16.11.2012 Aufrufe

Praktiker-Erfahrungsaustausch im Rahmen der Evaluierung des ...

Praktiker-Erfahrungsaustausch im Rahmen der Evaluierung des ...

Praktiker-Erfahrungsaustausch im Rahmen der Evaluierung des ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Anlagenband I<br />

zum Bericht zur <strong>Evaluierung</strong> <strong>des</strong><br />

Gesetzes zur Steuerung und<br />

Begrenzung <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung<br />

und zur Regelung <strong>des</strong><br />

Aufenthalts und <strong>der</strong> Integration<br />

von Unionsbürgern und Auslän<strong>der</strong>n<br />

(Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz)<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong><br />

<strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> <strong>Evaluierung</strong><br />

<strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

am 30. und 31. März 2006<br />

<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

in Berlin


1<br />

Inhaltsververzeichnis<br />

1. Tagesordnung 4<br />

2. Teilnehmerliste 8<br />

3. Stellungnahmen 14<br />

3.1 Arbeitsmigration<br />

3.1.1 Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit 14<br />

3.1.2 Auslän<strong>der</strong>behörde Hamburg 18<br />

3.1.3 Bun<strong>des</strong>vereinigung <strong>der</strong> Deutschen<br />

Arbeitgeberverbände 24<br />

3.1.4 Deutscher Industrie- und Handelskammertag 30<br />

3.1.5 Deutscher Gewerkschaftsbund 40<br />

3.2 Innere Sicherheit, T errorismusbekämpfung<br />

3.2.1 Auslän<strong>der</strong>behörde Köln 52<br />

3.2.2 Bayerisches Staatsministerium<br />

<strong>des</strong> Innern 60<br />

3.2.3 Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge 64<br />

3.2.4 Rechtsanwalt Pfaff, Frankfurt/M. 70<br />

3.3 Humanitäre Aufenthalte, Bleiberechtsreglungen,<br />

Asylverfahren und Illegalität<br />

3.3.1 VRiVG Armbruster, VG Sigmaringen 76


3.3.2 Auslän<strong>der</strong>behörde München 84<br />

3.3.3 RiVG Dienelt, VG Darmstadt 90<br />

3.3.4 UNHCR 106<br />

3.3.5 Innenministerium <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong><br />

2<br />

Nordrhein-Westfalen 110<br />

3.3.6 Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge 142<br />

3.3.7 Hessisches Ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

und für Sport 152<br />

3.3.8 Kommissariat <strong>der</strong> Deutschen<br />

Bischöfe 156<br />

3.3.9 Malteser Migranten Medizin 164<br />

3.3.10 Rechtsanwalt Dr. Marx, Frankfurt/M. 168<br />

3.4 Rückführung<br />

3.4.1 Amt für Auslän<strong>der</strong>angelegenheiten Trier 204<br />

3.4.2 Zentrale Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

Dortmund 208<br />

3.4.3 Zentrale Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

Düsseldorf 212<br />

3.4.4 Nie<strong>der</strong>sächsisches Ministerium<br />

für Inneres und Sport 220<br />

3.4.5 Bun<strong>des</strong>polizeidirektion 224<br />

3.5a Familiennachzug<br />

3.5a.1 Auswärtiges Amt 228<br />

3.5a.2 Auslän<strong>der</strong>behörde München 240<br />

3.5a.3 Verband binationaler Familien, iaf e.V. 244


3.5b Spätaussiedler<br />

3<br />

Bun<strong>des</strong>verwaltungsamt 254<br />

3.6 Integration und Gesellschaft<br />

3.6.1 Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge 260<br />

3.6.2 Türkische Gemeinde in Deutschland e.V. 266<br />

3.6.3 Prof. John, Auslän<strong>der</strong>beauftragte<br />

<strong>des</strong> Senats von Berlin a. D. 270<br />

3.6.4 Jobcenter Kiel 272<br />

3.6.5 Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und<br />

Sozialordnung, Familie und Frauen 280<br />

3.6.6 Einwohner- und Integrationsamt Wiesbaden 290<br />

3.6.7 Interkulturelle Bildung Hamburg e.V. 300<br />

3.7 Staatsangehörigkeit<br />

3.7.1 Regierungspräsidium Darmstadt 302<br />

3.7.2 Senatsverwaltung für Inneres Berlin 306<br />

4. Wortprotokoll<br />

Inhaltsübersicht 310


13.00 Uhr<br />

4<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong><br />

<strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> <strong>Evaluierung</strong> <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

am 30. und 31. März 2006 <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>haus<br />

Erster Sitzungstag am 30. März 2006<br />

Beginn <strong>der</strong> Veranstaltung<br />

13:00 – 13.15 Uhr Begrüßung durch<br />

Herrn Bun<strong>des</strong>minister Dr. Schäuble<br />

13:15 – 13.30 Uhr Einführung in die Thematik durch<br />

Herrn Abteilungsleiter Dr. Lehnguth<br />

1. Thema: Arbeitsmigration<br />

13:30 – 14.30 Uhr Statements:<br />

• Herr Staible<br />

(Teamleiter in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit)<br />

• Herr Bruhns<br />

(Leiter <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>abteilung <strong>der</strong> Stadt Hamburg)<br />

• Frau Houben<br />

(Stellvertretende Abteilungsleiterin in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>vereinigung <strong>der</strong> Deutschen<br />

Arbeitgeberverbände)<br />

• Herr Dr. Dercks<br />

(stellvertreten<strong>der</strong> Hauptgeschäftsführer <strong>im</strong> DIHK)<br />

• Herr Roßocha<br />

(DGB-Bun<strong>des</strong>vorstand)<br />

14.30 – 15.30 Uhr Fragerunde<br />

15.30 – 16.00 Uhr Pause<br />

2. Thema: Innere Sicherheit, Terrorismusbekämpfung<br />

16.00 – 16.45 Uhr Statements:<br />

• Frau Dahmen<br />

(Leiterin <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Köln)<br />

• Herr Kempfler<br />

(Bayerisches Staatsministerium <strong>des</strong> Innern, AG BIRGIT)<br />

• Herr Sprung<br />

(Abteilungspräsident <strong>im</strong> BAMF)<br />

• Herr Pfaff<br />

(Rechtsanwalt)<br />

16.45 – 17.45 Uhr Fragerunde<br />

17.45 – 18.15 Uhr Pause


5<br />

3. Thema: Humanitäre Aufenthalte, Bleiberechtsregelungen,<br />

Asylverfahren, Illegalität<br />

18.15 – 19.45 Uhr Statements:<br />

• Herr Armbruster<br />

(VRiVG be<strong>im</strong> VG Sigmaringen)<br />

• Frau Vollmer<br />

(Leiterin <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde München)<br />

• Herr Sprung<br />

(Abteilungspräsident <strong>im</strong> BAMF)<br />

• Herr Weber<br />

(Innenministerium <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nordrhein-Westfalen, Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Härtefallkommission)<br />

• Herr Schmäing<br />

(Referatsleiter <strong>im</strong> Hessischen Ministerium <strong>des</strong> Innern und für Sport)<br />

• Herr Dr. Dienelt<br />

(RiVG be<strong>im</strong> VG Darmstadt)<br />

• Herr Dr. Bank<br />

(Rechtsberater be<strong>im</strong> UNHCR)<br />

• Frau Allenberg / Frau Dr. Franz<br />

(EKD) (Diözesangeschäftsstelle <strong>des</strong> MHD)<br />

• Herr Dr. Marx<br />

(Rechtsanwalt)<br />

19.45 – 21.30 Uhr Fragerunde<br />

21.30 Uhr<br />

Ende <strong>des</strong> ersten Sitzungstages<br />

Zweiter Sitzungstag am 31. März 2006<br />

8.30 Uhr Beginn <strong>des</strong> zweiten Sitzungstages<br />

4. Thema: Rückführung<br />

8:30 – 9.25 Uhr Statements:<br />

• Herr Martini-Emden<br />

(Leiter <strong>des</strong> Amtes für Auslän<strong>der</strong>angelegenheiten und <strong>der</strong> Clearingstelle<br />

RP für Passersatzbeschaffung und Flugabschiebung bei <strong>der</strong> Stadt<br />

Trier)<br />

9.25 – 10.15 Uhr Fragerunde<br />

10.15 – 10.30 Uhr Pause<br />

• Herr Weller<br />

(Leiter <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Dortmund)<br />

• Herr Lindemann<br />

(Leiter <strong>der</strong> zentralen Auslän<strong>der</strong>behörde <strong>der</strong> Stadt Düsseldorf)<br />

• Frau Stellmacher<br />

(Stellvertretende Referatsleiterin <strong>im</strong> Nie<strong>der</strong>sächsischen Ministerium für<br />

Inneres und Sport)<br />

• Frau Hitz<br />

(Sachgebietsleiterin in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>polizeidirektion)


5. Thema: a) Familiennachzug;<br />

b) Spätaussiedler<br />

10.30 – 12.45 Uhr Statements:<br />

• zu a) Frau Vollmer<br />

(Leiterin <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde München)<br />

6<br />

• zu a) Frau Stöcker-Zafari<br />

(Verband binationaler Familien und Partnerschaften e. V.)<br />

• zu a) Herr Botzet<br />

(Referatsleiter <strong>im</strong> AA)<br />

12.45 – 13.45 Uhr Fragerunde<br />

13.45 – 14.45 Uhr Mittagspause<br />

• zu b) Herr Maßolle<br />

(Abteilungsleiter <strong>im</strong> BVA)<br />

6. Thema: Integration und Gesellschaft<br />

14:45 – 16.00 Uhr Statements:<br />

• Herr Dr. Griesbeck<br />

(Abteilungspräsident <strong>im</strong> BAMF)<br />

16.00 – 17.20 Uhr Fragerunde<br />

17.20 – 17.45 Uhr Pause<br />

• Frau Prof. John<br />

(Auslän<strong>der</strong>beauftragte <strong>des</strong> Senats von Berlin a. D.;<br />

Mitglied <strong>der</strong> Bewertungskommission nach § 21 IntV)<br />

• Herr Stöcken<br />

(Geschäftsführer <strong>des</strong> Jobcenters Kiel)<br />

• Herr Huber<br />

(Stellvertreten<strong>der</strong> Referatsleiter <strong>im</strong> Bayerischen Staatsministerium für<br />

Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen)<br />

• Herr Kolat<br />

(Bun<strong>des</strong>vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Türkischen Gemeinde in Deutschland)<br />

• Frau Rudolph<br />

(Abteilungsleiterin <strong>im</strong> Einwohner- und Integrationsamt<br />

<strong>der</strong> Stadt Wiesbaden)<br />

• Herr Hempel<br />

(Interkulturelle Bildung Hamburg e.V.)<br />

7. Thema: Staatsangehörigkeit<br />

17.45 – 18.00 Uhr Statements:<br />

• Herr Jungnickel<br />

(Regierungspräsidium Darmstadt)<br />

• Herr Stichaner<br />

(Senatsverwaltung für Inneres Berlin)<br />

18.00 – 19.00 Uhr Fragerunde<br />

ca. 19. 00 Uhr<br />

Ende <strong>der</strong> Veranstaltung<br />

(Hinweis: Ggf. kann sich das Ende zeitlich nach hinten verschieben.)


Nele Allenberg<br />

Juristische Referentin<br />

Peter Altmaier<br />

Parlamentarischer Staatssekretär<br />

Wolfgang Armbruster<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> Richter am VG<br />

Dr. Roland Bank<br />

Rechtsberater<br />

Hans Georg Baumann<br />

Unterabteilungsleiter<br />

Marko Baumert<br />

Referent<br />

Gudrun Beneicke<br />

Referatsleiterin<br />

Clemens Binninger<br />

MdB<br />

Prof. Dr. Maria Böhmer<br />

Staatsministerin<br />

Reinhard Boos<br />

Referatsleiter<br />

Klaus Botzet<br />

Referatsleiter<br />

Helmut Brandt<br />

MdB<br />

Johannes Brandstäter<br />

Referent<br />

Katharina Breitkreutz<br />

Referentin<br />

Teilnehmer Anschrift<br />

Uwe Bruhns<br />

Stellv. Leiter <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>abteilung<br />

Dr. Michael Bürsch<br />

MdB<br />

Werner Burkart<br />

Beauftragter für Migrations-, Asyl- und<br />

Visafragen<br />

8<br />

Büro <strong>des</strong> Bevollmächtigten <strong>des</strong> Rates <strong>der</strong> EKD bei <strong>der</strong><br />

Bun<strong>des</strong>republik Deutschland<br />

Charlottenstr. 53/54<br />

10117 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Verwaltungsgericht Sigmaringen<br />

Karlstr. 13<br />

72488 Sigmaringen<br />

UNHCR Deutschland<br />

Wallstr. 9 - 13<br />

10179 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>der</strong> Justiz<br />

Mohrenstraße 37<br />

10117 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>der</strong> Justiz<br />

Mohrenstraße 37<br />

10117 Berlin<br />

Innenministerium Mecklenburg-<br />

Vorpommern<br />

19048 Schwerin<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Beauftragte <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>regierung für<br />

Migration, Flüchtlinge und Integration<br />

Alexan<strong>der</strong>platz 6<br />

10178 Berlin<br />

Sächsisches Staatsministerium <strong>des</strong> Innern<br />

01095 Dresden<br />

Auswärtiges Amt<br />

Wer<strong>der</strong>scher Markt 1<br />

10117 Berlin<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Diakonisches Werk <strong>der</strong> EKD e.V.<br />

Reichensteiner Weg 24<br />

14195 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Freie und Hansestadt Hamburg<br />

Behörde für Inneres<br />

Auslän<strong>der</strong>abteilung<br />

Amsinckstr. 34<br />

20097 Hamburg<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Auswärtiges Amt<br />

Wer<strong>der</strong>scher Markt 1<br />

10117 Berlin<br />

Dr. Torsten Christen Bun<strong>des</strong>ministerium für Arbeit und Soziales<br />

Villemombler Str. 76<br />

Roland Conradt<br />

Sachbearbeiter<br />

Sev<strong>im</strong> Dagdelen<br />

MdB<br />

53123 Bonn<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin


Dagmar Dahmen<br />

Leiterin <strong>der</strong> ABH<br />

Dr. Ach<strong>im</strong> Dercks<br />

Stellv. Hauptgeschäftsführer<br />

Dr. Anna Deutelmoser<br />

Referentin<br />

Dr. Klaus Dienelt<br />

Richter am VG<br />

Christa Dieckmann<br />

Referatsleiterin<br />

Heidemarie Donner<br />

Referentin<br />

Petra Ebersohl-Hofmann<br />

Referatsleiterin<br />

Sebastian Edathy<br />

MdB<br />

Siegmund Ehrmann<br />

MdB<br />

Claus Enkler<br />

Referatsleiter<br />

Dagmar Feldgen<br />

Referatsleiterin<br />

Gabriele Fograscher<br />

MdB<br />

9<br />

Amt für öffentliche Ordnung<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

Herkulesstr. 42<br />

50823 Köln<br />

Deutscher Industrie- und Handelskammertag<br />

Breite Straße 29<br />

10178 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

VG Darmstadt<br />

Steubenplatz 14<br />

64293 Darmstadt<br />

Ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Sachsen-Anhalt<br />

Postfach 35 60<br />

39010 Magdeburg<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Ministerium <strong>des</strong> Innern <strong>des</strong> Saarlan<strong>des</strong><br />

Postfach 10 24 41<br />

66024 Saarbrücken<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Innenministerium <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong><br />

Baden-Württemberg<br />

Postfach 10 24 43<br />

70020 Stuttgart<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium für Arbeit und Soziales<br />

Mohrenstraße 62<br />

10117 Berlin<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Boris Franßen-de la CerdaReferent Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Dr. Adelheid Franz Malteser Migrantenmedizin<br />

Aachener Str. 12<br />

Falk Fritzsch<br />

Referent<br />

Dirk Gärtner<br />

Referatsleiter<br />

10713 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Innenministerium <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong><br />

Schleswig-Holstein<br />

Postfach 71 25<br />

24171 Kiel<br />

Frau Gerdsmeier Komissariat <strong>der</strong> Deutschen Bischöfe<br />

Katholisches Büro in Berlin<br />

Hannoversche Str. 5<br />

Carsten Glade<br />

Referent<br />

Ralf Göbel<br />

MdB<br />

Dr. Michael Griesbeck<br />

Abteilungspräsident<br />

10115 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Atl-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge<br />

Frankenstraße 210<br />

90461 Nürnberg


Reinhard Grindel<br />

MdB<br />

Michael Hampel<br />

Referent<br />

Michael Hartmann<br />

MdB<br />

Angelika von Heinz<br />

Referatsleiterin<br />

Amadeus Hempel<br />

Geschäftsführer<br />

Dr. Thomas Herzog<br />

Referatsleiter<br />

Barbara Hitz<br />

Sachgebietsleiterin<br />

Ilka Houben<br />

stellv. Abteilungsleiterin<br />

Helmut Huber<br />

Referent<br />

Evelyn Jäger<br />

Referatsleiterin<br />

Ulla Jelpke<br />

MdB<br />

Prof. Barbara John<br />

Mitglied <strong>der</strong> Bewertungskommission<br />

Martin Jungnickel<br />

Dezernatsleiter<br />

Dr. Rüdiger Kass<br />

Abteilungsleiter<br />

Andreas Keinath<br />

Referent<br />

Klaus Kempfler<br />

Referent<br />

Klemens Kittelmann<br />

Referent<br />

Jörg Klußmann<br />

Referatsleiter<br />

Kristina Köhler<br />

MdB<br />

Kenan Kolat<br />

Bun<strong>des</strong>vorsitzen<strong>der</strong><br />

Daniela Krantz<br />

Referentin<br />

10<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Senatsverwaltung für Inneres Berlin<br />

Klosterstraße 47<br />

10179 Berlin<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium für Familie, Senioren,<br />

Frauen und Jugend<br />

11018 Berlin<br />

Interkulturelle Bildung Hamburg e.V.<br />

Hübbesweg 9<br />

20537 Hamburg<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Graurheindorfer Str. 198<br />

53117 Bonn<br />

Bun<strong>des</strong>polizeidirektion<br />

Roonstraße 13<br />

56068 Koblenz<br />

Bun<strong>des</strong>vereinigung <strong>der</strong> Deutschen Arbeitgeberverbände e.V.<br />

Breite Straße 29<br />

10178 Berlin<br />

Bayerisches Staatsministerium für Arbeit<br />

und Sozialordnung, Familie und Frauen<br />

Winzererstraße 9<br />

80797 München<br />

Innenministerium Schleswig-Holstein<br />

Düsternbrooker Weg 92<br />

24105 Kiel<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Senatschulverwaltung von Berlin<br />

Beuthstraße 6 - 8<br />

10117 Berlin<br />

Regierungspräsidium Darmstadt<br />

64278 Darmstadt<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Ministerium <strong>des</strong> Innern <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Brandenburg<br />

Henning-von-Tresckow-Str. 9 - 13<br />

14467 Potsdam<br />

Bayerisches Staatsministerium <strong>des</strong> Innern<br />

AG BIRGIT<br />

Odeonsplatz 3<br />

80539 München<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Behörde für Inneres <strong>der</strong> Freien<br />

und Hansestadt Hamburg<br />

Johanniswall 4<br />

20095 Hamburg<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Türkische Gemeinde in Deutschland<br />

Tempelhofer Ufer 21<br />

10963 Berlin<br />

Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Brandenburg<br />

Heinrich-Mann-Allee 103<br />

14473 Potsdam


Dr. Sigrid Kraujuttis<br />

Referentin<br />

Malte Krause<br />

Referatsleiter<br />

11<br />

Deutscher Landkreistag<br />

Ulrich-von-Hassell-Haus<br />

Lennéstraße 11<br />

10785 Berlin<br />

Senatsverwaltung für Inneres<br />

Klosterstraße 47<br />

10179 Berlin<br />

Sylvia KühneReferentin Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie <strong>des</strong><br />

Lan<strong>des</strong> Brandenburg<br />

Dr. Gerold Lehnguth<br />

Abteilungsleiter<br />

Frank Lacher<br />

Referent<br />

Manfred Lindemann<br />

Leiter <strong>der</strong> Zentralen Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

Dr. Hans-Georg Maaßen<br />

Referatsleiter<br />

Dr. Oliver Maor<br />

Referent<br />

Lutwin Marchand<br />

Referatsleiter<br />

Dietmar Martini-Emden<br />

Leiter <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Trier und <strong>der</strong><br />

Clearingstelle Rheinland-Pfalz für<br />

Passersatzbeschaffung und Flugabschiebung<br />

Gisela Marggraf<br />

Referatsleiterin<br />

Dr. Reinhard Marx<br />

Rechtsanwalt<br />

Ulrich Maßolle<br />

Abteilungsleiter<br />

Frank Mengel<br />

Referatsleiter<br />

Horst Muth<br />

Referatsleiter<br />

Heinrich-Mann-Allee 10314473 Potsdam<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>der</strong> Justiz<br />

Mohrenstraße 37<br />

10117 Berlin<br />

Zentrale Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

Willi-Becker-Allee 7<br />

40227 Düsseldorf<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium für Arbeit und Soziales<br />

Mohrenstraße 62<br />

10117 Berlin<br />

Amt für Auslän<strong>der</strong>angelegenheiten<br />

Kaiserstraße 18<br />

54290 Trier<br />

Innenministerium <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong><br />

Nordrhein-Westfalen<br />

40190 Düsseldorf<br />

Mainzer Landstr. 127 A<br />

60327 Frankfurt<br />

Bun<strong>des</strong>verwaltungsamt Köln<br />

Barbarastraße 1<br />

50735 Köln<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Ministerium <strong>des</strong> Innern und für Sport<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Rheinland-Pfalz<br />

Postfach 32 80<br />

55022 Mainz<br />

Frie<strong>der</strong>ike Ortmann CDU/CSU-Fraktion <strong>im</strong> Deutschen Bun<strong>des</strong>tag<br />

Wilhelmstraße 60<br />

Dr. Axel Oschmann<br />

Sachbearbeiter<br />

Sibylle Osten<br />

Referentin<br />

Petra Pau<br />

MdB<br />

Victor Pfaff<br />

Rechtsanwalt<br />

Gisela Piltz<br />

MdB<br />

11011 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Auswärtiges Amt<br />

Wer<strong>der</strong>scher Markt 1<br />

10117 Berlin<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Allerheiligentor 2- 4<br />

60311 Frankfurt/Main<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin


Gerold Reichenbach<br />

MdB<br />

Dr. Norbert Riedel<br />

Referatsleiter<br />

Anke Rienitz<br />

Referentin<br />

Franz Romer<br />

MdB<br />

Volker Roßocha<br />

Referent<br />

Jeanine Rudolph<br />

Abteilungsleiterin<br />

Machiel Salomons<br />

Deputy Repräsentative<br />

Katharina Schäfer-Olejnik<br />

Referentin<br />

Dr. Wolfgang Schäuble<br />

Bun<strong>des</strong>minister <strong>des</strong> Innern<br />

Wilfried Schmäing<br />

Referatsleiter<br />

Dr. Albert Schmid<br />

Präsident<br />

Dr. Matthias Schmidt<br />

Referatsleiter<br />

Jürgen Schrö<strong>der</strong><br />

Referent<br />

12<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Auswärtiges Amt<br />

Wer<strong>der</strong>scher Markt 1<br />

10117 Berlin<br />

Senatsverwaltung für Inneres von Berlin<br />

Klosterstraße 47<br />

10179 Berlin<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Deutscher Gewerkschaftsbund<br />

Referat Migrationspolitik<br />

Henriette-Herz-Platz 2<br />

10178 Berlin<br />

Einwohner- und Integrationsamt<br />

Alcide-de-Gasperi-Str. 2<br />

65197 Wiesbaden<br />

UNHCR Deutschland<br />

Wallstr. 9 – 13<br />

10179 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Hessisches Ministerium <strong>des</strong> Innern und für Sport<br />

Postfach 31 67<br />

65021 Wiesbaden<br />

Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge<br />

Frankenstraße 210<br />

90461 Nürnberg<br />

Bun<strong>des</strong>kanzleramt<br />

Willy-Brandt-Str. 1<br />

10557 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium für Arbeit und Soziales<br />

Mohrenstraße 62<br />

Dorothea Schuk<br />

10117 Berlin<br />

Innenministerium <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nordrhein-Westfalen<br />

Referentin<br />

40190 Düsseldorf<br />

Frank SchulzeReferatsleiter Thüringer Innenministerium<br />

Postfach 90 01 3199006 Erfurt<br />

Georg Schulze Zumkley<br />

Auswärtiges Amt<br />

Referent<br />

Wer<strong>der</strong>scher Markt 1<br />

10117 Berlin<br />

Hartmut Sprung<br />

Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge<br />

Abteilungspräsident<br />

Frankenstraße 210<br />

90461 Nürnberg<br />

Dr. Max Stadler<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

MdB<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Andreas Staible<br />

Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit<br />

Teamleiter<br />

Regensburger Str. 104<br />

90478 Nürnberg<br />

Hans-Joach<strong>im</strong> Stange<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Referatsleiter<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Hans-Josef Stein<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Referatsleiter<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Gabriele Stellmacher<br />

Nie<strong>der</strong>sächsisches Ministerium für Inneres und Sport<br />

Referentin<br />

Lavesallee 6<br />

30169 Hannover


James Stichaner<br />

Sachgebietsleiter<br />

Gerwin Stöcken<br />

Geschäftsführer <strong>des</strong> Jobcenters Kiel<br />

13<br />

Senatsverwaltung für Inneres<br />

Klosterstraße 47<br />

10179 Berlin<br />

Jobcenter Kiel<br />

Adolf-Westphal-Str. 2<br />

24143 Kiel<br />

Hiltrud Stöcker-Zafari Verband binationaler Familien und Parnerschaften, iaf e.V.<br />

Bun<strong>des</strong>geschäftsstelle<br />

Ludolfusstr. 2 - 4<br />

Dr. Hans-Peter Uhl<br />

MdB<br />

Sabine Uhlig<br />

Sachbearbeiterin<br />

Rüdiger Veit<br />

MdB<br />

Claudia Vollmer<br />

Leiterin <strong>der</strong> ABH<br />

Susanne Vollmer<br />

Sachbearbeiterin<br />

Kirstin Walsleben<br />

Referentin<br />

Christof Weber<br />

Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Härtefallkommission<br />

60487 Frankfurt am Main<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Lan<strong>des</strong>hauptstadt München<br />

Kreisverwaltungsamt, Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

Ruppertstr. 19<br />

80337 München<br />

Auswärtiges Amt<br />

Wer<strong>der</strong>scher Markt 1<br />

10117 Berlin<br />

Deutscher Städtetag<br />

Straße <strong>des</strong> 17. Juni 112<br />

10623 Berlin<br />

Innenministerium <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> NRW<br />

Haroldstr. 5<br />

40190 Düsseldorf<br />

Dr. Vera Weißflog SPD-Fraktion <strong>im</strong> Deutschen Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

Ingo Wellenreuther<br />

MdB<br />

Friedhelm Weller<br />

Leiter <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

Marita Wessel-Niepel<br />

Referatsleiterin<br />

Thomas Wiegel<br />

Sachbearbeiter<br />

Wolfgang Wieland<br />

MdB<br />

Dr. Dieter Wiefelspütz<br />

MdB<br />

Josef Winkler<br />

MdB<br />

Susanne Wittkämper<br />

Referentin<br />

Annette Zepp-Glinoga<br />

Referentin<br />

11011 Berlin<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Zentrale Auslän<strong>der</strong>behörde Dortmund<br />

Kaiserstraße 129 - 136<br />

44122 Dortmund<br />

Senator für Inneres und Sport<br />

<strong>der</strong> Freien und Hansestadt Bremen<br />

Postfach 10 15 05<br />

28015 Bremen<br />

Auswärtiges Amt<br />

Wer<strong>der</strong>scher Markt 1<br />

10117 Berlin<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Deutscher Bun<strong>des</strong>tag<br />

Platz <strong>der</strong> Republik 1<br />

11011 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>vereinigung <strong>der</strong> Deutschen Arbeitgeberverbände e.V.<br />

Breite Straße 29<br />

10178 Berlin<br />

Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

Alt-Moabit 101 D<br />

10559 Berlin


PP 11 Nürnberg, den 27. März 2006<br />

Umsetzung <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes;<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Evaluation <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

am 30. März 2006 <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>haus – hier Textbeitrag <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit<br />

Eine <strong>der</strong> wesentlichen Neuerungen <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes besteht darin, in dem seit 1.<br />

Januar 2005 in Kraft getretenen Aufenthaltsgesetz nicht nur die Voraussetzungen für den<br />

Aufenthalt und die Einreise in das Bun<strong>des</strong>gebiet zu regeln. Auch die Vorschriften über den<br />

Zugang zu Erwerbstätigkeit sind jetzt Bestandteil <strong>des</strong> neuen Aufenthaltsgesetzes. Sie bringen<br />

allein durch ihren Standort die Grundentscheidung <strong>des</strong> Gesetzgebers zum Ausdruck,<br />

wonach Aufenthalt und Beschäftigung sowohl <strong>im</strong> Verfahren als auch in ihrer Bedeutung für<br />

den Auslän<strong>der</strong> zusammen gehören. Vor allem muss je<strong>der</strong> Aufenthaltstitel erkennen lassen,<br />

ob und in welchem Umfang die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaubt ist (§ 4 Abs. 2 Satz<br />

2 AufenthG).<br />

In verfahrensmäßiger Hinsicht bedeutet dies, dass Auslän<strong>der</strong>behörden und Agenturen für<br />

Arbeit bei Durchführung <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes miteinan<strong>der</strong> <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> eines mehrstufigen<br />

Verwaltungsverfahrens - dem sog. „one-stop-government“ - kooperieren. Antrag und<br />

Beschei<strong>der</strong>teilung erfolgen an einer Stelle. Dem Auslän<strong>der</strong> steht mit <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

ein einheitlicher Ansprechpartner gegenüber. Die Gefahr von wi<strong>der</strong>sprüchlichen Entscheidungen<br />

wird vermieden.<br />

Trotz dieser neuen Weichenstellung haben sich jedoch Aufgabe und Funktion <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur<br />

für Arbeit <strong>im</strong> Arbeitsmarktzulassungsverfahren nicht grundsätzlich geän<strong>der</strong>t. Kernaufgabe<br />

<strong>der</strong> Agenturen für Arbeit ist nach wie vor, die Voraussetzungen für den Zugang zu<br />

Beschäftigung zu klären und hierüber verbindlich zu entscheiden. Auch nach Maßgabe <strong>des</strong><br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes sind die Agenturen für Arbeit <strong>im</strong> Wesentlichen zuständig für die Prüfung<br />

von Beschäftigungsbedingungen und Arbeitsmarkt. Sie kommen damit dem gesetzlichen<br />

Auftrag nach, den Zugang zu Beschäftigung grundsätzlich unter den Vorbehalt <strong>der</strong> Lage<br />

und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zu stellen (vgl. §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 2, 18 Abs. 1<br />

und 39 AufenthG).<br />

Unverän<strong>der</strong>t ist darüber hinaus die Rolle <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit als Hauptansprechpartner<br />

<strong>der</strong> Arbeitgeber. Das ist sowohl arbeitsmarktpolitisch als auch vom Selbstverständnis<br />

<strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit her zu begrüßen.<br />

14


Zur Durchführung <strong>des</strong> internen Zust<strong>im</strong>mungsverfahrens hat die Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit in<br />

Abst<strong>im</strong>mung mit mehreren Innenverwaltungen <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> einen einheitlichen Vordruck entwickelt,<br />

<strong>der</strong> – soweit ersichtlich – bun<strong>des</strong>weit verwandt wird. Er versetzt die Mitarbeiter in<br />

den Agenturen für Arbeit in die Lage, anhand <strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde bzw. <strong>der</strong> Auslandsvertretung<br />

erhobenen Daten über den Arbeitsmarktzugang zu entscheiden. Mit <strong>der</strong> für<br />

das Jahr 2006 vorgesehenen Einführung eines web-basierten Zust<strong>im</strong>mungsverfahrens werden<br />

weitere Verbesserungen für die Kooperation bei<strong>der</strong> Stellen geschaffen. Grundlage hierfür<br />

ist die Erweiterung <strong>des</strong> AZR/VISA-Online-Portals, das vom Bun<strong>des</strong>verwaltungsamt in<br />

Kooperation mit dem Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge betrieben wird. Durch den<br />

Einsatz dieses Portals kann das Zust<strong>im</strong>mungsverfahren künftig auf elektronischem Weg<br />

durchgeführt werden.<br />

Aus Sicht <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit hat sich das „one-stop-government“-Verfahren <strong>im</strong><br />

Bereich <strong>der</strong> Arbeitsmarktzulassung insgesamt bewährt. Abst<strong>im</strong>mungsprobleme treten zwar<br />

in Einzelfällen o<strong>der</strong> regional bedingt nach wie vor auf beiden Seiten auf. Grundsätzlich sind<br />

aber aus Sicht <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit we<strong>der</strong> <strong>im</strong> Hinblick auf die Verfahrensdauer noch<br />

die Qualität <strong>der</strong> Entscheidung Einbußen gegenüber dem bisherigen Verfahren erkennbar.<br />

Bei einigen Zulassungstatbeständen kommt es in <strong>der</strong> Praxis <strong>im</strong> Hinblick auf die Aufgabenteilung<br />

zwischen Auslän<strong>der</strong>behörde und Agentur für Arbeit zu Auslegungs- bzw. Zuständigkeitsschwierigkeiten,<br />

die aus <strong>der</strong> vom Gesetz vorgesehen und nicht <strong>im</strong>mer klar abgegrenzten<br />

gemeinsamen Verantwortung für die Durchführung <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes resultieren:<br />

Dies betrifft z.B. die Entscheidung über eine ausnahmsweise begründete Zulassung <strong>im</strong> Einzelfall<br />

wenn ein "öffentliches“ Interesse an <strong>der</strong> Beschäftigung gem. § 18 Abs. 4 Satz 2 AufenthG<br />

vorliegt. Dies darf nicht ohne Beteiligung <strong>der</strong> örtlichen Agentur für Arbeit entschieden<br />

werden. Sie ist zuständig für die arbeitsmarktliche Beurteilung, ob an <strong>der</strong> Beschäftigung ein<br />

solches Interesse besteht. Die gegenüber dem Auslän<strong>der</strong> entscheidende Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

sollte dabei – wie auch die Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit – jeweils ihre Beurteilung für die Bejahung<br />

o<strong>der</strong> Verneinung <strong>des</strong> jeweiligen Tatbestandsmerkmals offen legen.<br />

Entsprechen<strong>des</strong> gilt für die (Streit-)frage, ob <strong>im</strong> Einzelfall bei best<strong>im</strong>mten Tatbeständen Zust<strong>im</strong>mungsfreiheit<br />

besteht und die Auslän<strong>der</strong>behörde allein entscheiden kann. Wenn diese<br />

Zweifel vorliegen, muss auch hier eine Beteiligung <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit erfolgen.<br />

Dort kann zum einen besser eingeschätzt werden, welche positiven o<strong>der</strong> ggf. nachteiligen<br />

Wirkungen von einer Arbeitsmarktzulassung ausgehen. Zum an<strong>der</strong>en würde, falls die Aus-<br />

15


län<strong>der</strong>behörde zu Unrecht und ohne Rücksprache mit <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit eine Zust<strong>im</strong>mungsfreiheit<br />

bejaht, die Zuständigkeit <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit übergangen, selbst<br />

über zust<strong>im</strong>mungspflichtige beschäftigungsrelevante Sachverhalte zu befinden.<br />

Anzumerken ist schließlich, dass das „one-stop-government“ nur einen Teil <strong>der</strong> Arbeitsmarktzulassungen<br />

nach und in Deutschland erfasst. Es gibt zwei Bereiche, die davon abweichend<br />

geregelt sind und in denen unterschiedliche Probleme bestehen.<br />

(1) Für den Zeitraum <strong>der</strong> Übergangsfristen bleibt die Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit in dem<br />

vergleichsweise überwiegenden Teil <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s geregelten Zulassungsfälle aus den EU-<br />

8-Beitrittstaaten auskunftsgebende und beschei<strong>der</strong>teilende Stelle. Eine Beteiligung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

ist in diesen Verfahren nicht vorgesehen. Die zu entscheidenden Sachverhalte<br />

rufen in den Agenturen für Arbeit nicht nur mengenmäßig son<strong>der</strong>n auch wegen <strong>der</strong><br />

Komplexität <strong>der</strong> zu beachtenden europarechtlichen Rechtsvorschriften einen anhaltend hohen<br />

Prüfungs- und Arbeitsaufwand hervor.<br />

In diesem Zusammenhang ist bemerken, dass es weitgehend unbekannt zu sein scheint,<br />

dass für neue Unionsbürger aus den Beitrittstaaten priviliegierte Zulassungsmöglichkeiten<br />

zur Ausübung einer Beschäftigung in Deutschland geschaffen wurden. Im Unterschied zu<br />

den begrenzten Möglichkeiten für Drittstaatsangehörige können sie, wenn inländische Bevorrechtigte<br />

auf dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, zu je<strong>der</strong> Tätigkeit, die eine qualifizierte<br />

Berufsausbildung voraussetzt, zugelassen werden (§ 39 Abs. 6 AufenthG). Unverständlich<br />

ist, dass diese Möglichkeit bisher kaum genutzt wird, handelt es sich doch um einen<br />

nur an Arbeits(markt)bedingungen geknüpften Zulassungstatbestand, <strong>der</strong> gerade <strong>der</strong><br />

Nachfrage <strong>der</strong> Wirtschaft nach qualifizierten Arbeitskräften und für mehr Flexibilität <strong>im</strong> Arbeitsmigrationsverfahren<br />

entsprechen dürfte.<br />

(2) In allen Fällen, in denen keine Zust<strong>im</strong>mung <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit erfor<strong>der</strong>lich<br />

ist, entscheiden die Auslän<strong>der</strong>behörden allein. Dies sind vor allem die durch das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

vorgesehenen gesetzlichen Arbeitsmarktzugänge o<strong>der</strong> sonstige Tatbestände<br />

von arbeitsmarktlich untergeordneter Bedeutung.<br />

Dies führt <strong>im</strong> Ergebnis dazu, dass die Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit nicht mehr über einen Gesamtüberblick<br />

<strong>der</strong> Zulassungen von Auslän<strong>der</strong>n zum deutschen Arbeitsmarkt verfügt. Dies<br />

gilt insbeson<strong>der</strong>e für die Zulassung von Hochqualifizierten gem. § 19 AufenthG i.V.m. § 3<br />

BeschV. Insofern sollte die fehlende Beteiligung <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit <strong>im</strong> Zulassungsverfahren<br />

für Hochqualifizierte überdacht werden. Denn es handelt sich hier zweifellos<br />

16


um arbeitsmarktlich relevante Fallkonstellationen, die auch sonst den Agenturen für Arbeit<br />

zugeordnet und dort sachgerechter bewertet werden können.<br />

Hinzu kommt auch in den Fällen, in denen das One-Stop-Government praktiziert wird, dass<br />

Zust<strong>im</strong>mungen für Drittstaatsangehörige nur <strong>im</strong> Fall ihrer Erteilung o<strong>der</strong> Versagung von <strong>der</strong><br />

Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit erfasst werden. Damit wird aber keine Aussage darüber getroffen,<br />

ob <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> auch von <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde einen entsprechenden Titel erhalten bzw.<br />

noch <strong>im</strong> Besitz eines entsprechenden Aufenthaltstitels ist und sich in Deutschland auf dem<br />

Arbeitsmarkt aufhält.<br />

Insgesamt kann <strong>des</strong>halb auch <strong>der</strong> Beitrag <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes zum „Wettbewerb um<br />

die besten Köpfe“ nicht abschließend eingeschätzt werden. Auf die fehlende Datenlage <strong>im</strong><br />

Bereich <strong>des</strong> § 19 AufenthG zur Zulassung Hochqualifizierter ist bereits verwiesen worden.<br />

Davon zu unterscheiden sind die Nachfolgeregelungen zur sog. Green-Card für IT-<br />

Fachleute, denen ein an<strong>der</strong>es Qualifikationsniveau zugrunde liegt. Auf <strong>der</strong> Basis von § 27<br />

Nr. 1 BeschV wurden in 2005 insgesamt 2.320 Zust<strong>im</strong>mungen erteilt. Diese Größenordnung<br />

steht durchaus in Kontinuität zu den Arbeitsmarktzulassungen nach den bisherigen Green-<br />

Card-Regelungen.<br />

Zur Verbesserung ihrer in § 39 AufenthG angelegten Steuerungsaufgabe sind aus Sicht <strong>der</strong><br />

Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit jedenfalls Kenntnisse <strong>des</strong> gesamten Arbeitsmigrationsgeschehens<br />

(und nicht nur von Teilaspekten) erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Andreas Staible<br />

17


18<br />

Uwe Bruhns<br />

Stellvertreten<strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Hamburg<br />

Freie und Hansestadt Hamburg<br />

Behörde für Inneres<br />

Einwohner-Zentralamt<br />

Abteilung für Auslän<strong>der</strong>angelegenheiten<br />

Amsinckstr. 28<br />

20097 Hamburg<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong><br />

Im <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Evaluation <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

am 30. und 31. März 2006 <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>haus<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

Statement zum 1. Thema: Arbeitsmigration<br />

ich danke zunächst für die Einladung und die Möglichkeit, aus <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong><br />

mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz geschaffenen neuen Rechtslage zu berichten.<br />

Das Auslän<strong>der</strong>recht ist mit <strong>der</strong> stetigen Zuwan<strong>der</strong>ung in die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland und<br />

<strong>der</strong> zunehmenden Einbindung in das Gemeinschaftsrecht zu einem komplexen Rechtsgebiet<br />

geworden, das in die Lebensverhältnisse von gut 15 % <strong>der</strong> Wohnbevölkerung, wenn<br />

auch in unterschiedlicher Qualität und Reichweite, hineinwirkt.<br />

Da <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> hier aufhältigen Auslän<strong>der</strong>innen und Auslän<strong>der</strong> seinen Lebensunterhalt<br />

durch Erwerbstätigkeit bestreitet o<strong>der</strong> dies jedenfalls anstrebt, sind die Regelungen, die<br />

das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz für diesen Bereich <strong>des</strong> Aufenthaltsrechts eingeführt hat, von beson<strong>der</strong>er<br />

praktischer Bedeutung.<br />

Wie bei vielen Gesetzen, die einen großen Bereich neu regeln, haben sich auch be<strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

viele Detailfragen ergeben, die bereits in seiner Entstehungsphase auch<br />

unter Beteiligung <strong>der</strong> Praxis diskutiert wurden. Viele Fragen sind aber auch erst in <strong>der</strong> praktischen<br />

Anwendung zutage getreten.<br />

In einem solchen Kurzbeitrag, wie er hier erwartet wird, kann die ganze Bandbreite <strong>der</strong> noch<br />

offenen Fragen naturgemäß nicht dargestellt, geschweige denn hinreichend erörtert werden.<br />

Es muss <strong>des</strong>halb eine Beschränkung auf einige wesentliche Aspekte erfolgen, <strong>der</strong> Mangel<br />

an Vollständigkeit hingenommen werden. Bei <strong>der</strong> Erstellung meines Beitrags habe ich mich<br />

vor allem von den Erfahrungen leiten lassen, die aus <strong>der</strong> Betreuung von etwa 270.000 Auslän<strong>der</strong>innen<br />

und Auslän<strong>der</strong>n durch die Auslän<strong>der</strong>behörde eines Stadtstaates erwachsen<br />

sind.<br />

Generell wird von den Anwen<strong>der</strong>n positiv bewertet die Glie<strong>der</strong>ung vor allem <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes<br />

in allgemeine Erteilungsvoraussetzungen und Spezifikationen für best<strong>im</strong>mte Aufenthaltszwecke.


