong>n Saal <strong>de</strong>sinfizieren bzw. parfümieren – gegen <strong>de</strong>n oft lauthals<br />
geäußerten Protest <strong><strong>de</strong>r</strong> anwesen<strong>de</strong>n Besucher. 22<br />
Hiley ist einer <strong><strong>de</strong>r</strong> Historiker, die die Ten<strong>de</strong>nz hin zur Kinogeschichte und weg von <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
<strong>Film</strong>geschichte bis auf die Spitze treiben. Für ihn sind die <strong>Film</strong>e als <strong>Film</strong>e letztlich kein<br />
Gegenstand historischer Forschung. Gelegentlich beruft er sich dabei auch auf einen in<br />
<strong>de</strong>n sechziger Jahren, als man noch vom allgemeinen Kinosterben sprach, angeblich<br />
gemachten Ausspruch eines Kinobesitzers: "Wenn ich 400 Leute zwei Stun<strong>de</strong>n lang in<br />
einen Aufzug sperren und ihnen coke und popcorn verkaufen könnte, entspräche das<br />
meinem Beruf besser, als <strong>Film</strong>e zu zeigen." 23<br />
Die Entscheidung, das Kino-Erlebnis fast vollkommen von <strong>de</strong>n <strong>Film</strong>en selbst<br />
abzukoppeln – so sehr sie als ein wichtiger Schritt <strong><strong>de</strong>r</strong> Neuen <strong>Film</strong>geschichte berechtigt<br />
war – ist hier fast schon wie<strong><strong>de</strong>r</strong> zu einer Marotte gewor<strong>de</strong>n. Denn wie oben ange<strong>de</strong>utet,<br />
kann es nicht darum gehen, <strong>de</strong>n Zuschauerraum als autonom zu <strong>de</strong>finieren, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />
festzustellen, wie nun diese Verbindung <strong>de</strong>s konkreten Auditoriums mit <strong>de</strong>m imaginären<br />
Bild- und Projektionsraum tatsächlich funktioniert und wieweit dieses Verhältnis<br />
historischen Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen unterliegt So ist evi<strong>de</strong>nt, daß Spuren einer Haltung, die ein<br />
ablenkbares Publikum im Zustand <strong><strong>de</strong>r</strong> kollektiven Rezeption ansprechen, in <strong>de</strong>n <strong>frühe</strong>n<br />
<strong>Film</strong>en selbst zu fin<strong>de</strong>n sind. Unter <strong>de</strong>n vielen Kennzeichen sei u.a. die Funktion <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Großaufnahmen genannt: Frühe Beispiele <strong><strong>de</strong>r</strong> Großaufnahme, wie in "The Little Doctor"<br />
(G.A. Smith, 1900), "The Gay Shoe Clerk" (E.S. Porter, 1903) o<strong><strong>de</strong>r</strong> "Mary Jane's Mishap"<br />
(G.A. Smith, 1903) dürfen z.B. nicht mit (klassischen) point of view-Einstellungen<br />
verwechselt wer<strong>de</strong>n. <strong>Wie</strong> Noel Burch bemerkt, gehören sie <strong>zum</strong> Gestus <strong>de</strong>s Zeigens,<br />
<strong>de</strong>nn sie "dienen ausschließlich <strong>de</strong>m Zweck, signifikante Details hervorzuheben." 24 Die<br />
Insert-Großaufnahme hat damit wenig mit filmischem Voyeurismus zu tun, was auf eine<br />
individualisieren<strong>de</strong>, subjektive Rezeptionsweise <strong>de</strong>utet, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n gehört eher zu einer<br />
Logik <strong><strong>de</strong>r</strong> Demonstration, <strong>de</strong>s Kommentars und <strong>de</strong>s Vorzeigens: so z.B. in "Grandma's<br />
Reading Glasses" (G.A. Smith, 1900).<br />
Ebenfalls dazuzurechnen ist <strong><strong>de</strong>r</strong> konspirative Blick in die Kamera, oft zu fin<strong>de</strong>n bei leicht<br />
gewagten Sujets, z.B. <strong>Film</strong>en, in <strong>de</strong>nen männliche Darsteller <strong><strong>de</strong>r</strong> Kamera noch einen<br />
Seitenblick zuwerfen, ehe sie sich auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Strasse, im Café o<strong><strong>de</strong>r</strong> im Boudoir einer Dame<br />
nähern. Man fin<strong>de</strong>t diesen Blick jedoch merkwürdigerweise auch in ganz an<strong><strong>de</strong>r</strong>en <strong>Film</strong>en,<br />
so z.B. in "Mary Jane's Mishap", einem <strong>Film</strong>, in <strong>de</strong>m sich ein Küchenmädchen beim<br />
Anzün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Herds mittels Paraffin selbst zur Explosion bringt. Die Paraffinflasche<br />
greifend dreht sie sich mit <strong>de</strong>m Gesicht zur Kamera, lacht selbstzufrie<strong>de</strong>n über ihre<br />
www.filmportal.<strong>de</strong> 7
eigene Findigkeit, ehe sie im nächsten Bild in einer Rauchwolke durch <strong>de</strong>n Kamin<br />
himmelwärts schiesst.<br />
Schließlich ist die galante Verbeugung in die Kamera Zeichen eines beson<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />
Verhältnis zu <strong>de</strong>n imaginierten Zuschauern. Oft zu fin<strong>de</strong>n bei Méliès; selbst wenn es sich<br />
nicht ausdrücklich um Zaubertricks und magische Verwandlungen han<strong>de</strong>lt, imitiert sie die<br />
Theaterbühne. In Anlehnung daran, aber fast noch makabrer als "Mary Jane's Mishap",<br />
taucht sie in einem Messter-<strong>Film</strong> ohne Titel aus <strong>de</strong>m Jahre 1901 auf: wir sehen ein<br />
Lazarett o<strong><strong>de</strong>r</strong> Krankenhausbett. Umringt von Personal führt <strong><strong>de</strong>r</strong> Chefarzt fachgerecht mit<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> chirurgischen Säge eine Beinamputation aus. Der Patient wird von zwei Helfern<br />
nie<strong><strong>de</strong>r</strong>gehalten. Wir sehen das unterhalb <strong>de</strong>s Knies abgetrennte Bein, <strong><strong>de</strong>r</strong> Chirurg legt<br />
<strong>de</strong>n blutstillen<strong>de</strong>n Verband an und bin<strong>de</strong>t eine Schleife, worauf er sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Kamera<br />
zuwen<strong>de</strong>t, zufrie<strong>de</strong>n lächelt, während sein Oberkörper sich leicht nach vorn beugt, als ob<br />
es sich tatsächlich um ein beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s gelungenes Kunststück im Zirkus han<strong>de</strong>lte o<strong><strong>de</strong>r</strong> als<br />
ob er <strong>de</strong>n imaginierten Beifall seiner Stu<strong>de</strong>nten gnädigst in Empfang nähme. 25<br />
Die Fremdheit solcher Momente im <strong>frühe</strong>n <strong>Film</strong> hat Archivare und <strong>Film</strong>wissenschaftler<br />
manchmal in Verlegenheit gebracht. Auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Suche nach <strong>de</strong>n 'Vätern' <strong>de</strong>s richtigen<br />
<strong>Erzählkino</strong>s <strong>wur<strong>de</strong></strong>n abweichen<strong>de</strong> Beispiele entwe<strong><strong>de</strong>r</strong> als 'primitiv' in die Vorgeschichte<br />
verlegt o<strong><strong>de</strong>r</strong> im Sinne einer zielgerichteten Entwicklung zurechtgebogen. Einer <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
bekanntesten Fälle solcher bestimmt unbeabsichtigten und <strong>de</strong>shalb beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s<br />
aufschlußreichen Geschichtskorrektur ist Edwin S. Porters "The Life of an American<br />
Fireman" (1903), <strong><strong>de</strong>r</strong> in <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong>geschichte lange als beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s 'mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nes' Beispiel <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Parallel-Montage und <strong>de</strong>s Schnitts (d.h. <strong>de</strong>s klassischen continuity editing) galt, bis sich<br />
in <strong>de</strong>n siebziger Jahren eine ganz an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Fassung <strong>de</strong>s <strong>Film</strong>s fand und man feststellte,<br />
daß <strong><strong>de</strong>r</strong> damalige Curator <strong>de</strong>s Museum of Mo<strong><strong>de</strong>r</strong>n Art in New York, Lewis Jacobs, <strong>de</strong>n<br />
<strong>Film</strong> in <strong>de</strong>n späten dreißiger Jahren ummontiert und einige Einstellungen, die ihm für das<br />
Verständnis <strong><strong>de</strong>r</strong> Handlung überflüssig erschienen – weil sie die gleiche Handlung<br />
zweimal zeigen, einmal von innen und dann noch einmal von außen –<br />
'herausgeschnitten' hatte. 26 Aber damit hat er we<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>m Regisseur noch <strong><strong>de</strong>r</strong> Nachwelt<br />
