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abhängigkeit 2014 Potsdam 1,50 EUR

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<strong>abhängigkeit</strong> <strong>2014</strong><br />

<strong>Potsdam</strong> 1,<strong>50</strong> <strong>EUR</strong>


Was ist <strong>Potsdam</strong> <strong>Potsdam</strong>, das bist Du. <strong>Potsdam</strong>,<br />

das ist eine der jüngsten Landeshauptstädte<br />

Deutschlands. Und wo es Jugend heißt,<br />

da kommst Du ins Spiel!<br />

Wir von word.<strong>Potsdam</strong> haben es uns zur<br />

Aufgabe gemacht, den <strong>Potsdam</strong>er Jugendlichen<br />

und jungen Erwachsenen, Schülern, Auszubildenden<br />

und Studenten eine Plattform der<br />

Information und des Austauschs zu bieten. Ob<br />

gedruckt oder online – als <strong>Potsdam</strong>er Lokalmagazin<br />

informieren wir Dich über das, was<br />

Dich bewegt und zeigen euch Seiten von eurer<br />

Stadt und dem Umland, die ihr vielleicht so<br />

noch nicht gesehen habt.<br />

Doch wir sind nicht bloßes Heimatheft. Wir<br />

fragen, wir hinterfragen. Bei word.<strong>Potsdam</strong><br />

findet ihr Denkanstöße, Meinungen, Interviews<br />

mit Künstlern, Politikern und all denen, die unsere<br />

Gesellschaft prägen und formen.<br />

Doch wir sind nicht bloßes Heimatheft. Wir<br />

fragen, wir hinterfragen. Bei word.<strong>Potsdam</strong><br />

findet ihr Denkanstöße, Meinungen, Interviews<br />

mit Künstlern, Politikern und all denen, die unsere<br />

Gesellschaft prägen und formen.<br />

Uns allen also! Wir haben etwas zu sagen. Und<br />

word.<strong>Potsdam</strong> ist unser Sprachrohr.<br />

“Unser” fragst Du Dich jetzt vielleicht, doch<br />

genau das ist das Konzept! word.<strong>Potsdam</strong> soll<br />

mehr sein als das normale Magazin. Bei uns<br />

kann jeder Leser auch Schreiber sein. Bei uns<br />

muss sich niemand erst durch massig Follower<br />

in sozialen Netzwerken ein Publikum ködern.<br />

Nein, wir alle sind Publikum.<br />

Hast Du einen Text, der unbedingt veröffentlicht<br />

werden sollte Das Bedürfnis, zu Thema<br />

X einfach mal Deine Meinung zu sagen Fotos,<br />

Reportagen, Videos auf einer Plattform zu<br />

veröffentlichen, bei der für Deine Leser schon<br />

gesorgt ist<br />

Dann mach’ mit!<br />

<strong>abhängigkeit</strong>


editorial<br />

lieber leserinnen<br />

Wir verfassen - wir publizieren, wir photographieren - wir veröffentlichen,<br />

wir drucken - wir feiernunsere Printreleaseparty.<br />

Wir tun und machen. Und wenn ich wir schreibe, dann meine ich wir.<br />

Ohne unsere Leser wären Dinge wie die Printreleaseparty nicht mal halb so schön<br />

geworden.<br />

Ohne unsere Leser hätten wir weder rechtlichen Beistand bekommen, noch wären<br />

wir auf Fördermöglichkeiten aufmerksam geworden. Ohne unsere Leser hätten wir<br />

einige schöne Artikel nicht schreiben, nicht veröffentlichen können. Ohne unsere<br />

Leser würden uns die Gastartikel fehlen - ohne unsere Leser würde es word.<strong>Potsdam</strong><br />

nicht geben.<br />

Und jetzt, nach dem es word. schon fast 2 Jahre gibt, die erste Ausgabe vor einem<br />

halben Jahr<br />

erschien, möchte ich im Namen von uns - von uns allen - danke sagen. Danke, dass<br />

es euch gibt.<br />

Mehr habe ich nicht zu sagen.<br />

Gero Kossmann<br />

editorial


Niemand gibt gern zu, dass er abhängig ist.<br />

Und doch sind wir ganz maßgeblich von denen bestimmt, die uns<br />

umgeben.<br />

Denn wenn unser Umfeld wegbricht, ist unser Geist sein einziger<br />

Gesprächspartner.<br />

In diesem Fall versklaven wir uns, wenn wir uns eben nicht in Abhängigkeit<br />

bringen.<br />

Soziale Kontakte dürfen abhängig machen – denn im besten Fall beruhen<br />

sie auf Gegenseitigkeit.<br />

Paul<br />

Alles ist voneinander abhängig.<br />

Das Leben mit unzähligen Strängen,<br />

Zufall, Schicksal – nennt’s wie ihr wollt,<br />

dahinter der Zwang dem ungewissen einen Namen zu geben.<br />

Unsere Zukunft gebildet von den Momenten, die in die Vergangenheit<br />

fallen,<br />

eben noch Zukunft, nun wegweisend.<br />

Zina<br />

Nicht viel ist so menschlich, wie die Abhängigkeit. Sie steht für<br />

unsere Schwächen, für unsere Stürze. Für die vielen selbst gegebenen<br />

Versprechen und für die vielen reuevollen Momente, in denen wir<br />

uns<br />

selbst aus dem Weg zu gehen versuchen. Sie bildet eine Scheinwelt,<br />

ein<br />

Paradies für Narren und das ist uns sogar bewusst, aber gleichgültig.<br />

Ron<br />

2


inhalt<br />

4<br />

mein berlin<br />

bei<br />

nacht<br />

25<br />

ein interview<br />

mit<br />

markus kavka<br />

6<br />

magersucht<br />

oder<br />

fettsucht<br />

28<br />

über den<br />

schock<br />

vor der trauer<br />

7<br />

k4:<br />

finnian<br />

sands<br />

30<br />

zwischenmenschliches<br />

allzu<br />

zwischenmenschliches<br />

10<br />

zusammenkloppen<br />

alles weitere machen<br />

wir später<br />

33<br />

aus<br />

suchen<br />

15<br />

wohnraum<br />

für<br />

alle <br />

35<br />

über<br />

das leben<br />

eines<br />

backpackers<br />

17<br />

entartete<br />

kunst<br />

37<br />

fg arts<br />

in<br />

madagaskar<br />

20<br />

heroin<br />

ein<br />

interview<br />

40<br />

deutschland<br />

was ist das<br />

schon<br />

23 die volksdroge des 21.jhd<br />

42 isabell vadre<br />

3


Mein Berlin bei Nacht<br />

Von Johann-Caspar Bertheau, Klaas Geller<br />

und Max-Marian Unger<br />

Er humpelt über die Wilmersdorferstraße.<br />

Seine Krücken schleifen über den Asphalt.<br />

Menschen mit Einkaufstüten hasten an<br />

ihm vorbei. Keiner beachtet den alten<br />

Mann mit den langen, grauen Haaren.<br />

Dennoch ist Gregor ein Teil Berlins. Ob<br />

in der U-Bahn, in der Bahnhofsmission<br />

am Zoo oder am Kottbusser Tor, Gregor<br />

hat kein festes Zuhause. Am Jakob-Kaiser<br />

Platz klopft er an die Tür der City Toilette<br />

„Besetzt!“ schreit eine rauchige Stimme.<br />

Gregor dreht sich um: „Ich setz mir den<br />

Schuss auch gerne draußen!“.<br />

Unter dem schwachen Licht einer Straßenlaterne zieht Gregor<br />

ein kleines Radio aus seiner Tasche „Das Sandmann Lied“<br />

erklingt.<br />

4<br />

<strong>abhängigkeit</strong>


<strong>abhängigkeit</strong><br />

5


menschen<br />

magersucht<br />

oder<br />

Fettsucht<br />

eine bestandsaufnahme<br />

Jeder zweite Deutsche wiegt zu viel, während<br />

16 % der Deutschen laut Statistischem<br />

Bundesamt sogar starkes Übergewicht haben.<br />

Maßgeblich für diese Zahlen ist der BMI (Body-<br />

Mass-Index), der das Körpergewicht in Relation<br />

zur Körpergröße setzt. Die Fettsucht (Adipositas)<br />

beginnt ab einem BMI von mehr als 30.<br />

Doch wie kommt diese Krankheit<br />

zustande und warum ist sie in<br />

Deutschland auf dem Vormarsch<br />

Adipositas ist eine Essstörung: Die Betroffenen<br />

bekommen regelmäßig Essanfälle, bei denen<br />

es keine Rolle spielt, ob sie hungrig sind oder<br />

nicht. Sie essen, um etwas zu tun zu haben und<br />

Problemen aus dem Weg zu gehen. So nehmen<br />

sie innerhalb kürzester Zeit sehr viele Kalorien<br />

auf. Damit einher geht geringe körperliche<br />

Aktivität – die Fettsüchtigen bewegen sich nur,<br />

wenn es unbedingt nötig ist, und grenzen sich<br />

von der Außenwelt ab, was nicht zuletzt mit<br />

einem geringen Selbstwertgefühl zusammenhängt.<br />

Allgemein lässt sich der Anstieg der Fettleibigkeit<br />

auf Faktoren wie zunehmende Bequemlichkeit<br />

im Alltag durch moderne Technik und die<br />

Verbreitung ungesunder Lebensmittel zurückführen.<br />

Hauptgrund ist allerdings die psychische<br />

Abhängigkeit: Essanfälle sind häufig ein Ventil<br />

für die Frustration, die durch ständige negative<br />

Alltagssituationen entsteht. Die Betroffenen<br />

steigern sich in die Krankheit hinein und gelangen<br />

in einen Teufelskreis: Abfällige Kommentare<br />

oder Mobbing nagen am Selbstbewusstsein und<br />

der einzige Ausweg ist für sie das Frustessen.<br />

Doch auch die Magersucht verbreitet sich<br />

immer weiter in Deutschland. Im Jahr 2006 war<br />

jedes vierte Mädchen im Alter von 11 bis 17<br />

Jahren essgestört. Die Anzahl der Magersüchtigen<br />

nimmt zu, während das durchschnittliche<br />

Alter der Patienten sinkt. Die Gründe dafür sind<br />

individuell unterschiedlich. In den meisten Fällen<br />

handelt es sich bei dem Umfeld der Betroffenen<br />

um bürgerliche „unauffällige“ Familien.<br />

Bei Jugendlichen wird die vermeintliche Kontrolle<br />

über den eigenen Körper zu einem Mittel,<br />

um das Streben nach Autonomie auszuleben.<br />

Großen Einfluss hat auch das von westlichen<br />

Massenmedien populär gemachte Schlankheitsideal:<br />

Schon im Grundschulalter beschäftigen<br />

sich Kinder mit Themen wie Germanys Next<br />

Topmodel.<br />

6<br />

menschen


kunst<br />

Durch die Inbesitznahme des Alltags durch<br />

das Internet wird die Krankheit noch stärker<br />

verbreitet und auch verschlimmert: In Blogs<br />

stacheln sich Magersüchtige mit Sprüchen<br />

wie „Stay strong, think thin“ gegenseitig zum<br />

Abnehmen an und posten täglich ihr Gewicht.<br />

Spätestens an diesem Punkt ist die psychische<br />

Abhängigkeit zu einer Sucht geworden, die<br />

nicht so schnell therapiert werden kann. Jeder<br />

10. Erkrankte stirbt an der Magersucht.<br />

kunst<br />

mh<br />

Auch wenn Magersucht und Fettsucht auf den<br />

ersten Blick so verschieden scheinen, haben sie<br />

einige Gemeinsamkeiten. Zu diesen zählt unter<br />

anderem der Hass auf den eigenen Körper,<br />

der bei adipösen Menschen durch das soziale<br />

Umfeld dauernd geschürt wird. Bei Magersüchtigen<br />

resultiert er aus der Unzufriedenheit mit<br />

der Figur oder dem Gewicht, die wiederum<br />

auf Selbstwahrnehmungsstörungen beruht.<br />

Dass sich beide Krankheiten in Deutschland,<br />

aber auch weltweit verbreiten, liegt vielleicht<br />

auch an der kaum stattfindenden öffentlichen<br />

Debatte über diese Themen. Für Übergewicht<br />

wird kurzerhand das Junk-Food verantwortlich<br />

gemacht, während die Magersucht kaum<br />

thematisiert wird. Aufgrund des geringen Alters<br />

der Betroffenen sollte man mit der Prävention<br />

bei der Aufklärung von Kindern und Jugendlichen<br />

beginnen.<br />

K4:<br />

finnian<br />

Sands<br />

Mein Name ist Finnian Seán Wittmann,<br />

bin 20 Jahre alt und angehender Illustrator.<br />

Ich nutze jedoch das Synonym<br />

Finnian Seán Sands um meine<br />

Bilder im Internet auf verschiedenen<br />

Plattformen zu verbreiten . Nach dem<br />

Abitur 2013 ein längeres Praktikum bei<br />

dem Grafik- und Illustrationsstudio<br />

Moga Mobo. Seit Oktober <strong>2014</strong> studiere<br />

ich Visuelle Kommunikation im ersten<br />

Semester an der Universität der<br />

Künste Berlin. Das Zeichnen hat mich<br />

bereits mein gesamtes Leben lang begleitet<br />

und wird dies auch hoffentlich<br />

weiterhin tun.<br />

7


word.<strong>Potsdam</strong> | Hat der Name „Sands“ eine<br />

Bedeutung<br />

Finnian: Im Internet benutzte ich den Nachnamen<br />

Sands, dieser stammt vom irischen Hungerstreiker<br />

Bobby Sands der sich mit neun anderen<br />

Gefangenen zu Tode hungerte um gegen<br />

den repressiven und faschistoiden nordirischen<br />

Staat zu demonstrieren.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Hast du Lieblingskünstler<br />

oder Idole<br />

Finnian: Zu denjenigen die mich am meisten<br />

handwerklich geprägt haben zählt auf jeden<br />

Fall der amerikanische Comic-Zeichner Mike<br />

Mignola. Inhaltlich bezog ich und beziehe noch<br />

immer viel von Howard Phillips Lovecrafts grandiosen<br />

Werken. Ein Zeichner sollte sich viel mit<br />

Literatur auseinandersetzen, denn die Essenz<br />

des Illustrieren ist es Geschichten zu erzählen<br />

und den Leuten bzw. dem Betrachter eine ganz<br />

eigene Welt zu offenbaren.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | In welchen Momentan malst<br />

du am liebsten<br />

Finnian: Der Moment der ultimativen Kreativität<br />

und Leistung ist definitiv die Nacht. Vor<br />

allem die<br />

kalten und finsteren Nächte des Winters bilden<br />

eine unverwechselbare Atmosphäre<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Was bedeutet deine Kunst<br />

für dich<br />

Finnian: Von vorn herein ist es immer sehr heikel<br />

für einen Zeichner seine Bilder als „Kunst“<br />

zu bezeichnen. Ich bezeichne sie deshalb<br />

einfach nur als Werke. Meine Zeichnungen bzw.<br />

mein Schaffen definiert mich als Person. Keines<br />

meiner Werke hat einen nach außen hin offen<br />

erkennbaren tieferen Sinn, jedoch immer einen<br />

persönlichen tiefer liegenden Hintergrund. Kein<br />

Bild passiert zufällig und gleichzeitig ist kein Bild<br />

völlig durch kalkuliert.<br />

8<br />

kunst


kunst<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Wie entsteht eine Bildidee<br />

bei dir<br />

Finnian: Ich beziehe mein gestalterisches Input<br />

oft aus Literatur oder Filmen. Die größte Prägung<br />

im Umgang mit meinen Motiven erfuhr<br />

ich durch den Autor Howard Phillips Lovecraft.<br />

Beim Musik hören oder vor allem bei Hörbüchern<br />

materialisieren sich einzelne Bilder,<br />

die wiederum am Ende zu einer großen Idee<br />

werden die aus vielen Bildern oder Eindrücken<br />

zusammengesetzt ist.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Wie haben sich deine Bilder<br />

inhaltlich in den letzten Jahren verändert<br />

Finnian: Zu denjenigen die mich am meisten<br />

handwerklich geprägt haben zählt auf jeden<br />

Fall der amerikanische Comic-Zeichner Mike<br />

Mignola. Inhaltlich bezog ich und beziehe noch<br />

immer viel von Howard Phillips Lovecrafts grandiosen<br />

Werken. Ein Zeichner sollte sich viel mit<br />

Literatur auseinandersetzen, denn die Essenz<br />

des Illustrieren ist es Geschichten zu erzählen<br />

und den Leuten bzw. dem Betrachter eine ganz<br />

eigene Welt zu offenbaren.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Wie hast du dir dein Hobby<br />

in Zukunft vorgestellt – irgendwelche Ambitionen<br />

mehr daraus zu machen<br />

Finnian: Jeder der sich für das Zeichenhandwerk<br />

interessiert muss sich früher oder später<br />

selbst in Frage stellen. Wenn man Zweifel hat<br />

an der Vorstellung vom illustrativen Beruf sollte<br />

man sich von vorn herein auch an keiner Kunsthochschule<br />

bewerben. Im Gegensatz dazu muss<br />

man sich auch einstehen können, dass man<br />

Schwächen hat oder man handwerklich noch<br />

auf einem niedrigen Level ist. Egal wie sehr man<br />

sich für das Zeichnen interessiert, wenn man<br />

qualitativ nicht hochwertig arbeiten kann soll<br />

man es entweder lassen oder üben und wieder<br />

üben und wieder üben bis man Verbesserungen<br />

erkennen kann.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Wir bedanken uns für das<br />

Interview.<br />

gk<br />

9


menschen<br />

Zusammenkloppen<br />

alles weitere machen<br />

wir Später<br />

ein polizist zwischen den fronten<br />

Gert Schröder (Jg. 1941) ist Erster Polizeihauptkommissar a.D.<br />

Als langjähriger Mitarbeiter der Berliner Polizei während der<br />

deutsch-deutschen Teilung kann er von ganz persönlichen Erlebnissen<br />

im isolierten West-Berlin berichten. Sympathie für die Anliegen<br />

und Respekt gegenüber den Demonstranten brachten ihm eine<br />

Sonderstellung unter seinen Kollegen ein. Gert Schröder ist verheiratet<br />

und lebt im Süden Berlins.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Herr Schröder, Ihre facettenreiche<br />

