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SLAWISCH-HEROISCH - Sinfonieorchester Wuppertal

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<strong>SLAWISCH</strong>-<strong>HEROISCH</strong><br />

Julian Steckel, Violoncello<br />

<strong>Sinfonieorchester</strong> <strong>Wuppertal</strong><br />

Yuri Simonov, Leitung<br />

DMITRIJ SCHOSTAKOWITSCH (1906-1975)<br />

Cellokonzert Nr. 2 G-Dur op. 126<br />

1. Largo<br />

2. Allegretto<br />

3. Allegretto<br />

PAUSE<br />

ALEXANDER BORODIN (1833-1887)<br />

Sinfonie Nr. 2 h-Moll<br />

1. Allegro – Animato assai<br />

2. Scherzo: Prestissimo<br />

3. Andante<br />

4. Finale: Allegro<br />

Die Komponisten Dmitrij Schostakowitsch und Alexander Borodin verbindet<br />

außer ihrer nationalen Herkunft wenig. Zu unterschiedlich waren sie als<br />

Charaktere, zu verschieden die Wege, die sie musikalisch gingen. Der<br />

Mediziner und Universalgelehrte Borodin betrachtete Musik als „Zeitvertreib,<br />

als eine Erholung von ernsteren Beschäftigungen“. Diese Art der Zerstreuung<br />

hatte jedoch durchaus geniale Züge und so ist er der breiteren Öffentlichkeit<br />

weniger als Naturwissenschaftler denn als Schöpfer der Oper Fürst Igor und<br />

der 2. Sinfonie im Gedächtnis geblieben. Im Gegensatz dazu Schostakowitsch,<br />

einer der unangefochten bedeutendsten Sinfoniker des 20. Jahrhunderts, der<br />

trotz Zwangslagen durch die stalinistische Kulturpolitik die enormen<br />

Widersprüche seiner Zeit in sein OEuvre einfing. Beide Werke des Abends<br />

sind zwar keine dezidierte Programmmusik, dennoch tragen sie<br />

programmatische Züge in der Art, wie sie sich dem Thema Heldentum nähern.<br />

Konzertdauer: ca. 2 Stunden inkl. Pause<br />

Konzerteinführung am Montag um 19 Uhr mit Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse.<br />

Die Verpflichtung von Julian Steckel wird von den Freunden der <strong>Wuppertal</strong>er<br />

Bühnen und des <strong>Sinfonieorchester</strong>s <strong>Wuppertal</strong> e. V. ermöglicht.


DMITRIJ SCHOSTAKOWITSCH<br />

Cellokonzert Nr. 2 G-Dur op. 126<br />

Entstehung: Januar bis April 1966<br />

Uraufführung: 25. September 1966, Moskau<br />

Ein paar Takte nur, und doch vermitteln sie die Illusion einer einsamen<br />

Tundra. Sie weiten sich in der Folge als weitgehend trostloses Lamento, das<br />

den Solisten allein auf sinfonischem Hochplateau im eisigen Wind stehen lässt.<br />

Schnell wird klar: Dieses düster vergrübelte Werk hat rein gar nichts mit<br />

einem brillanten Solokonzert zu tun, bei dem eitle Leistungsschau zu Markte<br />

getragen wird. Es ist geradezu ein erschütternder Gegenentwurf zur<br />

klassisch-romantischen Ausgestaltung dieser Gattung. Nur der Inhalt zählt<br />

und Schostakowitsch hat aus leidvoller Erfahrung wahrhaft Substantielles zu<br />

erzählen. Unmittelbar nach der Uraufführung des ersten Cello-Konzerts 1959<br />

traf Schostakowitsch ein Schock: die Diagnose seines unheilbaren Rückenleidens,<br />

gepaart in der Folge mit weiteren gesundheitlichen Rückschlägen.<br />

1966 erkrankte Schostakowitsch erneut.<br />

Das zweite Konzert entstand zu großen Teilen während eines Sanatoriumsaufenthalts<br />

im April 1966 und wurde im September des gleichen Jahres von<br />

Mstislav Rostropowitsch im Moskauer Konservatorium zum 60. Geburtstag<br />

des Komponisten uraufgeführt. Ohne sich in fragwürdigen Deutungsregionen<br />

zu verlieren: Seine verschlechterte körperliche Verfassung hat sicher Spuren<br />

in der herben Klangsprache hinterlassen. Doch das Konzert als bloße<br />

Auseinandersetzung mit dem Abebben des Lebens zu deuten, griffe zu kurz.<br />

Zumal sich schon in seiner mittleren Schaffensperiode ein Hauptthema seiner<br />

