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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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Titelthema<br />

Schwerpunkte<br />

gie verstanden werden. 54 Im interkulturellen Vergleich erscheint der<br />

kontemporäre abendländische Umgang mit Homosexualität insgesamt<br />

weder als einzig naturgegeben noch als alternativlos. Als Fallbeispiel<br />

soll ein kurzer Ausblick auf die Hochkulturen Asiens dienen.<br />

Im chinesischen Kulturkreis ist es nie zu einer eigenen Definition von<br />

Homosexualität als Identität gekommen. <strong>Die</strong> reichhaltig überlieferte<br />

chinesische Literatur <strong>und</strong> Geschichtsschreibung deutet allerdings auf<br />

eine geläufige <strong>und</strong> offene Präsenz homoerotischer Verhaltensweisen<br />

in allen Gesellschaftsschichten hin. <strong>Die</strong> klassische chinesische Kultur<br />

entwickelte kein Verständnis bestimmter Formen von Sexualität<br />

als apriorisch sündhafter Verfehlung, sondern bewertete Sexualität<br />

im Kontext von sozialem Verhalten. In taoistischer Perspektive war<br />

Sexualität jeder Spielart als Prinzip des Austausches miteinander<br />

akzeptiert, der Konfuzianismus tolerierte homosexuelles Verhalten<br />

als Ausdruck von Hierarchie in Männergesellschaften. Eine Verortung<br />

von Sexualität allgemein <strong>und</strong> Homosexualität speziell in einem<br />

juristisch-moralischen anstatt in einem spirituell-sozialen Diskurs<br />

erfolgte erst in der chinesischen Neuzeit, nach intensivem Kontakt<br />

mit den europäischen Mächten.<br />

In der Kultur des japanischen Mittelalters wurde homosexuelles<br />

Verhalten in zentral gesellschaftsstützender Form geradezu institutionalisiert.<br />

Aus dem chinesischen Buddhismus hatte die japanische<br />

Kultur das Vorbild einer ursprünglich mönchischen Meister-Schüler-Beziehung<br />

mit erotischer Komponente übernommen. <strong>Die</strong>se elitäre<br />

Lehr- <strong>und</strong> Gemeinschaftsverbindung wurde zur Keimzelle der<br />

Samuraigesellschaft. Es war Sitte, dass ältere Samurai (mindestens)<br />

einen jüngeren Mann als Schüler, Günstling <strong>und</strong> Geliebten erwählten,<br />

ein lebenslang andauerndes Verhältnis gegenseitiger Treue <strong>und</strong><br />

Verpflichtung. Unter diesen Vorzeichen war homoerotisches Verlangen<br />

gesellschaftlich völlig akzeptiert <strong>und</strong> in allen Ständen verbreitet,<br />

bis es im Zuge der Meiji-Restauration erst als überkommenes<br />

Relikt der Feudalzeit gewertet <strong>und</strong> nach der Entfremdung Japans<br />

vom Westen als europäische Entartung umgedeutet wurde. 55 Noch<br />

heute differenziert die japanische Szene zwischen der homosexuellen<br />

Identitätsbildung nach europäischem Vorbild <strong>und</strong> der klassisch japanischen<br />

„Männerliebe“ als Ausdruck von Hierarchie <strong>und</strong> Respekt. 56<br />

<strong>Die</strong> japanische Sprache kennt zahlreiche positiv konnotierte Begriffe<br />

für homosexuelles Verhalten. 57<br />

Der Islam als Mittelpunkt zwischen Asien <strong>und</strong> Europa wird im<br />

21. Jahrh<strong>und</strong>ert als besonders homophobe Kultur wahrgenommen.<br />

Gr<strong>und</strong>lage der dominierenden Ablehnung homosexuellen Verhaltens<br />

ist die Klassifizierung desselben als moralisch, rechtlich <strong>und</strong><br />

religiös verdammenswert (harām) <strong>und</strong> damit für den Gläubigen verboten.<br />