Karriere besaß Höhen wie Tiefen.<br />

Weshalb haben Sie sich für eine Laufbahn bei<br />

der Polizei entschieden<br />

Schröder: Ich fiel Ende der dreizehnten Klasse<br />

durch die Abiturprüfungen. Um meinen Eltern<br />

nicht auf der Tasche zu liegen, entschloss<br />

ich mich kurzfristig für einen Dienst bei der<br />

Bereitschaftspolizei. Ich hatte vorher nie mit<br />

dem Gedanken gespielt, hatte nur vom tollen<br />

Betriebsklima unter den Kollegen gehört. Polizisten<br />

wurden damals benötigt, als einer der<br />

vielen Bewerber war ich als Gymnasialschüler<br />

mit Mittlerer Reife im Vorteil. Meine dadurch<br />

verkürzte Ausbildungszeit folgerte, dass ich sehr<br />

schnell in den beruflichen Alltag kam. Allerdings<br />

war für mich nach wenigen Tagen Munitionshäuschen-Bewachen<br />

klar, dass ich bis zum Ende<br />

meiner Karriere noch etwas Anderes tun wollte.<br />

Ich wollte versuchen, so schnell wie möglich in<br />

den Gehobenen Dienst (Kommissarslaufbahn)<br />

gelangen.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Ihr erster Tag in Dienst fiel<br />

auf den 4. April 1961, im uns so bekannten<br />

„Schicksalsjahr“. Ihre Frau hatte im Vorgespräch<br />

von dem Tag berichtet, als Sie zur Mauer<br />

gerufen wurden.<br />

Schröder: Wir hatten normalerweise 24 Stunden<br />

Dienst, dann 48 Stunden Freizeit. Am<br />

Sonntag, dem 13. August hatten wir frei, ich<br />

war bei meinen Eltern zu Hause und hörte über<br />

das Radio, dass Berlin abgeriegelt werde. Als ich<br />

dann abends um 11 Uhr in die Polizeikaserne<br />

ging, standen bereits überall Fahrzeuge herum;<br />

wir wurden angebrüllt, man hätte im Radio<br />

nach allen Auszubildenden rufen lassen – Wir<br />

hatten ja damals noch kein Telefon. Ich sagte<br />

zum Spieß: „Ich war mit dem Paddelboot auf<br />

dem Wannsee”, woraufhin dieser zurückgab,<br />

ich sei der fünfundneunzigste, der heute Paddelboot<br />

auf dem Wannsee gefahren sei. Das<br />

war der Einstieg für eine angespannte Situation<br />

für die nächsten Wochen: Wir bekamen keinen<br />

Ausgang mehr, trugen auf einmal Kampfanzug<br />

und Stahlhelm.<br />

10<br />

menschen


word.<strong>Potsdam</strong> | Die Polizei West-Berlins war<br />

im Notfall eine Art Paramilitär.<br />

Schröder: Als Größter meiner Acht-Mann-Gruppe<br />

war ich MG-Schütze, allerdings noch gar<br />

nicht geschult – das MG kam eigentlich erst<br />

zum Ende der Ausbildung. Da es sich aber um<br />

einen Ernstfall handelte, drückte man mir ein<br />

leichtes Maschinengewehr in die Hand und<br />

zeigte mir in Eile, wie man nachlud. Eine völlig<br />

neue Situation: Scharfe Munition war davor<br />

eine Art Heiligtum, so viel musste man unterschreiben<br />

ehe man auch nur eine Patrone ausgehändigt<br />

bekam… In Reih und Glied wurden<br />

wir durchgezählt, und durften anschließend auf<br />

unsere Zimmer. Als Polizei in West-Berlin waren<br />

wir im Ernstfall eine Art Reserve der Alliierten.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Wie war die Stimmung unter<br />

ihnen<br />

Schröder: Wir Jüngeren wussten mit der Situation<br />

gar nichts anzufangen, und da von den Vorgesetzten<br />

keine Anweisungen kamen, saßen wir<br />

auf der Stube und versuchten durch das Radio<br />

etwas herauszufinden. Während uns das wie<br />

eine Art Pfadfinderlager vorkam, waren unsere<br />

bereits ausgebildeten Kollegen deutlich kritischer.<br />

Sie zogen sich Zivilkleidung unter, schließlich<br />

seien sie Polizisten und keine Soldaten.<br />

Nach Wochen konnten wir das erste Mal für<br />

einen Tag nach Hause, annähernder Normalzustand<br />

kehrte erst wieder Mitte Oktober ein.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Sie verbrachten die Zeit in der<br />

Kaserne. Weshalb schickte man Sie nicht zur<br />

Grenze<br />

Schröder: Ich denke, man war vor allen Dingen<br />

von der Situation überfordert und wollte<br />

zwischen den Besatzungsmächten keine zusätzliche<br />

Macht darstellen. Was wir mit Schrecken<br />

beobachteten, war das Auffahren der Panzer<br />

am Checkpoint Charlie.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Die Situation relativierte sich<br />

schließlich langsam. Wie ging es mit Ihnen<br />

weiter<br />

Schröder: Ich beendete meine Ausbildung und<br />

lernte, um mich schließlich als Hauptmeister für<br />

den Gehobenen Dienst zu bewerben. Nach der<br />

Fachhochschulreife wurde ich 1973 Kommissar.<br />

Dazwischen hat eine Menge stattgefunden.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Wir sprachen bereits im<br />

Vorgespräch über die ’68er und die Friedensbewegung.<br />

Schröder: Anfang der 1960er hatte in der<br />

Studentenschaft der Aufstand gegen die vielen<br />

Alt-Nazis in der Politik begonnen – auch ein<br />

Großteil meiner Ausbilder waren ehemalige<br />

Wehrmachtsangehörige. Als Polizei des amerikanischen<br />

Sektors waren wir oft bei der Freien<br />

Universität in Berlin-Dahlem, um den besetzten<br />

Campus zu räumen.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Das war vertretbar für Sie<br />

Ihr Sohn erzählte mir nämlich, dass Sie später<br />

auch an Ihren Einsätzen gezweifelt hätten.<br />

Schröder: Ja, meine Freunde und ich waren<br />

bloß die einzigen, die Flugblätter mitgenommen<br />

haben, nicht wie viele Kollegen, die sie einfach<br />

vernichteten. Wir haben sie gelesen und gemerkt,<br />

dass die Demonstranten in vielen Dingen<br />

gar nicht so Unrecht hatten.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | War dies ein Denkanstoß für<br />

Ihre weitere Karriere<br />

Schröder: Mit Sicherheit. Fortan war ich unter<br />

Kollegen so etwas wie ein „Widerstandsbeamter“,<br />

einer der auch nochmal bei Vorgesetzten<br />

nachgehakt habe.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | In welchen Fällen war das<br />

zum Beispiel der Fall<br />

Schröder: Zum Beispiel Ausweiskontrollen,<br />

wenn es hieß: „So wir fahren jetzt mal da hin<br />

und nehmen alle Personalien.“ Dafür musste<br />

aber ein konkreter Anlass vorliegen.<br />

menschen<br />

11


word.<strong>Potsdam</strong> | Das klingt ja so, als hätten Sie<br />

sich da einige Feinde gemacht.<br />

Schröder: Zumindest waren sie bei mir immer<br />

vorsichtig, weil ich das auch bei Einsätzen<br />

gemacht habe. Dass ich einem Kommissar bei<br />

einer Einsatzbesprechung sagte, dass das von<br />

ihm zitierte Gesetz seit zwei Jahren außer Kraft<br />

gesetzt ist, hat mir bei ihm nicht die besten<br />

Karten eingebracht. Es kam sogar dazu, dass ich<br />

durch dessen Ablehnung erst zwei Jahren später<br />

in den Kommissarslehrgang konnte. Ein mir<br />

freundlich gesinnter Vorgesetzter legte schließlich<br />

ein gutes Wort für mich ein.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | hr Verhalten brachte also<br />

nicht nur Missgunst, sondern auch Respekt.<br />

Die Studentenunruhen haben sich nicht nur<br />

auf Sitzblockaden beschränkt; im Eifer der<br />

Ersten-Mai-Demonstrationen wurden sie am<br />

Ende von den eigenen Kollegen mit Tränengas<br />

beschossen. Woran können Sie sich bei Ihren<br />

Einsätzen erinnern<br />

Schröder: Ich kann mich an den Schah-Besuch<br />

erinnern. Wir sicherten gerade eine Vorstellung<br />

an der Deutschen Oper, als über Funk durchgegeben<br />

wurde, dass ein Polizist erschossen<br />

worden sei. Letztendlich stellte sich heraus,<br />

dass ein Polizist einen Demonstranten erschossen<br />

hatte: Benno Ohnesorg.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Nicht weniger schockierend.<br />

Wie ging es weiter Ohnesorgs Tod hat Symbolcharakter<br />

gehabt.<br />

Schröder: Die Situation verschärfte sich, die Tat<br />

hatte die das Feuer noch einmal geschürt. Auf<br />

dem Campus wurde inzwischen diskutiert, nicht<br />

mehr bloß zugehört. Zu der Zeit hatte ich viele<br />

Einsätze am Kurfürstendamm, wo wir uns regelmäßig<br />

Straßenschlachten lieferten. „Kommt herunter<br />

vom Balkon, unterstützt den Vietcong!“<br />

war eine Parole der Demonstranten an all die<br />

‚Gaffer‘ am Fenster. Die vielen Nebenstraßen<br />

des Ku’damms wurden nur noch Ho-Chi-Minh-<br />

Pfade genannt.<br />

Die Einsätze machten wir in normaler Uniform.<br />

In der Anfangsphase waren die Proteste ja auch<br />

nicht gewalttätig. Schlimm wurde es, als die<br />

ersten Transparentstangen zu Lanzen umfunktioniert<br />

wurden<br />

Von unserer Seite kam dann<br />

„Knüppel frei!“,<br />

Befehl zum Losschlagen nach<br />

eigenem Ermessen.<br />

Bloß auch dann ließ ich es mir auch nicht nehmen,<br />

in den Einsatznachbereitungen darauf<br />

hinzuweisen: Mit „eigenem Ermessen“ war<br />

keine Willkür gemeint. Der Schlagstock war nur<br />

Mittel zum Selbstschutz oder der Gefahrenabwehr<br />

für andere, wenn der Einsatz als zielführende<br />

Maßnahme eingeschätzt werden konnte.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Doch ich erinnere mich, wie<br />

Sie mir im Vorgespräch erzählten, dass Sie sich<br />

dabei ertappten, wie Sie in der aufgeheizten<br />

Menge um sich schlugen…<br />

Schröder: Wir sahen nach gewöhnlichem<br />

Gerangel, wie ein Kollege geschlagen wurde.<br />

Plötzlich hieß es: „Schlagstock frei!“ – Angestachelt<br />

durch das Gruppengefühl sind wir losgerannt<br />

und haben ohne Rücksicht auf Verluste<br />

gekloppt. Mit beim Ausholen merkte ich: “Der<br />

dort am Boden hat dir nichts getan! Der ist<br />

geflüchtet, gestolpert – Was hat er dir getan”<br />

Das führte dazu, dass ich mich bei zukünftig zur<br />

Ordnung gerufen habe. Nicht nach dem Motto:<br />

„Haste den gesehen Dem habe ich aber ein<br />

schön blaues Auge gehauen!“<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Es gab Polizisten, die mit ihrer<br />

Gewalt prahlten<br />

Schröder: Aber hallo, das war die überwiegende<br />

Anzahl!<br />

12<br />

menschen


word.<strong>Potsdam</strong> | Kann man also sagen, dass<br />

die Aggressivität von beiden Seiten gegenseitig<br />

hochgestachelt hat<br />

Schröder: So ist es. Das führte dazu, dass auch<br />

als wir bereits Schutzkleidungen bekamen, massiv<br />

Verletzte in den eigenen Reihen entstanden.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Was haben Sie in solchen Momenten<br />

empfunden Beruf und persönliche<br />

Einstellung müssen sich doch in diesem Moment<br />

widersprochen haben. Sie waren einer<br />

der Uniformierten, Ihr Standpunkt aber war<br />

eigentlich bei den Demonstranten.<br />

Schröder: Als Polizist sah ich mich als Beschützer<br />

des Demonstrationsrechtes. Wir waren<br />

nicht dazu da, Proteste zu verhindern. Das<br />

schloss aber auch Gewaltlosigkeit seitens der<br />

Demonstranten ein. Und dafür einzustehen,<br />

habe ich mit ein paar Kollegen beschlossen..<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Der Einsatz Ihrer Gruppe<br />

bewirkte, dass schließlich auch erste Polizeipsychologen<br />

eingeführt wurden.<br />

Schröder: Ja, wir bildeten „Diskussionskommandos“<br />

für die direkte Kommunikation mit<br />

dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund<br />

und Außerparlamentarischer Opposition (APO),<br />

die auf Kundgebungen versuchten, die Bevölkerung<br />

für sich zu gewinnen. Wir mischten uns<br />

unter die Gruppe und konnten oft zustimmen,<br />

doch ebenso den vorgebrachten Populismus<br />

durch Argumentation entkräften. Wenn ideologische<br />

und gewalttätige Anführer die Diskussion<br />

verweigerten, konnten wir wenigstens mit der<br />

Diskussion mit den Mitläufern den Einfluss der<br />

Personen eindämmen.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Doch bei Diskussionen blieb<br />

es nicht. APO und SDS zerstritten sich, Gruppen<br />

wie Kommune 1 und die Rote Armee<br />

Fraktion entstanden. Was haben Sie davon<br />

mitbekommen<br />

Schröder: Man fragte sich, was zu tun war; immerhin<br />

waren zu der Zeit schon an die dreißig<br />

prominente Menschen ermordet worden. Als<br />

Einsatzleiter bekam ich Kundgebungen zum Ersten<br />

Mai als Leiter einer Hundertschaft mit. Es<br />

bedurfte einiger Überzeugungsarbeit, den Kollegen<br />

klar zu machen, wie sie zu agieren hatten.<br />

Viele verfuhren nach dem Motto: „Die werden<br />

zusammen gekloppt, alles Weitere machen wir<br />

hinterher!“ Mich durchzusetzen, bereitete mir<br />

große Schwierigkeiten.<br />

Als eine Lehrstelle für Angewandte Psychologie<br />

frei wurde, habe ich mich sofort gemeldet. An<br />

der Polizeihochschule gab ich nun als Zugführer<br />

[„Klassenlehrer“] mein Bild vom die Demokratie<br />

lebenden Polizisten an meine vierzig Schüler<br />

weiter. Mein Ruf eilte mir voraus, doch als meine<br />

Vorgesetzten sahen, dass ich meine Schüler<br />

mit guten Ergebnissen durch die Prüfung brachte,<br />

wurden sie mir wohlgesonnen.<br />

Hier saß ich an der Wurzel und konnte mit ein<br />

paar Gleichgesinnten ein Verhaltenstraining als<br />

Bestandteil der Polizeiausbildung etablieren.<br />

Die Auszubildenden lernten endlich nicht nur<br />

die Rechtslage, sondern auch wie diese vor<br />

bestimmten Gruppen – Betrunkenen, Erregten,<br />

Kindern, Alten – zu vermitteln war. Der erste<br />

Polizeipsychologe wurde eingestellt. Stück für<br />

Stück wurde unsere Verfahrensweise angenommen;<br />

wir wurden immer öfter auch von selbst<br />

um Rat gefragt. Ich hatte damals auf meinem<br />

Käfer einen Aufkleber gegen den NATO-Doppelbeschluss.<br />

Anfangs hieß es: „Willst du jetzt<br />

die Seiten wechseln“ – Mit der Zeit prangte an<br />

immer mehr Autos meiner Kollegen ein solcher<br />

Sticker.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Ihre Rolle der Sonderlinge<br />

wandelte sich immer mehr in Respektpersonen.<br />

Eigentlich waren wir bei Kommune 1 und<br />

der RAF verblieben. Könnten Sie die Situation<br />

unter Ihren Kollegen noch einmal näher<br />

beschreiben Immerhin starben immer wieder<br />

Polizisten bei Feuergefechten.<br />

menschen<br />

13


Schröder: Man war aufgekratzt, es wurde verallgemeinert.<br />

Man sprach nicht von gewalttätigen<br />

Ausnahmefällen, man sprach von „den Studenten“<br />

– eine Art Herabsehen auf die intellektuelle<br />

Jugend. An der Polizeischule versuchten wir<br />

mit Seminaren für die einzelnen Führungspersonen,<br />

die Lage etwas zu entschärfen. Richtig<br />

funktionierte dies erst, als der Kern des Baader-Meinhof-Komplexes<br />

festgenommen wurde<br />

und die Reste sich langsam zurückzogen.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Wir befinden uns zeitlich jetzt<br />

etwa Mitte der 1980er-Jahre.<br />

Schröder: Aufleben der Hausbesetzerphase.<br />

Das gab es schon in den 1960ern, doch jetzt<br />

konnte man steigende Mieten und Gentrifizierung<br />

als Protestpunkte sehen, die ja auch heute<br />

wieder ein Thema sind. Dem Hin-und-Her zwischen<br />

Besetzung und Räumung wurde schließlich<br />

durch die „Berliner Linie“ begegnet, nach<br />

der Häuser nur geräumt werden durften, wenn<br />

Besitzer konkrete Pläne für eine nachträgliche<br />

Nutzung vorlegen konnten. Bei Räumungen<br />

stellten wir erst die Personalien fest, um einen<br />

personenbezogenen Räumbefehl per richterlichem<br />

Entschluss ausführen zu können. Ich kann<br />

mich an sehr lebhafte Auseinandersetzungen<br />

mit Kollegen erinnern, die die schonende Herangehensweise<br />

von uns Mediatoren nicht nachvollziehen<br />

konnten. Wieder einmal überzeugte<br />

sie erst das Gelingen der Strategie.<br />

Das blieb auch nach einem „Schulungsseminar<br />

zum demokratischen Polizisten“ so. Ein Problem<br />

dagegen war die Stasi, die viele Mitarbeiter in<br />

der Volkspolizei hatte. Eine Polizeipsychologin<br />

wurde zum Beispiel nach Monaten von einem<br />

ehemaligen Häftling als Leiterin eines MfS-Gefängnisses<br />

erkannt. Sie wurde umgehend<br />

verwiesen. Diese harte Linie schien der Zusammenarbeit<br />

im ehemals geteilten Berlin gut zu<br />

tun. In vielen anderen der Neuen Bundesländer<br />

fehlte dieser nahe Kontakt zum ehemaligen<br />

Klassenfeind, sodass eine echte Auseinandersetzung<br />

mit der Vergangenheit nicht möglich<br />

war, und die Mitarbeiter der Staatssicherheit in<br />

ihren Posten blieben.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Herzlichen Dank für das<br />

