w Oben: Liam versucht den Überfall zu rechtfertigen Unten Links: Hellen will Liam schützen Unten Rechts: Familienstreit der Extreme 40 | Feuilleton
Extreme Familienbande Ein G<strong>es</strong>chwisterpaar, welch<strong>es</strong> ein neu<strong>es</strong> Leben beginnt und dennoch die Vergangenheit nicht abschütteln kann. „Waisen“ – ein Schauspiel von Dennis Kelly, inszeniert von Julia Heinrichs. Rezension: Lisa Sprenger // Fotos: Barbara Braun Für Helen (Katja Steuer) und Danny (Markus Voigt) gibt <strong>es</strong> etwas zu feiern. Doch ihr romantisch<strong>es</strong> Abend<strong>es</strong>sen findet ein jäh<strong>es</strong> Ende, als Helens Bruder Liam (Sören Ergang) blutbefleckt hereinplatzt. Vom Kerzenschein überrascht entschuldigt sich Liam mehrmals. Er wirkt durcheinander, gar verstört. Dennoch dauert <strong>es</strong> unnatürlich lange, bis die Sprache auf sein blutig<strong>es</strong> Hemd kommt. Er stammelt von einem mit Schnittwunden übersäten Mann, dem er helfen wollte. Zunächst wirkt di<strong>es</strong>e unglaubliche G<strong>es</strong>chichte authentisch. Helen scheint schon da zu ahnen, worauf <strong>es</strong> hinaus läuft, mimt ihrem Mann Danny gegenüber aber den Familienmenschen und nimmt Liam in Schutz. Sie hält Danny gar davon ab, die Polizei einzuschalten. Er ist ja so ein Pechvogel, dem gerne mal was angehangen wird. Immer wieder reden die drei von Liebe, Verantwortung und Familie. Die Bedeutungen werden <strong>zur</strong>echt gedreht, so wie <strong>es</strong> gerade am b<strong>es</strong>ten passt. Es ist ein Wechselspiel der Meinungen, wie <strong>es</strong> auch oft im realen Leben zu sehen ist, wenn auch in weniger dramatischem Kontext. Das Wiedererkennen ist gegeben und erzeugt auch mal plötzliche Auflacher. Es lässt das eigentlich Schlimme an der Situation fast verg<strong>es</strong>sen. Das ist der Überschneidungspunkt, an dem der Zuschauer überlegt, wie er selbst in der Situation handeln würde. Man möchte sich ungern mit den drei Figuren identifizieren. Sogar Danny, hier Sinnbild ein<strong>es</strong> rechtschaffenen Menschens, lässt sich von dem manipulativen Verhalten und Erzählen seiner Frau einwickeln. Sie brauchen ein Alibi für Liam. Darauf stellt Helen prompt f<strong>es</strong>t, er war ja die ganze Zeit über mit ihnen zusammen. Doch Danny findet <strong>es</strong> nicht richtig und möchte auch nicht verstehen, wozu ein Alibi nötig sein soll, wenn Liam doch, wie behauptet, unschuldig sei und nur helfen wollte. Nicht ganz überzeugt stimmt er schließlich doch noch zu. Im Laufe d<strong>es</strong> Abends wird Liam aufrichtiger und er g<strong>es</strong>teht, dass er derjenige war, der den Blutenden zusammenschlug und ihm die Wunden zufügte. Auch dass er den Blutenden an einem abg<strong>es</strong>chiedenen Ort gef<strong>es</strong>selt <strong>zur</strong>ückgelassen hat, beichtet Helens Bruder schuldbewusst. Er hat solche Angst vor einer Anzeige, als ihm klar wird, was er getan hat. Auf die Frage, warum <strong>es</strong> überhaupt dazu gekommen ist, antwortet Liam, dass das Opfer einer der arabischen Jungs ist, die zuvor Danny zusammen g<strong>es</strong>chlagen hatten. Er konnte seine Wut einfach nicht <strong>zur</strong>ück halten. Aber was soll er jetzt machen. Ihm drohen Soviel Angst einjagen, dass ihm kein einzig<strong>es</strong> Wort über die Lippen kommt Aber ist er denn als Einzeltäter ernst zu nehmen Mit dem Argument der Rache gelingt <strong>es</strong> Helen, Danny dazu zu bringen, ihrem Bruder beim Einschüchtern zu helfen. So wird auch er letztlich zum Gewalttäter. Erst da erfahren Helen, Danny und auch der Zuschauer, dass Liams Lüge noch viel weiter reicht. Doch auch die Reue ändert nichts an ihrem Vergehen, welch<strong>es</strong> noch Folgen für die kleine Familie haben soll. Di<strong>es</strong><strong>es</strong> Schauspiel ist keine leichte Kost. B<strong>es</strong>onders Menschen, die sich gerne mit zwischenmenschlicher Kommunikation, dem Handeln und Denken b<strong>es</strong>chäftigen, sollten hieran ihre Freude haben. Beeindruckend ist auch das Minenspiel der Schauspieler. Die G<strong>es</strong>tik jedoch wirkt an mancher Stelle leicht übertrieben, auch wenn beim Schauspielen oft zu Übertreibungen geraten wird. Das karge Bühnenbild wird sehr gut genutzt und zu einer perfekten Tribüne der Stimmengewalt der G<strong>es</strong>chichte. Feuilleton | 41