19<br />

Ebenso hat es sich als vorteilhaft erwiesen, dass je<strong>der</strong> Aufenthaltstitel zwingend eine konkrete<br />

Aussage zur Erlaubnis <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit enthalten muss. In erster Linie dient dies <strong>der</strong><br />

Klarheit für die Inhaber <strong>der</strong> Titel, es erleichtert aber auch die Einschätzung <strong>der</strong> Möglichkeiten<br />

und Grenzen für Dritte, wie etwa potentielle Arbeitgeber o<strong>der</strong> Geschäftspartner. Auch bei<br />

Kontrollen <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung ist<br />

eine Vereinfachung eingetreten.<br />

Die mit vielen Aufenthaltstiteln schon von Gesetzes wegen verbundene Erlaubnis zur Ausübung<br />

einer Beschäftigung o<strong>der</strong> insgesamt <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit macht einerseits die<br />

Rechtslage für die Betroffenen transparent und die Behördenentscheidung vorhersehbar.<br />

An<strong>der</strong>erseits begrenzt sie auch die Notwendigkeit für die Auslän<strong>der</strong>behörden, zur Klärung<br />

noch die Beteiligung <strong>der</strong> Arbeitsverwaltung einzuleiten. Da gerade die von <strong>der</strong> gesetzlichen<br />

Erlaubnis erfassten Fallgestaltungen die absolute Mehrzahl ausmachen, würde eine Beteiligung<br />

<strong>der</strong> Arbeitsverwaltung ansonsten bei beiden Behörden die Kapazitäten völlig überfor<strong>der</strong>n.<br />

Soweit mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedürfnisse<br />

durch differenzierte und bedarfsgerechte Steuerung <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung berücksichtigt werden<br />

sollten, begrenzt allerdings diese gesetzliche Erlaubnis <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit die Steuerungsmöglichkeiten<br />

insbeson<strong>der</strong>e hinsichtlich <strong>des</strong> Zugangs zum Arbeitsmarkt.<br />

Sie können auch einen Missbrauch nicht ausschließen, denn <strong>der</strong> Anreiz und die Möglichkeit,<br />

die eigentlich beabsichtigte Aufnahme einer Beschäftigung aufenthaltsrechtlich dadurch zu<br />

erlangen, dass Motive vorgeschoben werden, die zur Erteilung eines solchen an<strong>der</strong>en die<br />

Erwerbstätigkeit gesetzlich erlaubenden Aufenthaltstitels führen, sind weiterhin gegeben.<br />

Die Steuerungsmöglichkeiten bestehen nach wie vor nur da, wo insbeson<strong>der</strong>e die Einreise,<br />

aber auch <strong>der</strong> Wechsel <strong>des</strong> Aufenthaltszwecks erklärtermaßen zur Aufnahme <strong>der</strong> Beschäftigung<br />

o<strong>der</strong> Ausbildung erfolgen soll und die Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit mit <strong>der</strong> dort vorhandenen<br />

Sachkunde an <strong>der</strong> Entscheidung beteiligt ist und damit auch Einfluss auf die Aufenthaltsgewährung<br />

hat.<br />

Hier kann übergeleitet werden zu einer Bewertung <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit den Arbeitsagenturen.<br />

Die Erfahrungen in <strong>der</strong> Praxis sind aus Sicht <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde durchweg<br />

sehr positiv. Die schon vor dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz bestehenden guten Verbindungen<br />

und seit Jahren gepflegten persönlichen Kontakte mit <strong>der</strong> Arbeitsagentur haben es bereits <strong>im</strong><br />

Vorfeld und auch jetzt <strong>im</strong> laufenden Betrieb ermöglicht, Absprachen zu Verfahrensweisen<br />

und Kommunikation zu treffen, die sich als Zeit sparend und die Arbeit erleichternd beweisen.<br />

Gemeinsame und gegenseitige Schulungsmaßnahmen haben dazu ebenfalls erheblich<br />

beigetragen.<br />

Aus <strong>der</strong> Praxis wird aber auch <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Wunsch vorgetragen, die Kommunikation<br />

zwischen Auslän<strong>der</strong>behörden und Arbeitsverwaltung durch einen elektronischen Datenaustausch<br />

zu beschleunigen und sicherer zu machen. Vorzugsweise wird dabei an die Möglichkeit<br />

gedacht, aus vorhandenen Datensystemen mit <strong>der</strong> jeweils an<strong>der</strong>en Dienststelle zu<br />

kommunizieren. Die Einsparung von Postlaufzeiten, Vermeidung von Zuordnungsfehlern und<br />

Aufwand für Datenerfassung und –ergänzung käme dabei Verwaltung und Antragstellern<br />

gleichermaßen zugute. Soweit datenschutzrechtliche Best<strong>im</strong>mungen sich hier hin<strong>der</strong>lich<br />

auswirken, richtet sich auch ein Appell an die Politik, die <strong>Rahmen</strong>bedingungen insoweit zu<br />

verbessern o<strong>der</strong> – wo notwendig - zu schaffen.<br />

Die technischen Möglichkeiten kann die Verwaltung gestalten. Aus Hamburger Sicht kann<br />

dabei auch die Bereitschaft bestätigt werden, an dem ins Auge gefassten Pilotprojekt mit <strong>der</strong><br />

Bun<strong>des</strong>agentur weiter aktiv mitzuwirken.<br />

Mittelfristig muss aber auch daran gearbeitet werden, die Auslandsvertretungen in solche<br />

Kommunikationsstrukturen einzubeziehen, spielen sie doch wegen <strong>der</strong> Visumerteilung <strong>im</strong><br />

gesamten Ablauf <strong>des</strong> Verfahrens eine wichtige Rolle.


20<br />

Das Zusammenwirken mit <strong>der</strong> Arbeitsagentur steht auch in engem Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

<strong>im</strong> Aufenthaltsrecht erstmalig vorgenommenen Umsetzung <strong>der</strong> Idee <strong>des</strong> One-Stop-<br />

Governments.<br />

Aus Sicht <strong>der</strong> Antragsteller ist dieser Vorteil in den Fällen spürbar, in denen wegen <strong>der</strong> gesetzlichen<br />

Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit die Auslän<strong>der</strong>behörde den Aufenthaltstitel ohne<br />

weitere Rückfragen erteilen kann. In Beteiligungsfällen gilt dies weniger. Da die Beteiligung<br />

<strong>der</strong> BA auch bei guter Zusammenarbeit zwangsläufig einen gewissen Zeitaufwand zur Folge<br />

hat, muss den Antragstellern eine vorläufige Bescheinigung nach § 81 AufenthG ausgestellt<br />

werden, ein erneutes Vorsprechen zur Ausstellung <strong>des</strong> Aufenthaltstitels bleibt erfor<strong>der</strong>lich.<br />

„One-Stop“ bedeutet hier also nur „ eine Behörde“, nicht aber Zeitgewinn.<br />

Insgesamt ist aber die Neuregelung von den Auslän<strong>der</strong>innen und Auslän<strong>der</strong>n <strong>im</strong> gesicherten<br />

Aufenthalt durchaus akzeptiert und überwiegend, jedenfalls soweit ein Vergleich mit dem<br />

früheren System durch eigenes Erleben noch gezogen werden konnte, auch begrüßt worden.<br />

Ganz an<strong>der</strong>s stellt sich die Auswirkung <strong>des</strong> One-stop-Governments bei den geduldeten Personen<br />

und Asylbewerbern dar.<br />

Hier ist zunächst festzustellen, dass – wohl nicht zuletzt durch die Einführung <strong>des</strong> ALG II –<br />

sich die Bewerberlage für die bisher von diesem Personenkreis typischerweise nachgefragten<br />

Arbeitsplätze deutlich geän<strong>der</strong>t hat. Fanden sie früher noch Arbeiten, die schmutzig,<br />

schlecht bezahlt o<strong>der</strong> zeitlich ungünstig und <strong>des</strong>halb für An<strong>der</strong>e, Deutsche o<strong>der</strong> privilegierte<br />

Auslän<strong>der</strong>, nicht interessant waren, sehen sie sich nun <strong>der</strong> Konkurrenz eben dieser Personen<br />

gegenüber, die selbst auch unter einem höheren Druck zur Annahme solcher Arbeiten<br />

stehen. Diese Bewerber haben zudem aus Sicht <strong>der</strong> Arbeitgeber den Vorteil, das sie ohne<br />

weitere bürokratische Notwendigkeiten beschäftigt werden können – Inhaber von Duldungen<br />

und Aufenthaltsgestattungen hingegen müssen auch noch die aufenthaltsrechtliche Erlaubnis<br />

einholen.<br />

Diese Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Situation hat dazu geführt, dass sich die Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

<strong>im</strong> Wesentlichen auf die Branchen Gastronomie und Reinigungsgewerbe reduziert haben.<br />

Nach <strong>der</strong> alten Rechtslage konnte allgemein aufenthaltsrechtlich die Erlaubnis zur Aufnahme<br />

einer Beschäftigung von <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde gegeben werden – die konkrete Erlaubnis<br />

zur Aufnahme <strong>der</strong> angestrebten Beschäftigung wurde von <strong>der</strong> Arbeitsverwaltung geprüft<br />

und erteilt.<br />

Damit bestand die Möglichkeit, bei Än<strong>der</strong>ungen <strong>des</strong> Arbeitplatzes, <strong>des</strong> Arbeitgebers, <strong>der</strong> Arbeitszeiten<br />

u.ä. unabhängig von <strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>behördlichen Entscheidung unmittelbar die<br />

sachkundige Behörde, nämlich die Arbeitsagentur, anzusprechen.<br />

Ohne die Unternehmen <strong>der</strong> genannten Branchen unter Generalverdacht stellen zu wollen, ist<br />

nach den Meldungen in den Medien und den Mitteilungen von Ermittlungsbehörden <strong>der</strong> Eindruck<br />

wohl nicht ganz unberechtigt, dass gerade hier hinsichtlich <strong>der</strong> Arbeitsbedingungen<br />

und <strong>der</strong> Einhaltung tarif- und arbeitsschutzrechtlicher Best<strong>im</strong>mungen eine gewisse Sorgfalt<br />

und Sachkenntnis bei <strong>der</strong> Beurteilung <strong>der</strong> Arbeitsverhältnisse nicht verzichtbar sind.<br />

Eben diese Sachkenntnis ist in den Arbeitagenturen vorhanden; es war daher häufig möglich,<br />

sogleich über die Erteilung <strong>der</strong> Arbeitserlaubnis zu entscheiden o<strong>der</strong> bei nicht ausreichenden<br />

Angaben <strong>der</strong> Arbeitgeber diese sogleich nachzufor<strong>der</strong>n und zu einer zeitnahen<br />

Entscheidung zu kommen.<br />

Die Stellung <strong>der</strong> Anträge auf Erlaubnis solcher Beschäftigungen bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

und das anschließende Zust<strong>im</strong>mungsverfahren führen nun aber zu einer Verfahrensdauer,<br />

die nach den bisherigen Erfahrungen nicht selten zur Folge hat, dass <strong>der</strong> potentielle Arbeitgeber<br />

die Geduld verliert und eine an<strong>der</strong>e Person einstellt. Da diese Gefahr auch den Auslän<strong>der</strong>n<br />

mittlerweile durchaus bewusst ist, kommt es zunehmend zu Mehrfachanträgen o<strong>der</strong>


21<br />

Anträgen „auf Vorrat“, zumeist in <strong>der</strong> Hoffnung, zumin<strong>des</strong>t mit einem Antrag durchzudringen.<br />

Dies n<strong>im</strong>mt die Kapazitäten bei Auslän<strong>der</strong>behörden und Arbeitsagentur unnötig in Anspruch<br />

und erhöht die Verfahrensdauer. Dies setzt letztlich einen Teufelskreis in Gang, <strong>der</strong><br />

den Erfolg <strong>der</strong> Neuregelung in diesem Bereich in Frage stellt.<br />

In Hamburg wird in Absprache <strong>der</strong> beiden Behörden schon versucht, das Verfahren insofern<br />

zu vereinfachen, als wenigstens in Fällen <strong>der</strong> reinen Verlagerung <strong>der</strong> ansonsten gleich bleibenden<br />

Arbeitszeiten o<strong>der</strong> einfachen Wechsels <strong>des</strong> Einsatzortes bei gleich bleibendem Arbeitgeber<br />

und Arbeitszeit eine Beteiligung <strong>der</strong> Arbeitsagentur nicht mehr erfolgt, son<strong>der</strong>n<br />

die Auslän<strong>der</strong>behörde diese Än<strong>der</strong>ungen selbst vorn<strong>im</strong>mt – eine Information <strong>der</strong> Arbeitsagentur<br />

bleibt aber erfor<strong>der</strong>lich und die angesprochenen Kapazitätsverluste werden dadurch<br />

nicht entscheidend verhin<strong>der</strong>t.<br />

Aus <strong>der</strong> Praxis würde es daher begrüßt, wenn die Entscheidung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

wie<strong>der</strong> darauf beschränkt werden könnte, die auslän<strong>der</strong>rechtlichen Voraussetzungen für die<br />

Arbeitaufnahme festzustellen, also die Erfüllung <strong>der</strong> Wartezeit von einem Jahr nach § 61<br />

Abs. 2 AsylVfG o<strong>der</strong> § 10 BeschVerfV sowie das Nichtvorliegen <strong>der</strong> selbstverschuldeten Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse<br />

nach § 11 BeschVerfV. Diese Voraussetzungen sollten in Duldung<br />

o<strong>der</strong> Aufenthaltsgestattung vermerkt werden.<br />

Bei <strong>der</strong> beschriebenen besseren Sachkunde <strong>der</strong> Arbeitsagenturen wäre es sinnvoll, wenn<br />

diese den arbeitserlaubnisrechtlichen Teil entschieden und in dem auch jetzt schon benutzten<br />

Beiblatt vermerkten. Bei Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Arbeitszeiten o<strong>der</strong> <strong>des</strong> Arbeitgebers o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Tätigkeit sollten die Arbeitsagenturen dann auch direkter Ansprechpartner und Entscheidungsträger<br />

sein. Es ließe sich so für die Verwaltung ein erheblicher Zeitgewinn mit Einsparung<br />

von Arbeitsaufwand erreichen, ohne die Qualität <strong>der</strong> Entscheidung und die Überwachungsintensität<br />

zu verschlechtern. Für die Betroffenen und die Arbeitgeber wäre ein Plus an<br />

Planungssicherheit und Flexibilität erreicht.<br />

Ein weiterer bemerkenswerter Paradigmenwechsel <strong>im</strong> Auslän<strong>der</strong>recht ist eingetreten durch<br />

die Neuregelung für erfolgreiche Studienabsolventen. Da früher ihr Aufenthalt als Maßnahme<br />

<strong>der</strong> Entwicklungshilfe betrachtet wurde, war es nur folgerichtig, nach erfolgreichem Abschluss<br />

<strong>der</strong> Ausbildung die Rückkehr in den Herkunftsstaat durchzusetzen, um die Anwendung<br />

<strong>des</strong> Erlernten zugunsten <strong>der</strong> Herkunftsstaaten zu erreichen. Nachdem sich diese Erwartung<br />

zunehmend nicht mehr erfüllte und die Absolventen, statt in die Herkunftslän<strong>der</strong><br />

zurückzukehren, vorzugsweise ihre in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik erlangte Qualifikation in an<strong>der</strong>en<br />

westlichen Län<strong>der</strong>n zum Aufbau einer Karriere nutzten, war es konsequent, <strong>im</strong> „Wettbewerb<br />

um die besten Köpfe“ solchen erfolgreichen und Erfolg versprechenden Nachwuchskräften<br />

auch Beschäftigung und Verbleib in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik zu ermöglichen. In <strong>der</strong> Praxis wird<br />

diese Möglichkeit häufig in Anspruch genommen, nach kursorischem Überblick beson<strong>der</strong>s<br />

von Absolventen technischer Fächer.<br />

In Zusammenhang mit <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> einjährigen Suche nach einem adäquaten Arbeitsplatz<br />

kann auch in <strong>der</strong> praktischen Umsetzung dieser Neuerung von einem Erfolg ausgegangen<br />

werden.<br />

Dieser neuen Zielvorstellung und ihrem Erfolg ist aber auch geschuldet, den grundsätzlichen<br />

Ausschluss eines Wechsels <strong>im</strong> Aufenthaltszweck durchzusetzen und den <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> auftretenden<br />

Versuchen zu wehren, aus einer zunächst begonnenen Ausbildung, beson<strong>der</strong>s auf<br />

einfacherem Niveau, in eine Erwerbstätigkeit zu wechseln.<br />

Eine jedenfalls in Hamburg zu beobachtende Häufung von Fällen, in denen beson<strong>der</strong>s chinesische<br />

Sprachkursteilnehmer und Studenten versuchen, ohne auch nur ansatzweise Erfolge<br />

in ihrer Ausbildung in eine selbständige Tätigkeit o<strong>der</strong> Tätigkeit als Geschäftsführer<br />

eher fragwürdiger Kleinunternehmen zu wechseln, hat mittlerweile bei den Auslän<strong>der</strong>dienststellen<br />

und den Kammern zu Besorgnis geführt.


22<br />

Von hier ist <strong>der</strong> Bogen zu schlagen zu einer Betrachtung <strong>der</strong> neuen Regelungen für Selbständige:<br />

Schon in den ersten Erörterungen <strong>der</strong> Entwürfe zu Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz war aus <strong>der</strong> Sicht<br />

<strong>der</strong> Praxis Skepsis geäußert worden, ob die Anfor<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Nachweises einer Investitionssumme<br />

von min<strong>des</strong>tens einer Million Euro plus <strong>der</strong> Schaffung von min<strong>des</strong>tens zehn Arbeitsplätzen<br />

ein geeigneter Maßstab für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wäre.<br />

Eine zwar nicht völlig repräsentative, aber gleichwohl beeindruckende Umfrage be<strong>im</strong> <strong>Erfahrungsaustausch</strong><br />

<strong>der</strong> großen Auslän<strong>der</strong>behörden <strong>im</strong> Oktober 2005 hat dann ergeben, dass es<br />

praktisch nirgendwo zu einer Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gekommen ist an Personen,<br />

von denen die genannte Anfor<strong>der</strong>ung erfüllt wurde.<br />

Es muss befürchtet werden, dass diese Vorgabe, mag sie unter wirtschaftspolitischen Aspekten<br />

auch sinnvoll und berechtigt sein, mangels tatsächlich eintreten<strong>der</strong> Anwendungsfälle<br />

auslän<strong>der</strong>rechtlich weitgehend leer läuft. Es dürfte eher einer politischen als einer auslän<strong>der</strong>behördlichen<br />

Bewertung unterliegen, ob bei dieser bisher eingetretenen und weiter erwarteten<br />

Folge diese Regelung jedenfalls in <strong>der</strong> aktuellen Form sinnvoll ist.<br />

Die Wirkung <strong>der</strong> strengen Vorgabe geht aber noch über den beschriebenen Umfang hinaus,<br />

wenn die genannten Voraussetzungen, wie sie wohl <strong>der</strong>zeit vom BMI interpretiert werden,<br />

zugleich auch für die nach dem Gesetz möglichen Ausnahmen aus Gründen eines übergeordneten<br />

wirtschaftlichen Interesses o<strong>der</strong> regionalen Bedürfnisses als Bewertungsmaßstab<br />

wie<strong>der</strong>eingeführt werden. Dann kann und wird es auslän<strong>der</strong>rechtlich nur noch in sehr eingeschränktem<br />

Maße zur Gewährung eines Aufenthaltsrechtes kommen können für Personen,<br />

die sich hier als Selbständige nie<strong>der</strong>lassen wollen.<br />

Bei den o.g. Studienabbrechern wird eine restriktive Behandlung sicher eine hohe Berechtigung<br />

haben, würde sie doch helfen, Missbräuche und so genannte „Kümmerexistenzen“ mit<br />

alsbald drohen<strong>der</strong> Pleite und Sozialhilfebedarf zu vermeiden. An<strong>der</strong>erseits gibt es aber<br />

auch eine große Zahl von mittleren Unternehmen überwiegend <strong>im</strong> Bereich <strong>des</strong> Handels und<br />

<strong>der</strong> Dienstleistungen, die unter diesen Bedingungen einen Start nicht hätten schaffen können,<br />

jetzt aber durchaus erfolgreich arbeiten. Aus Sicht einer Auslän<strong>der</strong>behörde sollte es<br />

daher mehr darauf ankommen, wie denn die fachlich kompetenten Behörden und Institutionen,<br />

vor allem Handels- und Handwerkskammern, die Erfolgsaussichten solcher angestrebten<br />

Aufenthalte beurteilen.<br />

Soweit in einem evtl. neuen Absatz 6 <strong>des</strong> § 21 <strong>der</strong> Zweckwechsel aus einer an<strong>der</strong>en Aufenthaltserlaubnis<br />

ermöglicht werden soll, wird <strong>der</strong> oben erwähnte Personenkreis <strong>der</strong> erfolgreichen<br />

Ausbildungsabsolventen zu erinnern sein. Auch hier wird es Erfolg versprechende Personen<br />

und Ideen geben, die durchaus mit wertvollen Innovationen verbunden sein können,<br />

aber als kleine Unternehmung beginnen müssen und die Hürde <strong>der</strong> gefor<strong>der</strong>ten Investitionen<br />

und Arbeitsplatzschaffung keinesfalls erreichen können. Hier sollte das Auslän<strong>der</strong>recht nicht<br />

als Verhin<strong>der</strong>ungsinstrument wirksam werden.<br />

Eine weitere und massiv beklagte Schwierigkeit in <strong>der</strong> praktischen Gesetzesanwendung bereitet<br />

die in ihrer Absicht durchaus zu begrüßende Anfor<strong>der</strong>ung, dass über 45jährige Antragsteller<br />

über eine angemessene Altersversorgung verfügen sollen ( § 21 Abs.3 AufenthG).<br />

Der einfache Hinweis, als Maßstab für die Untergrenze einer angemessenen Versorgung<br />

könne die gesetzliche Min<strong>des</strong>trente herangezogen werden, hilft aber in <strong>der</strong> Praxis nicht.<br />

Schon zum Auslän<strong>der</strong>gesetz `90 ( z.B. § 27 Abs. 2 Nr. 3 ) war es nicht gelungen, praktikable<br />

und nachvollziehbare Maßstäbe für die Vergleichbarkeit von staatlichen und privaten Vorsorgeleistungen<br />

zu entwickeln. Dieser Mangel ist durch das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz nicht behoben<br />

worden ( vgl. die gleich gebliebene Formulierung in § 9 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG ) und in


23<br />

den ersten bekannten Entwürfen zu einem 2.Än<strong>der</strong>ungsgesetz offenbar auch nicht aufgegriffen<br />

worden.<br />

In <strong>der</strong> Praxis wird kolportiert, dass Auslän<strong>der</strong>behörden zur Vermeidung von Streitigkeiten<br />

und wegen <strong>der</strong> eigenen Argumentationsnot auf die Erfüllung dieser For<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> eine<br />

Nachprüfung schlicht verzichten und/o<strong>der</strong> sich z.B. mit dem Nachweis einfacher Lebensversicherungsverträge<br />

begnügen. Diese „Notwehr“ belegt die Dringlichkeit einer Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Vorgaben – denn bei aller Verständlichkeit enthält sie Risiken, die nicht hingenommen<br />

werden sollten.<br />

Eine weitere fehlende, aber hier mit dem 2.Än<strong>der</strong>ungsgesetz offenbar beabsichtigte Regelung<br />

betrifft die Ausübung einer freiberuflichen Tätigkeit. Auch hier gilt, dass Bedingungen<br />

für einen Wechsel aus einem an<strong>der</strong>n Aufenthaltstitel und für die Altersicherung hinreichend<br />

konkret und umsetzbar sein müssen.<br />

Zusammenfassend kann aus <strong>der</strong> Praxis zur Systematik <strong>der</strong> neuen Regelungen zur Arbeitsmigration<br />

ein überwiegend positives Echo gemeldet werden. Inhaltlich sind zu best<strong>im</strong>mten<br />

Fallkonstellationen Lösungen möglich, die früher nicht realisierbar waren. Zur praktischen<br />

Umsetzung wird vielfach eine Nachbesserung <strong>der</strong> Vorgaben gewünscht. Die Zusammenarbeit<br />

mit <strong>der</strong> Arbeitsverwaltung ist durchaus gut, technische Unterstützung könnte sie noch<br />

vereinfachen und verbessern – zum Nutzen nicht nur <strong>der</strong> Verwaltung, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> betroffenen<br />

Antragsteller.<br />

Beson<strong>der</strong>s begrüßt würde es, wenn wie in dieser Veranstaltung die Erfahrungen <strong>der</strong> Anwen<strong>der</strong><br />

Gehör und bei <strong>der</strong> Weiterentwicklung <strong>der</strong> Vorschriften Berücksichtigung finden könnten.<br />

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Evaluation <strong>des</strong><br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes am 30. März 2006 <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>haus<br />

24<br />

A. Neuorientierung <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungspolitik war und bleibt richtig<br />

Vor dem Hintergrund eines zunehmenden internationalen „Wettbewerbs<br />

um die besten Köpfe“, einer wachsenden Zahl nicht besetzbarer Arbeitsplätze<br />

und <strong>des</strong> demografisch bedingten Rückgangs <strong>der</strong> inländischen<br />

Erwerbsbevölkerung begrüßt die BDA die Neuorientierung <strong>der</strong><br />

Zuwan<strong>der</strong>ungspolitik in Deutschland, die sich in dem am 1. Januar<br />

2005 in Kraft getretenen Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz manifestiert.<br />

Zuwan<strong>der</strong>ung leistet einen notwendigen Beitrag zur Schließung von<br />

Arbeitkräftelücken. Neuere wissenschaftliche Studien z. B. vom Institut<br />

für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung belegen, dass die Arbeitsnachfrage<br />

in Deutschland langfristig selbst unter status-quo-Bedingungen<br />

deutlich steigen wird. Wenn es endlich gelingt, die seit Jahren andauernde<br />

Wachstumskrise in Deutschland nachhaltig zu überwinden, wird<br />

sich diese Entwicklung noch beschleunigen und Fachkräftemangel<br />

schnell in sehr schmerzhafter Weise spürbar werden. Derzeit sind in<br />

Deutschland zwischen 1 und 1,5 Mio. Stellen unbesetzt. Trotz <strong>der</strong> hohen<br />

Arbeitslosigkeit herrscht in einigen Bereichen Arbeitskräftemangel.<br />

Auch Ausbildungsplätze können zum Teil nicht besetzt werden. Arbeitskräftemangel<br />

zieht eine Fülle negativer Konsequenzen nach sich. Es ist<br />

<strong>des</strong>halb sinnvoll, die Funktionsfähigkeit <strong>des</strong> Arbeitsmarktes neben einer<br />

grundlegenden Deregulierung <strong>des</strong> Arbeitsmarktes und einer aktivierenden<br />

Gestaltung <strong>der</strong> Sozialsysteme auch über eine gezielte Zuwan<strong>der</strong>ung<br />

von Arbeitskräften zu sichern.<br />

Die Erfahrung <strong>der</strong> letzten 30 Jahre zeigt, dass die Abschottung <strong>des</strong> Arbeitsmarktes<br />

gegen ausländische Fachkräfte nicht zu mehr Beschäftigung<br />

bei den Inlän<strong>der</strong>n führt. Trotz <strong>des</strong> so genannten Anwerbestopps<br />

haben wir eine viel zu hohe Arbeitslosigkeit. Um die Probleme am deutschen<br />

Arbeitsmarkt in den Griff zu bekommen, bedarf es eines umfassenden<br />

Reformkonzepts für mehr Beschäftigung und wirtschaftliches<br />

Wachstum. Ein Element hierfür ist eine vernünftige Zuwan<strong>der</strong>ungspolitik,<br />

die sich an den deutschen Interessen orientiert. Zuwan<strong>der</strong>ung von<br />

qualifizierten Arbeitskräften kann zu mehr wirtschaftlicher Dynamik<br />

und damit auch zu mehr Beschäftigung von Inlän<strong>der</strong>n führen. Dies ist<br />

evident für qualifizierte Existenzgrün<strong>der</strong>, die neue Arbeitsplätze schaffen.<br />

Darüber hinaus enstehen aber auch indirekt positive Beschäftigungs<strong>im</strong>pulse,<br />

wenn mit ausländischen Arbeitskräften spezifische<br />

Fachkräftebedarfe gedeckt werden, die nicht o<strong>der</strong> nicht ausreichend mit<br />

inländischen Arbeitskräften besetzt werden können. Auf diese Weise<br />

kann über realisierte Produktivitätsgewinne bzw. nur so überhaupt<br />

durchführbare wirtschaftliche Aktivitäten neues Beschäftigungspotenzial<br />

generiert werden.


25<br />

Bedauerlicherweise ist Deutschland trotz neuer Zuwan<strong>der</strong>ungsregelungen<br />

auf dem besten Weg als Zielland <strong>im</strong>mer unattraktiver zu werden.<br />

Dies spiegelt nicht zuletzt die geringe Zahl von seit Inkrafttreten <strong>des</strong><br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes eingewan<strong>der</strong>ten Spitzenkräften wi<strong>der</strong>. Dieser<br />

durch Abwehr und Abschottung entstehende Standortnachteil schadet<br />

den Interessen Deutschlands nachhaltig. Durch die zunehmende Globalisierung<br />

ist international ein scharfer Wettbewerb <strong>der</strong> Wirtschaftssysteme<br />

und Wirtschaftsstandorte entstanden. Deutschland muss sich hierbei<br />

zunehmend neuen Herausfor<strong>der</strong>ungen stellen. Ziel nationaler Zuwan<strong>der</strong>ungsregelungen<br />

muss es daher sein, ungesteuerte Zuwan<strong>der</strong>ung insbeson<strong>der</strong>e<br />

in die sozialen Sicherungssysteme zu begrenzen und gesteuerte<br />

Zuwan<strong>der</strong>ung in Abhängigkeit von den Bedarfen <strong>des</strong> Arbeitsmarktes<br />

flexibel und zeitnah tatsächlich zu ermöglichen. Bei <strong>der</strong> Ausgestaltung<br />

<strong>der</strong> Regelungen <strong>im</strong> Einzelnen muss berücksichtigt werden,<br />

dass Deutschland lei<strong>der</strong> nicht mehr ein Magnet für die Eliten <strong>der</strong><br />

Welt ist und <strong>des</strong>halb um sie mit attraktiven <strong>Rahmen</strong>bedingungen<br />

werben muss.<br />

B. Arbeitsmarktbezogene Zuwan<strong>der</strong>ung <strong>im</strong> deutschen Interesse<br />

ausbauen<br />

Mit dem neuen Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz ist ein erster Schritt in die richtige<br />

Richtung erfolgt. Es ist ein richtiger Ansatz, um in Deutschland zu einer<br />

echten arbeitsmarktbezogenen Zuwan<strong>der</strong>ung umzusteuern. Vielfach<br />

bleiben die neuen Zuwan<strong>der</strong>ungsregeln aber noch hinter den Notwendigkeiten<br />

und Erwartungen <strong>der</strong> Wirtschaft zurück. Dennoch ist ein Paradigmenwechsel<br />

in <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungspolitik eingeleitet worden:<br />

Gesteuerte und begrenzte Zuwan<strong>der</strong>ung, die sich an den Bedürfnissen<br />

<strong>der</strong> Wirtschaft und <strong>des</strong> Arbeitsmarktes orientiert, ist ein Gewinn und<br />

bedeutet keine Belastung <strong>der</strong> Sozialsysteme. Begrüßenswert sind insbeson<strong>der</strong>e<br />

folgende Neuerungen:<br />

• Hochqualifizierte können erstmals von Beginn an ein Daueraufenthaltsrecht<br />

erhalten.<br />

• Ausländische Studenten erhalten nach erfolgreichem Studienabschluss<br />

einen verbesserten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt.<br />

Ausländische Absolventen deutscher Hochschulen haben<br />

die Möglichkeit, sich unmittelbar von Deutschland aus für eine<br />

ausbildungsadäquate Anschlussbeschäftigung zu bewerben.<br />

Zum Zwecke <strong>der</strong> Arbeitsplatzsuche kann die Aufenthaltserlaubnis<br />

bis zu einem Jahr verlängert werden.<br />

• Das Verfahren wurde übersichtlicher gestaltet und vereinfacht:<br />

→ Die unübersichtliche Vielzahl von Aufenthaltstiteln wurde auf<br />

zwei reduziert (befristete Aufenthaltserlaubnis und unbefristete<br />

Nie<strong>der</strong>lasssungserlaubnis).


26<br />

→ Das doppelte Genehmigungsverfahren für Aufenthalts- und<br />

Arbeitsgenehmigung wurde durch ein behördeninternes Zust<strong>im</strong>mungsverfahren<br />

ersetzt (one-stop-shop).<br />

Trotz dieser Verbesserungen, die durch das neue Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

erreicht wurden, sind die Voraussetzungen für einige Zuwan<strong>der</strong>ungstatbestände<br />

aber teilweise viel zu restriktiv:<br />

Insbeson<strong>der</strong>e sind die Zuzugsbedingungen für Selbständige und<br />

Hochqualifizierte zu nennen, die die deutschen Chancen <strong>im</strong> internationalen<br />

Wettbewerb um hochqualifizierte Arbeitskräfte vermin<strong>der</strong>n und es<br />

<strong>des</strong>halb erschweren, die Attraktivität unseres Wirtschaftsstandortes zu<br />

erhalten und zu sichern. Die entsprechenden Regelungen sollten dringend<br />

überarbeitet werden. Die BDA begrüßt aus diesem Grund die<br />

jüngste Ankündigung <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>regierung, das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

nicht zuletzt wegen <strong>der</strong> geringen Zahl von bislang nach Deutschland<br />

eingewan<strong>der</strong>ten Spitzenkräften nachzubessern.<br />

• Insbeson<strong>der</strong>e sollte die hohe Einkommensanfor<strong>der</strong>ung von<br />

<strong>der</strong>zeit rund 84.000 Euro auf den Prüfstand gestellt werden, die<br />

das Aufenthaltsgesetz als Kriterium für Hochqualifizierte festschreibt.<br />

Immerhin entspricht dies dem mehr als Dreifachen <strong>des</strong><br />

deutschen Durchschnittseinkommens. 1<br />

• Bezüglich <strong>des</strong> Aufenthaltsrechtes von Selbständigen hält die<br />

BDA ein unbefristetes Aufenthaltsrecht von Anfang an für<br />

sinnvoll. Das <strong>der</strong>zeit gefor<strong>der</strong>te hohe Investitionsvolumen von<br />

1 Mio. Euro und Schaffung von 10 Arbeitsplätzen bei gleichzeitiger<br />

Erlangung einer lediglich befristeten Aufenthaltserlaubnis ist<br />

kein Beitrag zur Erhöhung <strong>der</strong> Attraktivität Deutschlands für diese<br />

Zielgruppe. Gerade Selbständige können aber einen großen<br />

wirtschaftlichen Nutzen erbringen, denn sie beschäftigen in aller<br />

Regel nicht nur sich selbst, son<strong>der</strong>n schaffen auch weitere Arbeitsplätze.<br />

Eine Halbierung <strong>des</strong> Investitionsvolumens scheint<br />

angebracht und gleichzeitig hoch genug um Missbrauch vorzubeugen.<br />

• Auch die Regelungen betreffend die betriebliche Aus- und<br />

Weiterbildung sollten auf den Prüfstand gebracht werden. Die<br />

Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels richtet sich regelmäßig<br />

nach §§ 17, 39 AufenthG, d.h. es müssen dieselben Prüfungsschritte<br />

durchlaufen werden wie bei einem Antrag auf Erteilung<br />

einer sonstigen Arbeitserlaubnis. Dies ist nicht zielführend. Denn<br />

negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt nach § 39 Abs. 2<br />

Nr. 1 a AufenthG können sich in diesen Fällen nicht ergeben. Die<br />

ausländischen Arbeitnehmer stellen kein zusätzliches Kräfteangebot<br />

dar, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Arbeitgeber bildet sie in Deutschland per<br />

se nur vorübergehend für ihren weiteren Einsatz <strong>im</strong> Ausland aus.<br />

Der Zeitraum <strong>der</strong> Beschäftigung ist von vornherein befristet und<br />

<strong>der</strong> Aufenthalt <strong>der</strong> ausländischen Arbeitnehmer auf die Rückkehr<br />

1<br />

Für das Jahr 2005 entspricht dies 26.458 € (vgl. Bruttolöhne und Gehälter,<br />

VGR 2005 2/17).