Gespräch!<br />

*Name geändert<br />

pj<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Sie hatten bereits von Ihren<br />

Freudentränen am Morgen des 10. November<br />

gesprochen, doch entscheidender für Ihren<br />

Beruf wird wohl die Wiedervereinigung mit<br />

der Übernahme der Volkspolizei gewesen sein.<br />

Schröder: Es war eines der schönsten Erlebnisse<br />

meiner Dienstzeit, als ich am Tag der Wiedervereinigung<br />

mit Volkspolizisten auf gemeinsamer<br />

Streife Unter den Linden entlang laufen<br />

durfte. Die gemeinsame Freude über die Wiedervereinigung<br />

habe ich noch in guter Erinnerung.<br />

Wir mit den Kollegen aus Ost-Berlin sehr<br />

gut zurecht. Ich bemerkte, dass sie insgesamt<br />

ruhiger und obrigkeitstreuer waren.<br />

14<br />

menschen


politik<br />

wohnraum<br />

für<br />

alle <br />

Von einem eigenen Wohnraum ist vieles abhängig:<br />

Arbeit oder Arbeitslosengeld, Krankenversicherung,<br />

Bafög – die Liste ließe sich noch um<br />

einiges fortführen. Doch wie sieht die Situation<br />

in <strong>Potsdam</strong> aus: Gibt es in der Landeshauptstadt<br />

genügend Wohnraum, um den Bedarf zu<br />

decken Gibt es genügend Wohnungen für einkommensschwächere<br />

Menschen wie Studenten<br />

oder Sozialhilfeempfänger<br />

Offenbar können beide Fragen mit einem Nein<br />

beantwortet werden. <strong>Potsdam</strong> als Universitätsstadt<br />

erlebt zu jedem Semester einen erheblichen<br />

Zuzug neu immatrikulierter Studenten.<br />

Einen großen Bedarf können dabei die vorhandenen<br />

Studentenwohnheime in der Breiten<br />

Straße und in der Kaiser-Friedrich-Straße in Eiche<br />

abdecken – 2317 Zimmer an der Zahl. Doch<br />

wie die Webseite des Studentenwerks <strong>Potsdam</strong><br />

zeigt, sind die Studentenunterkünfte schnell<br />

vergriffen, aktuell gibt es bis auf ein Zimmer<br />

am Wohnheimstandort Brandenburg/Havel<br />

keine weiteren zur Verfügung stehenden. Und<br />

auch Inseraten auf Portalen wie wg-gesucht.de<br />

erleben im Vorfeld eines jeden Semesters einen<br />

regelmäßigen Ansturm auf die angebotenen<br />

WG-Zimmer. Ein Dutzend Bewerber auf ein Zimmer<br />

sind dabei keine Seltenheit. Vorprogrammiert,<br />

dass einige dabei hinten runterfallen.<br />

Hinten runterfallen mussten auch einige <strong>Potsdam</strong>er,<br />

die ab dem 26. Dezember 2011 für<br />

kurze Zeit unter dem Namen „Die Heimkinder“<br />

auftraten. „Heimkinder“ nicht etwa, weil sie in<br />

Heimen aufwuchsen, sondern weil sie in ein<br />

Altenheim einzogen. Nicht aus Gründen des Alters,<br />

aus Gründen des Protests, Protests gegen<br />

die Wohnraumsituation in <strong>Potsdam</strong>. „Wir leben<br />

gerne in dieser Stadt, doch egal wie viel wir<br />

schuften: Die Schmerzgrenze ist erreicht! Wir<br />

müssen einen Großteil unseres Einkommens für<br />

Miete berappen. Aus eigenen Erfahrungen wissen<br />

wir, wie es ist, trotz Arbeit die Miete nach<br />

einer Sanierung nicht mehr zahlen zu können“,<br />

schrieben sie damals in einer ersten öffentlichen<br />

Erklärung zu der Besetzung des ehemaligen<br />

Altenheims in <strong>Potsdam</strong>-West. Das damals<br />

leer stehende Gebäude in der Stiftstraße 5<br />

hielten die „Heimkinder“ – Selbstständige, Angestellte,<br />

Schüler und Studenten – für knappe<br />

24 Stunden besetzt, ehe es von der Polizei geräumt<br />

wurde. 17 Personen waren in dem Haus,<br />

spielten Karten und Musik, als die Polizisten mit<br />

der Räumung begannen. Zuvor hatte noch die<br />

Sozialbeigeordnete Elona Müller-Preinesberger<br />

(parteilos) erfolglos versucht, zwischen Besetzern<br />

und dem Immobilienbesitzer zu vermitteln.<br />

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erhielten<br />

die Besetzer dann jeweils einen Strafbefehl,<br />

nachdem sie zwischen 200 und 300 Euro hätten<br />

zahlen müssen – also das Angebot einer Verurteilung<br />

ohne Prozess. Gegen diesen legten die<br />

Mietaktivisten dann aber Widerspruch ein. Es<br />

kam somit zur Gerichtsverhandlung.<br />

An jenem Tag der Verhandlung, dem 2. Juni<br />

2013, fanden sich um 8.30 Uhr knapp 70 Personen<br />

vor dem Amtsgericht <strong>Potsdam</strong> ein, um die<br />

angeklagten Besetzer während des Prozesses zu<br />

unterstützen. Im Verhandlungssaal bot sich ein<br />

bizarres Bild: Der Saal platzte aus allen Nähten<br />

– die Unterstützer saßen zum Teil auf den<br />

Heizkörpern, weil die Zuschauerstühle nicht<br />

ausreichten.<br />

politik<br />

15


Die Angeklagten selbst äußerten sich während<br />

des gesamten Prozess nicht zu der ihnen vorgeworfenen<br />

Straftat, auch Zeugen waren keine<br />

vorgeladen. Einer der Besetzer verlas aber eine<br />

vierseitige politische Erklärung. Dabei verwies<br />

er auf steigende Mieten und Zwangsräumungen.<br />

Lediglich steigende Renditen und Gewinnmargen<br />

hätten Bedeutung für die Planung von<br />

neuem Wohnraum. „<strong>Potsdam</strong> wird immer mehr<br />

zu einem Freiluftmuseum und in Verbindung<br />

damit wird Wohnraum für durchschnittlich Verdienende<br />

unerschwinglich“, sagte er.<br />

René Strammber<br />

Das Verfahren wurde eingestellt – weil ein<br />

Verfahrenshindernis vorlag: Der Strafantrag des<br />

Geschädigten, des Immobilienbesitzers, ging als<br />

unsignierte E-Mail, und damit nicht der erforderlichen<br />

Schriftform entsprechend, ein, begründete<br />

Richter Francois-Atair Eckhardt seine<br />

Entscheidung. Die Gerichts- und Anwaltskosten<br />

sollten die Angeklagten aber übernehmen, da<br />

sie das Haus rechtswidrig besetzt und somit<br />

Anlass für das Strafverfahren gegeben hätten,<br />

entschied Eckhardt außerdem. Die Besetzer<br />

nutzten die Möglichkeit, gegen die Kosten-Entscheidung<br />

Rechtsmittel einzulegen – allerdings<br />

erst kurz vor Ablauf der Frist. Um die Prozesskosten<br />

doch noch den Aktivisten überzuhelfen,<br />

hätte die Staatsanwaltschaft ebenfalls in Berufung<br />

gehen müssen, konnte dies jedoch aufgrund<br />

der kurzen Zeitspanne bis zum Fristende<br />

nicht mehr bewerkstelligen. Für die Besetzer<br />

endete das Verfahren somit weder mit Eintrag<br />

im Führungszeugnis noch mit einem weniger<br />

vollen Portemonnaie.<br />

René Strammber arbeitet als freier Journalist und schreibt unter<br />

anderem für den alternativen Nachrichtenblog <strong>Potsdam</strong> Vibes<br />

(www.potsdamvibes.de) und für die <strong>Potsdam</strong>er Neuesten Nachrichten.<br />

16<br />

politik


worse.<br />

entartete<br />

kunst<br />

Oder: Wie die Medien unsere<br />

moralischen Werte festlegen<br />

Mit diesem Artikel möchte ich die worse. Sparte<br />

unseres Magazins nach dem VIP-Artikel mal<br />

wieder nutzen, um mich so richtig auszulassen.<br />

Ich sah kürzlich eine Sendung von „JoizTV“, ein<br />

junger Sender mit Sitz in Berlin-Friedrichshain,<br />

der den Rapper Moneyboy auf ein Gespräch<br />

einlud. Bevor es aber um die Sendung geht,<br />

muss ich den Leser davon in Kenntnis setzen,<br />

wer dieser Mensch überhaupt ist. Und das<br />

muss ich natürlich – trotz seiner Medienpräsenz.<br />

Moneyboy (nachfolgend MBeezy) heißt<br />

bürgerlich Sebastian Meisinger, war lange<br />

professioneller Basketballspieler und studierte<br />

Publizistik- und Kommunikationswissenschaften<br />

in Wien. Sein Studium schloss er mit einem<br />

Magister philosophiae, in dem er über die<br />

deutsche Rapszene schrieb, ab. Bekannt wurde<br />

er als Künstler mit dem Song „Dreh den Swag<br />

auf“, eine deutsche Version des Songs „Turn<br />

The Swag on“ von Solja Boy. MBeezy polarisiert<br />

krass. Hinter benanntem Video stehen auf der<br />

einen Seite auf Grund seines satirischen Unterhaltungswertes<br />

eine große Community und 21<br />

Millionenklicks, auf der anderen Seite verbreitete<br />

sich der Song auf Grund eines „shitstorms“<br />

sehr rasch. Wir haben also verstanden, dass er<br />

sich sein Publizistik- und Kommunikationswissenschaften-Studium<br />

zunutze macht. Genauso<br />

funktionieren seine sehr provokanten Tweets<br />

(Zitat vom Muttertag 2013: „Schade dass soviele<br />

Mütter den Muttertag gar nicht richtig feiern<br />

können. Alkohol ist ja erst ab 16“), Videos und<br />

verbalen Angriffe auf andere Rapper<br />

Die Sendung, über die ich schreiben möchte,<br />

war so aufgebaut, dass die Moderation (Alexandra<br />

Simone Maurer) sich einen „Promi“<br />

sucht, der sie auf ein „Blind-Date“ trifft. Nun<br />

sitzt ein solcher Mensch also in einer Show<br />

eines „jungen, modernen und hippen“ Senders,<br />

in dem die Moderatorin schrille zehn Minuten<br />

darüber nölt, nicht zu wissen, wer ihr Gesprächspartner<br />

ist. Was bei einem „Blind-Date“<br />

ja wichtig zu wissen sei, da nur das Aussehen<br />

der Partner zähle. Ihr Moderations-Partner<br />

(Martin Tietjen) verbindet ihr die Augen und<br />

weist glücklich darauf hin, dass sie ihren Arsch<br />

gegen seinen Genitalbereich drücke. Die Moderation<br />

weiß es, sich sympathisch, seriös und ein<br />

ganz klein wenig kokett zu geben.<br />

Nachdem sie nun also mit verbundenen<br />

Augen auf der Schulter<br />

ihres Co-Moderators auf die Bühne<br />

getragen wurde, wiederholen sich<br />

die letzten zehn Minuten.<br />

Endlich beginnt das Gespräch.<br />

Man unterhält sich über den Karneval und stellt<br />

durch eine Abneigung demgegenüber eine<br />

Gemeinsamkeit fest. Beide schlagen ein. Sie erzählt:<br />

„Da wird man nur krank und betäu.. also<br />

trinkt zu viel und steckt sich mit irgendwas an<br />

oder so“ – ihr Gesprächspartner vervollständigt<br />

ihren Satz „… mit Aids oder so - also #nohomo“<br />

Augenblicklich wird er dafür gescholten. Alex<br />

unterbricht ihn und sagt, sie fände es nicht<br />

okay, sowas zu sagen. Momente später erklärt<br />

Mbeezy, dass er gerne auf Partys Drogen nimmt<br />

und das auch den Zuschauern empfehlen kann.<br />

Alex erklärt, dass der Sender sich von so etwas<br />

distanziere. Und fragt ihn, was sowas denn solle<br />

und ob er das gut fände – die jungen Leute, die<br />

diesen Sender einschalten, verstünden schließlich<br />

nicht, ob er es ernst meint.<br />

worse.<br />

17


Martin schaltet sich ein: „Du hast doch gerade<br />

gesagt, Moneyboy, dass die Leute nicht ganz so<br />

dumm sind, dann möchte ich jetzt mal ein paar<br />

Zitate aus dem Chat vorlesen, wo ich mich dann<br />

fragen muss, ob sie nicht doch dumm sind…“<br />

er verliest ein paar klar ironische Kommentare<br />

„i hab mir gerade heroin gegönt, jetzt fül i mir<br />

puddelwohl!“ um danach zu den vernünftigen<br />

Zuschauern zu kommen, die den Talkshow-Gast<br />

beleidigen. Es folgt sein erster Auftritt. Performt<br />

wird „Kola mit Ice“, ein Track, der alkoholfreie<br />

Getränke anpreist. Trotzdem findet die Moderation<br />

– die spätestens an dieser Stelle im Vorhinein<br />

genau Bescheid gewusst haben muss – hier<br />

auch „ein paar Sachen, von denen [sie sich] klar<br />

distanzieren will“.<br />

Im weiteren Gespräch erwähnt er,<br />

studiert zu haben – die Antwort<br />

„Dann kannst du nicht ganz blöd<br />

sein, oder“.<br />

Der Künstler möchte nun eine rauchen – das<br />

wird ihm untersagt. Jetzt versucht Alex in den<br />

Angriff überzugehen und fragt ihren Gast, ob<br />

seine Mutter das gutheiße. Er erklärt ihr, wieso<br />

jene das durchaus tue und erwähnt seinen<br />

Track „Meine Mama liebt mich“. Vom Thema<br />

Mama zum Thema Sexualität ist es kein großer<br />

Schritt mehr - Moneyboy erzählt, dass er seine<br />

Freundin gerne teile. „Du meinst jetzt sexuell“<br />

wird er von Alex gefragt. Er bestätigt und fügt<br />

hinzu, dass er das in Ordnung findet, solange es<br />

auf einer rein körperlichen Basis geschieht und<br />

keinerlei Gefühle zwischen seiner Freundin und<br />

seinen „Homies“ entstehen. Alex fragt: „Du redest<br />

jetzt von deiner Freundin“ – er antwortet,<br />

dass es nicht „seine Freundin“ im Sinne eines<br />

Besitztums sei, um damit auf eine Problematik<br />

im Sexismus aufmerksam zu machen. Nun wird<br />

er gebeten zu freestylen: Er räuspert sich, um<br />

nachdenklich die Worte „wie fing der noch an“<br />

zu murmeln.<br />

Die Ironie eines vorgeschriebenen Textes entgeht<br />

der Moderatorin, die ihn genervt fragt ob<br />

er das nicht jeden Tag mache. Kurz darauf, kurz<br />

vor dem letzten Song und somit Schluss der<br />

Sendung „verträgt“ sich die Moderatorin mit<br />

ihrem Gast. „Ich geb’ dir nochmal ’ne zweite<br />

Chance.“ Martin schaltet sich ein, er hätte das<br />

Interview lieber mit Augen- und Ohrenbinde<br />

erlebt um es nicht ertragen zu müssen. Außerdem<br />

erzählt er, Moneyboy hätte vor der<br />

Sendung gegen das Gebäude gepisst, „so einen<br />

Gast will man nicht nochmal haben.“<br />

<strong>50</strong> Minuten reiner Wahnsinn.<br />

Bevor ich aber zum Nachspiel dieser Sendung<br />

komme, möchte ich einige Worte zur Sendung<br />

verlieren. Die Unprofessionalität der Produktion<br />

muss hier nicht weiter hervorgehoben werden,<br />

dass ein so kleiner Sender wie JoizTV sich<br />

komplett an seinen Gästen hochzieht vielleicht<br />

schon. Denn durch ihren Gast generieren sie<br />

höhere Zuschauerquoten. Und natürlich haben<br />

sie sich informiert, wer da bei ihnen sitzt – es<br />

reicht, einen Titel zu hören und man versteht<br />

den Charakter der Sache. Ginge es um wirklich<br />

krasse Äußerungen von Seiten Moneyboys,<br />

könnte man noch diskutieren ob Kunst alles<br />

darf und wie viel Freiheit ein Künstler genießt.<br />

Es geht aber darum, dass die Moderatorin sich<br />

im Namen des Senders von Moneyboys Aussagen<br />

distanziert hat, dass der Sender zwar weiß,<br />

wen er einlädt, und ihn dann trotzdem verurteilt.<br />

Moneyboy wurde nicht eingeladen, um<br />

mit ihm zu sprechen, sondern um sich durch<br />

ihn größerer Medienwirksamkeit zu erfreuen.<br />

Nun aber zu dem Nachspiel der Sendung: Der<br />

Sender JoizTV finanziert sich über Werbung, so<br />

produziert er im Nachhinein mehrere Beiträge<br />

zur Sendung mit MBeezy. Der interessanteste<br />

heißt „10 Dinge, die man nicht im TV sagen<br />

darf“, angekündigt wird er von Martin: „Oh<br />

Gott... Rapper Money Boy hat sich einen verbalen<br />

Fehltritt nach dem anderen geliefert! Warum<br />

er im Nachhinein einige Aussagen bereut<br />

hat, erfährst du hier…“.<br />

18<br />

worse.


