Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio
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Titelthema<br />
MEDIZINRECHT – EINFÜHRUNG UND AKTUELLE ENTWICKLUNGEN<br />
von Rechtsanwalt Dr. Sebastian Rosenberg, M.mel. (Berlin)<br />
A. EINLEITUNG<br />
Sebastian Rosenberg ist Rechtsanwalt in der vorwiegend im<br />
Medizinrecht tätigen Kanzlei <strong>Die</strong>rks + Bohle in Berlin. Den<br />
Schwerpunkt seiner anwaltlichen Tätigkeit bilden das Arzneimittelrecht<br />
<strong>und</strong> das Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung.<br />
Unter anderem gehört die Beratung von nationalen <strong>und</strong><br />
internationalen Leistungserbringern im Ges<strong>und</strong>heitsbereich<br />
in vertrags-, berufs-, datenschutz-, vergütungs- <strong>und</strong> wettbewerbsrechtlichen<br />
Angelegenheiten zu seiner Tätigkeit.<br />
I. MEDIZINRECHT ALS EIGENSTÄNDIGES RECHTSGEBIET?<br />
Den besonderen Fragen, die sich im Bereich des Medizinrechts stellen<br />
<strong>und</strong> deren Beantwortung einer erhöhten rechtlichen Fachkenntnis<br />
des Bearbeiters bedarf, trägt die B<strong>und</strong>esrechtsanwaltskammer<br />
mit der Einführung des Titels: „Fachanwalt für Medizinrecht“ in<br />
2004 Rechnung. „Medizinrecht“ ist nicht erst seitdem ein gebräuchlicher<br />
Begriff – auch für ein eigenständiges Rechtsgebiet gleichen<br />
Namens? Eine verbindliche Definition für den Begriff „Rechtsgebiet“<br />
gibt es nicht. Klassische (anerkannte) Rechtsgebiete sind das Privatrecht,<br />
das Öffentliche Recht, das Strafrecht <strong>und</strong> nach Ansicht vieler<br />
auch das Arbeitsrecht. Weder die Grenzziehung zwischen, noch die<br />
Abgrenzung zu diesen Rechtsgebieten ist im Medizinrecht möglich 1 .<br />
Sowohl privat-, öffentlich- <strong>und</strong> arbeitsrechtliche Fragestellungen <strong>und</strong><br />
bisweilen auch strafrechtliche Probleme sind in medizinrechtlichen<br />
Sachverhalten zu lösen. Das Medizinrecht ist somit unter formaler<br />
Betrachtung zwar kein eigenständiges „Rechtsgebiet“ in dem oben<br />
genannten Sinne aber seit Jahren der anerkannte Begriff für die<br />
Gesamtheit der im Ges<strong>und</strong>heitsbereich bestehenden rechtlichen<br />
Fragestellungen. Das Medizinrecht wird also vom Gegenstand 2 bzw.<br />
von den Beteiligten/Betroffenen her benannt. Vielleicht präziser, jedenfalls<br />
aber umfassender ist der ebenfalls verwendete Begriff Medizin-<br />
<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsrecht 3 , der darauf abzielt, alle erdenklichen<br />
Sachverhalte im Ges<strong>und</strong>heitsbereich, insbesondere auch die des Ges<strong>und</strong>heitssystems<br />
an sich (Recht der gesetzlichen <strong>und</strong> privaten Krankenversicherung)<br />
zu erfassen, ohne etwaigen Limitierungen aus dem<br />
Begriff „(Schul-) Medizin“ unterliegen zu müssen.<br />
Bestimmt sich also der Begriff „Medizinrecht“ nach seinem Gegenstand,<br />
scheint die Erfassung <strong>und</strong> Eingrenzung der Rechtsfragen<br />
leicht möglich zu sein. Der Schein kann aber trügen, erkennt man<br />
die vielen Beteiligten <strong>und</strong> denkbaren Konstellationen im Ges<strong>und</strong>heitsbereich,<br />
die die Anwendbarkeit <strong>und</strong> Wechselwirkungen einer<br />
Vielzahl von Gesetzen, Verordnungen, Richt- <strong>und</strong> Leitlinien sowie<br />
Empfehlungen auslösen. Hinzu kommt der Einfluss von staatlichen<br />
<strong>und</strong> nicht-staatlichen Institutionen (Kassenärztliche Vereinigungen,<br />
(B<strong>und</strong>es-)Ärztekammer, Krankenkassenverbände z.B.) im Rahmen<br />
des Apparates der „Selbstverwaltung in der Gesetzlichen Kranken-<br />
1 Vgl. auch Stellpflug/Meier/Tadayon (Hrsg.), Handbuch Medizinrecht, 20. Aktualisierung, Vorwort,<br />
S. 1.<br />
2 So Deutsch/Spickhoff, Medizinrecht, 6. Auflage, 2008, S. 4, I, Rn. 1.<br />
