Gebündeltes Wissen gegen Gewalt - Ãsterreichische LIGA für ...
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Gebündeltes <strong>Wissen</strong> <strong>gegen</strong> <strong>Gewalt</strong>:<br />
Die Arbeit von Kinderschutzgruppen<br />
Studie im Auftrag des Wiener Krankenanstaltenverbunds<br />
Endbericht<br />
Dr. Maria Kletečka-Pulker<br />
Dr. Julia Inthorn<br />
Carina Hauser, MA<br />
Sabine Parrag<br />
1
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Ausgangslage ...................................................................................................................... 4<br />
1.1 Stand der Forschung .................................................................................................. 5<br />
2. Kinderschutzgruppen in Wien ........................................................................................... 6<br />
Organigramm der Kinderschutzgruppen (KSG) ................................................................. 7<br />
3. Rechtliche Rahmenbedingungen ...................................................................................... 8<br />
3.1 Rechtliche Verankerung von Kinderschutzgruppen im KAKuG .................................. 8<br />
3.1.1 Einrichtung und Zuständigkeit bzw. Aufgabe von Kinderschutzgruppen ................ 8<br />
3.1.2 Mitglieder von Kinderschutzgruppen ..................................................................... 9<br />
3.1.3 Aufgabe der Kinderschutzgruppen .......................................................................10<br />
3.2 Berufsrechtliche Rahmenbedingungen zum Schutz der Kinder .................................10<br />
3.2.1 Verschwiegenheitspflicht......................................................................................10<br />
3.2.2 Anzeige- und Meldepflichten bei strafbaren Handlungen (Tod, Körperverletzung,<br />
Misshandlung, sexueller Missbrauch, Quälen, Vernachlässigung) ........................11<br />
3.3 Begriffsbestimmungen ..............................................................................................11<br />
3.4 Wann liegt ein Verdacht vor ....................................................................................12<br />
3.5 Weg der Anzeige ......................................................................................................13<br />
3.5.1 Misshandlung, Quälen, Vernachlässigung und sexueller Missbrauch von<br />
minderjährigen Personen......................................................................................13<br />
3.5.2 Misshandlung, Quälen, Vernachlässigung und sexueller Missbrauch von<br />
volljährigen Personen, die ihre Interessen nicht selbst wahrnehmen können........16<br />
3.5.3 Misshandlung, Quälen, Vernachlässigung und sexueller Missbrauch von<br />
volljährigen Personen ...........................................................................................17<br />
3.5.4 Schwere Körperverletzung von Minderjährigen ....................................................18<br />
3.5.5 Anzeigepflicht bei leichter Körperverletzung ........................................................20<br />
3.5.6 Anzeigepflicht bei Tod ..........................................................................................20<br />
3.6 Geplante Änderungen im Ärztegesetz .......................................................................20<br />
4. Studiendesign .................................................................................................................... 22<br />
4.1 Ziel der Studie und Methoden der Datenerhebung.....................................................22<br />
4.2 Datenakquise ............................................................................................................24<br />
4.3 Forschungsethische Aspekte und Anonymisierung ...................................................24<br />
4.4 Datenlage der Dokumentation ...................................................................................25<br />
4.5 Fallanalyse und Entwickeln geeigneter Variablen ......................................................26<br />
5. Ergebnisse der Studie ...................................................................................................... 27<br />
5.1 Fallzahlen ..................................................................................................................27<br />
5.2 Charakteristik der bearbeiteten Fälle .........................................................................27<br />
2
5.2 Geschlechterverteilung ..............................................................................................30<br />
5.3 Altersverteilung .........................................................................................................30<br />
5.4 Verdachtsfälle und Meldeverhalten............................................................................32<br />
5.5 Eltern-Kind-Interaktion als Thema der Kinderschutzgruppenarbeit ............................34<br />
5.6 Aktivitäten der Kinderschutzgruppe ...........................................................................35<br />
5.7 Ansehen der Kinderschutzgruppe .............................................................................37<br />
6. Die Best Practice der Kinderschutzgruppenarbeit ........................................................ 38<br />
6.1 Gegenwärtige Best Practice ......................................................................................38<br />
6.2 Vorschläge zur Optimierung der Best Practice ..........................................................38<br />
7. Fazit ..................................................................................................................................... 39<br />
8. Anhang ................................................................................................................................ 41<br />
8.1 Gesetzliche Bestimmungen .......................................................................................41<br />
8.2 Personal des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin ..........................................50<br />
8.3 Literaturverzeichnis ...................................................................................................50<br />
8.4 Verzeichnis der Tabellen und Grafiken......................................................................51<br />
8.5 Dokumentations-, Meldungs-, Zuweisungsblätter des Bundesministeriums für<br />
Wirtschaft, Familie und Jugend ...................................................................................52<br />
3
1. Ausgangslage<br />
Kinder sind, um sich optimal entwickeln zu können, auf unseren besonderen Schutz und<br />
unsere Hilfe angewiesen. Dieser spezielle Schutz wird ihnen durch die 1989 von den<br />
Vereinten Nationen verabschiedete Konvention über die Rechte des Kindes zuerkannt.<br />
Besonders Kinder, die unter schwierigen Rahmenbedingungen heranwachsen, bedürfen<br />
dieses Schutzes, der in einzelnen Fällen nicht durch die Familie sichergestellt werden<br />
kann. Vor allem, wenn sie Opfer von <strong>Gewalt</strong> werden, sind Kinder darauf angewiesen,<br />
dass die Gesellschaft diese Schutzfunktion übernimmt. Laut der BMGFJ-Broschüre<br />
„<strong>Gewalt</strong> <strong>gegen</strong> Kinder und Jugendliche. Leitfaden für die Kinderschutzarbeit in<br />
Gesundheitsberufen“ (2008) wird <strong>Gewalt</strong> dabei wie folgt definiert: „<strong>Gewalt</strong> <strong>gegen</strong> Kinder<br />
und Jugendliche ist eine – bewusste oder unbewusste – gewaltsame körperliche<br />
und/oder seelische Schädigung, die in Familien oder Institutionen geschieht und die zu<br />
Verletzungen, Entwicklungsverzögerungen oder gar zum Tode führt und die somit das<br />
Wohl und die Rechte eines Kindes beeinträchtigt oder bedroht.“<br />
Die öffentliche Wahrnehmung des Problemfelds Kinderschutz ist stark beeinflusst von<br />
jenen Fällen, in denen <strong>Gewalt</strong> an Kindern einen „monströsen“ Charakter zeigt, der fernab<br />
vom Alltag der Allgemeinheit zu sein scheint. Die Fälle werden medial als dramatisch<br />
und gleichzeitig außergewöhnlich inszeniert, sie erhalten den Charakter von<br />
Katastrophen, <strong>gegen</strong> die die Gesellschaft die Kinder – aber auch sich selbst – schützen<br />
muss. Rufe nach stärkerer Kontrolle und Eingriffen von staatlicher Seite werden in der<br />
Regel danach laut. Von politischer Seite kann darauf u.a. mit gesetzlichen Regelungen,<br />
der Androhung höherer Haftstrafen oder auch einer Verstärkung der Prävention reagiert<br />
werden.<br />
Ein von politischer Seite getaner Schritt war, die seit den 1990er Jahren bestehenden<br />
Kinderschutzgruppen im Jahr 2004 durch eine gesetzliche Regelung für alle<br />
Kinderabteilungen und Kinderkliniken in Österreich verpflichtend werden zu lassen.<br />
Kinderschutzgruppen werden tätig, um Kindern, die Opfer von <strong>Gewalt</strong> im oben<br />
definierten Sinn wurden, Hilfe und Schutz zu bieten. Sie übernehmen dabei als eine<br />
ExpertInnengruppe innerhalb eines Krankenhauses eine Schnittstellenfunktion zwischen<br />
medizinischem Personal, das einen Verdacht auf Misshandlung oder Missbrauch bei<br />
einem Kind äußert, Sozialarbeit, Jugendämtern und anderen Institutionen. Hierbei<br />
kommt das Fachwissen verschiedener ExpertInnen gebündelt zum Einsatz. Jeder<br />
Einzelfall wird individuell betreut und bearbeitet. Im Alltag der Kinderschutzgruppen<br />
spielen dabei weniger die medial präsenten Fälle von massiver <strong>Gewalt</strong> <strong>gegen</strong> Kinder<br />
eine Rolle, sondern vor allem Formen von Vernachlässigung und Verletzungen mit<br />
4
ungeklärter Ursache (Saladin 2004, 6). Die in den Kinderschutzgruppen aufscheinenden<br />
alltäglichen Formen der <strong>Gewalt</strong> <strong>gegen</strong> Kinder (im obigen Definitionssinn) zeigen dabei<br />
die relevanten und gesellschaftlich brisanten Problemfelder von <strong>Gewalt</strong> an Kindern, die<br />
allerdings in der medialen Verarbeitung des Themas keine Rolle spielen. Die hier<br />
geleistete Arbeit, das angesammelte ExpertInnenwissen und die Expertise im Umgang<br />
mit <strong>Gewalt</strong> an Kindern sowie die Sachlage hinsichtlich der Formen von Missbrauch<br />
sollen Gegenstand der hier dargestellten explorativen Studie sein.<br />
1.1 Stand der Forschung<br />
Bislang gibt es wenige Studien zur Arbeit von Kinderschutzgruppen in Österreich und<br />
keine aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. Thun-Hohenstein hat 2005 eine<br />
Übersicht über die Zahl der bestehenden Kinderschutzgruppen publiziert (Thun-<br />
Hohenstein 2005). Weiters hat er auf der Basis einer Dokumentenanalyse der<br />
Kinderschutzgruppe in Salzburg die dort in einem Zeitraum von 5 Jahren bearbeiteten<br />
Verdachtsfälle systematisiert und statistisch ausgewertet (Thun-Hohenstein 2006). In<br />
Deutschland und in der Schweiz wurden Pilotstudien durchgeführt (Gloor/Meier 2001,<br />
Fegert 2001), deren Ergebnisse allerdings nur bedingt auf Österreich übertragbar sind.<br />
Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere die multiprofessionelle Zusammenarbeit im<br />
Kinderschutz die Möglichkeit bietet, fallbezogen sowohl der Wahrheitsfindung auf der<br />
einen Seite als auch der individuellen Unterstützung auf der anderen Seite Rechnung zu<br />
tragen (Fegert 2004). Über die Art der bearbeiteten Fälle und damit die bearbeitete<br />
Problemlage des Bereichs Kinderschutz ist wenig bekannt.<br />
Da die Arbeit von Kinderschutzgruppen bislang in Österreich nicht Gegenstand von<br />
Studien gewesen ist und somit nicht auf schon vorhandenes Datenmaterial und<br />
Ergebnisse zurückgegriffen werden kann, wird ein exploratives und damit stärker<br />
qualitativ ausgerichtetes Studiendesign bevorzugt.<br />
5
2. Kinderschutzgruppen in Wien<br />
Im Rahmen der Studie wurden die Daten der sechs Kinderschutzgruppen des Wiener<br />
Krankenanstaltenverbunds, die Kinderschutzgruppen des anderen Trägers sowie einer<br />
Kinderschutzgruppe aus Niederösterreich zur Analyse herangezogen. 1 Die Anzahl der<br />
Kinderschutzgruppenmitglieder variierte zwischen fünf und fünfzehn Personen pro<br />
Treffen. Abhängig von den zur Verfügung stehenden zeitlichen Ressourcen und der<br />
Größe der pädiatrischen Abteilungen finden die großen Kinderschutzgruppentreffen in<br />
jedem Haus in unterschiedlichen Frequenzen statt (wöchentlich/monatlich). Zusätzlich zu<br />
den Treffen des gesamten Kinderschutzteams wird die Möglichkeit zu fallspezifischen<br />
Kleinteambesprechungen genutzt, welche anlassabhängig angesetzt und abgehalten<br />
werden. Die Kinderschutzgruppen sind interdisziplinär zusammengesetzt, wobei die<br />
Leitung jeweils von einem Facharzt/einer Fachärztin übernommen wird. Bei der<br />
Zusammensetzung des Kinderschutzgruppenteams ist nicht nur die Vertretung aller<br />
wichtigen Disziplinen wie FachärztInnen, Angehörige der Gesundheits- und<br />
Krankenpflege (Ambulanz und Stationspflegepersonal), PsychologInnen und auch<br />
SozialarbeiterInnen entscheidend, sondern ebenso die Verteilung der Mitglieder im Haus<br />
selbst. Grundsätzlich ist jede(r) interessierte(r) MitarbeiterIn des Krankenhauses (auch<br />
aus den entfernteren Disziplinen wie Sekretariat, Ergotherapie, Recht …) in der<br />
Kinderschutzgruppe willkommen und bekommt dadurch die Möglichkeit, sich ebenfalls<br />
freiwillig für die Kinderschutzarbeit auf verschiedenste Weise zu engagieren. So wird<br />
versucht, MitarbeiterInnen aus möglichst allen relevanten Abteilungen/Stationen des<br />
Hauses im Team zu vereinen, um eine flächendeckende Präsenz zu garantieren. Zudem<br />
verfügt jede Kinderschutzgruppe seit ungefähr zwei Jahren über eine(n) eigens<br />
zuständige(n), vom Wiener Krankenanstaltenverbund finanzierte(n) und regelmäßig bei<br />
den Treffen anwesende(n) SozialarbeiterIn. Gerade die pädagogische Sichtweise der<br />
Sozialarbeiterin oder des Sozialarbeiters bei Fallbesprechungen rundet die<br />
interdisziplinäre Zusammensetzung des Teams ab.<br />
1<br />
Ab Tabelle 4 (S. 28) beziehen sich die Berechnungen und Analysen nur mehr auf die<br />
Kinderschutzgruppen des Wiener KAV und des anderen Trägers - zum einen um die Situation in Wien<br />
darzustellen und weiters um Berechnungsverzerrungen zu verhindern, die durch das Miteinbeziehen<br />
der Daten der niederösterreichischen Kinderschutzgruppe entstehen.<br />
6
Organigramm der Kinderschutzgruppen (KSG)<br />
Wiener Spitäler<br />
Wiener Krankenanstaltenverbund anderer Träger<br />
AKH (Pädiatrie)<br />
AKH (Gynäkologie)<br />