<strong>Die</strong>se Bewertung fußt auf Koranstellen 58 <strong>und</strong> verschiedenen<br />

Hadithen <strong>und</strong> fügt sich in das tendenziell restriktive islamische Sexualverständnis<br />

ein, welches streng vor allem nach männlichen <strong>und</strong><br />

weiblichen Verhaltensweisen unterscheidet <strong>und</strong> Grenzüberschreitungen<br />

nicht toleriert. Paradoxerweise ist die klassisch islamische<br />

Kunst dennoch reich an Werken mit eindeutig homoerotischer Thematik<br />

<strong>und</strong> sämtliche islamischen Kulturen zwischen Spanien <strong>und</strong><br />

54 Wallace, Lee, Zur Entdeckung der Homosexualität: Interkulturelle Vergleiche <strong>und</strong> die Geschichte<br />

der Sexualität, in: Aldrich (wie Anm. 13), S. 249-270, hier S. 269.<br />

55 Vgl. Crompton (wie Anm. 11), S. 214ff. für den chinesischen, S. 411ff. für den japanischen Kulturkreis,<br />

<strong>und</strong> Carton, Adrian, Lust <strong>und</strong> gleichgeschlechtliche Liebe in Asien, in: Aldrich (wie Anm. 13), S.<br />

303-323.<br />

56 Königsberg, Matthew, Importierte Tabus. Wie die moderne japanische Kritik mit dem schwulen<br />

Erbe Ihara Saikakus verfährt, in: Runte (wie Anm. 35), S. 219-242, hier S. 224.<br />

57 Etwa das Lehnwort aus dem Chinesischen Nanshoku („männliche Farben“, wobei das Zeichen für<br />

„Farben“ auch „sexuelles Vergnügen“ bedeuten kann), Wakashudō („Weg der Jünglinge“) oder Bidō<br />

(„Schöner Weg“).<br />

58 <strong>Die</strong> einschlägige Textstelle in Sure 4,16 ist dabei weitaus weniger fatal als die entsprechenden Vorschriften<br />

aus dem Alten <strong>und</strong> Neuen Testament der Bibel, da sie die Möglichkeit der Verzeihung kennt.<br />

Zentralasien haben gleichgeschlechtliche Verhaltensweisen gerade<br />

zwischen männlichen Jugendlichen geradezu gefördert. Noch im<br />

frühen 20. Jahrh<strong>und</strong>ert gab es regelrechten Tourismus aus Europa<br />

in die wesentlich toleranteren Gebiete des islamischen Mittelmeerraumes.<br />

59 <strong>Die</strong>s war möglich, da für die meisten Schulen des islamischreligiösen<br />

Rechts, der Schari´a, nicht homoerotisches Verhalten an<br />

sich, sondern genauer der praktizierte <strong>und</strong> durch Zeugen nachgewiesene<br />

Analverkehr unter Männern (liwāt) ein hadd-Vergehen war,<br />

also eine Sünde gegen Gott, <strong>und</strong> damit ebenso kapital zu bestrafen<br />

wie beispielsweise Ehebruch (zinā). Praktisch war die Verfolgung<br />

<strong>und</strong> Bestrafung von liwāt allerdings selten, da die für eine Verurteilung<br />

notwendigen mehrfachen Zeugenaussagen kaum zu erbringen<br />

waren.<br />

<strong>Die</strong> Idee einer (rechtlich zu verfolgenden) Lebensform Homosexualität<br />

ist in diesen Vorstellungen nicht enthalten, sie wurde erst im<br />

Kontakt mit den Europäern entwickelt. Im Kontext der Politisierung<br />

des Islam in der postkolonialen Phase wurde diese Erscheinung als<br />

typisch europäisch <strong>und</strong> damit abzulehnen klassifiziert, ja durch ein<br />

