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Wie der frühe Film zum Erzählkino wurde - Filmportal.de

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<strong><strong>de</strong>r</strong> auf einem Felsen wie auf einer Leinwand plötzlich als bewegtes Bild erscheint.<br />

Überwältigt von <strong><strong>de</strong>r</strong> Pracht, will Siegfried nach <strong>de</strong>m Schatz greifen, worauf dieser wie<br />

eine Fata Morgana verschwin<strong>de</strong>t. Hier wird noch einmal die <strong>Film</strong>tradition <strong>de</strong>s 'Rube'<br />

anzitiert, d.h. Siegfried, <strong><strong>de</strong>r</strong> 'Thumbe Thor' beweist sich als kinematographischer<br />

Einfaltspinsel. Allerdings spielt in die Szene schon die Vorstellung <strong>de</strong>s Schaufensters und<br />

damit ein ironischer Verweis auf eine mo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne Konsumkultur, zu <strong><strong>de</strong>r</strong>en fester<br />

Verankerung im Leben <strong>de</strong>s Mittelstands und <strong><strong>de</strong>r</strong> arbeiten<strong>de</strong>n Bevölkerung <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong> so<br />

viel beigetragen hat. In diesen eher kommerziellen als mythologischen Zusammenhang<br />

gehört dabei das klischeehaft eingesetzte Motiv <strong>de</strong>s Alberich als jüdischer Händler und<br />

Kaufhausbesitzer, in <strong>de</strong>m sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Schaubu<strong>de</strong>nbesitzer Caligari mit <strong>de</strong>m Mephisto aus<br />

Murnaus "Faust" verbin<strong>de</strong>t, um aus diesem Vorgaukeln <strong>de</strong>s 'Schatzes' auch eine<br />

Verbildlichung o<strong><strong>de</strong>r</strong> Allegorie <strong>de</strong>s Kinos an sich zu machen, als einer Maschine, die ein<br />

nie zu stillen<strong>de</strong>s Verlangen nach 'Habhaftwer<strong>de</strong>n' in seine Zuschauer einpflanzte und<br />

damit das Kino zur obsessionellen Wunschmaschine wer<strong>de</strong>n ließ.<br />

Als das Publikum das Greifen verlernte<br />

Man könnte daran ein be<strong>de</strong>nkenswertes Paradox festmachen, nach <strong>de</strong>m die Entwicklung<br />

<strong>de</strong>s Kinos weniger damit zu tun hätte, daß 'die Bil<strong><strong>de</strong>r</strong> laufen lernten' (wie es so oft heißt),<br />

son<strong><strong>de</strong>r</strong>n uns eher fragen läßt, wie es dazu kam, daß die Zuschauer das Greifen nach <strong>de</strong>n<br />

Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>n verlernt haben, warum es ihnen ausgetrieben <strong>wur<strong>de</strong></strong>,<br />

nicht zuletzt in<strong>de</strong>m man solche Impulse in <strong>de</strong>n 'Uncle Josh'-<strong>Film</strong>en <strong><strong>de</strong>r</strong> Lächerlichkeit<br />

preis gab.<br />

<strong>Wie</strong> muß man sich <strong>de</strong>n historischen Verlauf dieses Vorgangs und <strong>de</strong>ssen Bedingungen<br />

vorstellen Das <strong>frühe</strong> Kino ist seit rund 25 Jahren ein bevorzugtes Objekt <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

<strong>Film</strong>geschichte: ohne ein ebenso komplexes wie wi<strong><strong>de</strong>r</strong>sprüchliches Forschungsgebiet<br />

ungebührlich vereinfachen zu wollen, kann man <strong>de</strong>nnoch Konstanten ausmachen, wenn<br />

man die Konturen und Brüche zwischen <strong>de</strong>m <strong>frühe</strong>n –<br />

auch 'primitiv' genannten – Kino und <strong>de</strong>n 'klassischen' <strong>Film</strong>en ab 1917/1919 besser<br />

verstehen und nachzeichnen will. Vorab könnte man sagen, daß das <strong>frühe</strong> Kino in seiner<br />

Grundform 'theatral', 'szenisch-gestisch', performativ ist, im Gegensatz <strong>zum</strong> klassischen<br />

Kino als 'narrativ', transparent-illusionistisch, <strong><strong>de</strong>r</strong> aristotelischen Poetik im<br />

Handlungsaufbau und <strong><strong>de</strong>r</strong> Personenkonstruktion folgend. <strong>Film</strong>historiker sprechen<br />

<strong>de</strong>shalb auch beim <strong>frühe</strong>n <strong>Film</strong> von einem Kino <strong>de</strong>s 'Zeigens' (showing) und beim<br />

klassischen von einem Kino <strong>de</strong>s 'Erzählens' (telling). Noel Burch sprach von einer<br />

'präsentieren<strong>de</strong>n' und einer 'repräsentieren<strong>de</strong>n' Modalität, aber eingebürgert hat sich<br />

inzwischen die Terminologie von Tom Gunning, <strong><strong>de</strong>r</strong> in einem Fall von einem 'Kino <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Attraktionen' und im an<strong><strong>de</strong>r</strong>en vom 'Kino <strong><strong>de</strong>r</strong> narrativen Integration' spricht: "Diese Begriffe<br />

[Kino <strong><strong>de</strong>r</strong> Attraktionen/Kino <strong><strong>de</strong>r</strong> narrativen Integration] stellen einen Versuch dar, zwei<br />

<strong>frühe</strong>re Ansätze zu überwin<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>nen zuvor versucht wor<strong>de</strong>n war, die Geschichte<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong>formen vor <strong><strong>de</strong>r</strong> Einführung <strong>de</strong>s langen Spielfilms zu verstehen. Der erste (und<br />

heute am meisten diskreditierte) Ansatz war, eine sich linear fortschreiben<strong>de</strong> Entwicklung<br />

anzunehmen, die ,wesentlich auf <strong>de</strong>n Eureka-Momenten und Erfindungen genialer<br />

Einzelpersonen beruhend, von <strong>de</strong>n primitiven Formen <strong>de</strong>s <strong>Film</strong>emachens <strong>zum</strong> späteren<br />

narrativen Stil führte. Der zweite Ansatz (etwas eleganter, aber <strong>de</strong>nnoch irreführend, wie<br />

ich meine) hat diesen Wan<strong>de</strong>l als das sich Wegbewegen von theatralischen Formen zu<br />

einem mehr filmischen Umgang mit <strong>de</strong>m Erzählstoff verstan<strong>de</strong>n." 12<br />

Gunnings so zentraler Artikel wird inzwischen als einer <strong><strong>de</strong>r</strong> einflußreichsten aber auch<br />

umstrittensten Versuche angesehen, die Eigenheit <strong>de</strong>s <strong>frühe</strong>n Kinos neu zu bestimmen. 13<br />

www.filmportal.<strong>de</strong> 4

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