Arbeit herauskristallisierte: das Drama des Individuums gegen das Böse und<br />

dessen Demaskierung. Diese Leitmotive waren autobiografisch motiviert.<br />

Mehrfach wurde der Komponist von der repressiven Staatsmacht bedroht, was<br />

ihn wiederholt in existentielle Krisen warf. Daran änderte auch die zeitweilige<br />

offizielle Hochschätzung nichts. Bereits 1936 diffamierte die “Prawda“ seine<br />

Werke als dekadent und verurteilte ihn als ideologiefeindlichen Musiker. 1948<br />

nahm die öffentliche Denunziation von Schostakowitsch durch Kulturoffizielle,<br />

ebenso wie die seiner Komponistenkollegen Prokofjew, Chatschaturjan und<br />

Mjaskowski, konkretere und schärfere Formen an. Schostakowitsch verlas<br />

daraufhin eine demütigende Selbstanklage vor einem offiziellen Treffen<br />

sowjetischer Tonkünstler, das einberufen worden war, um seinen<br />

„Formalismus“ zu verurteilen.<br />

Schostakowitsch kam mit dem Leben davon. Andere Freunde und Bekannte<br />

verschwanden und kehrten nie zurück. Unzweifelhaft hat ihn sein<br />

musikalischer Ruhm gerettet. Doch gleichzeitig hatte ihn diese Erfahrung<br />

erschüttert, und er versuchte, sich fortan aus den politischen Turbulenzen<br />

herauszuhalten und auf das Komponieren zu konzentrieren.<br />

Allerdings wäre die Schlussfolgerung, hierin den bedingungslosen Kniefall vor<br />

der Doktrin des “sozialistischen Realismus“ zu sehen, falsch. Schostakowitsch<br />

verlegte sich auf sublimere Formen des Widerstands, indem er etwa das


geforderte Pathos zwar lieferte, aber durch hohle Phrasen konterkarierte. In<br />

den großen Gattungen Symphonie, Streichquartett und Konzert, die in der<br />

Regel auf die semantische Präzisierung eines Textes verzichten und in der<br />

inhaltlichen Unbestimmtheit ihrer musikalischen Chiffren unterschiedliche<br />

Interpretationen zulassen, fand er einen geradezu idealen Schutzraum, um in<br />

den Zeiten des stalinistischen Regimes künstlerisch und auch ganz real zu<br />

überleben. In der barbarischen Motorik, die durch manche Werke<br />

Schostakowitschs fegt, hat man oft die Knochenmühle des Stalin-Terrors<br />

vermutet: Das Individuum wird von einer gnadenlosen Maschinerie<br />

aufgerieben und vernichtet.<br />

Im 2. Cello-Konzert bekommt die Polarität zwischen Subjekt und dem Bösen<br />

eine plastische Verkörperung und erreicht eine neue Qualität. Wurde in<br />

früheren Werken der Hauptkonflikt schon im ersten Satz ausgetragen,<br />

erscheint zunächst ein tragisches Largo gespannt-expressiven Charakters als<br />

retardierendes Moment.<br />

Die Demaskierung des Primitiven, der menschenfeindlichen Kräfte erfolgt erst<br />

im Allegretto unter Verwendung des Straßenliedes “Kupitje bubliki!“ (“Kauft<br />

Kringel!“) aus dem Odessa der 1920er Jahre. Es erscheint betont alltäglich,<br />

sogar platt überzeichnet, verwandelt sich in seinem Automatismus dann aber<br />

in eine schrecklich wirkende Kraft, die alles auf ihrem Weg zerstört.<br />

Die Einleitung zum Finale geriert sich als Kulminationszone, als Ergebnis der<br />

Steigerung im 2. Satz und zornigen Reaktion des Bewusstseins, ein Protest auf<br />

alles Antimenschliche. Doch das Ende erscheint tragisch. Nach Rückgriffen<br />

auf Material des Kopfsatzes endet das Konzert in einem düsteren Epilog.<br />

Ermattet klingt es auf einem einzigen Cello-Ton aus, vom Schlagwerk in<br />

leeren Quinten und Oktaven 16 Takte umspielt. Im letzten Moment behält das<br />

„Ich“ durch einen vielsagenden, trotzigen Akzent doch das letzte Wort. Das<br />

Aufbegehren einer von Selbstverlust bedrohten Persönlichkeit Dann wäre<br />

durch Standhaftigkeit das Subjekt schlussendlich zum versehrten, aber<br />

obsiegenden Helden geworden.