Dass er wirklich Aussagen bereut hat, bezweifle<br />

ich zwar ernsthaft, aber natürlich muss man<br />

einräumen, dass der Künstler die Redaktion<br />

nach Strich und Faden verarscht, dass er ein<br />

enormes schauspielerisches Talent hat.<br />

Trotzdem rollen wir mal einige der zehn Dinge<br />

aus: Ein Beitrag betrifft das „Teilen“ seiner<br />

Freundin, ein Anderer, dass er – wenn seine<br />

Freundin sexuell frei ist – selbst auch sexuell<br />

frei sein will. Die freie Liebe ist nicht nur Ding<br />

der Hippiebewegung, sondern auch in unserem<br />

Gesetzbuch fest verankert. Wenn eine Fernsehsendung<br />

jemanden auf Grund seiner Sexualität<br />

verurteilt, dann ist das gesetzeswidrig. Die<br />

Trennung dieser beiden Beiträge erfolgte, um<br />

zehn Videos zusammen zu bekommen – die Videos<br />

gehen ein bis zwölf Sekunden, nach einer<br />

halbminütigen Werbung. Übrigens gehört „eine<br />

Zigarette anstecken“ auch zu den 10 Dingen,<br />

die man nicht im Fernsehen „sagen“ darf. Mit<br />

Helmut Schmidt fange ich jetzt erst gar nicht<br />

an, aber zum Thema Drogen empfehlen möchte<br />

ich noch etwas loswerden: Die Joiz Germany<br />

hat Joshimizu, einen drogenverherrlichenden<br />

Rapper, dessen Debütalbum „MDMA“ heißt, auf<br />

Facebook geliked. Sie strahlt Sendungen aus,<br />

die sie mit „Skins“, die Erfolgsserie aus England<br />

(…) sieh zu wie die Jugendlichen das erste Mal<br />

Drogen nehmen (…)“ bewerben. Das Wort „Erfolgsserie“<br />

ist ausschlaggebend. Es suggeriert<br />

eine gesellschaftliche Akzeptanz.<br />

Andere – große – Sender strahlen diese Dinge<br />

ja auch aus. Sie werden schnell zum Vorbild. Es<br />

ist das Gleiche wie einen Bushido in seine Sendung<br />

einzuladen, jemanden der nicht nur aus<br />

mafiösen Verhältnissen kommt, sondern auch<br />

noch drogen- und gewaltverherrlichende Musik<br />

produziert. Nur ist ein Bushido stubenrein<br />

und spricht lediglich in seinen Tracks darüber,<br />

„Schlampen in den Arsch zu ficken“. Facebooknutzer,<br />

die sich über die Sendung aufregten,<br />

wurden blockiert, zensiert, mundtot gemacht.<br />

Diese Doppelmoral ist für mich unverständlich.<br />

Und diese Doppelmoral der Medien ist nichts<br />

Neues, nur hier in krassester Form offensichtlich.<br />

Es ist schrecklich, wie jedem jungen Menschen<br />

moralische Werte vermittelt werden.<br />

Falsche, oberflächliche, sexistische, diskriminierende<br />

Werte.<br />

Im Artikel fünf des Grundgesetzes heißt es,<br />

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort,<br />

Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten<br />

(…) Eine Zensur findet nicht statt.“, doch das<br />

Recht der Meinungsfreiheit wird nicht nur von<br />

JoizTV mit Füßen getreten. Meinungsbeschneidung,<br />

Diffamierung, elementare Bausteine der<br />

Demokratie werden unterdrückt - was durch<br />

die Medien geschaffen wird, ist eine Diktatur<br />

der Dummheit.<br />

gk<br />

worse.<br />

19


menschen<br />

heroin<br />

ein<br />

interview<br />

auf heroin funktioniert alles<br />

viel leichter<br />

Der heute 43-jährige (abstinente) Arne Seidel wurde nach 2 Jahren<br />

Konsums im Alter von 42 Jahren in die Justizvollzugsanstalt Brandenburg<br />

a.d. Havel auf Grund Raubüberfalls inhaftiert. Er lebt in<br />

einem besonderen Gefängnistrakt, in einem vom Blauen Kreuz geleiteten<br />

Kompartiment des Gefängnisses, in dem Straftätern mit Suchtproblemen<br />

geholfen wird.<br />

Nach dem folgenden Interview erzählt mir Gruppenleiter Marco noch einiges über die Suchthilfe: “In den<br />

Gruppensitzungen redet man offen über anstehende Probleme. Einzelgespräche zur Person werden mit dem<br />

Behandlungsleiter durchgeführt, wenn man das nicht schafft, dann wendet man sich eben an Jürgen”. Samstags<br />

organisiert der ehrenamtliche Leiter Jürgen Schönnagel Korrespondenzen aus allerlei Berufsbildern; Der<br />

Generalstaatsanwalt, Ärzte, Matthias Platzeck (SPD) und Proffessoren aus verschiedensten Fachgebieten<br />

waren schon dabei.<br />

Obwohl das Blaue Kreuz eine konfessionelle Suchthilfeorganisation ist, ist der Glauben der Insassen ohne<br />

Belang für den Beitritt.<br />

Mein erster Eindruck über Arne Seidel, den ich in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg a. d. Havel treffe, war<br />

überraschend. Er ist zwar, wie man sich das bei einem Inhaftierten vorstellt, breit gebaut, enspricht menschlich<br />

aber nicht dem Klischee eines Gefängnisinsassen. Zuvorkommend, manchmal nahezu zaghaft spricht er<br />

mit mir. Als er erzählte, er tue nüchtern „keiner Fliege ‚was zu leide“, glaube ich ihm sofort.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Kannst du mir erzählen, wie<br />

es zu deinem ersten Mal Heroin kam<br />

Arne Seidel: Das Ganze war eher ein Unfall.<br />

Ich habe zwar früher öfter leichte Drogen wie<br />

Hasch zu mir genommen und ab und zu ein<br />

paar Sachen wie Koks ausprobiert, allerdings<br />

war es nie meine Absicht Heroin zu nehmen.<br />

Wenn ich neue Dinge ausprobierte, tat ich das<br />

meistens mit Mario.<br />

Ein Freund Marios fragte uns, ob wir nicht nach<br />

Frankfurt (Oder) fahren wollen, um was zu holen<br />

– was, wusste ich auch nicht, aber ich fuhr<br />

die Beiden. Nachdem wir da bei einem Ticker<br />

waren, hielt mir Mario eine gelegte Line hin<br />

und ich zog sie. Nichts ahnend. Als ich fragte,<br />

was das sei erwiderte er erstmal nichts, lenkte<br />

ab und fragte, ob ich auch so drauf sei. Ich erwiderte,<br />

dass es ganz nett sei und zog weiter – am<br />

nächsten Tag erfuhr ich: Das ist Age.<br />

20<br />

menschen


Was aber Age ist, wusste ich auch nicht.<br />

Am dritten Tage dann sollte ich neue Ware kaufen<br />

gehen und so machte ich mich auf zu dem<br />

Asylheim, welches wir in Frankfurt dafür aufsuchten<br />

– als ich erfuhr, dass ich Heroin genommen<br />

hatte, war es auch schon zu spät. Drei Tage<br />

reichen locker um einen Menschen abhängig zu<br />

machen.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Wie war deine Reaktion<br />

darauf<br />

Arne Seidel: Natürlich war das im ersten Moment<br />

ein riesiger Schock und ich wollte nichts<br />

mehr mit dem Zeug zu tun haben – doch das<br />

eigenständige Durchführen eines kalten Entzugs<br />

ist nicht so clever:<br />

Alles, was ich zu mir nahm, verließ meinen<br />

Körper eben so schnell. Neben Erbrechen und<br />

Krämpfen schied jede Pore meines Körpers alle<br />

Flüßigkeit aus, die ihm noch innewohnte. Ich<br />

war schweißgebadet. Als ich dann nach zwei<br />

Tagen zum Arzt ging, ohne ihm mittzuteilen<br />

weswegen ich so litt, sagte mir dieser, dass es<br />

ein glücklicher Umstand gewesen sei, denn<br />

wäre ich einen Tag später gekommen, wär‘ ich<br />

vermutlich schon tot.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Aber danach hast du weiter<br />

konsumiert<br />

Arne Seidel: Ja, ich habe insgesamt schon 2<br />

kalte - und 2 warme Entzüge abgebrochen. Am<br />

einfachsten wäre es gewesen, hätte ich es nach<br />

dem ersten kalten Entzug gelassen, denn umso<br />

länger man Heroin nimmt, desto schwerer und<br />

schmerzhafter wird es damit aufzuhören – doch<br />

das wusste ich damals natürlich nicht.<br />

Beim warmen Entzug kommt man für 2-3 Wochen<br />

in eine Klinik, bis man wieder runter ist.<br />

Danach geht es aber sofort wieder in die Freiheit,<br />

ins gewohnte Leben. Beim ersten warmen<br />

Entzug gab man mir Polamidon, beim zweiten<br />

Suboxone – doch nach den Entzügen, nach<br />

denen ich körperlich nicht mehr abhängig war,<br />

zumindest nur so, als das ich es hätte verkraften<br />

können, fing ich jedes Mal wieder an.<br />

Denn wenn man Heroin nimmt, dann ist es mit<br />

einem Entzug nicht getan, man kann zwar nach<br />

einer Woche keine Symptome mehr haben,<br />

allerdings hat man mehrere Wochen noch<br />

Probleme – bis man zumindest weitestgehend<br />

weggekommen ist von diesem Zeug dauert das<br />

mindestens ein halbes Jahr. Ich kam einfach<br />

nicht weg davon, insofern ist es gut, dass ich<br />

hier gelandet bin, sonst wäre ich vermutlich -<br />

nein, ganz sicher – schon tot”<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Wie läuft das überhaupt<br />

ab, also wie kommt man zu einem warmen<br />

Entzug<br />

Arne Seidel: Zuerst muss man zum Hausarzt,<br />

sich durchchecken lassen und ein Überweisungsschreiben<br />

anfordern, dann hat man einen<br />

Termin zur Vorstellung und wird dann stationär<br />

aufgenommen.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Weshalb meinst du, wärest<br />

du gestorben, wenn du nicht hier gelandet<br />

wärst<br />

Arne Seidel: Neben dem Nahtoderlebniss zu<br />

meinem kalten Entzug kommt noch, dass ich<br />

durch die Droge meinen Job und die Familie<br />

vernachlässigt habe. Zwischenzeitlich wohnte<br />

ich bei einem Freund. Ich beschäftigte mich nur<br />

noch mit mir selbst, hörte mit dem Leistungssport,<br />

den ich seit der ersten Klasse verfolgte,<br />

auf und vernachlässigte meine drei Kinder (11,<br />

13 und 15).<br />

Ich verlor meinen Job und wurde fristlos gekündigt,<br />

irgendwann war es dann soweit, dass<br />

ich mich selbst umbringen wollte. Beim ersten<br />

Suizidversuch wollte ich mich erhängen, doch<br />

der Dübel riss aus den Wand. Dann, kurz darauf,<br />

wollte ich vor einen Zug springen. Es war Winter<br />

und ich fuhr zu Bahnschienen. Doch nachdem<br />

ewig keine Bahn kam und mir durch den<br />

Schnee extrem kalt wurde, fuhr ich irgendwann<br />

wieder nach Hause.<br />

menschen<br />

21


word.<strong>Potsdam</strong> | Wie waren denn deine Verhaltensmuster<br />

auf Heroin<br />

Arne Seidel: Ein geschultes Auge merkte mir<br />

die Droge vielleicht ein wenig an in der ersten<br />

Zeit, doch die einzige Person die meine Stecknadel<br />

großen Pupillen wirklich wahrnahm, war<br />

meine Frau. Ansonsten schien das nie jemand<br />

gemerkt zu haben – ich konnte locker 12-15<br />

Stunden durcharbeiten ohne zu schwitzen. Auf<br />

Heroin funktionierte alles sehr viel leichter. Ich<br />

war Mechaniker und baute Sprinkleranlagen,<br />

abends war ich Türsteher, doch nie in meinem<br />

Leben war ich arbeitslos... bis auf die letzten<br />

Monate auf Heroin – doch nach einem Disput<br />

mit einem Kollegen wurde ich fristlos gekündigt,<br />

was mich zu dem Zeitpunkt nicht wirklich<br />

störte. Bis auf den Umstand, dass ich nun keine<br />

Einkünfte mehr hatte. Denn ich war viel zu<br />

beschäftigt damit, neuen Stoff zu besorgen, um<br />

Hartz IV beantragen zu können. Gereicht hätte<br />

das Geld ohnehin nicht mal im Ansatz – vielleicht<br />

für eine Woche, mit Glück.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Woher bekamst du denn das<br />

Heroin und vor allem das Geld dafür<br />

Arne Seidel: Als wir das Age aus dem Asylheim<br />

nahe Frankfurt kauften, lernte ich dort jemanden<br />

kennen, der mir eine Nummer eines Berliner<br />

Dealers gab – ab dem Zeitpunkt fuhr ich<br />

alle 2-3 Tage nach Berlin, natürlich schwarz,<br />

denn das Geld brauchte ich ja für Heroin, um<br />

Ladungen zu kaufen.<br />

Nach einer Weile kam man natürlich auch in<br />

den Kontakt mit anderen Junkies und auch sie<br />

erzählten, dass sie die Droge nur noch nahmen,<br />

um den Entzugserscheinungen entgegen zu wirken.<br />

Der Konsum zeigt irgendwann keine Wirkung<br />

mehr. Physisch merkt man seinen Konsum<br />

im Nachhinein nicht allzu stark - meine Nase ist<br />

weniger leistungsfähig, also ich kann nicht mehr<br />

so viel riechen wie andere und meine Glatze<br />

stammt vom Heroin. Aber zurück zur<br />

Beschaffung.<br />

Wenn man weiß, in welchen Bereich der Bahnhöfe<br />

man gucken muss – an dieser Stelle muss<br />

ich noch sagen, dass Abhängige oft ihre Hygiene<br />

vernachlässigen - weiß man genau woher man<br />

sein Heroin bekommt... Ich würde schätzen,<br />

dass ich täglich Heroin im Wert von <strong>50</strong> Euro<br />

nahm. Eine Ladung aus Berlin umfasste immer<br />

so 400-<strong>50</strong>0 Euro. Natürlich reichte da das Geld<br />

nicht lang...<br />

Eigentlich würde ich keiner Fliege was zu leide<br />

tun, doch die Angst vor den Symptomen der<br />

Abhängigkeit ist so krass – und diese Angst<br />

durchlebt jeder Abhängige –, dass ich meinen<br />

Konsum nur mit Raubüberfällen in Supermärkten<br />

und Banken decken konnte.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Wie lange musst du noch im<br />

Gefängnis ausharren<br />

Arne Seidel: Eigentlich hätte ich insgesamt 12<br />

Jahre im Knast sitzen müssen, doch der Umstand,<br />

dass ich unter Drogeneinfluß stand,<br />

milderte die Strafe um 5-6 Jahre. Aber wenn ich<br />

Glück habe, kann ich die Haftstrafe im September<br />

auf 4 Jahre regulieren, wovon ich schon<br />

eins abgesessen habe. Wenn ich rauskomme,<br />

werde ich sofort wieder in geregelte Strukturen<br />

einkehren – ich weiß, dass ich wieder einen Job<br />

finde, habe da auch zwei Anlaufstellen. Ich werde<br />

sportlich wieder aktiv, was ich hier ja auch<br />

bin und will wieder viel Zeit mit meiner Familie<br />

verbringen. Meine Töchter denken, dass ich<br />

lediglich wegen Körperverletzung in meinem<br />

Türsteherjob inhaftiert wurde, denn ich habe<br />

mich sonst immer vorbildlich verhalten, jetzt<br />

muss ich mich besonders um meine 15-Jährige<br />

kümmern, denn sie rutscht gerade in ein Milieu,<br />

in dem sie nichts zu suchen hat und nimmt<br />

auch Drogen. Während ich hier im Knast sitze,<br />

muss meine Frau sich zu Hause mit Halbstarken<br />

abgeben und kann noch nicht mal ihre Tochter<br />

schützen.<br />

22<br />

menschen


word.<strong>Potsdam</strong> | Wie bist du eigentlich in die<br />

Wohngemeinschaft gekommen und inwieweit<br />

hilft sie dir<br />

Arne Seidel: Als ich abhängig wurde, war ich<br />

40, jetzt, nach 2 Jahren Konsum und einem Jahr<br />

Abstinenz kann ich sagen, dass es großes Glück<br />

war, dass ich in die Wohngruppe kam!<br />

Wäre ich nicht in den Knast gekommen wäre ich<br />

eh schon tot, doch nur durch die Gruppe habe<br />

ich es geschafft kein Heroin mehr zu nehmen –<br />

das hätte ich alleine vermutlich nicht.<br />

gk<br />

*Name geändert<br />

die volksdroge<br />

des<br />

21. jahrhunderts<br />

Da wir uns in diesem Heft nicht nur den verteufelten, harten Drogen<br />

hingeben wollen, sondern uns auch den wahren Volksdrogen<br />

annehmen möchten, haben wir ein Interview mit einer Koffeinabhänigen<br />

geführt. Dieses dient ausschließlich der Information daher<br />

rührt der wissenschaftliche Stil. Wir müssen ehrlicherweise einräumen,<br />

dass wir Suchtproblematiken im Bezug auf Koffein im Vorfeld<br />

nicht ganz ernst nahmen. Doch nach unserem Dialog mussten wir<br />

gestehen: Koffein hat durchaus eine gewisse ... Stimulanz.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Auf welchem Wege konsumierst<br />

du denn Koffein<br />

Dr. M. Schrenke: Oral, in ausschließlich flüssiger<br />

Form, zu 90% schwarz, ohne Milch und Zucker.<br />

Pralinen mit koffeinhaltiger Substanz esse ich<br />

nicht. Ich führe mir Koffein auch nur mittels Kaffees<br />

zu, Energydrinks oder Colagetränke trinke<br />

ich nie.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Wie sieht es denn mit der<br />