einen Dienst erwiesen. Gera<strong>de</strong> die ursprüngliche Fassung stellte sich als äußerst<br />
aufschlußreich heraus, allerdings für ein Auge, das seine Sehgewohnheiten an einem<br />
ganz an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Medium geschult hatte.<br />
Paradoxerweise war es nämlich das Fernsehens, insbeson<strong><strong>de</strong>r</strong>e die Sportschau, die uns<br />
<strong>de</strong>n Sinn und die Eigenheit <strong><strong>de</strong>r</strong> Porterschen Sehweise wie<strong><strong>de</strong>r</strong> verständlich gemacht<br />
haben. Denn er hat sein 'Leben <strong>de</strong>s Feuerwehrmanns' nach <strong>de</strong>m Prinzip <strong>de</strong>s actionreplay,<br />
also <strong><strong>de</strong>r</strong> kommentierten <strong>Wie</strong><strong><strong>de</strong>r</strong>holung <strong><strong>de</strong>r</strong> Höhepunkte z.B. eines Fußballspiels<br />
(<strong><strong>de</strong>r</strong> Torchancen o<strong><strong>de</strong>r</strong> Treffer) inszeniert: Porter konnte davon ausgehen, daß sein <strong>Film</strong><br />
unter Vorführbedingungen gezeigt wür<strong>de</strong>, die die Anwesenheit eines Kino-Erklärers<br />
einbegriff: <strong>de</strong>ssen Kommentar zu <strong><strong>de</strong>r</strong> erfolgreichen Rettungsaktion einer Frau und ihrem<br />
Kind aus einem brennen<strong>de</strong>n Haus lieferte Porters <strong>Film</strong> die Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>!<br />
Aus vielen ähnlichen Beispielen kann geschlossen wer<strong>de</strong>n, daß die <strong>frühe</strong>n <strong>Film</strong>e<br />
Geschehnisse und Handlungen erst einmal 'darstellen'. Das 'Erzählen' überließen sie<br />
<strong>zum</strong>in<strong>de</strong>st teilweise <strong>de</strong>n externen Faktoren <strong><strong>de</strong>r</strong> Vorführung, wie <strong>de</strong>m Erklärer o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Programmierung durch <strong>de</strong>n Kinobetreiber. Ein beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s bekanntes Beispiel fin<strong>de</strong>t sich<br />
wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um bei Porter. Dessen "The Great Train Robbery" (1903), bei <strong>de</strong>m das Bild <strong>de</strong>s<br />
direkt in die Kamera feuern<strong>de</strong>n Banditen am Anfang, in <strong><strong>de</strong>r</strong> Mitte und am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s <strong>Film</strong>s<br />
gezeigt wer<strong>de</strong>n konnte, hat auch in dieser Hinsicht Berühmtheit erlangt. 27<br />
www.filmportal.<strong>de</strong> 8
Eine weitere Folgerung wäre, daß diese <strong>Film</strong>e – fast so direkt wie die, <strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />
Protagonisten <strong><strong>de</strong>r</strong> Kamera <strong>de</strong>n Blick zuwen<strong>de</strong>n – sich ihr Publikum ebenfalls als physisch<br />
im Saal präsentes Kollektiv vorstellen. In<strong>de</strong>m sie es direkt ansprechen wollen, um damit<br />
die Trennung <strong><strong>de</strong>r</strong> Raumkonstellation aufzuheben, verfallen sie auf Stil- und<br />
Darstellungsmittel <strong>de</strong>s Performativen (unter <strong>de</strong>nen <strong><strong>de</strong>r</strong> direkte Blickkontakt nur das<br />
evi<strong>de</strong>nteste ist), die heute wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um die anscheinen<strong>de</strong> 'Naivität' solcher Versuche umso<br />
drastischer vor Augen führen. An<strong><strong>de</strong>r</strong>erseits markiert unsere vermeintliche Überlegenheit<br />
wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um die Distanz, die uns vom Publikum <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten Kinos noch mehr trennt als von<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong>en <strong>Film</strong>en. Um André Gaudreault zu zitieren: "Frühe <strong>Film</strong>emacher behan<strong>de</strong>lten mehr<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> weniger bewußt je<strong>de</strong> Einstellung als eigenständige Einheit; das Objekt <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Einstellung sollte nicht ein kleines zeitliches Segment sein, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n vielmehr eine<br />
ganzheitliche Handlung, die sich in einem homogenen Raum entfaltete. Zwischen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Einheit <strong>de</strong>s gewählten räumlichen point of view und <strong><strong>de</strong>r</strong> Einheit <strong><strong>de</strong>r</strong> zeitlichen Kontinuität<br />
hat erstere <strong>de</strong>n Vorrang. Bevor sich die Kamera einem zweiten Aufnahmeort zuwen<strong>de</strong>t,<br />
wird alles, was am ersten Ort geschah, bis zur Entleerung <strong>de</strong>s Bildraums gezeigt. Die<br />
räumliche Beharrung siegt über die Logik <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit." 28<br />
Geht man also von <strong><strong>de</strong>r</strong> Annahme aus, daß die Handlungseinheit <strong>de</strong>s <strong>frühe</strong>n <strong>Film</strong>s das<br />
Tableau o<strong><strong>de</strong>r</strong> die Szene ist, in <strong><strong>de</strong>r</strong> das Geschehen immer als Ganzes vorgeführt wird<br />
(und nicht wie im klassischen Stil, durch Montage auf seine logisch, zeitlich o<strong><strong>de</strong>r</strong> räumlich<br />
notwendigen Teilaspekte verkürzt), so fügen sich viele dieser visuellen Versuche, <strong>de</strong>n<br />
Handlungsverlauf voranzutreiben, zu einem durchaus kohärenten Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s Erzählens<br />
durch Zeigen und <strong><strong>de</strong>r</strong> Einbindung <strong>de</strong>s Zuschauers durch <strong>de</strong>n Gestus <strong>de</strong>s konspirativen<br />
Einverständnisses und <strong><strong>de</strong>r</strong> Teilnahme. Daneben arbeitete das <strong>frühe</strong> Kino mit einer<br />
'Ästhetik <strong><strong>de</strong>r</strong> Überraschung' und nicht mit suspense. 29<br />
Solche Gegenüberstellungen heben auch hervor, daß eine <strong><strong>de</strong>r</strong> Attraktionen <strong>de</strong>s <strong>frühe</strong>n<br />
Kinos im Apparat selbst begrün<strong>de</strong>t lag, unabhängig vom Gezeigten, wobei die<br />
Faszination <strong>de</strong>s letzteren für das Publikum bei <strong>de</strong>n Bewegungen und Blickfängen lag, die<br />
das Kino zeigen konnte, ohne daß diese eingebettet sein mußten in eine bestimmte<br />
Erzählform: bei <strong>de</strong>n Lumière-<strong>Film</strong>en <strong>zum</strong> Beispiel <strong>wur<strong>de</strong></strong> immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong> das Rascheln <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Blätter o<strong><strong>de</strong>r</strong> das sich Kräuseln <strong>de</strong>s Rauchs als beson<strong><strong>de</strong>r</strong>e thrills beschrieben. 30 Diese<br />
Performativität <strong><strong>de</strong>r</strong> Natur unterstreicht, wie sehr im 'Kino <strong><strong>de</strong>r</strong> Attraktionen' die Interaktion<br />
zwischen Personen auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Leinwand und <strong>de</strong>m Publikum oft auf <strong>de</strong>m bewußten,<br />
lustbetonten Exhibitionismus <strong><strong>de</strong>r</strong> Schauspieler beruhte und nicht – wie im 'klassischen'<br />
Kino – auf <strong>de</strong>m uneingestan<strong>de</strong>nen Voyeurismus <strong><strong>de</strong>r</strong> Zuschauer. Solche Beobachtungen<br />
kontextualisieren und historisieren die oft negativ intendierte Bemerkung, daß im<br />
heutigen Kino und Fernsehen nur noch 'Show' vorherrsche. Der <strong>frühe</strong> <strong>Film</strong> aber zeigt,<br />
wie wichtig es ist, das Performative von <strong><strong>de</strong>r</strong> Narrativisierung zu unterschei<strong>de</strong>n, und wie<br />
schwierig es ist, diese bei<strong>de</strong>n Modi <strong><strong>de</strong>r</strong> affektiven Kommunikation strikt voneinan<strong><strong>de</strong>r</strong> zu<br />
trennen o<strong><strong>de</strong>r</strong> gegeneinan<strong><strong>de</strong>r</strong> auszuspielen.<br />
Daß auch die Kinobetreiber ihr Publikum als kollektives verstan<strong>de</strong>n haben, ergibt sich<br />
aus verschie<strong>de</strong>nen Indizien, die <strong>Film</strong>historiker immer häufiger <strong><strong>de</strong>r</strong> damaligen Fachpresse<br />
