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Wie der frühe Film zum Erzählkino wurde - Filmportal.de

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konstruieren. Eine solche Logik, vielleicht nicht so sehr <strong>de</strong>s Sichtbaren, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n <strong>de</strong>s am<br />

eigenen Körper Mit-Erfahrbaren, hängt vom Schaffen einer im Grun<strong>de</strong> gar nicht so<br />

simplen Illusion ab, nämlich sowohl <strong><strong>de</strong>r</strong> von Kontinuität wie <strong><strong>de</strong>r</strong> von Kontiguität. In<br />

an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Worten, Raum und Zeit müssen erst einmal als variable Größen getrennt<br />

erfahrbar gemacht wer<strong>de</strong>n, ehe sie im neuen Verbund (z.B. durch Montage o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Än<strong><strong>de</strong>r</strong>ung <strong><strong>de</strong>r</strong> Einstellungsgröße) <strong>de</strong>m Zuschauer <strong>de</strong>n Eindruck kausaler<br />

Zusammenhänge vermitteln und somit eine Handlung als kohärent und zwingend<br />

erscheinen lassen können. In Charles Hepworths 1905 gedrehtem "Rescued By Rover"<br />

wird z.B. die einfache Fort-Bewegung <strong>de</strong>s Schäferhun<strong>de</strong>s Rover in die Tiefe <strong>de</strong>s Bil<strong>de</strong>s<br />

dazu genutzt, um räumliche Diskontinuitäten zu überbrücken und neben <strong><strong>de</strong>r</strong> Illusion einer<br />

kontinuierlich fortschreiten<strong>de</strong>n Zeit auch die sukzessive Abfolge <strong><strong>de</strong>r</strong> Handlungsorte<br />

(Vorstadt-Straße, Flußufer, Gasse in <strong>de</strong>n Slums) als eines sozialen Auf- und Abstieg zu<br />

ver<strong>de</strong>utlichen. Ein solcher Eindruck <strong><strong>de</strong>r</strong> 'Selbst'-Verständlichkeit einer Handlung hängt<br />

also nicht so sehr davon ab, wie real das Gefilmte tatsächlich ist (d.h. vom<br />

dokumentarischen Wert <strong>de</strong>ssen, was einmal vor <strong><strong>de</strong>r</strong> Kamera stand o<strong><strong>de</strong>r</strong> sich bewegte,<br />

obwohl gera<strong>de</strong> die heute dokumentarisch anmuten<strong>de</strong>n Ansichten <strong><strong>de</strong>r</strong> Arbeiterviertel in<br />

"Rescued By Rover" natürlich sehr wohl ihren eigenen Charme haben), son<strong><strong>de</strong>r</strong>n ob das<br />

System, das die Repräsentation bestimmt, <strong>de</strong>n Zuschauern verständlich ist. Ein an<strong><strong>de</strong>r</strong>er,<br />

oft zitierter Fall ist G. A. Smiths und James A. Williamsons "Henley Regatta" aus <strong>de</strong>m<br />

Jahre 1899, worin Einstellungen von Booten, die vom Flußufer aus aufgenommen<br />

wor<strong>de</strong>n sind, mit Einstellungen von winken<strong>de</strong>n Menschenmengen abwechseln, die<br />

offenkundig von <strong><strong>de</strong>r</strong> Flußmitte aus gedreht <strong>wur<strong>de</strong></strong>n. Die Entscheidung, diese<br />

Einstellungen alternieren zu lassen, schafft einen kausalen Zusammenhang, einen rein<br />

filmischen Raum (in <strong>de</strong>m die Menge <strong>de</strong>n Booten zujubelt, die in <strong>de</strong>n vorherigen und<br />

nachfolgen<strong>de</strong>n Einstellungen sichtbar sind). Ich nenne es einen rein filmischen Raum,<br />

weil die Frage, ob diese Zuschauer jemals <strong>de</strong>n Ru<strong><strong>de</strong>r</strong>booten zugejubelt haben (und nicht<br />

z.B. <strong><strong>de</strong>r</strong> Kamera) und, wenn ja, ob es gera<strong>de</strong> diese Boote waren, nie beantwortet wer<strong>de</strong>n<br />

kann. Dieses historische Ereignis (wir können es in einem guten Zeitungsarchiv<br />

nachlesen) ist nun ein filmisches Erlebnis, welches ganz und gar unabhängig von <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

historischen Realität <strong><strong>de</strong>r</strong> Veranstaltung vom Mai 1899 existiert.<br />

Solche Beispiele werfen jenseits <strong>de</strong>s Realitätsgehalts <strong><strong>de</strong>r</strong> Bil<strong><strong>de</strong>r</strong> o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong><strong>de</strong>r</strong> Stimmigkeit <strong>de</strong>s<br />

inszenierten Raums noch an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Fragen auf. Smith und Williamson haben nicht einfach<br />

einzelne Einstellungen aneinan<strong><strong>de</strong>r</strong> montiert, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n sie haben sie nach einer kausalen<br />

Logik zusammengefügt, die ein ganz bestimmtes zeitliches und räumliches Denken<br />

voraussetzt. Be<strong>de</strong>utet das, daß sie nicht nur bereits eine Vorstellung von <strong>de</strong>m hatten,<br />

was wir heute '<strong>Film</strong>schnitt' nennen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n auch von <strong>de</strong>ssen beson<strong><strong>de</strong>r</strong>er Form, <strong>de</strong>m<br />

continuity editing Daß die <strong>Film</strong>emacher ihre kausale Logik just auf <strong>de</strong>n Dreitakt<br />

'Sehen/Gesehen-Wer<strong>de</strong>n/Sehen' aufbauen, <strong>de</strong>utet eigentlich darauf hin; weshalb das<br />

Beispiel auch so frappant ist, <strong>de</strong>nn es zeigt recht <strong>de</strong>utlich, wie hier <strong><strong>de</strong>r</strong> Zuschauer in die<br />

Darstellung ('Handlung' wäre ein zu anspruchsvolles Wort) 'eingebun<strong>de</strong>n' wird. Ganz<br />

systematisch trennten diese <strong>frühe</strong>n <strong>Film</strong>emacher Zeit und Raum, um sie dann wie<strong><strong>de</strong>r</strong><br />

nach kognitiv nachvollziehbaren Prinzipien zusammenzusetzen. Ihre <strong>Film</strong>e, neben<br />

"Rescued By Rover" <strong>de</strong>nkt man an "Daring Daylight Robbery" o<strong><strong>de</strong>r</strong> "Fire!" nehmen einen<br />

so herausragen<strong>de</strong>n Platz in <strong><strong>de</strong>r</strong> Diskussion um das <strong>frühe</strong> Kino ein, weil sie neben <strong>de</strong>m<br />

Prinzip 'Sehen/Gesehen-Wer<strong>de</strong>n/Sehen' auch die für das klassische <strong>Erzählkino</strong> so<br />

zentrale Logik von Frage und Antwort meisterlich handhaben (ein Bild lässt <strong>de</strong>n<br />

Zuschauer fragen 'wo' o<strong><strong>de</strong>r</strong> 'wie', worauf das nächste ihm antwortet: 'da' o<strong><strong>de</strong>r</strong> 'so', und,<br />

ohne daß wir <strong>de</strong>ssen gewahr wer<strong>de</strong>n, sind wir 'drin' in <strong><strong>de</strong>r</strong> Erzählung, haben uns<br />

'eingebracht' über die sogenannten 'erotetischen' Leerstellen in <strong>de</strong>n Bil<strong><strong>de</strong>r</strong>n: ganz genau<br />

www.filmportal.<strong>de</strong> 11

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