Frequentierung und Menge aus<br />

Dr. M. Schrenke: Regelmäßig, also täglich.<br />

Aktuell dürfte der Kaffeegenuss bei ca. 8-10<br />

Tassen liegen, was für meine Verhältnisse okay<br />

ist. In der Vergangenheit schwankte das stark,<br />

hing von Alltagsgestaltung und von der Art der<br />

vorhandenen Kaffeemaschine ab. Beispielsweise<br />

reduziert sich der Konsum bei einer französischen<br />

Maschine dadurch, dass kalter Kaffee<br />

mir nicht schmeckt. In der Glaskanne wird der<br />

Kaffee aber schnell kalt.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Du bist jetzt 45 Jahre alt - seit<br />

wann besteht die Einnahme von Koffein<br />

Dr. M. Schrenke: Eine erste bewusste Erinnerung<br />

habe ich dazu mit sechs Jahren, damals<br />

noch gestreckt mit Wasser. Es handelte sich um<br />

habitualisierten Genuss im Rahmen familiärer<br />

Aktivitäten bei Oma und Opa. Zeitweilig habe<br />

ich nur Kaffee und Mineralwasser getrunken,<br />

sonst gar nichts. Auch keinen Saft<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Was für Kaffee trinkst bzw.<br />

trankst du denn im Verlauf deines Lebens<br />

Dr. M. Schrenke: Kaffee mit Milch kam in den<br />

ersten Jahren überhaupt nicht in Frage, denn<br />

mein Vater trank als Vorbild ebenfalls schwarz.<br />

Ich denke, dass ich mit ungefähr 21 Jahren das<br />

erste Mal in Italien Cappuccino trank und vorher<br />

niemals Milch im Kaffee hatte.<br />

menschen<br />

23


Nach einigen Jahren, in denen ich Milchkaffee<br />

ritualisierte, weil mein damaliger Mann diesen<br />

präferierte, ist mittlerweile Kaffee mit Milch<br />

wieder eher selten geworden. Wenn, dann<br />

muss die Milch geschäumt sein und Zucker<br />

hinein, um vom gewöhnlichen Kaffeegenuss<br />

unterschieden zu werden<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Kannst du den Konsum in<br />

Zusammenhang mit Familie bringen<br />

Dr. M. Schrenke: Kaffee gehörte in meiner Herkunftsfamilie<br />

zum Alltag. Ab der Pubertät war<br />

ich diesbezüglich voll erwachsen, bei meinen<br />

Eltern gab es kein Problembewusstsein. Sie<br />

sorgten auch durchaus für regelmäßigen Kaffee,<br />

vielleicht weil sie froh waren, dass mir Alkohol<br />

nicht schmeckte. Einen Überblick über die<br />

Menge hatte ich nicht, das wurde einfach nicht<br />

thematisiert. Insgesamt kann ich sagen, dass ich<br />

im Peak durchaus auf 3 Kannen am Tag gekommen<br />

bin.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Was ist dir sonst an Fluktuationen<br />

im Konsum aufgefallen<br />

Dr. M. Schrenke: Kaffeetrinken fördert nachweislich<br />

die Verdauung, Zeiten, in denen weniger<br />

Kaffee genossen wurde, waren tendenziell<br />

Probleme mit Verstopfung zu beobachten.<br />

Rückblickend waren auch kurbedingte Kopfschmerzen<br />

(z.B. während des Fastens) durch<br />

Koffeinentzug festzustellen. Das ist mir erst<br />

retrospektiv klargeworden. Derzeit faste ich<br />

nicht, weil ich einen stark belastenden Alltag<br />

habe und mich nicht im notwendigen Maß auf<br />

mich selbst konzentrieren kann. Daher ist auch<br />

der Koffeinentzug kein Thema.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Wann hast du reflektiert,<br />

dass dein Konsum zu stark ist Gab es da einen<br />

speziellen Moment<br />

Dr. M. Schrenke: Als ich mit knapp 17 Jahren<br />

von der Mutter meines damaligen Freundes auf<br />

den späten Kaffeekonsum (nach dem Abendessen)<br />

angesprochen wurde. Ich erzählte ihr, wie<br />

viel und wie oft ich Kaffee trinke, und sie problematisierte<br />

das. Interessanterweise handelte<br />

es sich um die einzige Familie, die ich kenne, in<br />

der niemand Kaffee trinkt. Als Chilenen kannten<br />

sie neben Schwarztee noch Mate-Tee. Darauf<br />

führe ich auch zurück, dass für sie Kaffee ein<br />

Problem war.<br />

Meine Schwangerschaften haben mir die Giftproblematik<br />

näher gebracht, zum Beispiel durch<br />

Gespräche mit meinem Arzt, der mich nach<br />

Kaffeegenuss, aber nicht nach Alkoholgenuss<br />

fragte. Nach dem Wechsel meiner Abteilung<br />

gab es auch gelegentliche Gespräche mit Arbeitskollegen.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Hast du Gegenmaßnahmen<br />

ergriffen<br />

Dr. M. Schrenke: Ich habe versucht, weniger<br />

Kaffee zu trinken, Kaffee bewusster zu<br />

genießen.<br />

gk<br />

*Name geändert<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Was tust du, wenn mal kein<br />

Kaffee vorhanden ist<br />

Dr. M. Schrenke: Das passiert nicht. Ein Notpäckchen<br />

ist immer im Haus!<br />

24<br />

menschen


musik<br />

musik<br />

ein interview<br />

mit<br />

markus kavka<br />

Der Konsum von Musik gehört für viele Menschen fest zu ihrem alltäglichen<br />

Leben, sie ist daraus kaum noch wegzudenken.<br />

Markus Kavka verdient mit Musik sein Geld, er ist auf unseren Musikkonsum<br />

angewiesen.<br />

Wir sprachen mit ihm über die Entwicklung der Musik, Underground-Künstler<br />

und dem derzeitigen Schlager-Hype, sowie über MTV,<br />

Musikfernsehen und seine persönliche Zukunft.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Deine erste Assoziation zum<br />

Wort Musik<br />

Kavka: Die erste Assoziation ist, dass mein<br />

Leben komplett durch Musik bestimmt ist. Ich<br />

glaube, ich war vielleicht neun oder zehn und<br />

da habe ich angefangen, mich regelmäßig vor<br />

ein Radio zu setzen, um Tapes aufzunehmen.<br />

Mit zwölf habe ich dann angefangen, Platten<br />

zu kaufen. Eigentlich habe ich zu jeder Zeit<br />

immer alles Übrige an Geld in Musik investiert.<br />

Für eine Single – die hat sechs Mark gekostet –<br />

musste ich ungefähr vier Wochen sparen. Und<br />

jetzt ist Musik mein Beruf. Seit 25 Jahren.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Gab es neben der Musik auch<br />

noch andere Bereiche, die dich interessiert<br />

haben<br />

Kavka: Fußball! Ich bin mit 6 Jahren einem<br />

Fußballverein beigetreten und hab dann dort<br />

gespielt, mir mit 17 Jahren allerdings eine Verletzung<br />

zugezogen.<br />

Das war dann der finale Punkt, an dem ich mich<br />

entschieden habe, Musikjournalist zu werden,<br />

weil ich vorher wirklich Ambitionen hatte, mit<br />

Fußballspielen mein Geld zu verdienen.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Wie hast du das Deejaying in<br />

seinen Geburtsjahren miterlebt<br />

Kavka: Als ich das erste Mal bei uns auf dem<br />

Dorf mit 14 Jahren in der Disko war – da reden<br />

wir jetzt ungefähr über das Jahr 1981 – durfte<br />

ich Sonntagnachmittag von 14 bis 18 Uhr rein.<br />

Da liefen natürlich Charts und der DJ hat noch<br />

Ansagen zwischen den Tracks gemacht. Der<br />

hatte dann da ein Mikrofon und da kam dann<br />

die Ansage: Und jetzt kommt wieder eine Foxtrott-Runde!<br />

Und dann liefen da Schlager. Das<br />

ist natürlich Lichtjahre von dem entfernt, was<br />

heute an den Turntables geschieht.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Wie erklärst du dir den Hype<br />

im Schlager-Business rund um Andrea Berg<br />

und Helene Fischer<br />

Kavka: Diese Frage habe ich mir auch schon<br />

tausendmal gestellt. Für mich ist das zunächst<br />

einmal unerklärlich.<br />

25


Das gab es in den 70er-Jahren auch schon –<br />

gerade in Zeiten, in denen Menschen nicht ganz<br />

genau wissen wie sie ihr Leben auf die Reihe<br />

kriegen und in denen es möglicherweise auch<br />

alle möglichen Konflikte gibt, quer über den<br />

Erdball – da ist die Sehnsucht natürlich groß<br />

nach einer Art Kuscheloase. Wenn irgendeine<br />

Musik niemandem jemals wehgetan hat, dann<br />

ist das Schlager.<br />

Gerade bei Helene Fischer ist es so, dass das ein<br />

ausgeklügelter Plan ist. Sie als Person, die so<br />

krachend normal ist, wie man nur normal sein<br />

kann und dadurch eine extrem große Identifikationsfläche<br />

hat.<br />

Das muss man sich mal vorstellen, im Fritzclub<br />

im Postbahnhof, wo Leute ihre Plattenwünsche<br />

auf einen Zettel schreiben können, steht dann<br />

da: System of a Down, Rage Against the Machine<br />

und Helene Fischer – aber vollen Ernstes.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Du hast bereits erzählt, dass<br />

du Gute-Laune-Musik nicht so magst. Wenn<br />

man im Club spielt, will man da nicht mit dem,<br />

was man macht, die Menschen euphorisieren<br />

Kavka: Das schließt sich gar nicht aus. Es gibt ja<br />

so ein breites Spektrum bei elektronischer Musik.<br />

Natürlich kann das happy auf die Zwölf sein<br />

– was ich spiele ist sehr deep, das kommt von<br />

hinten durchs Herz. Mir ist es lieber, dass die<br />

Menschen auf der Tanzfläche vor Glück heulen,<br />

weil die Musik sie so berührt, als dass sie mit<br />

Luftballons kindergeburtstagsmäßig rumtanzen.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Viele Underground-Künstler<br />

behaupten Mainstream-Musik sei schlecht!<br />

Siehst du das ähnlich<br />

Kavka: Das ist immer eine Grundsatz-Diskussion,<br />

weil in den 80er und 90er Jahren Bands<br />

verteufelt wurden, wenn sie von einem Indie-Label<br />

zu einem Major-Label gegangen sind.<br />

Das war schon ein No-Go. Ich teile die Ansicht<br />

nicht, weil ich Musik nur danach beurteile, ob<br />

sie mich berührt.<br />

Das Zeug, das alle hören, wird immer von<br />

jemandem Scheiße gefunden werden und der<br />

sitzt dann in seinem Keller, in seinem kleinen<br />

Home-Recording-Studio und hat einen Gegenentwurf<br />

parat. Was aber nicht bedeutet,<br />

dass er 10 Jahre später nicht selber in der<br />

Hitparade ist.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Glaubst du, dass irgendwo<br />

noch ein neues Musik-Genre schlummert<br />

Kavka: Also wenn ich jetzt nur mal die letzten<br />

10 Jahre Revue passieren lasse, dann ist schon<br />

in dieser Zeit nichts neues mehr rausgekommen.<br />

Selbst solche Musikrichtungen, die jetzt<br />

so als der neue heiße Scheiß verkauft werden;<br />

das sind ja nur leichte Abwandlungen von Elektro-House<br />

oder einfach hochgepitchter R’n’B<br />

oder ein Hybrid aus beidem.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Selbst als Mittelklasse-Künstler<br />

verdient man kaum noch genug Geld.<br />

Kavka: Ja, stimmt. Selbst Bands wie MIA, Silbermond<br />

oder die Beasteaks werden von Plattenverkäufen<br />

nicht mehr reich. Was da im Endeffekt,<br />

nach so ein paar Downloads und physisch<br />

verkauften Tonträgern, hängen bleibt, das<br />

ist zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel.<br />

Deswegen funktioniert eine Band in erster Linie<br />

nur noch über das Live-Spielen. Platten werden<br />

gemacht, um auf Tour zu gehen. Wenn ein DJ<br />

oder auch eine Band Songs zum kostenlosen<br />

Download anbieten, dann hätte man vor ein<br />

paar Jahren noch gedacht: Seid ihr alle irre, das<br />

ist doch Kunst, dafür muss bezahlt werden! Die<br />

machen das aber, um überhaupt an DJ-Bookings<br />

oder Konzerte ran zu kommen, weil sie mit<br />

der Musik kein Geld mehr verdienen können.<br />

Beyoncé, Lady Gaga, die verdienen noch ein<br />

bisschen mit ihren Platten, das möchte ich nicht<br />

ganz von der Hand weisen.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | War das früher anders<br />

26<br />

musik


Kavka: Ja, es war vor allem früher zur Zeit, als<br />

die CDs rauskamen, anders. Bands die vor 10<br />

Jahren rund <strong>50</strong>.000 Tonträger verkauft haben,<br />

die verkaufen jetzt vielleicht nur noch 5.000,<br />

aber die Konzerte, die sie spielen, sind immer<br />

größer geworden.<br />

Viele Bands, die ich kenne, die mit<br />

jedem Album in den Top 10 der<br />

Charts sind, zahlen sich 1.<strong>50</strong>0 Euro<br />

im Monat aus – ist jetzt nicht die<br />

Welt.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Du hast mal bei MTV gearbeitet.<br />

Wie denkst du über die Veränderung<br />

von damals zu heute, weil gerade Musik-Sender<br />

wie MTV jetzt im Pay-TV gezeigt werden <br />

Kavka: Ich selber kann es schon gar nicht mehr<br />

kieken, deswegen kenne ich MTV seit ein paar<br />

Jahren nur noch vom Hörensagen. Grundsätzlich<br />

sind sich alle Beteiligten darüber einig, dass<br />

Musikfernsehen in der klassischen Form nicht<br />

mehr existiert. Ich habe ’95 bei VIVA angefangen,<br />

da war ich bei VIVA2 und 2000 kam ich<br />

dann zu MTV. Das heißt, ich habe die richtig<br />

fetten Jahre des Musikfernsehens komplett miterlebt,<br />

aber eben auch den Niedergang.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Also würdest du schon<br />

sagen, dass MTV nicht mehr für ein klassischen<br />

Musiksender steht<br />

Kavka: Nein, schon lange nicht mehr. Es lief<br />

zwar anteilsmäßig noch viel Musik – vor allem<br />

Nachts -, aber tagsüber hat man vermehrt auf<br />

andere Formate gesetzt. Das hat vor allem den<br />

Grund, dass Quotenmessen dadurch besser<br />

möglich ist. Ein Musikvideo geht, sagen wir<br />

mal, drei Minuten. Entweder du findest den<br />

Clip gut oder schlecht. Wenn du ihn gut findest,<br />

schauste weiter, wenn du ihn nicht magst, dann<br />

schalteste weg.<br />

Deshalb hat man diese Dating-Formate oder<br />

Casting-Shows eingeführt, weil man ein halbstündiges<br />

Format hatte, welches die Leute von<br />

Anfang bis Ende geschaut haben und dadurch<br />

wurden mehr Zuschauer erfasst bezüglich der<br />

Einschalt-Quote.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Guckst du dir deine eigenen<br />

Sendungen selbst an<br />

Kavka: Das musste ich als Produzent in einer<br />

gewissen Art ja auch, wobei ich mir die Sendungen<br />

eher dahingehend angeschaut habe, ob die<br />

Beiträge inhaltlich stimmig waren. Wenn ich mit<br />

meiner Freundin zu Hause bin oder bei meinen<br />

Eltern und ich komme im Fernsehen, dann ist<br />

mir das immer hoch peinlich. Erst recht, wenn<br />

dann noch jemand im Raum ist. Ich glaube<br />

das kann niemand, außer derjenige ist extrem<br />

eitel. Es ist immer schräg und verwirrt einen ein<br />

wenig.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Wo siehst du deine persönliche<br />

Zukunft<br />

Kavka: Hmm. Es soll jetzt keine Koketterie sein,<br />

aber ehrlich gesagt mache ich mir darüber eher<br />

wenig Gedanken. Ich habe da keinen Masterplan.<br />

Ich weiß noch nicht einmal, was ich<br />

nächstes Jahr machen werde. Klar hat man immer<br />

irgendwelche Träume. Zum Beispiel, dass<br />

ich irgendwann mal die Sportschau moderiere,<br />

damit ich auch nochmal auf die Fußballschiene<br />

komme. Langweilig war mir in meinem Leben<br />

noch nie so wirklich und ich glaube auch, dass<br />

das weiter so bleiben wird und wenn ich gar<br />

kein Bock mehr auf den ganzen Scheiß habe,<br />

dann verticke ich mein ganzes Hab und Gut und<br />

wandere mit meiner Freundin irgendwo in eine<br />

Bambushütte am Meer aus.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Markus Kavka, wir danken<br />

