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Weihnachts- und Heimatbrief 2008 - Stadt Ochsenhausen

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<strong>Weihnachts</strong>- <strong>und</strong> <strong>Heimatbrief</strong> <strong>2008</strong><br />

Willen lieferte. Obwohl ich es kaum als Kampf wahrnahm. Was<br />

der W<strong>und</strong>erglaube hier an Realitätsterrain verlor, gewann er sich<br />

dort als Phantasiezitadelle dazu. Ich hätte naiver sein müssen, als ich<br />

war, um nicht angesichts des im Neckermann-Katalog angekreuzten<br />

Autohauses, das dann verlässlich unter dem Lichterbaum stand, eine<br />

andere Hand am Werk zu sehen als die des Christkinds. Andererseits<br />

beschenkte ich selbst meine Eltern ja auch <strong>und</strong> wusste genau, wer da<br />

gekauft <strong>und</strong> verpackt hatte, <strong>und</strong> doch war, was mich betraf, darauf<br />

bestand ich, daran wollte ich glauben, mehr am Werk als profane<br />

Wunscherfüllung. In meinen heutigen Worten würde ich meine<br />

damaligen Empfindungen so erklären: Der Moment war beseelt von<br />

einem anderen Geist als dem logischen, nutzenorientierten, materialistischen<br />

des übrigen Jahres. Offenbar brauchte ich den Glauben an<br />

die Existenz dieses anderen Geistes damals wie ein Erstickender die<br />

Luft zum Atmen. Läutete mich das Glöckchen ins Wohnzimmer,<br />

schlug ich die Augen nieder, so wie ich noch heute die Augen niederschlage,<br />

wenn in der Messe zur Wandlung geläutet wird.<br />

Im Laufe der Zeit aber wurde, im selben Maße wie ich als<br />

Schulkind einsamer, unsicherer <strong>und</strong> in mich gekehrter wurde, die<br />

<strong>Weihnachts</strong>erwartung, die Sehnsucht nach einer Reihe gelingender,<br />

heiliger, aus der Zeit genommener Tage immer hysterischer, bis<br />

es in dem Jahr, von dem ich erzählen will, endlich so kam, wie es<br />

immer kommt, wenn man alle Hoffnung auf Kompensation für die<br />

unglücklichen Lebensumstände auf ein einziges, äußeres Ereignis<br />

konzentriert <strong>und</strong> fokussiert: Ich wurde krank.<br />

Dabei hatte alles begonnen wie immer: Ab dem Martinstag das<br />

Vorweihnachtsgefühl, dann der Adventskranz, Plätzchenbacken,<br />

Strohsternebasteln, die Dezemberwochen in hermetisch abgeschlossener<br />

Kleinfamiliendreieinigkeit – wir wollten es „gemütlich haben“,<br />

wobei die Welt nur störte.<br />

Drei Tage vor Heiligabend erbrach ich mich, bekam Fieber <strong>und</strong><br />

am beängstigendsten: w<strong>und</strong>e Stellen auf den Handflächen <strong>und</strong><br />

Fußsohlen, als sei ich stigmatisiert. Der Arzt machte alles noch<br />

schlimmer, indem er meinen Eltern scherzhaft erklärte, es handle<br />

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