SMZ Ost<br />
Wilhelminenspital<br />
Preyer’sches<br />
Kinderspital<br />
Rudolfstiftung<br />
St. Anna Kinderspital<br />
Gründungsjahr:<br />
2000<br />
Gründungsjahr:<br />
2006<br />
Gründungsjahr:<br />
1998<br />
Gründungsjahr:<br />
1997<br />
Gründungsjahr:<br />
1996<br />
Gründungsjahr:<br />
2004<br />
Gründungsjahr:<br />
1995<br />
Leiterin:<br />
Ass.-Prof. Dr.<br />
Brigitte Hackenberg<br />
Leiterin:<br />
Ass.-Prof. Dr.<br />
Daniela Dörfler<br />
Leiter:<br />
OA Dr. Wolfgang<br />
Novak<br />
Leiterin:<br />
Dr. Regina Graßl-<br />
Jurek<br />
Leiter:<br />
OA Dr. Alfred Dilch<br />
Leiterin:<br />
Dr. Nicole<br />
Kaderschabek<br />
Leiter:<br />
OA Dr. Thomas<br />
Havranek<br />
Anzahl der KSG-<br />
Mitglieder: 10<br />
Anzahl der KSG-<br />
Mitglieder: 10<br />
Anzahl der KSG-<br />
Mitglieder: 12<br />
Anzahl der KSG-<br />
Mitglieder: 8–10<br />
Anzahl der KSG-<br />
Mitglieder: 10<br />
Anzahl der KSG-<br />
Mitglieder: 5<br />
Anzahl der KSG-<br />
Mitglieder: 8<br />
Disziplinen:<br />
Pädiatrie,<br />
Psychologie,<br />
Sozialarbeit,<br />
Sekretariat,<br />
Pflege<br />
(Stationspflegepersonal)<br />
Disziplinen:<br />
Kindergynäkologie,<br />
Psychologie,<br />
Sozialarbeit,<br />
Psychiatrie,<br />
Pflege<br />
(Stationspflegepersonal)<br />
Disziplinen:<br />
Kinderchirurgie,<br />
Pädiatrie,<br />
Intensiv,<br />
Psychologie,<br />
Sozialarbeit,<br />
Pflege (Ambulanz<br />
und Stationspflegepersonal)<br />
Disziplinen:<br />
Pädiatrie,<br />
Psychologie,<br />
Sozialarbeit,<br />
Pflege (Ambulanz<br />
und Stationspflegepersonal)<br />
Disziplinen:<br />
Psychologie,<br />
Ergotherapie,<br />
Neuroambulanz,<br />
Sozialarbeit,<br />
Pflege<br />
(Stationspflegepersonal)<br />
Disziplinen:<br />
Pädiatrie,<br />
Psychologie,<br />
Sozialarbeit,<br />
Pflege<br />
(Stationspflegepersonal)<br />
Disziplinen:<br />
Urologie,<br />
Recht,<br />
Sozialpsychiatrie,<br />
Sozialarbeit,<br />
Pflege<br />
(Stationspflegepersonal)<br />
Frequenz der KSG-Treffen: Kinderschutzgruppentreffen finden in 5 Spitälern 1-mal/Monat und in 2 Spitälern 1-mal/Woche statt<br />
Durchschnittliche Arbeitszeit der Leitung: 4,5 Stunden/Woche<br />
Durchschnittliche Arbeitszeit des Kernteams: 1,5 Stunden/Woche<br />
7
3. Rechtliche Rahmenbedingungen<br />
3.1 Rechtliche Verankerung von Kinderschutzgruppen im KAKuG<br />
2004 wurde durch die Änderung des Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes 2 das<br />
bereits gut etablierte Instrument der Kinderschutzgruppen gesetzlich in § 8e KAKuG<br />
(Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz) verankert. Gemäß § 8e Abs. 1 KAKuG hat<br />
der Landesgesetzgeber die Träger der nach ihrem Anstaltszweck und Leistungsangebot<br />
in Betracht kommenden Krankenanstalten zu verpflichten, Kinderschutzgruppen<br />
einzurichten. Für Krankenanstalten, deren Größe keine eigene Kinderschutzgruppe<br />
erfordert, können Kinderschutzgruppen auch gemeinsam mit anderen Krankenanstalten<br />
eingerichtet werden.<br />
Entsprechend der Grundsatzbestimmung gemäß § 8e KAKuG wurde in das Wiener<br />
Krankenanstaltengesetz (Wr. KAG) die Bestimmung § 15d mit der Überschrift<br />
„Früherkennung von <strong>Gewalt</strong>“ aufgenommen, in welcher die Einrichtung und<br />
Zusammensetzung von Kinderschutzgruppen in Wien geregelt wird.<br />
Gemäß § 15d Wr. KAG sind in Zentral- sowie in Schwerpunktkrankenanstalten<br />
Opferschutzgruppen einzurichten. Deren Aufgaben sind die Früherkennung von<br />
sexueller, körperlicher und psychischer <strong>Gewalt</strong>, insbesondere <strong>gegen</strong> Frauen, sowie die<br />
Sensibilisierung der in Betracht kommenden Berufsgruppen in Bezug auf <strong>Gewalt</strong>.<br />
3.1.1 Einrichtung und Zuständigkeit bzw. Aufgabe von Kinderschutzgruppen<br />
Für die Betreuung von Opfern sexueller, körperlicher und psychischer <strong>Gewalt</strong> innerhalb<br />
der Familie, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ist die<br />
Kinderschutzgruppe zuständig. Dies gilt auch für Personen, die das 18. Lebensjahr zwar<br />
vollendet haben, auf Grund deren psychischen Reifegrades jedoch die Betreuung durch<br />
die Kinderschutzgruppe angezeigt erscheint. 3<br />
Eine Kinderschutzgruppe ist in Sonderkrankenanstalten für Kinder- und<br />
Jugendheilkunde, Kinder- und Jugendpsychiatrie oder Kinder- und Jugendchirurgie und<br />
in allgemeinen Krankenanstalten mit Abteilungen oder sonstigen bettenführenden<br />
2 35. Bundesgesetz, mit dem das Arzneimittelgesetz, das Bundesgesetz über Krankenanstalten und<br />
Kuranstalten, das Arzneiwareneinfuhrgesetz 2002 und das Bundesgesetz über die Errichtung eines<br />
Fonds „Österreichisches Bundesinstitut für Gesundheitswesen“ geändert werden BGBl. I Nr. 35/2004<br />
(NR: GP XXII RV 384 AB 440 S. 56. BR: AB 7025 S. 707.).<br />
3 § 15d Abs. 4 Wr. KAG.<br />
8
Organisationseinheiten für die genannten Sonderfächer einzurichten. Soweit die<br />
Wahrnehmung der Aufgaben dadurch nicht beeinträchtigt wird, können für<br />
Krankenanstalten, deren Größe keine eigene Kinderschutzgruppe erfordert,<br />
Kinderschutzgruppen auch gemeinsam mit anderen Krankenanstalten eingerichtet<br />
werden. 4<br />
Der Kinderschutzgruppe obliegen die Früherkennung von <strong>Gewalt</strong> an Kindern und<br />
Jugendlichen und die Früherkennung der Vernachlässigung von Kindern und<br />
Jugendlichen sowie die Sensibilisierung der in Betracht kommenden Berufsgruppen für<br />
<strong>Gewalt</strong> an Kindern und Jugendlichen.<br />
3.1.2 Mitglieder von Kinderschutzgruppen<br />
Gemäß § 15d Abs. 7 Wr. KAG haben der Kinderschutzgruppe jedenfalls folgende in der<br />
Krankenanstalt tätige Personen anzugehören:<br />
1. eine Fachärztin oder ein Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, Kinder- und<br />
Jugendpsychiatrie oder Kinder- und Jugendchirurgie,<br />
2. eine Vertreterin oder ein Vertreter des Pflegedienstes und<br />
3. eine Person, die zur psychologischen Betreuung oder psychotherapeutischen<br />
Versorgung in der Krankenanstalt tätig ist.<br />
Die Kinderschutzgruppe kann auch im Einzelfall beschließen, den zuständigen<br />
Jugendwohlfahrtsträger beizuziehen.<br />
Zu der konkreten Zusammensetzung der einzelnen Kinderschutzgruppen in den<br />
Spitälern Wiens siehe das Organigramm auf Seite 7 des vorliegenden Berichts.<br />
In Zentral- und Schwerpunktkrankenanstalten kann anstelle einer Opferschutzgruppe<br />
und einer Kinderschutzgruppe eine <strong>Gewalt</strong>schutzgruppe eingerichtet werden, die sowohl<br />
die Aufgaben der Opferschutzgruppe als auch der Kinderschutzgruppe wahrnimmt. Dies<br />
wurde zum Beispiel im AKH und in der Rudolfstiftung umgesetzt.<br />
Der <strong>Gewalt</strong>schutzgruppe haben jedenfalls folgende in der Krankenanstalt tätige<br />
Personen anzugehören:<br />
1. eine Person mit fachärztlicher Ausbildung auf dem Gebiet der Psychiatrie,<br />
2.<br />
eine Fachärztin oder ein Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, Kinder- und<br />
Jugendpsychiatrie oder Kinder- und Jugendchirurgie,<br />
4 § 15d Abs. 5 Wr. KAG.<br />
9
3. eine Fachärztin oder ein Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe,<br />
4.<br />
eine Ärztin oder ein Arzt der Erstversorgungs- oder Unfallabteilung, sofern eine<br />
solche an der Krankenanstalt vorhanden ist,<br />
5. eine Vertreterin oder ein Vertreter des Pflegedienstes und<br />
6. eine Person, die zur psychologischen Betreuung oder psychotherapeutischen<br />
Versorgung in der Krankenanstalt tätig ist.<br />
3.1.3 Aufgabe der Kinderschutzgruppen<br />
Neben den oben genannten Bestimmungen enthalten weder das KAKuG noch das<br />
Wr. KAG oder andere Gesetze nähere Bestimmungen hinsichtlich der Aufgaben, der<br />
Vorgangsweise, der rechtlichen Grundlage von Entscheidungen oder der<br />
Dokumentation. Es findet sich lediglich die Bestimmung, dass der Kinderschutzgruppe<br />
insbesondere die Früherkennung von <strong>Gewalt</strong> an oder Vernachlässigung von Kindern und<br />
die Sensibilisierung der in Betracht kommenden Berufsgruppen für <strong>Gewalt</strong> an Kindern<br />
obliegen. Entsprechend dieser rudimentären Bestimmungen, haben alle<br />
Kinderschutzgruppen ihre eigenen Vorgangsweisen, Dokumentationsformen etc.<br />
etabliert. Darauf wird im Folgenden noch näher eingegangen (siehe Kapitel 4 und<br />
Kapitel 5).<br />
3.2 Berufsrechtliche Rahmenbedingungen zum Schutz der Kinder<br />
3.2.1 Verschwiegenheitspflicht<br />
Die Tätigkeit der Gesundheitsberufe berührt typischerweise einen besonders sensiblen<br />
Lebensbereich. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber zahlreiche Bestimmungen<br />
normiert, um das Vertrauensverhältnis zwischen Behandler und dem Patienten zu<br />
schützen. Der Patient muss darauf vertrauen können, dass alle sensiblen Daten, die er<br />
dem Behandler anvertraut bzw. die im Rahmen einer Behandlung bekannt werden,<br />
geheim sind. Die Verschwiegenheitspflicht wird sowohl strafrechtlich (§ 121 StGB) als<br />
auch zivilrechtlich (Behandlungsvertrag, § 1328a ABGB) geschützt. Nicht zuletzt<br />
enthalten die Berufsrechte aller Gesundheitsberufe eine eigene Bestimmung über die<br />
10
Verschwiegenheitspflicht. Grundsätzlich werden hier alle Geheimnisse geschützt, die in<br />
Ausübung des Berufes anvertraut oder bekannt wurden. 5<br />
Die Schweigepflicht kann bzw. muss aber in bestimmten Fällen eingeschränkt oder<br />
durchbrochen werden. Insbesondere bei Verdacht auf strafbare Handlungen <strong>gegen</strong><br />
Kinder gibt es zahlreiche Ausnahmebestimmungen.<br />
3.2.2 Anzeige- und Meldepflichten bei strafbaren Handlungen (Tod,<br />
Körperverletzung, Misshandlung, sexueller Missbrauch, Quälen,<br />
Vernachlässigung) 6<br />
Die unterschiedlichen Bestimmungen in den einzelnen Berufsgesetzen (§ 54 Abs. 5 und<br />
6 ÄrzteG, § 6 GuKG, § 6 HebG) über die Anzeige- und Meldepflicht bei strafbaren<br />
Handlungen (Körperverletzung, Misshandlung etc.) führen oft zu Unsicherheiten bei den<br />
betreffenden Gesundheitsberufen. Aus diesem Grund ist es hilfreich, anhand von<br />
Fallgruppen die rechtliche Lage darzustellen.<br />
3.3 Begriffsbestimmungen<br />
Weder das ÄrzteG, noch das GuKG oder PThG (Psychotherapiegesetz) enthalten eine<br />
Begriffsbestimmung der Tatbestände, die die Anzeigepflicht auslösen. Diese sind daher<br />
im Sinne des Strafgesetzbuches (StGB) zu verstehen:<br />
Misshandlung in diesem Sinne ist jede unangemessene Behandlung eines anderen, die<br />
das körperliche Wohlbefinden nicht ganz unerheblich beeinträchtigt, also Schmerzen<br />
oder Unbehagen hervorruft 7 .<br />
§ 92 StGB regelt das Delikt des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer<br />
oder wehrloser Personen. Unter Quälen oder Vernachlässigen versteht man nicht nur die<br />
Zufügung körperlicher, sondern auch seelischer Qualen. Körperliche Qualen können<br />
sowohl durch Verletzungen als auch durch Misshandlungen oder<br />
Freiheitsbeschränkungen bewirkt werden, seelische Qualen hin<strong>gegen</strong> auch durch<br />
(verbale) Bedrohungen, Beschimpfungen oder durch sonstige Erniedrigungen. 8<br />
Unter Vernachlässigen werden Fälle der Vernachlässigung der Fürsorge oder der Obhut<br />
nach § 92 Abs. 2 StGB zu verstehen sein, wenn sie gröblich sind und zu einer<br />
5<br />
Kletečka-Pulker, Schweigepflicht-, Anzeige- und Meldepflichten. in: Aigner/Kletečka/Kletečka-<br />
Pulker/Memmer, Handbuch Medizinrecht (2011) I/192 ff.<br />
6<br />
Kletečka-Pulker, Schweigepflicht-, Anzeige- und Meldepflichten. in: Aigner/Kletečka/Kletečka-<br />
Pulker/Memmer, Handbuch Medizinrecht (2011) I/211 ff.<br />
7 Burgstaller/Fabrizy in WK 2 § 83 Rz 23.<br />
8 Jerabek in WK 2 § 92 Rz 11 ff.<br />
11
eträchtlichen Schädigung der Gesundheit oder der körperlichen bzw. geistigen<br />
Entwicklung führen 9 .<br />
Die §§ 206 und 207 StGB regeln den sexuellen Missbrauch von Unmündigen, wobei<br />
zwischen schweren und minder schweren Missbrauchsfällen unterschieden wird. Da das<br />
ÄrzteG diese Differenzierung nicht vornimmt, sind von § 54 Abs. 4 und 5 ÄrzteG auch<br />
die Fälle des minder schweren sexuellen Missbrauchs erfasst. Darunter fallen alle<br />
geschlechtlichen Handlungen mit einem Minderjährigen oder einer volljährigen Person,<br />
die ihre Interessen nicht selbst wahrzunehmen vermag. Berühren, Betastungen und<br />
Entblößungen können bereits geschlechtliche Handlungen in diesem Sinn sein. 10<br />
Schwere Körperverletzung: Hat die Tat eine länger als 24 Tage dauernde<br />
Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge oder ist die Verletzung oder<br />
Gesundheitsschädigung an sich schwer, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu drei<br />
Jahren zu bestrafen.<br />
Für die Auslegung, wann eine Körperverletzung schwer ist, ist wiederum auf das StGB<br />
zurückzugreifen. Nach § 84 StGB liegt eine schwere Körperverletzung vor, wenn die<br />
Körperverletzung 11 oder Gesundheitsschädigung 12 länger als 24 Tage andauert oder die<br />
Körperverletzung an sich schwer ist. Eine Körperverletzung ist an sich schwer, wenn<br />
wichtige Organe oder Körperteile in einer Weise beeinträchtigt werden, dass damit<br />
wesentliche Funktionseinbußen oder erhebliche Veränderungen des äußeren<br />
Erscheinungsbildes verbunden sind (z.B. Knochenbrüche, Eröffnung von Körperhöhlen,<br />
schwere Gehirnerschütterung, erhebliche Verbrennungen sowie Verletzungen wichtiger<br />
Organe). 13 Die an sich schweren Tatfolgen können auch psychischer Natur sein (z.B.<br />
Auftreten eines depressiven Syndroms oder einer anderen seelischen Erkrankung).<br />
3.4 Wann liegt ein Verdacht vor<br />
Ein Verdacht wird durch jeden Umstand begründet, der nach menschlicher Erfahrung mit<br />
einiger Wahrscheinlichkeit auf die Begehung einer strafbaren Handlung schließen lässt.<br />
Der Verdacht muss in konkreten Anhaltspunkten bestehen, die es nach den ärztlichen<br />
(forensischen) Erfahrungen als naheliegend oder möglich erscheinen lassen, dass<br />
9 Jerabek in WK 2 § 92 Rz 14 ff.<br />
10 Philipp in WK 2 § 207 Rz 6.<br />
11 Am Körper verletzt, wer in die körperliche Integrität eines anderen nicht ganz unerheblich eingreift<br />
und Erscheinungen bewirkt, die allgemein als Verletzungen oder Wunden bezeichnet werden.<br />
12 An der Gesundheit schädigt, wer eine Krankheit hervorruft oder verschlimmert oder sonst die<br />
körperliche Verfassung eines anderen nicht bloß ganz vorübergehend oder unerheblich<br />
verschlechtert.<br />
13 Burgstaller/Fabrizy in WK 2 § 84 Rz 17 ff.<br />
12
physische oder psychische Auffälligkeiten durch Misshandlungen, sexuellen Missbrauch<br />
