Der Untergeher - Schauspielhaus Graz
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Thomas Bernhard spricht in Ferry Radax’ Film Drei Tage über die Einsamkeit und darüber,<br />
dass praktisch jeder allein ist. Schreibt man ein Buch, dann ist man noch sehr viel mehr<br />
allein. Man wechselt die Städte in immer kürzeren Abständen, flieht nach Rom oder Brüssel<br />
oder Madrid oder Wien, lässt sich treiben und ist doch immer mit sich und der eigenen<br />
Arbeit allein. Und diese Arbeit ist immer scheußlich, denn sich verständlich machen, ist, so<br />
sagt Bernhard, sowieso unmöglich. In <strong>Der</strong> <strong>Untergeher</strong> kommt der Ich-Erzähler, der Autor, zu<br />
dem Schluss, dass Wertheimer sein Alleinsein nicht ausgehalten hat. Vielleicht hat es aber<br />
auch nur den Anschein, als ginge es um die Ursache von Wertheimers Selbstmord, während<br />
es tatsächlich darum geht, wie man dieses Alleinsein überlebt, es bewältigt. Wie schafft man<br />
es, wenn man der Übriggebliebene oder der Überlebende ist? Wie bewältigt man das<br />
Alleinsein?<br />
Aber es handelt sich auch um eine selbstgewählte Isolation. Im Text heißt es im Bezug auf<br />
den Autor, Wertheimer und Glenn Gould: „Alle drei waren wir die geborenen<br />
Verrammlungsfanatiker.“<br />
Es geht um die totale Akzeptanz der Tatsache, dass man allein auf der Welt ist. Das ganze<br />
andere drum herum ist nur Brimborium. Man muss die Dinge unterbrechen und abreißen,<br />
weil es nur Versuche sind, dem zu entkommen. Die Art, wie der Autor über Glenn Gould und<br />
dessen Rückzug, über Wertheimer und dessen Rückzug, wie er über seinen eigenen Rückzug<br />
nachdenkt, behandelt nicht nur die Frage, wie man das Alleinsein überleben kann, sondern<br />
wie man das auch erleben muss – und zwar so konsequent wie möglich. Bernhard sagt im<br />
Interview mit Radax, man müsse es schaffen, in diese Finsternis hineinzugehen.<br />
Man könnte also sagen, der Erzähler ist der einzige, der mit dem Alleinsein klarkommt, weil<br />
er konsequent darüber nachdenkt und sich dem aussetzt. Er ist ein Übriggebliebener. Es gibt<br />
zwei Tote, und damit muss er jetzt leben.<br />
Und aus dem Nachdenken über Glenn Gould, Wertheimer und sich selbst entsteht ja dann<br />
doch etwas anderes: die zuvor nie vollendete Abhandlung über Glenn Gould, eben das Buch<br />
<strong>Der</strong> <strong>Untergeher</strong>, das man als Leser in Händen hält.<br />
Dann steht am Ende nicht das Scheitern?<br />
Natürlich beschäftigt sich <strong>Der</strong> <strong>Untergeher</strong> mit dem Selbstmord Wertheimers, mit dem<br />
Scheitern eines mittelmäßigen Musikers am außerordentlichen Genie Glenn Gould, und<br />
natürlich reflektiert der Ich-Erzähler in der typisch Bernhard schen Manier über dieses<br />
Scheitern, aber immer wieder befreit sich dann eine fast heitere Gelassenheit. Man muss<br />
anerkennen, dass jemand anderes besser ist und man selbst eben nicht der Größte werden<br />
kann. Doch das ist eben nichts Negatives, nichts Deprimierendes, sondern seltsamerweise<br />
etwas merkwürdig Utopisches. <strong>Der</strong> Erzähler sagt, Wertheimer war nicht imstande, „sich<br />
selbst als ein Einmaliges zu sehen, wie es sich jeder leisten kann und muß, will er nicht<br />
verzweifeln, gleich was für ein Mensch, er ist ein einmaliger, sage ich selbst mir immer<br />
wieder und bin gerettet.“<br />
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