Lehnwort aus dem Englischen – schudūd dschinsī, „sexual deviance“<br />

– überhaupt erst begrifflich gefasst.<br />

<strong>Die</strong> moderne Perspektive auf den Islam wird besonders durch die<br />

afghanischen f<strong>und</strong>amentalistischen Taliban geprägt, die unter anderem<br />

auch liwāt als außergewöhnliches Verbrechen behandeln<br />

<strong>und</strong> zum Schutze der öffentlichen Ordnung (siyāsatan) quasi standrechtlich<br />

aburteilen- ein Vorgehen, welches die meisten islamischen<br />

Rechtsschulen ablehnen. Im ebenfalls für regelmäßige Hinrichtungen<br />

von Homosexuellen bekannten Iran gilt der schiitische Islam;<br />

die Rechtsschule der Zwölfer-Schia erlaubt für hadd-Vergehen<br />

Indizienbeweise, was eine regelmäßige Verurteilung möglich macht. 60<br />

Trotz der dezidiert antiwestlichen Konnotation, die Homosexualität<br />

gerade in modernen islamischen Staatsgebilden also erfährt, muss<br />

sicherlich bilanziert werden, dass die tendenzielle Homophobie<br />

im islamischen Kulturraum in weltweit einzigartiger Weise der des<br />

jüdisch-christlichen Kulturkreises ähnelt. Eine Ursache dieser Ähnlichkeit<br />

in einem gemeinsamen buchreligiösen Hintergr<strong>und</strong> kann<br />

nur vermutet werden. 61<br />

C. BIOLOGISCHE ASPEKTE<br />

Aus evolutionsbiologischer Sicht ist die Existenz homosexuellen Verhaltens<br />

ein Paradoxon. Ein rein homosexuell lebendes Individuum<br />

wird sich nicht fortpflanzen <strong>und</strong> kann somit sein Erbgut nicht an die<br />

nächste Generation weitergeben. Gemessen am Fortpflanzungserfolg<br />

sollten sich daher Selektionsfaktoren, die homosexuelles Verhalten<br />

fördern, entweder gar nicht erst in einer Population verbreiten können<br />

oder aus der betreffenden Population ausselektiert werden. 62<br />

<strong>Die</strong>se gr<strong>und</strong>sätzliche Überlegung unterstützte zunächst die Thesen<br />

jener Gruppen, die historisch <strong>und</strong> religiös bedingt homosexuellem<br />

Verhalten ablehnend gegenüber stehen <strong>und</strong> argumentieren, dass<br />

die Homosexualität widernatürlich <strong>und</strong> damit verwerflich sei. 63 Im<br />

59 Vgl. Patane, Vincenzo, Homosexualität im Nahen <strong>und</strong> Mittleren Osten <strong>und</strong> in Nordafrika, in: Aldrich<br />

(wie Anm. 13), S. 271-302.<br />

60 Vgl. Peters, Rudolph, Crime and Punishment in Islamic Law, Cambridge 2005 <strong>und</strong> weiterführend<br />

Klauda, Georg, <strong>Die</strong> Verteibung aus dem Serail. Europa <strong>und</strong> die Heteronormierung der islamischen Welt,<br />

Hamburg 2008.<br />

61 Der Begriff liwāt etwa ist etymologisch auf Lot zurückzuführen, den Protagonisten auch der biblischen<br />

Sodom-Erzählung.<br />

62 Vgl. Kirkpatrick, R.C., The Evolution of Human Homosexual Behaviour, Curr. Anthr. 2000, 41 S.<br />

385 – 412.<br />

63 Vgl. Bibel, Römer 1,26 – 27 <strong>Die</strong>se Passage wird häufig in Diskursen angeführt in denen homosexuelles<br />

Verhalten anhand von christlich-religiösen Werten beurteilt wird; der Apostel Paulus verurteilt an<br />

der angegebenen Stelle unter Anderem die Homosexualität als Sünde.<br />

170<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 3 / 2011

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