usw. verursacht wurden.<br />
Dazu genügen auch entfernte Indizien. Bloße Vermutungen rechtfertigen die Annahme<br />
eines Misshandlungsverdachts jedoch nicht, sie können allerdings für den Arzt Anlass zu<br />
eigenen weiteren Beobachtungen und Klärungsversuchen sein. Die medizinische<br />
Beurteilung der Ursachen für das Verhalten des Patienten oder dessen Verletzungen<br />
sowie die Erfordernisse medizinischer Behandlung und Betreuung bleiben vorrangig; die<br />
juristische Beurteilung, ob tatsächlich eine strafbare Handlung vorliegt, braucht der Arzt<br />
nicht vorzunehmen.<br />
3.5 Weg der Anzeige 14<br />
Die Anzeige erfolgt in einer Krankenanstalt in der Regel im Dienstweg. Sollte dies im<br />
Einzelfall zu lange dauern, ist darüber hinaus unverzüglich auch gleich direkt die<br />
Sicherheitsbehörde zu informieren. Unverzüglich bedeutet, dass die Anzeige ohne<br />
unbegründeten Verzug zu erfolgen hat. Eine Verzögerung wäre z.B. begründet, wenn<br />
der Arzt zunächst noch einen Notfallpatienten versorgt und erst dann die Anzeige<br />
erstattet.<br />
3.5.1 Misshandlung, Quälen, Vernachlässigung und sexueller Missbrauch von<br />
minderjährigen Personen<br />
a. Ärzte<br />
Ergibt sich für den Arzt in Ausübung seines Berufes der Verdacht, dass ein<br />
Minderjähriger (0–18 Jahre) misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell<br />
missbraucht worden ist, so hat er Anzeige an die Sicherheitsbehörde (z.B. Polizei,<br />
Gendarmerie, Sicherheitsdirektionen, nicht jedoch Gerichte und Staatsanwaltschaften)<br />
zu erstatten.<br />
Unter bestimmten Voraussetzungen muss eine Anzeige zunächst nicht erfolgen:<br />
der Verdacht richtet sich <strong>gegen</strong> einen nahen Angehörigen,<br />
das Unterbleiben der Anzeige liegt im Wohl des Minderjährigen und<br />
es erfolgt eine Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger und gegebenenfalls<br />
eine Einbeziehung einer Kinderschutzeinrichtung an einer Krankenanstalt.<br />
§ 54 Abs. 5 ÄrzteG verweist im Hinblick auf die nahen Angehörigen auf die Bestimmung<br />
des § 166 StGB. Angehörige nach § 166 StGB sind der Ehegatte, die Verwandten in<br />
14 Siehe Tabelle 1 und 2.<br />
13
gerader Linie (Eltern, Großeltern, Kinder, Enkelkinder), Geschwister und jene anderen<br />
Angehörigen, die mit dem Opfer in einer Hausgemeinschaft leben. Vom Arzt kann<br />
allerdings nicht verlangt werden, aufwändige Nachforschungen anzustellen, ob<br />
gegebenenfalls eine Hausgemeinschaft bestanden hat, da er dazu weder die Zeit noch<br />
die Möglichkeit hat.<br />
Die (vorläufige) Unterlassung der Anzeige ist selbstverständlich auch nur dann im Wohle<br />
des minderjährigen Opfers, wenn gewährleistet ist, dass es zu keinen neuerlichen<br />
Übergriffen kommt und daher das Wohl des Minderjährigen nicht weiter gefährdet ist.<br />
Gelangt der Arzt nun zu der Ansicht, dass sich der Verdacht z.B. <strong>gegen</strong> den Vater des<br />
minderjährigen Opfers richtet, so kann er so lange von der Anzeige absehen, als dies<br />
das Wohl des Minderjährigen erfordert und eine Zusammenarbeit mit dem<br />
Jugendwohlfahrtsträger bzw. eine Einbeziehung einer Kinderschutzeinrichtung an einer<br />
Krankenanstalt erfolgt. Das Wohl des minderjährigen Opfers kann einer Anzeige z.B.<br />
dann ent<strong>gegen</strong>stehen, wenn zu befürchten ist, dass der Minderjährige große<br />
Schuldgefühle oder psychische Störungen entwickelt, wenn der Vater in Folge einer<br />
Anzeige plötzlich aus der Familie gerissen wird und in Untersuchungshaft gebracht wird.<br />
Die Erfahrung hat gezeigt, dass in vielen Fällen durch diese Vorgangsweise (unbedingte<br />
Anzeige) dem Kind noch ein zusätzlicher Schaden bzw. Schmerz zugefügt wird, der eine<br />
Heilung oder Hilfe noch schwieriger gestaltet. Häufig wird dadurch das<br />
Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und dem Minderjährigen so stark erschüttert, dass<br />
dieser jede Zusammenarbeit ablehnt. Die (vorläufige) Unterlassung der Anzeige<br />
entspricht selbstverständlich nur dann dem Wohle des minderjährigen Opfers, wenn<br />
gewährleistet ist, dass es zu keinen neuerlichen Übergriffen kommt und daher das Wohl<br />
des Minderjährigen nicht weiter gefährdet ist. Dies könnte z.B. dann der Fall sein, wenn<br />
sich der Täter sofort einer Therapie unterzieht, das Kind eine Zeit lang stationär<br />
aufgenommen wird oder eine im Kindeswohl gelegene Lösung im familiären Umfeld des<br />
Kindes erzielt werden kann 15 .<br />
Der Arzt ist aber jedenfalls verpflichtet, dem zuständigen Jugendwohlfahrtsträger<br />
unverzüglich und nachweislich Meldung zu erstatten (§ 54 Abs. 6 ÄrzteG). Von dieser<br />
Anzeigepflicht bestehen keine Ausnahmen. Der Jugendwohlfahrtsträger hat nach dem<br />
Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) diese Meldungen personenbezogen zu erfassen und<br />
unverzüglich zu überprüfen (§ 2 Abs. 4 JWG). 16<br />
15 Zu einer ähnlichen Problematik RV 1386 BlgNR 20. GP 82.<br />
16 Jugendwohlfahrtsgesetz 1989 BGBl I 1989/161 idF BGBl I 2007/41.<br />
14
Wie lange kann die Anzeige unterbleiben<br />
Auch die Dauer der Unterlassung der Anzeige ist durch das Kindeswohl bestimmt. Dies<br />
bringt der Gesetzgeber durch die Worte „so kann die Anzeige so lange unterbleiben ...“<br />
in § 54 Abs. 5 ÄrzteG zum Ausdruck. Der Arzt hat daher – sofern es ihm möglich ist – die<br />
Pflicht, das Schicksal des Minderjährigen zu beobachten und zu prüfen, ob das<br />
Kindeswohl der Anzeige noch immer ent<strong>gegen</strong>steht. 17 Auch die diesbezüglichen<br />
Anforderungen an den Arzt dürfen nicht überspannt werden. Der Arzt wird jedoch<br />
insofern dadurch ein wenig entlastet, dass der Jugendwohlfahrtsträger aufgrund der<br />
unbedingten Meldung des Arztes zu prüfen hat, ob im Rahmen des § 78 StPO<br />
(Strafprozessordnung) eine allfällige Anzeige an die Sicherheitsbehörde zu erstatten ist.<br />
Richtet sich der Verdacht jedoch nicht <strong>gegen</strong> einen nahen Angehörigen oder ist eine der<br />
beiden anderen Voraussetzungen des § 54 Abs. 5 Satz 2 ÄrzteG nicht gegeben bzw. ist<br />
sich der Arzt nicht sicher, ob die Voraussetzungen vorliegen, so hat der Arzt der<br />
Sicherheitsbehörde Anzeige zu erstatten: „kann ... unterbleiben“.<br />
Jedenfalls ist der Arzt verpflichtet, dem zuständigen Jugendwohlfahrtsträger<br />
unverzüglich und nachweislich eine Meldung zu erstatten (§ 54 Abs. 6 ÄrzteG). Der<br />
Jugendwohlfahrtsträger hat diese Meldungen personenbezogen zu erfassen und<br />
unverzüglich zu überprüfen (§ 2 Abs. 4 JWG). 18 Der „zuständige Jugendwohlfahrtsträger“<br />
ist das Wohnsitzjugendamt des Minderjährigen.<br />
Auf Grund des Gesetzeswortlauts wäre der Arzt aber spätestens dann zur Anzeige<br />
verpflichtet, wenn der minderjährige Patient volljährig wird. Da es dem Arzt jedoch nicht<br />
zumutbar ist, nicht angezeigte Fälle bis zur Volljährigkeit der betreffenden Opfer in<br />
Evidenz zu halten, und darüber hinaus der Volljährige nunmehr selbst frei entscheiden<br />
kann, ob er Anzeige erstatten will, stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der<br />
Bestimmung.<br />
17 Unter Umständen kann es vorkommen, dass die Voraussetzungen für das Unterbleiben der<br />
Anzeige so lange vorliegen, dass die Tat schon verjährt ist und es nie zu einer Anzeige kommt.<br />
18<br />
„Der Jugendwohlfahrtsträger hat Meldungen über den Verdacht der Vernachlässigung,<br />
Misshandlung oder des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen, welche gemäß § 37 oder auf<br />
Grund berufsrechtlicher Ermächtigungen oder Verpflichtungen an den Jugendwohlfahrtsträger<br />
erstattet werden, personenbezogen zu erfassen und unverzüglich zu überprüfen. Diese Daten sind<br />
nur zur Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu verarbeiten, zu benützen,<br />
zu übermitteln oder zu überlassen. Unrichtige Daten sind von Amts wegen zu löschen.“ (§ 2 Abs. 4<br />
JWG).<br />
15
. Angehörige der Gesundheits- und Krankenpflege<br />
Auf Grund des GuKG sind die Angehörigen der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe<br />
verpflichtet, eine Meldung an den zuständigen Jugendwohlfahrtsträger, nicht jedoch eine<br />
Anzeige an die Sicherheitsbehörde, zu erstatten.<br />
Darüber hinaus sind sie berechtigt, persönlich betroffenen Personen, Behörden oder<br />
öffentlichen Dienststellen Mitteilung zu machen, wenn sich in Ausübung ihres Berufes<br />
der Verdacht ergibt, dass ein Minderjähriger misshandelt, gequält, vernachlässigt oder<br />
sexuell missbraucht wurde, sofern das Interesse an der Mitteilung das<br />
Geheimhaltungsinteresse überwiegt (§ 8 Abs. 1 GuKG).<br />
c. Angehörige eines medizinischen Gesundheitsberufes, die in der Begutachtung,<br />
Betreuung und Behandlung Minderjähriger tätig sind (z.B. Psychotherapeuten,<br />
Psychologen, die mit Minderjährigen arbeiten)<br />
Nach § 37 JWG sind<br />
Angehörige eines medizinischen Gesundheitsberufes, die in der Begutachtung,<br />
Betreuung und Behandlung Minderjähriger tätig sind, und<br />
in der Jugendwohlfahrt tätige oder beauftragte Personen, die auf Grund<br />
berufsrechtlicher Vorschriften eine Verschwiegenheitspflicht trifft, verpflichtet, eine<br />
Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger zu erstatten, wenn sich der Verdacht ergibt,<br />
dass ein Minderjähriger misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell<br />
missbraucht wurde. Die Meldung ist nur zu erstatten, sofern dies zur Verhinderung<br />
einer weiteren erheblichen Gefährdung des Kindeswohles erforderlich ist.<br />
Eine Meldepflicht besteht daher nur, wenn eine weitere Gefährdung des Kindeswohls<br />
droht, die erheblich ist. Soweit die Wahrnehmungen drohende oder sonstige bereits<br />
eingetretene Gefährdungen des Kindeswohles betreffen, sind die oben genannten<br />
Personen berechtigt, eine Mitteilung an den Jugendwohlfahrtsträger zu erstatten.<br />
3.5.2 Misshandlung, Quälen, Vernachlässigung und sexueller Missbrauch von<br />
volljährigen Personen, die ihre Interessen nicht selbst wahrnehmen können<br />
a. Ärzte<br />
Ist das Opfer volljährig, kann es jedoch seine Interessen nicht selbst wahrnehmen – etwa<br />
wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit –, so hat der Arzt Anzeige an die<br />
Sicherheitsbehörde zu erstatten. Unter Umständen kann das Unterbleiben der Anzeige<br />
durch einen Notstand gerechtfertigt sein.<br />
16
. Angehörige der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe<br />
Das GuKG sieht in diesem Fall keine Anzeigepflicht vor, es ist aber eine Meldung zu<br />
erstatten, sofern dies zur Verhinderung einer weiteren erheblichen Gefährdung des<br />
Wohls der betroffenen Person erforderlich ist.<br />
3.5.3 Misshandlung, Quälen, Vernachlässigung und sexueller Missbrauch von<br />
volljährigen Personen<br />
a. Ärzte und b. Angehörige der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe<br />
Den Arzt oder den Angehörigen eines Gesundheits- und Krankenpflegeberufes trifft<br />
keine Anzeigepflicht auf Grund ihrer Berufsrechte, wenn eine volljährige Person<br />
misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht wurde und die Person<br />
dadurch nicht verletzt oder an der Gesundheit geschädigt wurde.<br />
c. Behörden und öffentliche Dienststellen (z.B. Amtsärzte)<br />
Alle Behörden und öffentlichen Dienststellen sind zur Anzeige an eine<br />
Staatsanwaltschaft oder Sicherheitsbehörde (nicht direkt an das Gericht) verpflichtet,<br />
wenn ihnen von Amts wegen eine zu verfolgende strafbare Handlung bekannt wird, die<br />
ihren gesetzmäßigen Wirkungsbereich betrifft. Diese Anzeigepflicht besteht jedoch nicht,<br />
wenn die Anzeige eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigt, deren Wirksamkeit eines<br />
persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf (§ 78 Abs. 2 StPO).<br />
d. Psychotherapeuten, Psychologen, Hebammen, Sanitäter etc.<br />
Ein Anzeigerecht oder eine Anzeigepflicht kann sich für Psychotherapeuten,<br />
Psychologen oder andere Angehörige von Gesundheitsberufen (Sanitäter, Hebammen<br />
etc.) nach § 95 oder § 286 StGB bzw. auf Grund eines rechtfertigenden Notstandes<br />
ergeben.<br />
Für alle Angehörigen der Gesundheitsberufe (Sanitäter, Hebammen, Heilmasseure,<br />
Physiotherapeuten etc.) kann sich darüber hinaus ein Anzeigerecht bzw. eine<br />
Anzeigepflicht aus § 95 StGB, § 286 StGB oder auf Grund eines rechtfertigenden<br />
Notstandes ergeben.<br />
17
Tabelle 1: Weg der Anzeige bei Misshandlung, Quälen, Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch<br />
Volljährige Person Minderjährige Person (0–18)<br />
Volljährige Person, kann<br />
jedoch ihre Interessen<br />
nicht selbst wahrnehmen<br />
Anzeigepflicht an SB<br />
Ausnahme:<br />
Ärzte (§ 54 ÄrzteG)<br />
Keine Anzeigepflicht<br />
- Verdacht <strong>gegen</strong> nahen<br />
Angehörigen<br />
Anzeigepflicht an SB<br />
- Wohl des Minderjährigen<br />
- Meldepflicht an den JWT<br />
Angehörige der Gesundheits- und<br />
Krankenpflegeberufe<br />
Keine Anzeigepflicht<br />
Meldepflicht an den JWT<br />
Berechtigung zur Meldung an<br />
Dritte<br />
Meldepflicht an das<br />
Pflegschaftsgericht<br />
Berechtigung zur Meldung<br />
an Dritte<br />
Angehörige von medizinischen<br />
Gesundheitsberufen, die<br />
Minderjährige behandeln oder<br />
betreuen, z.B. Psychotherapeuten<br />
und Psychologen (§ 37 JWG)<br />
Keine Anzeigepflicht Meldepflicht an den JWT Keine Anzeigepflicht<br />
Behörden und öffentliche<br />
Dienststellen (§ 78 StPO)<br />
Anzeige an SB<br />
Ausnahme:<br />
Vertrauensverhältnis<br />
Anzeige an SB<br />
Ausnahme:<br />
Vertrauensverhältnis<br />
Anzeige an SB<br />
Ausnahme:<br />
Vertrauensverhältnis<br />
JWT: Jugendwohlfahrtsträger<br />
SB: Sicherheitsbehörde<br />
3.5.4 Schwere Körperverletzung von Minderjährigen<br />
a. Ärzte<br />
Wurde eine minderjährige Person schwer verletzt, so hat der Arzt der<br />
Sicherheitsbehörde unverzüglich Anzeige zu erstatten. Der Arzt kann allerdings unter<br />
den oben genannten Voraussetzungen (Verdacht <strong>gegen</strong> nahen Angehörigen, Wohl des<br />
Minderjährigen und Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger) von der Anzeige<br />
einstweilen absehen. Jedenfalls hat er eine Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger zur<br />
erstatten.<br />
b. Angehörige der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe<br />
Das GuKG differenziert im Fall der schweren Körperverletzung nicht danach, ob das<br />
Opfer minder- oder volljährig ist. Zur Regelung siehe daher oben.<br />
18
c. Angehörige eines medizinischen Gesundheitsberufes, die in der Begutachtung,<br />