entnehmen. So hat z.B. Ben Brewster mehrere Umfragen in Branchenblättern <strong><strong>de</strong>r</strong> zehner<br />
Jahre analysiert, bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Kinobesitzer wissen wollten, was nun die 'korrekte' Größe <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Leinwand sein müßte für eine optimale Projektion. 1908 hieß die Antwort:<br />
www.filmportal.<strong>de</strong> 9
"Leinwand und Projektor sollten so angeordnet sein, daß die Personen in Lebensgröße<br />
projiziert erscheinen; [aber schon im] Jahre 1915 wird [<strong>de</strong>n Kinobetreibern] geraten, die<br />
Größe <strong><strong>de</strong>r</strong> Leinwand im Verhältnis zur Größe <strong>de</strong>s Saales zu variieren. Die <strong>frühe</strong>re<br />
Position hat also ein literarisches, theatralisches Konzept <strong>de</strong>s dargestellten Raumes, in<br />
<strong>de</strong>m die Leinwand ein Fenster ist, hinter <strong>de</strong>m die Protagonisten in einem meßbaren<br />
Abstand zu <strong>de</strong>n Zuschauern stehen. Im späteren Ratschlag von 1915 wird das <strong>Film</strong>bild<br />
nicht absolut son<strong><strong>de</strong>r</strong>n in Relation gesetzt, so daß die (relative) Entfernung zwischen<br />
Zuschauern und Protagonisten die eigentliche Variabel ist, auf die es ankommt." 31<br />
Das be<strong>de</strong>utet, daß vor 1915 die Relation <strong>de</strong>s Zuschauers <strong>zum</strong> projizierten Bild die <strong>de</strong>s<br />
Theaters, <strong>de</strong>s Varietés und <strong><strong>de</strong>r</strong> Kleinkunst zu imitieren suchte, während sich danach,<br />
also im Übergang <strong>zum</strong> 'klassischen' <strong>Erzählkino</strong>, das Kino ein ganz ihm eigenes<br />
Raumgefühl herstellen wollte, wobei das wichtigste Moment die Konstruktion einer<br />
einzigen Perspektive für alle Zuschauer war, unabhängig von ihrer Plazierung im Saal.<br />
Das heißt aber auch, daß damit <strong><strong>de</strong>r</strong> Zuschauer als einzelner, individualisierter und<br />
isolierter gesehen und in dieser Form auch angesprochen wird: je<strong><strong>de</strong>r</strong> Zuschauer hat von<br />
nun an '<strong>de</strong>n besten Sitzplatz im Haus', und dies ist bis heute das Konstruktionsprinzip<br />
nicht nur <strong><strong>de</strong>r</strong> Kinosäle son<strong><strong>de</strong>r</strong>n auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Komposition <strong>de</strong>s bewegten <strong>Film</strong>bil<strong>de</strong>s<br />
geblieben.<br />
Zentrierung <strong>de</strong>s Blicks auf <strong>de</strong>m Weg zur Erzählung<br />
Demgegenüber kann allerdings nicht nachdrücklich genug darauf verwiesen wer<strong>de</strong>n, daß<br />
solche Unterscheidungen nicht strikt chronologisch gesehen wer<strong>de</strong>n können. Die<br />
Einübung <strong><strong>de</strong>r</strong> Sammlung und Zentrierung <strong><strong>de</strong>r</strong> Aufmerksamkeit sind schon von Anfang an<br />
in <strong>de</strong>n <strong>Film</strong>en zu fin<strong>de</strong>n, ganz beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s bei <strong>de</strong>nen <strong><strong>de</strong>r</strong> Gebrü<strong><strong>de</strong>r</strong> Lumière und <strong>de</strong>n<br />
sogenannten britischen Pionieren Williamson, Hepworth und Smith. So fin<strong>de</strong>t sich z.B. in<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> amerikanischen Fachpresse eine Rezension <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten Lumièrevorstellungen in New<br />
York aus <strong>de</strong>m Jahre 1896, wo es heißt: "Ein neuer <strong>Film</strong> ist gezeigt wor<strong>de</strong>n, <strong><strong>de</strong>r</strong> die<br />
Mittagsstun<strong>de</strong> in <strong><strong>de</strong>r</strong> Fabrik <strong><strong>de</strong>r</strong> Gebrü<strong><strong>de</strong>r</strong> Lumière in Lyon in Frankreich zeigt. Als die<br />
Sirene pfiff, <strong>wur<strong>de</strong></strong>n die Fabriktore geöffnet und Männer, Frauen und Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> kamen<br />
herausgeströmt. Einige Arbeiter hatten Fahrrä<strong><strong>de</strong>r</strong>, die sie außerhalb <strong><strong>de</strong>r</strong> Fabrik bestiegen<br />
und damit wegfuhren. Ein Pfer<strong>de</strong>wagen, <strong>de</strong>n die Lumières dazu benutzen, um weit<br />
entfernt leben<strong>de</strong> Arbeiter zu transportieren, kam in <strong><strong>de</strong>r</strong> natürlichsten Weise, die man sich<br />
vorstellen kann, heraus. Ein Erklärer war dafür angestellt wor<strong>de</strong>n, die Bil<strong><strong>de</strong>r</strong> während <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Vorführung zu erläutern, aber er wäre gar nicht nötig gewesen, <strong>de</strong>nn die Bil<strong><strong>de</strong>r</strong> [...]<br />
sprechen für sich." 32<br />
Nicht nur haben die Lumières dieses Gefühl <strong><strong>de</strong>r</strong> 'Sammlung' und <strong><strong>de</strong>r</strong> Fokussierung <strong>de</strong>s<br />
Blicks in ihre <strong>Film</strong>e gelegt, in<strong>de</strong>m sie immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong> Arbeitsprozesse und<br />
Fertigungsweisen darstellten, 33 son<strong><strong>de</strong>r</strong>n sie haben diesen Grad <strong><strong>de</strong>r</strong> 'Verinnerlichung'<br />
auch durch eine Art 'mise-en-abyme'-Effekt erreicht, in <strong>de</strong>m die dargestellte Handlung in<br />
mannigfaltiger Weise <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>s Darstellens selbst reflektiert. Ein gutes Beispiel<br />
dafür wäre <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong> Demolition d'un mur" ("Der Abbruch einer Mauer") 34<br />
Bei <strong>de</strong>n Regisseuren <strong><strong>de</strong>r</strong> sogenannten 'Brighton School' ist es eine an<strong><strong>de</strong>r</strong>e<br />
Vorgehensweise, die uns noch vertrauter ankommt, <strong>de</strong>nn sie hat schon um die<br />
Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>twen<strong>de</strong> die Zeit und <strong>de</strong>n Raum so analytisch behan<strong>de</strong>lt, wie es im klassischen<br />
Stil zur Norm wird. Denn in dieser Hinsicht ist die Entwicklungsgeschichte <strong>de</strong>s Kinos<br />
bestimmt vom Vermögen <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong>emacher, Raum und Zeit – jene bei<strong>de</strong>n Dimensionen,<br />
die im <strong>Film</strong> gleichzeitig präsent sind – in einer für <strong>de</strong>n Zuschauer verstehbaren Form zu<br />
www.filmportal.<strong>de</strong> 10
konstruieren. Eine solche Logik, vielleicht nicht so sehr <strong>de</strong>s Sichtbaren, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong>de</strong>s am<br />
eigenen Körper Mit-Erfahrbaren, hängt vom Schaffen einer im Grun<strong>de</strong> gar nicht so<br />
simplen Illusion ab, nämlich sowohl <strong><strong>de</strong>r</strong> von Kontinuität wie <strong><strong>de</strong>r</strong> von Kontiguität. In<br />
an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Worten, Raum und Zeit müssen erst einmal als variable Größen getrennt<br />
erfahrbar gemacht wer<strong>de</strong>n, ehe sie im neuen Verbund (z.B. durch Montage o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Än<strong><strong>de</strong>r</strong>ung <strong><strong>de</strong>r</strong> Einstellungsgröße) <strong>de</strong>m Zuschauer <strong>de</strong>n Eindruck kausaler<br />
Zusammenhänge vermitteln und somit eine Handlung als kohärent und zwingend<br />
erscheinen lassen können. In Charles Hepworths 1905 gedrehtem "Rescued By Rover"<br />
wird z.B. die einfache Fort-Bewegung <strong>de</strong>s Schäferhun<strong>de</strong>s Rover in die Tiefe <strong>de</strong>s Bil<strong>de</strong>s<br />
dazu genutzt, um räumliche Diskontinuitäten zu überbrücken und neben <strong><strong>de</strong>r</strong> Illusion einer<br />
kontinuierlich fortschreiten<strong>de</strong>n Zeit auch die sukzessive Abfolge <strong><strong>de</strong>r</strong> Handlungsorte<br />
(Vorstadt-Straße, Flußufer, Gasse in <strong>de</strong>n Slums) als eines sozialen Auf- und Abstieg zu<br />
ver<strong>de</strong>utlichen. Ein solcher Eindruck <strong><strong>de</strong>r</strong> 'Selbst'-Verständlichkeit einer Handlung hängt<br />
also nicht so sehr davon ab, wie real das Gefilmte tatsächlich ist (d.h. vom<br />
