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Wie der frühe Film zum Erzählkino wurde - Filmportal.de

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Eine weitere Folgerung wäre, daß diese <strong>Film</strong>e – fast so direkt wie die, <strong><strong>de</strong>r</strong>en<br />

Protagonisten <strong><strong>de</strong>r</strong> Kamera <strong>de</strong>n Blick zuwen<strong>de</strong>n – sich ihr Publikum ebenfalls als physisch<br />

im Saal präsentes Kollektiv vorstellen. In<strong>de</strong>m sie es direkt ansprechen wollen, um damit<br />

die Trennung <strong><strong>de</strong>r</strong> Raumkonstellation aufzuheben, verfallen sie auf Stil- und<br />

Darstellungsmittel <strong>de</strong>s Performativen (unter <strong>de</strong>nen <strong><strong>de</strong>r</strong> direkte Blickkontakt nur das<br />

evi<strong>de</strong>nteste ist), die heute wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um die anscheinen<strong>de</strong> 'Naivität' solcher Versuche umso<br />

drastischer vor Augen führen. An<strong><strong>de</strong>r</strong>erseits markiert unsere vermeintliche Überlegenheit<br />

wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um die Distanz, die uns vom Publikum <strong><strong>de</strong>r</strong> ersten Kinos noch mehr trennt als von<br />

<strong><strong>de</strong>r</strong>en <strong>Film</strong>en. Um André Gaudreault zu zitieren: "Frühe <strong>Film</strong>emacher behan<strong>de</strong>lten mehr<br />

o<strong><strong>de</strong>r</strong> weniger bewußt je<strong>de</strong> Einstellung als eigenständige Einheit; das Objekt <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Einstellung sollte nicht ein kleines zeitliches Segment sein, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n vielmehr eine<br />

ganzheitliche Handlung, die sich in einem homogenen Raum entfaltete. Zwischen <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Einheit <strong>de</strong>s gewählten räumlichen point of view und <strong><strong>de</strong>r</strong> Einheit <strong><strong>de</strong>r</strong> zeitlichen Kontinuität<br />

hat erstere <strong>de</strong>n Vorrang. Bevor sich die Kamera einem zweiten Aufnahmeort zuwen<strong>de</strong>t,<br />

wird alles, was am ersten Ort geschah, bis zur Entleerung <strong>de</strong>s Bildraums gezeigt. Die<br />

räumliche Beharrung siegt über die Logik <strong><strong>de</strong>r</strong> Zeit." 28<br />

Geht man also von <strong><strong>de</strong>r</strong> Annahme aus, daß die Handlungseinheit <strong>de</strong>s <strong>frühe</strong>n <strong>Film</strong>s das<br />

Tableau o<strong><strong>de</strong>r</strong> die Szene ist, in <strong><strong>de</strong>r</strong> das Geschehen immer als Ganzes vorgeführt wird<br />

(und nicht wie im klassischen Stil, durch Montage auf seine logisch, zeitlich o<strong><strong>de</strong>r</strong> räumlich<br />

notwendigen Teilaspekte verkürzt), so fügen sich viele dieser visuellen Versuche, <strong>de</strong>n<br />

Handlungsverlauf voranzutreiben, zu einem durchaus kohärenten Mo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s Erzählens<br />

durch Zeigen und <strong><strong>de</strong>r</strong> Einbindung <strong>de</strong>s Zuschauers durch <strong>de</strong>n Gestus <strong>de</strong>s konspirativen<br />

Einverständnisses und <strong><strong>de</strong>r</strong> Teilnahme. Daneben arbeitete das <strong>frühe</strong> Kino mit einer<br />

'Ästhetik <strong><strong>de</strong>r</strong> Überraschung' und nicht mit suspense. 29<br />

Solche Gegenüberstellungen heben auch hervor, daß eine <strong><strong>de</strong>r</strong> Attraktionen <strong>de</strong>s <strong>frühe</strong>n<br />

Kinos im Apparat selbst begrün<strong>de</strong>t lag, unabhängig vom Gezeigten, wobei die<br />

Faszination <strong>de</strong>s letzteren für das Publikum bei <strong>de</strong>n Bewegungen und Blickfängen lag, die<br />

das Kino zeigen konnte, ohne daß diese eingebettet sein mußten in eine bestimmte<br />

Erzählform: bei <strong>de</strong>n Lumière-<strong>Film</strong>en <strong>zum</strong> Beispiel <strong>wur<strong>de</strong></strong> immer wie<strong><strong>de</strong>r</strong> das Rascheln <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Blätter o<strong><strong>de</strong>r</strong> das sich Kräuseln <strong>de</strong>s Rauchs als beson<strong><strong>de</strong>r</strong>e thrills beschrieben. 30 Diese<br />

Performativität <strong><strong>de</strong>r</strong> Natur unterstreicht, wie sehr im 'Kino <strong><strong>de</strong>r</strong> Attraktionen' die Interaktion<br />

zwischen Personen auf <strong><strong>de</strong>r</strong> Leinwand und <strong>de</strong>m Publikum oft auf <strong>de</strong>m bewußten,<br />

lustbetonten Exhibitionismus <strong><strong>de</strong>r</strong> Schauspieler beruhte und nicht – wie im 'klassischen'<br />

Kino – auf <strong>de</strong>m uneingestan<strong>de</strong>nen Voyeurismus <strong><strong>de</strong>r</strong> Zuschauer. Solche Beobachtungen<br />

kontextualisieren und historisieren die oft negativ intendierte Bemerkung, daß im<br />

heutigen Kino und Fernsehen nur noch 'Show' vorherrsche. Der <strong>frühe</strong> <strong>Film</strong> aber zeigt,<br />

wie wichtig es ist, das Performative von <strong><strong>de</strong>r</strong> Narrativisierung zu unterschei<strong>de</strong>n, und wie<br />

schwierig es ist, diese bei<strong>de</strong>n Modi <strong><strong>de</strong>r</strong> affektiven Kommunikation strikt voneinan<strong><strong>de</strong>r</strong> zu<br />

trennen o<strong><strong>de</strong>r</strong> gegeneinan<strong><strong>de</strong>r</strong> auszuspielen.<br />

Daß auch die Kinobetreiber ihr Publikum als kollektives verstan<strong>de</strong>n haben, ergibt sich<br />

aus verschie<strong>de</strong>nen Indizien, die <strong>Film</strong>historiker immer häufiger <strong><strong>de</strong>r</strong> damaligen Fachpresse<br />

entnehmen. So hat z.B. Ben Brewster mehrere Umfragen in Branchenblättern <strong><strong>de</strong>r</strong> zehner<br />

Jahre analysiert, bei <strong><strong>de</strong>r</strong> Kinobesitzer wissen wollten, was nun die 'korrekte' Größe <strong><strong>de</strong>r</strong><br />

Leinwand sein müßte für eine optimale Projektion. 1908 hieß die Antwort:<br />

www.filmportal.<strong>de</strong> 9

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