Betreuung und Behandlung Minderjähriger tätig sind (z.B. Psychotherapeuten,<br />
Psychologen, die mit Minderjährigen arbeiten)<br />
Für alle Angehörigen der Gesundheitsberufe (Sanitäter, Hebammen etc.) kann sich<br />
darüber hinaus eine Anzeigepflicht bzw. ein Anzeigerecht aus § 95 StGB, § 286 StGB<br />
oder auf Grund eines rechtfertigenden Notstandes ergeben.<br />
Tabelle 2: Weg der Anzeige bei schwerer Körperverletzung (KV)<br />
Volljährige Person Minderjährige Person (0–18)<br />
Volljährige Person,<br />
kann jedoch ihre<br />
Interessen nicht selbst<br />
wahrnehmen<br />
Anzeigepflicht an SB<br />
Anzeigepflicht an SB<br />
Ausnahme:<br />
Anzeigepflicht an SB<br />
Ärzte (§ 54 ÄrzteG)<br />
Bei schwerer KV:<br />
Hinweis auf<br />
– Verdacht <strong>gegen</strong> nahen<br />
Angehörigen<br />
Bei schwerer KV:<br />
Hinweis auf<br />
Opferschutzeinrichtung<br />
– Wohl des Minderjährigen<br />
Opferschutzeinrichtung<br />
Meldepflicht an den JWT<br />
Anzeigepflicht an SB<br />
Anzeigepflicht an SB<br />
Anzeigepflicht an SB<br />
Ausnahme:<br />
Ausnahme:<br />
Ausnahme:<br />
Angehörige der<br />
Vertrauensverhältnis<br />
Vertrauensverhältnis<br />
Vertrauensverhältnis<br />
Gesundheits- und<br />
Bei schwerer KV:<br />
Bei schwerer KV:<br />
Bei schwerer KV:<br />
Krankenpflegeberufe<br />
Hinweis auf<br />
Hinweis auf<br />
Hinweis auf<br />
Opferschutzeinrichtung<br />
Opferschutzeinrichtung<br />
Opferschutzeinrichtung<br />
Meldeermächtigung<br />
Meldeermächtigung<br />
Meldeermächtigung<br />
Angehörige von<br />
medizinischen<br />
Gesundheitsberufen, die<br />
Meldepflicht zur Verhinderung<br />
Minderjährige<br />
einer weiteren erheblichen<br />
behandeln oder<br />
Keine Anzeigepflicht<br />
Gefährdung<br />
Keine Anzeigepflicht<br />
betreuen, z.B.<br />
Ansonsten Berechtigung zur<br />
Psychotherapeuten und<br />
Meldung<br />
Psychologen (§ 37<br />
JWG)<br />
Behörden und<br />
Anzeige an SB<br />
Anzeige an SB<br />
Anzeige an SB<br />
öffentliche Dienststellen<br />
Ausnahme:<br />
Ausnahme:<br />
Ausnahme:<br />
(§ 78 StPO)<br />
Vertrauensverhältnis<br />
Vertrauensverhältnis<br />
Vertrauensverhältnis<br />
19
3.5.5 Anzeigepflicht bei leichter Körperverletzung<br />
Die Angehörigen der Gesundheitsberufe (Arzt, Angehörige der Gesundheits- und<br />
Krankenpflegeberufe, Psychologen, Therapeuten) sind, auf Grund ihrer berufsrechtlichen<br />
Bestimmungen, nicht verpflichtet, eine Anzeige an die Sicherheitsbehörde zu erstatten,<br />
wenn eine minderjährige oder volljährige Person nur leicht verletzt wurde.<br />
Sie haben allerdings in diesem Fall das Recht, eine Meldung an persönlich betroffene<br />
Personen, Behörden oder öffentliche Dienststellen zu machen (§ 8 Abs. 1 GuKG).<br />
3.5.6 Anzeigepflicht bei Tod<br />
Ergibt sich der Verdacht, dass eine Person durch eine gerichtlich strafbare Handlung<br />
(z.B. fahrlässige Tötung) getötet wurde, sind der Arzt und die Angehörigen der<br />
Gesundheits- und Krankenpflegeberufe verpflichtet, unverzüglich Anzeige an die<br />
Sicherheitsbehörde zu erstatten – unabhängig davon, ob das Opfer minder- oder<br />
volljährig war.<br />
3.6 Geplante Änderungen im Ärztegesetz<br />
Im Entwurf der 15. Ärztegesetz-Novelle ist eine Änderung des § 54 ÄrzteG geplant,<br />
wonach im § 54 Abs. 2 am Ende der Z 4 der Punkt durch einen Beistrich ersetzt und<br />
danach folgende Z 5 angefügt werden soll:<br />
„5. die Offenbarung des Geheimnisses <strong>gegen</strong>über anderen Ärzten und Krankenanstalten<br />
zur Aufklärung eines Verdachtes einer strafbaren Handlung im Sinne des Abs. 5 und zum<br />
Wohl des Minderjährigen erforderlich ist.“ 19<br />
„Mit dieser Gesetzesänderung möchte der Gesetzgeber eine bessere Vernetzung im<br />
Hinblick auf die ärztliche Verschwiegenheitspflicht einer ärzterechtlichen Erlaubnisnorm,<br />
um der Problematik Spitalstourismus und Kindesmissbrauch besser Abhilfe zu schaffen.<br />
Zweck des nunmehr vorgeschlagenen Durchbrechungstatbestands des § 54 Abs. 2 Z 5<br />
ist neben der Ermöglichung der auf eine bestmögliche Behandlung ausgerichteten<br />
Vernetzung mit anderen Ärzten und Krankenanstalten insbesondere die Vernetzung zur<br />
Erleichterung der Verifizierung oder Falsifizierung des Missbrauchsverdachts. Damit soll<br />
ein ärzterechtlicher Beitrag geleistet werden, um unentdeckt bleibenden Fällen von<br />
Kindesmissbrauch ent<strong>gegen</strong>wirken zu können. In personaler Hinsicht erfasst die<br />
vorgeschlagene Ausnahme von der Verschwiegenheitspflicht gemäß § 54 Abs. 2 Z 5<br />
sowohl jenen Arzt, der im Rahmen einer Anfrage an einen anderen Arzt oder eine<br />
19 Vgl. Begutachtungsentwurf RV 1383 Bundesgesetz, mit dem das Ärztegesetz 1998 geändert wird<br />
(15. Ärztegesetz-Novelle).<br />
20
(andere) Krankenanstalt ein Geheimnis preisgibt, als auch jenen Arzt, der ein Geheimnis<br />
im Rahmen der Auskunftserteilung <strong>gegen</strong>über einem Arzt oder einer Krankenanstalt<br />
offenlegt. Unter dem Begriff Arzt sind alle Ärzte im Anwendungsbereich des<br />
ÄrzteG 1998, somit auch Schulärzte, erfasst. Nicht erfasst sind hin<strong>gegen</strong> jene Amtsärzte,<br />
die vom Anwendungsbereich des ÄrzteG 1998 gemäß 41 Abs. 4 erster Satz ÄrzteG<br />
1998 ausgenommen sind. Um den Interessen des Minderjährigen bestmöglich<br />
Rechnung tragen zu können, wird als zusätzliche Voraussetzung für die Ausnahme von<br />
Verschwiegenheitspflicht vorgesehen, dass die Offenbarung des Geheimnisses nach Art<br />
und Inhalt zum Wohl des Minderjährigen erforderlich sein muss. Auch wenn dies im<br />
Regelfall zutreffen wird, soll dem Bedürfnis nach Geheimnisschutz im Einzelfall zum<br />
Wohl des Minderjährigen Rechnung getragen werden können. Im Hinblick auf die<br />
verpflichtende Einbindung des Jugendwohlfahrtsträgers (Meldepflicht gemäß § 54 Abs. 6<br />
ÄrzteG 1998) scheint eine Ausweitung der Vernetzungspartner (z.B. Kindergärten) nicht<br />
notwendig.“ 20<br />
20 Vgl. Begutachtungsentwurf RV 1383 Bundesgesetz, mit dem das Ärztegesetz 1998 geändert wird<br />
(15. Ärztegesetz-Novelle).<br />
21
4. Studiendesign<br />
4.1 Ziel der Studie und Methoden der Datenerhebung<br />
Die Studie soll ein erstes Bild der Arbeit einer Kinderschutzgruppe zeichnen und stellt<br />
den ersten sozialwissenschaftlichen Zugang zum Thema Kinderschutz durch<br />
Kinderschutzgruppen dar. Ziel der explorativen Studie ist es, den Arbeitsalltag einer<br />
Kinderschutzgruppe zu erfassen und darzustellen. Der Zeitraum der Datenerhebung<br />
wurde von 2005 bis 2009 21 festgelegt und umfasst methodisch die Analyse von 646<br />
Fallakten, 51 teilnehmende Beobachtungen und 7 ExpertInneninterviews mit jeweils dem<br />
Leiter oder der Leiterin der Kinderschutzgruppe. Bei 3 von 7 ExpertInneninterviews<br />
waren, wie von der Leitung gewünscht, ausgewählte MitarbeiterInnen anwesend, die die<br />
jeweilige Leitung bei der Beantwortung der Fragen unterstützten. Die Erhebung ist auf<br />
drei Ebenen geschehen:<br />
1. Zunächst wurden die bearbeiteten Fälle der Kinderschutzgruppe anhand der (zuvor<br />
anonymisierten) Fallakten analysiert. Hierbei wurden soziographische Daten<br />
erhoben sowie, die verschiedenen Formen von <strong>Gewalt</strong> an Kindern, häufige Formen,<br />
mögliche Kategorisierungen und auch die Diversität der Fälle erfasst und dargestellt.<br />
So entstand ein Bild von in Kinderschutzgruppen aufscheinenden Formen von<br />
<strong>Gewalt</strong>.<br />
2. In der vorliegenden Studie werden Formen des Umgangs mit den Fällen und dabei<br />
berücksichtigte Verfahren näher betrachtet. Hierzu wurde einerseits anhand der<br />
Fallakten gefragt und andererseits in den Häusern beobachtet, welche Personen in<br />
den Prozess eingebunden waren, welche Rolle standardisierte Formulare in diesem<br />
Prozess spielen und welche Formen von Best Practice im Umgang mit dem Problem<br />
sich auf Grund des Erfahrungswissens der Kinderschutzgruppe herausbilden<br />
konnten.<br />
3. Zuletzt wurden Formen des Erfahrungswissens innerhalb der Kinderschutzgruppe<br />
und der dort tätigen ExpertInnen, soweit es aus den Fallakten deutlich wurde und<br />
durch ExpertInneninterviews, erhoben. Hierbei liegt das Hauptaugenmerk auf einer<br />
Best Practice der Kinderschutzarbeit. Dies soll auf den folgenden drei Ebenen<br />
geschehen:<br />
21 Die hier vorliegende Untersuchung bezieht sich auf die Kinderschutzgruppen des Wiener KAV und<br />
des anderen Trägers und umfasst die Fälle der Jahre 2005–2009. In die Erhebung mit eingegangen<br />
sind darüber hinaus Fälle aus 2004 sowie der ersten Jahreshälfte 2010. Außerdem wurden die Fälle<br />
einer Kinderschutzgruppe aus Niederösterreich mit analysiert. Der erweiterte Datensatz wird aus<br />
statistischen Gründen und zu Kontrollzwecken geführt, die präsentierten Ergebnisse beziehen sich<br />
ausschließlich auf den Bereich des KAV und des anderen Trägers und die Jahre 2005–2009.<br />
22
a) Interdisziplinäre Zusammenarbeit von ExpertInnen<br />
Die interdisziplinäre Zusammensetzung der Kinderschutzgruppen erlaubt ein<br />
multiperspektivisches Vorgehen zur Vermeidung von weiterer <strong>Gewalt</strong> an Kindern und<br />
dient damit dem Schutz von Kindern. Unterschiedliches ExpertInnenwissen wird<br />
dabei miteinander vernetzt und die verschiedenen ExpertInneneinschätzungen gehen<br />
in den verschiedenen Phasen der Suche nach einer Lösung in die<br />
Entscheidungsfindung ein. Das Projekt hat zum Ziel, den besonderen Charakter der<br />
Interdisziplinarität der Kinderschutzgruppen und die Struktur des Zusammenwirkens<br />
von verschiedenen Fachrichtungen (Medizin, Pflege, Psychologie, Soziale Arbeit) zu<br />
erheben und den Mehrwert der Zusammenarbeit in einer ExpertInnengruppe zu<br />
analysieren. Hierbei ist auch die Interaktion und wechselseitige Wahrnehmung des<br />
ExpertInnenstatus in den Beratungen des Gremiums von Bedeutung. Die Fragen<br />
nach der Herstellung von Glaubwürdigkeit und der Anerkennung von <strong>Wissen</strong> aus<br />
unterschiedlichen Disziplinen wird untersucht und danach gefragt, welche Art von<br />
Übersetzungsleistung in diesem multiperspektivischen Vorgehen von den Mitgliedern<br />
erbracht werden muss, um gemeinsam an einem Fall zu arbeiten. Diese Ergebnisse<br />
können dann für die Arbeit an Schnittstellen der Kinderschutzgruppen mit anderen<br />
Institutionen wie dem extramuralen Bereich oder Behörden zur Intensivierung und<br />
Verbesserung der Kommunikation eingesetzt werden.<br />
b) Aufbau von Erfahrungswissen<br />
Auf Grund der Kontinuität baut jede Kinderschutzgruppe im Lauf ihrer Arbeit einen<br />
Erfahrungsschatz im Umgang mit Fällen auf, von dem die weitere Arbeit profitiert. Die<br />
geteilte Lernerfahrung und gemeinsame Kompetenzerweiterung in der Interaktion der<br />
Mitglieder macht diese zunehmend zu ExpertInnen für Kinderschutz. Das<br />
Forschungsprojekt möchte dieses <strong>Wissen</strong> sammeln und bündeln, um es für die Arbeit<br />
der Kinderschutzgruppen selbst wie auch für die Ausbildung von Ärztinnen und<br />
Ärzten aufzubereiten und weiterzuvermitteln. Hierzu gehört auch die Reflexion von<br />
standardisierten Vorgehensweisen und Routinen. Die Arbeit der<br />
Kinderschutzgruppen ist inzwischen weitgehend vereinheitlicht, Formblätter,<br />
Ablaufschemata und standardisierte Vorgehensweisen sollen hierbei der<br />
Qualitätssicherung und vereinfachten Abläufen dienen. Gleichzeitig ist jeder<br />
individuelle Fall jeweils neu und verschiedenste Faktoren (soziale und ökonomische<br />
Lage der Familie, Risikofaktoren für <strong>Gewalt</strong>, Gesundheitszustand, Alter und<br />
psychische Verfassung des Kindes etc.) bestimmen die Sachlage.<br />
23
c) Außenwahrnehmung und externe Zusammenarbeit<br />
Kinderschutzgruppen dienen der Beratung im Verdachtsfall. Damit diese Beratung für<br />
die anfragenden Ärztinnen und Ärzte eine unterstützende Wirkung entfalten kann, ist<br />
eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen beiden nötig. Im dritten<br />
Fragenbereich soll daher die Zusammenarbeit der Kinderschutzgruppen mit den<br />
Stationen und dem extramuralen Bereich untersucht werden. Hierzu werden die<br />
Funktion des Vertrauens in die Kinderschutzgruppe und ihre Arbeit, die Akzeptanz<br />
der Voten und Arbeitsergebnisse sowie die Rolle und Bedeutung der<br />
Kinderschutzgruppe für das Arbeiten der Ärztinnen und Ärzte untersucht.<br />
4.2 Datenakquise<br />
Es wurden die sechs Kinderschutzgruppen des Wiener Krankenanstaltenverbunds, die<br />
Kinderschutzgruppe des anderen Trägers sowie eine Kinderschutzgruppe in<br />
Niederösterreich kontaktiert und gebeten, sich an der Studie zu beteiligen. Die<br />
Kinderschutzgruppen in den Spitälern konnten dafür gewonnen werden, ihre Daten für<br />
die Studie zur Verfügung zu stellen. In diesem Zusammenhang bedankt sich die<br />
Projektleitung ausdrücklich für die Unterstützung durch den KAV bei der Datenakquise.<br />
Insbesondere Datenschutzbedenken auf Seiten der Kinderschutzgruppen führten dazu,<br />
dass die Datenakquise mehr Zeit als geplant in Anspruch nahm. Die Akquise wurde im<br />
Sommer 2010 abgeschlossen.<br />
4.3 Forschungsethische Aspekte und Anonymisierung<br />
Den Kinderschutzgruppen vor Ort wurde die ausdrückliche rechtliche Absicherung von<br />
Seiten des KAV zugesichert, zudem lag ihnen eine schriftliche Datenschutzerklärung von<br />
Seiten des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin und der am Forschungsprozess<br />
beteiligten Personen vor. Die Kinderschutzgruppen konnten selbst entscheiden, welchen<br />
Teil der Dokumentation sie für die Erhebung zur Verfügung stellen.<br />
Die in unserem Bericht präsentierten Daten wurden – unabhängig von der vorliegenden<br />
Form – vor Ort anonymisiert und in anonymisierter Form der Dateneingabe am Institut<br />
für Ethik und Recht in der Medizin zugänglich gemacht. Damit wurde projektintern<br />
sichergestellt, dass bis auf die Person vor Ort auch innerhalb des Studienteams niemand<br />
Zugang zu nicht anonymisierten Daten erhält. Im vorliegenden Bericht sind die<br />
Ergebnisse daher nicht einer bestimmten Kinderschutzgruppe oder einer bestimmten<br />
Person zuzuordnen.<br />
24
4.4 Datenlage der Dokumentation<br />
Die innerhalb der Kinderschutzgruppen besprochenen Fälle werden in höchst<br />
unterschiedlicher Form dokumentiert. Das im deutschsprachigen Raum entwickelte,<br />
bestehende und vereinheitlichende Formblatt zur Dokumentation 22 eines<br />
Kinderschutzgruppenfalls wird nur in den wenigsten Häusern verwendet. Vielmehr haben<br />
alle Kinderschutzgruppen ein eigenständiges Dokumentationsverfahren entwickelt, das<br />