dokumentarischen Wert <strong>de</strong>ssen, was einmal vor <strong><strong>de</strong>r</strong> Kamera stand o<strong><strong>de</strong>r</strong> sich bewegte,<br />
obwohl gera<strong>de</strong> die heute dokumentarisch anmuten<strong>de</strong>n Ansichten <strong><strong>de</strong>r</strong> Arbeiterviertel in<br />
"Rescued By Rover" natürlich sehr wohl ihren eigenen Charme haben), son<strong><strong>de</strong>r</strong>n ob das<br />
System, das die Repräsentation bestimmt, <strong>de</strong>n Zuschauern verständlich ist. Ein an<strong><strong>de</strong>r</strong>er,<br />
oft zitierter Fall ist G. A. Smiths und James A. Williamsons "Henley Regatta" aus <strong>de</strong>m<br />
Jahre 1899, worin Einstellungen von Booten, die vom Flußufer aus aufgenommen<br />
wor<strong>de</strong>n sind, mit Einstellungen von winken<strong>de</strong>n Menschenmengen abwechseln, die<br />
offenkundig von <strong><strong>de</strong>r</strong> Flußmitte aus gedreht <strong>wur<strong>de</strong></strong>n. Die Entscheidung, diese<br />
Einstellungen alternieren zu lassen, schafft einen kausalen Zusammenhang, einen rein<br />
filmischen Raum (in <strong>de</strong>m die Menge <strong>de</strong>n Booten zujubelt, die in <strong>de</strong>n vorherigen und<br />
nachfolgen<strong>de</strong>n Einstellungen sichtbar sind). Ich nenne es einen rein filmischen Raum,<br />
weil die Frage, ob diese Zuschauer jemals <strong>de</strong>n Ru<strong><strong>de</strong>r</strong>booten zugejubelt haben (und nicht<br />
z.B. <strong><strong>de</strong>r</strong> Kamera) und, wenn ja, ob es gera<strong>de</strong> diese Boote waren, nie beantwortet wer<strong>de</strong>n<br />
kann. Dieses historische Ereignis (wir können es in einem guten Zeitungsarchiv<br />
nachlesen) ist nun ein filmisches Erlebnis, welches ganz und gar unabhängig von <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
historischen Realität <strong><strong>de</strong>r</strong> Veranstaltung vom Mai 1899 existiert.<br />
Solche Beispiele werfen jenseits <strong>de</strong>s Realitätsgehalts <strong><strong>de</strong>r</strong> Bil<strong><strong>de</strong>r</strong> o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Stimmigkeit <strong>de</strong>s<br />
inszenierten Raums noch an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Fragen auf. Smith und Williamson haben nicht einfach<br />
einzelne Einstellungen aneinan<strong><strong>de</strong>r</strong> montiert, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n sie haben sie nach einer kausalen<br />
Logik zusammengefügt, die ein ganz bestimmtes zeitliches und räumliches Denken<br />
voraussetzt. Be<strong>de</strong>utet das, daß sie nicht nur bereits eine Vorstellung von <strong>de</strong>m hatten,<br />
was wir heute '<strong>Film</strong>schnitt' nennen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n auch von <strong>de</strong>ssen beson<strong><strong>de</strong>r</strong>er Form, <strong>de</strong>m<br />
continuity editing Daß die <strong>Film</strong>emacher ihre kausale Logik just auf <strong>de</strong>n Dreitakt<br />
'Sehen/Gesehen-Wer<strong>de</strong>n/Sehen' aufbauen, <strong>de</strong>utet eigentlich darauf hin; weshalb das<br />
Beispiel auch so frappant ist, <strong>de</strong>nn es zeigt recht <strong>de</strong>utlich, wie hier <strong><strong>de</strong>r</strong> Zuschauer in die<br />
Darstellung ('Handlung' wäre ein zu anspruchsvolles Wort) 'eingebun<strong>de</strong>n' wird. Ganz<br />
systematisch trennten diese <strong>frühe</strong>n <strong>Film</strong>emacher Zeit und Raum, um sie dann wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
nach kognitiv nachvollziehbaren Prinzipien zusammenzusetzen. Ihre <strong>Film</strong>e, neben<br />
"Rescued By Rover" <strong>de</strong>nkt man an "Daring Daylight Robbery" o<strong><strong>de</strong>r</strong> "Fire!" nehmen einen<br />
so herausragen<strong>de</strong>n Platz in <strong><strong>de</strong>r</strong> Diskussion um das <strong>frühe</strong> Kino ein, weil sie neben <strong>de</strong>m<br />
Prinzip 'Sehen/Gesehen-Wer<strong>de</strong>n/Sehen' auch die für das klassische <strong>Erzählkino</strong> so<br />
zentrale Logik von Frage und Antwort meisterlich handhaben (ein Bild lässt <strong>de</strong>n<br />
Zuschauer fragen 'wo' o<strong><strong>de</strong>r</strong> 'wie', worauf das nächste ihm antwortet: 'da' o<strong><strong>de</strong>r</strong> 'so', und,<br />
ohne daß wir <strong>de</strong>ssen gewahr wer<strong>de</strong>n, sind wir 'drin' in <strong><strong>de</strong>r</strong> Erzählung, haben uns<br />
'eingebracht' über die sogenannten 'erotetischen' Leerstellen in <strong>de</strong>n Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>n: ganz genau<br />
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so verfährt ein Alfred Hitchcock, wenn er eine suspense-Szene montiert, und nicht<br />
an<strong><strong>de</strong>r</strong>s ein Steven Spielberg beim sogenannten 'Kino <strong><strong>de</strong>r</strong> special effects', beispielsweise<br />
in <strong><strong>de</strong>r</strong> inzwischen schon kanonisch gewor<strong>de</strong>nen suspense-Szene am Sicherheitszaun in<br />
"Jurassic Park".<br />
Choreographie <strong><strong>de</strong>r</strong> Blicke im <strong>frühe</strong>n <strong>de</strong>utschen <strong>Film</strong><br />
Ein bemerkenswertes, wenn auch gewiß nicht einmaliges Beispiel im <strong>frühe</strong>n <strong>de</strong>utschen<br />
<strong>Film</strong> für diesen Prozeß <strong><strong>de</strong>r</strong> Verinnerlichung, Subjektivierung und Psychologisierung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Zuschauerperspektive stellt <strong><strong>de</strong>r</strong> Henny Porten-<strong>Film</strong> "Des Pfarrers Töchterlein" aus <strong>de</strong>m<br />
Jahre 1912 dar, bei <strong>de</strong>m die Heldin zusehen muß, wie ihr Vater <strong>de</strong>n untreuen Verlobten<br />
mit einer an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Frau vor seinem Altar in die Ehe treten läßt.<br />
Vielleicht hat Adolf Gärtner <strong>de</strong>n <strong>Film</strong> nach einem Bild von John Everett Millais aus <strong>de</strong>m<br />
Jahre 1853 gedreht, obwohl das Thema <strong><strong>de</strong>r</strong> 'Geldhochzeit' o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>s Treuebruchs wohl in<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Gebrauchsliteratur <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>ts gang und gäbe war. Dazu eine Passage von<br />
Wolfgang Kemp, die auf Millais' Bild Bezug nimmt:<br />
„Eine in Schwarz geklei<strong>de</strong>te Frau wohnt auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Galerie einer Kirche einer Trauung bei.<br />
Die Zeremonie ist vollzogen, die Brautleute haben sich umgedreht und wen<strong>de</strong>n sich ihren<br />
Trauzeugen bzw. Familien zu. Diesen Moment nutzt die Frau und erhebt sich, um einen<br />
besseren Blick auf das Paar zu haben. Ihr eigentliches Interesse gilt wohl <strong>de</strong>m<br />
Bräutigam, <strong><strong>de</strong>r</strong> einer an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Frau und vielleicht auch einer an<strong><strong>de</strong>r</strong>en gesellschaftlichen<br />
Stellung <strong>de</strong>n Vorzug gegeben hat. Wir ergänzen die Komposition in dieser Hinsicht nicht<br />
nur, weil so viele viktorianische Romane und spätere <strong>Film</strong>e (ich erinnere an die<br />
Schlußszene von "The Graduate") uns dies nahelegen. Es gibt durchaus bildimmanente<br />
Indizien für diese Nacherzählung. [...] Die schwarze Frau wirkt wie ein negativer<br />
Scheinwerfer, auf das Geschehen ausgerichtet, aber dunkel in sich selbst und Schatten<br />
und Düsternis verbreitend. Daß wir uns so bereitwillig in die Beobachterin und ihre Sicht<br />
auf das Geschehen 'hineinversetzen', hat mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Heimlichkeit ihrer/unserer Position zu<br />
tun, mit <strong><strong>de</strong>r</strong> unüberwindlichen Trennung in eine Zone <strong>de</strong>s Geschehens und in eine Zone<br />
<strong>de</strong>s Sehens, die als Ursprungsort das Übergewicht hat, <strong>de</strong>nn das ganze Bild ist auf<br />
diesen Moment und diese Richtung <strong>de</strong>s Sehens hin angelegt, das nicht erwi<strong><strong>de</strong>r</strong>t wird,<br />
