3000 Jahre staunen - Württembergische Landesbibliothek
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8. Novvm Testamentvm Omne. Mvlto Qvam Antehac Diligentius ab<br />
Erasmo Roterodamo recognitum, emendatum ac translatum. 1519<br />
Es blieb nicht aus, dass die christlichen Humanisten danach<br />
drängten, einen gedruckten griechischen Grundtext des Neuen<br />
Testaments, des wichtigsten Buches der Christenheit, zur<br />
Verfügung zu haben. Man hatte in Spanien unter dem Kardinal<br />
Francesco Ximenes in Alcalá de Henares (lateinisch: Complutum)<br />
begonnen, eine vielsprachige Bibel, eine sog. Polyglotte, mit<br />
großem Aufwand drucken zu lassen. Diese Ausgabe umfasste<br />
die Sprachen Hebräisch, Aramäisch, Griechisch und Lateinisch<br />
in Spalten nebeneinander. Textgrundlage für das Griechische<br />
des Neuen Testaments war der aus der Vatikanischen Bibliothek<br />
entliehene Codex Vaticanus Graecus 1209, einer der bis heute<br />
wichtigsten Text zeugen. 1514 war der erste Band des Alten<br />
Testaments von der Complutenser Polyglotte fertig.<br />
Der große Humanist Erasmus von Rotterdam, der zu der Zeit<br />
in Basel lehrte, beeilte sich, seinerseits mit einer zuverlässigen<br />
Textgrundlage des Neuen Testaments an die Öffentlichkeit zu<br />
treten. Ihm ging es zunächst darum, die spätantike Textversion<br />
der lateinischen Vulgata zu verbessern und von eingeschlichenen<br />
Fehlern zu reinigen. Das tat er, indem er aus den ihm in<br />
Basel zur Verfügung stehenden griechischen Handschriften eine<br />
neulateinische, humanistisch verantwortete Übersetzung herstellte,<br />
die dem klassischen Latein eines Cicero gleichen sollte.<br />
Diese Version ließ er 1516 drucken und gab in einer parallelen<br />
Spalte einen griechischen Text mit.<br />
Das Werk widmete er Papst Leo X., der ihm auch das alleinige<br />
Privileg zur Verbreitung des griechischen Textes zusicherte<br />
und damit die Auslieferung der Complutensischen Polyglotte<br />
zunächst verhinderte. Da das Buch in großer Eile gemacht worden<br />
war, musste es 1519 zu einer zweiten verbesserten Auflage<br />
kommen.<br />
Zusätzlich ist ein umfangreicher Kommentar, die Annotationes,<br />
beigegeben, wo Erasmus seine Übersetzungsgrundsätze erläutert.<br />
In der Vorrede, der sog. Paraclesis (Ermahnung), fordert er die<br />
Theologen auf, jetzt dafür zu sorgen, dass die Hauptquelle des<br />
Christentums endlich für alle verständlich in volkssprachiger<br />
Übersetzung vorliegen solle.<br />
Interessant ist die Illustration der Ausgabe des Druckers Johannes<br />
Froben in Basel. Sowohl das Haupttitelblatt als auch der<br />
Zwischentitel vor dem Römerbrief sind mit unpassenden unbekleideten<br />
Figuren aus der griechischen Mythologie, mit Musen<br />
und Kobolden dekoriert. Wäre es Blasphemie, gäbe das keinen<br />
Sinn. Vermutlich waren die Drucker gewohnt, dass es sich,<br />
wenn sie griechische Buchstaben setzen mussten, um antike<br />
heidnische Texte handelte. Die humanistische Bildung hatte ja<br />
einen großen Bedarf an griechischen und lateinischen Texten<br />
hervorgerufen.<br />
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