für ihr Haus und ihre Arbeit als sinnvoll und praktikabel erscheint, ohne großen<br />
zusätzlichen Dokumentationsaufwand zu erfordern. Zentral ist bei der Dokumentation,<br />
die Kinderschutzgruppenfälle rasch zugänglich zu machen und gleichzeitig aber auch<br />
eine gute Verzahnung der Dokumentation mit der Krankengeschichte vorliegen zu<br />
haben. Um diese beiden Punkte zu gewährleisten, werden im Wesentlichen drei<br />
Möglichkeiten zur Dokumentation genutzt: Erstens werden Fallakten pro Kind angelegt<br />
und gesondert archiviert. Zweitens werden die Fälle in ihrem Verlauf in den<br />
Sitzungsprotokollen der Kinderschutzgruppen in der Form, in der sie auch mündlich<br />
referiert werden, dokumentiert. Drittens kann die Dokumentation auch in der<br />
Krankengeschichte erfolgen. In einigen Häusern werden die Dokumentationsverfahren<br />
auch miteinander verbunden. Diese Möglichkeiten werden zum Teil auch parallel in<br />
einzelnen Kinderschutzgruppen angewandt.<br />
Neben der Dokumentation der Fälle haben einzelne Personen viel <strong>Wissen</strong> über konkrete<br />
Fälle. In der Regel sind dies Mitglieder der Kinderschutzgruppe. Diese Personen sind<br />
während des Falls ständig ansprechbar und steuern den Prozess. Das <strong>Wissen</strong> dieser<br />
Personen scheint in der Regel nur sehr kursorisch in der Dokumentation auf, ist aber,<br />
während das Kind im Spital ist, jederzeit abrufbar und wird in den Fallverlauf<br />
eingebracht. Hierunter fallen vor allem Beobachtungen hinsichtlich der Interaktion<br />
zwischen dem Kind und den Eltern.<br />
Die schriftliche Dokumentation der Fälle kann sowohl handschriftlich als auch digital<br />
erfolgen. Die für die Studie vorliegenden Akten und Dokumentationsbögen der<br />
Kinderschutzfälle waren in einzelnen Fällen sehr schwer oder auch nicht zu entziffern.<br />
Hierdurch ergeben sich für die Dokumentation der Kinderschutzfälle ähnliche Fragen wie<br />
in Bezug auf die Lesbarkeit handschriftlicher Vermerke in der Krankengeschichte. In die<br />
Studie wurden in allen Häusern die Dokumentation der Fallakten pro Kind aufgenommen<br />
sowie in Einzelfällen auch die Daten aus den Sitzungsprotokollen der jeweiligen<br />
Fallbesprechungen. In einzelnen Häusern wurde auch auf die Daten in den<br />
22 Siehe im Anhang das vereinheitlichte Formblatt des Ministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend.<br />
25
Krankengeschichten zurückgegriffen. Lagen andere Dokumentationen vor, wurde aus<br />
Datenschutzgründen auf die Krankengeschichte verzichtet.<br />
4.5 Fallanalyse und Entwickeln geeigneter Variablen<br />
Die Dokumentationen der Kinderschutzgruppenfälle der beteiligten Kinderschutzgruppen<br />
wurden als Ausgangspunkt der Analyse genommen. Die in den Dokumentationen<br />
vorliegenden Beschreibungen der Fälle sowie die Fallverläufe inklusive der von den<br />
Kinderschutzgruppen unternommenen Schritte und die Entscheidungen wurden formal<br />
analysiert und daraus wurde eine Liste geeigneter Variablen zur Beschreibung und<br />
Analyse der Fälle entwickelt. Auf Grund der sehr unterschiedlichen Formen der<br />
Dokumentation musste für die Variablen ein Mittelweg gefunden werden, der einerseits<br />
der Komplexität der Fälle und der dokumentierten Arbeit der Kinderschutzgruppen<br />
hinreichend gerecht wird, der andererseits aber auch den unterschiedlichen<br />
Dokumentationsformen Rechnung trägt und genügend allgemein in der Beschreibung ist.<br />
Die Variablen, die eine exakte Beschreibung einzelner Aspekte vornehmen – die dann<br />
aber nur in einzelnen Kinderschutzgruppen dokumentiert vorliegen –, wurden zu<br />
Gunsten allgemeinerer und Komplexität reduzierender Variablen, die eine<br />
Vergleichbarkeit zwischen den Kinderschutzgruppen ermöglichen, fallengelassen. Die<br />
entwickelten Variablen decken folgende Dimensionen der Dokumentation ab:<br />
soziodemographische sowie diagnostische Aspekte, Verdachtsformen, Arbeitsschritte<br />
der Kinderschutzgruppe hinsichtlich des Falls und Kooperation mit Jugendamt und<br />
anderen Behörden, Meldungen oder Anzeige, medizinische und nichtmedizinische<br />
Beurteilungskriterien, wie z.B. Eltern-Kind-Interaktion. In der hier vorliegenden<br />
Zusammenfassung der Ergebnisse wird vor allem die Auswertung der numerischen<br />
Variablen präsentiert.<br />
26
5. Ergebnisse der Studie<br />
5.1 Fallzahlen<br />
Als Erhebungszeitraum der Studie wurde die Zeitspanne 2005–2009 festgelegt. Seit<br />
2004 besteht die gesetzliche Regelung, dass in allen Spitälern mit pädiatrischen<br />
Stationen Kinderschutzgruppen eingerichtet werden sollen. Der Zeitabschnitt wurde<br />
gewählt, um die ersten fünf vollständigen Arbeitsjahre der Kinderschutzgruppen im KAV<br />
zu dokumentieren. Im Kontakt mit den Kinderschutzgruppen des KAV zeigte sich<br />
allerdings, dass einige Kinderschutzgruppen erst nach 2005 ihre Arbeit aufgenommen<br />
haben, da die Kinderabteilungen zunächst die gesetzlich gegebene Möglichkeit nutzten,<br />
mit den Kinderschutzgruppen anderer Einrichtungen zu kooperieren. Dadurch beginnen<br />
in einzelnen Kinderschutzgruppen die Falldokumentationen erst deutlich später.<br />
Zudem sind durch Umstellungen in der Dokumentation und ähnliche interne<br />
Restrukturierungsvorgänge in einzelnen Kinderschutzgruppen ebenfalls nur die Fallakten<br />
jüngeren Datums zugänglich. Hieraus ergeben sich die im Folgenden aufgelisteten und<br />
anonymisierten Fallzahlen der Studie.<br />
5.2 Charakteristik der bearbeiteten Fälle<br />
Wie in Tabelle 3 ersichtlich wird, haben die Kinderschutzgruppen des Wiener<br />
Krankenanstaltenverbunds, die Kinderschutzgruppe des anderen Trägers und jene in<br />
Niederösterreich in den Jahren 2004–2010 insgesamt 904 Fälle dokumentiert. In dem<br />
von uns festgelegten Beobachtungszeitraum 2005–2009 haben die Kinderschutzgruppen<br />
insgesamt 646 Fälle besprochen.<br />
Mit einem zunehmenden Aufbau der Kinderschutzgruppenarbeit in Wien lässt sich auch<br />
ein Anstieg der besprochenen Fälle verzeichnen. Während im Jahr 2005 nur 55 Fälle<br />
dokumentiert vorliegen, sind im Jahr 2009 214 Fälle durch die Kinderschutzgruppen<br />
bearbeitet worden. Für das Jahr 2009 bedeutet das, dass jedes Haus im Durchschnitt 30<br />
Fälle besprochen hat. Die zunehmend ausgebaute Struktur der Kinderschutzgruppen<br />
führt auch zu einer vermehrten Bearbeitung von Fällen. Die Zusammenarbeit vor Ort und<br />
die leichte Zugänglichkeit führen zu einer Erhöhung der Sensibilität für Fragen des<br />
Kinderschutzes.<br />
27
Tabelle 3: Dokumentierte und eingeschlossene Fälle<br />
Haus<br />
Dokumentierte Eingeschlossene Anteil an der Gesamtzahl der<br />
Fälle 2004–2010 Fälle 2005–2009 eingeschlossenen Fälle<br />
Haus 1 96 96 14,9%<br />
Haus 2 71 61 9,4%<br />
Haus 3 67 58 9,0%<br />
Haus 4 43 39 6,0%<br />
Haus 5 56 41 6,3%<br />
Haus 6 141 98 15,2%<br />
Haus 7 276 253 39,2%<br />
Haus 8 154 -- --<br />
Gesamt 904 646 100%<br />
Grafik 1: Dokumentierte Fälle 2004–2010 mit Haus 8<br />
100<br />
Haus 8<br />
17,0%<br />
80<br />
60<br />
Haus 1<br />
10,6%<br />
Haus 2<br />
7,8%<br />
Haus 3<br />
7,4%<br />
Haus 7<br />
30,5%<br />
40<br />
20<br />
0<br />
Haus 6<br />
15,6%<br />
1. Qrtl. 2. Qrtl. 3. Qrtl. 4. Qrtl.<br />
Nord<br />
Haus 4<br />
4,7%<br />
Haus 5<br />
6,2%<br />
Grafik 2: Dokumentierte Fälle 2004–2010 ohne Haus 8<br />
Haus 7<br />
36,8%<br />
Haus 6<br />
18,8%<br />
Haus 1<br />
12,8% Haus 2<br />
9,5%<br />
Haus 3<br />
8,9%<br />
Haus 5<br />
7,5%<br />
Haus 4<br />
5,7%<br />
28
Um die derzeitige Situation in Wien darzustellen, betreffen die nun im Bericht folgenden<br />
Berechnungen und Analysen die Kinderschutzgruppen des Wiener KAV und des<br />
anderen Trägers. Aus diesem Grund wurden die Daten von Niederösterreich<br />
vernachlässigt. In der Tabelle 4 und der Grafik 3 werden die Jahre 2004 und 2010<br />
ausgeklammert, da in diesen Jahren nicht die Falldokumentationen eines ganzen Jahres<br />
erhoben werden konnten, sondern nur einiger Monate. Grund für die Einschränkung auf<br />
die Jahre 2005– 2009 ist die undurchsichtige Dokumentation im Jahr 2004, da die<br />
Kinderschutzgruppen noch wenig Routine bei der Dokumentation hatten. Im Jahr 2010<br />
wurden aufgrund des Studienstarts nur die Dokumentationen des ersten Halbjahres<br />
erhoben. Insofern lässt sich kein Vergleich mit den Jahren 2005–2009 ziehen. Tabelle 4<br />
und Grafik 3 zeigen, dass trotz des längeren Bestehens der Kinderschutzgruppen erst in<br />
den Jahren 2008 und 2009 in allen Wiener Kinderschutzgruppen Fälle dokumentiert<br />
wurden, was weniger auf die steigende Zahl der betroffenen Kinder, sondern eher auf<br />
die zunehmende Routine der Beteiligten beim Besprechen der Kinderschutzfälle und die<br />
Sensibilisierung für das Thema und die Arbeit zurückzuführen ist.<br />
Tabelle 4: Dokumentierte Fälle in den Häusern des KAV und des anderen Trägers, 2005–2009<br />
Haus 2005 2006 2007 2008 2009<br />
Haus 1 21 16 24 16 17<br />
Haus 2 15 8 10 9 18<br />
Haus 3 -- -- 2 9 46<br />
Haus 4 -- 1 -- 12 24<br />
Haus 5 -- -- 2 13 26<br />
Haus 6 19 12 6 30 31<br />
Haus 7 -- 68 49 62 52<br />
Grafik 3: Dokumentierte Fälle in den Häusern des KAV und des anderen Trägers, 2005–2009<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
Haus 1<br />
Haus 2<br />
Haus 3<br />
Haus 4<br />
Haus 5<br />
Haus 6<br />
Haus 7<br />
0<br />
2005 2006 2007 2008 2009<br />
29
5.2 Geschlechterverteilung<br />
Laut unserer Erhebung sind 63,2% der besprochenen Fälle weiblich und 36,8%<br />
männlich. Die Zahl der Verdachtsfälle bei Mädchen ist also deutlich höher als bei<br />
Jungen, wie auch die nachfolgende Grafik veranschaulicht.<br />
Grafik 4: Geschlechterverteilung<br />
Jungen<br />
37%<br />
Mädchen<br />
63%<br />
5.3 Altersverteilung<br />
Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die in den Kinderschutzgruppen besprochen<br />
werden, sind zum Zeitpunkt des Verdachts zwischen 0 und 20 Jahre alt. Die jüngsten<br />
Kinder sind Neugeborene, manche noch keinen Tag alt, die ältesten sind formal schon<br />
erwachsen. Das Durchschnittsalter liegt etwas über 6 Jahren und mehr als die Hälfte der<br />
Kinder ist unter 5 Jahre alt. Die in den Kinderschutzgruppen besprochenen<br />
Verdachtsfälle betreffen also überwiegend Kinder vor dem Schulalter. Die besondere<br />
Fachkenntnis des beteiligten Personals und der kritische Blick hinsichtlich eines<br />
Verletzungsmusters o.Ä. kommt also auch und vor allem Kindern zu Gute, die selbst<br />
sprachlich noch wenig oder nicht in der Lage sind, sich zu Verletzungen oder einen<br />
Verdacht zu äußern.<br />
30
Grafik 5: Altersverteilung<br />
35,0%<br />
30,0%<br />
31,4%<br />
25,0%<br />
20,0%<br />
15,0%<br />
15,3%<br />
10,0%<br />
5,0%<br />
10,7%<br />
10,9%<br />
7,0% 6,3% 6,6%<br />
5,7%<br />
5,8%<br />
0,0%<br />
0–1 Jahr 2–3 Jahre 4–5 Jahre 6–7 Jahre 8–9 Jahre 10–11<br />
Jahre<br />
12–13<br />
Jahre<br />
14–15<br />
Jahre<br />
16–17<br />
Jahre<br />
0,3%<br />
18 Jahre<br />
und älter<br />
Die Grafik zur Altersverteilung verdeutlicht, dass vor allem jüngere Kinder, die noch<br />
kaum andere Möglichkeiten haben, Hilfe zu suchen, von der Arbeit der<br />
Kinderschutzgruppen profitieren. Insbesondere bei Kindern in den ersten beiden<br />
Lebensjahren besteht in der Regel selten Kontakt mit Institutionen wie<br />
Kinderbetreuungseinrichtungen. Anders als bei Kindergartenkindern und Schulkindern,<br />
bei denen das pädagogische Personal im täglichen Kontakt mit den Kindern auf<br />
Anzeichen von Missbrauch oder Misshandlung aufmerksam werden und den Verdacht<br />
an das Jugendamt melden kann, sind bei jüngeren Kindern kaum Institutionen im<br />
täglichen Umgang involviert, die eine solche Funktion zum Schutz des Kindes<br />
übernehmen können. Umso wichtiger ist daher in dieser Altersgruppe die Arbeit der<br />
Kinderschutzgruppen, die auf Grund ihrer fachlichen Expertise und Erfahrung<br />
entsprechende Anzeichen wahrnehmen können und auch bei diesen Kindern möglichst<br />
frühzeitig den Kontakt zum Jugendamt herstellen, um dem Kind bzw. der Familie die<br />
notwendige Unterstützung zukommen zu lassen.<br />
31
Die Daten zeigen, dass vor allem Kinder, die besonders vulnerabel sind, in den<br />
Kinderschutzgruppen vermehrt aufscheinen. Neben den zahlenmäßig dokumentierten<br />
Fällen, die belegen, dass vor allem Mädchen und jüngere Kinder vom Schutz der<br />
Kinderschutzgruppe profitieren, zeigt die Auswertung der offenen Fragen, dass auch<br />
Kinder mit Behinderungen oder schweren chronischen Erkrankungen vermehrt in<br />
Kinderschutzgruppen besprochen werden.<br />
Die Analyse macht damit zweierlei deutlich: Einerseits zeigen die Daten, dass die Fälle<br />
der Kinderschutzgruppen die gesamte Altersspanne und beide Geschlechter<br />
einschließen, die Kinderschutzgruppen also allen potenziell betroffenen Kindern<br />
Unterstützung anbieten. Erhöhte Aufmerksamkeit brauchen und erhalten hierbei<br />
besonders vulnerable Gruppen von Kindern. Andererseits machen die Daten deutlich,<br />
dass die typischerweise sehr häufig von Missbrauch und Misshandlung betroffenen<br />
Gruppen von Kindern in den Kinderschutzgruppen auch entsprechend mehr<br />
Aufmerksamkeit erhalten. Die vorliegenden Fälle spiegeln die bekannte Struktur der<br />
Verteilung von Missbrauchsfällen wider.<br />
5.4 Verdachtsfälle und Meldeverhalten<br />
In den Kinderschutzgruppen sind in den ersten 5 Jahren insgesamt 646 Verdachtsfälle<br />
besprochen worden. Die Kinderschutzgruppe bespricht jeden Fall einzeln und analysiert<br />
individuell, welche Problemlage beim jeweiligen Kind vorliegt. Neben den medizinischen<br />
und pflegerischen Befunden werden das Verhalten des Kindes, Auffälligkeiten in der<br />
Interaktion zwischen Kind und Eltern und andere Besonderheiten besprochen. Der<br />
Verdacht ergibt sich in der Regel aus dem medizinischen Befund, beispielsweise aus<br />
Verletzungsmustern oder Brüchen oder auch Auffälligkeiten im Genitalbereich. Daneben<br />
sind vor allem eine genaue Beobachtungsgabe und viel Erfahrung im Umgang mit<br />
Kindern der Hintergrund, vor dem ein Verdacht artikuliert wird. Diplomiertes<br />
Krankenpflegepersonal kann hier durch den engen Kontakt mit den Kindern besonders<br />
wichtige Informationen beisteuern. Wie in Grafik 6 dargestellt, lassen sich die<br />
Verdachtsfälle der Kinderschutzgruppen grob gliedern in: Verdacht auf körperliche<br />
Misshandlung, Verdacht auf sexuellen Missbrauch, Verdacht auf seelische<br />
Misshandlung, Verdacht auf Verwahrlosung bzw. Vernachlässigung und Verdacht auf<br />