nicht erwi<strong><strong>de</strong>r</strong>t wer<strong>de</strong>n darf. Das macht uns psychologisch <strong>zum</strong> Komplizen, narratologisch<br />
<strong>zum</strong> Mit-und Besserwisser. 35<br />
Kemp, <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>n Heny Porten-<strong>Film</strong> wahrscheinlich nicht kennt, beschreibt hier eine<br />
Situation, die "Des Pfarrers Töchterlein" auf anschauliche Weise in einem an<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />
Medium reproduziert. Im Gegensatz <strong>zum</strong> gemalten Bild als Tableau sieht man im <strong>Film</strong>,<br />
wie hier eine veritable Dramaturgie, wenn nicht sogar Choreographie <strong><strong>de</strong>r</strong> Blicke<br />
entwickelt wird, erst zwischen <strong>de</strong>n Hauptfiguren <strong>de</strong>s Dramas, unterbrochen vom<br />
verzweifeln<strong>de</strong>n Blickwechsel zwischen Vater und Tochter, dann beim Verlassen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Kirche die übrigen Anwesen<strong>de</strong>n miteinbeziehend, bis dann, ganz am En<strong>de</strong>, die Kamera<br />
sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Barmherzigkeit anheimgibt, in<strong>de</strong>m sie vom Blickpunkt <strong>de</strong>s Allmächtigen aus, die<br />
nun tot zusammengebrochenen Protagonistin zu sich nimmt. Diese Choreographie und<br />
Alternation, von Henny Porten bis hin zu Gott, staffelt sich rhythmisch geglie<strong><strong>de</strong>r</strong>t,<br />
verschie<strong>de</strong>n kadriert und montiert nach <strong>de</strong>m klassischen Schuß-Gegenschuß-Verfahren,<br />
das wir hier quasi in statu nascendi erleben können, allerdings in einer fast schon wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
<strong>de</strong>ka<strong>de</strong>nt-barocken Form.<br />
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Denn was <strong><strong>de</strong>r</strong> anrühren<strong>de</strong>n Szene erst zur vollen melodramatischen Wucht verhilft, ist<br />
die Rolle, die dabei die Orgel spielt. Mit ihrer überwältigen<strong>de</strong>n Präsenz leistet sie für das<br />
Bild, was an ungehörten Orgeltönen im Herzen <strong><strong>de</strong>r</strong> verschmähten Frau braust und tost.<br />
Der <strong>Film</strong>, so vermutet man, kann diese Orgel gera<strong>de</strong> zu <strong>de</strong>m Zeitpunkt dramatisch<br />
einsetzen, als in <strong>de</strong>n Großkinos um 1912 die ersten Orgeln installiert <strong>wur<strong>de</strong></strong>n und die<br />
Musik, sei es in großer Besetzung o<strong><strong>de</strong>r</strong> als kleineres Ensemble, im Orchestergraben<br />
verschwand, womit <strong><strong>de</strong>r</strong> Tonraum nicht mehr die unpassen<strong>de</strong> Kakophonie aufwies, die<br />
noch 1907 und 1911 die Kinoreformer und Karikaturisten auf die Barrika<strong>de</strong>n rief.<br />
Ich fasse noch einmal zusammen: Meine These wäre, daß die Entwicklung <strong>de</strong>s<br />
klassischen '<strong>Erzählkino</strong>s' somit nicht als unausweichliches Schicksal <strong>de</strong>s <strong>Film</strong>s begriffen<br />
wer<strong>de</strong>n kann, in seinem Drang zur Transparenz und <strong>zum</strong> immer größeren<br />
Abbildungsrealismus, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n als die im doppelten Sinne 'ökonomisch' und <strong>de</strong>swegen<br />
historisch bedingte Lösung für eine Reihe wi<strong><strong>de</strong>r</strong>streiten<strong><strong>de</strong>r</strong> Gegebenheiten gesehen<br />
wer<strong>de</strong>n muß, die mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Repräsentation von Raum und Zeit, aber auch mit <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Repräsentation <strong>de</strong>s Zuschauers in dieser Raum-Zeit-Beziehung eng zusammenhängen.<br />
Der Kompromiß, um <strong>de</strong>n sich das Kino einpen<strong>de</strong>ln und somit auf breiter Basis zur<br />
Industrie entwickeln konnte, kristallisierte sich um eine 'Logik <strong><strong>de</strong>r</strong> funktionalen<br />
Äquivalenz', die wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um davon abhing, daß das Kino-Bild auf zwei Formen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Bindung mit <strong>de</strong>m Repräsentierten verzichtete: auf die nachprüfbare zwischen <strong>de</strong>m<br />
Gefilmten und <strong>de</strong>m, was vor <strong><strong>de</strong>r</strong> Kamera stattfand (Abbildfunktion), sowie auf die<br />
physische Verbindung zwischen Zuschauer und Leinwand (Erlebnismodus). Zunächst<br />
waren <strong>Film</strong>e reine Abbildungen, die einem Live-Publikum hautsächlich Situationen<br />
vorführten, die an<strong><strong>de</strong>r</strong>swo bereits existierten, als abgeschlossene Handlungen, als<br />
malerische Landschaften, als Vau<strong>de</strong>ville-Attraktionen, als Sketche o<strong><strong>de</strong>r</strong> Gags. Eine<br />
historische Dynamik allerdings zwang das Kino dazu, eine eigene Autonomie zu<br />
entwickeln, in<strong>de</strong>m es einen Weg fand, diese doppelte 'Realität' (die <strong>de</strong>s vor <strong><strong>de</strong>r</strong> Kamera<br />
sich abspielen<strong>de</strong>n Ereignisses und die <strong><strong>de</strong>r</strong> Zuschauer-Leinwand-Beziehung) in eine<br />
einzige, homogene 'Welt' zu überführen, in <strong><strong>de</strong>r</strong> bei<strong>de</strong> Realitäten irgendwie enthalten sind,<br />
wenn auch in subtil verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ter Form. Der Zuschauer mußte we<strong><strong>de</strong>r</strong> an die Leinwand (als<br />
einem performativen Raum) noch an das Ereignis o<strong><strong>de</strong>r</strong> die Person gebun<strong>de</strong>n sein,<br />
son<strong><strong>de</strong>r</strong>n an <strong><strong>de</strong>r</strong>en Repräsentationen: das verlangte nach einer Än<strong><strong>de</strong>r</strong>ung sowohl <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Logik <strong>de</strong>s darzustellen<strong>de</strong>n Ereignisses als auch <strong>de</strong>s Standpunktes <strong>de</strong>s Zuschauers<br />
gegenüber <strong><strong>de</strong>r</strong> Handlung. Auf <strong><strong>de</strong>r</strong> einen Seite steht also das '<strong>frühe</strong>' Kino als<br />
gemeinschaftliches Erlebnis, das sich an ein kollektives Publikum richtet, welches seine<br />
eigene Situation <strong>de</strong>s Zuschauens als extern und getrennt von <strong>de</strong>n dargestellten<br />
Ansichten auffaßt. Auf <strong><strong>de</strong>r</strong> an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Seite – und eigentlich schon seit Lumiere angelegt –<br />
die Entstehung eines individualisierten Betrachter-Subjekts, in <strong>de</strong>m wir im wesentlichen<br />
das <strong>de</strong>s klassischen Kinos erkennen. Als mit <strong>de</strong>n multi-shot-<strong>Film</strong>en und <strong>de</strong>n Anfängen<br />
<strong>de</strong>s analytischen Schnitts komplexere Handlungen auf die Leinwand gebracht <strong>wur<strong>de</strong></strong>n,<br />
än<strong><strong>de</strong>r</strong>te sich die Haltung <strong>de</strong>s Zuschauers und die Art, wie Ereignisse und Personen<br />
erlebten wer<strong>de</strong>n: oben ange<strong>de</strong>utet bei <strong>de</strong>n Beispielen <strong><strong>de</strong>r</strong> Großaufnahmen als insertshots<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> point of view -Einstellungen. Edwin Porters Handlungsüberlappungen und<br />
D.W. Griffths Parallelmontagen sind die augenfälligsten Belege für diesen Übergang von<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Abbildung zur Repräsentation, vom Zeigen <strong>zum</strong> Erzählen, vom performativen <strong>zum</strong><br />
imaginären <strong>Film</strong>bild. 36<br />
Die Hinwendung <strong>de</strong>s Kinos <strong>zum</strong> Narrativen erscheint also als die Konsequenz und nicht<br />
als kausaler Grund einer Umwandlung <strong>de</strong>s Publikums in individualisierte Zuschauer, die<br />
durch eine an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Körper-Selbsterfahrung (nur unzureichend mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s<br />
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<strong>Erzählkino</strong>s umrissen) in das Dargestellte eingebun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n und somit in ein Raum-<br />