3 Auch wenn dem ein weiter Begriff der „Ges<strong>und</strong>heit“ zugr<strong>und</strong>e liegt. <strong>Die</strong> WHO bezeichnet Ges<strong>und</strong>heit<br />
als Zustand des vollkommenen körperlichen, seelischen <strong>und</strong> sozialen Wohlbefindens, „Constitution<br />
of the WHO“ v. 1946, S. 2; Vgl. auch Deutsch, ebd.; Der englische Begriff: „Health Care and Life<br />
Sciences“ dürfte insofern am treffendsten sein.<br />
versicherung“, dem die gesetzgeberische Vermutung zugr<strong>und</strong>e liegt,<br />
dass sich die Expertise für Detailregelungen aus dem Expertenkreis<br />
selbst ergibt.<br />
II. AKTUALITÄT ALS WESENSMERKMAL DES MEDIZINRECHTS<br />
Das Medizin- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsrecht ist geprägt von stets aktuellen<br />
Entwicklungen. Insbesondere in der medizinischen Wissenschaft ist<br />
der technische Fortschritt ständiger Begleiter <strong>und</strong> Auslöser für innovative<br />
Behandlungs- oder Untersuchungsmethoden. Mindestens<br />
genauso präsent bei medizinrechtlichen Fragen sind Zweckmäßigkeits-<br />
<strong>und</strong> Wirtschaftlichkeitsüberlegungen in Anbetracht des Solidarprinzips,<br />
das dem Ges<strong>und</strong>heitssystem zugr<strong>und</strong>e liegt. Der stetige<br />
Fortschritt in der medizinischen Wissenschaft einerseits <strong>und</strong> der<br />
politische Kostendruck andererseits zwingen zu Entscheidungen,<br />
Kompromissen <strong>und</strong> nicht selten zu Streitigkeiten zwischen den im<br />
Ges<strong>und</strong>heitsbereich tätigen Akteuren, denen nicht zuletzt die Frage<br />
zugr<strong>und</strong>e liegen kann, ob wir etwas tun müssen bzw. dürfen, nur weil<br />
wir es (technisch) können. Fragen der Allokation, Rationierung <strong>und</strong><br />
Priorisierung spielen dabei immer eine Rolle 4 . Ein Ausgleich zwischen<br />
den divergierenden Interessenlagen ist dem Gesetzgeber häufig<br />
nur im Wege der Reaktion möglich. Ges<strong>und</strong>heitsreformgesetze<br />
- meist mit dem Ziel der Kostenersparnis für das Solidarsystem - führen<br />
in Abständen von bis zu wenigen Monaten zu einem ständigen<br />
Anpassungsdruck, kreieren aber auch neue Chancen für Erbringer<br />
<strong>und</strong> Empfänger von Ges<strong>und</strong>heitsleistungen insbesondere in der Gesetzlichen<br />
Krankenversicherung (GKV).<br />
Für angehende <strong>Juristen</strong> bietet sich die Gelegenheit der Spezialisierung<br />
auf teilweise „unbetretenen Pfaden“ in einem stets politischen<br />
<strong>und</strong> nie statischen Tätigkeitsfeld. Medizinisch-pharmazeutische<br />
Kenntnisse sind dafür zwar nicht notwendige Voraussetzung, ein gewisses<br />
Interesse aber von Vorteil.<br />
Der Artikel soll einen ersten Überblick über die Regelungsdichte<br />
<strong>und</strong> Normzusammenhänge im Medizin- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsrecht geben<br />
<strong>und</strong> macht einen Vorschlag zur Gliederung dieses nach wie vor<br />
vergleichsweise <strong>junge</strong>n Beratungsbereichs.<br />
B. VORSCHLAG EINER SYSTEMATISCHEN GLIEDERUNG<br />
<strong>Die</strong> Fachanwaltsordnung sieht als Voraussetzung für den Erwerb<br />
des Fachanwaltstitels im Medizinrecht den Nachweis besonderer<br />
Kenntnisse in den folgenden „Bereichen“ vor:<br />
1. Recht der medizinischen Behandlung, insbesondere<br />
a) zivilrechtliche Haftung,<br />
b) strafrechtliche Haftung,<br />
2. Recht der privaten <strong>und</strong> gesetzlichen Krankenversicherung, insbesondere<br />
Vertragsarzt- <strong>und</strong> Vertragszahnarztrecht, sowie Gr<strong>und</strong>züge<br />
der Pflegeversicherung,<br />
3. Berufsrecht der Heilberufe, insbesondere<br />
a) ärztliches Berufsrecht,<br />
b) Gr<strong>und</strong>züge des Berufsrechts sonstiger Heilberufe,<br />
4 Vgl. zu Allokation, Rationierung, Priorisierung den gleichnamigen Aufsatz von Welti, MedR 2010,<br />
379-387.<br />
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<strong>Iurratio</strong><br />
Ausgabe 3 / 2011