27<br />

in ihr He<strong>im</strong>atland angelegt. Eine Konkurrenz zu inländischen Arbeitskräften<br />

besteht <strong>des</strong>halb nicht.<br />

• Im Bereich <strong>des</strong> internationalen Personalaustauschs wurde<br />

den Unternehmen durch die Anhebung <strong>der</strong> Befristung von zwei<br />

auf drei Jahre mehr Flexibilität eingeräumt. Bedauerlich ist aber,<br />

dass die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften keine Möglichkeit<br />

<strong>der</strong> Verlängerung <strong>des</strong> Aufenthaltstitels vorsehen. Das Vorliegen<br />

einer (Fach-) Hochschulausbildung o<strong>der</strong> vergleichbare<br />

Qualfikationen sollte nicht zwingend Voraussetzung sein. Die<br />

Möglichkeit <strong>des</strong> internationalen Personalaustauschs sollte vielmehr<br />

auch für Facharbeiter mit mehrjähriger Firmenzugehörigkeit<br />

gelten.<br />

• Mitreisende Ehepartner von befristet nach Deutschland entsandten<br />

Arbeitnehmern sollten nach <strong>der</strong> Einreise für die gleiche<br />

Zeit uneingeschränkten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt<br />

haben. Die Arbeitsmöglichkeiten für begleitende Ehepartner stellen<br />

in zunehmendem Maße einen entscheidungsrelevanten Faktor<br />

für die Mitarbeiter dar. Der Standort Deutschland konkurriert<br />

hier mit Län<strong>der</strong>n wir den USA, Australien o<strong>der</strong> den Nie<strong>der</strong>landen,<br />

die bereits jetzt weitaus liberalere gesetzliche Regelungen haben<br />

und den Ehepartnern für die Dauer <strong>des</strong> Entsendungszeitraums<br />

von Beginn an freien Zugang zum Arbeitsmarkt gewähren.<br />

• Eine Beschäftigungserlaubnis sollte überdies <strong>im</strong> gesamten<br />

Bun<strong>des</strong>gebiet, d.h. für alle Standorte eines Unternehmens o<strong>der</strong><br />

Konzerns Gültigkeit besitzen. Dies ist <strong>des</strong>halb erfor<strong>der</strong>lich, weil<br />

viele Projekte kurzfristig zwischen den Standorten wechseln.<br />

Derzeit ist dies mit erheblichem bürokratischen Aufwand verbunden,<br />

weil ein neuer Aufenthaltstitel beantragt bzw. <strong>der</strong> Aufenthaltstitel<br />

geän<strong>der</strong>t werden muss.<br />

Die BDA spricht sich weiterhin und mit Nachdruck dafür aus, dass Arbeitnehmer,<br />

die hier dringend benötigte beson<strong>der</strong>e Qualifikationen aufweisen<br />

und einen Beitrag zur positiven Entwicklung von Wirtschaft und<br />

Beschäftigung leisten können, neben den bestehenden Zuwan<strong>der</strong>ungsregelungen<br />

zukünftig erleichtert und flexibel Arbeitsmarktzugang in<br />

Deutschland über ein so genanntes Punktesystem erhalten sollten.<br />

Die „Zuwan<strong>der</strong>ung <strong>im</strong> Auswahlverfahren“, wie sie bereits in § 20 <strong>des</strong><br />

ursprünglichen Aufenthaltsgesetzesentwurf vorgesehen war, wurde <strong>im</strong><br />

damaligen Gesetzgebungsverfahren bedauerlicherweise ersatzlos gestrichen.<br />

Das Punktesystem stellt aber eine wichtige Chance dar, frühzeitig<br />

erste Erfahrungen mit einer kontrollierten Potenzialzuwan<strong>der</strong>ung<br />

zu sammeln. Durch Kontingente und das Prinzip <strong>der</strong> Bestenauslese wird<br />

eine unbürokratische, gezielte Zuwan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> benötigten Fachkräfte<br />

sichergestellt. Im Hinblick auf die mit den neuen EU-Mitgliedstaaten<br />

bestehenden Übergangsfristen, <strong>der</strong>en vorläufige Beibehaltung bis 2009<br />

wir aufgrund <strong>der</strong> nach wie vor sehr angespannten Lage auf dem deutschen<br />

Arbeitsmarkt zwar grundsätzlich befürworten, könnte das Punktesystem<br />

seine Leistungsfähigkeit zunächst in einem Bereich belegen, in


28<br />

dem ohnehin in absehbarer Zeit eine vollständige Liberalisierung ansteht.<br />

Die BDA legt <strong>im</strong> übrigen großen Wert darauf, dass keine Verlängerung<br />

<strong>der</strong> Übergangsregelungen über 2009 hinaus erfolgt.<br />

C. Zuwan<strong>der</strong>ung trägt zur Bewältigung <strong>der</strong> demografischen<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung bei<br />

Verstärkte arbeitsmarktbezogene Zuwan<strong>der</strong>ung muss mittelfristig auch<br />

einen Beitrag zur Bewältigung <strong>der</strong> demografisch bedingten Verän<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>des</strong> Arbeitsmarktes leisten. Es steht fest, dass allein aufgrund<br />

<strong>der</strong> demografischen Entwicklung das Erwerbspersonenpotenzial<br />

bereits in weniger als 10 Jahren spürbar zurückgehen wird, wobei Studien<br />

eine Abnahme bis 2050 um 10 Mio. prognostizieren. Diese Entwicklung,<br />

die für die Leistungsfähigkeit <strong>der</strong> deutschen Wirtschaft beträchtliche<br />

Risiken birgt, sollte durch gezielte Zuwan<strong>der</strong>ung abgemil<strong>der</strong>t<br />

werden. Daneben ist auch die bessere Erschließung und Ausschöpfung<br />

<strong>des</strong> inländischen Arbeitskräftepotenzials, vor allem die Steigerung <strong>der</strong><br />

Erwerbstätigkeit von Älteren aber auch die von Frauen, dringend erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Zuwan<strong>der</strong>ung, die in Beschäftigung mündet, ist ein begrenzter Beitrag,<br />

die künftige Leistungsfähigkeit <strong>der</strong> sozialen Sicherungssysteme zu<br />

erhalten. Dies gilt gerade auch angesichts <strong>der</strong> Finanzierungsprobleme<br />

<strong>der</strong> Rentenversicherung. Die Zahl <strong>der</strong> Älteren (65 Jahre und älter) wird<br />

sich <strong>im</strong> Verhältnis zum vorhandenen Arbeitskräftepotenzial in den<br />

nächsten 30 Jahren nahezu verdoppeln. Diese Entwicklung, die mit<br />

stark ansteigenden Beitragslasten für Arbeitnehmer und Arbeitgeber<br />

einhergeht, kann neben einer höheren Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer<br />

durch eine stetige Zuwan<strong>der</strong>ung, die den Altersaufbau in<br />

Deutschland günstig beeinflusst, abgemil<strong>der</strong>t werden.<br />

Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Internationalisierung <strong>des</strong> Personaleinsatzes<br />

und angesichts einer abnehmenden und alternden Bevölkerung<br />

in Deutschland bleibt es die Aufgabe, auf dem mit dem neuen<br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsrecht eingeschlagenen Weg voranzugehen. Es bedarf<br />

hierbei weiterer perspektivischer Orientierungen zugunsten einer kontrollierten<br />

Potenzialzuwan<strong>der</strong>ung.<br />

Berlin, <strong>im</strong> März 2006


STELLUNGNAHME<br />

Berlin, 21. März 2006<br />

Deutscher Industrie- und Handelskammertag<br />

Zum Thema:<br />

Erfahrungen bei <strong>der</strong> Anwendung <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes für den Zeitraum<br />

vom 1. Januar bis 31. Dezember 2005<br />

I. Einführung<br />

Im Zuge <strong>der</strong> wachsenden Internationalisierung <strong>der</strong> Wirtschaft kommt <strong>der</strong> Arbeitsmigration und damit<br />

dem Zuzug qualifizierter ausländischer Erwerbspersonen nach Deutschland eine große Bedeutung<br />

zu. Vor diesem Hintergrund hat <strong>der</strong> DIHK die Entstehung <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes von Anfang<br />

an positiv begleitet. Zwar ist aus Sicht <strong>der</strong> Wirtschaft bedauerlich, dass das <strong>im</strong> ursprünglichen Gesetzentwurf<br />

angelegte Punkteverfahren, das eine rasche und unbürokratische Zuwan<strong>der</strong>ung ausländischer<br />

Fachkräfte ermöglicht hätte, letztlich nicht Gesetz geworden ist. Doch stellt <strong>der</strong> <strong>im</strong> Frühjahr<br />

2004 von Regierung und Opposition erzielte Kompromiss zumin<strong>des</strong>t einen Einstieg in die Arbeitsmigration<br />

dar. Wenn Deutschland <strong>im</strong> – aufgrund <strong>des</strong> demografischen Wandels – schärfer werdenden<br />

internationalen Wettstreit um die besten Köpfe nicht ins Hintertreffen geraten will, wird perspektivisch<br />

an einer stärkeren Öffnung <strong>des</strong> Arbeitsmarktes für ausländische Fachleute kein Weg<br />

vorbeiführen.<br />

Der DIHK unterstützt daher ausdrücklich die von Union und SPD <strong>im</strong> Koalitionsvertrag vereinbarte<br />

<strong>Evaluierung</strong> <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes. Denn es ist wichtig, dass die bestehenden und verhältnismäßig<br />

engen Spielräume für die Arbeitsmigration unbürokratisch und wirtschaftsnah ausgeschöpft<br />

werden – und gegebenenfalls <strong>der</strong> rechtliche <strong>Rahmen</strong> bzw. die tägliche Anwendungspraxis<br />

angepasst wird. Die Erfahrungen <strong>der</strong> IHKs deuten hier auf Än<strong>der</strong>ungsbedarf und Än<strong>der</strong>ungsmöglichkeiten<br />

hin.<br />

- 1 -


II. Gesamteinschätzung<br />

Berlin, 21. März 2006<br />

Angesichts <strong>der</strong> relativ geringen Einstellungsmöglichkeiten <strong>der</strong> Unternehmen kam <strong>im</strong> Jahr 2005 –<br />

wie die Rückmeldungen <strong>der</strong> IHKs belegen – <strong>der</strong> Beschäftigung zusätzlicher ausländischer Arbeitnehmer<br />

insgesamt ein tendenziell geringerer Stellenwert zu. Als Folge <strong>der</strong> dreijährigen Stagnation<br />

spielte 2005 auch das Thema Arbeitskräftemangel eine weniger bedeutende Rolle als noch <strong>im</strong> Jahr<br />

2001 (vgl. Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK), Ruhe vor dem Sturm, Ergebnisse<br />

einer DIHK-Unternehmensbefragung, Berlin, 2005, als Anlage beigefügt). Dass sich die Situation<br />

aus Sicht <strong>der</strong> Wirtschaft etwas entspannt hat, darf aber zum einen nicht darüber hinwegtäuschen,<br />

dass beispielsweise Betriebe aus den Bereichen Pharmazie, Maschinenbau, Medizin- und Elektrotechnik,<br />

aber auch Zeitarbeitsunternehmen teilweise erhebliche Schwierigkeiten haben, ihre offenen<br />

Stellen zu besetzen. Zum an<strong>der</strong>en dürfte sich <strong>der</strong> Fachkräftemangel mit weiterem Anziehen <strong>der</strong><br />

Konjunktur und <strong>im</strong> Zuge <strong>des</strong> demografischen Wandels verschärfen und auf weitere Branchen ausdehnen.<br />

Umso wichtiger ist es daher, dieser Entwicklung auch durch den unbürokratischen und<br />

problemlosen Einsatz ausländischer Arbeitnehmer begegnen zu können.<br />

Die Möglichkeiten, die das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz den Unternehmen zur Deckung ihres Bedarfs an<br />

ausländischen Fachkräften bietet, werden dabei von den IHKs größtenteils als nicht ausreichend<br />

betrachtet. Bemängelt wird insbeson<strong>der</strong>e, dass <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz <strong>der</strong> Anwerbestopp <strong>im</strong><br />

Grundsatz aufrechterhalten und die Auslän<strong>der</strong>beschäftigung weiterhin als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt<br />

ausgestaltet wurde – mit den damit verbundenen bürokratischen Konsequenzen und<br />

Rechtsunsicherheiten für alle Beteiligten. Es sollte daher überprüft werden, ob mittelfristig nicht vom<br />

Grundsatz <strong>des</strong> Anwerbestopps abgerückt wird, um so den Einsatz ausländischer Fachkräfte generell<br />

zu erleichtern.<br />

Der <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz angelegte neue Verfahrensablauf – Auslän<strong>der</strong>ämter als einzige Anlaufstelle<br />

(„one-stop-shop“) – ist zwar theoretisch sinnvoll, führt aber in <strong>der</strong> Praxis nicht <strong>im</strong>mer zu<br />

Erleichterungen. Die Abläufe seien – so die Einschätzung einiger IHKs – we<strong>der</strong> standardisiert noch<br />

automatisiert, was oftmals zu Missverständnissen und Zeitverlusten führt. Hinzu kommt, dass für<br />

die Unternehmen, die eine ausländische Fachkraft suchen, <strong>der</strong> Dialog mit den Arbeitsagenturen<br />

häufig wichtiger wäre als mit den Auslän<strong>der</strong>behörden, ein direkter Kontakt mit den Agenturen <strong>im</strong><br />

Ablauf aber nicht mehr vorgesehen ist. Auslän<strong>der</strong> berichten ihrerseits davon, dass sie von den Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

weiterhin zu den Agenturen für Arbeit gesandt werden, um Fragen <strong>im</strong> Zusammen-<br />

- 2 -


Berlin, 21. März 2006<br />

hang mit <strong>der</strong> Aufnahme einer Erwerbstätigkeit abzuklären. Auch könnten die Auslän<strong>der</strong>behörden <strong>im</strong><br />

Vorfeld oftmals keine erschöpfenden Auskünfte und Informationen hinsichtlich <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes<br />

und <strong>der</strong> Möglichkeiten <strong>der</strong> Arbeitsmigration erteilen. Damit wird die Idee <strong>des</strong> „one-stop-shop“<br />

in <strong>der</strong> Praxis offenbar noch nicht ausreichend effizient umgesetzt. Grundsätzlich ist die Einführung<br />

funktionieren<strong>der</strong> „one-stop-shops“ nachdrücklich zu befürworten, da diese zu erheblichen Verfahrensvereinfachungen<br />

führen können.<br />

Nicht wenige IHKs weisen darauf hin, dass die Verfahrensdauer <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Zuzug<br />

und <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit ausländischer Erwerbspersonen je nach Auslän<strong>der</strong>behörde und Arbeitsagentur<br />

offenbar variiert, in <strong>der</strong> Regel aber als zu lang empfunden wird. Unternehmen und<br />

ausländische Arbeitnehmer würden dadurch unnötig belastet. Erschwerend kommt hinzu, dass bereits<br />

kleinste Verän<strong>der</strong>ungen be<strong>im</strong> Einsatz ausländischer Arbeitnehmer (zum Beispiel Übergang<br />

von Teilzeit- in Vollzeitbeschäftigung o<strong>der</strong> von Tagschicht in Nachtschicht) stets neuer Genehmigungen<br />

bedürfen, die Bürokratie und Kosten verursachen und oftmals nicht binnen kurzer Frist erteilt<br />

werden. Positiv fallen in<strong>des</strong> Einzelbeispiele auf, in denen sich die Behörden vor Ort gemeinsam<br />

mit IHKs und den beteiligten Unternehmen um effiziente Individuallösungen bemühen, die zu<br />

einer kürzeren Bearbeitungsdauer führen können.<br />

III. Einzelaspekte <strong>der</strong> Arbeitsmigration<br />

Zust<strong>im</strong>mung <strong>der</strong> Arbeitsagenturen (§ 39 AufenthG)<br />

Die Arbeitsmarktprüfungen durch die Arbeitsagenturen dauern, wie die Rückmeldungen aus den<br />

Unternehmen zeigen, oftmals relativ lang und bieten vielfach Anlass zur Kritik: Die Betriebe, die<br />

eine ausländische Fachkraft einstellen wollen, bemängeln, dass sie zunächst mit einer Vielzahl von<br />

inländischen Arbeitslosen langwierige Bewerbungsgespräche führen müssen – und das auch in<br />

Fällen, in denen die Unternehmen bereits einen passenden ausländischen Bewerber gefunden haben<br />

und gleichzeitig wissen, dass die von Seiten <strong>des</strong> Betriebs benötigten speziellen Qualifikationen<br />

auf dem regionalen Arbeitsmarkt nicht zu finden sind. Bis ein Unternehmen seine Vakanz letztlich<br />

mit einem ausländischen Arbeitnehmer besetzen kann, vergehen häufig mehrere Wochen.<br />

- 3 -


Berlin, 21. März 2006<br />

Zwar ist es <strong>im</strong> Interesse <strong>der</strong> Steuer- und Beitragszahler, dass Arbeitsagenturen sowie Arbeitsgemeinschaften<br />

und Optionskommunen alles daran setzen, inländische Arbeitslose in reguläre Beschäftigung<br />

zu vermitteln. Doch darf mit Blick auf die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer<br />

nicht übersehen werden, dass die Betriebe selbst am besten wissen dürften, welche Qualifikationen<br />

sie benötigen und welche Kandidaten für die Besetzung einer offenen Stelle in Betracht kommen.<br />

Führt eine zu restriktive Arbeitsmarktprüfung schließlich dazu, dass die Vakanz unbesetzt<br />

bleibt, weil sich bevorrechtigte Kandidaten als ungeeignet erwiesen haben, die ausländische Fachkraft<br />

ihrerseits – ob <strong>des</strong> langwierigen Verfahrens – „abgesprungen“ ist, ist letztlich niemandem gedient.<br />

Daher ist es unabdingbar, dass die Arbeitsmarktprüfung durch die Arbeitsagenturen flexibel,<br />

wirtschaftsnah und vor allem schneller als bisher vonstatten geht. Oberstes Ziel muss sein, dass<br />

das Unternehmen binnen eines überschaubaren Zeitfensters seine offene Stelle mit einem geeigneten<br />

Kandidaten besetzen kann. Potenziale für leichtere, flexiblere und schnellere Verfahrensabläufe<br />

ergeben sich aus <strong>der</strong> in § 39 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vorgesehenen Pauschalprüfung,<br />

nach <strong>der</strong> die Arbeitsagentur die Arbeitsmarktprüfung für einzelne Berufsgruppen<br />

und Wirtschaftszweige vornehmen kann. Diese Vorgehensweise würde auch dazu beitragen, die<br />

Planungssicherheit auf Seiten <strong>der</strong> Unternehmen zu vergrößern. Hier wäre es interessant zu wissen,<br />

ob bzw. ggf. in welchem Ausmaß diese Pauschalprüfung in <strong>der</strong> Praxis zur Anwendung kommt.<br />

Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis für Hochqualifizierte (§ 19 AufenthG)<br />

Es ist aus DIHK-Sicht sinnvoll, dass nach § 19 AufenthG hochqualifizierte Auslän<strong>der</strong> von Anfang an<br />

eine Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis und damit uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten<br />

können. Als Hemmschuh für die Einstellung ausländischer Spitzenkräfte erweist sich in<strong>des</strong> die<br />

in § 19 Abs. 2 Nr. 3 verankerte Regelung, dass das Merkmal <strong>der</strong> Hochqualifizierung mit einem Gehalt<br />

in Höhe von min<strong>des</strong>tens <strong>der</strong> doppelten Beitragsbemessungsgrenze in <strong>der</strong> gesetzlichen<br />

Krankenversicherung einhergeht. In <strong>der</strong> Praxis ist diese Vorgabe gerade für kleine und mittlere Unternehmen<br />

oftmals eine zu hohe Hürde. So berichten die IHKs von mittelständischen Betrieben, die<br />

gerne eine ausländische Spitzenkraft eingestellt hätten und letztlich daran scheiterten, dass sie ein<br />

Gehalt in <strong>der</strong> <strong>im</strong> Gesetz vorgegebenen Höhe nicht haben aufbringen können – obwohl <strong>der</strong> ausländische<br />

Hochqualifizierte durchaus zu einem niedrigeren Gehalt zu arbeiten bereit gewesen wäre.<br />

- 4 -


Berlin, 21. März 2006<br />

Vor diesem Hintergrund plädieren einige IHKs dafür, die gesetzlich fixierte Einkommensuntergrenze<br />

zu senken – beispielsweise auf die einfache Beitragsbemessungsgrenze in <strong>der</strong> gesetzlichen<br />

Krankenversicherung.<br />

Aufenthalt zum Zweck <strong>des</strong> Studiums (§ 16 AufenthG)<br />

Die Regelung, nach <strong>der</strong> einem Auslän<strong>der</strong> zu Studienzwecken eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden<br />

kann, hat sich nach Einschätzung <strong>der</strong> IHKs <strong>im</strong> Grundsatz bewährt – insbeson<strong>der</strong>e <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

mit <strong>der</strong> Möglichkeit, nach dem Studium in Deutschland bis zu einem Jahr lang nach<br />

einem Arbeitsplatz suchen zu können (§ 16 Abs. 4). Gleichwohl gibt es von IHK-Seite St<strong>im</strong>men, die<br />

dafür plädieren, ausländischen Hochschulabsolventen, die in Deutschland ihr Studium erfolgreich<br />

abgeschlossen haben, den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt stärker zu erleichtern. Denn diese<br />

Personen verfügen <strong>im</strong> Regelfall über ausreichende Kenntnisse <strong>der</strong> deutschen Sprache und sind<br />

oft bereits soweit hierzulande integriert, dass sie aus Sicht vieler Unternehmen attraktive Arbeitnehmer<br />

darstellen – obwohl sie möglicherweise den verhältnismäßig restriktiven Zugangsvoraussetzungen<br />

<strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes nicht o<strong>der</strong> nicht vollständig genügen können.<br />

Privilegierung <strong>der</strong> neuen EU-Mitglie<strong>der</strong> (§ 39 Abs. 6 AufenthG)<br />

Arbeitnehmer aus den zum 1. Mai 2004 <strong>der</strong> EU beigetretenen mitteleuropäischen Staaten können<br />

mit Einverständnis <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit hierzulande grundsätzlich in jedem Beruf, <strong>der</strong> eine<br />

qualifizierte Berufsausbildung voraussetzt, tätig werden – und damit <strong>im</strong> Gegensatz zu an<strong>der</strong>en<br />

Drittstaatlern nicht nur in den durch Rechtsverordnung explizit genannten Berufsgruppen. Diese<br />

klare Privilegierung <strong>der</strong> neuen EU-Mitglie<strong>der</strong> wird nach Einschätzung <strong>der</strong> IHKs in <strong>der</strong> Praxis noch<br />

nicht in ausreichendem Maße genutzt. Dies mag auch daran liegen, dass in Politik und Öffentlichkeit<br />

das Thema „Arbeitnehmerfreizügigkeit <strong>der</strong> neuen EU-Bürger“ vorwiegend <strong>im</strong> Lichte <strong>der</strong> so genannten<br />

Übergangsregelungen und <strong>der</strong> von deutscher Seite zur Anwendung kommenden Freizügigkeitsbeschränkungen<br />

diskutiert wird, die bestehenden Zugangsmöglichkeiten zum deutschen<br />

Arbeitsmarkt aber seltener thematisiert werden. Die IHK-Organisation plädiert in diesem Zusammenhang<br />

dafür, in den Jahren zwischen 2006 und 2009 den Arbeits- und Dienstleistungsmarkt für<br />

die neuen mitteleuropäischen EU-Mitglie<strong>der</strong> zumin<strong>des</strong>t schrittweise zu öffnen – und die beste-<br />

- 5 -


Berlin, 21. März 2006<br />

henden Möglichkeiten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes großzügig und unbürokratisch auszuschöpfen<br />

(vgl. EU-Osterweiterung: DIHK zu den Übergangsfristen bei Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit,<br />

Beschluss <strong>des</strong> DIHK-Vorstands, März 2006).<br />

Gerade Betriebe, die auf den Märkten <strong>der</strong> Nachbarlän<strong>der</strong> tätig sind bzw. diese stärker erschließen<br />

wollen, sind oft auf das spezifische Know-How ausländischer Erwerbspersonen angewiesen. Substanzielle<br />

Erleichterungen be<strong>im</strong> grenzüberschreitenden Arbeitnehmeraustausch würden dazu<br />

beitragen, den Integrationsprozess zu beschleunigen. Deshalb sollte beispielsweise je<strong>des</strong> Unternehmen<br />

hierzulande die Möglichkeit haben, wenigstens einen Arbeitnehmer aus den neuen mitteleuropäischen<br />

EU-Staaten schnell und unbürokratisch einzustellen – ohne aufwändige Arbeitsmarktprüfung<br />

durch die Arbeitsagentur. Davon würden insbeson<strong>der</strong>e Betriebe in den Grenzregionen<br />

profitieren. Eine vergleichbare Regelung sollte auch für den grenzüberschreitenden Einsatz von<br />

Auszubildenden gefunden werden.<br />

Saisonarbeitnehmer und Werkvertragsarbeitnehmer<br />

IHKs mahnen auch Erleichterungen für die Unternehmen bei <strong>der</strong> Beschäftigung von ausländischen<br />

Saisonarbeitnehmern und Werkvertragsarbeitnehmern an. So sollte auch <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Saisonarbeitnehmer<br />

die Arbeitsmarktprüfung entbürokratisiert werden, indem <strong>der</strong> zeitliche <strong>Rahmen</strong> für<br />

diese Prüfung begrenzt wird und das Unternehmen nur mit einer kleineren Anzahl bevorrechtigter<br />

Bewerber Vorstellungsgespräche führen muss. Das gesamte Zulassungsverfahren müsste in max<strong>im</strong>al<br />

zwei Wochen abgeschlossen sein. Die zulässige Aufenthaltsdauer für Saisonarbeitnehmer<br />

sollte zugleich verlängert werden.<br />

Die Beschäftigung ausländischer Werkvertragsarbeitnehmer müsste gerade mit Blick auf kleinere<br />

Unternehmen substanziell vereinfacht werden. Dies ließe sich beispielsweise dadurch erreichen,<br />

dass künftiger weniger Nachweise und Unterlagen eingereicht werden müssen, die Werkvertragskontingente<br />

erhöht und die Gebühren gesenkt werden.<br />

- 6 -


Zuwan<strong>der</strong>ung ausländischer Selbständiger (§ 21 AufenthG)<br />

Berlin, 21. März 2006<br />

Aus DIHK-Sicht ist es sinnvoll, dass das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz auch Auslän<strong>der</strong>n, die die Aufnahme<br />

einer selbständigen Tätigkeit anstreben, den Zuzug nach Deutschland ermöglicht. Denn innovative<br />

Selbständige sind eine Bereicherung für den Standort Deutschland, schaffen ihrerseits Arbeitsplätze<br />

und för<strong>der</strong>n mit ihrem Produktangebot Konkurrenz und Wettbewerb, wovon letztlich alle<br />

Verbraucher hierzulande profitieren.<br />

Daher ist es wichtig, dass die Vorschriften <strong>des</strong> § 21 AufenthG in <strong>der</strong> Praxis flexibel gehandhabt und<br />

vor allem die in Abs. 1 Satz 2 genannten Regelbeispiele (1 Mio. Euro Investitionssumme und<br />

Schaffung von 10 Arbeitsplätzen) von den Auslän<strong>der</strong>behörden nicht irrtümlich als generelle Voraussetzung<br />

für die Zulässigkeit einer selbständigen Tätigkeit interpretiert werden. Die IHKs leisten<br />

mit ihren Stellungnahmen nach § 21 AufenthG (als zuständige fachkundige Körperschaft) einen<br />

wertvollen Beitrag, dass diese Vorschrift flexibel und einzelfallbezogen zur Anwendung kommen<br />

kann. Der DIHK hat seine grundsätzlich liberale Haltung zur Arbeitsmigration zuletzt Anfang März<br />

2006 in seinem Vorstandsbeschluss zu einer schrittweisen Öffnung <strong>des</strong> Arbeits- und Dienstleistungsmarktes<br />

für Erwerbspersonen aus den neuen mitteleuropäischen EU-Län<strong>der</strong>n unterstrichen.<br />

Die Anwendungspraxis <strong>des</strong> § 21 AufenthG variiert jedoch sehr stark, und das nicht nur von Bun<strong>des</strong>land<br />

zu Bun<strong>des</strong>land, son<strong>der</strong>n – zumin<strong>des</strong>t innerhalb Schleswig-Holsteins – sogar je nach Auslän<strong>der</strong>behörde:<br />

Hier tun sich nach Angaben <strong>der</strong> dortigen Lan<strong>des</strong>regierung einige untere Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

mit den wirtschaftlichen Beurteilungsmerkmalen und den quantitativen Regelbeispielen<br />

<strong>der</strong>art schwer, dass diese – vermutlich aus Unsicherheit, gegen gelten<strong>des</strong> Recht zu verstoßen –<br />

zum Teil überhaupt keine Aufenthaltserlaubnisse mehr erteilen. Ähnliches ist beispielsweise aus<br />

dem Kammerbezirk Südwestsachsen zu vernehmen: Hier halten sich die Auslän<strong>der</strong>behörden offenbar<br />

strikt an die <strong>im</strong> § 21 Abs.1 Satz 2 AufenthG genannten Regelbeispiele und werten diese –<br />

entgegen den Möglichkeiten <strong>des</strong> Gesetzes – als absolute Untergrenzen. Auch die IHK Passau<br />

sieht in <strong>der</strong> täglichen Anwendung <strong>des</strong> § 21 AufenthG eine Verschärfung gegenüber <strong>der</strong> Rechtslage<br />

vor Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes. Denn <strong>im</strong> Zweifel zögen sich die Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

auf die Regelbeispiele zurück. Insgesamt habe die Flexibilität abgenommen.<br />

An<strong>der</strong>s verfahren beispielsweise die Hamburger Auslän<strong>der</strong>behörden: Nach Angaben <strong>der</strong> Handelskammer<br />

folgen die Behörden in ihrer Bewilligungspraxis dem Tenor <strong>der</strong> Stellungnahmen <strong>der</strong><br />

- 7 -


Berlin, 21. März 2006<br />

Handelskammer und schöpfen ihren Ermessensspielraum <strong>im</strong> Interesse <strong>der</strong> Antragsteller aus. Die<br />

Regelbeispiele <strong>des</strong> § 21 Abs.1 Satz 2 AufenthG spielen in <strong>der</strong> Hamburger Praxis in<strong>des</strong> kaum eine<br />

Rolle. Auslän<strong>der</strong>behörden und Handelskammer fassen die <strong>im</strong> Gesetz genannten Regeltatbestände<br />

statt<strong>des</strong>sen als Möglichkeit auf, Entscheidungen bei solchen Großinvestitionen zu beschleunigen.<br />

Die Handelskammer Hamburg hat dazu mit den Auslän<strong>der</strong>behörden vereinbart, dass diese bei Vorliegen<br />

<strong>der</strong> Regeltatbestände die entsprechenden Aufenthaltserlaubnisse erteilen, sofern die Handelskammer<br />

nicht binnen 14 Tagen wi<strong>der</strong>spricht.<br />

Angesichts <strong>der</strong> Tatsache, dass die <strong>im</strong> Gesetz genannten Regelbeispiele nicht nur auf ansiedlungswillige<br />

mittelständische Unternehmen abschreckend wirken, son<strong>der</strong>n auch auf Seiten <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

nicht selten zu Verwirrung und letztlich zu einer zu restriktiven Anwendung geltenden<br />

Rechts führen, wäre daher zu überlegen, die Regelbeispiele vollständig aus § 21 AufenthG zu<br />

entfernen. Alternativ bedarf es zumin<strong>des</strong>t einer ausdrücklichen bun<strong>des</strong>weiten Klarstellung, dass es<br />

sich bei diesen Beispielen nicht um verbindliche Zugangshürden handelt, son<strong>der</strong>n vielmehr eine<br />

flexible und einzelfallbezogene Anwendung <strong>des</strong> geltenden Rechts geboten ist – vorzugsweise unter<br />

Beteiligung <strong>der</strong> IHKs vor Ort, die mit den regionalen Wirtschafsstrukturen gut vertraut sind.<br />

Gleichwohl muss eine <strong>im</strong> Kern offene Anwendung <strong>des</strong> § 21 AufenthG von geeigneten Maßnahmen<br />

begleitet werden, die das Entstehen von Scheinselbständigkeit verhin<strong>der</strong>n. Dass in diesem Zusammenhang<br />

zwielichtige und womöglich kr<strong>im</strong>inelle Vorhaben (zum Beispiel Drogenhandel,<br />

Zwangsprostitution etc.) rigoros verfolgt und unterbunden werden müssen, versteht sich von selbst.<br />

Visa für ausländische Geschäftspartner<br />

In nicht seltenen Fällen berichten Unternehmen von Schwierigkeiten, Visa für ausländische Geschäftspartner<br />

– zum Beispiel für Messeauftritte, aber auch für Schulungen <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Produktpräsentationen<br />

– zu erhalten, was vor Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes offenbar leichter<br />

möglich war. Erschwert werde das Verfahren durch die verlangten Verpflichtungserklärungen<br />

<strong>der</strong> einladenden Firma nach den §§ 66 bis 68 AufenthG. Insgesamt sei die bisher übliche Vorbereitungszeit<br />

von einigen Wochen für <strong>der</strong>artige Geschäftsbesuche nicht mehr ausreichend – und das<br />

Verfahren insgesamt zeitaufwändiger und komplizierter als früher. Um Missbrauch zu vermeiden,<br />

sollten die Unternehmen dann, wenn wichtige ausländische Geschäftspartner einreisen wollen, dies<br />

auch in nachvollziehbarer Weise gegenüber den deutschen Konsulaten <strong>im</strong> Ausland begründen.<br />

- 8 -


IV. Fazit<br />

Berlin, 21. März 2006<br />

Die Rückmeldungen <strong>der</strong> IHKs zeigen, dass das deutsche Zuwan<strong>der</strong>ungsrecht und <strong>des</strong>sen tägliche<br />

Anwendungspraxis aus Sicht <strong>der</strong> Wirtschaft verbesserungsfähig sind. Die hohe Arbeitslosigkeit und<br />

ein tendenziell geringerer Fachkräftemangel als noch vor vier bis fünf Jahren sollten nicht zu <strong>der</strong><br />

Fehleinschätzung führen, die Erwerbstätigkeit von qualifizierten Auslän<strong>der</strong>n am Standort Deutschland<br />

müsse nicht weiter erleichtert werden. Wenn notwendige Anpassungsschritte bei <strong>der</strong> Arbeitsmigration<br />

ausbleiben, wird Deutschland spätestens dann Wettbewerbsnachteile erleiden, wenn <strong>der</strong><br />

demografische Wandel noch stärker als heute durchschlägt und die Probleme <strong>der</strong> Unternehmen bei<br />

<strong>der</strong> Stellenbesetzung größer werden. Wachstums- und Beschäftigungsverluste wären die Folge,<br />

wenn die Unternehmen hierzulande zum erfor<strong>der</strong>lichen Zeitpunkt nicht in ausreichendem Maße auf<br />

ausländische Fachkräfte zurückgreifen können. Hinzu kommt, dass ein Mangel an qualifizierten<br />

Fachkräften in <strong>der</strong> Regel auch in an<strong>der</strong>en Bereichen Arbeitsplatzverluste nach sich zieht.<br />

Gleichzeitig gilt aber auch: Arbeitsmarktorientierte Zuwan<strong>der</strong>ung ist nur ein Baustein, um dem demografischen<br />

Wandel erfolgreich zu begegnen. Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf<br />

sowie mehr Investitionen in Bildung müssen auf <strong>der</strong> Liste <strong>der</strong> politisch Verantwortlichen ganz oben<br />

stehen.<br />

B2/De/Hs/B9/biw<br />

- 9 -


Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)<br />

Bun<strong>des</strong>vorstand<br />

Erfahrungen mit <strong>der</strong> Umsetzung <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

Berlin, 20.03.2004<br />

Deutscher Gewerkschaftsbund<br />

Referat Migrationspolitik<br />

Volker Roßocha<br />

Henriette-Herz-Platz 2<br />

10178 Berlin<br />

Tel.: 030-240 60-342<br />

Fax: 030-240 60-408<br />

e-mail: volker.rossocha@dgb.de<br />

40<br />

Deutscher<br />

Gewerkschaftsbund<br />

Bun<strong>des</strong>vorstand


I. Einführung<br />

Deutscher<br />

Gewerkschaftsbund<br />

Bun<strong>des</strong>vorstand<br />

Das Gesetz zur Steuerung und Begrenzung <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung und zur Regelung <strong>des</strong><br />

Aufenthalts und <strong>der</strong> Integration von Unionsbürgern und Auslän<strong>der</strong>n (Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz)<br />

vom 30. Juli 2004 ist seit etwas mehr als einem Jahr in Kraft. Mit <strong>der</strong> Schaffung<br />

<strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes verbunden wurde erstmals ein Anspruch auf die Teilnahme<br />

an einem Integrationskurs für Neuzuwan<strong>der</strong>er aus Drittstaaten. Gleichzeitig sollte<br />

die Zahl <strong>der</strong> Aufenthaltstitel verringert und neue Zuständigkeiten geschaffen werden.<br />

Ein Kernelement <strong>der</strong> Neuregelungen war das so genannte „One-stop-goverment“, mit<br />

<strong>des</strong>sen Hilfe Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis aus einer Hand vergeben werden sollte.<br />

Bereits <strong>der</strong> erste Entwurf eines Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes wurde von Nichtregierungsorganisationen,<br />

Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften kritisiert, dass öffentlich verlautbarte<br />

Zielsetzungen und Regelungen <strong>des</strong> Gesetzes in wesentlichen Punkten auseinan<strong>der</strong> fallen,<br />

z.B. bei <strong>der</strong> Reduzierung <strong>der</strong> Gruppen, die einen Anspruch auf die Teilnahme an einer Integrationsmaßnahme<br />

erhalten sollten und auch bei <strong>der</strong> Ausdifferenzierung <strong>der</strong> Aufenthaltstitel.<br />

Im Gesetzgebungsverfahren wurden weitere Än<strong>der</strong>ungen vorgenommen, die den Begrenzungscharakter,<br />

insbeson<strong>der</strong>e be<strong>im</strong> Zugang zur Erwerbstätigkeit und bei <strong>der</strong> Ausdifferenzierung<br />

<strong>der</strong> Aufenthaltstitel, noch deutlicher hervortreten ließen. Undurchdacht war beson<strong>der</strong>s<br />

auch die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Zuständigkeiten bei <strong>der</strong> Erteilung von Titeln, mit denen ein Zugang<br />

zum Arbeitsmarkt verbunden ist. Weitere Verän<strong>der</strong>ungen wurden <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong><br />

Vermittlungsverfahrens vorgenommen, in <strong>der</strong>en Folge neue und zusätzliche Wi<strong>der</strong>sprüche<br />

zu den Zielsetzungen aber auch innerhalb <strong>des</strong> Gesetzes entstanden.<br />

Nicht nur die rechtlichen Regelungen selbst sind ausgesprochen kompliziert, auch ihre Einführung<br />

führte zu Verunsicherungen bei den Betroffenen und den zuständigen Behörden.<br />

Aus Sicht <strong>des</strong> DGB war die Zeit zwischen <strong>der</strong> Verabschiedung <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>rat und dem Inkrafttreten<br />

am 1.1.2005 zu kurz bemessen. Bis heute fehlen darüber hinaus verbindliche<br />

Verwaltungsvorschriften. Auslän<strong>der</strong>rechtliche Fehlinterpretationen könnten hierdurch begünstigt<br />

worden sein.<br />

Der DGB begrüßt die <strong>im</strong> Koalitionsvertrag vereinbarte <strong>Evaluierung</strong> <strong>der</strong> Anwendungspraxis<br />

<strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes. Der DGB ist mit den Koalitionsparteien <strong>der</strong> Überzeugung, dass<br />

die Überprüfung sich auch auf die Frage <strong>der</strong> Auswirkungen <strong>der</strong> Kettenduldungen und auf die<br />

Bleibemöglichkeiten von in Deutschland aufgewachsenen Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen beziehen<br />

muss. Dabei darf aber nicht nur die Entscheidungspraxis einzelner Auslän<strong>der</strong>ämter in<br />

den Blick genommen werden, beurteilt werden muss insbeson<strong>der</strong>e auch, ob die gesetzlichen<br />

Regelungen, inklusive <strong>der</strong> Umsetzungsverordnungen sowie die Anwendungshinweise Anlass<br />

zur Än<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> Anpassung geben.<br />

Der DGB ist überzeugt, dass das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz und seine Anwendung kontinuierlich<br />

beobachtet werden müssen. Dazu sind neben <strong>der</strong> Aufarbeitung von Verfahrensabläufen<br />

auch die Analyse <strong>der</strong> Wirkungen in quantitativer Hinsicht erfor<strong>der</strong>lich. Zum gegenwärtigen<br />

Zeitpunkt liegen kaum ausreichende Daten z.B. bei <strong>der</strong> Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen<br />

zu Erwerbszwecken vor. Die Zuständigkeit <strong>der</strong> unterschiedlichen Behörden, die komplexen<br />

Beteiligungsrechte bei <strong>der</strong> Erteilung von best<strong>im</strong>mten Aufenthaltsgenehmigungen (z.B.<br />

bei § 19 AufenthG) führen zudem zu Verzögerungen <strong>im</strong> Verfahren selbst und lassen kaum<br />

eine sachgerechte Beurteilung <strong>der</strong> Entwicklung zu. Angesichts <strong>der</strong> anstehenden Entscheidung<br />

über die Fortsetzung <strong>der</strong> Übergangsregelungen bei <strong>der</strong> Arbeitnehmerfreizügigkeit und<br />

<strong>der</strong> Dienstleistungsfreiheit wäre eine auf quantitativen Daten und qualitativen Entwicklungen<br />

41


Deutscher<br />

Gewerkschaftsbund<br />

Bun<strong>des</strong>vorstand<br />

beruhende Debatte erfor<strong>der</strong>lich gewesen. An<strong>der</strong>s als <strong>der</strong> Sachverständigenrat Zuwan<strong>der</strong>ung,<br />

<strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Vorlage <strong>des</strong> ersten Berichts vor allem auf Druck <strong>der</strong> Opposition vom damaligen<br />

Innenminister Schily aufgelöst wurde, sah sich das Bun<strong>des</strong>amt für Migration und<br />

Flüchtlinge nicht in <strong>der</strong> Lage aktuelle Daten zu erheben und zu veröffentlichen.<br />

Der DGB for<strong>der</strong>t die Bun<strong>des</strong>regierung auf, die Datenerhebung zu opt<strong>im</strong>ieren und <strong>der</strong><br />

Öffentlichkeit nicht nur Daten zur Asylantragstellung son<strong>der</strong>n vor allem auch differenzierte<br />

Daten über die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen zur Verfügung zu stellen.<br />

II. Rechtliche Regelungen<br />

1. Geduldete Auslän<strong>der</strong> und ihr Arbeitsmarktzugang<br />

Im <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Verhandlungen um den Zuwan<strong>der</strong>ungskompromiss wurde das Instrument<br />

<strong>der</strong> Duldung wie<strong>der</strong> eingeführt. Ursprünglich war mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz war die Zielsetzung<br />

verbunden, Kettenduldungen abzuschaffen. Die wenigsten bislang Geduldeten<br />

konnten ihren Aufenthalt verfestigen, denn § 25 Abs. 5 wird dahingehend ausgelegt, dass die<br />

Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise <strong>der</strong> Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegen<br />

steht. Nicht geprüft wird, ob eine Ausreise zumutbar ist.<br />

In <strong>der</strong> Folge bleiben Angehörige aus Drittstaaten und ihre Familien ohne Aufenthaltserlaubnis,<br />

unabhängig davon, wie lange sie bereits in Deutschland leben und ob sie sich in die Lebensverhältnisse<br />

– soweit rechtlich möglich – integriert haben. Sie erhalten eine Duldung, die<br />

nur für wenige Monate ausgesprochen und <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> verlängert werden muss.<br />

Die Duldung selbst ist nicht nur von auslän<strong>der</strong>rechtlicher Bedeutung son<strong>der</strong>n verursacht<br />

auch sozialrechtliche Probleme.<br />

1.1. Arbeitsmarktzugang<br />

Grundsätzlich ist <strong>der</strong> Zugang zu einer Beschäftigung nach § 4 Abs. 3 abhängig vom Vorhandensein<br />

eines Aufenthaltstitels. Die Beschäftigungsverfahrensverordnung sieht – wie das<br />

alte Auslän<strong>der</strong>recht – in § 10 die Möglichkeit zur Erteilung einer Arbeitserlaubnis nach einer<br />

einjährigen Wartezeit vor, sofern eine Arbeitsmarktprüfung erfolgt ist. Voraussetzung ist allerdings,<br />

dass nach § 11 BeschVerfV Abschiebehin<strong>der</strong>nisse nicht selbst verursacht wurden.<br />

Die Möglichkeit zur Erteilung einer Arbeitserlaubnis ist aus Sicht <strong>des</strong> DGB zu begrüßen. Ein<br />

Arbeitsmarktzugang eröffnet die Chance für eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme<br />

sozialer Transferleistungen und verbessert die Integrationsperspektiven.<br />

Nach Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes bestätigten sich Befürchtungen, dass es <strong>im</strong><br />

Zusammenwirken <strong>der</strong> nach § 11 BeschVerfV notwendigen Entscheidung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

über die Beurteilung <strong>der</strong> Abschiebehin<strong>der</strong>nisse und <strong>der</strong> Arbeitsmarktprüfung durch die<br />

Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit zu erheblichen Problemen kommen könnte. Bereits Anfang Januar<br />

wurden erste Fälle, beson<strong>der</strong>s in NRW bekannt, bei denen geduldeten Auslän<strong>der</strong>n wegen<br />

<strong>des</strong> „Entzugs“ <strong>der</strong> Arbeitserlaubnis gekündigt werden musste.<br />

42


Beispiel: Stadt Ratingen<br />

Deutscher<br />

Gewerkschaftsbund<br />

Bun<strong>des</strong>vorstand<br />

Bis Mai 2005 wurden 55 geduldeten Personen die Arbeitserlaubnis entzogen, davon<br />

standen 14 Personen in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis. Der Stadt entstehen<br />

daher erhebliche Mehrkosten, die sich nach Auffassung eines Stadtratsmitglieds auf<br />

rund 720.000 € belaufen.<br />

43<br />

Quelle: Rheinische Post vom 15. Juni 2005<br />

Auch an<strong>der</strong>e Auslän<strong>der</strong>behörden sehen Anfang 2005 eine neue Rechtslage, die eine eingehende<br />

Prüfung <strong>der</strong> Ausschlussgründe gemäß § 11 BeschVerfV erfor<strong>der</strong>lich machen. Die<br />

Stadt Münster erläutert in einer Ratsinformation Mitte Februar 2005, „aufgrund rechtlicher<br />

Vorgaben kann einer Anzahl geduldeter Auslän<strong>der</strong> keine Beschäftigung erlaubt werden“;<br />

hierunter befinden sich auch Personen, die einer regelmäßigen Beschäftigung nachgehen.<br />

Wegen <strong>der</strong> Vielzahl an Beschwerden und Fällen hält es das Bun<strong>des</strong>innenministerium für<br />

erfor<strong>der</strong>lich, gegenüber den Innenministerien und den Senatsverwaltungen für Inneres <strong>der</strong><br />

Län<strong>der</strong>, Erläuterungen zum Verständnis <strong>der</strong> Regelungen <strong>des</strong> § 11 Beschäftigungsverfahrensverordnung<br />

zu geben. In dem Schreiben vom 18. März 2005 wird darauf verwiesen,<br />

dass die Versagensgründe <strong>des</strong> § 11 den bisherigen Regelungen <strong>des</strong> § 5 Nr. 5 Arbeitsgenehmigungsverordnung<br />

entsprächen und dass keine Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> materiellen Rechtslage<br />

eingetreten sei.<br />

Trotz <strong>der</strong> Erläuterungen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>innenministeriums bleiben weiterhin geduldete Personen,<br />

die zuvor einer Beschäftigung nachgegangen sind, von Arbeitsverboten betroffen. Die<br />

Stadt Potsdam beispielsweise stellt Ende Juni 2005 in einem Brief heraus, dass nur mit „allumfassen<strong>der</strong><br />

Erfüllung <strong>der</strong> Mitwirkungspflichten zur Beseitigung <strong>des</strong> Abschiebehin<strong>der</strong>nisses<br />

… <strong>der</strong> 2. Ausschlussgrund <strong>des</strong> § 11 BeschVerfV zu beseitigen“ sei.<br />

Die Auslän<strong>der</strong>behörden sehen – nach Auffassung <strong>des</strong> DGB – entgegen <strong>der</strong> Erläuterungen<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>innenministeriums in den Best<strong>im</strong>mungen <strong>der</strong> Beschäftigungsverfahrensverordnung<br />

eine Handhabe für eine restriktive Durchsetzung von Arbeitsverboten.<br />

Der DGB sieht <strong>im</strong> Hinblick auf den Arbeitsmarktzugang von geduldeten Personen in folgenden<br />

Punkten Handlungsbedarf:<br />

1.1.1. Grundlegende Auslegung<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden und Gerichte gehen offensichtlich davon aus, dass durch die Formulierungen<br />

<strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes und <strong>der</strong> Beschäftigungsverfahrensverordnung Verän<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> materiellen Rechtslage vorgenommen worden sind. Sie interpretieren die Vorschriften<br />

<strong>der</strong> §§ 10 und 11 <strong>der</strong> BeschVerfV als Versuch „den Auslän<strong>der</strong> zum freiwilligen Verlassen<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>gebiets zu bewegen“, so das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Beschluss vom<br />

14.04.2005 – 10 K 493/05).<br />

Der DGB erkennt darin einen Wertungswi<strong>der</strong>spruch zwischen dem Interesse einer möglichst<br />

umgehenden Ausreise abgelehnter Asylbewerber einerseits und <strong>der</strong> Schaffung menschenwürdiger<br />

Bedingungen solange ein Auslän<strong>der</strong> nicht abgeschoben werden kann. Der DGB ist<br />

<strong>der</strong> Überzeugung, dass – auch unter dem Aspekt <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>einglie<strong>der</strong>ung in<br />

das Herkunftslan<strong>des</strong> – <strong>der</strong> Zugang zur Erwerbstätigkeit ermöglicht werden muss.