Münchhausen by Proxy und sonstige Verdachtsfälle. In der Verteilung der Verdachtsfälle<br />
sind der Verdacht auf körperliche Misshandlung mit 33,3% und der Verdacht auf<br />
sexuellen Missbrauch mit 34,4% etwa gleich stark vertreten.<br />
32
40,00%<br />
Grafik 6: Häufigkeit der Verdachtsarten<br />
35,00%<br />
33,3%<br />
34,4%<br />
30,00%<br />
25,00%<br />
20,00%<br />
15,00%<br />
15,6%<br />
10,00%<br />
9,6%<br />
5,00%<br />
2,2%<br />
1,4%<br />
0,00%<br />
Verdacht auf<br />
körperliche<br />
Misshandlung<br />
Verdacht auf<br />
sexuellen<br />
Missbrauch<br />
Verdacht auf<br />
seelische<br />
Misshandlung<br />
Verdacht auf<br />
Vernachlässigung<br />
Verdacht auf<br />
Münchhausen by<br />
proxy<br />
sonstige<br />
In die Analyse sind nur die explizit in der Dokumentation angeführten Verdachtsmomente<br />
aufgenommen worden. Damit lässt sich auch die vergleichsweise niedrige Zahl des<br />
Verdachts auf seelische Misshandlung mit 2,2% erklären. Das seelische Leid der Kinder<br />
wird bei den anderen Verdachtsformen als weitere Belastung angenommen, allerdings<br />
nicht zusätzlich dokumentiert. Unter Verdacht auf seelische Misshandlung sind vor allem<br />
Fälle eingeordnet, in denen keine sonstigen Formen von Missbrauch oder Misshandlung<br />
vorliegen. Die Zuordnung der Verdachtsformen ist nicht immer eindeutig vorzunehmen.<br />
Insbesondere die hohe Zahl an sonstigen Verdachtsfällen, wie zum Beispiel<br />
Drogenentzugsbabys, mangelnde Versorgung von Kindern mit speziellen Bedürfnissen<br />
oder <strong>Gewalt</strong> in der Familie, die sich noch nicht <strong>gegen</strong> das Kind richtet, zeigt, wie<br />
individuell die Kinderschutzgruppen agieren und auf unterschiedlichste Konstellationen<br />
reagieren. Die Kinderschutzgruppen befassen sich mit komplexen Eltern-Kind-<br />
Interaktionsformen, schwangeren Kindern, Inzestverdachtsfällen innerhalb der Familie,<br />
Verdacht auf <strong>Gewalt</strong> in der Familie, die sich bislang nicht <strong>gegen</strong> das Kind richtet, um hier<br />
33
nur einige Beispiele zu nennen. Zentral dafür, dass ein Kind in der Kinderschutzgruppe<br />
besprochen und dokumentiert wird, sind die Sorge um das Kindeswohl und die Frage,<br />
inwieweit die Eltern für das Kindeswohl Sorge tragen können.<br />
5.5 Eltern-Kind-Interaktion als Thema der Kinderschutzgruppenarbeit<br />
Das Wohl des Kindes hängt bei allen Kindern wesentlich davon ab, wie gut die Eltern für<br />
das Kind sorgen können. Scheint dies nicht gewährleistet, wird die Kinderschutzgruppe<br />
aktiv. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Formen der Dokumentation der<br />
Kinderschutzfallakten lassen sich aus den vorliegenden Daten nur Indizien für die<br />
vielfältigen Aktivitäten der Kinderschutzgruppen zum individuellen Schutz der Kinder<br />
herausfiltern. Eine durch die Kinderschutzgruppen genutzte Möglichkeit, den Kindern ein<br />
sicheres Umfeld zu gewähren, ist die vorübergehende stationäre Aufnahme des Kindes.<br />
Bei 112 Kindern (17,3%) ist dieses Vorgehen dokumentiert. Dadurch wird das Kind aus<br />
der potenziell gefährdenden Umgebung herausgeholt und in der sicheren Umgebung<br />
des Spitals untergebracht. Die stationäre Aufnahme dient neben dem Schutz in der<br />
Regel auch der Abklärung weiterer Befunde.<br />
Darüber hinaus werden mit den Eltern Gespräche geführt oder es wird der<br />
psychologische Dienst hinzugezogen. Auch dies ist für jeweils mehr als 100 Fälle<br />
dokumentiert. Für das Kindeswohl zentral ist der Umgang der Eltern mit dem Kind, der<br />
von den Kinderschutzgruppen in ihren Entscheidungen jeweils mit berücksichtigt wird.<br />
Auch wenn der Umgang der Eltern mit den Kindern nur sehr selten Teil der<br />
Dokumentation in den Fallakten ist, wird deutlich, dass dieser Aspekt wesentlich in die<br />
Entscheidungen der Kinderschutzgruppen einfließt. In 18% der insgesamt 61 Fälle, in<br />
denen der Umgang der Eltern mit den Kindern Teil der Dokumentation ist, wird dieser<br />
Aspekt als Problem angesehen. Bei weiteren 19,7% ist mindestens unklar, inwieweit die<br />
Eltern zu einer konstruktiven Lösung beitragen können. Die Kinderschutzgruppen sind<br />
bemüht, zunächst eine konstruktive Lösung für das Problem in Kooperation mit den<br />
Eltern zu suchen. Hierzu gehören Elterngespräche, die einem zweifachen Zweck dienen.<br />
Zum einen dienen sie der inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Eltern, der Klärung<br />
der Sachlage und auch dem Unterbreiten von Unterstützungsmöglichkeiten. Zum<br />
anderen wird anhand der Interaktion und Kooperationsbereitschaft der Eltern in diesen<br />
Gesprächen geprüft, inwieweit den Eltern die Sorge um das Kind anvertraut und<br />
zugetraut werden kann.<br />
34
5.6 Aktivitäten der Kinderschutzgruppe<br />
Die Kinderschutzgruppen besprechen die Kinder je nach Struktur in Konsiliargesprächen<br />
und/oder auch in den Gesamttreffen der Gruppe. Für die überwiegende Mehrheit der<br />
Fälle (88,8%) ist ein Besprechungstermin der Gesamt-Kinderschutzgruppe ausreichend.<br />
Bei komplexen Problemkonstellationen sind aber auch bis zu 5 Treffen der<br />
Kinderschutzgruppen dokumentiert. Die praktische Arbeit der Kinderschutzgruppe findet<br />
in den meisten Kinderschutzgruppen außerhalb dieser Gesamttreffen statt. Die<br />
Gesamttreffen dienen dazu, in besonders gravierenden oder komplexen Fällen<br />
Informationen zu bündeln und alternative Strategien zu besprechen. Darüber hinaus<br />
werden diese Treffen für organisatorische Fragen genutzt. Der Großteil der<br />
Kinderschutzarbeit ist Teil der Stationsarbeit und beinhaltet zusätzliche Untersuchungen<br />
und längere Beobachtung des Kindes oder der Interaktion von Eltern und Kind.<br />
Der im Behandlungsteam zur Sprache kommende Verdacht auf Missbrauch oder auf<br />
Misshandlung kann in vielen Fällen nicht sofort abgeklärt werden. Aus diesem Grund<br />
werden von der Kinderschutzgruppe vielfach weitere Untersuchungen zur Abklärung in<br />
Auftrag gegeben. Dies ist in 45,8% der Fälle dokumentiert. Die Abklärung dient zum<br />
einen der weiteren Diagnostik, zum anderen auch der Spurensicherung. Die häufigsten<br />
Untersuchungen sind gynäkologischer Art und die Hinzuziehung des psychologischen<br />
Dienstes. Trotz dieser vielfältigen Bemühungen lässt sich der Großteil der Verdachtsfälle<br />
nicht eindeutig klären. Nur 15,8% der Verdachtsfälle sind als bestätigt dokumentiert,<br />
40,2% bleiben offen. Die übrigen 44% fallen unter die Kategorie fehlende Daten, was<br />
zeigt, dass in der Kinderschutzarbeit nicht der Verdacht oder Nichtverdacht, sondern<br />
direkte Schutzmaßnahmen im Mittelpunkt stehen. Die so gewonnenen<br />
Zusatzinformationen werden dokumentiert und in Konsiliargesprächen und<br />
Teamsitzungen eingebracht. Insbesondere im Fall des sexuellen Missbrauchs ist eine<br />
Klärung häufig nur schwer oder nicht möglich. Auf Grund der Schwere eines solchen<br />
Verdachts stellen diese Fälle, bei denen eine zweifelsfreie Klärung des Verdachts in der<br />
Regel nicht möglich ist, eine besondere Herausforderung für die Kinderschutzgruppen<br />
dar. Zentrale Aufgabe der Kinderschutzgruppen ist die Diskussion, ob eine Anzeige<br />
und/oder eine Meldung an das Jugendamt erfolgen sollen. In den dokumentierten Fällen<br />
wurde 79-mal (12,2%) eine Anzeige erstattet. Eine Gefährdungsmeldung ist in 28,6% der<br />
Fälle dokumentiert. Für weitere 17,0% ergab die Rückfrage bei den Jugendämtern, dass<br />
das Kind bzw. die Familie dem Jugendamt bereits bekannt ist. Daran zeigt sich, dass<br />
eine Kooperation von Kinderschutzgruppen und Jugendämtern eine positive Funktion<br />
hinsichtlich des Schutzes von Kindern hat. Weitere, allerdings selten von den<br />
35
Kinderschutzgruppen genutzte Möglichkeiten sind ein Ausfolgeverbot 23 (11<br />
dokumentierte Fälle) und ein Besuchsverbot. Eine genauere Betrachtung der<br />
Vorgehensweise bei einzelnen Fällen wird in einer weiteren Studie in den Jahren 2011<br />
und 2012 erfolgen. Die Kategorie Sonstiges beinhaltet neben dem Ausfolgeverbot und<br />
dem Besuchsverbot zudem Maßnahmen und Gespräche zur weiteren Fallabklärung,<br />
zum Beispiel mit anderen ExpertInnen, der Forensik oder Drogeninterventionsstellen.<br />
Grafik 7: Fallspezifische Vorgehensweisen<br />
45<br />
42,2%<br />
40<br />
35<br />
30<br />
28,6%<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
12,2%<br />
17,0%<br />
0<br />
Anzeige Gefährdungsmeldung Bekanntheit des Falls Sonstiges<br />
(Ausfolgeverbot,<br />
Besuchsverbot o.Ä.)<br />
Im Sinne eines Entlassungsmanagements kooperieren die Kinderschutzgruppen mit<br />
verschiedensten Einrichtungen, die Unterstützung für Eltern anbieten können oder in<br />
denen Kinder auch temporär untergebracht werden können. Hierunter fallen neben dem<br />
Jugendamt auch Angebote von Vereinen, psychologische Unterstützung oder gezielte<br />
Hilfe bei Erziehungsfragen. Kinder werden nur dann wieder zu ihren Eltern nach Hause<br />
entlassen, sofern diese – ggf. mit Unterstützung von außen – in der Lage sind, das<br />
Kindeswohl zu gewährleisten und das Kind vor etwaigen weiteren Übergriffen zu<br />
schützen.<br />
23 Ausfolgeverbot ist kein gesetzlich verankerter Begriff. In der Praxis wird von einem Ausfolgeverbot<br />
gesprochen, wenn dem gesetzlichen Vertreter die Obsorge (ganz oder teilweise) entzogen wurde,<br />
was zur Folge hat, dass dieser auch nicht mehr über den Aufenthaltsort des Kindes entscheiden kann<br />
und dieses dann gegebenenfalls <strong>gegen</strong> den Willen des gesetzlichen Vertreters in der Krankenanstalt<br />
verbleibt.<br />
36
5.7 Ansehen der Kinderschutzgruppe<br />
Das Pflegen von Kontakten und der Aufbau vielfältiger Netzwerke stellt eine der<br />
wichtigsten und zentralsten Tätigkeiten der Kinderschutzgruppen dar. Dabei wird genau<br />
diese intensive Kontaktpflege von den KinderschutzgruppenleiterInnen als eines der<br />
effektivsten „Tools“ der Kinderschutzgruppenarbeit bewertet. Sowohl hausintern mit den<br />
MitarbeiterInnen und Stationen des Hauses als auch hausextern mit Ämtern und<br />
Institutionen ist der Austausch und die Zusammenarbeit zentral und wichtig für<br />
Kinderschutzgruppen, um den Interessen des Kindes und der Wiederherstellung und<br />
dem Erhalt des Kindeswohls gerecht zu werden. Positive Zusammenarbeit, <strong>gegen</strong>seitige<br />
Anerkennung und Respekt vor der geleisteten Arbeit stellen somit wichtige<br />
Voraussetzungen für ein gelingendes Miteinander dar.<br />
Im Rahmen der geführten ExpertInneninterviews war die Einschätzung der Anerkennung<br />
der Kinderschutzgruppe grundsätzlich sehr positiv. So vermittelten alle<br />
InterviewpartnerInnen den Eindruck, den Respekt und die Expertise in Sachen<br />
Kinderschutz sowohl hausintern als auch hausextern zuerkannt zu bekommen. Die<br />
Kinderschutzgruppen, mit all ihren etablierten Außenstellen in den verschiedensten<br />
Stationen und Abteilungen, schafften es, zur zentralen Anlaufstelle für<br />
Kinderschutzfragen zu werden und sich dadurch dieser vielfältigen Thematik gebündelter<br />
und wesentlich koordinierter als eingespieltes Team zu widmen. Den auftretenden<br />
Verunsicherungen bezüglich Zuständigkeiten wurde mit intensiven Bemühungen in<br />
gezielten Problemgesprächen oder angesetzten Schulungsangeboten ent<strong>gegen</strong>zuwirken<br />
versucht. Als mögliches Risiko wurde angeführt, dass durch die Etablierung der<br />
Kinderschutzgruppen eine Tendenz bemerkbar wird, die Fälle gewissermaßen<br />
abzugeben und die Zuständigkeit und weitere Bearbeitung diesbezüglich komplett der<br />
Kinderschutzgruppe zu überlassen, was nicht dem Sinn der Kinderschutzgruppe<br />
entspricht.<br />
Intention der Kinderschutzgruppen, so könnte man es an dieser Stelle subsummieren, ist<br />
es, Hilfestellung im Umgang mit und in der Handhabung von Verdachtsfällen (aufgrund<br />
ihrer jahrelang angeeigneten Expertise) zur Verfügung zu stellen. Dies kann allerdings<br />
nur passieren, wenn erstens im Haus bekannt ist, dass es diese Hilfe und <strong>Wissen</strong>squelle<br />
gibt, und zweitens, wenn diese von den verschiedenen Beteiligten auch als solche<br />
anerkannt, respektiert und wertschätzend genutzt wird.<br />
37
6. Die Best Practice der Kinderschutzgruppenarbeit<br />
6.1 Gegenwärtige Best Practice<br />
Grundsätzlich kann auf Basis der Ergebnisse geschlussfolgert werden, dass jede<br />
einzelne der untersuchten Kinderschutzgruppen der Wiener Krankenhäuser sehr gut<br />
organisiert ist und dass die Beteiligten auf multiprofessioneller Basis sehr gut<br />
zusammenarbeiten. Um eine Best Practice der Kinderschutzgruppen zu erstellen, ist ein<br />
Blick auf die Arbeitsweise und die Strukturen der Arbeit unumgänglich. Dazu wurden die<br />
KinderschutzgruppenleiterInnen zum Schluss des Projekts um eine Einschätzung<br />
gebeten. Die Dokumentation und der Ablauf der Besprechungen der Fälle unterscheiden<br />
sich in den einzelnen Gruppen kaum. Eine Best Practice der Kinderschutzarbeit kann<br />
daher weniger an Strukturen innerhalb der Gruppe, sondern eher an strukturellen<br />
Gegebenheiten außerhalb der Gruppe gemessen werden.<br />
Als Grundlage einer Best Practice werden einerseits Schulungen für<br />
Kinderschutzgruppenmitglieder, in denen der Ablauf der Kinderschutzarbeit präsentiert<br />
wird, und andererseits Treffen der Leitungen oder Beteiligten der Kinderschutzgruppen<br />
von Österreich oder Wien (Vernetzungstreffen), in denen sich die Gruppen untereinander<br />
austauschen können, beschrieben. Weiters wird die Vernetzung mit dem Jugendamt und<br />
das Hinzuziehen eines Sozialarbeiters oder einer Sozialarbeiterin zur Besprechung eines<br />
Kinderschutzfalls als unablässig und notwendig erachtet. Insbesondere die fachliche<br />
Unterstützung der SozialarbeiterInnen erleichtert die Diskussion eines Kinderschutzfalls,<br />
da die multiprofessionelle Arbeit durch die pädagogische Komponente abgerundet wird.<br />
Durch die mehrjährige Arbeit der Kinderschutzgruppen wurde <strong>Wissen</strong> im Umgang mit<br />
Fällen optimiert und es wurden Erfahrungen gesammelt, die nun in die Arbeit einfließen.<br />
Zudem sind das persönliche Interesse an der Kinderschutzarbeit und die Motivation, zum<br />
Wohl des Kindes zu handeln, wesentlicher Grundstein der Best Practice der<br />
Kinderschutzarbeit.<br />
6.2 Vorschläge zur Optimierung der Best Practice<br />
Zur bestehenden Best Practice werden von Seiten der Befragten Möglichkeiten<br />
aufgezeigt, um die bisherige Best Practice zu optimieren.<br />