Zeit-Gefüge eintreten, welches die <strong>Film</strong>theorie als 'das Imaginäre' bezeichnet hat, das<br />
aber heute immer öfter als virtual reality gehan<strong>de</strong>lt wird. Allerdings schließt das<br />
Imaginäre im Kino, so könnte man argumentieren, virtual reality zwar mit ein, wird damit<br />
aber noch nicht erschöpft: im Gegenteil, manchen virtual reality displays fehlt genau ein<br />
Element <strong><strong>de</strong>r</strong> Faszination <strong>de</strong>s Kinos, nämlich die Subjektivierung, die das Indiz <strong>de</strong>s<br />
Imaginären ist. Dazu hat sich Lev Manovich skeptisch geäußert, als er gezeigt hat, daß<br />
virtual reality bislang eigentlich nichts an<strong><strong>de</strong>r</strong>ers ist als eine Sukzession von Standbil<strong><strong>de</strong>r</strong>n,<br />
die einem sehr antiquiert anmuten<strong>de</strong>m Montage-Konzept verpflichtet sind. 37 Weshalb<br />
man vielleicht auch zweifeln darf, ob die Zukunft <strong>de</strong>s Kinos tatsächlich (wie Edgar Reitz<br />
vorauszusehen scheint) durch das sogenannte interaktive Erzählen bestimmt wird. Die<br />
Groß-Monitore in <strong>de</strong>n Bahnhofshallen sind auch nach <strong>de</strong>n Renovierungen noch nicht<br />
"Jurassic Park" o<strong><strong>de</strong>r</strong> "Titanic", geschweige <strong>de</strong>nn Edgar Reitz' "Heimat".<br />
Die Ware Aufmerksamkeit<br />
Warum aber diese Entwicklung (wenn es tatsächlich eine Entwicklung ist) vom <strong>frühe</strong>n<br />
<strong>zum</strong> klassischen Kino, vom kollektiven <strong>zum</strong> individuellen Zuschauer und seiner<br />
Rezeptionshaltung Und welche Schlüsse läßt sie zu über die heutige Situation, in <strong><strong>de</strong>r</strong> es<br />
scheint, als ob wir – oft <strong>zum</strong> Leidwesen <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong>emacher (ich erinnere an das Zitat von<br />
Gianni Amelio) – Kino wie<strong><strong>de</strong>r</strong> eher kollektiv als individuell erleben wollen Waren <strong>frühe</strong>r<br />
Andächtigkeit und Konzentration die Norm, gegen die das junge Publikum rebellisch<br />
verstieß, so gehört es heute schon fast <strong>zum</strong> guten Ton, daß man auch mal mitmachen<br />
darf – ich erinnere an die Kultfilme <strong><strong>de</strong>r</strong> 1980er Jahre wie "Rocky Horror Picture Show"<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> "Blues Brothers".<br />
Erst einmal könnte man festhalten, daß die harten Gegenüberstellungen wie<br />
Zeigen/Erzählen, Stummfilm/Tonfilm, performativ/narrativ, inbegriffen 'Kino <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Attraktion'/'Kino <strong><strong>de</strong>r</strong> narrativen Integration' doch vielleicht zu formalistisch sind und die<br />
nötige geschichtliche Dimension eher aussparen: es sei <strong>de</strong>nn, es han<strong>de</strong>le sich<br />
tatsächlich um eine ewige <strong>Wie</strong><strong><strong>de</strong>r</strong>kehr, eine Art Pen<strong>de</strong>lschlag zwischen 'Erzählung<br />
(narrative)' und 'Show (spectacle)', <strong><strong>de</strong>r</strong> sich über die Epochen hinwegzieht. In bei<strong>de</strong>n<br />
Fällen erweist sich dabei die organische Metapher <strong><strong>de</strong>r</strong> Entwicklung, die schon Noel<br />
Burch und Tom Gunning kritisiert haben, als unbrauchbares Erklärungsmuster. Das Kino<br />
ist nicht 'erwachsen' gewor<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m es das psychologisieren<strong>de</strong> Erzählen gelernt hat.<br />
Hierfür steht auch Benjamins Satz vom legitimen Wunsch <strong><strong>de</strong>r</strong> Massen, sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Dinge<br />
durch ihr Abbild zu bemächtigen, d.h. es spielt im Übergang <strong>zum</strong> klassischen <strong>Film</strong><br />
unzweifelhaft ein i<strong>de</strong>ologisches Moment mit, was rechtfertigen könnte, von einer<br />
Unterdrückung <strong><strong>de</strong>r</strong> Schaulust' zu re<strong>de</strong>n, wie es z.B. die feministische <strong>Film</strong>kritik getan hat.<br />
Schließlich scheint mir die von Reitz und an<strong><strong>de</strong>r</strong>en gegebene technologische Erklärung<br />
nicht ganz stichhaltig: wie wir sahen, hat das, was sich heute verän<strong><strong>de</strong>r</strong>t, im Grun<strong>de</strong> nur<br />
teilweise mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Digitalisierung an sich zu schaffen. An<strong><strong>de</strong>r</strong>nfalls könnten sich nicht die<br />
Parallelen <strong>zum</strong> <strong>frühe</strong>n <strong>Film</strong> auftun, <strong>de</strong>nn in <strong>de</strong>n damals entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Jahren zwischen<br />
1909 und 1919 hat sich in <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong>technologie eigentlich wenig nennenswert Neues<br />
ergeben.<br />
Was sehr wohl dazwischen lag, ist ein Krieg – allerdings nicht, wie oft unhinterfragt<br />
vorausgesetzt wird, <strong><strong>de</strong>r</strong> erste Weltkrieg, <strong>de</strong>nn die Entwicklung, um die es hier geht, fand<br />
beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s rasant in <strong>de</strong>n USA statt, die in <strong>de</strong>n maßgeblichen Jahren nicht zu <strong>de</strong>n<br />
kriegführen<strong>de</strong>n Nationen gehörte. Auch in Deutschland waren übrigens die wichtigsten<br />
Momente für eine solche Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ung schon vor 1914 gegeben. 38 Der Krieg, von <strong>de</strong>m<br />
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ich spreche, ist einer, <strong><strong>de</strong>r</strong> sich sozusagen an einer für die Zuschauer eher unsichtbaren<br />
Front abspielte, nämlich <strong><strong>de</strong>r</strong>jenige, bei <strong>de</strong>m die Produzenten <strong>de</strong>n Kinobetreibern<br />
gegenüberstan<strong>de</strong>n, als es darum ging, die Kontrolle über das Produkt '<strong>Film</strong>' <strong>de</strong>m<br />
Vorführer, Kinobesitzer o<strong><strong>de</strong>r</strong> Schaubu<strong>de</strong>nbetreiber zu entreißen, um <strong>de</strong>n <strong>Film</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Verfügungsmacht ebenso wie <strong>de</strong>n Normen <strong><strong>de</strong>r</strong> Produzenten und <strong>de</strong>m Vertrieb zu<br />
unterstellen. Denn die Forschungen <strong>zum</strong> sozialen und ökonomischen Umfeld <strong>de</strong>s <strong>frühe</strong>n<br />
<strong>Film</strong>s haben klar gezeigt, wie wesentlich das Aufkommen <strong>de</strong>s <strong>Erzählkino</strong>s (und damit<br />
auch <strong>de</strong>s langen Spielfilms) als dominantes Mo<strong>de</strong>ll abhängig war von <strong>de</strong>m spezifischen<br />
Kräfteverhältnis zwischen <strong>de</strong>n Kinobetreibern einerseits und <strong><strong>de</strong>r</strong> Produktion bzw.<br />
Distribution an<strong><strong>de</strong>r</strong>erseits. 39 Das geht vom Übergang vom Kopienverkauf <strong>zum</strong> Tauschund<br />
Leihwesen, vom Blockbuchen und <strong><strong>de</strong>r</strong> Einführung <strong>de</strong>s Monopolfilms, von <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Erfindung <strong><strong>de</strong>r</strong> Uraufführungskinos bis hin zu <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>zum</strong> <strong>Film</strong> mitgelieferten<br />
Orchesterpartitur. 40 Alles lief darauf hinaus, <strong>de</strong>m Kinobesitzer die Macht darüber zu<br />
entreißen, wie er sein <strong>Film</strong>programm gestalten kann, wobei es auch darum ging, eine<br />
Neutralisierung <strong>de</strong>s einst so bewegten, abwechslungsreichen Zuschauerraums, <strong>de</strong>s<br />
Kinos als physischem Ort <strong><strong>de</strong>r</strong> Erfahrung und <strong>de</strong>s Erlebnisses durchzusetzen. Insofern hat<br />
es Hollywood <strong>de</strong>n Kinoreformern nur recht gemacht, <strong>de</strong>nn eine grundlegen<strong>de</strong> Bedingung<br />
<strong>de</strong>s klassischen Kinos bestand darin, daß die Kontrolle auf <strong><strong>de</strong>r</strong> textuellen Ebene mehr<br />
und mehr in die Hän<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Produzenten bzw. Regisseure gelangen konnte. Denn was<br />
bewerkstelligt das 'klassische <strong>Erzählkino</strong>' schließlich, wenn nicht die textuelle Form <strong>de</strong>s<br />
