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Meister Klecksels Ansichten<br />
Die hohe Wissenschaft der Fachklischees<br />
Ach, wie mir diese Fachklischees auf den<br />
geist gehen. Sie begegnen mir oft, meistens<br />
zur ungünstigsten zeit. Ich denke<br />
mir nichts Böses, stehe völlig unschuldig<br />
mit meinem Bier in der Hand auf einer<br />
Party. Plötzlich die Frage: „Was tun Philosophen<br />
nach dem Studium denn so?<br />
Auf Harz IV warten?“ zur Antwort würde<br />
ich inzwischen am liebsten einen Sekundanten<br />
ernennen und mich auf der Stelle<br />
mit dem Frager duellieren. Bis einer tot<br />
ist. Problem gelöst, Frage geklärt. Macht<br />
sich denn niemand darüber gedanken,<br />
dass Klischees über Studiengänge erstens<br />
unnütz und zweitens nervig sind? oK,<br />
vielleicht etwas viel verlangt. Doch zumindest<br />
die gröbsten Fettnäpfchen sollte man<br />
kennen. Deshalb hier eine kurze Einführung<br />
in die hohe Wissenschaft der Fachklischees<br />
- mit Bitte um absolute Vermeidung.<br />
Sie sind blond, blauäugig, viel zu gutaussehend,<br />
schleimig und meistens grün.<br />
Jedenfalls wenn ihnen schlecht ist. Das<br />
ist nicht selten, denn sie feiern meistens<br />
irgendeine Prüfung, mit viel Alkohol und<br />
schönen Frauen, und natürlich in den angesagtesten<br />
clubs der Stadt. Die Rede ist<br />
von den Wirtschafts-Monstern mit hochgestellten<br />
Hemdkrägen, die überall an<br />
der Uni ihr Unwesen treiben. Es gibt auch<br />
noch die strebsamen Jurastudenten, die<br />
ständig in der Bibliothek sitzen und ihren<br />
BgB-Kommentar auswendig lernen. Neben<br />
ihnen sitzen, brav wie die Hühner auf<br />
der Stange, die Mediziner. Jeder Muskel<br />
wird analysiert, jede Hautfalte benannt<br />
und wer sich jetzt erkundigt, wozu das nötig<br />
ist, bekommt als kurze Auskunft: für<br />
die Prüfung. So lernt man heute – natürlich<br />
fürs Leben.<br />
Wie gut haben es da die geisteswissenschaftler,<br />
die Exoten unter den Studenten.<br />
Von morgens bis abends sitzen<br />
sie vor irgendeinem Buch und lesen. Auch<br />
gespräche über goethe, Kant, Rousseau,<br />
Shakespeare, Alexander den großen oder<br />
das aktuelle Feuilleton führen sie gern.<br />
Dabei wissen sie genau, dass der einzige<br />
Schein, der ihnen später etwas nützen<br />
wird, der Taxischein ist. Was für ein trauriges<br />
Schicksal! Hätten sie doch lieber<br />
Medizin oder Jura studiert, wie’s Muttern<br />
immer gesagt hat.<br />
Einzige Ausnahme sind Mathematiker.<br />
Sie nennen sich zwar ebenfalls geisteswissenschaftler,<br />
aber ihre Jobaussichten<br />
sind besser. Einziges Problem: Ihre sozialen<br />
Kompetenzen sind – gelinde gesagt<br />
- bescheiden. Klar, wer nur über zahlen<br />
und Beweise nachdenkt, sieht wenig Sinn<br />
in gesprächen über Nichtmathematisches.<br />
Auch der Kleidungsstil ist sehr individuell:<br />
Am liebsten tragen sie ausgewaschene<br />
Ac/Dc-T-Shirts oder „Mama zieht mich<br />
an“-Klamotten. Die Folge: Frauen sind<br />
das Lieblingsproblem des Mathematikers,<br />
doch leider liegt die Lösung jenseits mathematischer<br />
Axiome. Welch ein Dilemma!<br />
Vielleicht bastle ich meinem gesprächspartner<br />
bei der nächsten Party einfach<br />
das passende Klischee: „Ah, ein Bachelor-<br />
Student! Armer Tropf. Ich hab gehört, der<br />
Bachelor soll so stressig sein. Bist du kurz<br />
vor dem Abbrechen oder schluckst du<br />
schon Psychopharmaka?“ Wenn er schreiend<br />
wegrennt, haben wir zumindest beide,<br />
was uns gebührt: Er hat eine Erkenntnis<br />
gewonnen und ich meine Ruhe.<br />
Text: Axel Herber