Da insbesondere die Kooperation von Kinderschutzgruppen und Jugendämtern eine<br />
positive Funktion in Bezug auf den Schutz der Kinder hat, ist eine reibungslose<br />
38
Zusammenarbeit zwischen beiden Einrichtungen wesentlich. Um diese zu gewährleisten,<br />
wurde von einer Mehrzahl der InterviewpartnerInnen eine offenere Kommunikation mit<br />
dem Jugendamt gewünscht. So könnten Kinderschutzfälle, die dem Jugendamt schon<br />
bekannt sind, rascher als zu meldender Fall vonseiten der Kinderschutzgruppe dem<br />
Jugendamt rückgemeldet werden. Hierzu wird der Datenschutz als hinderliche<br />
Komponente für das Datennetzwerk genannt.<br />
Darüber hinaus wird einerseits auf eine strukturell gefestigte Zusammenarbeit mit der<br />
Polizei hingewiesen, die bisher aufgrund persönlichen Kontaktes zustande kam, und<br />
andererseits auf das strukturelle Miteinbeziehen der Gerichtsmedizin, um die teilweise<br />
auftretenden gesetzlichen Probleme noch im Fallabklärungsstatus abzuwenden und<br />
dadurch die Arbeit mit der Gerichtsmedizin zu erleichtern. Während der bisherige Motor<br />
für die Arbeit allein das persönliche Interesse der Kinderschutzmitglieder an der Tätigkeit<br />
und somit idealistischer Natur war, wird vonseiten der InterviewpartnerInnen der Wunsch<br />
geäußert, eine finanzielle Honorierung der Arbeit und mehr personelle Unterstützung zu<br />
erhalten, da die Mitglieder der Kinderschutzgruppe Kinderschutzfälle neben dem<br />
alltäglichen Stationsbetrieb und auf freiwilliger Basis besprechen. Durch eine finanzielle<br />
Honorierung der Arbeit sowohl der Leitung als auch der übrigen<br />
Kinderschutzgruppenmitglieder, die sich auf durchschnittlich 4,5 Stunden/Woche und 1,5<br />
Stunden/Woche beläuft, könne man sich eine weitere Verbesserung der Tätigkeiten im<br />
Bereich Kinderschutz erwarten.<br />
7. Fazit<br />
Kinderschutzgruppen haben sich seit ihrer Entstehung zu multiprofessionellen Teams<br />
entwickelt, die ihre Expertise in umfassender Weise für das Wohl des Kindes einsetzen.<br />
Die Analyse der Dokumentation der Kinderschutzfallakten verdeutlicht, dass die<br />
Kinderschutzgruppen durch ihre Arbeit nicht nur im Sinne des Gesetzes als Instanz<br />
funktionieren, hinsichtlich einer Meldung an das Jugendamt oder andere Behörden eine<br />
Entscheidung zu treffen. Die Kinderschutzgruppen verstehen ihren Arbeitsauftrag und ihr<br />
Aufgabengebiet deutlich breiter und setzen sich in vielfältiger Weise für das Wohl des<br />
Kindes ein. Die multiprofessionelle Zusammensetzung der Gruppen sowie die in den<br />
Gruppen gesammelten und geteilten Erfahrungen ermöglichen dabei einen<br />
ganzheitlichen Blick auf das Wohl des Kindes, bei dem pflegerische und medizinische<br />
Aspekte, aber auch psychologische, pädagogische und sozialarbeiterische Perspektiven<br />
in den Arbeits- und Entscheidungsprozess einbezogen werden. Die Gesamtsituation des<br />
Kindes in der betreuenden Umgebung zu Hause und die darin beteiligten Personen –<br />
39
von Großeltern über Stiefeltern und -geschwistern bis hin zu den Eltern – werden in den<br />
Entscheidungsprozessen der Kinderschutzgruppe berücksichtigt.<br />
Leitend ist für die Kinderschutzgruppen das Kindeswohl. Jeder Fall begründet sich aus<br />
der Sorge um das Kindeswohl, selbst wenn nur ein vager Verdacht auf Missbrauch oder<br />
Misshandlung vorliegt. Das Kindeswohl wird dabei sehr umfassend betrachtet und geht<br />
weit über die körperliche und seelische Unversehrtheit hinaus. Die Entwicklungschancen<br />
eines Kindes, die Überforderung von Eltern mit den speziellen Bedürfnissen eines<br />
Kindes auf Grund einer Erkrankung oder auch die Mitbetroffenheit von nicht im Spital<br />
aufgenommenen Geschwisterkindern werden von Kinderschutzgruppen als Fall<br />
behandelt und wie bei Fällen körperlicher <strong>Gewalt</strong> wird nach Lösungen gesucht.<br />
Von der Arbeit der Kinderschutzgruppen und der erhöhten Aufmerksamkeit für Fragen<br />
des Kindeswohls profitieren grundsätzlich alle Kinder, vulnerable Gruppen von Kindern<br />
profitieren besonders. Das Kindeswohl wird von den KinderschutzexpertInnen<br />
umfassend betrachtet und nicht auf die Frage von Missbrauch oder Misshandlung oder<br />
gar auf die reine Frage, ob Anzeige erstattet werden soll oder nicht, reduziert. Die<br />
gewachsenen und beständig verbesserten Kooperationsstrukturen mit anderen<br />
Institutionen, insbesondere den Jugendämtern, ermöglichen für Kinder, die Opfer von<br />
<strong>Gewalt</strong> geworden sind, einen Ausstieg aus der Situation der <strong>Gewalt</strong>erfahrung oder<br />
Vernachlässigung. Ihnen wird eine sichere Umgebung geboten, die dank der<br />
Zusammenarbeit in die Betreuung in anderen Einrichtungen übergeht.<br />
40
8. Anhang<br />
8.1 Gesetzliche Bestimmungen<br />
I. Krankenanstaltenrechtliche Bestimmungen<br />
Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz<br />
§ 8e Kinder- und Opferschutzgruppen<br />
(1) Durch die Landesgesetzgebung sind die Träger der nach ihrem Anstaltszweck und<br />
Leistungsangebot in Betracht kommenden Krankenanstalten zu verpflichten,<br />
Kinderschutzgruppen einzurichten. Für Krankenanstalten, deren Größe keine eigene<br />
Kinderschutzgruppe erfordert, können Kinderschutzgruppen auch gemeinsam mit<br />
anderen Krankenanstalten eingerichtet werden.<br />
(2) Der Kinderschutzgruppe obliegen insbesondere die Früherkennung von <strong>Gewalt</strong> an<br />
oder Vernachlässigung von Kindern und die Sensibilisierung der in Betracht kommenden<br />
Berufsgruppen für <strong>Gewalt</strong> an Kindern sowie die Früherkennung von häuslicher <strong>Gewalt</strong><br />
an Opfern, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.<br />
(3) Der Kinderschutzgruppe haben jedenfalls als Vertreter des ärztlichen Dienstes ein<br />
Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde oder ein Facharzt für Kinderchirurgie,<br />
Vertreter des Pflegedienstes und Personen, die zur psychologischen Betreuung oder<br />
psychotherapeutischen Versorgung in der Krankenanstalt tätig sind, anzugehören. Die<br />
Kinderschutzgruppe kann, gegebenenfalls auch im Einzelfall, beschließen, einen<br />
Vertreter des zuständigen Jugendwohlfahrtsträgers beizuziehen.<br />
(4) Durch die Landesgesetzgebung sind die Träger der nach ihrem Anstaltszweck und<br />
Leistungsangebot in Betracht kommenden Krankenanstalten zu verpflichten,<br />
Opferschutzgruppen für volljährige Betroffene häuslicher <strong>Gewalt</strong> einzurichten. Für<br />
Krankenanstalten, deren Größe keine eigene Opferschutzgruppe erfordert, können<br />
Opferschutzgruppen auch gemeinsam mit anderen Krankenanstalten eingerichtet<br />
werden.<br />
(5) Den Opferschutzgruppen obliegen insbesondere die Früherkennung von häuslicher<br />
<strong>Gewalt</strong> und die Sensibilisierung der in Betracht kommenden Berufsgruppen für häusliche<br />
<strong>Gewalt</strong>.<br />
(6) Der Opferschutzgruppe haben jedenfalls zwei Vertreter des ärztlichen Dienstes, die<br />
bei einem entsprechenden Leistungsangebot Vertreter der Sonderfächer Unfallchirurgie<br />
sowie Frauenheilkunde und Geburtshilfe zu sein haben, anzugehören. Im Übrigen haben<br />
der Opferschutzgruppe Angehörige des Pflegedienstes und Personen, die zur<br />
41
psychologischen Betreuung oder psychotherapeutischen Versorgung in der<br />
Krankenanstalt tätig sind, anzugehören.<br />
(7) Von der Einrichtung einer Opferschutzgruppe kann abgesehen werden, wenn die<br />
Kinderschutzgruppe unter Beachtung der personellen Vorgaben des Abs. 6 auch die<br />
Aufgaben der Opferschutzgruppe nach Abs. 5 erfüllen kann. Anstelle einer<br />
Opferschutzgruppe und einer Kinderschutzgruppe kann auch eine <strong>Gewalt</strong>schutzgruppe<br />
eingerichtet werden, die unter Beachtung der personellen Vorgaben der Abs. 3 und 6<br />
sowohl die Aufgaben nach Abs. 2 als auch nach Abs. 5 wahrnimmt.<br />
Wiener Krankenanstaltengesetz 1987 – Wr. KAG<br />
§ 15 Früherkennung von <strong>Gewalt</strong><br />
(1) In Zentral- sowie Schwerpunktkrankenanstalten sind Opferschutzgruppen<br />
einzurichten.<br />
(2) Den Opferschutzgruppen obliegt die Früherkennung von sexueller, körperlicher und<br />
psychischer <strong>Gewalt</strong>, insbesondere <strong>gegen</strong> Frauen, sowie die Sensibilisierung der in<br />
Betracht kommenden Berufsgruppen in Bezug auf <strong>Gewalt</strong>.<br />
(3) Den Opferschutzgruppen haben jedenfalls folgende in der Krankenanstalt tätige<br />
Personen anzugehören:<br />
1. eine Person mit fachärztlicher Ausbildung auf dem Gebiet der Psychiatrie,<br />
2. eine Fachärztin oder ein Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe,<br />
3. eine Ärztin oder ein Arzt der Erstversorgungs- oder Unfallabteilung, sofern eine<br />
solche an der Krankenanstalt vorhanden ist,<br />
4. eine Vertreterin oder ein Vertreter des Pflegedienstes und<br />
5. eine Person, die zur psychologischen Betreuung oder psychotherapeutischen<br />
Versorgung in der Krankenanstalt tätig ist.<br />
(4) Die Betreuung von Opfern sexueller, körperlicher und psychischer <strong>Gewalt</strong> innerhalb<br />
der Familie, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, obliegt den<br />
Kinderschutzgruppen gemäß Abs. 5. Dies gilt auch für Personen, die das 18. Lebensjahr<br />
zwar vollendet haben, auf Grund deren psychischen Reifegrades jedoch die Betreuung<br />
durch die Kinderschutzgruppe angezeigt erscheint.<br />
(5) In Sonderkrankenanstalten für Kinder- und Jugendheilkunde, Kinder- und<br />
Jugendpsychiatrie oder Kinder- und Jugendchirurgie und in allgemeinen<br />
Krankenanstalten mit Abteilungen oder sonstigen bettenführenden<br />
Organisationseinheiten für die genannten Sonderfächer sind Kinderschutzgruppen<br />
42
einzurichten. Soweit die Wahrnehmung der Aufgaben dadurch nicht beeinträchtigt wird,<br />
können für Krankenanstalten, deren Größe keine eigene Kinderschutzgruppe erfordert,<br />
Kinderschutzgruppen auch gemeinsam mit anderen Krankenanstalten eingerichtet<br />
werden.<br />
(6) Der Kinderschutzgruppe obliegt die Früherkennung von <strong>Gewalt</strong> an Kindern und<br />
Jugendlichen und die Früherkennung der Vernachlässigung von Kindern und<br />
Jugendlichen sowie die Sensibilisierung der in Betracht kommenden Berufsgruppen für<br />
<strong>Gewalt</strong> an Kindern und Jugendlichen.<br />
(7) Der Kinderschutzgruppe haben jedenfalls folgende in der Krankenanstalt tätige<br />
Personen anzugehören:<br />
1. eine Fachärztin oder ein Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, Kinder- und<br />
Jugendpsychiatrie oder Kinder- und Jugendchirurgie,<br />
2. eine Vertreterin oder ein Vertreter des Pflegedienstes und<br />
3. eine Person, die zur psychologischen Betreuung oder psychotherapeutischen<br />
Versorgung in der Krankenanstalt tätig ist.<br />
(8) Die Kinderschutzgruppe kann im Einzelfall beschließen, den zuständigen<br />
Jugendwohlfahrtsträger beizuziehen.<br />
(9) In Zentral- und Schwerpunktkrankenanstalten kann anstelle einer Opferschutzgruppe<br />
und einer Kinderschutzgruppe eine <strong>Gewalt</strong>schutzgruppe eingerichtet werden, die sowohl<br />
die Aufgaben nach Abs. 2 als auch nach Abs. 6 wahrnimmt.<br />
(10) Der <strong>Gewalt</strong>schutzgruppe gemäß Abs. 9 haben jedenfalls folgende in der<br />
Krankenanstalt tätige Personen anzugehören:<br />
1. eine Person mit fachärztlicher Ausbildung auf dem Gebiet der Psychiatrie,<br />
2. eine Fachärztin oder ein Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, Kinder- und<br />
Jugendpsychiatrie oder Kinder- und Jugendchirurgie,<br />
3. eine Fachärztin oder ein Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe,<br />
4. eine Ärztin oder ein Arzt der Erstversorgungs- oder Unfallabteilung, sofern eine solche<br />
an der Krankenanstalt vorhanden ist,<br />
5. eine Vertreterin oder ein Vertreter des Pflegedienstes und<br />
6. eine Person, die zur psychologischen Betreuung oder psychotherapeutischen<br />
Versorgung in der Krankenanstalt tätig ist.<br />
43
II.<br />
Berufsrechtliche Rahmenbedingungen<br />
Ärztegesetz<br />
§ 54 Verschwiegenheits-, Anzeige- und Meldepflicht<br />
(1) Der Arzt und seine Hilfspersonen sind zur Verschwiegenheit über alle ihnen in<br />
Ausübung ihres Berufes anvertrauten oder bekannt gewordenen Geheimnisse<br />
verpflichtet.<br />
(2) Die Verschwiegenheitspflicht besteht nicht, wenn<br />
1. nach gesetzlichen Vorschriften eine Meldung des Arztes über den<br />
Gesundheitszustand bestimmter Personen vorgeschrieben ist,<br />
2. Mitteilungen oder Befunde des Arztes an die Sozialversicherungsträger und<br />
Krankenfürsorgeanstalten oder sonstigen Kostenträger in dem Umfang, als er für den<br />
Empfänger zur Wahrnehmung der ihm übertragenen Aufgaben eine wesentliche<br />
Voraussetzung bildet, erforderlich sind,<br />
3. die durch die Offenbarung des Geheimnisses bedrohte Person den Arzt von der<br />
Geheimhaltung entbunden hat,<br />
4. die Offenbarung des Geheimnisses nach Art und Inhalt zum Schutz höherwertiger<br />
Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege oder der Rechtspflege unbedingt<br />
erforderlich ist.<br />
(3) Die Verschwiegenheitspflicht besteht auch insoweit nicht, als die für die Honoraroder<br />
Medikamentenabrechnung <strong>gegen</strong>über den Krankenversicherungsträgern,<br />
Krankenanstalten, sonstigen Kostenträgern oder Patienten erforderlichen Unterlagen<br />
zum Zweck der Abrechnung, auch im automationsunterstützten Verfahren,<br />
Dienstleistungsunternehmen überlassen werden. Eine allfällige Speicherung darf nur so<br />
erfolgen, dass Betroffene weder bestimmt werden können noch mit hoher<br />
Wahrscheinlichkeit bestimmbar sind. Diese anonymen Daten sind ausschließlich mit<br />
Zustimmung des Auftraggebers an die zuständige Ärztekammer über deren Verlangen<br />
weiterzugeben.<br />
(4) Ergibt sich für den Arzt in Ausübung seines Berufes der Verdacht, dass durch eine<br />
gerichtlich strafbare Handlung der Tod oder eine schwere Körperverletzung<br />
herbeigeführt wurde, so hat der Arzt, sofern Abs. 5 nicht anderes bestimmt, der<br />
Sicherheitsbehörde unverzüglich Anzeige zu erstatten. Gleiches gilt im Fall des<br />
Verdachts, dass eine volljährige Person, die ihre Interessen nicht selbst wahrzunehmen<br />
vermag, misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht worden ist.<br />
44
(5) Ergibt sich für den Arzt in Ausübung seines Berufes der Verdacht, dass ein<br />
Minderjähriger misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht worden ist,<br />
so hat der Arzt Anzeige an die Sicherheitsbehörde zu erstatten. Richtet sich der<br />
