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Wie der frühe Film zum Erzählkino wurde - Filmportal.de

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Lichtspieltheater gebun<strong>de</strong>n ist. 5 Ein Zeitsprung zurück <strong>zum</strong> <strong>frühe</strong>n Kino, d.h. <strong>de</strong>m <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

10er Jahre und noch davor, scheint angebracht. War das, worüber wir uns heute<br />

Gedanken machen o<strong><strong>de</strong>r</strong> uns entrüsten, nicht alles schon einmal dagewesen Das<br />

Greifen nach <strong>de</strong>n Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong>zum</strong> Beispiel<br />

Erinnern wir uns an die vielen <strong>Film</strong>e aus <strong>de</strong>n Jahren um die Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>twen<strong>de</strong>, zuerst in<br />

<strong>de</strong>n USA, aber dann auch in an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Län<strong><strong>de</strong>r</strong>n, die uns einen tolpatschigen Zuschauer –<br />

einen sogenannten 'Rube' o<strong><strong>de</strong>r</strong> Einfaltspinsel – vorführten, <strong><strong>de</strong>r</strong> im Kino auf die Leinwand<br />

kletterte und entwe<strong><strong>de</strong>r</strong> das Bild greifen, hinter das Bild schauen o<strong><strong>de</strong>r</strong> sich zur schönen<br />

Dame ins Schlafzimmer gesellen wollte. Diese 'Uncle Josh'-<strong>Film</strong>e, wie sie auch hießen,<br />

sind ein überaus aufschlußreiches Phänomen <strong>de</strong>s <strong>frühe</strong>n Kinos, <strong>de</strong>nn es stellt sich die<br />

Frage: gab es überhaupt eine solche Verwechslung <strong><strong>de</strong>r</strong> Gegenstän<strong>de</strong> und Personen mit<br />

ihren Darstellungen – ähnlich wie die Berichte vom einfahren<strong>de</strong>n Zug, vor <strong>de</strong>m sich die<br />

Zuschauer <strong>zum</strong> Ausgang flüchteten 6 O<strong><strong>de</strong>r</strong> haben wir es hier nicht vielmehr schon mit<br />

einer doppelten Bezugsebene zu tun, die selbst eine 'Legen<strong>de</strong>' inszeniert 7 Ein sich<br />

selbst für sophisticated halten wollen<strong>de</strong>s Stadtpublikum kann erst einmal über die (so<br />

distanzierten und auch diffamierten) Dummen vom Dorf lachen. Dabei ist eine weitere<br />

Dimension <strong>de</strong>nkbar, die in erster Linie das Selbstverständnis <strong>de</strong>s Kinos betrifft, als<br />

Erfahrungs- und Erlebnisort ganz allgemein. Denn die Situation <strong>de</strong>s ,'nach <strong>de</strong>n Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>n<br />

Greifens' im <strong>frühe</strong>n <strong>Film</strong> liegt noch etwas komplizierter, als es <strong>de</strong>n Anschein hat. 8<br />

Man könnte sich z.B. die Geschichte <strong><strong>de</strong>r</strong> Stereoskopie als weitverbreitete Unterhaltung<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> populären visuellen Kultur <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>ts in Erinnerung rufen, um einen<br />

Hinweis zu bekommen, wie stark das aufkommen<strong>de</strong> Kino fest etablierte Traditionen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Bildhaftigkeit mehr o<strong><strong>de</strong>r</strong> weniger bewußt unterdrückt und in Vergessenheit gebracht hat.<br />

Allerdings ist auch dies ein gradueller Vorgang. So gehört bei <strong>de</strong>n Gebrü<strong><strong>de</strong>r</strong>n Lumière<br />

die Überlagerung von Fotographie, Stereoskopie und leben<strong>de</strong>n Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>n noch <strong>zum</strong><br />

Grundgestus ihrer <strong>Film</strong>e. 9 Jonathan Crary hat in seinem Buch "Techniques oft the<br />

Observer" die Raum- und Körpererfahrungen, die das 19. Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>t mit <strong>de</strong>n Apparaten<br />

<strong>de</strong>s Sehens assoziierte, eingehend beschrieben, wobei er nachweisen konnte, wie stark<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> Körper als perzeptuelles und motorisches Moment mit in <strong>de</strong>n Sehvorgang<br />

einbezogen war. 10 Auch Walter Benjamin hat in einer bekannten Stelle im Kunstwerk-<br />

Aufsatz auf die Körperlichkeit im Umgang mit <strong>de</strong>n Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>n verwiesen: "Die Dinge räumlich<br />

und menschlich näher zu bringen, ist ein genauso lei<strong>de</strong>nschaftliches Anliegen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

gegenwärtigen Massen, wie es ihre Ten<strong>de</strong>nz einer Überwindung <strong>de</strong>s Einmaligen je<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Gegebenheit durch die [photographische] Aufnahme von <strong><strong>de</strong>r</strong>en Reproduktion ist.<br />

Tagtäglich macht sich unabweisbarer das Bedürfnis geltend, <strong>de</strong>s Gegenstands aus<br />

nächster Nähe im Bild, vielmehr im Abbild in <strong><strong>de</strong>r</strong> Reproduktion, habhaft zu wer<strong>de</strong>n." 11<br />

Nehmen wir Benjamins Gedanke, das Anliegen <strong><strong>de</strong>r</strong> Massen sei, <strong><strong>de</strong>r</strong> Dinge habhaft zu<br />

wer<strong>de</strong>n, und zwar in <strong><strong>de</strong>r</strong> Form <strong>de</strong>s Abbilds, als zentralen Punkt, so scheint, daß hier<br />

sowohl ein Problem als auch seine Lösung angesprochen wer<strong>de</strong>n, <strong>zum</strong>in<strong>de</strong>st eine<br />

'Lösung' im Sinne <strong><strong>de</strong>r</strong> Institution 'Kino' und <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong>-Industrie, die die Dinge 'näher bringt'.<br />

Darüberhinaus aber <strong>de</strong>utet Benjamin auch <strong>de</strong>n historischen Grund <strong>de</strong>s Problems an, <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

eine solche technische Lösung, wie sie das Kino ermöglicht, nötig macht, nämlich die<br />

Fetisch-Form <strong><strong>de</strong>r</strong> Ware, welche Nähe und Ungreifbarkeit prototypisch inszeniert.<br />

Eine kleine Szene aus <strong>de</strong>m ersten Teil von Fritz Langs "Die Nibelungen" (1924)<br />

ver<strong>de</strong>utlicht <strong>de</strong>n Vorgang in exemplarisch-allegorischer Weise. Nach<strong>de</strong>m Siegfried <strong>de</strong>n<br />

Hüter <strong>de</strong>s Nibelungenschatzes, Alberich, bezwungen hat, zeigt dieser ihm <strong>de</strong>n Schatz,<br />

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