für das Interview.<br />

Kavka: Na aber, war mir ein Vergnügen.<br />

lh<br />

musik<br />

27


kunst<br />

über den schock<br />

vor<br />

der trauer<br />

eine kurzgeschichte<br />

Jemand rennt über ausgedörrtes Land... Ein<br />

Mädchen mit dunklen, verfilzten Haaren und<br />

abgetragenen Sommerklamotten. Man hört<br />

ihren panischen, unregelmäßigen Atem und<br />

ihre schnellen, hektischen Schritte auf dem<br />

staubigen Boden. Der Himmel ist eine weiße,<br />

undurchdringliche Wolkendecke, hinter der sich<br />

irgendwo die Sonne versteckt hat.<br />

Die Landschaft strahlt eine dumpfe Trostlosigkeit<br />

aus.<br />

Ewiges Grau, das einen anzustecken droht mit<br />

seiner unendlichen Unabänderbarkeit.<br />

Egal wie hoch ich mich von der Luft tragen<br />

lasse, sehe ich keine einzige grüne Pflanze oder<br />

ein Tier, das sich in diese Einöde verirrt hat.<br />

Nur das Mädchen bewegt sich und durchbricht<br />

die leblose Landschaft.<br />

Ein Gedanke segelt mir durch den Kopf, er fliegt<br />

in Schlangenlinien vor mir her, fest entschlossen<br />

sich mir zu entziehen.<br />

Ich versuche ihm hinterher zukommen, doch<br />

ich komme nicht voran, als würde ich wie die<br />

grauen Herren von Momo beharrlich gegen<br />

eine unsichtbare Wand laufen, ausgeschlossen<br />

vom Reich des Meister Hora, dem Herren der<br />

Zeit.<br />

Ich gebe resigniert auf, bleibe einen Augenblick<br />

schwebend in der Luft hängen.<br />

Mein Blick fällt wieder auf das Mädchen.<br />

Auch sie ist stehen geblieben. Es ist offensichtlich,<br />

dass es ihr nicht gut geht.<br />

Ich versuche das Gefühl von Mitleid in mir<br />

herauf zu beschwören und es einen Moment zu<br />

kosten, aber alles was mich umgibt ist Gleichgültigkeit.<br />

Die absolute Leere um mich herum droht mich<br />

zu verschlucken. Ich ziehe mich ein Stück zurück,<br />

gewollt dem Nichts zu entfliehen.<br />

Im selben Moment fällt das Mädchen um wie<br />

eine leblose Puppe.<br />

Jetzt liegt sie mit verkrampften Gliedern da, wie<br />

ein Käfer, der auf dem Rücken liegt und versucht<br />

davon zu fliegen.<br />

Dabei ist es offensichtlich, dass sie es nicht<br />

mehr schaffen wird aufzustehen.<br />

Aus einem anerzogenen Reflex heraus begebe<br />

ich mich zu ihr, um ihr wieder aufzuhelfen.<br />

Doch als ich schließlich bei ihr bin, weiß ich<br />

nicht mehr, was ich tun könnte.<br />

Würde sie wieder aufstehen, hätte sie keine andere<br />

Wahl als weiter zu rennen, auf der Suche<br />

nach irgendetwas, dass nicht grau und öde ist –<br />

was sie hier nicht finden würde. Sie hat bereits<br />

einen Punkt erreicht, an dem es kein zurück<br />

mehr gibt.<br />

Der Gedanke, den ich kurz zuvor noch nicht fassen<br />

konnte, durchschießt mich urplötzlich wie<br />

ein Blitz: Dieses Mädchen ist tot!<br />

28<br />

kunst


kunst<br />

Wieder meiner Erwartung empfinde ich keine<br />

Panik oder Verzweiflung. Ich bin absolut gleichgültig<br />

– es ist egal was mit diesem Mädchen<br />

passiert.<br />

Ihr Schicksal ändert nichts an der allumfassenden<br />

Ödnis, es ist nicht wichtig.<br />

Ich will nicht wissen, wie es weitergeht, nicht<br />

die Bilder eines toten Mädchens im Kopf haben.<br />

Doch ich kann meinen Blick nicht abwenden,<br />

denn eine grausame Kraft zwingt mich, bei ihr<br />

zu bleiben. Adrenalin schießt durch mein Blut,<br />

lässt mich schließlich doch unruhig werden. Ich<br />

blicke dem Mädchen ins Gesicht.<br />

Sie nimmt mich gar nicht wahr, ist viel zu<br />

beschäftigt mit sich selbst und ihrem eigenen<br />

Schicksal. Oder vielleicht kann sie meinen Blick<br />

auch gar nicht erwidern, so etwas können Tote<br />

nicht. Wahrscheinlich ist es genau das, was die<br />

Menschen am Tod eines anderen so unerträglich<br />

finden – dass sie nie wieder Aufmerksamkeit<br />

von ihm bekommen werden.<br />

Die Kälte und Abgebrühtheit meiner Gedanken<br />

erschrecken mich selbst. Wann habe ich es verlernt,<br />

eine von den Guten zu sein<br />

Wenn ich könnte, ich wahrscheinlich anfangen<br />

zu weinen, die Stille mit meinen einsamen<br />

Schluchzern durchbrechen. Doch das wäre dem<br />

Ganzen nicht gerecht, es würde nicht ausreichen.<br />

Es scheint plötzlich nichts Elementareres<br />

als die Trennung zwischen Leben und Tod zu<br />

geben, nichts anderes ist einen Gedanken wert.<br />

Die Ödnis droht mich zu verschlucken und mit<br />

mir alles, was ich kenne. Bis schließlich nichts<br />

mehr übrig ist.<br />

lh<br />

musik<br />

sound.<br />

Regelmäßig veröffentlichen wir auf unserer<br />

Website eine Reihe namens sound. in der wir<br />

<strong>Potsdam</strong>er Künstler vorstellen. Jeder liefert uns<br />

dazu ein kleines Interview und einen Track.<br />

Plötzlich fühle ich mich sehr verbunden mit<br />

dem toten Mädchen – die Angst, ohne sie in<br />

dieser Ödnis zurückzubleiben, droht mich zu<br />

ersticken.<br />

Ich schwebe über ihr, nehme mir Zeit ihr Gesicht<br />

eingehend zu betrachten, mir die markanten<br />

Züge einzuprägen.<br />

Irgendwoher kenne ich dieses Gesicht, die<br />

Farbe ihrer Augen und die Beschaffenheit ihrer<br />

Haut. Das Mädchen ist mir sehr vertraut, als<br />

hätte ich sie vor langer Zeit einmal sehr gut<br />

gekannt.<br />

Da verlässt jegliche Spannung ihren Körper und<br />

ihre Augen starren nicht länger unbestimmt vor<br />

sich hin, sie sind einfach tot.<br />

Ein Schrecken durchfährt mich, denn jetzt bin<br />

ich allein. Allein in dieser grausamen Landschaft,<br />

gefangen in meinen Gedanken, die sich<br />

plötzlich nur noch um das Mädchen drehen.<br />

29


menschen<br />

zwischenmenschliches<br />

allzu<br />

zwischenmenschliches<br />

Beziehungen töten Beziehungen – stelle ich mal<br />

so in den Raum. Liebesbeziehungen lösen und<br />

lockern FreundInnenschaften, welche bereits<br />

vor ihnen bestanden. Ich glaube, jede*r hat<br />

mindestens eine Person im Freundes- oder Bekanntenkreis,<br />

bei welcher sich dieses Klischee<br />

bestätigt. Warum ist das so Und vor allem:<br />

Muss das so ein Zunächst mal Urschleim: Beziehungen<br />

zu anderen Menschen sind wichtig,<br />

sie bestätigen uns als soziale Wesen, gleichzeitig<br />

sind sie sehr divers und der Umgang miteinander<br />

ist kontextabhängig. Zudem gehen<br />

wir sie manchmal eher unfreiwillig ein – Hallo<br />

Verwandtschaft! – viele jedoch sehr freiwillig.<br />

Aber FreundInnenschaften und Liebesbeziehungen<br />

scheinen ebenso zu konkurrieren, wie die<br />

zwei Konzeptionen vom Ich höchst selbst, als<br />

Individuum und als soziales Wesen. Der Übergang<br />

zwischen diesen zwei Wahrnehmungen<br />

ist fließend, ein „Ich“ ist immer im „Wir“ und<br />

andersherum.<br />

Und das führt zu der Frage nach der Un-, Abhängigkeit.<br />

Am Beispiel Liebesbeziehung lässt<br />

sich das wohl am ehesten illustrieren.<br />

Beziehungen sind Verhandlungsache: Wir<br />

machen Kompromisse, treffen Übereinkünfte.<br />

Stets und ständig handeln wir gemeinsame Zeit<br />

und Freiraum auf der Grundlage von persönlichen<br />

Bedürfnissen aus.<br />

Wie viel „Ich“, zu welchem Teil „Wir“ Allerdings<br />

gibt es sehr intensive Formen von (Liebes)Beziehungen,<br />

in welchen alle Beteiligten<br />

buchstäblich aneinander kleben und sich von<br />

anderen isolieren, ein „Nur Wir“ – vom Umfeld<br />

unabhängig, voneinander abhängig. (Oder doch<br />

nicht alle Beteiligten) Zunächst mal, Liebe ist<br />

was richtig Feines. Etwas, das uns besten Falles<br />

bereichert, ein immaterieller Raum, geschaffen<br />

von zwei Menschen, in welchem sie gegenseitige<br />

Anerkennung und Bestärkung erfahren. Zwei<br />

Perspektiven bürgen aber auch Konfliktpotential.<br />

Deshalb verhandeln wir ja miteinander. Gibt<br />

es eine gemeinsame Vorstellung von Innigkeit,<br />

also gemeinsamer Zeit und was, wenn nicht<br />

Wenn ein*e Partner*in mehr will oder<br />

weniger<br />

Ich glaube, Beziehungen sind für alle Beteiligten<br />

angenehm, wenn es eine Balance zwischen<br />

individueller Zeit und gemeinsam verbrachter<br />

Zeit gibt, also beides vorhanden ist. Häufig sieht<br />

es aber anders aus. Sicherlich hatten einige,<br />

und ich zähle mich auch dazu, schon Beziehungen<br />

die eher wenig individuellen Freiraum<br />

zugelassen haben, sei es, dass es sich erst dahin<br />

entwickelt hat oder von Beginn an so war.<br />

Kann ungesund verlaufen, kann sich aber auch<br />

drin eingerichtet werden, um Schutz und Zuflucht<br />

vor der bösen Welt zu finden.<br />

30<br />

kolumne


Erfahrungen mit vorherigen Beziehungen, psychische<br />

Verfassung, Werte, Mentalität, Charakter<br />

– all das beeinflusst unsere Auslegung von<br />

Innigkeit, Nähe, Zweisamkeit. Anders gesagt: Eifersüchtig,<br />

anhänglich oder besorgt um Verlust<br />

sind Menschen nie grundlos. Darüber geredet<br />

werden sollte sowieso. Nichts stinkt mehr als<br />

Unausgesprochenes, das in irgendeiner Zwischendimension<br />

rumwabert.<br />

Die Gesellschaft ist auch keine große Hilfe,<br />

wenn es um Beziehungsbilder geht. Außer Stereotypen<br />

von scheinbar glücklicher und inniger,<br />

Heterobeziehung mit Hausautokindhund hat sie<br />

wenige Alternativen auf Lager. Allerdings auch<br />

ein bisschen logisch, immerhin ist genau dieses<br />

Konzept am besten verwertbar für …. TADAAA<br />

den Kapitalismus. Dabei ist Ehe längst ein<br />

Modell mit Krückstock, und Begehrlichkeiten<br />

werden an jeder Ecke erzeugt. Vielleicht wird<br />

sich grade weil die Fassade der Monogamie<br />

bröckelt, besonders gern an ihr festgehalten. So<br />

eine Art kollektiver Backflash. Ich schweife ab.<br />

Abhängigkeiten in Beziehungen können vielgestaltige<br />

Formen annehmen: Emotional,<br />

materiell, körperlich. Das geht alles ziemlich<br />

tief, reicht weit in die Geschichte von Personen<br />

und ihre Psyche hinein. Die Sucht (oder Suche)<br />

nach Zuneigung, körperlicher und emotionaler<br />

Nähe, Zuspruch, kann uns manchmal echt das<br />

Hirn vernebeln, sodass wir nur noch aus Beziehungen<br />

heraus in die Welt blinzeln, an der Welt<br />

an sich aber gar keinen Anteil mehr nehmen<br />

– Isolation nach außen = Abhängigkeit nach<br />

innen. Mal ehrlich, das nervt Außenstehende<br />

und früher oder später auch die Insassen dieser<br />

Beziehungsfestung. Individuelle Un<strong>abhängigkeit</strong><br />

ist hier angesagt. Call it Selbstliebe, gesunder<br />

Egoismus, meinetwegen Abgrenzung. Wenn es<br />

zu vereinnahmend wird, sollte das thematisiert<br />

werden.<br />

Hobbies können infolge dessen zurückerobert<br />

und andere Beziehungen, die aufgrund fehlinterpretierter<br />

Ausschließlichkeit brach lagen,<br />

wieder aufgenommen werden. Locker machen<br />

ist angesagt und Vertrauen in die andere Person<br />

haben<br />

Eine gute partnerschaftliche Beziehung ist vielleicht<br />

nur dann gut, wenn alle Beteiligten auch<br />

noch sie selbst seien dürfen. Und das müssen<br />

sie auch! Dazu braucht es Zeit und Platz und<br />

wenigstens ab und an ein Gefühl von Selbsterfahrung,<br />

der Mainstream labelt das wohl mit<br />

„etwas für sich selbst tun“. Das ist allerdings<br />

kein Aufruf zu schonungsloser Autonomie. Kontakt<br />

zu den Bedürfnissen der anderen halten<br />

und Einfühlungsvermögen aktivieren, so lässt<br />

sich vielleicht so etwas wie Ausgewogenheit<br />

schaffen, in welcher „Ich“ , „Wir“ und der Rest<br />

der Welt Platz finden.<br />

Lara Schleusner<br />

wordpotsdam.de<br />

Regelmäßig veröffentlichen wir Film- und Serientips<br />

auf unserer Website.<br />

Unsere Redakteure empfehlen hier Filme, die<br />

sie selbst mitreißen, faszinieren oder einfach<br />

unterhalten.<br />

kolumne<br />

31


word.<br />

Wir verlosen einen Pullover<br />

von Copilot Clothing (kopilot-clothing.de).<br />

Eure Abhängigkeit per Mail an<br />

kontakt(ät)wordpotsdam.de<br />

facebook.com/KopilotClothing<br />

Viel Glück wünscht euch euer<br />

word.<strong>Potsdam</strong>-Team<br />

32<br />

word.


menschen<br />

aus<br />

suchen<br />

Ich wollt unabhängig sein. Mich von meinem<br />

Alltag lösen und weg von zu Hause. 2 Jahre Abi-<br />

Stress. 12 Jahre Schule. 18 Jahre in der selben<br />

Stadt. Ich wollte was erleben.<br />

Nun bin ich hier auf der anderen Seite des<br />

Ozeans. Auf der anderen Seite der Erdkugel.<br />

Auf einem biologisch-dynamischen Bauernhof<br />

in Argentinien. Ich hatte mich auf eine Kulturschock<br />

vorbereitet, auf starkes Heimweh und<br />

Zweifel. Auf dem Vorbereitungsseminar wurde<br />

uns von Diebstählen und Überfällen erzählt,<br />

davon dass vieles hier anders sein wird und wir<br />

offen für Fremdartigkeiten sein sollen.<br />

Und nun sitze ich hier auf einer Wiese, im<br />

Schatten eines Baumes und hör die Vögel zwitschern.<br />

Es ist das gleiche Gras und der gleiche<br />

Himmel. Es sind ähnliche Bäume und ähnliche<br />

Vogelstimmen. Und ich bin auch immer noch<br />

ich. Aber es ist ein anderes Gefühl. Es ist nicht<br />

viel anders als zu Hause, aber ich bin zufrieden<br />

einfach hier zu sitzen und den Gedanken freien<br />

Lauf zu lassen. Einfach im Moment zu sein - unabhängig<br />

von allem Anderen.<br />

Es ist nicht der Ort hier, der das Gefühl von<br />

Un<strong>abhängigkeit</strong> gibt, sondern eher der Kontrast<br />

zum vorherigen Alltag und auch zum neuen<br />

Alltag.<br />

In Bilderbüchern wird einem immer das entspannte<br />

idyllische Bauernleben vorgespielt. Als<br />

Urlaub, „Ferien auf dem Bauernhof“. Das Leben<br />

mit der Natur. Das bodenständige und einfache,<br />

was zu beneiden ist. Aber es ist nicht so einfach<br />

und durchaus ganz schön hart.<br />

In meinen ersten Wochen habe ich im Stall<br />

gearbeitet und durfte natürlich erst mal Heuballen<br />

schleppen und Scheiße schaufeln. Dazu<br />

morgens um 5:00 Uhr aufstehen um die Kühe<br />

rechtzeitig zu melken. Am Anfang bist du fasziniert<br />

von diesen Tieren. Wie sie laufen, wie ihr<br />

Fell in der Sonne glänzt, wie sie dich anschauen,<br />

was sie für eine Gruppendynamik haben und<br />

vor allem wie sozial diese Tiere sind. Sobald<br />

man eine Kuh irgendwo vergessen hat, fangen<br />

gleich 3 Kühe an, nach ihr zu rufen und der<br />

Rest der Kühe wird auch irgendwie unruhig. Es<br />

ist allerdings auch so, dass es unter den Kühen<br />

eine klare Rangfolge gibt und es durchaus zu<br />

blutigen Auseinandersätzungen kommt.<br />

Diese Faszination lässt aber schnell nach, wenn<br />

Zeiten eingehalten werden müssen und die<br />

Kühe mal nicht so wollen wie du willst. Die<br />

Kühe sind da um Milch zu geben. Dafür werden<br />

sie gezüchtet. Sie müssen funktionieren. Sie<br />

müssen produzieren. Sie dürfen keinen eignen<br />

Willen haben.<br />

Sie werden zu Maschinen.<br />

Nur dass sie einem wenig Arbeit abnehmen,<br />

sondern eher viel mehr Arbeit bescheren.<br />

Nun arbeite ich in der Käserei. Unter Käserei<br />

hatte ich mir einen kleinen Hofladen vorgestellt,<br />

der halt so ein bisschen Jogurt und Käse<br />

herstellt und verkauft und sich gerade so tragen<br />

kann.<br />

menschen<br />

33


Aber die Käserei ist ein richtiger kleiner Betrieb.<br />

Die 600 Liter Milch, die am Tag anfallen, müssen<br />

natürlich verarbeitet werden. Da kommen<br />

dann in einer Woche zur Zeit um die 2<strong>50</strong>0<br />

Flaschen zusammen, die mit verschiedenen Jogurtsorten<br />

und Milch befüllt werden. Zusätzlich<br />

3 verschiedene Käsesorten und um die 70 kg<br />

Butter. 4 mal in der Woche fährt ein Lieferwagen<br />

nach Buenos Aires rein.<br />

Wir leben recht einfach hier. Jeder Freiwillige<br />

hat ein kleines Zimmerchen, es gibt eine<br />

Gemeinschaftsküche und 2 Bäder, Jungen<br />

und Mädchen getrennt. An der Decke hängen<br />

überall Spinnenweben und Fliegen und alles<br />

ist staubig. Es ist aber nicht der Stadtstaub,<br />

sondern irgendwie natürlich. Im Winter haben<br />

wir im Zimmer einen kleinen Ofen, den wir<br />

selbst beheizen können. Wir trinken aus abgewaschen<br />

Marmeladengläsern und verwenden<br />

zum Schreiben und Zeichnen das Papier der<br />

Zuckersäcke. Wir haben alles was wir brauchen<br />

und müssten uns eigentlich nichts kaufen.<br />

Man improvisiert aus dem, was man zu essen<br />

da hat und sitzt abends am Lagerfeuer und<br />

philosophiert über Gott und die Welt. Aber es<br />

zieht einen doch in die Stadt. Das Zentrum von<br />

Buenos Aire ist nur zwei Stunden entfernt. Man<br />

braucht Geld für die Fahrt. Man braucht Geld<br />

zum übernachten. Man braucht Geld um sich zu<br />

vergnügen. Man macht sich abhängig, für das<br />

Gefühl von Un<strong>abhängigkeit</strong>.<br />

Das Gefühl von Un<strong>abhängigkeit</strong>.<br />

Auch wenn wir hier auf einem antroposophischen<br />

Bauernhof sind und noch so alternativ<br />

und nachhaltig leben, würden wir uns ohne<br />

finanzielle Unterstützung von Stiftungen durch<br />

Spendengelder aus Deutschland, nicht über<br />

Wasser halten können. Von dieser Abhängigkeit<br />

soll sich gelöst werden.<br />

Doch wir leben nun mal in einem kapitalistischen<br />

System, das geprägt ist von Abhängigkeiten.<br />

Angebot und Nachfrage. Investitionen und<br />

Kalkulationen.<br />

Es ist ein kompliziertes Netz, das aufrecht<br />

erhalten werden muss und das ständig erweitert<br />

wird. Das Streben nach mehr Gewinn, um<br />

sich zu vergrößern – Wirtschaftswachstum, um<br />

konkurrenzfähig zu sein. Lösen wir also die eine<br />

offensichtliche Abhängigkeit, müssen wir, um<br />

einen ähnlichen Standard zu halten, viele neue<br />

Abhängigkeiten eingehen. Und die Abhängigkeiten<br />

werden immer mehr, da die Menschheit nie<br />

zufrieden ist, mit dem was sie hat.<br />

Es ist schwer unabhängig zu sein!<br />

Jetzt gerade, wo ich hier auf der Wiese unter<br />

dem Baum im Schatten sitze, den Vögeln lausche,<br />

in den Himmel schaue und die Gedanken<br />

schweifen lasse, bin ich der Un<strong>abhängigkeit</strong><br />

doch sehr nahe.<br />

WOrd<br />

Erst war die Word<br />

Dann kam das Licht.<br />

erhellt das Unannehmliche<br />

während sie<br />

die peinliche Stille<br />

bricht<br />

Und bebend<br />

Eine neue Welt erschafft<br />

lediglich<br />

durch Worteskraft!<br />

lg<br />

34<br />

menschen


über das leben<br />

eines<br />

backpackers<br />

Philipp Willers aus Bremerhaven studiert seit Oktober <strong>2014</strong> Biologie<br />

