Wie der frühe Film zum Erzählkino wurde - Filmportal.de
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Zweitens, man geht zwar ins Kino, aber nicht nur wegen <strong>de</strong>s <strong>Film</strong>s. Das mag übertrieben<br />
sein, jedoch sind die zwei Stun<strong>de</strong>n Dunkelheit nur Teil eines auf an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Erlebnisse hin<br />
ausgerichteten Abendprogramms, wobei <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong> und seine Stars die Anmache sind. <strong>Wie</strong><br />
Edgar Reitz es an an<strong><strong>de</strong>r</strong>er Stelle formuliert hat: "Der <strong>Film</strong> ist eine Art Übereinkunft, wohin<br />
man geht. Er gibt <strong>de</strong>m Ausgehbedürfnis einen Namen und eine Adresse." 3<br />
Dementsprechend verhalten sich Kino-Besucher immer ungezwungener: sie re<strong>de</strong>n<br />
während <strong>de</strong>s <strong>Film</strong>s, gehen auch mal raus, machen sich es im Kinosessel so richtig<br />
gemütlich, wie sie es als couch-potato vor <strong>de</strong>m häuslichen Fernseher o<strong><strong>de</strong>r</strong> in <strong><strong>de</strong>r</strong> Kneipe<br />
gewöhnt sind. Der italienische Regisseur Gianni Amelio hat seinem Kummer darüber<br />
einmal so Luft gemacht: "Die jungen Leute heute wollen ein Produkt, was man nicht<br />
individualistisch, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n kollektiv konsumiert. Sie gehen in Gruppen von 20-25 und<br />
brauchen ein Kino, das sich <strong>zum</strong> Komplizen ihres Verhaltens macht, d.h. ein Kino mit<br />
regelmäßigen Gags, bei <strong>de</strong>nen Du Deinem Nachbar auf die Schulter schlagen kannst.<br />
Diese Art von Kino funktioniert ein bißchen wie eine Diskothek: man geht zusammen ins<br />
Kino, aber nicht in erster Linie, um einen <strong>Film</strong> zu sehen, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n um das Zusammensein<br />
auf Kosten <strong>de</strong>s <strong>Film</strong>s zu genießen." 4<br />
Ein drittes, ebenfalls von <strong><strong>de</strong>r</strong> Kritik oft negativ besetztes Kennzeichen <strong>de</strong>s Wan<strong>de</strong>ls ist,<br />
daß Hollywood das Erzählen verlernt hat und nun <strong>Film</strong>e macht, die virtuelle<br />
Achterbahnen sind (roller coaster ri<strong>de</strong>s; Beispiel: "Speed"), reinen Nervenkitzel liefern<br />
(Beispiel: die slasher movies), wie Pornos Vorlust und Frust anheizen (Beispiel: "Basic<br />
Instinct") o<strong><strong>de</strong>r</strong> einen Flight-Simulator simulieren (Beispiele: "Top Gun" o<strong><strong>de</strong>r</strong> "Air Force<br />
One"). Ohne auf diese Behauptungen im einzelnen einzugehen o<strong><strong>de</strong>r</strong> sie hier zu<br />
nuancieren, könnte als gemeinsamer Nenner solcher Verän<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen ten<strong>de</strong>nziell ein<br />
neuer visueller, aber auch kognitiver Bezugsrahmen für das Kinoerlebnis ausgemacht<br />
wer<strong>de</strong>n: die Simulation eines entgrenzten Raums (IMAX Screens und 3-D <strong>Film</strong>en), die<br />
Dichte (und Dissonanz) <strong><strong>de</strong>r</strong> Sinneseindrücke und die Fülle <strong><strong>de</strong>r</strong> sich oft wi<strong><strong>de</strong>r</strong>sprechen<strong>de</strong>n<br />
audiovisuellen Informationen verführen zu an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Sehgewohnheiten und selektiven<br />
Wahrnehmungsmustern. Kino wird nicht länger erfahren als ein Fenster zur Welt, durch<br />
das man Neues kennen lernen o<strong><strong>de</strong>r</strong> an frem<strong>de</strong>m Leben teilhaben kann, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n es<br />
alterniert zwischen virtuellem Umfeld, in das man eintaucht, und einer<br />
Benutzeroberfläche, über die man Informationen abruft. Daneben ist <strong><strong>de</strong>r</strong> Bildschirm auch<br />
Schaufenster, in <strong>de</strong>m alles zu haben, alles <strong>zum</strong> Zerschlagen bzw. alles <strong>zum</strong> Greifen<br />
nahe ist.<br />
Allegorien <strong>de</strong>s körperlichen Sehens<br />
Betrachtet man nun aber diese Prozesse gegen die Folie <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong>geschichte, muß einem<br />
auffallen, daß – im Gegensatz zu Reitz' Meinung – das <strong>frühe</strong> Kino eigentlich <strong>de</strong>m<br />
zukünftigen in vieler Hinsicht ähnlicher ist als <strong>de</strong>m 'klassischen' <strong>Erzählkino</strong>, das nun auch<br />
angeblich <strong><strong>de</strong>r</strong> Vergangenheit anheimfällt. Der Zustand <strong><strong>de</strong>r</strong> uns geläufigen Rezeption – in<br />
Andacht, Stille und Konzentration – ist aus historischer Sicht ein recht wi<strong><strong>de</strong>r</strong>sprüchliches<br />
Verhalten, das erstens nicht natürlich, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n in gewisser Weise anerzogen o<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
angelernt ist und, zweitens eng verbun<strong>de</strong>n mit <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong>sprache o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Film</strong>form, die wir die<br />
Hollywood-Norm zu nennen gewohnt sind, die wie<strong><strong>de</strong>r</strong>um ohne die industrielle<br />
Organisation, die wir die <strong>Film</strong>wirtschaft nennen, kaum entstan<strong>de</strong>n wäre. Wir können<br />
schwer einem Rezeptionsmodus nachtrauern, <strong>de</strong>ssen historische Bedingungen so eng<br />
mit <strong><strong>de</strong>r</strong> für diese Nostalgie so zwiespältigen Hollywood-Ästhetik zusammenhängen.<br />
Weshalb in filmwissenschaftlichen Kreisen <strong><strong>de</strong>r</strong> Ruf nach 'weniger <strong>Film</strong>geschichte und<br />
mehr Kinogeschichte' laut gewor<strong>de</strong>n ist, während Reitz (allerdings noch zur Zeit <strong>de</strong>s<br />
Kinosterbens) programmatisch davon spricht, daß <strong>Film</strong>geschichte nicht an<br />
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