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moritz<br />
SERIE:<br />
B<strong>es</strong>chneidungsdebatte<br />
Das Landgericht Köln hat in seinem berühmten Urteil vom 7. Mai 2012 die religiöse<br />
B<strong>es</strong>chneidung als rechtswidrige Körperverletzung bewertet. moritz suchte in<br />
Greifswald nach verschiedenen Meinungen – di<strong>es</strong>mal von einem Theologen.<br />
Interview & Grafik: Daniel Focke<br />
Herr Prof<strong>es</strong>sor Stein Kokin, das Landgericht Köln hat am<br />
7. Mai 2012 die B<strong>es</strong>chneidung als Körperverletzung bewertet.<br />
Warum spricht der moritz mit mir erst jetzt darüber<br />
(lacht) Vielleicht hat <strong>es</strong> mit göttlicher Vorsehung zu tun<br />
(lacht wieder), da der Zeitpunkt eigentlich wunderbar zu di<strong>es</strong>em<br />
Thema passt. Zwischen dem 8. und 16. Dezember di<strong>es</strong><strong>es</strong><br />
Jahr<strong>es</strong> findet nämlich das Hanukkah-F<strong>es</strong>t statt. Dann feiert<br />
das Judentum den Sieg der Makkabäer gegen die Seleukiden<br />
und die Neueinweihung d<strong>es</strong> Tempels in Jerusalem, welche <strong>es</strong><br />
ermöglichten, dass Juden ihre Bräuche wieder ungehindert<br />
praktizieren konnten. Im ersten Buch der Makkabäer l<strong>es</strong>en<br />
wir, wie der Syrische König Antiochus<br />
Epiphan<strong>es</strong> die B<strong>es</strong>chneidung verbot.<br />
Auch wenn di<strong>es</strong>er Text für Juden nicht<br />
als biblisch gilt, bekommt man dennoch<br />
einen Eindruck davon, wie das<br />
B<strong>es</strong>chneidungsverbot aus der Sicht d<strong>es</strong><br />
jüdischen Kollektivgedächtniss<strong>es</strong> g<strong>es</strong>ehen<br />
wird, nämlich als ein wichtiger Teil<br />
d<strong>es</strong> Versuch<strong>es</strong>, das Judentum insg<strong>es</strong>amt<br />
zu annullieren.<br />
Wie empfinden Sie das Urteil, das gefällt<br />
worden ist<br />
Einerseits kann ich nicht sagen, dass ich<br />
sehr überrascht bin. In der letzten Zeit<br />
gab <strong>es</strong> in verschiedenen Ländern Versuche,<br />
die B<strong>es</strong>chneidung zu verbieten<br />
oder stark zu regeln. In San Francisco<br />
2011 gab <strong>es</strong> sogar eine Volksabstimmung<br />
über ein B<strong>es</strong>chneidungsverbot,<br />
welch<strong>es</strong> sich glücklicherweise nicht<br />
durchsetzte. Andererseits aber ist <strong>es</strong> sehr überraschend, dass<br />
gerade in Deutschland solch ein Urteil gefällt werden konnte<br />
und obendrein die Mehrheit der Bevölkerung di<strong>es</strong>em Urteil<br />
zustimmte. Ich muss ehrlich sagen, dass di<strong>es</strong>e ganze G<strong>es</strong>chichte<br />
sehr peinlich für Deutschland ist. Ich hätte gedacht<br />
oder gehofft, dass man hier wegen der Vergangenheit sensibler<br />
mit dem Thema umgehen würde. Was bedeutet <strong>es</strong>, wenn<br />
kaum 70 Jahre nach der Schoa ein existentiell<strong>es</strong> Merkmal d<strong>es</strong><br />
Prof<strong>es</strong>sor Daniel Stein Kokin<br />
ist Juniorprof<strong>es</strong>sor für Jüdische Literatur und<br />
Kultur an der Universität Greifswald.<br />
Judentums verboten werden kann<br />
Warum findet eine B<strong>es</strong>chneidung im Judentum statt<br />
B<strong>es</strong>chneidung wird im Judentum als Berit Milah gekennzeichnet.<br />
Milah heißt B<strong>es</strong>chneidung, Berit Bund. Zum ersten<br />
und ausführlichsten Mal taucht Berit Milah in der Bibel in<br />
der Gen<strong>es</strong>is auf. Hier befiehlt Gott Abraham die B<strong>es</strong>chneidung<br />
für seine männlichen Nachkommen am achten Tag d<strong>es</strong><br />
Lebens. Sie gilt gleichzeitig als der Bund selbst zwischen<br />
Gott und Mensch und als Zeichen für di<strong>es</strong>en Bund. Daneben<br />
dient die Berit Milah der Absonderung Israels: Auch wenn<br />
andere Völker oder Religionen, etwa der Islam, die B<strong>es</strong>chneidung<br />
durchführen, b<strong>es</strong>itzt die Berit Milah im Judentum einen<br />
ganz b<strong>es</strong>onderen Platz. Zum Beispiel<br />
selbst wenn der achte Tag nach der<br />
Geburt auf einen arbeitsfreien Sabbat<br />
oder sogar den Versöhnungstag,<br />
Yom Kippur, fällt, findet die Berit<br />
Milah trotzdem statt. Di<strong>es</strong> zeigt ganz<br />
deutlich, wie wichtig di<strong>es</strong>er Brauch<br />
für das Judentum ist.<br />
Ist die B<strong>es</strong>chneidung religiöse<br />
Pflicht<br />
Ja, und könnte sogar als die Pflicht<br />
der Pflichten b<strong>es</strong>chrieben werden:<br />
Im Talmud wird g<strong>es</strong>agt: „Bedeutend<br />
ist die B<strong>es</strong>chneidung, da sie alle Gebote<br />
aufwiegt“.<br />
Könnte die B<strong>es</strong>chneidung aufg<strong>es</strong>choben<br />
werden und der Junge<br />
selbst im Jugendalter sich bewusst<br />
dafür entscheiden<br />
Aus g<strong>es</strong>undheitlichen Gründen wird<br />
die Berit Milah ohne Zweifel verschoben, wird aber sobald<br />
wie möglich vollzogen. Di<strong>es</strong> hat mit eben dem Charakter d<strong>es</strong><br />
Befehls Gott<strong>es</strong> zu tun: Jeder Vater im Judentum ist verpflichtet,<br />
seinen Sohn b<strong>es</strong>chneiden zu lassen, nicht jeder Mann sich<br />
selbst.<br />
Sind Sie von Freunden auf das Thema ang<strong>es</strong>prochen worden<br />
Ja, man fragt b<strong>es</strong>orgt: Was genau passiert in Deutschland Ich<br />
Foto: Lea Runge<br />
26 | GreifsWelt v