an der Humboldt Uni in Berlin, davor hat er neun Monate mit einem<br />

Working Holiday Visumauf Baustellen gearbeitet, gegärtnert und<br />

Boote restauriert. Er lebte vor allem in Perth und in Melbourne.<br />

Ich schlage die Heckklappe des Toyota Tarago<br />

zu und wende mich den anderen zu. Wir stehen<br />

vor einem verbogenen Zaun mit abblätternder<br />

weißer Farbe. Dahinter verdeckt einer dieser<br />

australischen Bäume, deren Namen ich mir<br />

nicht merken kann, den Blick auf das Haus. Er<br />

wirft seinen Schatten auf einen ungepflegten<br />

Rasen, auf dem ein großer Haufen schwarzer<br />

Müllsäcke liegt. Wir sind da.<br />

Nach etwas mehr als drei Wochen sind wir endlich<br />

am Ziel unseres Roadtrips angelangt: Der<br />

Unterkunft unserer Freunde in Melbourne, die<br />

anderthalb Monate vor uns Perth verlassen haben.<br />

Es ist ein „share house“, ein kleines Haus<br />

in einer der Vorstädte Melbournes, dessen<br />

Bewohner stetig wechseln. Außerdem ist es die<br />

einzige uns bekannte Anschrift in dieser Metropole,<br />

in der wir uns sammeln und eine eigene<br />

Wohnung suchen wollen.<br />

Unsere drei Freunde öffnen uns das quietschende<br />

Tor und die nächsten Minuten werden<br />

zu einem Gewusel aus Umarmungen, einem<br />

prächtigen Mischmasch aus Englisch und<br />

Deutsch und ein paar Tränen seitens der Mädels.<br />

Dann bitten sie uns herein. Es geht über<br />

die Beton-Auffahrt an den Müllsäcken vorbei,<br />

irgendwas vom Vergessen des Abfuhrtermins<br />

und Beschwerden der Gemeinde wird erwähnt.<br />

Dahinter steht ein Einkaufswagen voller Bierflaschen<br />

und Goon-Kartons. Goon wird umgangssprachlich<br />

der billige australische Tütenwein<br />

genannt. Gerüchten zufolge werden darin<br />

allerhand fragwürdige Zutaten verarbeitet – die<br />

Palette reicht von Fischeiern bis hin zu altem<br />

Motoröl.<br />

Jedenfalls färbt das Zeug die Zähne blau und<br />

verursacht einen schrecklichen Kater. Als wir die<br />

zugemüllte Auffahrt hinter uns lassen, wird der<br />

Blick auf das Haus frei. Es ist ein unscheinbares<br />

Ein-Etagen-Haus mit altem weißem Anstrich.<br />

Heraus stechen allerdings die drei eingeschlagenen<br />

Scheiben neben der Haustür. Uns wird<br />

erklärt, dass hier bis vor kurzem ein paar<br />

Russen gewohnt haben, die regelmäßig Partys<br />

veranstaltet haben. Praktisch jeden Tag. Die<br />

Scheiben seien nicht das Einzige, was dabei zu<br />

Bruch gegangen ist. Über das breite Loch in der<br />

morschen Treppe steigen die drei Jungs kommentarlos.<br />

Wir tun es ihnen nach.<br />

Im Flur blicken wir auf schmuddelige Fliesen<br />

und ein Durcheinander von Turnschuhen und<br />

Arbeitsstiefel voll getrockneten Schlamms.<br />

Links lädt ein weiter Türbogen ins Wohnzimmer<br />

ein. Es ist mit nicht zusammenpassenden alten<br />

Sofas und Sesseln eingerichtet, die um einen<br />

Plasmabildschirm mit Bildfehler herum angeordnet<br />

wurden.<br />

elsewhere.<br />

35


Der zeigt gerade einen Bluescreen, anscheinend<br />

läuft er permanent. Ein Spalt in den zerrissenen<br />

Vorhängen lässt etwas Licht in das abgedunkelte<br />

Zimmer. Gerade genug, um auf dem Couchtisch<br />

in der Mitte losen Tabak und einige leere<br />

Chipstüten erkennen zu können. Als ich den<br />

hier sitzenden Bewohnern die Hand schütteln<br />

will, sinkt mein Fuß im Teppich ein – ein Loch<br />

im Holzfußboden darunter. Der fleckige Teppich<br />

ist wohl irgendwann einmal beige gewesen.<br />

ch werde in den Garten gelotst, der Weg führt<br />

durch eine zertrümmerte Glastür mit Holzrahmen<br />

und vorbei an einem weiteren Einkaufswagen.<br />

Links und rechts hat einiges Gerümpel<br />

seinen Platz an der Hauswand gefunden. Außerdem<br />

steht dort ein Tisch, dessen Pressholzplatte<br />

sich aufgrund von Feuchtigkeit unter<br />

der Last des Krempels durchgebogen hat. Auf<br />

der Unkraut überwucherten Rasenfläche steht<br />

ein Orangenbaum. Von ihm spannen sich voll<br />

gehängte Wäscheleinen zu mehreren Pfosten<br />

des heruntergekommenen Gartenzauns. Ein<br />

unvermeidlicher dritter Einkaufswagen, voll mit<br />

Wäsche, wird gerade von einem weiteren Bewohner<br />

des Hauses durch das Unkraut geschoben.<br />

Ich gehe über den schmalen Trampelpfad<br />

zur Sitzecke im hinteren Teil. Hier stehen noch<br />

ältere, noch weniger zusammengehörende Sofas<br />

auf einem Teppich mitten im Garten. Da es<br />

Sommer und die meiste Zeit über sehr heiß und<br />

trocken ist, mache ich mir keine Gedanken über<br />

Schimmel und lasse mich auf eine durchgesessene,<br />

braune Couch sinken. Eine Metallstange<br />

in der Lehne heißt mich willkommen.<br />

Da unsere Gastgeber gerade reingegangen sind,<br />

um Snacks und Drinks zu besorgen, bleibt uns<br />

etwas Zeit, unsere Eindrücke auszutauschen.<br />

Es wird mir von einem riesigen Geschirrberg in<br />

der Spüle der Küche berichtet, sowie von einem<br />

verdreckten Gasofen und heruntergefallenen<br />

und liegengelassenen Essensresten berichtet,<br />

was mich auch nicht weiter wundert. Über die<br />

Zahl der Bewohner herrscht Uneinigkeit. Wir<br />

fragen uns, ob überhaupt genug Betten vorhanden<br />

sind, für die wenigen Nächte die wir hier<br />

verbringen wollen.<br />

Als alle Bewohner sich dazusetzen, sind wir<br />

etwa fünfzehn Leute. Wir kuscheln uns auf den<br />

nicht ausreichenden Sitzgelegenheiten aneinander.<br />

Die übrigen Bewohner, zwei Straßenmusiker<br />

aus Deutschland und zwei Italiener, sind<br />

nicht anwesend, wird uns gesagt. Ich überschlage<br />

und komme auf vierzehn Bewohner, mit uns<br />

werden es für ein paar Tage zwanzig sein. Und<br />

ein Badezimmer. Für die paar Nächte wird es<br />

ausreichen. Ich lehne mich zurück, schließe die<br />

Augen und genieße den Schatten, den die in der<br />

leichten Brise knisternde, schwarze Plane über<br />

uns spendet. Ein Strahl Sonnenlicht, der durch<br />

ein halbherzig zugeklebtes Loch in der Plane<br />

auf mein Gesicht fällt, versucht mich zu ärgern,<br />

aber ich bin viel zu müde, um mich davon stören<br />

zu lassen.<br />

Zwei Monate später waren wir die Hauptmieter<br />

des shit holes, wie unsere Freunde das<br />

baufällige Haus liebevoll getauft hatten. Die<br />

Wohnungssuche hatte sich als aussichtslos<br />

herausgestellt, also hatten wir nach ein paar<br />

Wochen anfangen müssen, Miete zu bezahlen.<br />

Der Manager, ein Estländer, der sich zu der Zeit<br />

illegal in Australien aufgehalten hat, von dem<br />

niemand mehr wusste als seinen Spitznamen<br />

und dass er im Suff die Gartentür zertrümmert<br />

hatte, kam jeden Samstag zu Besuch, um die<br />

Miete einzusammeln. Diese fiel bei so vielen<br />

Bewohnern und dem Umstand, dass die Gemeinde<br />

plante, das Haus aufgrund von Unbewohnbarkeit<br />

bald abzureißen, äußerst niedrig<br />

aus. Das Haus offenbarte uns mit der Zeit<br />

weitere Facetten seines Verfalls: Zum Haustürschloss<br />

gab es keinen Schlüssel, was aber egal<br />

war, da man sowieso durch das Fenster daneben<br />

hätte einsteigen können. Des weiteren hatte<br />

das Dach einige Löcher und bei genug Regen<br />

gab es im Wohnzimmer einen steten Wasserstrahl,<br />

dem wir den größten der 6 aufgestellten<br />

Eimer widmeten. Außerdem besaßen wir mittlerweile<br />

unsere eigenen Schlamm bespritzten<br />

Arbeitsstiefel, da wir bei der gleichen Agentur,<br />

die ungelernte Arbeiter an Baustellen vermittelte,<br />

Arbeit gefunden hatten.<br />

36<br />

elsewhere.


kunst<br />

Noch ein paar Monate später sind wir dann in<br />

ein Apartment in der Nähe gezogen. Das Haus<br />

war mir bis dahin so ans Herz gewachsen, dass<br />

ich einen kleinen Stich verspürte, als ich Zeuge<br />

seines Abrisses wurde. Ich hätte nie damit gerechnet,<br />

jemals an so einem Ort zu landen und<br />

dort wohnhaft zu werden, aber man kann sich<br />

erwiesenermaßen an alles gewöhnen.<br />

Und Unerwartetes gehört für mich zum Dasein<br />

als Backpacker so dazu wie bei jedem<br />

Mal Flunkyball neue zerbrochene Scheiben im<br />

Hausflur.<br />

Phillip Willers<br />

kunst<br />

Fg arts<br />

in<br />

madagaskar<br />

Mein Name ist Frederic Griesbaum, ich bin 18 Jahre alt, Hobbyfotograf<br />

und seit Oktober Biologiestudent an der Humboldt Universität<br />

zu Berlin. Ich bin seit einigen Jahren fotografisch tätig, meine Fotos<br />

veröffentliche unter dem Pseudonym FG Arts auf Facebook.<br />

Anfangs habe ich fotografisch noch eher willkürlich herumprobiert,<br />

aber später dann den Fokus auf die Naturfotografie gelegt,<br />

mittlerweile mache ich auch Portraits von Menschen, grösstenteils<br />

Freunde und Bekannte.<br />

Diesen Sommer habe ich mir nun meinen Kindheitstraum, eine Reise<br />

nach Madagaskar, erfüllen können, dort sind auch die hier zu sehenden<br />

Fotos entstanden.<br />

Auf meiner 4-wöchigen Reise habe ich unter einheimischen Verhältnissen,<br />

aber auch in alten Hotels aus der französischen Kolonialzeit<br />

gelebt, ich habe die einzigartige Mentalität und Natur Madagaskars<br />

in <strong>50</strong>00 Fotos festzuhalten versucht.<br />

Madagaskar war eine französische Kolonie und ist seit 1960 autonom,<br />

die westliche Prägung und Infrastruktur von damals ist heute<br />

aber so gut wie verschwunden. Doch genau dieser Mangel an Struktur<br />

scheint die faszinierende Mentalität der Madagassen auszumachen<br />

jede Familie ist für sich selbst zuständig, dadurch kann keiner<br />

sein Unglück auf andere schieben.<br />

37


Die Familien in Madagaskar<br />

verkaufen selbst<br />

angebautes Obst in den<br />

Dörfern und an den<br />

Überlandstraßen an<br />

Passanten, ihr ganzes<br />

Leben findet auf der<br />

Straße statt.<br />

Ein Bienenfresser,<br />

nur ein kleiner<br />

Teil der sehr<br />

beeindruckenden<br />

Vogel-Fauna.<br />

An den Ufern des Pangalanes-Kanal<br />

sind viele<br />

Dörfer entstanden, deren<br />

Lebensmittelpunkt<br />

der Fluss ist, sie nutzen<br />

ihn zum Waschen, Baden,<br />

Fischen und dem<br />

Transport von Ware.<br />

38<br />

kunst


kunst<br />

Wir haben teilweise<br />

in alten Villen aus der<br />

Kolonialzeit und teilweise<br />

in einfachen<br />

Unterkünften gewohnt<br />

– in letzteren trafen wir<br />

immer auch auf Schaben,<br />

Gekkos, Schlangen<br />

und solche handtellergroßen<br />

Spinnen.<br />

Nachts sind Chamäleons<br />

besonders gut<br />

beim Schlafen aufzuspüren<br />

und dank der<br />

Dunkelheit und guter<br />

Blitztechnik auch fast<br />

mit „Studio-Feeling“ zu<br />

fotografieren.<br />

Kinder am Rand einer<br />

Überlandstraße, die in<br />

einer der vereinzelten<br />

Häuseransammlungen<br />

außerhalb der Dörfer<br />

leben<br />

lw<br />

39


politik<br />

deutschland<br />

was<br />

ist das schon <br />

„Die Aufarbeitung der Nazizeit ist für mich<br />

vielleicht das am meisten heimatliche, das ich<br />

Deutschland abgewinnen kann.“<br />

Menschen die in Deutschland geboren sind und<br />

schreiben, kommen nicht an der NS-Zeit vorbei.<br />

Es wäre sicherlich interessant zu berechnen,<br />

wie hoch sich der Papierstapel aus geistigen<br />

Teenie-Ergüssen empor schrauben würde,<br />

schichtete jemand dieselben übereinander.<br />

Auf keinen anderen Text wurde ich so oft angesprochen,<br />

wie auf die erste worse-Kolumne<br />

„Spielverderber! Spielverderber!“. Die einen<br />

fanden ihn, wie zu erwarten, zu verkrampft. Andere<br />

meinten, er sei zu weich, zu diplomatisch.<br />

Ein schriftlicher Kommentar auf ihn, wurde<br />

auf word.potsdam geteilt und viel gelobt. Ein<br />

Freund von mir, trotz anderer Meinung, hatte<br />

sich mehr Deutlichkeit in der ersten Kolumne<br />

gewünscht.<br />

Wie viel Deutlichkeit kann gegenüber Deutschland<br />

erwartet werden – gegenüber einer Identität,<br />

einer Heimat, einem Staat, einem Konzept,<br />

einem Feindbild, einer Idee, einem Ideal, einem<br />

begrenzten geografischem Raum. Wenig. Zu<br />

undeutlich sind Gefühle im allgemeinen, zu<br />

unübersehbar die, die Deutschland entgegengebracht<br />

werden. Was ist Deutschland denn<br />

schon<br />

Ein Staat, das ganz sicher. Der deutsche Staat<br />

existiert real. So seltsam diese Realität <strong>2014</strong><br />

auch anmuten mag. (Im Zeitalter von multinationalen<br />

Konzernen, multilateralen Organisationen<br />

und Konzepten wie der EU) Aber mehr als<br />

dieser real existierende Staat, ist Deutschland<br />

nicht. Oder doch Was definiert einen Deutschen<br />

Gibt es Deutsche Um den theoretischen<br />

Begriff einer Nation, eines Volkes, zu<br />

definieren, wird sich des öfteren verschiedener<br />

verbindender Faktoren bedient: die selbe Sprache,<br />

die selbe Kultur (von Kulinarischem, über<br />

Mode bis hin zu gleichen Traditionen), sowie<br />

ähnliche religiöse oder rituelle Bräuche.<br />

Um zu organisieren, um Politik zu machen,<br />

braucht es eine Form, und in diesem Fall, ist<br />

der Staat die Form. Ein Staat ist dem nach eine<br />

rein praktikable Lösung, um miteinander zu<br />

leben, so wie Deutschland. Hinzu kommt dann<br />

aber ideologische Unterfütterung. So seltsam<br />

diese Unterfütterung im Jahr <strong>2014</strong> auch anmuten<br />

mag. (Einer Zeit, weit nach den Anfängen<br />

der westlichen Aufklärung, nach dem ersten<br />

Weltkrieg vor hundert Jahren, indem die Nationalstaaten<br />

Europas gegeneinander „zu Felde<br />

zogen“) Eine nationale Ideologie bezeichnet<br />

einen Landstrich nicht nur als „bloßen Polit-Bezirk“,<br />

also als etwas rein praktisch-vernünftiges,<br />

sondern als ein Land. Mit Hoheitssymbolen wie<br />

dem Adler, der schwarz-rot-goldenen Flagge,<br />

dieser schrecklichen Hymne, die auch die Nazis<br />

sangen. Es ist so ungemein leicht, den praktischen<br />

Nutzen eines Staates in etwas überreales<br />

zu verklären: Eine „deutsche Identität“, von<br />

der viele reden, gerade Parteien des rechten<br />

Spektrums, wie die AfD. Die selbe Sprache, die<br />

zu schützen sei. Gleiche Essgewohnheiten, eine<br />

dominierende Religion, bestimmte deutsche<br />

Traditionen. Eine Nation sucht sich abzugrenzen,<br />

vom Rest der Welt, auch von den Nachbarn.<br />

40<br />

worse.