Deutscher<br />

Gewerkschaftsbund<br />

Bun<strong>des</strong>vorstand<br />

Der DGB ist überzeugt, dass die Arbeitserlaubnis ein gänzlich ungeeignetes Werkzeug zur<br />

Beschleunigung einer Aufenthaltsbeendigung darstellt. Ein Versagen führt eher zu einer Abhängigkeit<br />

von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und för<strong>der</strong>t die Schwarzarbeit.<br />

Solange eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und ein sicherer Lebensunterhalt<br />

kein hinreichen<strong>der</strong> Grund für eine Bleibeberechtigung sind – welches allerdings sinnvoll<br />

wäre – besteht auch nicht die Gefahr, dass durch die Erteilung einer Arbeitsgenehmigung<br />

eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verunmöglicht wird.<br />

Der DGB for<strong>der</strong>t daher, nach § 60 a geduldeten Auslän<strong>der</strong>n nach einem Jahr Wartefrist<br />

einen nachrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt einzuräumen.<br />

1.1.2. Einjährige Wartefrist nach § 10<br />

Nach § 10, Satz 1 BeschVerfV ist eine Wartezeit von einem Jahr vorgesehen. Rechtsunklarheit<br />

besteht, ob es sich dabei um eine Wartezeit handelt, die mit <strong>der</strong> rechtmäßigen<br />

Einreise beginnt o<strong>der</strong> aber abhängig ist von dem jeweiligen Status. Nach <strong>der</strong> Durchführungsanweisung<br />

<strong>der</strong> BA löst ein Statuswechsel von einem Asylbewerber zum geduldeten<br />

Auslän<strong>der</strong> keine erneute Wartefrist aus. Das VG Karlsruhe (Beschluss vom 14.04.2005 – 10<br />

K 493/05) zieht dies in Zweifel. Es argumentiert mit dem auslän<strong>der</strong>rechtlichen Sprachgebrauch<br />

und hält eine weitere Wartefrist nur für entbehrlich, wenn die Duldungszeit auf einen<br />

erlaubten Aufenthalt folgt.<br />

Nach Auffassung <strong>des</strong> DGB ist in § 10 Satz 1 eine Klarstellung erfor<strong>der</strong>lich, die den Beginn<br />

<strong>der</strong> Wartefrist auf den Tag <strong>der</strong> rechtmäßigen Einreise festsetzt.<br />

1.1.3. Versagensgründe nach § 11<br />

Gemäß § 11 darf keine Arbeitserlaubnis erteilt werden, wenn<br />

- sich <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> zum Zweck <strong>des</strong> Bezugs von Leistungen eingereist ist o<strong>der</strong><br />

- aufgrund <strong>des</strong> Verschuldens <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht<br />

durchgeführt werden können.<br />

Zur zweiten Alternative werden in Satz 2 noch einige Tatbestände beispielhaft angeführt.<br />

Offensichtlich werden die Best<strong>im</strong>mungen <strong>des</strong> § 11 von den Auslän<strong>der</strong>behörden in restriktiverer<br />

Weise ausgelegt werden, als <strong>der</strong> Gesetzgeber es bei <strong>der</strong> fast wortgleichen Übernahme<br />

<strong>der</strong> Versagensgründe aus § 5 Nr. 5 Arbeitsgenehmigungsverordnung erwarten konnte. Da<br />

auch klarstellende Schreiben keine ausreichende Wirksamkeit entfalten, ist eine deutliche<br />

Än<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> § 11 BeschVerfV erfor<strong>der</strong>lich. Herausgestellt werden muss, dass, an<strong>der</strong>s als<br />

bei den Gründen für ein Versagen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5, für das Verbot<br />

<strong>der</strong> Erteilung einer Arbeitserlaubnis hinzukommen muss, dass <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> eine Abschiebung<br />

aktiv verunmöglicht. An<strong>der</strong>s als die Auslän<strong>der</strong>behörde in Potsdam stellt das Verwaltungsgericht<br />

Münster (VG Münster Beschluss vom 31.03.2005 – 8 L 189/05) klar, dass<br />

die Darlegungspflicht für die Versagensgründe bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde liegt. Insofern kann<br />

zwar von einem Auslän<strong>der</strong> eine aktive Beteiligung an <strong>der</strong> Beschaffung von He<strong>im</strong>reisedokumenten<br />

verlangt werden; er ist aber nicht für Verzögerungen o<strong>der</strong> Versäumnisse verantwortlich,<br />

die nicht in seinen eigenen Handlungsbereich fallen.<br />

Der DGB for<strong>der</strong>t den § 11 BeschVerfV dahingehend zu än<strong>der</strong>n, dass <strong>der</strong> Ermessensspielraum<br />

durch eine endliche Liste selbstverschuldeter Abschiebehin<strong>der</strong>nisse eingegrenzt<br />

wird.<br />

44


Deutscher<br />

Gewerkschaftsbund<br />

Bun<strong>des</strong>vorstand<br />

In den Verwaltungsvorschriften bzw. Anwendungshinweisen muss klar gestellt werden,<br />

dass<br />

1. die Weigerung Deutschland freiwillig zu verlassen keinen Versagensgrund darstellt,<br />

2. die Auslän<strong>der</strong>behörde darlegt, welche konkreten Mitwirkungshandlungen und –<br />

nachweise verlangt werden,<br />

3. bei <strong>der</strong> Entscheidung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde berücksichtigt werden muss, dass<br />

konsularische Vertretungen möglicherweise aus politischen Gründen die Annahme<br />

von Anträgen nicht quittieren<br />

4. die Versagensgründe nach § 11 einen Gegenwartsbezug haben, d. h. eine bereits<br />

aufgegebene Weigerung <strong>der</strong> Angabe <strong>der</strong> Staatsanghörigkeit keinen Versagensgrund<br />

darstellt son<strong>der</strong>n nur solche Gründe angeführt werden können, die zum Zeitpunkt <strong>der</strong><br />

Antragstellung noch eine Wirkung entfalten und<br />

5. die Auslän<strong>der</strong>behörde für die Versagensgründe die Beweislast trägt.<br />

1.1.4. Zust<strong>im</strong>mung bei längeren Vorbeschäftigungszeiten<br />

§ 9 BeschVerfV sieht eine Zust<strong>im</strong>mung <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur ohne Arbeitsmarktprüfung vor,<br />

sofern <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> längere Vorbeschäftigungs- o<strong>der</strong> Voraufenthaltszeiten nachweisen<br />

kann. Ausdrückliche Voraussetzung für das vereinfachte Verfahren ist allerdings – so <strong>der</strong><br />

Wortlaut <strong>des</strong> Abs. 1 – <strong>der</strong> Besitz einer Aufenthaltserlaubnis.<br />

Entsprechend <strong>des</strong> Wortlauts können geduldete Personen diese Erleichterung nicht in Anspruch<br />

nehmen. Zwar sind das Bun<strong>des</strong>innenministerium und das ehemalige Bun<strong>des</strong>ministerium<br />

für Wirtschaft und Arbeit <strong>der</strong> Auffassung, dass <strong>der</strong> § 9 BeschVerfV die Regelungen <strong>des</strong><br />

bisherigen § 286 SGB III fortführt, so jedenfalls <strong>der</strong> Brief <strong>des</strong> BMWA vom 4. November 2005.<br />

Dennoch sollte <strong>im</strong> Sinne <strong>der</strong> Rechtssicherheit eine Klarstellung vorgenommen werden, zumal<br />

auch die Durchführungsanweisung <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur keine entsprechende Interpretation<br />

vorn<strong>im</strong>mt.<br />

Der DGB for<strong>der</strong>t, in § 9 Abs. 1 BeschVerfV zu verankern, dass die Zust<strong>im</strong>mung zu einer<br />

Arbeitserlaubnis geduldeten Personen nach Erfüllung <strong>der</strong> Voraussetzungen <strong>der</strong><br />

Nr. 1 o<strong>der</strong> 2 ohne Arbeitsmarktprüfung erteilt wird.<br />

1.2. Geduldete Jugendliche<br />

Kin<strong>der</strong> von geduldeten Auslän<strong>der</strong>n können ebenfalls eine Arbeitserlaubnis nach § 10, z.B. für<br />

eine Berufsausbildung erhalten. Da diese Gruppe keine Aufenthaltserlaubnis besitzt kommt<br />

an<strong>der</strong>s als bei Jugendlichen, die vor dem 18. Lebensjahr eingereist sind und eine Aufenthaltserlaubnis<br />

besitzen, nur ein nachrangiger Zugang zum Arbeitsmarkt in Frage.<br />

Lei<strong>der</strong> wurden die bereits vor Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes von einigen Auslän<strong>der</strong>ämtern<br />

praktizierten Regelungen, nach denen geduldeten Jugendlichen nur dann die<br />

Aufnahme einer Berufsausbildung gestattet wird, wenn sie sich nach Beendigung <strong>der</strong> Maßnahme<br />

zu einer freiwilligen Ausreise verpflichten, nicht aufgegeben. Weigern sich die Jugendlichen,<br />

so wird ihnen ein Beschäftigungsverbot erteilt.<br />

Sofern die Zust<strong>im</strong>mung <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur von <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde eingeholt wird, kommt<br />

es oftmals zu Verzögerungen, die ihren Grund entwe<strong>der</strong> <strong>im</strong> Verfahrensablauf (Rückfragen zu<br />

den Arbeitsbedingungen) o<strong>der</strong> aber in <strong>der</strong> Vorrangprüfung selbst haben.<br />

45


Deutscher<br />

Gewerkschaftsbund<br />

Bun<strong>des</strong>vorstand<br />

Da ausländische Jugendliche generell und Jugendliche mit einem Duldungsstatus <strong>im</strong> Beson<strong>der</strong>en<br />

bei <strong>der</strong> Vergabe von Ausbildungsplätzen benachteiligt sind und möglicherweise erst<br />

nach dem normalen Auswahlverfahren eine Ausbildungszusage bekommen, führt das Verfahren<br />

und seine Dauer oft zu einem Rückzug <strong>der</strong> Arbeitgeber. Aus Sicht <strong>des</strong> DGB ist das<br />

Verfahren für <strong>im</strong> Jugendalter eingereiste Kin<strong>der</strong> von geduldeten Auslän<strong>der</strong>n we<strong>der</strong> sachgerecht<br />

noch auslän<strong>der</strong>rechtlich gerechtfertigt.<br />

Der DGB for<strong>der</strong>t, Kin<strong>der</strong>n von geduldeten Flüchtlingen, die <strong>im</strong> Jugendalter eingereist<br />

sind, und einen Schulabschluss an einer allgemein- o<strong>der</strong> berufsbildenden Schule abgeschlossen<br />

haben, ein eigenständiges Bleiberecht einzuräumen, min<strong>des</strong>tens aber<br />

eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16 AufenthG zu erteilen.<br />

Damit könnte gesichert werden, dass Arbeitgeber Kin<strong>der</strong> von Geduldeten zu einer Berufsausbildung<br />

beschäftigen können, ohne Bedenken haben zu müssen, dass den Jugendlichen<br />

während <strong>der</strong> Ausbildung die Arbeitserlaubnis entzogen wird bzw. sie abgeschoben<br />

werden. Sofern diese generelle Regelung nicht greift, besteht Än<strong>der</strong>ungsbedarf in <strong>der</strong> Beschäftigungsverfahrensverordnung.<br />

Der DGB for<strong>der</strong>t, den § 8 BeschVerfV dahingehend zu verän<strong>der</strong>n, dass Kin<strong>der</strong> von geduldeten<br />

Personen, die die Bedingungen <strong>der</strong> Nr. 1 erfüllen eine Arbeitserlaubnis bzw.<br />

eine Erlaubnis zur Durchführung einer betrieblichen Berufsausbildung ohne Vorrangprüfung<br />

erhalten.<br />

2. Aufenthaltserlaubnis für Hochqualifizierte nach § 19<br />

Gemäß § 19 AufenthG in Verbindung mit § 3 BeschV kann Hochqualifizierten in beson<strong>der</strong>en<br />

Fällen eine Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis ohne Zust<strong>im</strong>mung <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur erteilt werden. §<br />

19 Abs. 2 enthält Beispiele für die Definition <strong>des</strong> Begriffes „hoch qualifiziert“.<br />

Da <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> „One-stop-goverment“ die Entscheidung über die Erteilung einer Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis<br />

nach § 19 AufenthG den Auslän<strong>der</strong>behörden obliegt, muss sie auch die<br />

Definition und die Abgrenzung zu an<strong>der</strong>en Tätigkeiten vornehmen. Der DGB führt <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong><br />

seiner Beratungs- und Fortbildungstätigkeit auch regelmäßige Veranstaltungen mit Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter von Auslän<strong>der</strong>behörden durch. Darin wurden <strong>im</strong> letzten Jahr<br />

<strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> Fragen nach <strong>der</strong> Definition gestellt. Wegen <strong>des</strong> Mangels an Einstufungskriterien<br />

wird teilweise ausschließlich die Gehaltsuntergrenze nach Abs. 2 Nr. 3 bei <strong>der</strong> Entscheidung<br />

durch die Auslän<strong>der</strong>behörden berücksichtigt.<br />

Unabhängig <strong>der</strong> Überzeugung <strong>des</strong> DGB, dass die Arbeitsagenturen insgesamt besser geeignet<br />

wären, um Entscheidungen über die Zulassung von Erwerbstätigen zu treffen, besteht<br />

ein Bedarf an einer Abgrenzung <strong>der</strong> Tätigkeiten von Hochqualifizierten entsprechend § 19<br />

und zu Tätigkeiten von an<strong>der</strong>en Hochqualifizierten die nach § 18 Abs. 4 AufenthG in Verbindung<br />

§§ 4 und 5 BeschV eine Aufenthaltserlaubnis ohne Zust<strong>im</strong>mung <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur<br />

beantragen. Auch die vorläufigen Allgemeinen Anwendungshinweise geben keine ausreichende<br />

Auskunft.<br />

Der DGB empfiehlt dringend § 19 Abs. 2 AufenthG dahingehend zu verän<strong>der</strong>n, dass<br />

die Gruppen <strong>der</strong> Hochqualifizierten in einer endlichen Auflistung aufgeführt werden.<br />

Unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten und wegen <strong>der</strong> notwendigen Steuerung <strong>der</strong><br />

Erwerbstätigenzuwan<strong>der</strong>ung hält <strong>der</strong> DGB eine gemeinsame Datenerfassung erfor<strong>der</strong>lich.<br />

46


Deutscher<br />

Gewerkschaftsbund<br />

Bun<strong>des</strong>vorstand<br />

Dazu sollten die Auslän<strong>der</strong>behörden unmittelbar nach <strong>der</strong> Erteilung einer Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis<br />

nach § 19 eine Mitteilung – ähnlich wie in an<strong>der</strong>en Fällen entsprechend <strong>der</strong> BeschV<br />

– an die Arbeitsagentur machen.<br />

3. Verfahren zur Erteilung einer Arbeitserlaubnis<br />

Gemäß § 4 Abs. 2 AufenthG berechtigt ein Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit<br />

nur, wenn entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> Titel selbst o<strong>der</strong> das Gesetz es vorsieht o<strong>der</strong> die Bun<strong>des</strong>agentur<br />

zugest<strong>im</strong>mt hat bzw. eine Rechtsverordnung best<strong>im</strong>mt, dass eine Zust<strong>im</strong>mung nicht erfor<strong>der</strong>lich<br />

ist.<br />

Der Erteilung eines Aufenthaltstitels, zu Erwerbszwecken und <strong>der</strong> Zust<strong>im</strong>mung durch die<br />

Bun<strong>des</strong>agentur sind enge Grenzen gesetzt, da § 18 Abs. 3 und 4 AufenthG festlegen, dass<br />

ein Aufenthaltstitel nur an Berufsgruppen gegeben werden darf, sofern entwe<strong>der</strong> zwischenstaatliche<br />

Vereinbarungen vorhanden sind o<strong>der</strong> eine Rechtsverordnung, die <strong>der</strong> Verabschiedung<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>rates bedarf, einzelne Tätigkeiten o<strong>der</strong> Berufsgruppen für die Erteilung einer<br />

Aufenthaltserlaubnis öffnet. Eine Aufenthalthaltserlaubnis an an<strong>der</strong>e Beschäftigungsgruppen<br />

darf nur – gemäß § 18 Abs. 4 Satz 2 – in einem begründeten Einzelfall erteilt werden,<br />

sofern ein öffentliches Interesse an <strong>der</strong> Beschäftigung besteht.<br />

Insofern ist zunächst eine genaue Definition <strong>der</strong> für die Erteilung geöffneten Tätigkeiten und<br />

solchen, die für einen Arbeitsmarktzugang verschlossen sind, vorzunehmen. Eine zweite<br />

Fragestellung ist, ob es sich um eine Tätigkeit handelt, die nach <strong>der</strong> Beschäftigungsverordnung<br />

zust<strong>im</strong>mungsfrei ist o<strong>der</strong> um eine zust<strong>im</strong>mungspflichtige Beschäftigung. Außerdem<br />

muss die Auslän<strong>der</strong>behörde berücksichtigen, dass entsprechend <strong>der</strong> Beschäftigungsverfahrensverordnung<br />

in best<strong>im</strong>mten Fällen eine Zust<strong>im</strong>mung ebenfalls nicht erfor<strong>der</strong>lich ist.<br />

Der DGB stellt fest, dass die generelle Anlage <strong>des</strong> Gesetzes nicht nur zu einer Einschränkung<br />

<strong>der</strong> Steuerungsmöglichkeiten bei <strong>der</strong> Arbeitsmarktzuwan<strong>der</strong>ung führt, da eine Än<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Berufsgruppen <strong>im</strong>mer ein langwieriges Verfahren zur Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> jeweiligen Verordnung<br />

nach sich zieht, son<strong>der</strong>n auch Entwicklungspotentiale für die deutsche Wirtschaft<br />

und den Arbeitsmarkt verspielt werden.<br />

Die Entscheidung, den Auslän<strong>der</strong>behörden die alleinige Zuständigkeit für die Erteilung von<br />

Aufenthaltsgenehmigungen zu Erwerbszwecken und in best<strong>im</strong>mten Fällen auch für die Erteilung<br />

von Arbeitserlaubnissen zu übertragen, hält <strong>der</strong> DGB vor allem wegen <strong>der</strong> Erfahrungen<br />

in den letzten Monaten für überdenkenswert.<br />

Unabhängig von <strong>der</strong> Notwendigkeit einer grundlegenden Revision <strong>der</strong> Zuständigkeit<br />

müssten – nach Auffassung <strong>des</strong> DGB – in einem ersten Schritt die Abläufe vereinfacht<br />

und vereinheitlicht werden. Dazu sind unter an<strong>der</strong>em die Auslän<strong>der</strong>ämter und die Arbeitsagenturen<br />

<strong>im</strong> Hinblick auf einen gegenseitigen Austausch zu vernetzen. Darüber<br />

hinaus bedarf es einheitlicher Verwaltungsvorschriften, die auf Basis <strong>der</strong> Dienstanweisungen<br />

<strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit, die Abgrenzung <strong>der</strong> unterschiedlichen Tätigkeiten<br />

erleichtern.<br />

3.1. Ablauf bei <strong>der</strong> Zust<strong>im</strong>mungseinholung<br />

Grundsätzlich – mit Ausnahme <strong>der</strong> alleinigen Zuständigkeit <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit für<br />

die die Angehörigen <strong>der</strong> 8 Beitrittsstaaten – erfolgt <strong>der</strong> Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels<br />

zu Erwerbszwecken bzw. zur Erteilung einer Arbeitserlaubnis für Personen mit<br />

47


Deutscher<br />

Gewerkschaftsbund<br />

Bun<strong>des</strong>vorstand<br />

einem Aufenthaltstitel zu einem an<strong>der</strong>en Zweck bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde. Sie prüft, ob unter<br />

aufenthaltsrechtlichen Gesichtspunkten ein Arbeitsverbot erteilt wird o<strong>der</strong> es sich um eine<br />

zust<strong>im</strong>mungsfreie Tätigkeit handelt. Handelt es sich um eine zust<strong>im</strong>mungspflichtige Tätigkeit<br />

so hat die Auslän<strong>der</strong>behörde den Antrag an die Arbeitsagentur weiterzuleiten. Diese prüft<br />

zunächst, ob alle Unterlagen vorhanden sind. Sofern dies <strong>der</strong> Fall ist, kann die weitere Prüfung<br />

nach § 39 Abs. 2 – 4 erfolgen.<br />

Wegen <strong>der</strong> in vielen Unternehmen fehlenden langfristigen Personalplanung, insbeson<strong>der</strong>e <strong>im</strong><br />

Bereich von geringqualifizierten und qualifizierten Beschäftigungen, verlangen – nach den<br />

Erfahrungen <strong>der</strong> Gewerkschaften – Personalabteilungen schon bei <strong>der</strong> Bewerbung einen<br />

Nachweis über die Arbeitsberechtigung. Können Bewerberinnen o<strong>der</strong> Bewerber diesen nicht<br />

beibringen, so fallen sie häufig aus dem Verfahren heraus, da die Unternehmen den Aufwand<br />

für die Beantragung einer Arbeitserlaubnis scheuen und die Dauer <strong>des</strong> Verfahrens zur<br />

Erteilung einer Arbeitserlaubnis nicht abschätzen können.<br />

Der DGB st<strong>im</strong>mt mit einer restriktiven Auslegung <strong>des</strong> § 39 Abs. 2 überein, denn er ist überzeugt,<br />

dass bevorrechtigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fast <strong>im</strong>mer zur Verfügung<br />

stehen, sofern - entsprechend Abs. 2 Satz 2 - auch solche Personen mit einbezogen werden,<br />

die nur mit einer z. B. berufsbegleitenden Weiterqualifizierung o<strong>der</strong> mit Hilfe von Einglie<strong>der</strong>ungszuschüssen<br />

vermittelt werden können. Dennoch bedarf es eines Prozesses <strong>der</strong> Abwägung,<br />

insbeson<strong>der</strong>e dann, wenn es sich nicht um neu einreisende Drittstaatsangehörige<br />

handelt, son<strong>der</strong>n die Arbeitserlaubnis von einem bereits in Deutschland lebenden Auslän<strong>der</strong><br />

beantragt wird. In letzterem Fall muss die Arbeitsagentur bei ihrer Entscheidung auch die<br />

sozialpolitischen Folgen mit berücksichtigen. In jedem Fall aber haben sowohl die Antragsteller,<br />

als auch das Unternehmen, dass eine Einstellungszusicherung gegeben hat, ein berechtigtes<br />

Interesse an einer zügigen Bearbeitung <strong>des</strong> Arbeitserlaubnisantrages.<br />

Der DGB for<strong>der</strong>t <strong>im</strong> Sinne einer zügigen Bearbeitung<br />

1. einen öffentlich, z.B. über das Internet zugänglichen Formularsatz für die Beantragung<br />

einer Arbeitserlaubnis, einschließlich einer auch für mittelständische Betriebe<br />

verständlichen Erläuterung,<br />

2. dass <strong>im</strong> Formularsatz eindeutig auf die beizubringenden Dokumente hingewiesen<br />

werden muss, das gilt insbeson<strong>der</strong>e für die Erklärung zu den Arbeitsbedingungen und<br />

den vergleichbaren Lohn; diese Erklärung darf nicht erst nach Prüfung <strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>rechtlichen<br />

Voraussetzungen durch die Auslän<strong>der</strong>behörde ausgegeben werden,<br />

3. eine direkte Gesprächsaufnahme zwischen <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur und dem Unternehmen,<br />

z. B. bei Rückfragen wegen <strong>der</strong> Berufsgruppe o<strong>der</strong> Eingruppierung,<br />

4. die Festlegung eines Frist zur Bearbeitung <strong>der</strong> Anträge, die möglicherweise Unterschiede<br />

berücksichtigt, aber für alle Seiten (Antragsteller, Unternehmen, Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

und Arbeitsagentur) Klarheit bringt, dabei müssen die Verfahrenszeiten in<br />

den Auslän<strong>der</strong>behörden mit einbezogen werden.<br />

3.2. Vergleichbare Arbeitsbedingungen<br />

Erstmalige Erteilung einer Arbeitserlaubnis<br />

Nach § 39 Abs. 2 AufenthG darf die Zust<strong>im</strong>mung zu einer Arbeitserlaubnis durch die Bun<strong>des</strong>agentur<br />

nur erteilt werden, wenn Auslän<strong>der</strong> nicht zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen<br />

als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer beschäftigt werden. Das bedeutet, dass die Beschäftigung<br />

we<strong>der</strong> sittenwidrig sein darf, noch die Arbeitsbedingungen gegen geltende<br />

48


Deutscher<br />

Gewerkschaftsbund<br />

Bun<strong>des</strong>vorstand<br />

Schutzbest<strong>im</strong>mungen verstoßen dürfen. Hinsichtlich <strong>der</strong> Entlohnung gilt <strong>der</strong> Tariflohn, sofern<br />

<strong>der</strong> Betrieb daran gebunden ist, o<strong>der</strong> <strong>der</strong> ortsübliche Lohn.<br />

Der DGB ist <strong>der</strong> Überzeugung, dass ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer<br />

nicht zu Dumpingzwecken missbraucht werden dürfen. Er ist daher <strong>der</strong> Auffassung, dass<br />

neu einreisenden Drittstaatsangehörigen die Arbeitserlaubnis versagt werden muss,<br />

wenn vergleichbare Arbeitsbedingungen nicht gewährt werden. Handelt es sich um<br />

sittenwidrige Arbeitsbedingungen o<strong>der</strong> entspricht <strong>der</strong> angebotene Lohn beispielsweise<br />

nicht dem Min<strong>des</strong>tlohn <strong>im</strong> Baugewerbe, so ist davon auszugehen, dass auch an<strong>der</strong>e<br />

bereits <strong>im</strong> Betrieb beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter <strong>der</strong>artigen<br />

Verhältnissen tätig werden müssen. In diesen Fällen hat – nach Auffassung <strong>des</strong><br />

DGB – die Bun<strong>des</strong>agentur unmittelbar die für die Kontrolle zuständigen Behörden zu<br />

unterrichten.<br />

Nach Überzeugung <strong>des</strong> DGB muss in diesen Fällen auch die Arbeitserlaubnis versagt<br />

werden, wenn es sich um einen <strong>im</strong> Inland lebenden Antragsteller handelt. Allerdings<br />

hat hier die Arbeitsagentur zunächst den Arbeitgeber auf den Missstand hinzuweisen,<br />

sofern es sich nicht um strafrechtlich relevante Verstöße handelt.<br />

Die Regelungen <strong>des</strong> § 39 Abs. 2 Satz 2 gelten nicht für Auslän<strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Aufenthaltstitel<br />

bereits den Zugang zum Arbeitsmarkt beinhaltet o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Beschäftigung zust<strong>im</strong>mungsfrei<br />

von <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde erlaubt werden kann.<br />

Nach den Erfahrungen mit den Regelungen <strong>der</strong> alten Anwerbestoppausnahmeverordnung<br />

(ASAV) sieht <strong>der</strong> DGB die Notwendigkeit, bei den zust<strong>im</strong>mungsfreien Tätigkeiten<br />

ebenfalls zu prüfen, ob vergleichbare Arbeitsbedingungen gegeben sind. Nicht geprüft<br />

werden muss in diesen Fällen dagegen die Frage, ob Bevorrechtigte vorhanden sind.<br />

Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses<br />

Gemäß § 6 BeschVerfV kann die Zust<strong>im</strong>mung <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur zur Ausübung einer Beschäftigung<br />

auch ohne Arbeitsmarktprüfung erteilt werden, sofern „<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> seine Beschäftigung<br />

… bei dem selben Arbeitgeber fortsetzt“. Aus <strong>der</strong> Formulierung <strong>des</strong> § 6 wird ersichtlich,<br />

dass hier zwar keine Arbeitsmarktprüfung erfor<strong>der</strong>lich ist, wohl aber eine Überprüfung<br />

<strong>der</strong> Frage, ob es sich um die Fortsetzung <strong>der</strong> selben Beschäftigung handelt. Nach <strong>der</strong><br />

DA <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur werden zur Überprüfung die Arbeitsbedingungen als Indikatoren herangezogen.<br />

In <strong>der</strong> Praxis führt dieses Vorgehen zu einer nochmaligen langwierigen Überprüfung aller<br />

Arbeitsbedingungen, mit <strong>der</strong> entsprechenden Dauer.<br />

Der DGB sieht die rechtliche Notwendigkeit für ein Prüfverfahren, mit dem verhin<strong>der</strong>t<br />

wird, dass <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> von dem Arbeitgeber mit einer Beschäftigung betraut wird,<br />

für die er keine Arbeitserlaubnis besitzt. Dennoch hält er eine nochmalige Überprüfung<br />

aller Arbeitsbedingungen für nicht erfor<strong>der</strong>lich. Ausreichend ist die Vorlage einer<br />

Erklärung <strong>des</strong> Arbeitgebers, dass sich die Arbeitsbedingungen nicht verän<strong>der</strong>t haben.<br />

Die Arbeitsverwaltung hat dann <strong>im</strong>mer noch die Möglichkeit <strong>der</strong> stichprobenartigen<br />

Kontrolle und kann – bei falschen Angaben – nach § 404 Abs. 2 Nr. 5 ein Bußgeldverfahren<br />

einleiten.<br />

3.3. Beschränkung <strong>der</strong> Zust<strong>im</strong>mung<br />

49


Deutscher<br />

Gewerkschaftsbund<br />

Bun<strong>des</strong>vorstand<br />

Gemäß § 39 Abs. 4 kann die Zust<strong>im</strong>mung <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur beschränkt werden, auf die<br />

Beschäftigung in best<strong>im</strong>mten Betrieben und best<strong>im</strong>mten Bezirken. Der Abs. 4 findet seine<br />

Entsprechung in § 13 Abs. 1 <strong>der</strong> BeschVerfV. Dort wird die Einführung einer Beschränkung<br />

ebenfalls ins Ermessen <strong>der</strong> Agentur gestellt.<br />

Nach den Erfahrungen <strong>der</strong> Gewerkschaften wird die Zust<strong>im</strong>mung nicht nur bei <strong>der</strong> erstmaligen<br />

Erteilung einer Arbeitserlaubnis mit <strong>der</strong> Beschränkung auf eine Tätigkeit, einen Arbeitgeber,<br />

einen Agenturbezirk und auf die Lage und Verteilung <strong>der</strong> Arbeitszeit versehen. Die<br />

Beschränkungen finden sich offensichtlich auch bei <strong>der</strong> Zust<strong>im</strong>mung nach § 6 BeschVerfV.<br />

Möglicherweise ist dies Vorgehen <strong>der</strong> Agenturen eine unmittelbare Folge <strong>der</strong> Formulierungen<br />

in <strong>der</strong> DA. In Punkt 13.1.1. werden die Best<strong>im</strong>mungen <strong>des</strong> § 39 Abs. 4 uminterpretiert<br />

und formuliert, dass die Zust<strong>im</strong>mung – gleich ob mit o<strong>der</strong> ohne Vorrangprüfung – grundsätzlich<br />

mit einer Beschränkung zu versehen ist.<br />

Der DGB kritisiert diese nicht sachgerechte restriktive Haltung <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur, die rechtlich<br />

nicht haltbar ist. Der DGB hatte bereits in seiner Stellungnahme zum Entwurf <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

darauf aufmerksam gemacht, dass die Einführung einer solchen Beschränkung<br />

wirklichkeitsfremd ist, den normalen Betriebsablauf unnötig stört und zu ungerechtfertigten<br />

Diskr<strong>im</strong>inierungen führen kann.<br />

Möglicherweise hatte die Bun<strong>des</strong>agentur bei <strong>der</strong> Abfassung <strong>der</strong> Dienstanweisung vor allen<br />

Dingen Zust<strong>im</strong>mungen zu Beschäftigungen nach dem 2. Abschnitt <strong>der</strong> Beschäftigungsverordnung<br />

<strong>im</strong> Blick. Der Beschränkung <strong>der</strong> Zust<strong>im</strong>mung bei kurzfristigen Beschäftigungen, z.<br />

B. als Saisonarbeitskraft o<strong>der</strong> als Au pair wie auch bei <strong>der</strong> Zust<strong>im</strong>mung zur erstmaligen Erteilung<br />

einer Arbeitserlaubnis, die eine Vorrangprüfung erfor<strong>der</strong>t, steht nichts <strong>im</strong> Wege. An<strong>der</strong>s<br />

beurteilt werden müssen aber Zust<strong>im</strong>mungen ohne Vorrangprüfung.<br />

Der DGB for<strong>der</strong>t,<br />

1. nur eine erstmals erteilte Arbeitserlaubnis mit weitreichenden Beschränkungen zu<br />

versehen,<br />

2. bei <strong>der</strong> Verlängerung von Arbeitserlaubnissen (mehr als 1 Jahr) grundsätzlich nur<br />

eine Beschränkung auf eine best<strong>im</strong>mte Tätigkeit vorzunehmen und<br />

3. bei Zust<strong>im</strong>mungen gemäß §§ 8 und 9 BeschVerfV auf Beschränkungen ganz zu verzichten.<br />

4. Umsetzung <strong>der</strong> Stillstandsklausel aus den Beitrittsverträgen<br />

Im <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Verhandlungen über den Beitritt <strong>der</strong> Mittelosteuropäischen Staaten wurden<br />

in den Beitrittsverträgen 2003 Übergangsregelungen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit und<br />

die Dienstleistungsfreiheit vereinbart. Gleichzeitig wurde in einer „Stillstandsklausel“ best<strong>im</strong>mt,<br />

dass einerseits bislang geltende nationale Best<strong>im</strong>mungen zur Anwerbung von Arbeitskräften<br />

weiter bestehen bleiben und nicht verschlechtert werden dürfen. Angehörigen<br />

aus den 8 MOE-Staaten ist außerdem bei <strong>der</strong> Erteilungen einer Arbeitserlaubnis ein Vorrang<br />

gegenüber neu einreisenden Angehörigen aus Drittstaaten einzuräumen. Die Regelungen<br />

<strong>des</strong> § 39 Abs. 6 AufenthG und <strong>des</strong> § 284 SGB III finden Anwendung.<br />

In <strong>der</strong> Praxis von beson<strong>der</strong>er Bedeutung war die Definition <strong>der</strong> Gemeinschaftspräferenz, also<br />

<strong>des</strong> vorrangigen Zugangs zum Arbeitsmarkt gegenüber Drittstaatsangehörigen. Hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> in einem <strong>der</strong> EU-8-Staaten wohnenden Staatsangehörigen ist § 39 Abs. 6 Satz 2 eindeu-<br />

50


Deutscher<br />

Gewerkschaftsbund<br />

Bun<strong>des</strong>vorstand<br />

tig. Er best<strong>im</strong>mt, dass nur ein Vorrang gegenüber neu einreisenden Drittstaatsangehörigen<br />

einzuräumen ist. Eine beson<strong>der</strong>e Problematik entsteht, wenn sich in Deutschland wohnende<br />

Angehörige aus den MOE-Staaten, die über keine Arbeitsberechtigung-EU (§ 12 ArGV) verfügen,<br />

sich um eine Arbeitserlaubnis bemühen. Eine ähnliche Fragestellung entsteht, sofern<br />

Staatsangehörige <strong>der</strong> Beitrittstaaten beabsichtigen, zur Arbeitsaufnahme nach Deutschland<br />

einzureisen.<br />

Unbeachtlich <strong>der</strong> Kritik <strong>des</strong> EU-Parlaments an <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Stillstandsklausel und<br />

einer möglichen Prüfung durch den Europäischen Gerichtshof, sieht <strong>der</strong> DGB keine eindeutige<br />

Vorgabe <strong>des</strong> Gesetzgebers zur Entscheidung bei den o.g. Fallkonstellationen; die Dienstanweisung<br />

<strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit zu § 284 SGB III bleibt ebenfalls unkonkret.<br />

Der DGB empfiehlt daher <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Evaluation eine Klarstellung dahingehend<br />

vorzunehmen, dass<br />

1. in Deutschland ansässige Angehörige <strong>der</strong> 8 Beitrittstaaten, die nicht über eine Arbeitsberechtigung-EU<br />

verfügen und somit den übrigen EU-Bürgern gleich gestellt<br />

sind, bei <strong>der</strong> Erteilung einer Arbeitserlaubnis gegenüber Drittstaatsangehörigen, die<br />

eine erstmalig eine Arbeitserlaubnis beantragen, bevorzugt werden,<br />

2. diese Bevorzugung nicht gilt, wenn Angehörige <strong>der</strong> Beitrittsstaaten sich zum Zwecke<br />

<strong>der</strong> Arbeitsaufnahme in die Bun<strong>des</strong>republik begeben, ohne ihren gewöhnlichen<br />

