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kunst<br />

über den schock<br />

vor<br />

der trauer<br />

eine kurzgeschichte<br />

Jemand rennt über ausgedörrtes Land... Ein<br />

Mädchen mit dunklen, verfilzten Haaren und<br />

abgetragenen Sommerklamotten. Man hört<br />

ihren panischen, unregelmäßigen Atem und<br />

ihre schnellen, hektischen Schritte auf dem<br />

staubigen Boden. Der Himmel ist eine weiße,<br />

undurchdringliche Wolkendecke, hinter der sich<br />

irgendwo die Sonne versteckt hat.<br />

Die Landschaft strahlt eine dumpfe Trostlosigkeit<br />

aus.<br />

Ewiges Grau, das einen anzustecken droht mit<br />

seiner unendlichen Unabänderbarkeit.<br />

Egal wie hoch ich mich von der Luft tragen<br />

lasse, sehe ich keine einzige grüne Pflanze oder<br />

ein Tier, das sich in diese Einöde verirrt hat.<br />

Nur das Mädchen bewegt sich und durchbricht<br />

die leblose Landschaft.<br />

Ein Gedanke segelt mir durch den Kopf, er fliegt<br />

in Schlangenlinien vor mir her, fest entschlossen<br />

sich mir zu entziehen.<br />

Ich versuche ihm hinterher zukommen, doch<br />

ich komme nicht voran, als würde ich wie die<br />

grauen Herren von Momo beharrlich gegen<br />

eine unsichtbare Wand laufen, ausgeschlossen<br />

vom Reich des Meister Hora, dem Herren der<br />

Zeit.<br />

Ich gebe resigniert auf, bleibe einen Augenblick<br />

schwebend in der Luft hängen.<br />

Mein Blick fällt wieder auf das Mädchen.<br />

Auch sie ist stehen geblieben. Es ist offensichtlich,<br />

dass es ihr nicht gut geht.<br />

Ich versuche das Gefühl von Mitleid in mir<br />

herauf zu beschwören und es einen Moment zu<br />

kosten, aber alles was mich umgibt ist Gleichgültigkeit.<br />

Die absolute Leere um mich herum droht mich<br />

zu verschlucken. Ich ziehe mich ein Stück zurück,<br />

gewollt dem Nichts zu entfliehen.<br />

Im selben Moment fällt das Mädchen um wie<br />

eine leblose Puppe.<br />

Jetzt liegt sie mit verkrampften Gliedern da, wie<br />

ein Käfer, der auf dem Rücken liegt und versucht<br />

davon zu fliegen.<br />

Dabei ist es offensichtlich, dass sie es nicht<br />

mehr schaffen wird aufzustehen.<br />

Aus einem anerzogenen Reflex heraus begebe<br />

ich mich zu ihr, um ihr wieder aufzuhelfen.<br />

Doch als ich schließlich bei ihr bin, weiß ich<br />

nicht mehr, was ich tun könnte.<br />

Würde sie wieder aufstehen, hätte sie keine andere<br />

Wahl als weiter zu rennen, auf der Suche<br />

nach irgendetwas, dass nicht grau und öde ist –<br />

was sie hier nicht finden würde. Sie hat bereits<br />

einen Punkt erreicht, an dem es kein zurück<br />

mehr gibt.<br />

Der Gedanke, den ich kurz zuvor noch nicht fassen<br />

konnte, durchschießt mich urplötzlich wie<br />

ein Blitz: Dieses Mädchen ist tot!<br />

28<br />

kunst

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