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3000 Jahre staunen - Württembergische Landesbibliothek

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2. Biblia Deutsch. 1466<br />

Die 18 vorreformatorischen frühneuhochdeutschen und frühniederdeutschen<br />

Bibeldrucke sind in ihrer Vielzahl eine auf den<br />

deutschen Sprachraum beschränkte große Ausnahme. Eigentlich<br />

hätte das Kirchenrecht dem Laien das Lesen der ganzen Bibel<br />

nur mit strengen Auflagen gestattet, wie der dogmatisch abgesicherten<br />

Kommentierung durch die Kirchenväter und auf alle<br />

Fälle der Approbation durch den zuständigen Bischof. Das Verbot<br />

hat in England die Druckverbreitung der Bibelübersetzung von<br />

John Wyclif ganz verhindert. Der Reformator William Tyndale<br />

musste die Übersetzung des Neuen Testaments 1526 in der deutschen<br />

Reichsstadt Worms vornehmen lassen. Eine provenzalische<br />

Bibel der Waldenser wurde anfänglich auch nie gedruckt.<br />

Aber in süddeutschen freien Reichsstädten tritt das Phänomen<br />

zutage, dass von 1466 bis 1518 in oberdeutscher Sprache 14<br />

Vollbibeln erschienen, also alle drei <strong>Jahre</strong> eine neue Ausgabe!<br />

1478 bis 1522 gesellten sich vier niederdeutsche Versionen aus<br />

Köln, Lübeck und Halberstadt hinzu. Die <strong>Württembergische</strong><br />

<strong>Landesbibliothek</strong> Stuttgart ist die einzige Bibliothek der Welt,<br />

die alle 18 vorreformatorischen deutschen Bibeln besitzt.<br />

Den Anfang machte 1466 der bereits als Bibeldrucker hervorgetretene<br />

Gutenberg-Schüler Johannes Mentelin in Straßburg.<br />

Seine Textvorlage, die maßgeblich für alle anderen Ausgaben<br />

wurde, ist unbekannt. Es handelt sich um einen dem Alemannischen<br />

entstammenden frühneuhochdeutschen Text vermutlich<br />

aus dem 14. Jahrhundert. Übersetzt ist die Bibel natürlich aus<br />

der lateinischen Vulgata, so wie alle Übersetzungen bis zur<br />

Reformation. Unerachtet einer in der damaligen Gegenwart<br />

schon als antiquiert zu empfindenden Sprachversion hatte das<br />

Unternehmen großen Erfolg, wie die bereits erwähnten Folgeausgaben<br />

beweisen.<br />

Das Stuttgarter Exemplar trägt am Ende (dem Kolophon) einen<br />

handschriftlichen Vermerk.<br />

[Aus dem Lateinischen übersetzt:] Hier endet dieses Buch, das im<br />

<strong>Jahre</strong> des Herrn 1466 mit Hilfe der Buchdruckerkunst durch den ehrwürdigen<br />

Herrn Johannes Mentel in Straßburg Gestalt gewonnen hat etc.<br />

Weiter heißt es in der damals üblichen Bastard-Schrift: Dis buoch<br />

hat Johan hammer der apteker geben den erwirdigen geistlichen frouwen<br />

zuo sant margretten vnd sant angnesen u bitten got auch fur kathrein<br />

sin huß frouwe.<br />

Das soll heißen: der (reiche) Apotheker Johannes Hammer<br />

schenkt das Buch den Dominikanerinnen in Straßburg. Die sollen<br />

für ihn und seine Ehefrau Katharina beten. Der erste Eintrag<br />

gibt einen Hinweis auf das Erscheinungsdatum der unfirmierten<br />

Bibelinkunabel, der Zusatz ist ein Beispiel für das Stiftungswesen<br />

und die Ständeordnung des Mittelalters. Der Laienstand kümmert<br />

sich um die äußeren wirtschaftlichen und sonstigen<br />

Bedürfnisse, der Adel ist für die Sicherheit und die Verteidigung<br />

zuständig, und der geistliche Stand sorgt für das Seelenheil<br />

aller. Das stellvertretende Beten und auch das Lesen von Totenmessen<br />

u.ä. werden dann in der Reformation angegriffen.<br />

In Rufweite aber ist die reformatorische Forderung nach dem<br />

Laiengebrauch der Bibel. Die Nonnen, ähnlich wie die Mitglieder<br />

von geistlichen Bruderschaften oder Beginenkonventen, können<br />

zwar z.T. lesen, aber sind des Lateinischen nicht<br />

mächtig. So erklärt sich der große Bedarf und Aufschwung der<br />

deutschen vorreformatorischen Bibeldrucke.<br />

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