Wohnsitz ebenfalls zu verlagern.<br />

Darüber hinaus macht <strong>der</strong> DGB auf die Notwendigkeit <strong>der</strong> Einhaltung <strong>der</strong> Stillstandsklausel<br />

auch bei <strong>der</strong> Abfassung <strong>des</strong> „Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher EU-<br />

Richtlinien“ und darin insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> so genannten „Forscherrichtlinie“<br />

aufmerksam.<br />

51


52<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Evaluation <strong>des</strong> ZuwG<br />

30. und 31. März 2006 <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>haus<br />

2. Thema: Innere Sicherheit, Terrorismusbekämpfung<br />

Dagmar Dahmen (Auslän<strong>der</strong>behörde Köln)<br />

1. Allgemeines<br />

Ist <strong>der</strong> bekennende Musl<strong>im</strong>e gleich ein islamistischer Terrorist o<strong>der</strong> ein Anhänger <strong>des</strong><br />

Extremismus und als solcher von den Mitarbeitern <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde (ABH) zu<br />

erkennen? Gibt es einen gültigen, umfassenden und gerichtsfest anwendbaren<br />

Kriterienkatalog, <strong>der</strong> zur Identifizierung beiträgt? Was geschieht, wenn tatsächlich<br />

„eine von dem Auslän<strong>der</strong> ausgehenden Gefährdung für den Staat und seine<br />

Einrichtungen“ erkannt wird? Ist <strong>der</strong> Rechtsstaat mit seinen Gesetzen und Mitteln in<br />

<strong>der</strong> Lage, <strong>im</strong> Einzelfall zeitnah auf aktuelle Entwicklungen und Erkenntnisse zu<br />

reagieren, wenn die Prinzipien <strong>des</strong> Rechtsstaates eine Güterabwägung zwischen<br />

Rechtsschutzinteressen aus Art. 19 Abs. 4 GG und den staatlichen Interessen <strong>der</strong><br />

Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zwingend vorschreiben?<br />

Individualinteresse versus Staatsinteresse.<br />

Diese Fragen machen deutlich, in welchem Spannungsfeld die kommunale ABH das<br />

vom Bund als Pflichtaufgabe formulierte Gesetz anwenden und umsetzen muss. Ein<br />

Unterschied in <strong>der</strong> Verantwortung zwischen dem alten und neuen Recht besteht<br />

nicht. Im Gegenteil ist festzustellen, dass durch die flankierenden insbeson<strong>der</strong>e<br />

politischen Äußerungen <strong>im</strong> Sommer 2004 bis weit in das Jahr 2005 hinein teilweise<br />

„falsche Erwartungen“ an das ZuwG geknüpft wurden, die expressis verbis so keinen<br />

Nie<strong>der</strong>schlag <strong>im</strong> Gesetzestext fanden. Selbst Kommunalpolitiker aller Parteien<br />

fühlten sich berufen, „Interpretationen und Anwendungshinweise“ zumin<strong>des</strong>t<br />

mündlich zu formulieren. Obwohl die politische Vertretung in den Kommunen<br />

Bestandteil <strong>der</strong> Exekutive ist, wurden legislative Vorstöße in einer wohlverstandenen<br />

Motivation unternommen.<br />

Die kommunale ABH war und sieht sich seit dem 01.01.2005 in einer<br />

Rechtfertigungsrolle, aus welchem Grund Best<strong>im</strong>mungen so und nicht an<strong>der</strong>s<br />

umgesetzt werden. Neben <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> „neuen gesetzlichen Best<strong>im</strong>mungen“<br />

war die Entwicklung best<strong>im</strong>mter Begründungsstrategien notwendig. Die vorläufigen<br />

Anwendungshinweise waren hilfreich, aber für Dritte nicht <strong>im</strong>mer nachvollziehbar. Die<br />

Anzahl <strong>der</strong> politischen Anfragen hat ab dem 01.01.2005 sehr stark zugenommen und<br />

macht einerseits ein großes politisches Interesse deutlich, an<strong>der</strong>erseits wurde aber<br />

auch ein Kontrollbedürfnis abhängig von <strong>der</strong> politischen Färbung <strong>der</strong> Verwaltung und<br />

<strong>der</strong> Vertretung <strong>der</strong> Bürgerschaft erkennbar. Das ZuwG hat einen großen politischen<br />

Stellenwert erhalten, <strong>der</strong> je nach „politischem Bedürfnis“ eine Potenzierung erfährt.<br />

Die Komplexität <strong>des</strong> Themas muss <strong>im</strong> Spiegel <strong>des</strong> Behördenaufbaus und <strong>der</strong><br />

unterschiedlichen Zuständigkeiten betrachtet werden. Welche Behörde informiert auf<br />

welchem Wege? Welche Behörde muss zwingend <strong>im</strong> Verfahren involviert sein?<br />

Welche Behörde übern<strong>im</strong>mt abschließend die Verantwortung für die jeweilige<br />

Entscheidung bzw. Maßnahme? Wie n<strong>im</strong>mt die Judikative Einfluss auf die<br />

Administration? Welche Rollte spielt die Staatsanwaltschaft? Alleine die Einstellung<br />

von Strafverfahren wegen Beleidigung o<strong>der</strong> Gefährdung <strong>der</strong> Mitarbeiter setzt ein


53<br />

Signal, das als fehlen<strong>der</strong> staatlicher Schutz deutlich negativ interpretiert wird und als<br />

belastend empfunden wird.<br />

Viele dieser Fragen sind in <strong>der</strong> Bewertung und in <strong>der</strong> Beantwortung abhängig von<br />

den handelnden Personen und können sicherlich nicht abschließend geklärt werden.<br />

Aber auch <strong>der</strong> Gesetzgeber kann keine abschließende Antwort <strong>im</strong> Gesetzestext<br />

geben, wenn Maßnahmen unter <strong>der</strong> weitgefassten Überschrift „Political Correctness“<br />

getroffen werden. Wichtig und unabdingbar ist ein sachlicher Umgang mit den<br />

Best<strong>im</strong>mungen.<br />

2. Begrifflichkeiten<br />

Die Mitarbeiter <strong>der</strong> ABH müssen verschiedenen Begriffe unterscheiden können:<br />

Islam, Islamismus und islamistischer Extremismus bzw. Terrorismus. Wie gehen die<br />

Mitarbeiter damit um? Die Grenzen zwischen den Begriffen sind fließend. Ist alleine<br />

das Bekenntnis zum Islamismus schon ein Ausweisungsgrund o<strong>der</strong> müssen weitere<br />

Faktoren hinzu kommen? Mitarbeiter haben aufgrund <strong>des</strong> Umgangs mit vielen<br />

Auslän<strong>der</strong>n ein Gefühl für Situationen und „Ungere<strong>im</strong>theiten“ entwickelt, können aber<br />

ihre Empfindung nicht an Fakten festmachen.<br />

Die Liste <strong>der</strong> sog. Gefähr<strong>der</strong>staaten ist nicht statisch und abschließend, son<strong>der</strong>n<br />

erfährt eine Anpassung an Ereignisse bzw. Erkenntnisse <strong>der</strong> Verfassungsschutzbehörden.<br />

Der entwickelte Kriterienkatalog kann lediglich Indizien beinhalten und<br />

nicht umfassend den Einzelfall abbilden. Dieser Katalog wird von den<br />

Sachbearbeitern beachtet und abgearbeitet und anschließend <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong><br />

Sicherheitsanfragen an die zuständigen Behörden weiter geleitet.<br />

Hier ist die ABH auf den Staatsschutz, auf den Verfassungsschutz <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> und<br />

<strong>der</strong> Län<strong>der</strong>, auf das BKA und das LKA angewiesen. Dort vorliegende Informationen<br />

bzw. Erkenntnisse aufgrund von Anfragen <strong>der</strong> ABH müssten zeitnah zurück gemeldet<br />

werden, damit auslän<strong>der</strong>rechtlichen Maßnahmen über die Lästigkeitsschwelle hinaus<br />

möglich werden. Doch an dieser Stelle greift <strong>der</strong> Datenschutz. Was ist höherwertig?<br />

Um eine auslän<strong>der</strong>rechtliche Handlungsfähigkeit grundsätzlich und faktisch zu<br />

ermöglichen, müssen von <strong>der</strong> Legislative Entscheidungen getroffen werden, die eine<br />

Rangfolge <strong>der</strong> Gesetze vorgeben. Gleichzeitig ist aber auch ein Abgleich aller<br />

Informationen notwendig. Alle Behörden müssen <strong>im</strong> Einzelfall ihre Erkenntnisse<br />

zusammenführen, um ein abschließen<strong>des</strong> bzw. möglichst realistisches Bild über die<br />

Person zu bekommen und auch ein gemeinsames Handeln verabreden. Sicherlich<br />

wird die Zuständigkeit nicht aufgehoben, aber die zuständig handelnde Behörde<br />

bewegt sich dann auf festem Boden, flankiert von gemeinsamen Verantwortlichkeiten<br />

aller Beteiligten.<br />

Es gibt einige Kriterien zur Bewertung <strong>der</strong> verschiedenen Begriffe, die den<br />

Mitarbeitern, die überwiegend dem mittleren Dienst angehören, an die Hand<br />

gegeben werden:<br />

• Wechsel <strong>der</strong> Kleidung <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s<br />

• Deutliche Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Haare, <strong>des</strong> Barts<br />

• Verän<strong>der</strong>ter Umgang mit den weiblichen Mitarbeitern<br />

• Die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e abwertende Äußerung über den Staat, die Behörde etc


54<br />

Diese Kriterien sind jedoch unvollständig, erscheinen für einen Außenstehenden<br />

schwammig und weisen nicht unbedingt auf eine mögliche Gefährdung hin. Wer ist<br />

Sympathisant, wer Anhänger, wer Verfechter best<strong>im</strong>mter Ideologien? Was wird in<br />

dem Moscheen gelehrt? Welche Rolle spielt <strong>der</strong> Imam? Muttersprachlicher Unterricht<br />

unter staatlicher Kontrolle. Kann die Schulaufsicht das Curriculum kontrollieren?<br />

Nicht selten wird eine bürgerliche Fassade mit <strong>der</strong> Mitgliedschaft in einer politischen<br />

Partei aufgebaut. Welche Möglichkeiten hat eine ABH, zwischen Fassade,<br />

ideologischer Gesinnung und Fakten zu unterscheiden?<br />

„Multi-Kulti als Philosophie“ ist eine zu beachtende Größe bei <strong>der</strong> Entscheidung, ob<br />

ein Ausweisungsgrund zumin<strong>des</strong>t zu prüfen ist. Wie weit sind die Best<strong>im</strong>mungen<br />

auszulegen, um tatsächlich eine auf eine Prognose gestützte Maßnahme begründen<br />

zu können? Die Subsumtion verlangt eine klare Anwendung <strong>der</strong> gesetzlichen<br />

Best<strong>im</strong>mungen und <strong>der</strong> gültigen Erlasse. Die Rechtsprechung setzt u. U. ganz<br />

an<strong>der</strong>e Schwerpunkte als die Verwaltung.<br />

EuGh-Entscheidungen fließen sowohl bei <strong>der</strong> Entscheidung <strong>der</strong> ABH als auch bei<br />

<strong>der</strong> Beschlussfassung <strong>der</strong> Verwaltungsgerichte ebenso ein wie <strong>der</strong> Beschluss Nr.<br />

1/80 <strong>des</strong> Assoziationsrates EWG/Türkei (ARB 1/80).<br />

Inwieweit <strong>der</strong> Konflikt zwischen dem Schutz <strong>des</strong> Staates und seiner Einrichtungen<br />

und den Grundsätze <strong>des</strong> EuGH gelöst werden kann, muss <strong>im</strong> Einzelfall unter<br />

Würdigung aller Aspekte entschieden werden.<br />

Diese Punkte sind wesentliche Kriterien bei <strong>der</strong> Prüfung <strong>des</strong> Einzelfalls:<br />

• Art. 6 und 7 ARB 1/80 entfalten unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten<br />

• Den beschäftigungsrechtlichen Regelungen wird aufenthaltsrechtliche Wirkung<br />

zuerkannt<br />

• Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis haben nur deklaratorische Bedeutung<br />

• Es besteht Anwendungsvorrang gegenüber dem entgegen stehenden staatlichen<br />

Recht.<br />

Im Zweifel – so scheint die Lesart zu sein - ist für den Aufenthalt <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s zu<br />

entscheiden.<br />

3. Gesetzliche Grundlagen<br />

3.1 § 49 AufenthG: Feststellung und Sicherung <strong>der</strong> Identität<br />

Diese Best<strong>im</strong>mung regelt eine wesentliche Pflicht <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s <strong>im</strong><br />

Zusammenhang mit <strong>der</strong> Beschaffung <strong>der</strong> He<strong>im</strong>reisedokumente. Hier stellt sich die<br />

Frage, wie die Erfüllung <strong>der</strong> Pflicht durchgesetzt werden kann. Es handelt sich um<br />

einen Verwaltungsakt, <strong>der</strong> <strong>im</strong> Verwaltungsverfahren angefochten werden kann.<br />

Nicht selten wird <strong>der</strong> Weg bis in die zweite Instanz gewählt. Da <strong>im</strong> Text <strong>der</strong><br />

Hinweis auf § 81 StPO fehlt, sind die möglichen Maßnahmen explizit beschrieben.<br />

Für die ABH stellt sich oft die Frage, ob die natürliche Person auch tatsächlich<br />

diejenige ist, für die sie sich ausgibt. Bis zu zwölf Aliasnamen erschweren eine<br />

Personenfeststellung. Neben den Namen werden nicht nur Geburtsdaten<br />

geän<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> Herkunftsstaat erfährt eine vielfältige Verwandlung.<br />

Im Laufe <strong>der</strong> Zeit kann von einer Umkehrung <strong>der</strong> Beweislast gesprochen werden.<br />

Nicht <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> muss beweisen, wer er ist, son<strong>der</strong>n die Auslän<strong>der</strong>behörde


55<br />

muss durch intensive Kontakte und Recherchen unter Einbeziehung <strong>der</strong><br />

Zentralen Auslän<strong>der</strong>behörden (NRW) den Beweis antreten, wer er nicht ist, um<br />

über die Methode <strong>des</strong> Ausschlusses eine möglichst gesicherte Erkenntnis <strong>der</strong><br />

Identität zu erlangen und das Verfahren zur Beschaffung <strong>der</strong> He<strong>im</strong>reisedokumente<br />

einleiten zu können. In <strong>der</strong> Regel werden Fingerabdrücke <strong>des</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>s verlangt. Die Papiere/Formulare <strong>der</strong> He<strong>im</strong>atstaaten sind sehr häufig<br />

so gestaltet und formuliert, dass von dem Auslän<strong>der</strong> ausdrücklich die Erklärung<br />

einer freiwilligen Ausreise verlangt wird. Diese Erklärung wird in den seltensten<br />

Fällen von dem Auslän<strong>der</strong> abgegeben (in Köln lag die Größenordnung in den<br />

Jahren 2004 und 2005 bei jeweils rund 100 Personen).<br />

Da diese Erklärung fehlt, sieht sich <strong>der</strong> He<strong>im</strong>atstaat nicht in <strong>der</strong> Lage,<br />

entsprechende Papiere auszustellen. Hier bedarf es dann wie<strong>der</strong> eines<br />

Verwaltungsaktes, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Prüfung <strong>im</strong> verwaltungsgerichtlichen Verfahren<br />

unterliegt. Parallel dazu werden Anträge auf Erteilung einer AE aus humanitären<br />

Gründen gestellt, die trotz fehlen<strong>der</strong> rechtlicher Voraussetzungen zu bescheiden<br />

sind.<br />

Hinzu kommt, dass gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen das Alter<br />

bewusst nach unten korrigiert wird. Um gesicherte und gerichtsfeste Erkenntnisse<br />

zu erlangen, müsste die Möglichkeit eines medizinischen Altersgutachtens, neben<br />

einem pädagogischen, eröffnet werden. Selbst wenn –wie in wenigen<br />

Ausnahmefällen geschehen- ein Altersgutachten vorliegt, so wird eine Spanne<br />

von bis zu fünf Jahren genannt. In <strong>der</strong> Regel besteht die Lesart, das niedrigste<br />

Alter zu unterstellen. Auf die ethische Problematik <strong>der</strong> Ärzteschaft ist an dieser<br />

Stelle nicht einzugehen.<br />

Ein ebenfalls wichtiger Aspekt ist die Rolle <strong>der</strong> He<strong>im</strong>atvertretung <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s.<br />

Zum einen ist sie ein wichtiger Partner für die Ausstellung <strong>der</strong> notwendigen<br />

Papiere, zum an<strong>der</strong>en ist sie Souverän und damit nicht an die Rechtsordnung <strong>der</strong><br />

Bun<strong>des</strong>republik gebunden. Auch zwischenstaatliche, bilaterale Abkommen sind<br />

nicht unbedingt bindend für die Vertretungen: Straftäter sind vor Ausstellung <strong>der</strong><br />

Papiere erst aus <strong>der</strong> Haft zu entlassen, ehe eine Bereitschaft zur<br />

Zusammenarbeit besteht. Auch dann ist das gewünschte Ergebnis nicht<br />

unbedingt erreicht. Das Gleiche gilt bei Abschiebehaft.<br />

Beispiele:<br />

• Für eine Abschiebung nach Russland muss die Freiwilligkeitserklärung <strong>des</strong><br />

Betroffenen unbedingt vorliegen<br />

• Marokko verzögert die Passersatzpapierbeschaffung ohne Angabe von<br />

Gründen über einen extrem langen Zeitraum (teilweise über 18 Monate)<br />

• Algerien verlangt regelmäßig eine Haftentlassung, so dass die<br />

Abschiebung eines Straftäters aus <strong>der</strong> Haft heraus gar nicht möglich ist<br />

• Nigeria arbeitet willkürlich. Trotz Zusagen werden keine Papier ausgestellt.<br />

Begründung: „Deutschland behandelt unsere Leute schlecht.“<br />

Es bedarf durchschnittlich einer Bearbeitungszeit von vier Jahren, ehe die<br />

Identität gesichert festgestellt ist und anschließend alle Voraussetzungen<br />

für die Rückführung erfüllt sind. In einem Fall hat es acht Jahre gedauert. Es<br />

ist zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht sicher, ob die Rückführung auch<br />

tatsächlich erfolgt.


56<br />

3.2 §§ 50 bis 55 AufenthG: Ausreisepflicht, Beendigung <strong>der</strong> Rechtmäßigkeit <strong>des</strong><br />

Aufenthalts und Ausweisung<br />

Neben <strong>der</strong> gesetzlich geregelten Ausreisepflicht in § 50 AufenthG beinhalten die<br />

genannten Best<strong>im</strong>mungen Regelungen, die das Aufenthaltsrecht in <strong>der</strong><br />

Bun<strong>des</strong>republik aufheben bzw. beenden. Kraft Gesetz ist eine Auslän<strong>der</strong> unter<br />

den in § 50 AufenthG genannten Voraussetzungen ausreisepflichtig. Da jedoch<br />

dieser Pflicht in <strong>der</strong> Regel nicht gefolgt wird, ist hier die ABH zu aktivem Handeln<br />

gezwungen. Es bedarf eines Verwaltungsaktes, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Vollziehung durch das<br />

Gesetz selber zeitlich hinausgeschoben wird. Die Formulierung „in beson<strong>der</strong>en<br />

Härtefällen“ öffnet die Tür für ein aktives Handeln o<strong>der</strong> Unterlassen <strong>des</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>s und damit ein weiteres Zeitfenster, <strong>der</strong> Ausreisepflicht nicht zu folgen.<br />

Auch hier ist festzustellen, dass eine Beweislastumkehr erfolgt: nicht <strong>der</strong><br />

Auslän<strong>der</strong> muss den beson<strong>der</strong>en Härtefall verifizieren, son<strong>der</strong>n die ABH muss<br />

das Nichtvorliegen beweisen. Die Möglichkeiten, <strong>der</strong> Ausreisepflicht<br />

auszuweichen, sind sehr vielfältig: Eheschließung, Anerkennung einer Vaterschaft,<br />

Traumatisierung - um nur ein paar Beispiele zu nennen.<br />

Selbst die gesetzlich legit<strong>im</strong>ierte Verwahrung <strong>des</strong> Passes o<strong>der</strong> Passersatzes lässt<br />

sich nicht <strong>im</strong>mer realisieren, sei es, dass die Papiere verloren werden (sogar <strong>im</strong><br />

Tresor <strong>des</strong> Rechtsanwalts) o<strong>der</strong> dass eine Eheschließung ansteht. Art 6 GG<br />

genießt hier einen Vorrang gegenüber <strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>rechtlichen Maßnahme.<br />

„Scheinehen“ sind ein wesentliches Instrument geworden. § 31 Abs. 1 Ziffer 1<br />

greift die Än<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> AuslG aus dem Jahre 1992 auf.<br />

Eine Ausweisung stützt sich entwe<strong>der</strong> auf § 53 o<strong>der</strong> 54 AufenthG und ist eine<br />

wesentliche Voraussetzung für die Rückkehr ins He<strong>im</strong>atland –in <strong>der</strong> Regel die<br />

Abschiebung. Die Ausweisungsverfügung kann <strong>im</strong> Einzelfall <strong>der</strong> Androhung <strong>der</strong><br />

Abschiebung und u. U. mit <strong>der</strong> Maßgabe <strong>der</strong> sofortigen Vollziehung versehen<br />

werden. Jedoch sind § 59 Abs. 1 AufenthG (Best<strong>im</strong>mung einer Ausreisefrist), § 60<br />

AufenthG (Verbot <strong>der</strong> Abschiebung), grundsätzlich § 60 a AufenthG (Aussetzung<br />

<strong>der</strong> Abschiebung/Duldungsgründe) und insbeson<strong>der</strong>e § 60 a Abs. 1 letzter Satz<br />

zu beachten. Gerade die zuletzt genannt Regelung wird teilweise als<br />

„Auffor<strong>der</strong>ung zur Abwesenheit“ von <strong>der</strong> Meldeanschrift aufgefasst.<br />

Eine aktuelle Meldeanschrift verhin<strong>der</strong>t –unabhängig von den Erkenntnissen <strong>der</strong><br />

ABH- regelmäßig eine Abschiebehaft gem. § 62 Abs. 1 AufenthG. Dies gilt auch<br />

für § 62 Abs. 2 AufenthG. Hinzu kommt <strong>der</strong> Ehrgeiz <strong>der</strong> Haftrichter, <strong>im</strong><br />

Freiheitsentziehungsverfahren trotz gegenteiliger Rechtsprechung das<br />

Verwaltungsrecht zu prüfen und zwar über die Vollziehbarkeit <strong>der</strong> Ausreise und<br />

einen möglichen Schutz aus Art. 6 GG heraus (z.B. Prüfung <strong>der</strong><br />

Ausweisungstatbestände, wirksame Zustellung <strong>der</strong> Verfügung etc.).<br />

Es bedarf min<strong>des</strong>tens eines Abschiebungsfehlversuchs ehe ein Haftrichter<br />

geneigt ist, dem Haftantrag <strong>der</strong> ABH zu entsprechen.<br />

3.3 § 58 a AufenthG (Abschiebungsanordnung)


57<br />

Durch diese neu aufgenommene Regelung soll die Abschiebung für den<br />

fraglichen Personenkreis erleichtert werden. In Abs. 1 ist die Ermächtigung für die<br />

oberste Lan<strong>des</strong>behörde formuliert, „aufgrund einer auf Tatsachen gestützten<br />

Prognose zur Abwehr einer beson<strong>der</strong>en für die Sicherheit <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik<br />

Deutschland o<strong>der</strong> einer terroristischen Gefahr eine Abschiebungsanordnung ohne<br />

vorherige Ausweisung erlassen zu können“. Die Formulierung macht deutlich,<br />

dass eine Ermessensentscheidung <strong>der</strong> obersten Lan<strong>des</strong>behörde verlangt wird.<br />

Gemäß Abs. 2 kann das Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern durch Erklärung die<br />

Zuständigkeit übernehmen, wenn ein beson<strong>der</strong>es Interesse <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> besteht.<br />

Dessen Abschiebungsanordnungen werden von <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>polizei vollzogen. An<br />

dieser stelle wird <strong>der</strong> fö<strong>der</strong>ale Aufbau <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik deutlich. Welches Land<br />

ist in <strong>der</strong> Lage eine Gefahreneinschätzung so vorzunehmen, dass erstens eine<br />

Anordnung erlassen wird und zwitens dass eine Gefährdung <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik<br />

deutlich wird. Verschiedene Interpretationen sind sicherlich möglich, so dass ein<br />

Kompetenzstreit bzw. Auslegungsunterschiede nicht ausgeschlossen werden<br />

können.<br />

Bisher hat keine <strong>der</strong> beiden genannten Behörden von dieser Regelung Gebrauch<br />

gemacht.<br />

§ 58 a Abs. 1 und 2 AufenthG verlagern die Verantwortung auf die obersten<br />

Behörden <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> und <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> und entlasten –gesetzliche Intention- in<br />

den Fragen <strong>der</strong> Begründung und Rechtfertigung die kommunalen ABH`en. Abs. 1<br />

trifft <strong>im</strong> Gegensatz zu Abs. 2 keine sachliche Zuständigkeitsregelung für die<br />

Vollziehung. Hier ist wie<strong>der</strong>um die ABH in <strong>der</strong> Pflicht, die sich <strong>im</strong> Wege <strong>der</strong><br />

Amtshilfe durch die Polizeibehörde unterstützen lassen kann.<br />

Aber Abs. 3 formuliert einschränkend, dass eine Abschiebungsanordnung nicht<br />

vollzogen werden darf, wenn Voraussetzungen für ein gesetzliches<br />

Abschiebungsverbot vorliegen. Die Abschiebungsverbote sind in § 60 Abs. 1 bis 8<br />

AufenthG abschließend normiert. An dieser Stelle eine beispielhafte Aufzählung<br />

<strong>der</strong> Verbote:<br />

• Keine Abschiebung in einen Staat, in dem <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> mit<br />

Bedrohungen für sein Leben o<strong>der</strong> seine Freiheit wegen seiner Rasse,<br />

Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer best<strong>im</strong>mten<br />

sozialen Gruppe o<strong>der</strong> seiner politischen Überzeugung bedroht ist.<br />

• Eine Verfolgung wegen <strong>der</strong> Zugehörigkeit zu einer best<strong>im</strong>mten sozialen<br />

Gruppe kann auch dann vorliegen, wenn die Bedrohung <strong>des</strong> Lebens, <strong>der</strong><br />

körperlichen Unversehrtheit o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Freiheit allein an das Geschlecht<br />

geknüpft ist.<br />

• Eine Verfolgung kann ausgehen von dem Staat, Parteien und<br />

Organisationen, die den Staat o<strong>der</strong> wesentliche Teile <strong>des</strong> Staatsgebiets<br />

beherrschen o<strong>der</strong> von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die genannten<br />

Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen<br />

nicht in <strong>der</strong> Lage o<strong>der</strong> nicht willens sind, Schutz vor <strong>der</strong> Verfolgung zu<br />

bieten.<br />

Diese Beispiele machen deutlich, dass auch die Abschiebungsanordnungen<br />

<strong>der</strong> obersten Behörden nicht ohne umfassende Prüfung vollzogen werden<br />

dürfen. Die Beweislast für die vom Auslän<strong>der</strong> vorgetragenen Gründe liegt


58<br />

nicht unbedingt bei ihm alleine; auch die ABH ist verpflichtet, die Angaben<br />

unter Einbeziehung an<strong>der</strong>er Behörden (§ 72 Abs. 2 i.V.m. § 60 Abs. 7<br />

AufenthG: BAMF) zu verifizieren. Lageberichte sind ein wesentliches<br />

Hilfsmittel, jedoch nicht <strong>im</strong>mer abschließend in Darstellung und Bewertung.<br />

Darüber hinaus kann die ABH mit <strong>der</strong> zuständigen deutschen<br />

Auslandsvertretung Kontakt aufnehmen und gegen Übernahme <strong>der</strong> Kosten<br />

eine Prüfung vor Ort veranlassen.<br />

Das bedeutet wie<strong>der</strong> einen Sach- und Zeitaufwand, <strong>der</strong> eine Verzögerung<br />

nach sich zieht und die Gefährdung min<strong>des</strong>tens latent bestehen lässt. Das <strong>im</strong><br />

wohl verstandenen Sinne wichtige Instrument <strong>des</strong> § 58 a AufenthG entfaltet<br />

keine Effizienz und keinen Schutz vor den abzuschiebenden Personen.<br />

4. Resümee<br />

Das ZuwG beinhaltet wichtige Regelungen, die in <strong>der</strong> Praxis für die rechtmäßig<br />

eingereisten und hier lebenden Auslän<strong>der</strong> die Aufenthaltsverfestigung vereinfacht<br />

und auch einen Anspruch über §§ 43 ff AufenthG (För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Integration)<br />

normiert, wichtiger Bestandteil <strong>der</strong> „neuen“ Gesellschaft zu werden.<br />

Jedoch <strong>der</strong> Personenkreis, <strong>der</strong> kraft Gesetz o<strong>der</strong> Anordnung o<strong>der</strong> Ausweisungsverfügung<br />

zur Rückkehr ins He<strong>im</strong>atland verpflichtet ist, findet gesetzliche<br />

„Schlupflöcher“, die die Verwaltung stark an <strong>der</strong> Umsetzung hin<strong>der</strong>n.<br />

Das StAG (§ 4: durch die Geburt <strong>im</strong> Inland erwirbt ein Kind ausländischer Eltern die<br />

deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen<br />

gewöhnlichen Aufenthalt hat) macht die Anwendung <strong>des</strong> § 28 AufenthG<br />

(Familiennachzug zu einem Deutschen/deutschen Kind) notwendig. Die<br />

Anerkennung <strong>der</strong> Vaterschaft unter <strong>der</strong> Überschrift „Kin<strong>des</strong>wohl nach dem KJHG“<br />

ohne biologischen Nachweis eröffnet ebenfalls eine Bleibemöglichkeit.<br />

Das Gesetz sollte die Aufgabe erfüllen, zwischen den unterschiedlichen Gruppen <strong>der</strong><br />

Auslän<strong>der</strong> zu differenzieren. Straftäter, insbeson<strong>der</strong>e Personen die den Staat<br />

gefährden sollten schnellst möglich und mit geringem administrativem Aufwand<br />

zurück geführt werden. Der Mut, die Normen anzuwenden, ist zu stärken und die<br />

Angriffe –auch durch die Medien- auf handelnde Personen nicht zuzulassen.<br />

„Wer lange hier lebt, soll bleiben“. Diese For<strong>der</strong>ung ist grundsätzlich nicht zu erfüllen,<br />

sind doch verschiedene Faktoren für die Dauer <strong>des</strong> Aufenthalts verantwortlich. In <strong>der</strong><br />

Regel hat die kommunale ABH die Dauer nicht zu vertreten, son<strong>der</strong>n vielmehr <strong>der</strong><br />

Auslän<strong>der</strong> mit seinem Verfahrensbevollmächtigten. Sind alle Möglichkeiten inklusive<br />

VG-Verfahren ausgeschöpft, bleibt zum Schluss noch die Möglichkeit <strong>des</strong><br />

Asylantrags. Auch wenn sehr zeitnah durch das BAMF entscheiden wird, ist für diese<br />

Entscheidung <strong>der</strong> Verwaltungsgerichtsweg noch offen.<br />

Das ZuwG insgesamt sollte ausschließlich in <strong>der</strong> Zuständigkeit <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong><br />

angesiedelt sein. Die unterschiedliche Erlasslage in den Län<strong>der</strong>n führt zu einer<br />

politischen Anwendung, die sich auch an <strong>der</strong> nächsten Wahl orientiert. Der Souverän<br />

verlangt ein deutliche Sprache, die eine unterschiedliche Behandlung <strong>des</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>n ausschließt. Als Beispiele können das Einreiseverfahren<br />

und das Asylverfahren genannt werden.


60<br />

Klaus Kempfler<br />

Bayerisches Staatsministerium <strong>des</strong> Innen<br />

AG BIRGiT<br />

Stellungnahme zum <strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong><br />

Evaluation <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes am 30. und 31. März 2006 <strong>im</strong><br />

Bun<strong>des</strong>haus<br />

Gerne nehme ich <strong>im</strong> Sinne einer retrospektiven Gesetzesfolgenabschätzung zu den<br />

den Themenkomplex „Innere Sicherheit“ und „Terrorismusbekämpfung“ betreffenden<br />

Normen <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes Stellung. Meine Erfahrungen hierzu resultieren<br />

aus meiner Funktion als Leiter <strong>der</strong> Arbeitsgruppe BIRGiT (Beschleunigte Identifizierung<br />

und Rückführung von Gefähr<strong>der</strong>n aus dem Bereich <strong>des</strong> islamistischen Terrorismus<br />

und Extremismus), einer Einrichtung <strong>des</strong> Bayerischen Staatsministeriums<br />

<strong>des</strong> Innern. Diese Funktion übe ich seit November 2005 aus.<br />

Ich bin <strong>der</strong> Auffassung, dass sich die sicherheitsrelevanten Best<strong>im</strong>mungen <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes<br />

<strong>im</strong> großen und ganzen bewährt haben – dies jedoch vor allem unter<br />

<strong>der</strong> Voraussetzung, dass die Möglichkeiten <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetztes durch einen<br />

konsequenten Gesetzesvollzug genutzt werden.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> islamistische Terrorismus und Extremismus stellt eine erhebliche<br />

Bedrohung (auch) für die Sicherheit <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik Deutschland dar. Um dieser<br />

Bedrohung effektiv zu begegnen, ist eine Konzentration <strong>der</strong> Ressourcen <strong>der</strong> Sicherheitsbehörden<br />

vonnöten. Allein mit Gesetzesän<strong>der</strong>ungen können nicht notwendigerweise<br />

eine Effektivitätssteigerung <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Sicherheitsbehörden und eine Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Sicherheitslage erreicht werden. Die bereits vorhandenen und neu<br />

geschaffenen sicherheitsrechtlichen Instrumente müssen zwar mit Augenmass aber<br />

auch erfolgsorientiert und effizient eingesetzt werden.<br />

In Bayern haben wir hierfür einige Anpassungen <strong>der</strong> <strong>Rahmen</strong>bedingungen vorgenommen:<br />

Aufgrund einer lan<strong>des</strong>rechtlichen Zuständigkeitsverordnung (Verordnung über die<br />

Zuständigkeiten zur Ausführung <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes und auslän<strong>der</strong>rechtlicher<br />

Best<strong>im</strong>mungen in an<strong>der</strong>en Gesetzen vom 14. Juli 2005 – GVBl. S. 306) wurde in


61<br />

Bayern die Möglichkeit eröffnet, dass zwei Bezirksregierungen, nämlich die Regierung<br />

von Mittelfranken für Nordbayern und die Regierung von Oberbayern für Südbayern,<br />

die Zuständigkeit für den Erlass von Ausweisungsverfügungen sowie für<br />

Überwachungsmaßnahmen nach § 54a AufenthG an sich ziehen können. Von dieser<br />

Möglichkeit wird v. a. in den Fällen <strong>der</strong> §§ 54 Nr. 5, 5a, 6 und 55 Nr. 8 AufenthG<br />

umfassend Gebrauch gemacht. Lediglich bei den beiden „großen“ Kreisverwaltungsbehörden<br />

Nürnberg und München verbleibt die entsprechende Zuständigkeit. Das für<br />

die Ausweisung von Sicherheitsgefähr<strong>der</strong>n und Hasspredigern erfor<strong>der</strong>liche Knowhow<br />

konnte so auf lediglich vier (spezialisierte und zu raschem Einschreiten fähige)<br />

Behörden konzentriert werden.<br />

Bereits <strong>im</strong> Herbst 2004 haben wir die schon erwähnte Arbeitsgruppe BIRGiT gegründet,<br />

die seitdem die sicherheitsrechtlichen Instrumente <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes für<br />

die Bekämpfung <strong>des</strong> islamistischen Terrorismus bzw. Extremismus nutzbar macht.<br />

Die AG BIRGiT besteht aus jeweils einem Vertreter <strong>der</strong> Regierung von Oberbayern,<br />

<strong>der</strong> Regierung von Mittelfranken, <strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>hauptstadt München, <strong>der</strong> Stadt Nürnberg,<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>amtes für Verfassungsschutz und <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>kr<strong>im</strong>inalamtes sowie<br />

mir als Leiter und zugleich Vertreter <strong>des</strong> Innenministeriums. Hinzukommt ein Vertreter<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes für Migration und Flüchtlinge zur Klärung von Fragen den asylrechtlichen<br />

Status betreffend.<br />

Die AG BIRGiT führt am runden Tisch alle Informationen zusammen, die zu islamistischen<br />

Gefähr<strong>der</strong>n existieren. Sie prüft und nutzt zielgerichtet alle rechtlichen Möglichkeiten,<br />

um die in Bayern lebenden islamistischen Gefähr<strong>der</strong> auszuweisen und<br />

koordiniert die Umsetzung <strong>der</strong> notwendigen Maßnahmen. Dort, wo eine Abschiebung<br />

aus rechtlichen o<strong>der</strong> tatsächlichen Gründen nicht möglich ist, wird <strong>der</strong> Bewegungsund<br />

Handlungsspielraum <strong>der</strong> Gefähr<strong>der</strong> eingeschränkt.<br />

Unter <strong>der</strong> Koordination <strong>der</strong> AG BIRGiT wurden bislang 48 Ausweisungsbescheide<br />

gefertigt. In 28 Fällen wurde mittlerweile <strong>der</strong> Aufenthalt beendet und bzw. o<strong>der</strong> die<br />

Wie<strong>der</strong>einreise dauerhaft verhin<strong>der</strong>t. Eine Reihe weiterer Ausweisungsbescheide ist<br />

zur Zeit in Vorbereitung.<br />

Freilich können trotz <strong>der</strong> guten Erfahrungen mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz und den<br />

erzielten Erfolgen die gesetzlichen Regelungen weiter opt<strong>im</strong>iert werden. Ich darf<br />

hierzu einige Beispiele nennen:<br />

Das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz hat den Nachweismaßstab in § 54 Nr. 5 AufenthG gegenüber<br />

<strong>der</strong> Vorläuferfassung abgesenkt und trägt damit dem Umstand Rechnung, dass<br />

mit einem Zuwarten bis zu einem Zeitpunkt, in welchem das terroristische Verhalten<br />

zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, den legit<strong>im</strong>en Sicherheitsinteressen <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

kaum hinreichend Rechung getragen wird. Allerdings tut sich allem An-


62<br />

schein nach die Rechtsprechung noch schwer damit, diesen gesetzgeberischen<br />

Schritt nachzuvollziehen.<br />

Daher plädiere ich dafür, die Formulierung „wenn Tatsachen die Schlussfolgerung<br />

rechtfertigen“ durch die allgemein <strong>im</strong> Polizei- und Sicherheitsrecht – und hier geht es<br />

um Sicherheitsrecht – gebräuchliche Formulierung „wenn Tatsachen die Annahme<br />

rechtfertigen“ zu ersetzen.<br />

Im Grundsatz positive Erfahrungen haben wir mit § 54a AufenthG gemacht. Nicht nur<br />

die Aufenthaltsbeendigung, son<strong>der</strong>n auch und gerade die Einschränkung <strong>des</strong> Handlungsspielraums<br />

behin<strong>der</strong>t Extremisten und Terroristen bei Aktivitäten gegen die innere<br />

Sicherheit bzw. die freiheitliche demokratische Grundordnung in Deutschland.<br />

Die Best<strong>im</strong>mung ist momentan die einzige auslän<strong>der</strong>rechtliche Grundlage zur Überwachung<br />

gefährlicher, vollziehbar ausreisepflichtiger Auslän<strong>der</strong>, die sich weiterhin <strong>im</strong><br />

Bun<strong>des</strong>gebiet aufhalten. Wir haben in den meisten unserer Anwendungsfälle eine<br />

Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften fernab <strong>der</strong> Ballungszentren verfügt. Ein<br />

Untertauchen kann freilich nicht ausgeschlossen werden – auch hierfür gibt es Beispiele.<br />

In <strong>der</strong> Praxis hat sich überdies gezeigt, dass Maßnahmen nach § 54a AufenthG die<br />

Motivation zu einer freiwilligen Ausreise, d. h. einer Ausreise ohne Abschiebung,<br />

ganz erheblich beför<strong>der</strong>n. Schließlich wird den Betroffenen hier ganz deutlich vor<br />

Augen geführt, dass sie in unserem Lande unerwünscht sind und sie daran gehin<strong>der</strong>t<br />

werden, ihre Bestrebungen fortzuführen. Es wird sichtbar, dass <strong>der</strong> Staat ein ganz<br />

erhebliches Interesse an ihrer Ausreise hat und dass <strong>der</strong> Staat Maßnahmen zur Abwendung<br />

von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ergreift, bis dieses<br />

Interesse durchsetzbar ist. Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass sich auch <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong><br />

zur Aufnahme bereite Län<strong>der</strong> finden.<br />

Die Maßnahmen nach § 54a AufenthG sind aus unserer Sicht gerade in ihren Folgewirkungen<br />

ein wichtiges auslän<strong>der</strong>rechtliches Instrument mit enormer spezialpräventiver<br />

Wirkung.<br />

Dennoch besteht aus meiner Sicht Nachbesserungsbedarf be<strong>im</strong> Schutz <strong>der</strong> Allgemeinheit<br />

vor Gefähr<strong>der</strong>n, die nicht abgeschoben werden können und sich an Auflagen<br />

nach § 54a AufenthG nicht halten.<br />

Der Aufenthalt von Auslän<strong>der</strong>n, die wegen beson<strong>der</strong>er Gefahren bereits vollziehbar<br />

ausgewiesen sind, kann vielfach nicht beendet werden, weil Abschiebungsverbote zu<br />

beachten sind. Dementsprechend können diese Auslän<strong>der</strong> auch nicht in Abschiebehaft<br />

genommen werden. Es muss meines Erachtens <strong>des</strong>halb die Möglichkeit geschaffen<br />

werden, Auslän<strong>der</strong>, von denen die Gefahr terroristischer Aktivitäten ausgeht,<br />

die aber nach erfolgter Ausweisung nicht in ihre He<strong>im</strong>at abschoben werden<br />

können, in Sicherheitsgewahrsam zu nehmen.