Konsums, d.h. die Möglichkeiten <strong>de</strong>s Verstehens eines <strong>Film</strong>s zu steuern und damit zu<br />
kontrollieren Auf an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Ebenen – <strong><strong>de</strong>r</strong> Heranführung und 'Handhabung' <strong>de</strong>s Publikums<br />
– ist die Kontrolle lange Zeit in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>r</strong> Verleiher und Kinobesitzer geblieben.<br />
Das post-klassische Kino zeigt aber einmal mehr, daß diese textuelle Kontrollinstanz<br />
auch historisch bedingt sein kann: heute entwickelt sie sich weg vom Monopol <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Interpretation (wer liest noch <strong>Film</strong>kritiken!) und hin <strong>zum</strong> Marketing und Merchandising,<br />
zu <strong>de</strong>n tie-ins und spin-offs, die allerdings, obwohl sie quasi 'außerhalb' <strong>de</strong>s Texts liegen,<br />
beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s gezielt, d.h. ökonomisch vom Produzenten bzw. <strong><strong>de</strong>r</strong> Distribution <strong>de</strong>finiert,<br />
ausgewertet und damit wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um kontrolliert wer<strong>de</strong>n – beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s effektiv über Lizensen<br />
und Copyright, was Markennamen, Werbung und graphisches Design angeht.<br />
Aus dieser Perspektive stellt sich somit das <strong>Erzählkino</strong> noch einmal als ein Kompromiß<br />
dar zwischen verschie<strong>de</strong>nen Faktoren, die in <strong><strong>de</strong>r</strong> Praxis verzahnt sind, in ihren<br />
Wirkungen jedoch durchaus wi<strong><strong>de</strong>r</strong>sprüchlich bleiben. Erst durch die Standardisierung <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Länge und <strong><strong>de</strong>r</strong> Anpassung von Form und Inhalt an diesen Standard <strong>wur<strong>de</strong></strong> die Grundlage<br />
für eine massenproduzieren<strong>de</strong> <strong>Film</strong>industrie geschaffen. Aber dazu mußten <strong>Film</strong>e in<br />
einem regulierten Verleih- und Tausch-Kreislauf zirkulieren können, wofür es wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Existenz von Verleihern und Kinobesitzern bedurfte, die feste Abspielstätten,<br />
verläßliche Spielpläne und einen konstanten Umsatz <strong>de</strong>s Produktes garantieren konnten.<br />
Das Kino han<strong>de</strong>lt mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Ware 'Ver-gnügen' in einer weit offenkundigeren Weise, als z.B.<br />
die Automobilindustrie es tut (das Marken-Auto hat neben seinem Status-Renommé<br />
immerhin noch einen – kleinen – Gebrauchswert). Aber insofern die Warenproduktion<br />
allgemein sich vom Gebrauchswert weg und hin <strong>zum</strong> Schau-und Statuswert bewegt hat,<br />
mag das Kinoprodukt immer weniger unterscheidbar sein von all <strong>de</strong>n an<strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />
Konsumgütern, für die mit Mitteln i<strong>de</strong>aler Selbstbil<strong><strong>de</strong>r</strong>, Lifestyles und <strong><strong>de</strong>r</strong> damit<br />
verbun<strong>de</strong>nen Wunschträume und Werte bei <strong>de</strong>n Konsumenten geworben wird. Allerdings<br />
hat das Kino genau auf diesem Terrain seine kulturelle Vormachtstellung: es ist die<br />
research and <strong>de</strong>velopment-Abteilung speziell dieser 'Darstellungsmodi', die wir heute mit<br />
<strong>de</strong>m Begriff 'Konsumgesellschaft' verbin<strong>de</strong>n, <strong><strong>de</strong>r</strong>en Avantgar<strong>de</strong> das Kino immer noch ist.<br />
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Somit stellt sich die Frage, ob das Kino überhaupt Produkte anbietet o<strong><strong>de</strong>r</strong> nur Pakete von<br />
Dienstleistungen. Denn <strong><strong>de</strong>r</strong> Kinobesitzer bestreitet immer noch sein Einkommen aus<br />
Popcorn, <strong>de</strong>m Eis-am-Stil o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Cola, nur muß es ihm jetzt gleichgültig sein, was für<br />
ein <strong>Film</strong> es ist, bei <strong>de</strong>m Leben in die Bu<strong>de</strong> kommt, d.h. die Schlange an <strong>de</strong>n Kassen <strong>de</strong>s<br />
Cineplex steht. Die Mo<strong>de</strong>, die Musikindustrie und die Werbung brauchen dagegen <strong>de</strong>n<br />
<strong>Film</strong>. Das wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um ist wichtig für sein Publikum, welches darauf bauen möchte, daß das<br />
Kino – sei es nun das Kunstkino um die Ecke o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> große Multiplex in <strong><strong>de</strong>r</strong> Innenstadt<br />
– die notwendige Qualitätskontrolle ausübt, <strong>de</strong>nn man will ja im voraus wissen, daß man<br />
es mit Spitzenware zu tun hat. Es ist also nicht das <strong>Erzählkino</strong> an sich, das Hollywood so<br />
erfolgreich und quasi unschlagbar gemacht hat, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n die Normierung und<br />
Standardisierung <strong><strong>de</strong>r</strong> Ware '<strong>Film</strong>-Erlebnis', auf die sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Konsument verlassen kann,<br />
<strong>de</strong>nn Hollywood liefert ihm das (technische) Gütesiegel 'state of the art' und die<br />
Qualitätskontrolle, sei es nun im Genre suspense, romance o<strong><strong>de</strong>r</strong> special effects.<br />
Daneben hat es das New Hollywood seit <strong>de</strong>n achtziger Jahren geschafft, die vertikale<br />
Integration wie<strong><strong>de</strong>r</strong> herzustellen, die es nach <strong>de</strong>m Krieg im sogenannten Paramount-<br />
Prozeß von 1947 anscheinend verloren hatte. Heute kontrollieren die <strong>Film</strong>firmen – wie<br />
auch die Großfirmen in <strong><strong>de</strong>r</strong> Wirtschaft – bis ins letzte, wer ihre bran<strong>de</strong>d goods<br />
(Markenartikel) auf <strong>de</strong>n Markt bringen darf und wie: alles wird mitgeliefert, inklusive die<br />
Rezensionen für die Tageszeitungen (was übrigens schon seit <strong>de</strong>n zwanziger Jahren<br />
auch bei <strong><strong>de</strong>r</strong> UFA üblich war). Kein Au-torenfilmer hätte sich je eine solche Kontrolle über<br />
sein Produkt träumen lassen, wie es Warner Brothers o<strong><strong>de</strong>r</strong> Disney heute über <strong>de</strong>ssen<br />
Auswertung haben.<br />
Bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Geschichte <strong>de</strong>s <strong>frühe</strong>n Kinos geht es also um letztlich etwas sehr<br />
Grundsätzliches, nämlich wie das Kino-Erlebnis konkret zur Ware wird. Charles Musser<br />
hat es auf <strong>de</strong>n Punkt gebracht, als er beweisen konnte, daß es die Auswertungsformen<br />
waren, die die Entwicklung hin zur <strong>Film</strong>-Rolle als Standardware forcierten, während <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Produktionsmodus (<strong><strong>de</strong>r</strong> Herstellungsprozeß) und <strong><strong>de</strong>r</strong> Repräsentationsmodus (also die<br />
<strong>Film</strong>-Form) erst einmal hinterherhinkten: "Das <strong>Film</strong>emachen blieb eine Manufaktur,<br />
während sich die Auswertung zu einer Form <strong><strong>de</strong>r</strong> Massenproduktion entwickelte." 41 <strong>Wie</strong><br />
man weiß, ist Konsum ten<strong>de</strong>nziell eine individualisieren<strong>de</strong> Form <strong><strong>de</strong>r</strong> Erfahrung. Der<br />
individuelle Zuschauer taucht also somit genau an <strong>de</strong>m Punkt auf, als die Produktion <strong>de</strong>n<br />
Mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nisierungsstand <strong><strong>de</strong>r</strong> Auswertung erreicht hatte, d.h. die Ausformung <strong>de</strong>s<br />
Erlebnisses zur Ware, womit das <strong>Erzählkino</strong> so etwas wäre wie das Resultat <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Synchronisierung dieser bei<strong>de</strong>n Teile <strong>de</strong>s <strong>Film</strong>geschäfts bzw. <strong>de</strong>s letztendlichen Sieges<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Produktion/Distribution über die Auswertung. Das Konzept <strong>de</strong>s Blockbuster-Movie mit<br />
seinen koordinierten Uraufführungsdaten und intensiven Auswertungsperio<strong>de</strong>n ist<br />
