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moritz<br />
Gerichtsreport<br />
Schaden, Schuld<br />
und Scheibenwischer<br />
Um ein zunächst trocken wirkend<strong>es</strong> Gerichtsverfahren inter<strong>es</strong>sant zu g<strong>es</strong>talten,<br />
braucht <strong>es</strong> nicht viel. Es reicht das Fehlen d<strong>es</strong> wichtigsten Beweismittels und eine<br />
Hand voll Anschuldigungen.<br />
Text: Sarah Schnieder // Grafik: Daniel Focke<br />
A<br />
mtsgericht, Greifswalder Sitzungssaal 26, 11.30<br />
Uhr. Auf dem Plan steht: Schadensersatzklage.<br />
Verklagt wird der Eigentümer einer Waschanlage.<br />
Auf der rechten Seite sitzt die Klägerin. In der Anklag<strong>es</strong>chrift<br />
heißt <strong>es</strong>: Während der Benutzung der Waschanlage<br />
d<strong>es</strong> Beklagten habe sich der Scheibenwischer d<strong>es</strong> Autos<br />
der G<strong>es</strong>chädigten gelöst und die Motorhaube b<strong>es</strong>chädigt.<br />
Es seien tiefe Kratzer entstanden. Der Richter merkt an,<br />
dass die Klägerin selbst nicht anw<strong>es</strong>end war, als sich der<br />
Vorfall ereignete. Sie erwidert, dass ihr Ehemann gefahren<br />
sei, der als Zeuge anw<strong>es</strong>end ist. Nun steht der B<strong>es</strong>chuldigte<br />
im Fokus. Er wird gefragt, ob er bei seiner Aussage, die<br />
Anlage sei vollkommen in Ordnung und werde regelmäßig<br />
geprüft, bliebe. Der Beklagte äußert die Vermutung,<br />
der Scheibenwischer sei nicht richtig bef<strong>es</strong>tigt gew<strong>es</strong>en.<br />
Der Richter reagiert mit der F<strong>es</strong>tstellung, dass vermutlich<br />
ein Sachverständiger zu Rate gezogen werden müsse, da<br />
eine gütliche Einigung der beiden Parteien ausscheide.<br />
Di<strong>es</strong> sei, wirtschaftlich g<strong>es</strong>ehen, keine sinnvolle Lösung,<br />
da die Kosten für den Sachverständigen den Streitwert<br />
deutlich übersteigen würden. Ein Vergleich sei die b<strong>es</strong>te<br />
Lösung, jedoch würde man erst die Vernehmung d<strong>es</strong> Ehemann<strong>es</strong><br />
abwarten.<br />
Der Zeuge wird hereingebeten. Ihm wird die Frage g<strong>es</strong>tellt,<br />
wie sich das Ereignis zugetragen habe. Er sagt aus:<br />
Auf Wunsch seiner Frau sei er mit dem sehr dreckigen<br />
Auto in die Waschanlage gefahren. Als die Reinigung beendet<br />
war, habe er den abgebrochenen Scheibenwischer<br />
und die Kratzer auf der Motorhaube vorgefunden, woraufhin<br />
er den Anlagenb<strong>es</strong>itzer informierte. Di<strong>es</strong>er habe<br />
Fotos gemacht und ihm empfohlen in die Werkstatt zu<br />
fahren, um einen Kostenvoranschlag für die Reparatur<br />
einzuholen. Der Beklagte soll, so der Zeuge, außerdem<br />
g<strong>es</strong>agt haben, di<strong>es</strong> sei nicht der erste derartige Vorfall,<br />
die Versicherung würde das regeln. Der Beklagte verneint<br />
di<strong>es</strong>en Vorwurf, woraufhin der Richter die Vermutung äußert,<br />
dass die Kratzer bereits vorher auf der Motorhaube<br />
gew<strong>es</strong>en sein könnten und wegen d<strong>es</strong> Drecks unbemerkt<br />
geblieben waren, was das Ehepaar verneint. Der Zeuge<br />
wird entlassen.<br />
Spät<strong>es</strong>tens jetzt steht f<strong>es</strong>t: Der Sachverständige wird gebraucht.<br />
Eigentlich scheint die Verhandlung beendet,<br />
doch nun ergreift der Beklagte noch einmal das Wort. Die<br />
Waschanlage solle bald erneuert werden, w<strong>es</strong>halb die Zeit<br />
dränge. Jetzt <strong>geht</strong> <strong>es</strong> Schlag auf Schlag. Auch der Ehemann<br />
der Klägerin scheint noch etwas zu sagen zu haben: Er<br />
und seine Frau hätten das Auto verkauft, da sie schwanger<br />
und d<strong>es</strong>halb ein größer<strong>es</strong> Fahrzeug nötig sei. Der Richter,<br />
inzwischen dezent amüsiert wirkend, reagiert darauf mit<br />
einem Verweis auf die Notwendigkeit der Beweissicherung<br />
und verlangt Name und Adr<strong>es</strong>se d<strong>es</strong> Käufers. Das<br />
Verhandlungsende verzögert sich weiter, als nun auch<br />
auf der Anklagebank Redebedarf zu sein scheint und der<br />
Wunsch nach dem vorg<strong>es</strong>chlagenen Vergleich geäußert<br />
wird. Es folgt eine weitere Fragerunde, inklusive Paragraphenreiterei<br />
und einem Exkurs über Materialermüdung<br />
und d<strong>es</strong>sen Folgen. Erneut wird auf den Sachverständigen<br />
verwi<strong>es</strong>en, d<strong>es</strong>sen Beauftragung bereits kurz nach<br />
Verhandlungsbeginn als notwendig ang<strong>es</strong>ehen wurde.<br />
G<strong>es</strong>chlossen wird die Verhandlung mit einem Kommentar<br />
d<strong>es</strong> immer belustigter wirkenden Richters über den zu<br />
konsultierenden Gutachter. Wie wird <strong>es</strong> ausgehen Wer<br />
wird für die Schäden aufkommen Und vor allem: Wird<br />
das Auto wieder auftauchen Ende ungewiss…<br />
28 | GreifsWelt v