63<br />

Schließlich darf ich noch einige wenige Bemerkungen zu § 58a AufenthG anfügen.<br />

Die Best<strong>im</strong>mung ist bislang – soweit ersichtlich we<strong>der</strong> auf Bun<strong>des</strong>- noch auf Lan<strong>des</strong>ebene<br />

– praktisch geworden. In unserem Fall liegt dies zunächst und vor allem<br />

daran, dass – erfreulicherweise – kein entsprechen<strong>der</strong> Sachverhalt bekannt geworden<br />

ist.<br />

Aus meiner Sicht dürften denkbare Anwendungsfälle zugleich das Interesse <strong>des</strong> Generalbun<strong>des</strong>anwalts<br />

auf sich ziehen, so dass wir, um hier eine einheitliche Zuständigkeit<br />

auf <strong>der</strong> Ebene <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> zu gewährleisten, dem Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong><br />

Innern (wohl) den Vortritt gewähren würden. Somit dürfte in <strong>der</strong> bayerischen Praxis<br />

§ 58a AufenthG in Zukunft allenfalls in bislang ungekannten Ausnahmesituationen<br />

eine Rolle spielen.<br />

gez. Klaus Kempfler


64<br />

Hartmut Sprung<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> <strong>Evaluierung</strong> <strong>des</strong><br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes am 30. und 31. März 2006<br />

2. Thema: Innere Sicherheit, Terrorismusbekämpfung<br />

-Kurzdarstellung <strong>des</strong> Beitrags-<br />

I. Einleitung:<br />

- Hintergrund (div. Anschläge, Täterkreis: Migranten)<br />

Abteilungspräsident<br />

23. März 2006<br />

- Notwendigkeit zur behördenübergreifenden Zusammenarbeit, Einbeziehung von Auslän<strong>der</strong>- und Migrationsbehörden,<br />

statusrechtlichen Fragen ist größeres Gewicht beizumessen<br />

- Terrorrorismusbekämpfungsgesetz, Datenübermittlungspflichten <strong>des</strong> BAMF, erweiterte Möglichkeiten zum<br />

Datenaustausch<br />

- Sprach- und Textanalyse (2005: 1074 Gutachten, davon 216 für Externe, 98% gut verwertbares Ergebnis,<br />

73% Zuordnung zu an<strong>der</strong>em HKL, 13 % Bestätigung <strong>des</strong> HKL)<br />

- Physikalisch-technische Urkundenuntersuchung (2005: Prüfung v. 462 Dokumenten aus 65 Län<strong>der</strong>n, 60%<br />

Echtdokumente; geschätztes Aufkommen 2006: 2000 Dokumente; Schwerpunkt bisher: Reisedokumente)<br />

- Sicherheitsreferat, Verbindungsbeamtin <strong>des</strong> BAMF be<strong>im</strong> Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ)<br />

II. Ermittlungsauftrag <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes, § 30 Abs. 4, § 73 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 8 AufenthG<br />

1. Vergleich alte/neue Regelung<br />

- § 60 Abs. 8 AufenthG (früher: § 51Abs. 3 AuslG), Terrorismusvorbehalt: Versagung von Asylrecht bzw. Abschiebeschutz<br />

u.a. bei Gefähr<strong>der</strong>n<br />

- § 73 Abs. 2a AsylVfG, spätestens drei Jahre nach Unanfechtbarkeit <strong>der</strong> Entscheidung (Asyl, Abschiebeschutz)<br />

ist Wi<strong>der</strong>ruf o<strong>der</strong> Rücknahme <strong>der</strong> Entscheidung zu prüfen<br />

- § 60 Abs. 8 AufenthG (früher: § 51Abs. 3 AuslG) hat erst in den letzten Jahren vermehrt Anwendung gefunden<br />

und sollte daher in die <strong>Evaluierung</strong> <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes einbezogen werden, obwohl die Regelung inhaltlich<br />

unverän<strong>der</strong>t geblieben ist.<br />

2. Anwendungspraxis <strong>der</strong> Regelung<br />

a) Ermittlungsauftrag <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes<br />

Die Anwendung <strong>des</strong> § 60 Abs. 8 AufenthG i.V.m. § 30 Abs. 4 AsylVfG spiegelt einen eigenen Ermittlungsauftrag<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes wi<strong>der</strong>.<br />

b) Zahlen<br />

- Die Norm gelangte <strong>im</strong> Jahr 2005 in 76 Verfahren zur Anwendung.<br />

- Seit April 2004 (Einrichtung <strong>des</strong> entsprechenden Fachreferates und Führung dieser Statistik) wurden <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>amt<br />

gestützt auf § 60 Abs. 8 AufenthG insgesamt 138 Verfahren entschieden. In 113 Fällen wurde Klage<br />

erhoben, 97 Verfahren sind noch nicht abgeschlossen.


65<br />

- Auch aus Sicht <strong>der</strong> Gerichte stellt sich <strong>der</strong> Anwendungsbereich <strong>der</strong> Norm somit als komplex<br />

dar, bisher nur geringe Rechtsprechung, zukünftig jedoch in breiterem Umfang zu erwarten.<br />

c) Rechtsfragen und Spruchpraxis<br />

- Zentrale Rechtsfrage <strong>der</strong> anhängigen Verfahren ist, ob für die Anwendbarkeit <strong>des</strong> § 60 Abs. 8 AufenthG eine<br />

Wie<strong>der</strong>holungsgefahr zu for<strong>der</strong>n ist. Während die Rechtsprechung bei Satz 1 <strong>des</strong> § 60 Abs. 8 AufenthG <strong>im</strong><br />

Hinblick auf konkrete Gefähr<strong>der</strong> für die Sicherheit Deutschlands und die Allgemeinheit einhellig eine fortdauende,<br />

von <strong>der</strong> Person ausgehende Gefahr for<strong>der</strong>t, ist dies <strong>im</strong> Zusammenhang mit Personen, denen beispielsweise<br />

in <strong>der</strong> Vergangenheit liegende Verbrechen gegen die Menschlichkeit o<strong>der</strong> terroristische Unterstützungshandlungen<br />

vorgeworfen wurden (Satz 2), umstritten.<br />

� Rechtsauffassung <strong>des</strong> BAMF: Keine Wie<strong>der</strong>holungsgefahr erfor<strong>der</strong>lich (gestützt durch VG<br />

Ansbach, demnächst auch obergerichtliche Entscheidung erwartet)<br />

- Weitere offene / strittige Rechtsfragen <strong>im</strong> Zusammenhang mit § 60 Abs. 8 AufenthG:<br />

o Notwendigkeit eines eigenen Gewaltbeitrags bzw. <strong>der</strong> Zurechenbarkeit <strong>der</strong> Verstöße einer Organisation<br />

dem Einzelnen gegenüber sowie best<strong>im</strong>mte Qualität <strong>der</strong> sanktionierten Handlung<br />

� Rechtsauffassung <strong>des</strong> BAMF: jede qualifizierte Unterstützung einer terroristischen Organisation,<br />

die Bezug zu den terroristischen Aktivitäten dieser Organisation hat, soll sanktioniert werden<br />

o Frage, ob tatsächlich von einer terroristischen Organisation ausgegangen werden kann (z.B. hinsichtlich<br />

PKK, VG Würzburg)<br />

� Rechtsauffassung <strong>des</strong> BAMF: PKK ist eine terroristische Organisation, die auch auf <strong>der</strong> Terrorliste<br />

<strong>der</strong> EU aufgeführt ist.<br />

� Hinweis: Die strafrechtliche Einstufung <strong>der</strong> PKK weicht hiervon ab: Kr<strong>im</strong>minelle Vereinigung<br />

und auch das nur bei Führungska<strong>der</strong>.<br />

III. Ausweisung, Abschiebung, Überwachung ausgewiesener Auslän<strong>der</strong>, Abschiebungsanordnung<br />

1. Wesentliche Neuregelungen<br />

Die sicherheitsrelevanten Vorschriften <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes, insbeson<strong>der</strong>e die Ausweisungs- und Überwachungstatbestände<br />

gemäß §§ 53 ff., 54a AufenthG sowie die Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG wurden<br />

durch das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz zum Teil neu gefasst und tragen <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>ten Gefährdungslage Rechnung.<br />

Neu sind insbeson<strong>der</strong>e:<br />

• Zwingende Ausweisung: § 53 Nr. 3 AufenthG: zwingende Ausweisung wegen einer Verurteilung wegen Einschleusens<br />

von Auslän<strong>der</strong>n gem. §§ 96 o<strong>der</strong> 97 AufenthG, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde<br />

• Regelausweisung: § 54 Nr. 2, 5 AufentG:<br />

o Nr.2: Regelausweisung wegen Verurteilung wegen Einschleusens von Auslän<strong>der</strong>n gem. §§ 96, 97 AufenthG<br />

o Nr. 5: Terrorismusunterstützung; neu ist hier insbeson<strong>der</strong>e die Senkung <strong>der</strong> Nachweisschwelle. Für die<br />

Ausweisung genügt es, dass Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass eine entsprechende Unterstützung<br />

vorliegt.<br />

• Überwachung ausgewiesener Auslän<strong>der</strong> aus Gründen <strong>der</strong> inneren Sicherheit: § 54a AufenthG: Die Norm<br />

schafft erstmals eine Rechtsgrundlage für die Überwachung ausgewiesener Auslän<strong>der</strong> und hat keinen Vorläufer<br />

<strong>im</strong> AuslG


66<br />

• Ermessensausweisung: § 55 Nr. 8 a) und b) AufenthG: Die „Hassprediger“-Tatbestände sind<br />

ebenfalls ohne Vorläufer <strong>im</strong> AuslG<br />

• Abschiebungsanordnung: § 58a AufenthG: Die Norm ist <strong>im</strong> Vermittlungsverfahren ins Gesetz eingefügt worden.<br />

Zur Abwehr einer beson<strong>der</strong>en Gefahr für die Sicherheit <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik o<strong>der</strong> einer terroristischen Gefahr<br />

kann die oberste Lan<strong>des</strong>behörde bzw. bei beson<strong>der</strong>em Interesse <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> auch das BMI eine kraft Gesetzes<br />

sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung erlassen.<br />

2. Arbeitsgruppe Statusrechtliche Begleitmaßnahmen/AG Status<br />

- Das Bun<strong>des</strong>amt selbst wendet die neu gefassten Ausweisungstatbestände bzw. den § 58a AufenthG mangels<br />

Zuständigkeit nicht an, leistet jedoch operationelle Zuarbeit für das BMI bei § 58 a AufenthG<br />

- Die Anwendung <strong>der</strong> neugefassten Ausweisungstatbestände <strong>des</strong> § 54 Abs. 5 und 5a AufenthG, <strong>des</strong> Überwachungstatbestan<strong>des</strong><br />

<strong>des</strong> § 54a AufenthG sowie <strong>der</strong> Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG spielt jedoch<br />

mittelbar <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Tätigkeit <strong>der</strong> Arbeitsgruppe „Statusrechtliche Begleitmaßnahmen“ (AG Status)<br />

<strong>im</strong> Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) eine Rolle.<br />

a) Auftrag und Arbeitsweise <strong>der</strong> AG Status<br />

- Einrichtung durch BMI <strong>im</strong> Juni 2005 und Fe<strong>der</strong>führung durch das Bun<strong>des</strong>amt<br />

- Ständige Teilnehmer: BAMF, BfV, BKA, anlassbezogen involvierte Bun<strong>des</strong>- und Lan<strong>des</strong>behörden<br />

- Das wesentliche Ziel <strong>der</strong> AG Status besteht darin, bei Personen mit extremistischem/terroristischem Hintergrund<br />

frühzeitig zu erkennen, ob Maßnahmen<br />

o zur Aufenthaltsbeendigung (auch gem. § 58a Abs. 2 AufenthG) sowie weitere auslän<strong>der</strong>rechtliche Maßnahmen<br />

(z.B. Auflagen),<br />

o falls dies nicht möglich ist, zur Überwachung nach § 54a AufenthG,<br />

o zum Wi<strong>der</strong>ruf / zur Rücknahme <strong>der</strong> Asyl-/Flüchtlingsanerkennung,<br />

o zur Verhin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> (Wie<strong>der</strong>-) Einreise,<br />

o zur Verhin<strong>der</strong>ung bzw. Wi<strong>der</strong>ruf/Rücknahme von Einbürgerungen<br />

angezeigt sind.<br />

- Arbeitsweise (Priorisierung <strong>der</strong> Fälle, Sachverhaltsaufklärung, Prüfung und Bewertung von statusrechtlichen<br />

Maßnahmen, Erarbeitung von Handlungsempfehlungen, asylrechtliche Entscheidungen)<br />

- Perspektive (Mittelfristig Angebot von Serviceleistungen für die Län<strong>der</strong> durch Vermittlung von Erfahrungen<br />

über Rechtsprechung- und Entwicklung sowie erfolgreiche Vorgehensweisen)<br />

b) Zahlen / Erfolge<br />

- Seit Gründung Behandlung <strong>der</strong> Fälle von 95 Personen<br />

- 15 Fälle waren für die AG nicht geeignet.<br />

- Von den 80 verbleibenden Fällen hatten 44 asylrechtlichen Hintergrund<br />

- 14 Wi<strong>der</strong>rufsverfahren wurden eingeleitet<br />

- Bisher we<strong>der</strong> durch Bund noch durch Land Anwendung von § 58a AufenthG<br />

- Erfolgsdefinition <strong>der</strong> AG (Sensibilisierung von Auslän<strong>der</strong>behörden, Anstoß zum Erlass auslän<strong>der</strong>rechtlicher<br />

Maßnahmen und <strong>der</strong>en Unterstützung, Wi<strong>der</strong>ruf von asylrechtlichen Entscheidungen, Verhin<strong>der</strong>ung von aufenthaltsverfestigenden<br />

Maßnahmen)<br />

- Fallbeispiele


67<br />

o In einem Fall wurde durch die Recherchen <strong>der</strong> AG Status die Tatsache, dass ein Top-<br />

Ka<strong>der</strong> <strong>der</strong> PKK bereits Flüchtlingsstatus in Griechenland genießt, die Rücknahmeverpflichtung Griechenlands<br />

festgestellt und in enger Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> zuständigen Auslän<strong>der</strong>behörde seine Ausreise<br />

nach Griechenland erreicht.)<br />

o In einem an<strong>der</strong>en Fall konnte die zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde nach <strong>der</strong> Information über den Auslandsaufenthalt<br />

<strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s das Erlöschen <strong>der</strong> Anerkennung als Asylberechtigter feststellen und die<br />

Ausweisung verfügen. Die Ausweisung ist bestandskräftig, eine Wie<strong>der</strong>einreisesperre ist in AZR und<br />

SIS eingetragen.<br />

o In zwei weiteren Fällen konnte die jeweils zuständige Auslän<strong>der</strong>behörden <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Recherchen<br />

<strong>der</strong> AG Status so sensibilisiert werden, dass mittlerweile die Ausweisungsverfügungen zugestellt sind.<br />

o In einem an<strong>der</strong>en Fall konnte durch Informationen <strong>des</strong> BKA die Identität bestätigt werden; die Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

bedient sich jetzt <strong>der</strong> Möglichkeiten <strong>des</strong> BKA zur Beschaffung von Reisepapieren; die Botschaft<br />

<strong>des</strong> Herkunftsstaates hatte die Angelegenheit sehr zögerlich bearbeitet.<br />

o In einem Fall konnten nach einem innerdeutschen Umzug die Sicherheitsbehörden <strong>des</strong> neu zuständigen<br />

Bun<strong>des</strong>lan<strong>des</strong> auf die betreffende Person, die dort noch nicht bekannt war, hingewiesen werden.<br />

c) Erkenntnisse aus <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

- Vollzug aufenthaltsbeenden<strong>der</strong> Maßnahmen scheitert oft an Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen<br />

- Die Erkenntnis wurde bestätigt, dass die Kooperation mit Herkunftsstaaten bei <strong>der</strong> Beschaffung von Rückreisedokumenten<br />

verbesserungsbedürftig ist.<br />

- Erkenntnisse von Sicherheitsbehörden, die nicht ausreichen, um einem Strafverfahren zum Erfolg zu verhelfen,<br />

können jedoch den Wi<strong>der</strong>ruf einer Asylanerkennung o<strong>der</strong> eine Ausweisungsverfügung tragen.<br />

- Wegen <strong>der</strong> fehlenden auslän<strong>der</strong>rechtlichen Zuständigkeit <strong>der</strong> AG sollte <strong>der</strong> Koordinierungs- und Servicefunktion<br />

zukünftig mehr Gewicht beigemessen werden.<br />

d) Rechtsprechung<br />

- Zu den Fällen <strong>der</strong> AG Status selbst gibt es noch keine Rechtsprechung.<br />

- Die bislang veröffentlichte obergerichtliche Rechtsprechung zu den neuen Ausweisungstatbeständen setzt sich<br />

insbeson<strong>der</strong>e mit <strong>der</strong> Nachweisschwelle bei § 54 Nr. 5 AufenthG (Unterstützung einer terroristischen Vereinigung)<br />

auseinan<strong>der</strong>. (Der Nachweis „verdächtiger Tatsachen“ genügt nicht, aus diesen muss auch zu schließen<br />

sein, dass <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> Gefähr<strong>der</strong> ist)<br />

e) geplante Neuregelung:<br />

Der Gesetzentwurf <strong>des</strong> BMI vom 03.01.2006 für ein „Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien<br />

<strong>der</strong> Europäischen Union“ schreibt die AG Status als Aufgabe <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes in § 75 Nr. 11 AufenthG-E<br />

fest. Text <strong>der</strong> geplanten Neuregelung:<br />

„11. Koordinierung <strong>der</strong> Informationsübermittlung und Auswertung von Erkenntnissen <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>behörden,<br />

insbeson<strong>der</strong>e <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>kr<strong>im</strong>inalamtes und <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes für Verfassungsschutz<br />

zu Auslän<strong>der</strong>n, bei denen wegen Gefährdung <strong>der</strong> öffentlichen Sicherheit auslän<strong>der</strong>-, asyl- o<strong>der</strong><br />

staatsangehörigkeitsrechtliche Maßnahmen <strong>im</strong> Betracht kommen.“<br />

2. Mitarbeit in Län<strong>der</strong>-Arbeitsgruppen<br />

a) AG BIRGiT (eingerichtet Okt. 2004):


68<br />

In die Arbeit <strong>der</strong> AG BIRGiT (Bayern) ist das Bun<strong>des</strong>amt regelmäßig eingebunden, indem ein<br />

Vertreter <strong>des</strong> Sicherheitsreferates an <strong>der</strong>en Sitzungen anlassbezogen teiln<strong>im</strong>mt.<br />

Seit Januar 2005 Ausweisung gemäß § 54 Nr. 5a AufenthG von zwölf Auslän<strong>der</strong>n mit Asylbezug<br />

b) An<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong>-Arbeitsgruppen:<br />

Anlassbezogen n<strong>im</strong>mt das Bun<strong>des</strong>amt über seine Außenstellen auch an Arbeitsgruppen an<strong>der</strong>er Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> teil,<br />

wenn die Teilnahme dort gewünscht wird.<br />

IV. Fazit:<br />

Die Neuregelungen <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes und ihre Anwendung stellen einen wichtigen Beitrag zu inneren<br />

Sicherheit und zur Terrorismusbekämpfung dar. In vergleichsweise kurzer Zeit wurde viel erreicht und insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Zusammenarbeit <strong>der</strong> Sicherheits- und Verwaltungsbehörden auf allen Ebenen konnte von den verän<strong>der</strong>ten<br />

rechtlichen <strong>Rahmen</strong>bedingungen profitieren. Die bisherige Erfahrung hat die Bedeutung <strong>der</strong> Behördenkooperation<br />

und <strong>des</strong> Informationsaustauschs ebenso verdeutlicht wie die Notwendigkeit, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.<br />

Die <strong>Evaluierung</strong> <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes leistet hier einen wichtigen Beitrag.<br />

Das Bun<strong>des</strong>amt strebt in diesem Kontext eine Intensivierung <strong>der</strong> behördenübergreifenden Zusammenarbeit an, in<br />

dem es, wie bereits dargelegt, seine Erfahrungen und Möglichkeiten verstärkt Arbeitsgruppen und Initiativen <strong>der</strong><br />

Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> anbieten wird, und <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> AG Status zukünftig verstärkt eine Koordinierungs- und Servicefunktion<br />

anstreben wird.


- 70-<br />

Victor Pfaff<br />

Stellungnahme<br />

zu Thema 2 <strong>des</strong> <strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong>es<br />

be<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> <strong>Evaluierung</strong><br />

<strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes am 30. und 31. März 2006<br />

P/jc<br />

27. März 2006


- 71-<br />

Der Deutsche Anwaltverein hat <strong>im</strong> Jahr 2004 auf dem Anwaltstag<br />

nachdrücklich davor gewarnt, die aufenthaltsrechtlichen Best<strong>im</strong>mungen<br />

<strong>im</strong> Sicherheitsbereich weiter zu verschärfen. Es<br />

wurde die Sorge geäußert, die Behörden könnten auslän<strong>der</strong>rechtliche<br />

Maßnahmen – Nichtverlängerung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis,<br />

Ausweisung – auf unbegründeten Verdacht stützen. Die Än<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz gegenüber dem Auslän<strong>der</strong>gesetz/1990<br />

führten dann dazu, daß die Formulierung „wenn Tatsachen belegen,<br />

daß....“ 1 ersetzt wurde durch „Tatsachen die Schlußfolgerung<br />

rechtfertigen, daß...“ 2 . Die Befürchtung hat sich als begründet<br />

erwiesen. Der Ausgangspunkt für ein Einschreiten ist<br />

häufig ein Einbürgerungsverfahren. Dabei wird nicht übersehen,<br />

daß <strong>der</strong> Entscheidungsspielraum, den § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG<br />

einräumt, erheblich weiter ist als bei § 54 Nr. 5 und 5 a AufenthG.<br />

Es kann aber festgestellt werden, daß die Anlaß gebenden Sachverhalte<br />

und die Bewertungen meist identisch sind. Zweifellos<br />

sind die staatlichen Sicherheitsorgane bei <strong>der</strong> Terrorismusbekämpfung<br />

und be<strong>im</strong> Schutz <strong>der</strong> freiheitlich demokratischen<br />

Grundordnung zu aller größter Sorgfalt verpflichtet. Um so<br />

merkwürdiger ist es, daß nicht selten falsche o<strong>der</strong> abwegige<br />

Begründungen für Ablehnungsbescheide <strong>im</strong> Aufenthalts- o<strong>der</strong> Einbürgerungsrecht<br />

o<strong>der</strong> in Ausweisungsbescheiden herangezogen<br />

werden. 3 So etwa wird XY gefragt, ob er in einer Organisation<br />

Mitglied sei. Das wird verneint. Sodann wird <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> §<br />

11 Satz 1 StAG vorgeworfen, <strong>der</strong> Einbürgerungsbewerber habe<br />

verschwiegen, vor neun Jahren als Student in einer an<strong>der</strong>en<br />

Stadt einen Gebetsverein mitbegründet zu haben. Eine wichtige<br />

Rolle spielt <strong>der</strong> Umstand, daß die Behörden in <strong>der</strong> Regel auf<br />

Dolmetscher angewiesen sind und Gefahr laufen, falschen Übersetzungen<br />

o<strong>der</strong> falschen Denunziationen ausgeliefert zu sein.<br />

Bevor einige Beispiele angeführt werden, wird auf einen merkwürdigen<br />

Umstand hingewiesen, <strong>der</strong> auf Erfahrung in eigener<br />

Praxis beruht: Das Auslän<strong>der</strong>amt als untere Verwaltungsbehörde<br />

o<strong>der</strong> das Regierungspräsidium als Einbürgerungsbehörde prüft<br />

den Lebenssachverhalt, die vorgelegten Erkenntnisse und wertet<br />

eine Sicherheitsbefragung aus und kommt dann zum Ergebnis, daß<br />

die Anträge positiv zu bescheiden seien. Die oberste Lan<strong>des</strong>behörde<br />

weist dagegen an, den Antrag abzulehnen bzw. den Auslän-<br />

1<br />

§ 47 Abs. 2 Nr. 4 mit § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG/90; auch § 86 Nr. 3 AuslG/90 verwies auf diese beiden<br />

Best<strong>im</strong>mungen.<br />

2<br />

§ 54 Nr. 5 AufenthG, worauf in § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG und in § 11 Satz 1 Nr. 3 StAG verwiesen wird.<br />

3 siehe z.B BayVGH Beschluß vom 9.3.2005, 24 Cs 04.2677.


- 72-<br />

<strong>der</strong> auszuweisen. 4 Es wird also Druck „von oben“ ausgeübt, ohne<br />

daß dies gerechtfertigt erscheint, soweit bisher Ergebnisse<br />

vorliegen.<br />

Einige notgedrungen plakative Beispiele, was behördlicherseits<br />

als „Tatsachen“ gesehen wird, welche sicherheitsgefährdende<br />

Schlußfolgerungen begründen sollen:<br />

- Besuch einer best<strong>im</strong>mten Moschee eines best<strong>im</strong>mten Vereins<br />

neben an<strong>der</strong>en Moscheen, je nach Wohnsitzwechsel. 5<br />

- Gelegentlich Vorbeter-Funktion, ohne daß ein Vorwurf<br />

bezüglich <strong>des</strong> dabei Gesagten erhoben worden wäre.<br />

- Spenden zum Erhalt und zur Pflege einer Moschee anläßlich<br />

<strong>des</strong> Moscheebesuches (so wie in christlichen Kirchen<br />

für den Erhalt <strong>des</strong> Kirchengebäu<strong>des</strong> gespendet werden<br />

kann).<br />

- Bekenntnis zur Scharia (siehe hierzu unten).<br />

- Organisierung von Haj-Reisen (bekanntlich gehört es zu<br />

den fünf religiösen Grundpflichten eines Moslems, wenigstens<br />

einmal <strong>im</strong> Leben nach Mekka gepilgert zu sein).<br />

- In einem islamischen Verein liegt ein Faltblatt <strong>des</strong> IZ<br />

Aachen aus, wobei zum Vorwurf gemacht wird, daß auf<br />

diesem Faltblatt steht: „Außer Gott ist kein Gott und<br />

Mohammad ist sein Prophet“ – bekanntlich das Glaubenbekenntnis<br />

<strong>des</strong> Islam, nicht <strong>des</strong> Islamismus.<br />

- Reisen nach Ägypten, wonbei <strong>der</strong> Betreffende Ägypter ist<br />

und in Ägypten, wie auch hier, eine Firma betreibt.<br />

- Anmietung von Räumen für den IGD-Kongress <strong>im</strong> September<br />

2003, auf dem <strong>der</strong> Bürgermeister die Teilnehmer herzlich<br />

willkommen heißt.<br />

- Beitritt zu einem lokalen, 1974 gegründeten IGD-Verein<br />

<strong>im</strong> Jahr 1992, also zu einem Zeitpunkt, als laut Verfassungsschutzbericht<br />

von einem Einfluß <strong>der</strong> Moslem-<br />

Bru<strong>der</strong>schaft nicht gesprochen werden konnte, und ohne<br />

je Aktivitäten entwickelt zu haben; <strong>der</strong> Verein schlief<br />

1993 mangels Mitglie<strong>der</strong> ein. 6<br />

Insgesamt zeigt sich eine große Unsicherheit <strong>im</strong> Umgang mit dem<br />

islamischen Glauben. So bezeichnet <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>sächsische Lan<strong>des</strong>verfassungsschutz<br />

die Moslem-Bru<strong>der</strong>schaft <strong>des</strong>halb als extremistisch,<br />

weil<br />

4<br />

Die folgenden Angaben dienen <strong>der</strong> Identifizierbarkeit <strong>der</strong> Verfahren durch den Verfasser: 60/05/23, 168/03/23,<br />

423/04/23, 411/05/23.<br />

5<br />

Vgl. auch VG Frankfurt, Beschluß vom 22.9.2005, 11 E 1891/05.<br />

6<br />

VG Frankfurt am Main, Beschluß vom 15.11.2005, 11 E 3474/05.


- 73-<br />

„<strong>der</strong> Islam ein vollständig auf sich selbst beruhen<strong>des</strong> allumfassen<strong>des</strong><br />

System ist, das frei von äußeren Einflüssen<br />

nur auf dem Koran und <strong>der</strong> Tradition <strong>des</strong> Propheten beruht.“<br />

Das aber ist nicht nur die Auffassung <strong>der</strong> Moslem-Bru<strong>der</strong>schaft,<br />

son<strong>der</strong>n es kennzeichnet den Islam als Religion, wie in <strong>der</strong> vom<br />

BMI herausgegebenen Schrift „Islamismus“ nachgelesen werden<br />

kann. 7<br />

So besteht die Gefahr, den Islam statt die Terrorismusgefahr<br />

und den Islamismus ins Visier zu nehmen.<br />

Als rotes Tuch wirkt das Bekenntnis zur Scharia, wobei verkannt<br />

wird, daß dies keineswegs ein Ausdruck <strong>des</strong> Willens sein<br />

muß, die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland in eine islamische Theokratie<br />

verwandeln zu wollen. Ich zitiere aus Heiner Bielefeldts<br />

vorzüglicher Schrift<br />

„Musl<strong>im</strong>e <strong>im</strong> säkularen Rechtsstaat – Integrationschancen<br />

durch Religionsfreiheit“ 8 : „Weil schon die klassischen<br />

Scharia-Schulen teilweise selbst die Möglichkeit eines<br />

pragmatischen Dispenses best<strong>im</strong>mter Scharia-Normen zugunsten<br />

<strong>der</strong> Akzeptanz <strong>der</strong> lokalen Rechtsordnung vorgesehen haben,<br />

wäre es voreilig, hinter je<strong>der</strong> Berufung auf die Scharia<br />

gleich eine verfassungsfeindliche Antithese zum säkularen<br />

Rechtsstaat zu vermuten. Oft ist das Gegenteil <strong>der</strong><br />

Fall: In Debatten kann man erleben, daß Musl<strong>im</strong>e sich in<br />

einem Atemzug sowohl zur Scharia als auch zum Grundgesetz<br />

bekennen und die Loyalität zum Grundgesetz geradezu als<br />

einen Akt <strong>des</strong> Gehorsams gegenüber <strong>der</strong> Scharia begreifen.“<br />

Es sollte den Behörden auch in Wahrnehmung legit<strong>im</strong>er Sicherheitsinteressen<br />

gelingen zu differenzieren, da sonst auf musl<strong>im</strong>ischer<br />

Seite die Erfahrung gemacht wird, daß dieser Staat<br />

es mit <strong>der</strong> Religionsfreiheit nicht ernst nehme, sie vielmehr<br />

kulturalistisch einseitig praktiziere. Dadurch würden wertvolle<br />

Integrationsbemühungen „aufgeklärter“ Moslems behin<strong>der</strong>t<br />

o<strong>der</strong> zunichte gemacht.<br />

Bezogen auf das Thema <strong>Evaluierung</strong> <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

heißt das:<br />

1. Wenigstens sollte § 54 Nr. 5 AufenthG so angewandt werden,<br />

wie normiert. Das in Halbsatz 2 enthaltene Tatbestandsmerkmal<br />

„gegenwärtige Gefährlichkeit“ ist nicht<br />

nur zu prüfen, wenn es um „zurückliegende Mitglied-<br />

7<br />

siehe Breuer, Grundlagen <strong>der</strong> Scharia und ihre Anwedung <strong>im</strong> 21. Jahrhun<strong>der</strong>t, in: Islamismus, Texte zur Inneren<br />

Sicherheit, Herausgegeben vom BMI, 4. Auflage 2004, Seite 101.<br />

8<br />

Bielefeldt, Heiner, Musl<strong>im</strong>e <strong>im</strong> sekularen Rechtsstaat – Integrationschancen durch<br />

Religionsfreiheit, Bielefeld 2003, Seite 67 f.


- 74-<br />

schaften o<strong>der</strong> Unterstützungshandlungen“ geht. Vom Korrektiv<br />

„gegenwärtige Gefährlichkeit“ muß auch <strong>im</strong> ersten<br />

Halbsatz ausgegangen werden. Das würde nämlich eine Argumentation<br />

unterbinden, die jetzt den Behörden leicht<br />

von <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong> perlt: A besucht eine Moschee, die Moschee<br />

gehört zum Verein X, <strong>der</strong> Verein X ist Mitglied in<br />

<strong>der</strong> Vereinigung Y und die Vereinigung Y stehe <strong>der</strong> Z-<br />

Bru<strong>der</strong>schaft nahe. Man fragt, wo ist da die gegenwärtige<br />

Gefährlichkeit begründet? Ich zitiere den Kern eines<br />

Anhörungsschreibens in einem Ausweisungsverfahren vom<br />

6. Oktober 2005, wobei das gewählte Zitat alle erhobenen<br />

Vorwürfe umfaßt:<br />

„Nach Ihren eigenen Angaben haben Sie seit vielen<br />

Jahren Kontakt zum Islamischen Zentrum. Dies<br />

haben Sie in <strong>der</strong> Vergangenheit auch mit Geldspenden<br />

unterstützt. Des weiteren gaben Sie an,<br />

in <strong>der</strong> Vergangenheit einige Male in <strong>der</strong> Moschee<br />

als Vorbeter eingesprungen zu sein. Ihre über<br />

Jahre andauernde Beziehung zum Islamischen Zentrum,<br />

die finanziellen Zuwendungen und die Berufung<br />

zum Vorbeter läßt die Schlußfolgerung zu,<br />

daß Sie diese Vereinigung nachhaltig unterstützen.“<br />

Bleibt zu ergänzen: Der das Hocharabisch beherrschende<br />

Ägypter ist nur dann als Vorbeter eingesprungen, wenn<br />

<strong>der</strong> Imam überraschend verhin<strong>der</strong>t und er selbst zufällig<br />

anwesend war.<br />

2. Es gibt ein weiteres Korrektiv, welches ebenfalls übersehen,<br />

jedenfalls nicht ausreichend beachtet wird. § 5<br />

Abs. 4 Satz 2 AufenthG enthält eine purgatorische Klausel.<br />

Von <strong>der</strong> Ausweisung kann Abstand genommen werden,<br />

wenn <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> sich offenbart und – hierauf kommt<br />

es <strong>im</strong> vorliegenden Zusammenhang an – von seinem „sicherheitsgefährdenden<br />

Handeln“ Abstand n<strong>im</strong>mt. Die Vorschrift<br />

zeigt, daß Ausweisung, aber auch Versagung <strong>der</strong><br />

Einreise und <strong>der</strong> Verlängerung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis<br />

stets an ein „sicherheitsgefährden<strong>des</strong> Handeln“ anknüpfen<br />

muß. Der Gesetzgeber wollte keinen substanzlosen<br />

Unterstützungsbegriff 9 schaffen. Er zielt vielmehr auf<br />

individuell zurechenbare tatsächlich sicherheitsgefährdende<br />

Handlungen. Das verlieren die Behörden oft aus<br />

dem Blick.<br />

Es wird empfohlen, anläßlich <strong>der</strong> Beratung und Verabschiedung<br />

<strong>der</strong> Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum AufenthG und zum<br />

9 Marx, Auslän<strong>der</strong>- und Asylrecht, 2. Auflage, Seite 435.


- 75-<br />

StAG deutlicher als bisher die Behörden darauf hinzuweisen,<br />

daß „die von einem Auslän<strong>der</strong> ausgehenden Gefahren entwe<strong>der</strong> gegenwärtig<br />

bestehen o<strong>der</strong> für die Zukunft zu erwarten sein“ muß<br />

(VAH/MBI 54.5) und daß „reine Vermutungen o<strong>der</strong> eine entfernte<br />

Möglichkeit eines Schadeneintritts (nicht) genügen“, daß ferner<br />

„eine Gefährdung erst dann vorliegt, wenn eine auf Tatsachen<br />

gestützte, nicht bloß entfernte Möglichkeit eines Schadeneintritts<br />

besteht“ (VAH/BMI 54.5 a und 54.5 a.1). Die Praxis<br />

<strong>der</strong> vergangenen 15 Monate lehrt: An <strong>der</strong> Gefahrenprognose<br />

fehlt es häufig ebenso wie an <strong>der</strong> Prüfung <strong>des</strong> Übermaßverbotes,<br />

die in VAH/BMI 54.5 a letzter Satz vorgeschrieben ist.<br />

Victor Pfaff<br />

Rechtsanwalt


76<br />

Statement<br />

von Vorsitzen<strong>der</strong> Richter am Verwaltungsgericht Wolfgang Armbruster<br />

zum Themenkomplex humanitäre Aufenthalte, Bleiberechtsregelungen, Asylverfahren,<br />

Illegalität<br />

Der thematische Schwerpunkt bei diesem Themenkomplex soll insbeson<strong>der</strong>e auf<br />

Fragestellungen<br />

zur Beschleunigung <strong>des</strong> Asylverfahrens,<br />

zur nichtstaatlichen und geschlechtsspezifischen Verfolgung,<br />

zur Feststellung von Abschiebungsverboten durch die ABH und Zusammenarbeit mit<br />

dem BAMF,<br />

zu Kettenduldungen und Bleiberechtsregelungen<br />

zur sozialen und rechtlichen Lage <strong>der</strong> Illegalen liegen.<br />

Das Statement soll <strong>im</strong> Schwerpunkt auf eine Gesetzesfolgenabschätzung <strong>der</strong> Regelungen<br />

<strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes ausgerichtet sein.<br />

Aus Sicht <strong>der</strong> Verwaltungsgerichtsbarkeit beschäftige ich mich maßgeblich mit<br />

• § 60a II AufenthG,<br />

• § 25 AufenthG,<br />

thematisch mit<br />

den Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen,<br />

<strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> sog. Kettenduldung und<br />

<strong>der</strong> Feststellung von Abschiebungsverboten durch die Auslän<strong>der</strong>behörde und<br />

das BAMF<br />

da diese Probleme in den gerichtlichen Verfahren den Schwerpunkt bilden.<br />

A Vorbemerkung:<br />

In <strong>der</strong> gerichtlichen Praxis liegen die Hauptprobleme bei den Aufenthaltserlaubnissen<br />

aus humanitären Gründen bei <strong>der</strong> Auslegung <strong>der</strong> Tatbestandsvoraussetzungen<br />

für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach §<br />

25 AufenthG, wobei diese in unmittelbarem Zusammenhang mit den Tatbestandsvoraussetzungen<br />

für die Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG stehen.<br />

Hinsichtlich § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG ist allerdings vorab festzustellen, dass sich<br />

insoweit - soweit ersichtlich - in <strong>der</strong> praktischen Anwendung bei Gericht keine Probleme<br />

ergeben haben, da es sich für die die Auslän<strong>der</strong>behörde um eine Muss-<br />

Entscheidung handelt und zudem hinsichtlich <strong>der</strong> Entscheidung <strong>des</strong> BAMF Bindungswirkung<br />

besteht.<br />

B Aufenthaltserlaubnis <strong>im</strong> Falle zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote<br />

nach § 25 Abs. 3 AufenthG


77<br />

Nach § 25 Abs. 3 AufenthG soll einem Auslän<strong>der</strong> eine Aufenthaltserlaubnis erteilt<br />

werden, wenn die Voraussetzungen von § 60 Abs. 2, 3, 5 o<strong>der</strong> 7 AufenthG vorliegen.<br />

Tatbestandsvoraussetzung ist also das Vorliegen von § 60 Abs. 2, 3, 5 o<strong>der</strong> 7 AufenthG<br />

und damit m. E. - entgegen vereinzelt gebliebener St<strong>im</strong>men in <strong>der</strong> Rechtsprechung<br />

- ganz eindeutig das Vorliegen sog. zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote.<br />

Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen <strong>des</strong> § 25 Abs. 3 AufenthG vor, besteht ein<br />

Regelanspruch auf Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis.<br />

Auch hier besteht hinsichtlich <strong>der</strong> Tatbestandsvoraussetzung nach § 42 AsylVfG Bindungswirkung<br />

<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde an die positive aber auch an die negative<br />

Feststellung <strong>des</strong> BAMF.<br />

Allerdings besteht die Bindungswirkung nur, wenn ein Asylverfahren durchlaufen<br />

wurde, ansonsten trifft die Auslän<strong>der</strong>behörde die Feststellung selbst, wobei allerdings<br />

nach § 72 Abs. 2 AufenthG die Auslän<strong>der</strong>behörde - beschränkt auf § 60 Abs. 7<br />

AufenthG - zwingend das BAMF zu beteiligen hat.<br />

Zur Feststellung von Abschiebungsverboten durch die ABH und die Zusammenarbeit<br />

mit dem BAMF <strong>im</strong> Allgemeinen<br />

bleibt aus <strong>der</strong> Sicht <strong>des</strong> Verwaltungsgerichts darauf hinzuweisen, dass m. E. § 72<br />

Abs. 2 AufenthG, wonach die Auslän<strong>der</strong>behörde über das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen<br />

Abschiebungsverbots <strong>des</strong> § 60 Abs. 7 AufenthG (nur) nach vorheriger<br />

Beteiligung <strong>des</strong> BAMF entscheidet, einen guten Ansatz enthält, da die Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

- wie die Praxis deutlich macht - jedenfalls regelmäßig kaum Zugang zu Erkenntnismitteln<br />

zum Zielstaat <strong>des</strong> jeweiligen Auslän<strong>der</strong>s haben und <strong>des</strong>halb auch die<br />

