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Wie der frühe Film zum Erzählkino wurde - Filmportal.de

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"Leinwand und Projektor sollten so angeordnet sein, daß die Personen in Lebensgröße<br />

projiziert erscheinen; [aber schon im] Jahre 1915 wird [<strong>de</strong>n Kinobetreibern] geraten, die<br />

Größe <strong><strong>de</strong>r</strong> Leinwand im Verhältnis zur Größe <strong>de</strong>s Saales zu variieren. Die <strong>frühe</strong>re<br />

Position hat also ein literarisches, theatralisches Konzept <strong>de</strong>s dargestellten Raumes, in<br />

<strong>de</strong>m die Leinwand ein Fenster ist, hinter <strong>de</strong>m die Protagonisten in einem meßbaren<br />

Abstand zu <strong>de</strong>n Zuschauern stehen. Im späteren Ratschlag von 1915 wird das <strong>Film</strong>bild<br />

nicht absolut son<strong><strong>de</strong>r</strong>n in Relation gesetzt, so daß die (relative) Entfernung zwischen<br />

Zuschauern und Protagonisten die eigentliche Variabel ist, auf die es ankommt." 31<br />

Das be<strong>de</strong>utet, daß vor 1915 die Relation <strong>de</strong>s Zuschauers <strong>zum</strong> projizierten Bild die <strong>de</strong>s<br />

Theaters, <strong>de</strong>s Varietés und <strong><strong>de</strong>r</strong> Kleinkunst zu imitieren suchte, während sich danach,<br />

also im Übergang <strong>zum</strong> 'klassischen' <strong>Erzählkino</strong>, das Kino ein ganz ihm eigenes<br />

Raumgefühl herstellen wollte, wobei das wichtigste Moment die Konstruktion einer<br />

einzigen Perspektive für alle Zuschauer war, unabhängig von ihrer Plazierung im Saal.<br />

Das heißt aber auch, daß damit <strong><strong>de</strong>r</strong> Zuschauer als einzelner, individualisierter und<br />

isolierter gesehen und in dieser Form auch angesprochen wird: je<strong><strong>de</strong>r</strong> Zuschauer hat von<br />

nun an '<strong>de</strong>n besten Sitzplatz im Haus', und dies ist bis heute das Konstruktionsprinzip<br />

nicht nur <strong><strong>de</strong>r</strong> Kinosäle son<strong><strong>de</strong>r</strong>n auch <strong><strong>de</strong>r</strong> Komposition <strong>de</strong>s bewegten <strong>Film</strong>bil<strong>de</strong>s<br />

geblieben.<br />

Zentrierung <strong>de</strong>s Blicks auf <strong>de</strong>m Weg zur Erzählung<br />

Demgegenüber kann allerdings nicht nachdrücklich genug darauf verwiesen wer<strong>de</strong>n, daß<br />

solche Unterscheidungen nicht strikt chronologisch gesehen wer<strong>de</strong>n können. Die<br />

Einübung <strong><strong>de</strong>r</strong> Sammlung und Zentrierung <strong><strong>de</strong>r</strong> Aufmerksamkeit sind schon von Anfang an<br />

in <strong>de</strong>n <strong>Film</strong>en zu fin<strong>de</strong>n, ganz beson<strong><strong>de</strong>r</strong>s bei <strong>de</strong>nen <strong><strong>de</strong>r</strong> Gebrü<strong><strong>de</strong>r</strong> Lumière und <strong>de</strong>n<br />

sogenannten britischen Pionieren Williamson, Hepworth und Smith. So fin<strong>de</strong>t sich z.B. in<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong> amerikanischen Fachpresse eine Rezension <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten Lumièrevorstellungen in New<br />

York aus <strong>de</strong>m Jahre 1896, wo es heißt: "Ein neuer <strong>Film</strong> ist gezeigt wor<strong>de</strong>n, <strong><strong>de</strong>r</strong> die<br />

Mittagsstun<strong>de</strong> in <strong><strong>de</strong>r</strong> Fabrik <strong><strong>de</strong>r</strong> Gebrü<strong><strong>de</strong>r</strong> Lumière in Lyon in Frankreich zeigt. Als die<br />

Sirene pfiff, <strong>wur<strong>de</strong></strong>n die Fabriktore geöffnet und Männer, Frauen und Kin<strong><strong>de</strong>r</strong> kamen<br />

herausgeströmt. Einige Arbeiter hatten Fahrrä<strong><strong>de</strong>r</strong>, die sie außerhalb <strong><strong>de</strong>r</strong> Fabrik bestiegen<br />

und damit wegfuhren. Ein Pfer<strong>de</strong>wagen, <strong>de</strong>n die Lumières dazu benutzen, um weit<br />

entfernt leben<strong>de</strong> Arbeiter zu transportieren, kam in <strong><strong>de</strong>r</strong> natürlichsten Weise, die man sich<br />

vorstellen kann, heraus. Ein Erklärer war dafür angestellt wor<strong>de</strong>n, die Bil<strong><strong>de</strong>r</strong> während <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Vorführung zu erläutern, aber er wäre gar nicht nötig gewesen, <strong>de</strong>nn die Bil<strong><strong>de</strong>r</strong> [...]<br />

sprechen für sich." 32<br />

Nicht nur haben die Lumières dieses Gefühl <strong><strong>de</strong>r</strong> 'Sammlung' und <strong><strong>de</strong>r</strong> Fokussierung <strong>de</strong>s<br />

Blicks in ihre <strong>Film</strong>e gelegt, in<strong>de</strong>m sie immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong> Arbeitsprozesse und<br />

Fertigungsweisen darstellten, 33 son<strong><strong>de</strong>r</strong>n sie haben diesen Grad <strong><strong>de</strong>r</strong> 'Verinnerlichung'<br />

auch durch eine Art 'mise-en-abyme'-Effekt erreicht, in <strong>de</strong>m die dargestellte Handlung in<br />

mannigfaltiger Weise <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>s Darstellens selbst reflektiert. Ein gutes Beispiel<br />

dafür wäre <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong> Demolition d'un mur" ("Der Abbruch einer Mauer") 34<br />

Bei <strong>de</strong>n Regisseuren <strong><strong>de</strong>r</strong> sogenannten 'Brighton School' ist es eine an<strong><strong>de</strong>r</strong>e<br />

Vorgehensweise, die uns noch vertrauter ankommt, <strong>de</strong>nn sie hat schon um die<br />

Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>twen<strong>de</strong> die Zeit und <strong>de</strong>n Raum so analytisch behan<strong>de</strong>lt, wie es im klassischen<br />

Stil zur Norm wird. Denn in dieser Hinsicht ist die Entwicklungsgeschichte <strong>de</strong>s Kinos<br />

bestimmt vom Vermögen <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong>emacher, Raum und Zeit – jene bei<strong>de</strong>n Dimensionen,<br />

die im <strong>Film</strong> gleichzeitig präsent sind – in einer für <strong>de</strong>n Zuschauer verstehbaren Form zu<br />

www.filmportal.<strong>de</strong> 10

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