Verdacht <strong>gegen</strong> einen nahen Angehörigen (§ 166 StGB), so kann die Anzeige so lange<br />
unterbleiben, als dies das Wohl des Minderjährigen erfordert und eine Zusammenarbeit<br />
mit dem Jugendwohlfahrtsträger und gegebenenfalls eine Einbeziehung einer<br />
Kinderschutzeinrichtung an einer Krankenanstalt erfolgt.<br />
(6) In den Fällen einer vorsätzlich begangenen schweren Körperverletzung hat der Arzt<br />
auf bestehende Opferschutzeinrichtungen hinzuweisen. In den Fällen des Abs. 5 hat er<br />
überdies unverzüglich und nachweislich Meldung an den zuständigen<br />
Jugendwohlfahrtsträger zu erstatten.<br />
Angehörige der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe, GuKG<br />
§ 7 Anzeigepflicht<br />
(1) Angehörige der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe sind verpflichtet, der<br />
Sicherheitsbehörde unverzüglich Anzeige zu erstatten, wenn sich in Ausübung ihres<br />
Berufes der Verdacht ergibt, daß durch eine gerichtlich strafbare Handlung der Tod oder<br />
die schwere Körperverletzung eines Menschen herbeigeführt wurde.<br />
(2) Die Anzeigepflicht besteht nicht, wenn die Anzeige in den Fällen schwerer<br />
Körperverletzung eine Tätigkeit der Gesundheits- und Krankenpflege beeinträchtigte,<br />
deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf. In diesem Fall<br />
hat der Angehörige des Gesundheits- und Krankenpflegeberufes die betroffene Person<br />
über bestehende anerkannte Opferschutzeinrichtungen zu informieren.<br />
§ 8 Meldepflicht<br />
(1) Angehörige der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe sind ermächtigt, persönlich<br />
betroffenen Personen, Behörden oder öffentlichen Dienststellen Mitteilung zu machen,<br />
wenn sich in Ausübung ihres Berufes der Verdacht ergibt, dass<br />
1. durch eine gerichtlich strafbare Handlung der Tod oder die Körperverletzung eines<br />
Menschen herbeigeführt wurde oder<br />
2. ein Minderjähriger oder eine sonstige Person, die ihre Interessen nicht selbst<br />
wahrzunehmen vermag, misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht<br />
wurde,<br />
sofern das Interesse an der Mitteilung das Geheimhaltungsinteresse überwiegt.<br />
45
(2) Im Falle des Abs. 1 Z 2 sind Angehörige der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe<br />
verpflichtet,<br />
1. an den zuständigen Jugendwohlfahrtsträger bei Minderjährigen oder<br />
2. an das Pflegschaftsgericht bei sonstigen Personen, die ihre Interessen nicht selbst<br />
wahrzunehmen vermögen,<br />
Meldung zu erstatten, sofern dies zur Verhinderung einer weiteren erheblichen<br />
Gefährdung des Wohls der betroffenen Person erforderlich ist.<br />
§ 14 Psychologengesetz<br />
Klinische Psychologen und Gesundheitspsychologen sowie ihre Hilfspersonen sind zur<br />
Verschwiegenheit über alle ihnen in Ausübung ihres Berufes anvertrauten oder bekannt<br />
gewordenen Geheimnisse verpflichtet.<br />
§ 15 Psychotherapiegesetz<br />
Der Psychotherapeut sowie seine Hilfspersonen sind zur Verschwiegenheit über alle<br />
ihnen in Ausübung ihres Berufes anvertrauten oder bekannt gewordenen Geheimnisse<br />
verpflichtet.<br />
Weitere Regelung zur Anzeigepflicht für Behörden oder öffentliche Dienststellen,<br />
StPO<br />
Anzeigepflicht<br />
§ 78<br />
(1) Wird einer Behörde oder öffentlichen Dienststelle der Verdacht einer Straftat bekannt,<br />
die ihren gesetzmäßigen Wirkungsbereich betrifft, so ist sie zur Anzeige an<br />
Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft verpflichtet.<br />
(2) Eine Pflicht zur Anzeige nach Abs. 1 besteht nicht,<br />
1. wenn die Anzeige eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit<br />
eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf, oder<br />
2. wenn und solange hinreichende Gründe für die Annahme vorliegen, die Strafbarkeit<br />
der Tat werde binnen kurzem durch schadensbereinigende Maßnahmen entfallen.<br />
(3) Die Behörde oder öffentliche Dienststelle hat jedenfalls alles zu unternehmen, was<br />
zum Schutz des Opfers oder anderer Personen vor Gefährdung notwendig ist;<br />
erforderlichenfalls ist auch in den Fällen des Abs. 2 Anzeige zu erstatten.<br />
§ 79<br />
46
Soweit eine gesetzliche Anzeigepflicht besteht, sind der Kriminalpolizei, den<br />
Staatsanwaltschaften und den Gerichten zur Aufklärung einer Straftat einer bestimmten<br />
Person von Amts wegen oder auf Grund von Ersuchen Ablichtungen der Akten und<br />
sonstigen schriftlichen Aufzeichnungen zu übermitteln oder Akteneinsicht zu gewähren.<br />
Eine Berufung auf bestehende gesetzliche Verschwiegenheitspflichten ist insoweit<br />
unzulässig.<br />
§ 80 Anzeige- und Anhalterecht<br />
(1) Wer von der Begehung einer strafbaren Handlung Kenntnis erlangt, ist zur Anzeige<br />
an Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft berechtigt.<br />
(2) Wer auf Grund bestimmter Tatsachen annehmen kann, dass eine Person eine<br />
strafbare Handlung ausführe, unmittelbar zuvor ausgeführt habe oder dass wegen der<br />
Begehung einer strafbaren Handlung nach ihr gefahndet werde, ist berechtigt, diese<br />
Person auf verhältnismäßige Weise anzuhalten, jedoch zur unverzüglichen Anzeige an<br />
das nächst erreichbare Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes verpflichtet.<br />
Jugendwohlfahrtsgesetz 1989<br />
§ 2 Familie und öffentliche Jugendwohlfahrt<br />
(1) Der öffentlichen Jugendwohlfahrt kommt die allgemeine Aufgabe zu, die Familie bei<br />
der Erfüllung ihrer Aufgaben in der Pflege und Erziehung Minderjähriger zu beraten und<br />
zu unterstützen.<br />
(2) Öffentliche Jugendwohlfahrt ist zu gewähren, wenn und insoweit die<br />
Erziehungsberechtigten das Wohl des Minderjährigen nicht gewährleisten.<br />
(3) Die öffentliche Jugendwohlfahrt darf in familiäre Bereiche und Beziehungen nur<br />
insoweit eingreifen, als dies zum Wohl des Minderjährigen notwendig ist. Dies ist<br />
besonders auch dann der Fall, wenn zur Durchsetzung von Erziehungszielen <strong>Gewalt</strong><br />
angewendet oder körperliches oder seelisches Leid zugefügt wird.<br />
(4) Der Jugendwohlfahrtsträger hat Meldungen über den Verdacht der<br />
Vernachlässigung, Misshandlung oder des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen,<br />
welche gemäß § 37 oder auf Grund berufsrechtlicher Ermächtigungen oder<br />
Verpflichtungen an den Jugendwohlfahrtsträger erstattet werden, personenbezogen zu<br />
erfassen und unverzüglich zu überprüfen. Diese Daten sind nur zur Wahrnehmung von<br />
Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu verarbeiten, zu benützen, zu übermitteln<br />
oder zu überlassen. Unrichtige Daten sind von Amts wegen zu löschen.<br />
47
Verschwiegenheitspflicht<br />
§ 9<br />
Soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, sind die in der Jugendwohlfahrt tätigen<br />
Personen zur Verschwiegenheit über alle ihnen ausschließlich aus dieser Tätigkeit<br />
bekanntgewordenen Tatsachen zu verpflichten.<br />
§ 37<br />
(1) Behörden, Organe der öffentlichen Aufsicht sowie Einrichtungen zur Betreuung oder<br />
zum Unterricht von Minderjährigen haben dem Jugendwohlfahrtsträger über alle bekannt<br />
gewordenen Tatsachen Meldung zu erstatten, die zur Vermeidung oder zur Abwehr einer<br />
konkreten Gefährdung eines bestimmten Kindes erforderlich sind.<br />
(2) Ergibt sich für in der Begutachtung, Betreuung und Behandlung Minderjähriger tätige<br />
Angehörige eines medizinischen Gesundheitsberufes sowie für in der Jugendwohlfahrt<br />
tätige oder beauftragte Personen, selbst wenn sie auf Grund berufsrechtlicher<br />
Vorschriften zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, der Verdacht, dass Minderjährige<br />
misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht worden sind, haben sie,<br />
sofern dies zur Verhinderung einer weiteren erheblichen Gefährdung des Kindeswohles<br />
erforderlich ist, dem Jugendwohlfahrtsträger Meldung zu erstatten.<br />
(3) Soweit die Wahrnehmungen der in der Jugendwohlfahrt tätigen oder beauftragten<br />
Personen, die auf Grund berufsrechtlicher Vorschriften zur Verschwiegenheit verpflichtet<br />
sind, drohende oder sonstige bereits eingetretene Gefährdungen des Kindeswohles<br />
betreffen, sind diese zur Mitteilung an den Jugendwohlfahrtsträger berechtigt, soweit die<br />
Wahrnehmungen Minderjährige betreffen und die Information der Abwendung oder<br />
Beseitigung der Gefährdung dient. Weitergehende Ausnahmen von bestehenden<br />
Verschwiegenheitspflichten bleiben unberührt.<br />
(4) Wirkt ein Minderjähriger oder ein ihm <strong>gegen</strong>über Unterhaltspflichtiger im Einzelfall an<br />
der Ermittlung seiner Einkommens- oder Vermögensverhältnisse nicht ausreichend mit,<br />
so haben die Träger der Sozialversicherung und die Arbeitgeber auf Ersuchen des<br />
Jugendwohlfahrtsträgers über das Versicherungs- oder Beschäftigungsverhältnis der<br />
Genannten Auskunft zu geben.<br />
§ 30 Erziehungshilfen <strong>gegen</strong> den Willen der Erziehungsberechtigten<br />
Stimmen die Erziehungsberechtigten einer notwendigen Erziehungshilfe nicht zu, so hat<br />
der Jugendwohlfahrtsträger das zur Wahrung des Wohles des Minderjährigen<br />
Erforderliche zu veranlassen.<br />
48
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch – ABGB<br />
Entziehung oder Einschränkung der Obsorge<br />
§ 176<br />
(1) Gefährden die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes, so hat<br />
das Gericht, von wem immer es angerufen wird, die zur Sicherung des Wohles des<br />
Kindes nötigen Verfügungen zu treffen. Besonders darf das Gericht die Obsorge für das<br />
Kind ganz oder teilweise, auch gesetzlich vorgesehene Einwilligungs- und<br />
Zustimmungsrechte, entziehen. Im Einzelfall kann das Gericht auch eine gesetzlich<br />
erforderliche Einwilligung oder Zustimmung ersetzen, wenn keine gerechtfertigten<br />
Gründe für die Weigerung vorliegen.<br />
(2) Solche Verfügungen können von einem Elternteil, etwa wenn die Eltern in einer<br />
wichtigen Angelegenheit des Kindes kein Einvernehmen erzielen, den sonstigen<br />
Verwandten in gerader aufsteigender Linie, den Pflegeeltern (einem Pflegeelternteil),<br />
dem Jugendwohlfahrtsträger und dem mündigen Minderjährigen, von diesem jedoch nur<br />
in Angelegenheiten seiner Pflege und Erziehung, beantragt werden. Andere Personen<br />
können solche Verfügungen anregen.<br />
(3) Die gänzliche oder teilweise Entziehung der Pflege und Erziehung oder der<br />
Verwaltung des Vermögens des Kindes schließt die Entziehung der gesetzlichen<br />
Vertretung in dem jeweiligen Bereich mit ein; die gesetzliche Vertretung in diesen<br />
Bereichen kann für sich allein entzogen werden, wenn die Eltern oder der betreffende<br />
Elternteil ihre übrigen Pflichten erfüllen.<br />
(4) Fordert das Gesetz die Einwilligung oder Zustimmung der mit Pflege und Erziehung<br />
betrauten Personen (Erziehungsberechtigten), so ist die Erklärung der mit der<br />
gesetzlichen Vertretung in diesem Bereich betrauten Person notwendig, aber auch<br />
hinreichend, sofern nicht Abweichendes bestimmt ist.<br />
§ 215<br />
(1) Der Jugendwohlfahrtsträger hat die zur Wahrung des Wohles eines Minderjährigen<br />
erforderlichen gerichtlichen Verfügungen im Bereich der Obsorge zu beantragen. Bei<br />
Gefahr im Verzug kann er die erforderlichen Maßnahmen der Pflege und Erziehung<br />
vorläufig mit Wirksamkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung selbst treffen; er hat diese<br />
Entscheidung unverzüglich, jedenfalls innerhalb von acht Tagen, zu beantragen. Im<br />
Umfang der getroffenen Maßnahmen ist der Jugendwohlfahrtsträger vorläufig mit der<br />
Obsorge betraut.<br />
49
(2) Eine einstweilige Verfügung nach den §§ 382b und 382e EO sowie deren Vollzug<br />
kann der Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter des Minderjährigen beantragen, wenn der<br />
sonstige gesetzliche Vertreter einen erforderlichen Antrag nicht unverzüglich gestellt hat;<br />
§ 212 Abs. 4 gilt hiefür entsprechend.<br />
8.2 Personal des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin<br />
Das Projekt wurde entsprechend des Angebots von Frau Dr. Maria Kletečka-Pulker und<br />
Frau Dr. Julia Inthorn geleitet und durchgeführt. Für die operativen Aufgaben wurde ein<br />
Studienassistent eingestellt. Diese Aufgabe wurde von Herrn Mag. Imre Bard<br />
übernommen, der den Aufbau und die Dateneingabe in die Datenbank durchführte und<br />
die Projektleitung bei der Recherche und der Akquisetätigkeit im Projekt unterstützte.<br />
Zusätzlich unterstützte Frau Katharina Gangl das Projekt im Rahmen ihrer Diplomarbeit.<br />
Die Projektleitung erarbeitete das Studiendesign und begleitete den Aufbau des<br />
Datensatzes, insbesondere die Spezifizierung der Variablen-Definition. Die statistische<br />
Analyse und Berichterstellung wurde ebenfalls durch die Projektleitung vorgenommen.<br />
Die ergänzende Durchführung und Analyse der ExpertInneninterviews und Finalisierung<br />
des Endberichts wurden von Frau Carina Hauser, MA und Frau Sabine Parrag<br />
vorgenommen.<br />
8.3 Literaturverzeichnis<br />
Fegert, Jörg (2001): Begutachtung sexuell missbrauchter Kinder.<br />
Fegert, Jörg; Berger, Christina; Klopfer, Uta; Lehmkuhl Ulrike; Lehmkuhl Gerd (2001):<br />
Umgang mit sexuellem Missbrauch.<br />
Fegert, Jörg (2004): Wahrheitsfindung im Kinderschutz, Vortrag, online publiziert<br />
http://www.uniklinikulm.de/fileadmin/Kliniken/Kinder_Jugendpsychiatrie/Praesentationen/fe_Skr_Wahr_fin_K<br />
inderschutz.pdf, aufgerufen am 04.10.2011<br />
Saladin, Erika (2004): Interdisziplinarität in Kinderschutz und Opferhilfe.<br />
Thun-Hohenstein, Leo Graf (2005): Kinderschutzgruppenarbeit in Österreich.<br />
Thun-Hohenstein, Leo Graf (2006): Interdisciplinary child protection team work in a<br />
hospital setting.<br />
50
8.4 Verzeichnis der Tabellen und Grafiken<br />
Tabelle 1: Weg der Anzeige bei Misshandlung, Quälen, Vernachlässigung und sexuellem<br />
Missbrauch<br />
Tabelle 2: Weg der Anzeige bei schwerer Körperverletzung (KV)<br />
Tabelle 3: Dokumentierte und eingeschlossene Fälle<br />
Tabelle 4: Dokumentierte Fälle in den Häusern des KAV und des anderen Trägers,<br />
2005–2009<br />
Grafik 1: Dokumentierte Fälle 2004–2010 mit Haus 8<br />
Grafik 2: Dokumentierte Fälle 2004–2010 ohne Haus 8<br />
Grafik 3: Dokumentierte Fälle in den Häusern des KAV und des anderen Trägers,<br />
2005–2009<br />
Grafik 4: Geschlechterverteilung<br />
Grafik 5: Altersverteilung<br />
Grafik 6: Häufigkeit der Verdachtsarten<br />
Grafik 7: Fallspezifische Vorgehensweisen<br />
51
8.5 Dokumentations-, Meldungs-, Zuweisungsblätter des<br />
Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend<br />
52