Kenntnisse <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden zum Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote<br />

meist sehr beschränkt sind.<br />

Dieser Ansatz sollte allerdings m. E. auf alle zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote<br />

<strong>des</strong> § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG ausgedehnt werden und zudem sollte für<br />

die Auslän<strong>der</strong>behörden die Möglichkeit eines eigenen Zugangs zu diesen Erkenntnismitteln<br />

beispielsweise in <strong>der</strong> Form eines Zugangs zu ASYLIS <strong>des</strong> BAMF geschaffen<br />

werden.<br />

Denn in <strong>der</strong> Praxis ergeben sich hier öfter Probleme dahingehend, dass die Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

mangels Anschluss an die Datenbank ASYLIS <strong>des</strong> BAMF nicht in <strong>der</strong><br />

Lage sind selbst eigene Recherchen zu den Umständen <strong>im</strong> Zielstaat vorzunehmen.<br />

In rechtlicher Hinsicht stellt sich als Hauptproblem <strong>im</strong> Anwendungsbereich <strong>des</strong> § 25<br />

Abs. 3 AufenthG in <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Fall, dass das BAMF hinsichtlich einer positiven<br />

Entscheidung nach § 60 Abs. 2, 3, 5 o<strong>der</strong> 7 AufenthG ein Wi<strong>der</strong>rufsverfahren eingeleitet<br />

o<strong>der</strong> schon eine Wi<strong>der</strong>rufsentscheidung getroffen hat.<br />

Insoweit ist die (m. E. schon aus dogmatischen Gründen) nicht ganz unproblematische<br />

Entscheidung <strong>des</strong> BVerwG zum Soll-Charakter <strong>der</strong> Vorschrift für die Praxis<br />

nur wenig hilfreich.<br />

Zwar scheint es auf den ersten Blick für die Auslän<strong>der</strong>behörden günstig, dass bei<br />

einem o.g. Sachverhalt ein Ausnahmefall zu bejahen ist, jedoch ist die Auslän<strong>der</strong>be-


78<br />

hörde, wie sich in <strong>der</strong> Praxis ergeben hat, we<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Lage die vom BVerwG gefor<strong>der</strong>te<br />

Prognoseentscheidung zu treffen (z. B. wenn insoweit schon ein gerichtliches<br />

Verfahren anhängig ist) noch vermögen die Auslän<strong>der</strong>behörden meist die notwendigen<br />

Ermessenserwägungen fehlerfrei zu treffen.<br />

Zur praxisgerechten Lösung <strong>des</strong> Problems könnte sich hier eine gesetzliche Regelung<br />

anbieten, die zwar von einer Bindungswirkung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden bis zur<br />

Rechtskraft <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>rufsentscheidung <strong>des</strong> BAMF ausgeht, jedoch mit einer in <strong>der</strong><br />

Regel auf ½ Jahr zu erteilenden (und/o<strong>der</strong> einer bedingten) Aufenthaltserlaubnis arbeitet.<br />

C Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG für vorübergehende<br />

weitere Anwesenheit <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet aus dringenden humanitäre Gründen<br />

o<strong>der</strong> persönlichen Gründen o<strong>der</strong> erheblichen öffentlichen Interessen<br />

Hier hat sich in <strong>der</strong> Praxis das Problem ergeben, ob die Vorschrift auch auf vollziehbar<br />

ausreisepflichtige Auslän<strong>der</strong> anwendbar ist.<br />

Da die - soweit ersichtlich - einhellige Rechtsprechung <strong>der</strong> Verwaltungsgerichte <strong>der</strong><br />

Auffassung ist, dass § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auch auf vollziehbar ausreisepflichtige<br />

Auslän<strong>der</strong> anwendbar ist und damit den Vorläufigen Anwendungshinweisen <strong>des</strong><br />

Bun<strong>des</strong>innenministeriums vom 22.12.2004 unter 25.4.1.1 wi<strong>der</strong>spricht, wäre es dringend<br />

anzuraten <strong>im</strong> Gesetz eine eindeutige Regelung zu treffen.<br />

Dabei sollte dann aber auch berücksichtigt werden, dass we<strong>der</strong> Wortlaut, Systematik<br />

noch Entstehungsgeschichte auf eine solche Beschränkung wie sie die VAH annehmen<br />

hindeuten und ansonsten auch wegen <strong>des</strong> Wegfalls <strong>der</strong> Ermessensduldung in §<br />

60a AufenthG eine Gesetzeslücke entstehen würde.<br />

Angebracht wäre es eventuell auch Beispielsfälle in die Vorschrift aufzunehmen und<br />

<strong>im</strong> Fall <strong>der</strong> Schul- o<strong>der</strong> Berufsausbildung den Zeitraum <strong>des</strong> Abschlusses aufzunehmen<br />

etwa <strong>der</strong>gestalt, dass in überschaubarer Zukunft mit einem Abschluss <strong>der</strong> Ausbildung<br />

zu rechnen ist.<br />

Da die Regelung <strong>des</strong> § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nach einhelliger Auffassung eine<br />

eigenständige von § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG unabhängige Anspruchsgrundlage<br />

zur Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ist, wäre es zur Klarstellung angebracht,<br />

diese in einem eigenen Absatz zu regeln.<br />

D Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG bei Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise<br />

In <strong>der</strong> Praxis hat sich gezeigt, dass § 25 Abs. 5 AufenthG die meisten Auslegungsprobleme<br />

aufwirft und <strong>des</strong>halb hier ein erhöhter Bedarf besteht, dass <strong>der</strong><br />

Gesetzgeber seine Intentionen durch eine Än<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Wortlauts klar zum<br />

Ausdruck bringt.<br />

Zwar sollte § 25 Abs. 5 AufenthG nach allgemeiner Auffassung in <strong>der</strong> politischen<br />

Debatte, dazu führen, dass die sog. Kettenduldungen abgeschafft o<strong>der</strong> zumin<strong>des</strong>t<br />

erheblich reduziert werden, jedoch kann eine solche Absicht dem Wortlaut <strong>des</strong> § 25<br />

Abs. 5 AufenthG nicht entnommen werden und zeigt auch die nachträgliche Wie<strong>der</strong>-


79<br />

einführung <strong>der</strong> Duldung in § 60a AufenthG, dass dieses Rechtsinstitut weiterhin <strong>im</strong><br />

Gesetz verankert bleiben sollte.<br />

Dabei ist bei <strong>der</strong> Auslegung <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 AufenthG <strong>im</strong>mer auch die Vorschrift <strong>des</strong><br />

§ 60a Abs. 2 AufenthG in den Blick zu nehmen, da in beiden Vorschriften die Unmöglichkeit<br />

<strong>der</strong> Ausreise bzw. Abschiebung als Tatbestandsvoraussetzung<br />

geregelt ist.<br />

Insoweit ist zunächst ein Blick auf die Struktur bei<strong>der</strong> Vorschriften zu nehmen, wobei<br />

zu beachten ist, dass bei § 60a Abs. 2 AufenthG von <strong>der</strong> Unmöglichkeit <strong>der</strong><br />

Abschiebung und bei § 25 Abs. 5 AufenthG von <strong>der</strong> Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise<br />

die Rede ist.<br />

Vorab ist zu beachten, dass sich die rechtlichen Unmöglichkeitsgründe aufglie<strong>der</strong>n<br />

in<br />

• sog. zielstaatsbezogene Umstände und<br />

• sog. inlandsbezogene Vollstreckungshin<strong>der</strong>nisse.<br />

Nach wohl überwiegen<strong>der</strong> Rechtsprechung bildet § 25 Abs. 3 AufenthG gegenüber<br />

§ 25 Abs. 5 AufenthG <strong>des</strong>halb auch insoweit die Spezialvorschrift, die § 25 Abs. 5<br />

AufenthG <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> sog. zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote vorgeht.<br />

Folge davon ist, dass § 25 Abs. 3 AufenthG abschließend die Ausreisehin<strong>der</strong>nisse<br />

erfasst, die mit zielstaatsbezogenen Umständen begründet werden.<br />

Da danach die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen sog. zielstaatsbezogener<br />

Umstände in den § 25 Abs. 1 bis Abs. 3 AufenthG abschließend geregelt ist, können


80<br />

diese bei § 25 Abs. 5 AufenthG nicht (mehr) berücksichtigt werden und kommt bei<br />

§ 25 Abs. 5 AufenthG nur die Berücksichtigung sog. inlandsbezogener Vollstreckungshin<strong>der</strong>nisse<br />

in Betracht.<br />

Da allerdings schon dies in <strong>der</strong> Rechtsprechung nicht ganz unstreitig ist, wäre m. E.<br />

eine Klarstellung durch den Gesetzgeber wünschenswert.<br />

Das wohl umstrittenste Problem ist das Tatbestandsmerkmal <strong>der</strong> Unmöglichkeit<br />

<strong>der</strong> Ausreise und in diesem Zusammenhang die Frage, ob es hierbei auch auf die<br />

Zumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise ankommt.<br />

Nach wohl einhelliger Auffassung <strong>der</strong> Gerichte, genügt hierfür die Unmöglichkeit <strong>der</strong><br />

Abschiebung allein nicht, vielmehr muss darüber hinaus auch die freiwillige Ausreise<br />

unmöglich sein.<br />

M. E. ist dann allerdings zu trennen zwischen <strong>der</strong> rechtlichen Unmöglichkeit <strong>der</strong><br />

Ausreise und <strong>der</strong> tatsächlichen Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise, wobei dies in den bisher<br />

ergangen gerichtlichen Entscheidung allerdings so kaum nachvollziehbar dargelegt<br />

wird.<br />

Hierzu bleibt vorab noch darauf hinzuweisen, dass m. E. <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> rechtlichen<br />

Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise jedenfalls nicht so verstanden werden darf als zu prüfen<br />

wäre, ob dem Auslän<strong>der</strong> ein Ausreiseverbot entgegensteht.<br />

Maßgebend für die Erfüllung <strong>des</strong> Tatbestan<strong>des</strong> ist vielmehr das Vorliegen sog. inlandsbezogener<br />

Vollstreckungshin<strong>der</strong>nisse in <strong>der</strong> Form rechtlicher Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse.<br />

Insoweit nämlich ein sog. inlandsbezogenes Vollstreckungshin<strong>der</strong>nis aufgrund eines<br />

rechtlichen Abschiebungshin<strong>der</strong>nisses besteht, insbeson<strong>der</strong>e aus dem Schutz von<br />

Ehe und Familie nach Art. 6 GG und/o<strong>der</strong> Art. 8 EMRK bzw. bei Reiseunfähigkeit<br />

aufgrund krankheitsbedingter Umstände o<strong>der</strong> wegen Suizidgefahr, liegt m. E. ohne<br />

dass weitere Umstände zu prüfen wären eine Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise vor<br />

(so wohl <strong>im</strong> Ergebnis auch große Teile <strong>der</strong> Rechtsprechung), denn<br />

1. kann m. E. kein Unterschied zur rechtlichen Unmöglichkeit wegen eines sog. zielstaatsbezogenen<br />

Abschiebungsverbots i.S.d. § 25 Abs. 3 AufenthG bestehen und<br />

wäre es<br />

2. aus verfassungsrechtlichen Gründen problematisch von jemandem, dem ein<br />

rechtliches sog. inlandsbezogenes Vollstreckungshin<strong>der</strong>nis zur Seite steht, zu<br />

verlangen, dass er trotzdem ausreist.<br />

3. würde <strong>im</strong> Übrigen eine an<strong>der</strong>e Auffassung auch dazu führen, dass bei § 25 Abs.<br />

3 und § 25 Abs. 5 AufenthG trotz gleicher Interessenlage unterschiedliche Voraussetzungen<br />

bestünden.<br />

Einerseits kommt es nach dieser Auffassung bei Vorliegen eines sog. inlandsbezogenes<br />

Vollstreckungshin<strong>der</strong>nisses auf eine Zumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise nicht (mehr)<br />

an, jedoch ist an<strong>der</strong>erseits zu betonen, dass allein das Kriterium <strong>der</strong> Zumutbarkeit<br />

keine rechtliche Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise zu begründen vermag.


81<br />

Um die Unklarheiten <strong>der</strong> Tatbestandsvoraussetzungen <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 AufenthG zu<br />

beseitigen, sollt m. E. überlegt werden für den Tatbestand <strong>der</strong> rechtlichen Unmöglichkeit<br />

<strong>der</strong> Ausreise und <strong>der</strong> tatsächlichen Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise zwei unterschiedliche<br />

Absätze mit unterschiedlichen Voraussetzungen zu schaffen, wobei <strong>im</strong><br />

Bereich <strong>der</strong> Ausreise wegen Unmöglichkeit aus rechtlichen Gründen Situationen <strong>des</strong><br />

Vertretenmüssens bzw. <strong>des</strong> Verschuldens kaum vorstellbar sein dürften.<br />

Handelt es sich dagegen um den Tatbestand <strong>der</strong> tatsächlichen Unmöglichkeit <strong>der</strong><br />

Ausreise beispielsweise wegen Fehlen eines aufnahmebereiten Staates o<strong>der</strong> wegen<br />

Nichtbesitz eines Passes, so kommt es m. E. allein darauf an, ob die Ausreise objektiv<br />

unmöglich ist (so auch weite Teile <strong>der</strong> Rechtsprechung), sodass allein die<br />

objektive Möglichkeit zu prüfen ist, ob <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> in den He<strong>im</strong>atstaat zurückkehren<br />

kann, hingegen spielen Fragen <strong>der</strong> Zumutbarkeit <strong>der</strong> Rückkehr hier keine Rolle<br />

insbeson<strong>der</strong>e findet keine eigenständige Verhältnismäßigkeitsprüfung statt.<br />

Auch insoweit wäre allerdings eine Klarstellung <strong>des</strong>sen was <strong>der</strong> Gesetzgeber mit<br />

dem Tatbestandsmerkmal tatsächliche Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise inhaltlich gewollt<br />

hat in einem eigenen Absatz zu § 25 AufenthG angebracht insbeson<strong>der</strong>e sollte die<br />

Regelung zur Frage <strong>der</strong> Zumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise eine klare Aussage treffen.<br />

E Zum Son<strong>der</strong>fall <strong>der</strong> rechtlichen Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise wegen Integration<br />

bzw. Verwurzelung <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet aufgrund <strong>des</strong> Begriffs<br />

Privatleben in Art. 8 EMRK.<br />

M. E. ist diese in <strong>der</strong> nationalen Rechtsprechung zwischenzeitlich sehr streitige Frage<br />

einer gesetzlichen Regelung nicht zugänglich, da sie von einer Auslegung <strong>des</strong><br />

Art. 8 EMRK insbeson<strong>der</strong>e von <strong>des</strong>sen Schutzbereich und Grenzen nach Art. 8 Abs.<br />

2 EMRK abhängt und <strong>des</strong>halb letztlich durch die Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR geklärt<br />

werden muss bzw. werden wird.<br />

Allerdings ist insoweit darauf hinzuweisen, dass schon nach <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen Rechtslage<br />

durchaus die Möglichkeit besteht dieses Problem dadurch zu entschärfen, dass<br />

über die Ermächtigung für die obersten Lan<strong>des</strong>behörden zum Erlass einer sog.<br />

(generellen) Bleiberechtsregelung nach § 23 Abs. 1 AufenthG die Möglichkeit<br />

besteht gerade die Fälle sich <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet langaufhältiger Auslän<strong>der</strong> durch<br />

den Erlass konkreter Regelungen für die Gewährung eines Bleiberechts zu regeln.<br />

M. E. spricht nämlich sehr viel dafür, dass die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung,<br />

die unmittelbar aus dem in Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Recht auf<br />

Achtung <strong>des</strong> Privatlebens ein inlandsbezogenes rechtliches Ausreisehin<strong>der</strong>nis<br />

bzw. Abschiebungsverbot gegenüber langjährig <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet lebenden<br />

Auslän<strong>der</strong>n insbeson<strong>der</strong>e <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet geborenen bzw. aufgewachsenen Kin<strong>der</strong>n<br />

bejaht, wenn <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> zwar bisher kein Bleiberecht innehatte, aber in gewissem<br />

Umfang in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik Deutschland integriert bzw. in die Lebensverhältnisse<br />

<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet verwurzelt ist, gerade auf dem Unbehagen beruht, dass<br />

diese Fälle bisher keiner Lösung über eine sog. Altfallregelung zugeführt worden<br />

sind.<br />

F Der Soll-Anspruch nach 18 Monaten Aussetzung <strong>der</strong> Abschiebung i.S.d. § 25<br />

Abs. 5 Satz 2 AufenthG ist nach einhelliger Auffassung <strong>der</strong> Gerichte vom Vorliegen


82<br />

<strong>der</strong> Voraussetzungen <strong>des</strong> Satzes 1 abhängig, sodass insoweit kein Handlungsbedarf<br />

besteht.<br />

Fazit:<br />

Da zahlreiche Tatbestandsvoraussetzungen <strong>der</strong> Absätze 3, 4 und 5 <strong>des</strong> § 25 AufenthG<br />

erhebliche Auslegungsfragen aufwerfen und die bisher hierzu ergangene<br />

Rechtsprechung sehr uneinheitlich ist, besteht m. E. Handlungsbedarf <strong>des</strong> Gesetzgebers<br />

dahingehend die einzelnen Tatbestände so zu fassen, dass sein Wille deutlich<br />

genug zum Ausdruck kommt insbeson<strong>der</strong>e, ob muss die Regelung so gefasst<br />

werden, dass klar ist, ob - entsprechend <strong>der</strong> bisherigen wohl überwiegenden Rechtsprechung<br />

- eine eher restriktive Anwendung gewollt ist o<strong>der</strong> ob es tatsächlich Ziel<br />

<strong>der</strong> Regelung ist, die Duldung insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> Form <strong>der</strong> sog. Kettenduldung soweit<br />

als möglich zurückzudrängen.<br />

Dabei sollte allerdings auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass das AufenthG <strong>im</strong><br />

Bereich <strong>des</strong> humanitären Aufenthaltsstatus nicht nur § 25 AufenthG als Regelung<br />

enthält, son<strong>der</strong>n in diesem Bereich Probleme auch über die Ermächtigung für die<br />

obersten Lan<strong>des</strong>behörden zum Erlass einer sog. (generellen) Bleiberechtsregelung<br />

nach § 23 Abs. 1 AufenthG und letztlich auch über die Aufenthaltsgewährung<br />

in Härtefällen nach § 23a AufenthG gelöst werden könnten.<br />

gez.<br />

VRiaVG W. Armbruster


Datum: 25.03.2006<br />

Telefon: (089) 233 23030<br />

Telefax: (089) 233 27501<br />

ck.vollmer@muenchen.de<br />

Frau Vollmer<br />

<strong>Evaluierung</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

- Humanitäre Aufenthalte, Bleiberechtsregelungen, Asylverfahren, Illegalität -<br />

1. Humanitäre Aufenthalte<br />

84<br />

Kreisverwaltungsreferat<br />

Hauptabteilung II Einwohnerwesen<br />

Auslän<strong>der</strong>angelegenheiten<br />

KVR-II/3<br />

Die Regelungen <strong>im</strong> 5. Abschnitt <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) waren neben den<br />

Regelungen zur Integration einer <strong>der</strong> Schwerpunkte in <strong>der</strong> politischen Diskussion um<br />

das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz (ZuwG). Dadurch wurden hohe Erwartungen geweckt, die<br />

von den Auslän<strong>der</strong>behörden (ABH) nur zum Teil erfüllt werden können. Ich möchte<br />

mich <strong>im</strong> Folgenden auf den § 25 AufenthG konzentrieren, <strong>der</strong> nach Inkrafttreten <strong>des</strong><br />

ZuwG zu einer Flut von Anträgen auf Erteilung einer AE aus humanitären Gründen geführt<br />

hat.<br />

Wenn von den Flüchtlingshilfeorganisationen kritisiert wird, dass sich durch das ZuwG<br />

in <strong>der</strong> Vollzugspraxis <strong>der</strong> ABH kaum etwas geän<strong>der</strong>t habe, so trifft das auch aus meiner<br />

Sicht zu; gleichwohl ist die Kritik m.E. unberechtigt.<br />

Die vielfach kritisierte Praxis <strong>der</strong> nach wie vor üblichen sog. „Kettenduldungen“ ist vor<br />

allem darin begründet, dass ein Großteil <strong>der</strong> vollziehbar ausreisepflichtigen Auslän<strong>der</strong><br />

und Auslän<strong>der</strong>innen ihrer Ausreisepflicht nicht nachkommt und die zwangsweise Beendigung<br />

<strong>des</strong> Aufenthalts insbeson<strong>der</strong>e durch ihre Passlosigkeit, falsche Angaben zur<br />

Identität etc. vereitelt.<br />

Im Einzelnen ist folgen<strong>des</strong> anzumerken:<br />

§ 25 Abs. 1 und 2<br />

Die Umsetzung dieser Vorschriften bereitet keine Probleme; die Gleichstellung <strong>der</strong><br />

Flüchtlinge mit „kleinem Asyl“ ist eine Erleichterung auch für die ABH, nicht zuletzt <strong>im</strong><br />

Hinblick auf die Rechtsfolgen be<strong>im</strong> Familiennachzug und bei <strong>der</strong> Zulassung <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit<br />

(Rechtsanspruch, keine Prüfung mehr, ob die Lebensgemeinschaft in<br />

einem Drittland hergestellt werden kann).<br />

Nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung (§ 60 Abs. 1 S. 3 und 4)<br />

Beide Verfolgungstatbestände spielen nach wie vor keine große Rolle in <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong><br />

ABH; gelegentlich wird in Einzelfällen (wie auch schon in <strong>der</strong> Vergangenheit) die Gefahr<br />

von Beschneidungen bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde geltend gemacht, ggf. wird hierzu<br />

eine Überprüfung durch das BAMF eingeleitet.


§ 25 Abs. 3<br />

85<br />

AE „soll“ erteilt werden bei Feststellung von Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen nach § 60 Abs.<br />

2, 3, 5 o<strong>der</strong> 7.<br />

Bei (vorausgegangenem) Asylverfahren ist für die Feststellung von Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen<br />

ausschließlich das BAMF zuständig; daher werden bei <strong>der</strong> ABH geltend<br />

gemachte Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse zur Entscheidung an das BAMF weitergeleitet<br />

(§ 42 Satz 1 AsylVfG).<br />

Ist kein Asylverfahren vorausgegangen, ist nach dem neuen § 72 Abs. 2 bei zielstaatsbezogenen<br />

Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen das BAMF zu beteiligen.<br />

Bei <strong>der</strong> ABH München wurden nach Inkrafttreten <strong>des</strong> ZuwG etwa 300 Anträge gestellt<br />

und überwiegend positiv verbeschieden. Ablehnungen gab es in Einzelfällen wegen<br />

wie<strong>der</strong>holter Verweigerung <strong>der</strong> zumutbaren Passbeschaffung o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en gröblichen<br />

Verstößen gegen die Mitwirkungspflichten (vgl. § 25 Abs. 3 S. 2), z.B. wg. Vorlage eines<br />

gefälschten Passes.<br />

Probleme bereitet <strong>der</strong> ABH München <strong>der</strong>zeit die Entscheidung über Anträge von irakischen<br />

und afghanischen Staatsbürgern mit vom BAMF festgestellten Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen.<br />

Hier werden entsprechend den Vorgaben <strong>des</strong> BayStMI <strong>im</strong> Hinblick auf<br />

die be<strong>im</strong> BAMF laufenden und von <strong>der</strong> ABH anzustoßenden Wi<strong>der</strong>rufsverfahren idR<br />

nur noch Duldungen bzw. bei anstehenden Verlängerungen Fiktionen erteilt. Gleiches<br />

gilt bei Anträgen auf Erteilung einer NE nach § 26 Abs. 4.<br />

§ 25 Abs. 4<br />

Diese Regelung hat eine Reihe von Fragen aufgeworfen, insbeson<strong>der</strong>e zum Verhältnis<br />

zwischen Satz 1 und 2, aber auch zum Absatz 5. Der Anwendungsbereich erschließt<br />

sich ohne Lektüre <strong>der</strong> Anwendungshinweise nicht ohne weiteres.<br />

Nach Abs. 4 Satz 1 „kann“ eine AE für einen vorübergehenden Aufenthalt erteilt werden,<br />

solange dringende humanitäre o<strong>der</strong> persönliche Gründe o<strong>der</strong> erhebliche öffentliche<br />

Interessen die vorübergehende weitere Anwesenheit <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet erfor<strong>der</strong>n.<br />

Nach den Anwendungshinweisen <strong>des</strong> BMI und <strong>des</strong> BayStMI ist diese Regelung nicht<br />

bei vollziehbarer Ausreisepflicht anwendbar, weil dafür § 23 a o<strong>der</strong> § 25 Abs. 5 lex<br />

specialis sind. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist daher auf wenige Fallkonstellationen<br />

reduziert.<br />

In München ist <strong>der</strong> § 25 Abs. 4 Rechtsgrundlage vor allem bei längerer Behandlung<br />

von mit Schengen-Visa eingereisten Krankenhauspatienten. Positive Entscheidungen<br />

außerdem in Einzelfällen um den Abschluss <strong>des</strong> Schuljahres o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Berufsausbildung<br />

zu ermöglichen. Zeugen u.ä. Personen in Ermittlungs- o<strong>der</strong> Gerichtsverfahren


86<br />

(z.B. bei Menschenhandel o<strong>der</strong> Zwangsprostitution) kommen jedoch kaum in den Genuss<br />

dieser Vorschrift, weil sie in <strong>der</strong> Regel insb. wg. illegaler Einreise o<strong>der</strong> Ablauf <strong>der</strong><br />

Gültigkeitsdauer ihres Titels vollziehbar ausreisepflichtig sind. Dies wi<strong>der</strong>spricht aber<br />

<strong>der</strong> ursprünglichen Intention <strong>des</strong> Gesetzgebers (vgl. Begründung zum Entwurf in BT-<br />

Drs. 15/420).<br />

Abs. 4 Satz 2<br />

Rechtsgrundlage für Verlängerung aus einem rechtmäßigen Aufenthalt heraus, wenn<br />

an<strong>der</strong>enfalls abgelehnt werden müsste. In München kaum Beispiele aus <strong>der</strong> Praxis.<br />

Wenige Einzelfallentscheidungen bei ursprünglich befristetem Aufenthalt o<strong>der</strong> bei Verlängerung<br />

von nach altem Recht erteilten Aufenthaltsbefugnissen.<br />

§ 25 Abs. 5<br />

In München ca. 500 Anträge, ganz überwiegend abgelehnt<br />

Voraussetzung ist die tatsächliche o<strong>der</strong> rechtliche Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise. Die<br />

Abgrenzung zu den Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 und damit zum<br />

Anwendungsbereich <strong>des</strong> § 25 Abs. 3 ist in <strong>der</strong> Vollzugspraxis nicht <strong>im</strong>mer einfach (z.B.<br />

bei schweren Erkrankungen o<strong>der</strong> bei nach Art. 6 GG o<strong>der</strong> 8 EMRK schützenswerten<br />

familiären Beziehungen).<br />

Keine Berücksichtigung <strong>der</strong> Zumutbarkeit <strong>der</strong> Rückkehr<br />

Lt. Bund/Län<strong>der</strong> nur Berücksichtigung von objektiven Kriterien bei Beurteilung <strong>der</strong><br />

Unmöglichkeit, Zumutbarkeitserwägungen spielen grundsätzlich keine Rolle.<br />

M.E. sind aber rechtlich verfestigte Aspekte <strong>der</strong> Zumutbarkeit zu berücksichtigen, die<br />

sich aus Art. 6 GG, Art. 8 EMRK (Schutz von Ehe und Familie, Verwurzelung in <strong>der</strong><br />

Aufnahmegesellschaft), Art. 20 GG (Verhältnismäßigkeit, Übermaßverbot) u.a. Grundrechtsnormen<br />

ergeben.<br />

Problem <strong>der</strong> Kettenduldungen<br />

In vielen Fällen<br />

• mangelnde Mitwirkung bei <strong>der</strong> Pass- bzw. PEP-Beschaffung (falsche Angaben, zögerliche<br />

Beschaffung von Unterlagen <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland)<br />

• mangelnde Kooperation <strong>der</strong> Behörden <strong>des</strong> He<strong>im</strong>atstaates (Problem ob und wann<br />

dies den Ausreisepflichtigen zugerechnet werden kann)


87<br />

• selbst organisierte („freiwillige“) Ausreise möglich (die ABH München weist jede<br />

ausreisepflichtige Person auf die Unterstützungsleistungen <strong>des</strong> Büros für Rückkehrhilfen<br />

<strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>hauptstadt München hin und händigt die zum Teil in Muttersprache<br />

abgefassten Broschüren „Coming Home“ aus)<br />

2. Altfall-/Bleiberechtsregelungen gem. § 23 AufenthG<br />

Problemfälle sind vor allem hier geborene und/o<strong>der</strong> aufgewachsene Kin<strong>der</strong>, die ihr<br />

„He<strong>im</strong>atland“ nie gesehen haben, hier zur Schule gegangen sind und in ihrer deutschen<br />

Umgebung verwurzelt sind. O<strong>der</strong> wenn mehrere Einzelfallumstände zusammenkommen<br />

(z.B. langer Aufenthalt, beson<strong>der</strong>e Integrationsleistungen/anstrengungen,<br />

gesundheitliche Belastungen u.ä.)<br />

Vorteile einer generellen Regelung sind die einheitliche Behandlung durch alle ABH,<br />

klare Vorgaben für die ABH, keine endlosen Diskussionen.<br />

Aber:<br />

• Die Altfallregelungen <strong>der</strong> Vergangenheit waren ein relativ unflexibles, starres Instrument<br />

(z.B. Stichtag, Antragsfristen). Insbeson<strong>der</strong>e die Antragsfristen sollten<br />

großzügiger gehandhabt werden können.<br />

• Statt regelmäßig wie<strong>der</strong>kehren<strong>der</strong> „Bereinigungsaktionen“ sollte es „gleitende“<br />

Bleiberechte für gut integrierte Personen nach einer best<strong>im</strong>mten Aufenthaltsdauer<br />

geben.<br />

• Wegen <strong>der</strong> Probleme bei <strong>der</strong> Sicherung <strong>des</strong> Lebensunterhalts bekamen in <strong>der</strong><br />

Vergangenheit regelmäßig nur vergleichsweise wenige langjährig Aufhältige eine<br />

AE. Kommende Altfallregelungen sollten sich nicht an <strong>der</strong> Vergangenheit, son<strong>der</strong>n<br />

an einer Prognose hinsichtlich <strong>der</strong> Sicherung <strong>des</strong> Lebensunterhaltes orientieren.<br />

Wenn Altfall-/Bleiberechtsregelung, dann für<br />

• Familien mit hier geborenen/aufgewachsenen Kin<strong>der</strong>n bei guter Integrationsprognose<br />

nach 6 o<strong>der</strong> 7 jährigem Aufenthalt<br />

• Bei gut integrierten kin<strong>der</strong>losen Ehepaaren und Einzelpersonen nach 8 – 10 jährigem<br />

Aufenthalt (Ausnahme Straftäter, Sicherheitsgefähr<strong>der</strong>, evidenter Rechtsmissbrauch).


Erwerbstätigkeit bei Gestattungs- und Duldungsinhabern<br />

88<br />

Ablehnungen durch die Arbeitsagentur in München mittlerweile über 50 % - dies liegt<br />

weniger am neuen Aufenthaltsrecht, son<strong>der</strong>n vor allem an den durch Hartz IV verän<strong>der</strong>ten<br />

<strong>Rahmen</strong>bedingungen – es stehen jetzt häufiger bevorrechtigte Arbeitnehmer<br />

zur Verfügung.<br />

3. Asylverfahren<br />

Der neue § 14 a AsylVfG, d.h. <strong>der</strong> Grundsatz <strong>der</strong> Familieneinheit und die gesetzliche<br />

Asylantragsfiktion für die Kin<strong>der</strong> <strong>des</strong> Asylbewerbers sind aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> ABH positiv<br />

zu bewerten. Die Einbeziehung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> bei Asylantragstellung durch einen Elternteil<br />

wird mittelfristig zu kürzeren Aufenthaltszeiten <strong>der</strong> Familien mit Kin<strong>der</strong>n führen und<br />

die oft problematische faktische Aufenthaltsverfestigung durch lange Aufenthaltszeiten<br />

verhin<strong>der</strong>n.<br />

Bisher < 100 Anzeigen von München an das BAMF<br />

Wegfall <strong>der</strong> Zwei-Jahres-Frist in § 71 Abs. 5 AsylVfG verkürzt Verfahren bei (wie<strong>der</strong>holter)<br />

Folgeantragstellung – keine erneute Fristsetzung und Abschiebungsandrohung<br />

bzw. -anordnung<br />

4. Illegalität<br />

Die Rechtslage ist nach Inkrafttreten <strong>des</strong> ZuwG <strong>im</strong> Prinzip unverän<strong>der</strong>t; <strong>der</strong> § 15a<br />

AufenthG (Umverteilung von illegal Eingereisten) spielt in diesem Zusammenhang in<br />

<strong>der</strong> Praxis keine Rolle (u.a. wegen Abs. 6).<br />

In München wurde auf <strong>der</strong> Grundlage eines Stadtratsbeschlusses eine Studie über<br />

„Menschen in <strong>der</strong> Illegalität“ erstellt. Schwerpunkt <strong>der</strong> Studie war die soziale und rechtliche<br />

Lage <strong>der</strong> illegal (d.h. ohne Duldung) in München lebenden Auslän<strong>der</strong> und Auslän<strong>der</strong>innen.<br />

Die Auslän<strong>der</strong>behörde hat die Untersuchung kritisch begleitet und die Handlungsempfehlungen<br />

<strong>des</strong> Stadtrates mitgetragen, die abzielten auf die<br />

• Ermöglichung einer ärztlichen Versorgung über eine vom Malteser Hilfsdienst getragene<br />

Anlaufstelle mit Finanzierung durch einen Fonds für Nichtversicherte<br />

• Klärung von Mitteilungspflichten (ärztliche Versorgung, Schulbesuch, Sozialdienste)<br />

• Unterstützung <strong>der</strong> freiwilligen Ausreise<br />

• Unterstützung <strong>der</strong> Opfer von Frauenhandel und Zwangsprostitution<br />

• Vernetzung aller betroffenen Dienststellen und Organisationen.


89<br />

Mittlerweile befasst sich auch eine Arbeitsgruppe <strong>des</strong> Deutschen Städtetages mit dem<br />

Thema insbeson<strong>der</strong>e unter dem Aspekt <strong>der</strong> Mitteilungspflichten gegenüber den Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

(§ 87 Abs. 2 Nr. 1) und <strong>der</strong> Strafbarkeit von Beratern <strong>im</strong> sozialen Bereich.<br />

Nach dem <strong>der</strong>zeitigen Stand <strong>der</strong> Diskussion ist zum Än<strong>der</strong>ungsbedarf aus meiner<br />

Sicht folgen<strong>des</strong> festzustellen:<br />

• Eine Gleichstellung illegal aufhältiger Menschen mit hier rechtmäßig lebenden<br />

Migranten und Migrantinnen ist auslän<strong>der</strong>rechtlich nicht möglich. Ebenso wenig<br />

kann es rechtsfreie Räume geben, in denen strafbare Verstöße gegen auslän<strong>der</strong>rechtliche<br />

Best<strong>im</strong>mungen von den Sicherheitsbehörden toleriert werden.<br />

• Häufig kann den unmittelbar Betroffenen in existenziellen Problemlagen auf <strong>der</strong><br />

Grundlage <strong>des</strong> geltenden Rechts geholfen werden, z.B. durch Erteilung von Duldungen<br />

bei schwerer Erkrankung, bevorstehen<strong>der</strong> Geburt, AE bei bevorstehen<strong>der</strong><br />

Heirat o<strong>der</strong> für Eltern eines deutschen Kin<strong>des</strong>.<br />

• Klärungs- bzw. Regelungsbedarf besteht bzgl. <strong>der</strong> Mitteilungspflichten und einer<br />

evtl. Strafbarkeit von Ärzten, medizinischem und Verwaltungspersonal, Lehrern<br />

und Angehörigen von Schulverwaltungen, Kin<strong>der</strong>gärtnerinnen, Mitarbeitern von<br />

Sozialdiensten und caritativen Organisationen.<br />

Ansatzpunkte für gesetzliche Neuregelungen o<strong>der</strong> Klarstellungen in den Verwaltungsvorschriften<br />

sind m.E. :<br />

• Im Bereich von grundrechtlichen Gewährleistungen (z.B. Schutz <strong>der</strong> Gesundheit)<br />

o<strong>der</strong> bei Kollision mit gleich- o<strong>der</strong> höherrangigen Rechtsgütern (z.B. ärztliche<br />

Schweigepflicht gem. § 203 StGB, Pflicht bzw. Recht zum Schulbesuch) sollte es<br />

keine Mitteilungspflichten für Ärzte und das Krankenhauspersonal, für Lehrer und<br />

Schulverwaltungen geben.<br />

• Beratende Berufe <strong>im</strong> sozialen Bereich sollten ebenfalls von einer Mitteilungspflicht<br />

ausgenommen werden, wenn dadurch die Erfüllung <strong>der</strong> gesetzlichen bzw. auf gesetzlicher<br />

Grundlage übertragenen Aufgaben gefährdet wird. An<strong>der</strong>s wenn die Prüfung<br />

<strong>des</strong> Aufenthaltsstatus Voraussetzung für die Gewährung best<strong>im</strong>mter Sozialleistungen<br />

ist: hier sind keine Gründe erkennbar, die Nicht-Mitteilungen rechtfertigen<br />

könnten.<br />

• Strafbarkeit wegen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt durch unterlassene Mitteilung<br />

o<strong>der</strong> Strafanzeige ist m.E. nur dann gegeben, wenn <strong>der</strong> für die Beihilfe erfor<strong>der</strong>liche<br />

Vorsatz die Aufrechterhaltung <strong>des</strong> illegalen Aufenthalts mit umfasst. Dies ist<br />

jedenfalls in den Fällen nicht gegeben, in denen die Beratung und Unterstützungsleistung<br />

(auch) dahin geht, Wege aus <strong>der</strong> Illegalität aufzuzeigen und rechtmäßige<br />

Zustände wie<strong>der</strong> herzustellen.


90<br />

Dr. Klaus Dienelt Donnerstag, 23. März 2006<br />

Kronthaler Weg 28<br />

65760 Eschborn<br />

Klaus.Dienelt@t-online.de<br />

Stellungnahme zum<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Evaluierung</strong> <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

am 30. und 31. März 2006<br />

Das humanitäre Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 4 bis 5<br />

AufenthG<br />

Vorstellung <strong>des</strong> Gesetzgebers und praktische Umsetzung<br />

durch die Verwaltung<br />

Ziele <strong>des</strong> Gesetzgebungsverfahrens<br />

Ausgangspunkt <strong>der</strong> Betrachtung, ob die Regelungen über das humanitäre<br />

Aufenthaltsrecht einer Än<strong>der</strong>ung unterzogen werden sollten, muss die Regelungsabsicht<br />

<strong>des</strong> Gesetzgebers sein, wie sie insbeson<strong>der</strong>e in den Motiven zu<br />

§ 25 Abs. 5 zum Ausdruck gebracht wurden.<br />

Drei wichtige Ziele können <strong>der</strong> Drucksache (BT-Drs. 15/420 [80] zu 25 Abs. 5)<br />

entnommen werden:<br />

1. „Durch die Anwendung <strong>der</strong> Regelung soll sichergestellt werden,<br />

dass die Praxis <strong>der</strong> Kettenduldung beendet wird.“<br />

2. „Bei <strong>der</strong> Frage, ob eine Ausreisemöglichkeit besteht, ist auch die<br />

subjektive Möglichkeit – und damit <strong>im</strong>plizit auch die Zumutbarkeit<br />

– <strong>der</strong> Ausreise zu prüfen.“<br />

3. „Ein positiver Ermessensgebrauch wird jedenfalls für Min<strong>der</strong>jährige<br />

und für seit längerem in Deutschland sich aufhaltende Auslän<strong>der</strong><br />

geboten sein“.