<strong>de</strong>shalb eine logische Konsequenz dieses seit <strong>de</strong>n 70er Jahren in eine neue, heiße<br />
Phase getretenen Kriegs, in <strong>de</strong>m man wahrscheinlich nicht mit <strong>de</strong>m 'an<strong><strong>de</strong>r</strong>en <strong>Film</strong>',<br />
son<strong><strong>de</strong>r</strong>n nur mit verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ten Strukturen und einem an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Kräfteverhältnis zwischen<br />
Produktion und Abspielbasis antreten kann. Deshalb wäre tatsächlich das sich heute im<br />
Kino als Kollektiv formieren<strong>de</strong> Publikum als Zeichen einer neuen Zeit zu sehen und<br />
könnte fast schon wie<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>zum</strong> Optimismus verleiten: 'Zuschauer aller Län<strong><strong>de</strong>r</strong>, vereinigt<br />
euch - ihr habt nichts zu verlieren außer eurer Sammlung und Aufmerksamkeit!'<br />
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1 'Interview mit Edgar Reitz', Die Zeit, 15. Juli 1997.<br />
2 The Guardian, 14. November 1998.<br />
3 Edgar Reitz, 'Das Kino <strong><strong>de</strong>r</strong> Zukunft', in Telepolis 2 ('Hollywood goes Digital'), 71.<br />
4 Jörg Herrmann, 'Ein Gespräch mit Gianni Amelio', in Kraft Wetzel (Hg.), Neue Medien contra <strong>Film</strong>kultur<br />
(Berlin: Volker Spiess, 1987), 33.<br />
5 Edgar Reitz, '<strong>Film</strong>geschichte ist nicht an Lichtspieltheater gebun<strong>de</strong>n', in Kraft Wetzel (Hg.), Neue Medien<br />
contra <strong>Film</strong>kultur 138-141.<br />
6 Zu <strong>de</strong>n 'Rube'-<strong>Film</strong>en vgl. Miriam Hansen, Bahel and Babylon: Spectatorship in American Silent <strong>Film</strong><br />
(Cambridge: Harvard University Press, 1991), 25-30.<br />
7 "The Countryman and the Cinematograph" (R.W. Paul, 1901; remake von E.Porter 1902) wird im Edison<br />
Katalog von 1902 wie folgt beschrieben: "an amusing little story about the unsophisticated film viewer" und<br />
zeigt einen Bauer vom Land im Kino, <strong><strong>de</strong>r</strong> vor einem einfahren<strong>de</strong>n Zug aus <strong>de</strong>m Saal flüchtet. Ich verdanke<br />
diesen Hinweis Martin Emele.<br />
8 <strong>Wie</strong> bekannt, <strong>de</strong>finiert Norbert Elias <strong>de</strong>n Zivilisationsprozeß u.a. als das Verlernen <strong>de</strong>s Greifens und<br />
Anfassens. Das sich immer mehr auf das Auge Verlassen bezeichnet er als einen 'Zivilisationsschub'.<br />
Inzwischen hat man in dieser Hinsicht Zweifel angemel<strong>de</strong>t. Aber auch Pierre Bourdieu begreift <strong>de</strong>n<br />
Ursprung von 'Distinction' als eine gesellschafliche Kontrolle <strong><strong>de</strong>r</strong> Körpersprache. Fre<strong><strong>de</strong>r</strong>ic Jameson<br />
kommentiert diese Umwandlungen in seinem Essay zu Alexan<strong><strong>de</strong>r</strong> Kluge, 'On Negt and Kluge', October 44<br />
(l 989), 172.<br />
9 Thomas Elsaesser, 'Louis Lumière, the Cinema's First Virtualist', in T. Elsaesser and K. Hoffmann (Hg.)<br />
Cinema Futures: Cain, Abel or Cable (Amsterdam: University of Amsterdam Press, 1998), 58-60.<br />
10 Jonathan Crary, Techniques of the Observer (Cambridge, Mass: MIT Press, 1992).<br />
11 Walter Benjamin, 'Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit', Illuminationen<br />
(Frankfurt: Suhrkamp, 1961), 154.<br />
12 Tom Gunning, ,The Cinema of Attractions', in T.Elsaesser (Hg.), Space Frame Narrative (London: British<br />
<strong>Film</strong> Institute, 1990), 56-62 (58).<br />
13 Für eine Kritik <strong>de</strong>s Begriffs und Konzepts von Gunning im <strong>de</strong>utschsprachigen Raum siehe Corinna<br />
Müller, 'Variationen <strong>de</strong>s Kinoprogramms. <strong>Film</strong>form und <strong>Film</strong>geschichte', in Corinna Müller, Harro Segeberg<br />
(Hg.), Die Mo<strong>de</strong>llierung <strong>de</strong>s Kinofilms (München: Wilhelm Fink, 1998), 49ff.<br />
14 Hei<strong>de</strong> Schlüpmann, Unheimlichkeit <strong>de</strong>s Blicks (Frankfurt: Stroemfeld, 1990), 14.<br />
15 Scott Bukatman, Terminal I<strong>de</strong>ntity (Durham: Duke University Press, 1993), 13.<br />
16 Bericht <strong><strong>de</strong>r</strong> Kommission für „Leben<strong>de</strong> Photographien", bearbeitet von H.C. Dannmeyer, Hamburg, Mai<br />
1907 [Faksimile, hsgn. von Hans Michael Bock, Hamburg Januar 1980], 24.<br />
17 Bericht <strong><strong>de</strong>r</strong> Kommission, 31.<br />
18 Bericht <strong><strong>de</strong>r</strong> Kommission, 24.<br />
19 Douglas Gomery, 'Movie Audiences, Urban Geography and the History of American <strong>Film</strong>', The Velvet<br />
Light Trap, 19 (1982), 23-29.<br />
20 Bericht <strong><strong>de</strong>r</strong> Kommission, 33.<br />
21 Rick Altmann, 'The Silence of the Silents', Musical Quarterly, 80/4 (1997), 648-718 (680, 684).<br />
www.filmportal.<strong>de</strong> 17
22 Nicholas Hiley, 'At the Picture Palace: The British Cinema Audience, 1895-1920', in John Fullerton (Hg.)<br />
Celebrating 1895 (London: John Libbey, 1998), 96-106.<br />
23 Im Gespräch mit <strong>de</strong>m Autor, Bradford, 17. Juni 1995.<br />
24 Noel Burch, .'Porter or Ambivalence', Screen 19/4 (Winter 1978/79), 97.<br />
25 Der <strong>Film</strong> ist aufgenommen in die von Martin Loiperdinger und Harald Pulch zusammengestellten<br />
Fernsehdokumentation OSKAR MESSTER (1994).<br />
26 André Gaudreault, 'Detours in <strong>Film</strong> Narrative: The Development of Cross-Cutting', Cinema Journal 19/1<br />
(Fall 1979).<br />
27 André Gaudreault, loc. cit. und Charles Musser, 'The Travel Genre: Moving Towards Fictional Narrative',<br />
in Elsaesser (1990), 123-132.<br />
28 André Gaudreault, 'Temporality and Narrativity in Early Cinema: 1895-1908', in John L. Fell (Hg.), <strong>Film</strong><br />
Before Griffith (Berkeley: University of California Press, 1983), 210.<br />
29 Tom Gunning, 'An Aesthetics of Astonishment', Art and Text 34, (Spring 1989), 31-45.<br />
30 Dai Vaughn, 'Let there be Lumière', in Elsaesser (1990), 63-67.<br />
31 Zitiert in Thomas Elsaesser,'Early <strong>Film</strong> Form', in Elsaesser (1990), 28.<br />
32 New York Dramatic Mirror, 22 June 1896.<br />
33 Womit sie ein wichtiges Moment <strong><strong>de</strong>r</strong> Malerei <strong>de</strong>s vorigen Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>ts aufgriffen, das <strong><strong>de</strong>r</strong> Kunsthistoriker<br />
Michael Fried als absorption bezeichnet und <strong><strong>de</strong>r</strong> sogenannten theatricality <strong><strong>de</strong>r</strong> Historienmalerei<br />
gegenüberstellt; vgl. Michael Fried, Absorption and Theatricality (Berkeley: University of California Press,<br />
1980).<br />
34 Eine genauere Analyse <strong>de</strong>s <strong>Film</strong>s fin<strong>de</strong>t sich in Marshall Deutelbaum, 'Structural Patterning in the<br />
Lumière films', Wi<strong>de</strong> Angle 3/1 (1979) 28-37.<br />
35 Wolfgang Kemp, 'Die Analytik <strong>de</strong>s Endlichen: Kunst und Literatur vor <strong>de</strong>m <strong>Film</strong>', in W. Faulstich/H. Körte<br />
(Hg.), Fischer <strong>Film</strong>geschichte Bd 1: 1895-1924 (Frankfurt: S. Fischer, 1994) 76.<br />
36 Thomas Elsaesser and Adam Barker, 'The Continuity System: Griffith and Beyond', in Elsaesser (1990),<br />
293-316.<br />
37 Lev Manovich, 'Was ist ein digitaler <strong>Film</strong>', in Telepolis 2 (Juni 1997), 42-57.<br />
38 Thomas Elsaesser, 'A Second Life', in T. Elsaesser (Hg.), A Second Life: German Cinema's First<br />
Deca<strong>de</strong> (1895-1917) (Amsterdam: Amsterdam University Press, 1996) 9-37.<br />
39 Charles Musser, 'The Nickelo<strong>de</strong>on Era Begins: Establishing the Framework for Hollywood's Mo<strong>de</strong> of<br />
Production', in Elsaesser (1990), 256-273.<br />
40<br />
Fritz Lang war begeistert von <strong><strong>de</strong>r</strong> Orchestermusik, die er bei seinem New York-Besuch in<br />
amerikanischen Erstaufführungskinos erleben konnte. Fred Gehler, Ulrich Kasten (Hg.) Fritz Lang. Die<br />
Stimme von Metropolis (Berlin: Henschel, 1990), 209.<br />
41 Charles Musser, 'The Nickelo<strong>de</strong>on Era Begins', in Elsaesser (1990), 271-272.<br />
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