Eckart Brandt will, dass alte Apfelsorten wie der Gelbe Richard weiter wachsen. 28 <strong>Weleda</strong> <strong>Magazin</strong> <strong>Sommer</strong> <strong>2011</strong>
Wenn nichts mehr geht, geht wieder alles Dass wir wachsen, ist eine unserer frühesten Erfahrungen. Bäume wachsen und Gräser und Lämmer. Wachstum, so scheint es, ist das Normalste von der Welt, und dass es aufhört, auch. Das Aroma wächst eben nicht mit Wenn Eckart Brandt das Obstregal im Supermarkt anschaut, wird er traurig. «Vor 150 Jahren gab es in Deutschland mehr als 3000 Apfelsorten», sagt er, «heute liegen gerade mal noch ein Dutzend Sorten im Regal.» Auf Hochleistungsbäumen gezüchtet, mit Maschinen geerntet, rot, gross, makellos. Beisst man in einen solchen Apfel, schmeckt er oft erstaunlich fade. «Das Aroma wächst eben nicht mit», sagt Brandt. Auf den Wiesen rund um Grossenwörden im Alten Land (Niedersachsen) reifen rund 300 Apfel sorten, darunter viele mit fast vergessenen Namen. Brandt kultiviert sie auf rund drei Hektar Land, um sie vor dem Aussterben zu retten. Den «Gelben Richard» etwa oder den «Rotfranch». Brandt hat vor vielen Jahren Geschichte studiert, dann ist er auf den Apfel gekommen. Er hat in einer Mosterei gearbeitet und fing an, alte Apfelsorten zu sammeln. Brachte ein Kunde einen seltenen Apfel, liess Brandt sich Baumtriebe bringen und zog neue Bäumchen heran. Er las alte Sortenbücher, studierte Erntestatistiken aus dem 19. Jahrhundert und war bald einer der besten Apfelkenner im Alten Land. Manche seiner Bäume benötigen 15 Jahre, ehe sie Früchte tragen. Die aber schmecken unverwechselbar, mal kantig herb, mal edel süss. «Wenn die alten Sorten verloren gehen, weil sie nicht wirtschaftlich genug sind», sagt Brandt, «weiss bald keiner mehr, wie ein richtiger Apfel schmeckt.» Leben Wachstum Text Paul Lampe Interviews Anna Hunger Fotos Eric Vazzoler 29 Stolz schaut sich das Kind den obersten der Striche im Türrahmen an: «So ein Stück bin ich wieder gewachsen? Bald bin ich so gross wie du.» Irgendwann hört das Messen auf; das Kind hat seine genetisch vorgegebene und durch millionenfache Zellteilungen bewirkte Körpergrösse erreicht. Lebendiges Wachstum begann vor drei oder vier Milliarden Jahren, seitdem wird in der Natur gewachsen und gestorben. Rhythmisch im Auftritt und Verschwinden der Arten, in Lebenszyklen, im Laufe der Jahreszeiten. Wachsen im Frühjahr, reifen im <strong>Sommer</strong>, fruchten im Herbst und sterben im Winter. Stoisch angesichts des millionenfachen Werdens und Vergehens. Auf den Kalkskeletten ihrer Vorfahren bauen Stein- und Feuerkorallen im Laufe von Jahrhunderten ihre Riffe. Selbstgenügsam. Keine Löwengruppe wird mehr schlagen als das Gnu, das sie als Nahrung braucht, kein Fuchs einen Vorrat an Hühnerfleisch anlegen. Natur, ein System, das immer wächst, sich nie erschöpft, das Pflanzen und Tiere gleichermassen aus sich selbst nährt, raffiniert angepassten Lebewesen jeder Art Lebensraum und Zukunft gibt. Dann kam der Mensch, war fruchtbar und mehrte sich und machte sich die Erde untertan. «Ungeheuer ist viel, nichts ungeheurer als der Mensch», murmelt der Chor der Weisen in Sophokles’ «Antigone», uraufgeführt 442 v. Chr., und beschreibt, wie der «Naturgewaltiger» die Erde pflügt, Tiere fängt und Städte beherrscht. Grenzen zu überschreiten scheint die Natur des Menschen. Stets versucht er, über sich hinauszuwachsen.