Dabei vergisst man leicht, dass es keine angeborene<br />

deutsche Identität gibt. Genauso gut<br />

könnte der Freistaat Bayern, von einem auf den<br />

anderen Tag, eine eigenständige Nation ausrufen,<br />

und besonders bayerische Eigenschaften<br />

propagieren. Es gibt keine deutsche Erbmasse.<br />

Jedenfalls habe ich noch nie von ihr gehört.<br />

Deutsche Sprache.<br />

Prägung, Prägung, Prägung.<br />

Wie bereits erwähnt, gibt es hingegen durchaus<br />

eine deutsche Sprache. Derer bedienen wir uns,<br />

die wir in Deutsch lesen und schreiben, wie<br />

eben gerade diese Gedanken. Ist das jetzt identitätsstiftend<br />

Oder ist sie „just happen to be<br />

like that“, oder eben wieder eine rein praktikable<br />

Lösung. Sicher: praktischer wäre es, auf der<br />

ganzen Welt nur noch eine Sprache zu reden.<br />

Die deutsche Sprache existiert jedoch, das ist<br />

nicht zu leugnen. Menschen, die in Deutschland<br />

geboren werden, hören sie. Sie werden auch<br />

durch diese Sprache sozialisiert (auf verschiedenen<br />

Sprachen denken wir auch unterschiedlich).<br />

Die deutsche Sprache ist dabei eine interessante<br />

Sprache, Frau kann in ihr Schönheit finden,<br />

kann sich gut durch sie hindurch artikulieren,<br />

mit ihr spielen, sie war immer flexibel, ja, hat<br />

sich konstant entwickelt, durch andere Sprachen<br />

verändert, sie birgt Geschichte in sich.<br />

Deutsch sprachen sowohl Goethes als auch<br />

Helmut Schmidts, sprechen sowohl Bushidos<br />

als auch Sookees, sprechen Nazis und Antideutsche.<br />

Sie alle beeinflussen, by using it, dieselbe.<br />

Diese Sprache ist ein verbindendes Element all<br />

jener, die mit ihr aufgewachsen sind, aber auch<br />

jener, die sie schlichtweg beherrschen. So wie<br />

Katholizismus ein verbindendes Element all<br />

jener ist, die ihn praktizieren, als auch all jener,<br />

die ihn nicht leben. Oder Füße all jene ähnlich<br />

macht, die sie haben.<br />

Dabei vergisst man leicht, dass es keine angeborene<br />

deutsche Identität gibt. Genauso gut<br />

könnte der Freistaat Bayern, von einem auf den<br />

anderen Tag, eine eigenständige Nation ausrufen,<br />

und besonders bayerische Eigenschaften<br />

propagieren. Es gibt keine deutsche Erbmasse.<br />

Jedenfalls habe ich noch nie von ihr gehört.<br />

Wie die Sprache, ist indes auch die Idee eines<br />

deutschen Nationalstaats wieder präsenter<br />

denn je. Auch sie wirkt prägend. Diese Idee<br />

scheidet die Geister. Deutsche Geschichte ist<br />

für die prägend, die in Deutschland geboren<br />

sind. Auch sie lockt die Gemüter aus der Reserve.<br />

Manche sagen, es sei endlich Zeit einen<br />

Schlussstrich unter der Nazi-Vergangenheit zu<br />

ziehen (Was deutsche Bürger ja auch schon in<br />

den Fünfzigern forderten!). Die Aufarbeitung<br />

der Nazizeit ist für mich vielleicht das am meisten<br />

heimatliche, das ich Deutschland abgewinnen<br />

kann. Kaum ein anderes Land hat sich so<br />

darum bemüht, das Geschehene aufzuarbeiten,<br />

wie Deutschland. Sodas es vielen mittlerweile<br />

zum Halse raushängt, mit der Schuld der<br />

Eltern-, Groß- oder Urgroßelterngeneration<br />

konfrontiert zu werden. Vielleicht offenbart sich<br />

in dieser angewiderten Einstellung, dass die NS-<br />

Zeit eben nicht bewältigt wurde, oder bewältigt<br />

werden kann. Wir können keinen Schlussstrich<br />

ziehen. Das würde dumme Kapitulation bedeuten.<br />

Wer, wenn nicht die „deutschen Pass-Träger“,<br />

sollten denn sonst immer wieder darauf<br />

verweisen, was aus einer harmlos erscheinenden<br />

nationalen, oder deutschen Idee werden<br />

kann: nämlich Massenmord. Deswegen ist das<br />

Thema eine für mich geistig-heimatliche Sache,<br />

weil es ein vertrautes Thema ist.<br />

worse.<br />

41


Ich möchte zum Beispiel verstehen, warum<br />

ein lieber Opa, wie meiner, mit dem Gedanken<br />

gespielt hat, Kamikaze-U-Boot zu fahren. Oder<br />

warum meine liebe Oma, die Tochter eines<br />

Sozialdemokraten, der es nicht immer leicht<br />

hatte, im Dritten Reich, Hitler damals irgendwie<br />

anziehend fand. Natürlich kann man den Kopf<br />

schütteln und sagen: „Ja, den Holocaust hat es<br />

gegeben. Aber daran bin ich nicht schuld.“<br />

Nein, unsere Generation ist nicht schuld. Nur<br />

wäre es unsere Verschulden, wenn es auf<br />

diesem deutschen Territorium zu einer Wiederholung<br />

der Geschichte kommen sollte. Und wir<br />

uns nicht überlegten, wie wir aufgrund unserer<br />

Geschichte, Dinge anders machen können, nach<br />

anderen Ausdrucksmöglichkeiten suchen, als<br />

der Identifikation mit einer nationalen Theorie.<br />

Das ist ein Paradoxon: Aufgrund meiner deutschen<br />

Herkunft, muss ich immer wieder mit<br />

Deutschland hadern. Aber immerhin schrieb<br />

Erich Fromm einmal: „Nur wer paradox zu<br />

denken vermag, wird das Leben verstehen.“ So<br />

auch die deutsche Schizophrenie. Deutschland<br />

ist Mahnen.<br />

Und wenn Menschen wieder stolz auf Deutschland<br />

sind, verdrängt dieser suspekte Stolz, die<br />

Mahnung. Deutschland muss Mahnmal gegen<br />

die Gräueltaten bleiben, gegen den Faschismus,<br />

gegen den Nationalismus, aus dem der vorherige<br />

hervorgegangen ist. Und Deutschland muss<br />

es so lange bleiben, bis die ganze Menschheit<br />

Verantwortung füreinander übernimmt. Von<br />

mir aus, aufgrund von rationalen Gründen.<br />

Ja – Deutschland als Heimat bedeutet für mich,<br />

nicht zu vergessen. Weil ich nach wie vor, kehre<br />

ich aus anderen Ländern nach Deutschland<br />

zurück, die verbrecherische Geschichte vor meinen<br />

Augen erwachsen sehe, die sich in diesem<br />

Landstrich der Erde zugetragen hat. Wenn ich<br />

schwarz-rot-goldene Glückseligkeit sehe, wird<br />

mir schlecht. Weil meiner Idee von Deutschland<br />

weh getan wird. Weil sich Deutsche wieder<br />

einreihen, in die Exklusivität der Idee des<br />

Nationalstaats. Nach dem Motto: „Wir lösen<br />

unsere Probleme selbst. Wir sind nur uns selbst<br />

gegenüber verantwortlich.“ Menschen sind<br />

aber sich gegenüber immer in ihrer Gesamtheit<br />

verantwortlich. Ein ideologisches Deutschland<br />

schadet der Welt. Genauso wie es die ideologischen<br />

Vereinigten Staaten tun, der ideologische<br />

Iran, ein ideologisches (ehemals faschistisches)<br />

Italien, ein Putin-Russland u.s.f… Eine sogenannte<br />

„nationale Identität“ stiftet eben nichts,<br />

außer einem Wahnbild, bestimmte Menschen<br />

seien besser als andere, müssten deswegen<br />

zusammenhalten, letzten Endes dominierend.<br />

Wobei doch Menschen so viel mehr gemeinsam<br />

haben, als in einem Konstrukt Nation geboren<br />

zu sein.<br />

Deswegen die erste Kolumne. Weil mich dieses<br />

fahnenschwenkende Deutschland verletzt. In<br />

den einzigen heimatlichen Gefühlen, die ich<br />

gegenüber Deutschland hege.<br />

Das war dann wohl deutlich genug.<br />

fc<br />

isabelle<br />

vandre<br />

Isabelle Vandré ist 25 Jahre alt, studiert Politikwissenschaften in<br />

Berlin und ist seit <strong>2014</strong> Abgeordnete im Landtag Brandenburg für die<br />

LINKE. Aufmerksam wurden wir auf sie, als sie während der Eröffnungsrede<br />

von Alexander Gauland vor dem Landtag mit der Protestaktion<br />

AfD shut up! gegen die flüchtlingsfeindliche Politik der AfD<br />

eintrat.<br />

42<br />

politik


word.<strong>Potsdam</strong> | Du trittst lautstark für<br />

Veränderungen der Migrationspolitik ein.<br />

Inwiefern sind dein Alltag und deine Arbeit mit<br />

Flüchtlingen und dem Asylsystem verbunden<br />

Isabelle Vandré: Sowohl im Landtag, als auch<br />

in den Kommunen Brandenburgs ist die Frage<br />

der Unterbringung von Flüchtlingen dauerhaft<br />

präsent und wird eine der Hauptauseinandersetzungen<br />

der nächsten Jahre sein. Wir werden<br />

in der nächsten Landtagssitzung im Dezember<br />

eine längere Debatte zur Flüchtlingspolitik des<br />

Landes Brandenburg haben. Im Fokus steht<br />

dabei der Anspruch Flüchtlingen die Hilfe und<br />

Unterstützung zukommen zu lassen, die sie benötigen.<br />

Gleichzeitig streben wir als LINKE die<br />

Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnungen<br />

an und wollen die Kommunen bei der Suche<br />

von geeigneten Wohnobjekten unterstützen.<br />

Vor Ort ist es wichtig, die BürgerInnen rechtzeitig<br />

einzubeziehen, um Ressentiments entgegen<br />

zu wirken. In meinem Wahlkreis habe ich dafür<br />

schon einige positive Beispiele kennen lernen<br />

dürfen. Zum Beispiel in Gransee haben sich viele<br />

Menschen gefunden, die die ankommenden<br />

Flüchtlinge unterstützen und sie bei alltäglichen<br />

Dingen wie Behördengängen und Arztbesuchen<br />

begleiten. Es wäre schön, wenn das in allen<br />

Teilen Brandenburgs so klappen würde. Ich<br />

persönlich habe auch Kontakt zu einigen Flüchtlingsinitiativen,<br />

die mir stetig berichten, wo sie<br />

Unterstützung brauchen und versuche dem so<br />

gut wie möglich nachzukommen.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Was möchtest du an der<br />

europäischen Asylpolitik verändern<br />

Isabelle Vandré: Die europäische Asylpolitik ist<br />

vor allem durch die Abschottung der europäischen<br />

Grenzen gekennzeichnet. Frontex versucht<br />

mit Waffen und allen möglichen technischen<br />

Mitteln, wie Wärmebildkameras, nicht<br />

nur Flüchtlinge zu überwachen, sondern sie<br />

aktiv daran zu hindern, europäisches Festland<br />

zu betreten. Damit haben die meisten Flüchtlinge<br />

also nicht einmal die Möglichkeit Asyl zu<br />

beantragen.<br />

In Europa angekommen greift die Drittstaatenregelung,<br />

die dazu führt, dass die Länder an den<br />

Außengrenzen Europas viel mehr Asylanträge<br />

bearbeiten müssen als Länder wie Deutschland<br />

und diese dann häufig damit überfordert sind.<br />

Das Resultat sind meist überfüllte Auffanglager,<br />

in denen Flüchtlinge unter menschenunwürdigen<br />

Bedingungen auf die Bearbeitung ihrer<br />

Asylgesuche warten. Ich finde, zuerst müssen<br />

Frontex und die Drittstaatenregelung abgeschafft<br />

werden. Das sind aber nur zwei der<br />

unzähligen wichtigen Forderungen auf dem<br />

Weg zu einer humanen europäischen Flüchtlingspolitik.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | Wie nimmst du die Einstellung<br />

der Bürgerinnen und Bürger in Berlin und<br />

Brandenburg zum Thema Flüchtlinge wahr<br />

Isabelle Vandré: Sehr ambivalent. Es gibt eine<br />

Vielzahl aktiver Bürgerinnen und Bürger, die<br />

Flüchtlinge darin unterstützen in den Kiezen,<br />

Städten und Gemeinden anzukommen und<br />

damit auch Ressentiments bei dem Rest der<br />

Bevölkerung abbauen. Gleichzeitig gibt es Jene,<br />

die die Bestrebungen, Flüchtlingsunterkünfte zu<br />

errichten bewusst dafür nutzen, um rassistische<br />

Positionen zu verbreiten, Ängste bei der Bevölkerung<br />

schüren und damit jede konstruktive<br />

Debatte darüber, an welchem konkreten Ort die<br />

Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften sinnvoll<br />

wäre, torpedieren.<br />

word.<strong>Potsdam</strong> | word.potsdam: Kannst du<br />

zum Abschluss ein Paradebeispiel nennen,<br />

welches zeigt, was an der Flüchtlingspolitik<br />

falsch läuft<br />

Isabelle Vandré: Um Paradebeispiele zu finden,<br />

muss man nur die Bilder der Außengrenzen<br />

Europas angucken und sich die Berichte Geflüchteter<br />

anhören. Das ist erschreckend genug<br />

um vor Augen geführt zu bekommen, dass sich<br />

dringend etwas an der Flüchtlingspolitik ändern<br />

muss.<br />

zg, eg<br />

politik<br />

43


Jeder ist irgendwem untergeordnet, von irgendwem abhängig, wenn auch<br />

manchmal nur unter bestimmten Umständen. Oft resultiert daraus ein Autoritäts-Spielchen,<br />

ob in der Schule oder beim Tratsch mit dem Polizisten von<br />

nebenan. Die wissen genau, dass sie das Sagen haben, nutzen das aus, geilen<br />

sich förmlich an ihrer Überlegenheit auf. Entweder man fügt sich oder man<br />

sagt was, und wenn man was sagt, geht das meiner Erfahrung nach meist<br />

gehörig schief.<br />

Emil<br />

Copyright<br />

Alle in diesem Magazin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind<br />

urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und vervielfältigung gleich<br />

welcher Art sind nur mit schriftlicher Legitimation erlaubt.<br />

Kontakt<br />

kontakt (ät) wordpotsdam.de<br />

0157 715 701 21<br />

Großbeerenstraße 25<br />

14482 <strong>Potsdam</strong><br />

wordpotsdam.de<br />

44<br />

<strong>abhängigkeit</strong>


impressum<br />

Danksagung<br />

Wir danken: Anna Klappenbach, Alexander<br />

Pestel, Anja Österreich, Angela Naumann,<br />

Arne Koch, Austin James, Carsten Höwing,<br />

Claire Koßmann, Emil Bernhard, Elea, Franz<br />

Waldmann, Friedrich Buttenberg, Gabriel<br />

Klappenbach, Julius Hilker, Johann-Caspar<br />

Beartheau, Hannah von Bülow, Klaus-Uwe<br />

Benneter, Marie-Luise Schmidt, Nicola<br />

Leschke, Marion Jenke, Nils Derwell, Olga S.,<br />

Sven-Olaf Laurila, Marlene Resch, Paul Baule,<br />

Wolfgang Schirp, Johannes Tuchelt, Ines Koch<br />

und dem gesamten <strong>Potsdam</strong>Vibes-Team (besonders<br />

René Strammber) sowie dem freiLand<br />

und dem Spartacus!<br />

Außerdem danken wir allen Läden in denen<br />

die Ausgaben verkauft werden.<br />

Ein besonderer Dank geht an Achim<br />

Trautvetter, ohne den vieles nicht funktioniert<br />

hätte.<br />

Hervorzuheben sind auch Günter Roßnagel<br />

und Rainer Bischof, sowie der ganze<br />

Bürgerverein Steinstücken - in dem wir unsere<br />

regelmäßigen Mitgliederversammlungen<br />

abhalten.<br />

Und natürlich danken wir jedem noch so kleinen<br />

Helferlein - doch mit den Namen könnte<br />

man eine weitere Ausgabe füllen.<br />

Redaktionsleitung<br />

Gero Koßmann (V.i.S.d.P.)<br />

Autoren<br />

Frederik Bahr (fb)<br />

Franziskus Claus (fc)<br />

Anton Dieckhoff (ad)<br />

Emil Gutheil (eg)<br />

Jannis Hertel (jh)<br />

Paul Jerchel (pj)<br />

Gero Koßmann (gk)<br />

Lara Wolff (lw)<br />

Zina Gerlinger (zg)<br />

Ron Sommersfeld (rs)<br />

Elea (el)<br />

Lucas Höwing (lh)<br />

Mathis Hertel (mh)<br />

Lektoren<br />

Frederik Bahr<br />

Leon Molitor<br />

Lara Wolff<br />

Jannis Hertel<br />

Fotos<br />

Valentin Wagner<br />

Lydia Marx<br />

Layout<br />

Simon Pietryga<br />

Lea Giesecke<br />

Gero Koßmann<br />

Luise Ohls<br />

Online und Social Media<br />

Lucas Höwing<br />

Aboservice<br />

www.wordpotsdam.de/abo/<br />

Druck<br />

Digitaldruck GRIMM Dahlem CopyPlot&DigiDruck<br />

45

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