ALEXANDER BORODIN<br />

Sinfonie Nr. 2 h-Moll<br />

Entstehung: 1869 – 1876<br />

Uraufführung: 26. Februar (10. März) 1877<br />

St. Petersburg<br />

Der Heroismus in Borodins 2. Sinfonie stammt dagegen aus einer Epoche, die<br />

ihre Helden noch aus den Reihen kampferprobter Haudegen rekrutierte. Von<br />

Mussorgski als „slawische Eroica“ gepriesen, wurde sie früher zudem mit dem<br />

Beinamen „Heldensymphonie“ versehen, aber seit Helden durch den Wahnsinn<br />

zweier Weltkriege aus der Mode kamen, wird dieser Titel kaum mehr genannt.<br />

Dennoch ist es Borodin gelungen, einem verklärten Russlandmythos ein<br />

musikalisches Denkmal zu setzen. Er entwirft Visionen von altslawischen<br />

Kriegsszenen und Festivitäten, deren Bildhaftigkeit und Emotionalität man<br />

heute bestaunt und mit distanzierter Sympathie hört.<br />

Zu bedenken ist dabei, dass der Arzt und Chemieprofessor eigentlich kaum<br />

Zeit für die Muse hatte, auch wenn er munter auf Flöte, Klavier und Cello<br />

dilettierte. Man kann Mily Balakirews Hartnäckigkeit nachvollziehen, der es<br />

als völlig inakzeptabel empfand, ein solches Talent zu verschwenden und<br />

Borodin oftmals zu überzeugen versuchte, seine eigentliche Berufung in der<br />

Komposition und nicht in der Chemie zu sehen. Immerhin: Seine Beharrlichkeit<br />

zahlte sich aus und Balakirew gewann ab 1862 einen neuen Schüler, der trotz<br />

Berufstätigkeit noch en passant Harmonielehre- und Kompositionskenntnisse<br />

bei ihm vertiefte.<br />

Die äußeren Rahmenbedingungen blieben gleichwohl eher hemmend. Aus<br />

Rimskij-Korsakows Erinnerung lässt sich entnehmen, dass der<br />

Teilzeitkomponist auch dann, wenn ihn musikalische Fragen beschäftigten, in<br />

Gedanken zur Hälfte bei seinen Reagenzien war. „Hatte er seine Arbeit<br />

beendet, machten wir es uns in der Wohnung bequem und musizierten oder<br />

unterhielten uns über Musik. Mitten im Gespräch sprang er auf und rannte ins<br />

Laboratorium, um nachzuschauen, ob dort nicht etwas ausgebrannt oder<br />

übergekocht sei.“.<br />

Borodin war ein schwerer Fall für seine musikalischen Freunde. Bald gingen<br />

sie sogar dazu über, ihm statt Gesundheit lange Phasen der Bettlägerigkeit zu<br />

wünschen. Denn krankheitsbedingt befreit von Vorlesungen, Sitzungen,<br />

Prüfungen und Laborarbeiten, pflegte der ruhelose Gelehrte solche Tage für<br />

die Niederschrift von Noten statt chemischer Formeln zu nutzen. Nun war<br />

Borodin selten krank, weshalb kaum ein Werk zügig zu Ende gebracht wurde.<br />

Für seine Oper Fürst Igor benötigte er unglaubliche achtzehn Jahre, um sie<br />

dann als Torso zu hinterlassen.<br />

Zeitgleich entstand seine h-Moll Sinfonie wegen allzu robuster Gesundheit in<br />

der vergleichsweise kurzen Zeit von sieben Jahren. Es wurde sein größter<br />

Wurf. Der berühmte Kritiker und Musikschriftsteller Wladimir Stassow<br />

glaubte, in ihr „den Geiste eines alten russischen Epos“ zu entdecken. Von<br />

ihm sind angebliche Hauptzüge eines inoffiziellen “Programms“ überliefert.


„Borodin selbst erzählte mir mehrmals, dass er im Adagio die Figur des<br />

(legendären Sängers) Bajan darstellen wollte, im ersten Satz eine<br />

Versammlung russischer Helden und im Finale die Szene eines Gelages der<br />

Helden.“ Die musikalische Umsetzung des historisierenden Stoffes lässt sich<br />

ohne weiteres nachvollziehen, etwa im harfenbegleiteten Barden-Thema des<br />

langsamen Satzes. Nur hier bleibt Zeit zum Innehalten, auch wenn der sanfte<br />

Ton seines Beginns täuscht und sich der Satz zu einer Musik von aufgewühlterzählerischer<br />

Intensität entwickelt.<br />

Der Klangcharakter der Sinfonie ist insgesamt patriotisch gehalten und drückt<br />

die ernste Bewunderung der Kraft und spirituelle Integrität der Heroen aus<br />

alter Zeit aus, die Russland vor seinen damaligen Feinden bewahrte. Borodin<br />

hatte offensichtlich eine instinktive Affinität zu den legendären Figuren aus<br />

einer sagenhaften, längst versunkenen Epoche russischer Geschichte, die er<br />

in seiner Musik glaubhaft portraitierte.<br />

Matthias Schneider-Dominco

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