Aspekt im Handbuch 6Le - Volkmar Lehmann
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3. Die aspektuelle Derivation<br />
Die russ. Verbalstämme können in Kreuzklassifikation zu den<br />
morphologischen Stammklassen oder „Formbereichen“ sämtlich auf zwei<br />
Paradigmen verteilt werden: auf die ohne aktionales Affix, d. h. die<br />
(aktional formal) unmarkierten <strong>Aspekt</strong>stämme und auf die mit aktionalem<br />
Affix, d. h. die (aktional formal) markierten <strong>Aspekt</strong>stämme. Zwischen den<br />
Stämmen mit einem gemeinsamem Formanteil und gemeinsamer<br />
lexikalischer Bedeutung besteht, wie in 1. erläutert, eine aspektuelle<br />
Derivationsbeziehung.<br />
Die Kombination eines Stammes mit den aspektuellen Affixen, z. B.<br />
mit einer Variante des <strong>im</strong>perfektivierenden Suffixes {-iva-} oder mit dem<br />
perfektivierenden Präfix {pro-}, hat folgende Auswirkungen: Es entstehen<br />
neue, aspektuell markierte Stämme, die in regelmäßiger funktionaler<br />
Opposition zu den aspektuell unmarkierten Stämmen stehen. So entspricht<br />
der formalen Opposition zwischen den Stämmen mit den Wortformen<br />
otkroü und otkryvaü oder pi‚u und napi‚u z. B. die funktionale<br />
Opposition ‘präsentisch’ - ‘futurisch’. Damit gibt es zu tendenziell allen<br />
verbalen lexikalischen Konzepten jeweils zwei oder mehr Verben, hier<br />
otkryt´ und otkryvat´, çitat´ und proçitat´, die sich jeweils auf<br />
zwei funktional oppositive Paradigmen verteilen. Diese funktional<br />
oppositiven Paradigmen haben grammatischen Status, denn sie bilden den<br />
pf. und den ipf. <strong>Aspekt</strong> als Subkategorien der grammatischen Kategorie<br />
<strong>Aspekt</strong>.<br />
Mit der Derivation entstehen somit nicht nur formal markierte<br />
<strong>Aspekt</strong>stämme wie otkryvat´ oder napisat´, es ändern auch die<br />
aspektuell unmarkierten Verbstämme ihren Status, sie werden<br />
<strong>Aspekt</strong>stämme. Vor der bzw. ohne die Derivation bilden sie ein rein<br />
lexikalisches Paradigma wie <strong>im</strong> Deutschen.<br />
Die typische Derivationsbeziehung <strong>im</strong> Russ. erfolgt in einem<br />
Dreierschritt:<br />
ipf. S<strong>im</strong>plex, pisat´<br />
> (lexikalische Derivation) präfigiertes pf. Verb spisat´,<br />
> (Derivation von <strong>Aspekt</strong>partnern) suffigiertes ipf. Verb spisyvat´.<br />
An die Stelle der alten Kontroverse, ob es eine Ableitung von<br />
<strong>Aspekt</strong>partnern mit „leeren“ (rein grammatischen) Präfixen überhaupt gibt,<br />
ist in neuerer Zeit die Kontroverse darüber getreten, welche Präfixe<br />
<strong>Aspekt</strong>partner sind und damit grammatischen Status haben. Wenn gilt, daß,<br />
wie oben postuliert, die lexikalische Bedeutung bei grammatischer<br />
Derivation gleich bleibt und die <strong>Aspekt</strong>opposition nur die aktionale Gestalt,<br />
die Episodizität sowie deren Implikationen und Varianten, nämlich<br />
aktionale Häufigkeit und Phasenprofilierung betrifft, dann gehören auch<br />
ingressive Verben wie zagovorit und egressive wie otgovorit´ zu den<br />
<strong>Aspekt</strong>partnern von govorit´, allerdings als periphere Partner (s. u.).<br />
Dieser systematischen Best<strong>im</strong>mung der <strong>Aspekt</strong>partner entspricht die <strong>im</strong>