91<br />

Hintergründe für das Ausbleiben <strong>der</strong> Legalisierung geduldeter<br />

Auslän<strong>der</strong><br />

Betrachtet man die Verwaltungspraxis, so ist die Feststellung berechtigt, dass<br />

die Praxis <strong>der</strong> Kettenduldung unverän<strong>der</strong>t fortbesteht. Die Legalisierungsmöglichkeiten<br />

für Auslän<strong>der</strong> ohne Aufenthaltstitel werden in <strong>der</strong> behördlichen Praxis<br />

überwiegende nicht o<strong>der</strong> nur sehr zurückhaltend angewendet. Hintergrund<br />

dieser Erscheinung sind die Vorläufigen Anwendungshinweise <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>ministeriums<br />

<strong>des</strong> Innern zum AufenthG sowie Län<strong>der</strong>erlasse zu § 25 AufenthG.<br />

Will man das Problem <strong>der</strong> Kettenduldung lösen, so müssen die Vorschriften in<br />

Blick genommen werden, mit denen eine Legalisierung <strong>des</strong> Aufenthalts <strong>des</strong><br />

betroffenen Personenkreises erreicht werden kann. Grundsätzlich sind zwei<br />

Ansatzpunkte <strong>im</strong> AufenthG erkennbar: § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG und § 25<br />

Abs. 5 AufenthG.<br />

An beiden Weichenstellungen setzen die Vorläufigen Anwendungshinweise<br />

bzw. die Erlassregelungen <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> an: So wird einer Legalisierung <strong>des</strong><br />

Aufenthalts über § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG mit folgen<strong>der</strong> Feststellung in<br />

Ziffer 25.4.1.1 <strong>der</strong> Vorläufigen Anwendungshinweise entgegengewirkt:<br />

„In Fällen, in denen <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> vollziehbar ausreisepflichtig ist,<br />

kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur in Härtefällen nach<br />

§ 23a o<strong>der</strong> nach § 25 Abs. 5 in Betracht. Dies ergibt sich darauf, dass §<br />

25 Abs. 5 und § 23a Spezialbest<strong>im</strong>mungen sind, die ausdrücklich von<br />

vollziehbar Ausreisepflichtigen sprechen.“<br />

Diese Einschränkung soll durch Einführung <strong>des</strong> § 25 Abs. 4a AufenthG weiter<br />

gestärkt werden. Die Vorschrift, die <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Richtlinie 2004/81/EG<br />

dient, schafft eine explizite Rechtsgrundlage für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen<br />

an Opfer von Menschenhandel, die mit den Strafverfolgungsbehörden<br />

kooperieren. Dabei soll die Vorschrift nur <strong>des</strong>halb in einem<br />

eigenen Absatz verankert werden, weil sie auch auf vollziehbar ausreisepflichtige<br />

Auslän<strong>der</strong> Anwendung findet, die nach Ansicht <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>ministeriums<br />

<strong>des</strong> Innern gerade nicht von § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erfasst wer-


92<br />

den, wie folgen<strong>der</strong> Auszug aus <strong>der</strong> Begründung <strong>des</strong> Entwurfs <strong>des</strong> Gesetzes<br />

zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien vom 3.1.2006<br />

zeigt:<br />

„Zwar sieht § 25 Abs. 4 bereits die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis<br />

vor, wenn erhebliche öffentliche Interessen die vorübergehende weitere<br />

Anwesenheit eines Auslän<strong>der</strong>s erfor<strong>der</strong>n. Der Anwendungsbereich erfasst<br />

auch Auslän<strong>der</strong>, die als Zeuge in einem Gerichts- o<strong>der</strong> Verwaltungsverfahren<br />

benötigt werden o<strong>der</strong> die mit deutschen Behörden bei<br />

<strong>der</strong> Ermittlung von Straftaten vorübergehend zusammenarbeiten. Die<br />

Regelung <strong>des</strong> § 25 Abs. 4 setzt aber einen rechtmäßigen Aufenthalt <strong>im</strong><br />

Bun<strong>des</strong>gebiet voraus, während die Richtlinie 2004/81/EG auch auf Opfer<br />

von Menschenhandel anzuwenden ist, die illegal eingereist sind.“<br />

Der Erlangung eines Aufenthaltsrechts nach § 25 Abs. 5 AufenthG wie<strong>der</strong>um<br />

stehen in <strong>der</strong> Verwaltungspraxis – mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz – Län<strong>der</strong>erlasse<br />

entgegen. Die Vorläufigen Anwendungshinweise <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>ministeriums<br />

<strong>des</strong> Innern sehen unter Ziffer 25.5.1.2 noch folgende Regelung vor:<br />

„Ein Ausreisehin<strong>der</strong>nis liegt nicht vor, wenn zwar eine Abschiebung<br />

nicht möglich ist, z.B. weil eine Begleitung durch Sicherheitsbeamte<br />

nicht durchführbar ist, eine freiwillige Ausreise jedoch möglich und zumutbar<br />

ist.“<br />

Wird mit diesem Zumutbarkeitskriterium dem oben aufgeführten gesetzgeberischen<br />

Willen Rechnung getragen, so hat sich – soweit erkennbar mit Ausnahme<br />

von Rheinland-Pfalz – die für die Auslän<strong>der</strong>behörden maßgebliche Erlasslage<br />

<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> nachteilig verän<strong>der</strong>t. So wird etwa in dem Erlass <strong>des</strong><br />

Hessischen Ministeriums <strong>des</strong> Innern und für Sport vom 07.02.2005 zur Anwendung<br />

<strong>des</strong> § 25 Abs. 5 AufenthG (Az.: II 4 23 d) unter Ziffer 1. klargestellt:<br />

„Die Frage <strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit <strong>der</strong> Aufenthaltsbeendigung bzw. <strong>der</strong><br />

Unzumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise, wie dies teilweise dargestellt wird, ist daher<br />

keine Frage <strong>der</strong> tatbestandsmäßigen Voraussetzungen <strong>des</strong> § 25<br />

Abs. 5 AufenthG, weil <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Unmöglichkeit in Absatz 5 als ob-


93<br />

jektives Tatbestandsmerkmal ohne subjektives Element zu verstehen<br />

ist. Insoweit kommt es, an<strong>der</strong>s als in Nr. 25.5.1.2 <strong>der</strong> vorläufigen<br />

Anwendungshinweise <strong>des</strong> BMI enthalten, nur auf die Möglichkeit<br />

<strong>der</strong> freiwilligen Ausreise, nicht aber darauf an, ob diese – subjektiv<br />

– zumutbar ist.“<br />

Die Folge dieser Erlasslage wird in <strong>der</strong> Praxis deutlich: <strong>der</strong> Umstieg in ein<br />

Aufenthaltsrecht wird dem Großteil <strong>der</strong> geduldeten Auslän<strong>der</strong> unmöglich gemacht.<br />

Das Phänomen <strong>der</strong> Kettenduldung wird fortgeführt.<br />

Ermessensausübung bei hier aufgewachsenen Kin<strong>der</strong>n<br />

Hinsichtlich <strong>der</strong> Möglichkeit, zugunsten von Kin<strong>der</strong>n, die <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet<br />

aufgewachsen und sich in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert haben,<br />

die Ermessenspielräume auszunutzen, um <strong>der</strong>en Aufenthalt zu legalisieren,<br />

ist (außer in Rheinland-Pfalz) keine entsprechende Verwaltungspraxis erkennbar<br />

geworden. Grundsätzlich wird die Legalisierung <strong>des</strong> Aufenthalts von<br />

hier aufgewachsenen Kin<strong>der</strong>n mit folgenden Begründungen abgelehnt:<br />

• Die Kin<strong>der</strong> sind noch keine 16 Jahre alt und haben daher die Möglichkeit,<br />

sich in die Lebensverhältnisse <strong>des</strong> He<strong>im</strong>atlan<strong>des</strong> zu integrieren.<br />

- Für Kin<strong>der</strong> in diesem Alter wird die rechtliche Unmöglichkeit <strong>der</strong><br />

Abschiebung nicht allein aus ihrem langjährigen Aufenthalt in<br />

Deutschland und ihrer Integration in die hiesigen Verhältnisse abgeleitet.<br />

- Ihr rechtliches und tatsächliches Schicksal ist rechtlich weitgehend<br />

an das ihrer Eltern und <strong>der</strong>en Entscheidungen angebunden: Ihre<br />

Eltern sind für die min<strong>der</strong>jährigen Kin<strong>der</strong> sorgeberechtigt und haben<br />

auch das Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht inne. Kin<strong>der</strong> <strong>im</strong> Alter<br />

unter 16 Jahren sind gemäß § 80 Abs. 1 AufenthG auch auslän<strong>der</strong>rechtlich<br />

noch nicht handlungsfähig, und ihnen kann noch kein eigenständiges<br />

Aufenthaltsrecht gemäß § 35 AufenthG gewährt werden.<br />

• Kin<strong>der</strong>, die als Min<strong>der</strong>jährige <strong>im</strong> Kleinkindalter von 3 bis 6 Jahren eingereist<br />

sind, und sich seit mehr als 12 Jahren <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet aufhal-


94<br />

ten, können in ihre He<strong>im</strong>atlän<strong>der</strong> zurückkehren, weil sie vor ihrer Ausreise<br />

durch die Lebensverhältnisse in ihrem He<strong>im</strong>atland geprägt wurden<br />

und ihnen daher eine Reintegration bei einer Rückkehr möglich und<br />

zumutbar ist.<br />

• Kin<strong>der</strong>, die <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet geboren sind und sich hier seit mehr als<br />

16 Jahren aufhalten, können in das He<strong>im</strong>atland zurückkehren, weil die<br />

Eltern ihnen bei <strong>der</strong> Reintegration in die Lebensverhältnisse <strong>des</strong> He<strong>im</strong>atlan<strong>des</strong><br />

behilflich sein werden.<br />

Betrachtet man diese Fallgruppen, dann bleibt nur eine Fallgruppe übrig, bei<br />

<strong>der</strong> eine Legalisierung möglich erscheint: Kin<strong>der</strong>, die <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet geboren<br />

sind, sich hier mehr als 16 Jahre aufhalten und keine Eltern o<strong>der</strong> Verwandte<br />

haben, die ihnen bei <strong>der</strong> Reintegration in die Lebensverhältnisse behilflich<br />

sein können. Sollte <strong>der</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 AufenthG wirklich so<br />

eng gezogen werden?<br />

Bewertung<br />

Zu § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG<br />

Stellt sich nach den obigen Ausführungen die Erlasslage als behördliche<br />

Schranke für die Umsetzung <strong>des</strong> gesetzgeberischen Willens dar, so ist weiterhin<br />

zu untersuchen, ob diese rechtlich zwingend ist und <strong>des</strong>halb gesetzlicher<br />

Än<strong>der</strong>ungs- o<strong>der</strong> Klarstellungsbedarf besteht.<br />

Hinsichtlich <strong>der</strong> Problematik, ob sich auch Auslän<strong>der</strong>, die vollziehbar ausreisepflichtig<br />

sind, sich auf § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG berufen können, zeichnet<br />

sich ab, dass die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur<br />

diese Personengruppe entgegen <strong>der</strong> Auffassung, die sich in den vorläufigen<br />

Anwendungshinweisen <strong>des</strong> BMI wie<strong>der</strong>findet, dem Anwendungsbereich <strong>der</strong><br />

Norm unterstellen will (vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG, § 60 a Rdnr. 1; Heinhold,<br />

Die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG , Asylmagazin 11/2004, S.<br />

7, 12; Fleuß, Neuerungen <strong>im</strong> Auslän<strong>der</strong>recht nach dem Inkrafttreten <strong>des</strong> Zu-


95<br />

wan<strong>der</strong>ungsgesetzes, 1. Teil, BDVR-RdSchr. 01 und 02/2005, S. 16, 28 f.;<br />

Nds. OVG, B. v. 27.06.2005 – 11 ME 96/05 -, AuAS 2002, 242, 243; tendenziell<br />

auch das Urteil <strong>des</strong> VGH Bad.-Württ. vom 6. 4.2005 - 11 S 2779/04 -, juris).<br />

Diese Auslegung <strong>der</strong> herrschenden Meinung ist m.E. aus folgenden Gründen<br />

zutreffend:<br />

§ 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG soll nach <strong>der</strong> Gesetzesbegründung die Möglichkeit<br />

zur Gewährung einer Aufenthaltserlaubnis für die Personen eröffnen, <strong>der</strong>en<br />

Abschiebung bislang nach § 55 Abs. 3 AuslG <strong>im</strong> Wege <strong>der</strong> Ermessensduldung<br />

ausgesetzt werden konnte (BT-Drs. 15/420, S. 79). Nach <strong>der</strong> ursprünglichen<br />

Entwurfsfassung sollte die Duldung überhaupt abgeschafft und<br />

für einen Teil <strong>der</strong> Betroffenen die umstrittene Praxis <strong>der</strong> „Kettenduldung“ beendet<br />

werden (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 62, 64 u. 80). Im Laufe <strong>der</strong> parlamentarischen<br />

Beratungen ist aufgrund einer Beschlussempfehlung <strong>des</strong> Vermittlungsausschusses<br />

§ 60a AufenthG in den Gesetzentwurf eingefügt worden,<br />

ohne <strong>der</strong> Duldung eine damit über das bisherige Auslän<strong>der</strong>recht hinausgehende<br />

Bedeutung beizumessen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 06.11.2005 -<br />

18 B 2801/04 -, juris). Mit <strong>der</strong> Beibehaltung <strong>der</strong> Duldung in best<strong>im</strong>mten Fällen<br />

sollte <strong>der</strong> generellen Tendenz <strong>des</strong> Regierungsentwurfs zu einer großzügigeren<br />

Gewährung von Aufenthaltsrechten an Ausreisepflichtige bis zu einem<br />

gewissen Grade entgegengewirkt werden (vgl. Bericht <strong>des</strong> Innenausschusses,<br />

BT-Drs. 15/955, S. 26). Gleichwohl wurde aus dem bisherigen Recht die Regelung<br />

<strong>des</strong> § 55 Abs. 3 AuslG nicht übernommen. An die Stelle <strong>der</strong> Ermessensduldung<br />

ist vielmehr unter teilweise erleichterten Bedingungen die Möglichkeit<br />

<strong>der</strong> Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG<br />

getreten (vgl. Funke-Kaiser, GK-AufenthG, § 60 a Rdnr. 1-3).<br />

Dass § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für<br />

einen vorübergehenden Aufenthalt an Auslän<strong>der</strong>, die sich nicht rechtmäßig in<br />

<strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik Deutschland aufhalten, ermöglicht, wird auch vom Nie<strong>der</strong>sächsischen<br />

Ministerium für Inneres und Sport für Zutreffend erachtet.


96<br />

Dieses hat, wie das Nds. OVG in seinem Beschluss vom 27. Juni 2005 ausgeführt<br />

hat, zu dieser Frage in einer Stellungnahme vom 8. Januar 2005 (45.2-<br />

12230/1-8) unter Nr. 25.4.1 Folgen<strong>des</strong> ausgeführt:<br />

„Die Auffassung, dass eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz<br />

1 nur einem Auslän<strong>der</strong> erteilt werden darf, <strong>der</strong> noch nicht vollziehbar<br />

ausreisepflichtig ist, wird nicht geteilt. Abgesehen davon, dass die Anwendbarkeit<br />

dieser Regelung dann - ähnlich wie bislang § 30 Abs. 2<br />

AuslG - gegen Null tendieren würde, vermag auch die Begründung nicht<br />

zu überzeugen, dies ergebe sich daraus, dass in § 25 Abs. 5 und § 23a<br />

ausdrücklich Regelungen für vollziehbar ausreisepflichtige Auslän<strong>der</strong><br />

getroffen worden seien. Ich halte einen <strong>der</strong>artigen Umkehrschluss nicht<br />

für gerechtfertigt. Die Regelung <strong>des</strong> § 25 Abs. 4 Satz 1 gilt nach meiner<br />

Auffassung vielmehr auch für vollziehbar ausreisepflichtige Auslän<strong>der</strong>,<br />

weil sie keine dahingehende Einschränkung enthält und auch in Absatz<br />

5 keine dem § 25 Abs. 4 AuslG entsprechende Einschränkung („nur“)<br />

aufgenommen worden ist, obwohl dies noch <strong>im</strong> Vermittlungsverfahren<br />

beantragt worden war. Auch beziehen sich sowohl § 25 Abs. 5 als auch<br />

§ 23a, die beide das Aufenthaltsrecht vollziehbar ausreisepflichtiger<br />

Auslän<strong>der</strong> regeln, nicht wie § 25 Abs. 4 Satz 1 auf einen lediglich vorübergehenden<br />

Aufenthalt.“<br />

Diese Argumentation, die in Nr. 25.4.1.0 <strong>der</strong> Vorläufigen Nie<strong>der</strong>sächsischen<br />

Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 31. März 2005 bekräftigt<br />

worden ist, ist konsequent am Wortlaut orientiert.<br />

Damit lässt sich festhalten, dass keine Notwendigkeit für eine Gesetzesän<strong>der</strong>ung<br />

besteht, um den gesetzgeberischen Willen umzusetzen. Dieser<br />

spiegelt sich <strong>im</strong> Wortlaut eindeutig wi<strong>der</strong>. Im Zuge <strong>der</strong> RL-Umsetzung ist<br />

darauf zu achten, dass sich keine einschränkenden Rückwirkungen auf §<br />

25 Abs. 4 S. 1 AufenthG ergeben. § 25 Abs. 4a AufenthG (neu) <strong>im</strong> GE vom<br />

3.1.06 sollte daher in § 25 Abs. 4 AufenthG integriert werden.


Zu § 25 Abs. 5 AufenthG<br />

97<br />

Ob die Unzumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise zur rechtlichen Unmöglichkeit i. S. d.<br />

§ 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG führen kann, wird unterschiedlich beurteilt. Gerade<br />

in jüngster Zeit hat das Nds. OVG mit Beschluss vom 25.10.2005 die<br />

Auffassung vertreten, dass die Zumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> §<br />

25 Abs. 5 AufenthG nicht zu prüfen sei:<br />

„Vorausgesetzt wird in § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nach dem Wortlaut<br />

die Unmöglichkeit, nicht die Unzumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise. Wenn bei <strong>der</strong><br />

Gesetzesanwendung zusätzlich die Zumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise zu prüfen<br />

ist, hat <strong>der</strong> Gesetzgeber dies ausdrücklich angeordnet, wie in § 25<br />

Abs. 3 Satz 2 AufenthG.“<br />

Insoweit wird gerade unter Hinweis auf den Gesetzeswortlaut <strong>des</strong> § 25 Abs. 5<br />

Satz 1 AufenthG teilweise die Auffassung vertreten, es komme auf die Zumutbarkeit<br />

einer Ausreise nicht an.<br />

(vgl. VG Lüneburg, Beschluss vom 23.9.2005 - 3 B 70/05 -, juris; Renner,<br />

AuslR, 8. Aufl., Rdnr. 34 zu § 25 AufenthG; Jakober/Welte, Aktuelles<br />

Auslän<strong>der</strong>recht, Rdnr. 22 und 23a zu § 25)<br />

An<strong>der</strong>erseits ist jedoch nach <strong>der</strong> Gesetzesbegründung zu § 25 Abs. 5 AufenthG<br />

(BT-Drs. 15/420, S. 80) bei <strong>der</strong> Frage, ob eine Ausreisemöglichkeit besteht,<br />

auch die subjektive Möglichkeit – und damit <strong>im</strong>plizit auch die Zumutbarkeit<br />

– <strong>der</strong> Ausreise zu prüfen. Hierfür spricht auch, dass kein Wille <strong>des</strong> Gesetzgebers<br />

erkennbar ist, die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis<br />

<strong>im</strong> Vergleich zur früheren Regelung in § 30 Abs. 3 und 4 AuslG<br />

insoweit zu verschärfen.<br />

(vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 6.4.2005 - 11 S 2779/04 -, VBlBW<br />

2005, 356; Hessischer VGH, Beschluss vom 1.6.2005 - 3 TG 1273/05 -,<br />

Asylmagazin 9/2005, 33; VG Koblenz, Urteil vom 10.10.2005 -<br />

3 K 147/05.KO -, InfAuslR 2006, 25; VG Karlsruhe, Urteil vom<br />

7.9.2005 - 4 K 1390/03 -; Göbel-Z<strong>im</strong>mermann, ZAR 2005, 275, 278;<br />

Benassi, InfAuslR 2005, 357, 362)


98<br />

In Anbetracht dieses Meinungsstreits, sollte <strong>der</strong> Gesetzgeber die Gelegenheit<br />

nutzen, die in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommende<br />

Wertung in <strong>der</strong> gesetzlichen Best<strong>im</strong>mung <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 AufenthG klar<br />

und unmissverständlich durch Aufnahme <strong>der</strong> Wörter „o<strong>der</strong> unzumutbar“<br />

zum Ausdruck bringen. Wird <strong>der</strong> Anwendungsbereich <strong>des</strong> § 25 Abs. 5<br />

AufenthG nicht mit Zumutbarkeitskriterien, die ohnehin restriktiv zu interpretieren<br />

sind, angereichert, so besteht kaum Hoffnung, Kettenduldungen<br />

in einem nennenswerten Umfang zu reduzieren.<br />

insbeson<strong>der</strong>e: Legalisierung von <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet geborenen<br />

o<strong>der</strong> aufgewachsenen Kin<strong>der</strong>n<br />

Die Möglichkeit, den Aufenthalt von <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet geborenen o<strong>der</strong> aufgewachsenen<br />

Kin<strong>der</strong>n zu legalisieren, bietet § 25 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 8<br />

EMRK. Der Schutzbereich <strong>des</strong> Art. 8 Abs. 1 EMRK ist bei Kin<strong>der</strong>n, die sich<br />

lange <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet aufhalten und in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert<br />

haben, grundsätzlich eröffnet. Allerdings folgt aus Art. 8 EMRK grundsätzlich<br />

kein Recht eines Auslän<strong>der</strong>s, in ein best<strong>im</strong>mtes Land einzureisen und<br />

sich dort aufzuhalten (vgl. EGMR, Urteil vom 16.06.2005 – 60654/00 – "Sisojewa",<br />

InfAuslR 2005, 349, sowie Entscheidungen vom 17.10.2004 –<br />

33743/03 – "Dragan", NVwZ 2005, 1043 [1045], und vom 16.06.2004 –<br />

11103/03 – "Ghiban", NVwZ 2005, 1046; vgl. ferner BVerwG, Urteil vom<br />

03.06.1997 – 1 C 18.96 –, NVwZ 1989, 189 m.w.N.). Vielmehr bedarf es näherer<br />

Anhaltspunkte dafür, dass ein Auslän<strong>der</strong> nach Maßgabe <strong>des</strong> Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes<br />

nicht auf das Land seiner Staatsangehörigkeit verwiesen<br />

werden kann. Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn ein Auslän<strong>der</strong><br />

in einem an<strong>der</strong>en Staat aufgrund seiner gesamten Entwicklung faktisch zu einem<br />

Inlän<strong>der</strong> geworden ist und ihm wegen <strong>der</strong> Beson<strong>der</strong>heiten <strong>des</strong> Falles ein<br />

Leben <strong>im</strong> Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug hat, nicht<br />

zugemutet werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.09.1998 – 1 C 8.96 –,<br />

NVwZ 1999, 303 [305]).


99<br />

Maßgeblich ist <strong>des</strong>halb zum einen, inwieweit <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> unter Berücksichtigung<br />

seines Lebensalters und seiner persönlichen Befähigung in die hiesigen Lebensverhältnisse<br />

integriert ist. Gesichtspunkte sind insoweit insbeson<strong>der</strong>e die Dauer und <strong>der</strong><br />

Grund seines Aufenthalts in Deutschland sowie <strong>des</strong>sen rechtlicher Status, <strong>der</strong> Stand<br />

seiner Kenntnisse <strong>der</strong> deutschen Sprache in Wort und Schrift, seine berufliche Tätigkeit<br />

und seine wirtschaftliche Integration bzw. bei einem Kind, Jugendlichen o<strong>der</strong> jungen<br />

Erwachsenen seine Integration in eine Schul-, Hochschul- o<strong>der</strong> Berufsausbildung,<br />

seine Wohnverhältnisse, seine sozialen Kontakte sowie die Beachtung gesetzlicher<br />

Pflichten und Verbote. Zum an<strong>der</strong>en ist maßgeblich, welche Schwierigkeiten<br />

für den Auslän<strong>der</strong> – wie<strong>der</strong>um unter Berücksichtigung seines Lebensalters und seiner<br />

persönlichen Befähigung – mit einer (Re-)Integration in das Land seiner Herkunft<br />

bzw. Staatsangehörigkeit verbunden sind. Gesichtspunkte sind diesbezüglich vor allem,<br />

inwieweit Kenntnisse <strong>der</strong> dort gesprochenen und geschriebenen Sprache bestehen<br />

bzw. erworben werden können, inwieweit <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> mit den dortigen<br />

Verhältnissen vertraut ist und inwieweit er dort bei <strong>der</strong> (Wie<strong>der</strong>-)Einglie<strong>der</strong>ung auf Hilfestellung<br />

durch Verwandte und sonstige Dritte rechnen kann, soweit diese erfor<strong>der</strong>lich<br />

sein sollte (vgl. insgesamt OVH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 24.02.2006 – 7<br />

B 10020/06.OVG –, VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 02.11. 2005 – 1 S 3023/04 –,<br />

InfAuslR 2006, 70 [71], VG Stuttgart, Urteil vom 22.11.2005 – 12 K 2469.04 –, InfAuslR<br />

2006, 72 [74], VG Karlsruhe, Urteil vom 19.12.2005 – 6 K 5.04 –, juris.de sowie<br />

VG Darmstadt, Beschluss vom 21.12.2005 – 8 G 2120/05(2) –, Asylmagazin<br />

2006, 39 f., alle m.w.N.).<br />

Auch wenn die Möglichkeit <strong>der</strong> Legalisierung <strong>des</strong> Aufenthalts von <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet<br />

geborener o<strong>der</strong> aufgewachsener Kin<strong>der</strong> möglich ist, so gibt es, soweit<br />

ersichtlich, bislang keine Entscheidung, in <strong>der</strong> eine Aufenthaltserlaubnis<br />

durch ein Gericht auf <strong>der</strong> Basis <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 8 Abs.1<br />

EMRK rechtskräftig zugesprochen wurde. Alle Entscheidungen <strong>der</strong> 1. Instanz,<br />

die entsprechende Verpflichtungen aussprachen (bislang veröffentlicht VG<br />

Stuttgart und VG Darmstadt) sind aufgehoben worden o<strong>der</strong> die Berufung wurde<br />

zugelassen. In Eilverfahren hat bislang als einziges Obergericht das OVG<br />

Rheinland-Pfalz die Möglichkeit einer Verletzung <strong>des</strong> Privatlebens zum Anlass<br />

genommen, eine Abschiebung <strong>im</strong> Wege einer einstweiligen Anordnung zu<br />

stoppen.


100<br />

Insgesamt zeichnet sich eine äußerst zurückhaltende Rechtsprechung zu<br />

Art. 8 Abs. 1 EMRK ab, wobei zudem die Grundfrage, ob <strong>der</strong> Schutz <strong>des</strong><br />

Privatlebens nur bei einem langjährigen „rechtmäßigen Aufenthalt“ eingreift,<br />

noch nicht abschließend geklärt ist. Die Hoffnung, den Aufenthalt<br />

von Kin<strong>der</strong>n über § 25 Abs. 5 AufenthG lösen zu können, ist daher nicht<br />

realistisch. Das Problem kann nur über eine ausdrückliche gesetzliche<br />

Regelung resp. Bleiberechtsregelung gelöst werden.<br />

Ausschluss <strong>der</strong> Anwendbarkeit <strong>des</strong> § 25 Abs. 4 und 5<br />

AufenthG durch den beson<strong>der</strong>en Versagungsgrund <strong>des</strong><br />

§ 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bei als offensichtlich unbegründet<br />

abgelehnten Asylanträgen.<br />

Inhalt <strong>der</strong> Regelung.<br />

Mit § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hat <strong>der</strong> Gesetzgeber erstmalig einen beson<strong>der</strong>en<br />

Versagungsgrund eingeführt, <strong>der</strong> ähnlich wie die Sperrwirkung bei<br />

Ausweisung und Abschiebung gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG <strong>der</strong> Erteilung eines<br />

Aufenthaltstitels vor <strong>der</strong> Ausreise zwingend entgegensteht. Danach kann<br />

einem ehemaligen Asylbewerber, <strong>des</strong>sen Asylantrag als offensichtlich unbegründet<br />

nach § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt worden war, vor <strong>der</strong> Ausreise<br />

kein Aufenthaltstitel erteilt werden. An<strong>der</strong>s als bei <strong>der</strong> Sperrwirkung <strong>des</strong> § 11<br />

Abs. 1 AufenthG, von <strong>der</strong> unter den Voraussetzungen <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 AufenthG<br />

abgesehen werden kann, gibt es für den beson<strong>der</strong>en Versagungsgrund<br />

<strong>des</strong> § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufenthaltsrechtlich nicht nur eine punktuelle<br />

Durchbrechung, son<strong>der</strong>n die Regelung findet <strong>im</strong> Falle eines Anspruchs auf<br />

Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung.


101<br />

Systematik <strong>der</strong> Offensichtlichkeitsentscheidung nach § 30 AsylVfG.<br />

§ 30 Abs. 3 AsylVfG beruht auf <strong>der</strong> durch Art. 16a Abs. 4 GG eröffneten Möglichkeit,<br />

dass <strong>der</strong> Gesetzgeber Fallgruppen festlegen kann, in denen unbegründete<br />

Asylanträge als offensichtlich unbegründet mit <strong>der</strong> Folge eines verkürzten<br />

und beschleunigten gerichtlichen Verfahrens abgelehnt werden können.<br />

Die Verfassung lässt es ausdrücklich zu, dass <strong>der</strong> Gesetzgeber die Voraussetzungen<br />

einer eindeutigen Aussichtslosigkeit <strong>des</strong> Asylantrags abstrakt<br />

und typisierend umschreibt, wobei die zu treffende materiellrechtliche Regelung<br />

<strong>der</strong> Bedeutung <strong>des</strong> Asylrechts und <strong>des</strong> aus ihm abgeleiteten vorläufigen<br />

Bleiberechts gerecht werden muss. Die verfassungsrechtliche Ermächtigung<br />

in Art. 16a Abs. 4 GG gestattet es, solche Fallgestaltungen wie offensichtlich<br />

unbegründete Fälle zu behandeln, in denen den Individualinteressen <strong>des</strong> Asylsuchenden<br />

Belange gegenüberstehen, die es in gleichem Maße wie in den<br />

ausdrücklich normierten Fallgruppen rechtfertigen, das vorläufige Bleiberecht<br />

schon vor einer bestandskräftigen Entscheidung über den Asylantrag zu beenden<br />

(BVerfG, U. v. 14. 5. 1996 – 2 BvR 1516/93 [Senat] –, BVerfGE 94,<br />

166 [190 f.] = EZAR 632 Nr. 25). Beruhend auf dieser Ermächtigung enthält<br />

§ 30 Abs. 3 AsylVfG Fallgruppen, in denen unbegründete Asylanträge als offensichtlich<br />

unbegründet heraufgestuft werden.<br />

Die einleitende Formulierung <strong>des</strong> § 30 Abs. 3 AsylVfG – „ein unbegründeter<br />

Asylantrag ist als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn . . .“ – bringt<br />

zum Ausdruck, dass eine qualifizierte Asylablehnung nur erfolgt, wenn <strong>der</strong><br />

Antrag sich in <strong>der</strong> Sache als unbegründet erwiesen hat. Die enumerativ aufgeführten<br />

Fallgruppen setzen tatbestandsmäßig voraus, dass <strong>der</strong> Asylantrag<br />

<strong>im</strong> Ergebnis nur als „schlicht“ unbegründet abgelehnt worden ist (Marx, Auslän<strong>der</strong>-<br />

und Asylrecht, 2. Aufl., § 8, Rdnr. 120; Dienelt, in: GK-AsylVfG, § 30,<br />

Rdnr. 48; HessVGH, U. v. 13. 11. 1995 – 12 UE 2014/95 – [22]). Erweist sich<br />

<strong>der</strong> Asylantrag bereits in <strong>der</strong> Sache als offensichtlich unbegründet, ist er, unbeschadet<br />

<strong>des</strong> Vorliegens <strong>der</strong> Tatbestandsvoraussetzungen <strong>des</strong> Absatzes 3,<br />

schon nach § 30 Abs. 1 o<strong>der</strong> 2 AsylVfG abzulehnen. Insoweit ist § 30 Abs. 3<br />

AsylVfG gegenüber den Regelungen <strong>des</strong> § 30 Abs. 1 und 2 AsylVfG subsidiär.


102<br />

Dies hat für die auslän<strong>der</strong>behördliche Praxis unmittelbar zur Folge, dass Bescheide,<br />

in denen das Offensichtlichkeitsurteil sowohl auf dem Absatz 1 als<br />

auch auf Absatz 3 <strong>des</strong> § 30 AsylVfG beruht, nicht in <strong>der</strong> Lage sind, die Sperrwirkung<br />

<strong>des</strong> § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG auszulösen. Tragend für das Offensichtlichkeitsurteil<br />

ist wegen <strong>der</strong> Subsidiarität <strong>des</strong> Absatzes 3 die Regelung<br />

<strong>des</strong> § 30 Abs. 1 o<strong>der</strong> 2 AsylVfG.<br />

Die Subsidiarität führt aber nicht dazu, dass es dem Bun<strong>des</strong>amt verwehrt wäre,<br />

in Fällen, in denen ein Asylantrag in materieller Hinsicht nach § 30 Abs. 1<br />

o<strong>der</strong> 2 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden könnte, auf<br />

die formellen Qualifizierungsvoraussetzungen <strong>des</strong> Absatzes 3 zurückzugreifen.<br />

Das Einräumen eines Wahlrechts findet seine Rechtfertigung in <strong>der</strong> Beschleunigungsintention<br />

<strong>des</strong> Gesetzes. Sofern es dem Bun<strong>des</strong>amtsentschei<strong>der</strong><br />

ohne weiteres möglich ist, ein in <strong>der</strong> Sache jedenfalls unbegründetes Asylbegehren<br />

<strong>im</strong> Hinblick auf das eindeutige Vorliegen einer <strong>der</strong> Fallgruppen <strong>des</strong><br />

§ 30 Abs. 3 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abzulehnen, ist er nicht<br />

verpflichtet, weitere Ermittlungen anzustellen, um eine materielle Offensichtlichkeitsentscheidung<br />

rechtfertigen zu können. Diese Verfahrenserleichterung,<br />

die aus <strong>der</strong> Verfahrenbeschleunigung ihre Rechtfertigung zieht, bringt jedoch<br />

Probleme mit dem Versagungsgrund mit sich, da je nach Vorgehensweise <strong>des</strong><br />

Einzelentschei<strong>der</strong>s die Sperrwirkung eintritt o<strong>der</strong> ausbleibt.<br />

Darüber hinaus ist das Bun<strong>des</strong>amt nicht verpflichtet, zusätzliche Ermittlungen<br />

anzustellen, um das Vorliegen <strong>der</strong> einzelnen Tatbestände <strong>des</strong> § 30 Abs. 3<br />

AsylVfG zu überprüfen. Es liefe dem Beschleunigungszweck zuwi<strong>der</strong>, wenn<br />

das Bun<strong>des</strong>amt zu umfangreichen, zeit- und kostenintensiven Ermittlungen<br />

verpflichtet wäre und <strong>des</strong>halb die sofortige Abweisung eines Asylantrags als<br />

(schlicht) unbegründet unterbleiben müsste. Dies bedeutet aber zugleich,<br />

dass gleichgelagerte Sachverhalte auslän<strong>der</strong>rechtlich unterschiedlich behandelt<br />

werden, je nachdem, ob <strong>der</strong> Einzelentschei<strong>der</strong> den Ermittlungsaufwand,<br />

den die Kriterien <strong>des</strong> § 30 Abs. 3 AsylVfG mit sich bringen, auf sich genommen<br />

hat o<strong>der</strong> nicht.


103<br />

§ 30 Abs. 3 AsylVfG ein Rechtfertigungsgrund für auslän<strong>der</strong>rechtliche<br />

Sanktionen?<br />

An <strong>der</strong> Fallgruppe <strong>des</strong> § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG wird erkennbar, dass <strong>der</strong><br />

Gesetzgeber bei Einführung <strong>des</strong> neuen Versagungsgrun<strong>des</strong> die Bedeutung<br />

<strong>der</strong> Regelbeispiele verkannt hat. Die Best<strong>im</strong>mung knüpft an die Verletzung<br />

von Mitwirkungsobliegenheiten <strong>des</strong> Asylsuchenden an, zu denen es gehört,<br />

das eigene Verfolgungsschicksal vollständig und wahrheitsgetreu darzulegen.<br />

Dabei hat die Vorschrift die Funktion eines Auffangtatbestan<strong>des</strong>, da in Fällen,<br />

in denen sich das Verfolgungsschicksal als insgesamt unglaubhaft, wi<strong>der</strong>sprüchlich<br />

o<strong>der</strong> unsubstantiiert darstellt, die Ablehnung <strong>des</strong> Asylantrages als<br />

offensichtlich unbegründet unmittelbar auf § 30 Abs. 1 AsylVfG beruht.<br />

Ein eigenständiger Anwendungsbereich kommt <strong>der</strong> Best<strong>im</strong>mung <strong>im</strong> Hinblick<br />

auf die Generalklausel <strong>des</strong> § 30 Abs. 1 AsylVfG nur in Fällen zu, in denen<br />

nicht bereits aufgrund <strong>der</strong> allgemeinen Kriterien von einem offensichtlich unbegründeten<br />

Asylantrag ausgegangen werden kann. Indem die Best<strong>im</strong>mung<br />

nicht voraussetzt, dass das Asylvorbringen insgesamt, son<strong>der</strong>n nur in wesentlichen<br />

Punkten wi<strong>der</strong>sprüchlich o<strong>der</strong> unsubstantiiert sein muss, scheint <strong>der</strong><br />

Gesetzgeber einen eigenständigen Anwendungsbereich <strong>im</strong> Vorfeld <strong>der</strong> Ablehnung<br />

als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 1 AsylVfG best<strong>im</strong>men zu<br />

wollen.<br />

Ein <strong>der</strong> Generalklausel vorgelagerter Anwendungsbereich würde jedoch eine<br />

Rechtfertigung voraussetzen, warum hinter den vom Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht<br />

aufgestellten inhaltlichen Voraussetzungen für ein Offensichtlichkeitsurteil<br />

zurückgeblieben werden darf. Rechtfertigungsgrund könnte die Sanktionierung<br />

missbräuchlicher Verhaltensweisen <strong>des</strong> Asylsuchenden bilden. Ein<br />

<strong>der</strong>artiger Sanktionscharakter kommt aber we<strong>der</strong> <strong>im</strong> Wortlaut <strong>des</strong> § 30 Abs. 3<br />

Nr. 1 AsylVfG noch in <strong>der</strong> Gesetzesbegründung hinreichend eindeutig zum<br />

Ausdruck. Die Gesetzesmaterialien zur Neueinführung <strong>des</strong> Absatzes 3 sprechen<br />

vielmehr für einen weitgehend deckungsgleichen Anwendungsbereich<br />

<strong>des</strong> § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG mit dem <strong>der</strong> Generalklausel. Denn dort findet<br />

sich nachfolgende Gesetzesbegründung: „Im allgemeinen ist <strong>der</strong> Asylantrag in<br />

den Fällen <strong>der</strong> Nummer 1 – entsprechend <strong>der</strong> bisherigen verwaltungsgericht-


104<br />

lichen Spruchpraxis – bereits offensichtlich unbegründet <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> Absatzes<br />

1, wenn dem Bun<strong>des</strong>amt keine Tatsachen bekannt sind, die eine an<strong>der</strong>e<br />

Annahme rechtfertigen.“ Insoweit stellt diese Best<strong>im</strong>mung <strong>im</strong> Grunde nur eine<br />

spezielle Ausformung und Präzisierung <strong>des</strong> § 30 Abs. 1 dar.<br />

Ist aber <strong>der</strong> Anwendungsbereich <strong>des</strong> § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG mit dem <strong>der</strong><br />

Generalklausel <strong>des</strong> § 30 Abs. 1 AsylVfG weitgehend deckungsgleich, spricht<br />

vieles dafür, die Regelung als spezielle Ausformung und Präzisierung <strong>des</strong><br />

§ 30 Abs. 1 AsylVfG anzusehen, die lediglich <strong>im</strong> Gesetz systematisch unrichtig<br />

eingeordnet wurde(vgl. Stumpe, in: Hailbronner, Auslän<strong>der</strong>recht, § 30,<br />

Rdnr. 47). Damit steht aber zugleich fest, dass ein Grund für eine auslän<strong>der</strong>rechtliche<br />

Sanktionierung durch die in § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG enthaltene<br />

Sperrwirkung jedenfalls für Fälle <strong>des</strong> § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nicht ersichtlich<br />

ist.<br />

Warum ein Asylbewerber, <strong>der</strong> keinerlei Asylgründe geltend machen<br />

kann, gegenüber demjenigen, <strong>der</strong> zumin<strong>des</strong>t ansatzweise Verfolgungsgründe<br />

vorgetragen hat, auslän<strong>der</strong>rechtlich besser gestellt werden soll,<br />

ist nicht nachvollziehbar. Die Sperrwirkung <strong>des</strong> § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG<br />

sollte insgesamt – zumin<strong>des</strong>t aber <strong>der</strong> Verweis auf § 30 Abs. 3 Nr.<br />

1 AsylVfG – aus dem Gesetz gestrichen werden.<br />

Dr. Dienelt


The UN Refugee Agency L'Agence <strong>des</strong> Nations Unies pour les réfugiés<br />

106<br />

Der Hohe Flüchtlingskommissar <strong>der</strong> Vereinten Nationen<br />

Regionalvertretung für Deutschland, Österreich und die<br />

Tschechische Republik<br />

Wallstrasse 9 – 13 Tel: +49 30 202 202 0<br />

10179 Berlin Fax: +49 30 202 202 20<br />

Email: Gfrbe@unhcr.org<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> zum Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

UNHCR zum 3. Thema: „Humanitäre Aufenthalte“<br />

1. Paradigmenwechsel: Orientierung an <strong>der</strong> Genfer Flüchtlingskonvention<br />

UNHCR hatte <strong>im</strong> Gesetzgebungsverfahren die Neuausrichtung <strong>des</strong> § 60 Abs. 1<br />

AufenthG als richtungsweisen<strong>des</strong> Signal begrüßt. In <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> neuen<br />

Best<strong>im</strong>mungen weist die Praxis allerdings eine erhebliche Spannbreite auf. Zwar hat<br />

die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Positionen <strong>des</strong> UNHCR be<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>amt und den<br />

Gerichten deutlich zugenommen. Jedoch geht damit nur zu einem Teil ein<br />

grundsätzlich neuer Ansatz bei <strong>der</strong> Prüfung <strong>der</strong> Voraussetzungen <strong>der</strong><br />

Flüchtlingseigenschaft einher. Zu einem an<strong>der</strong>en Teil wird eine weitgehende Identität<br />

<strong>der</strong> neuen Regelungen mit den früheren Regelungen <strong>im</strong> seinerzeitigen<br />

Auslän<strong>der</strong>gesetz betont. Dies führt mitunter zu Entscheidungen, die weiterhin nicht<br />

vollständig in Einklang mit <strong>der</strong> GFK stehen.<br />

Zu den zentralen Punkten, in denen das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz eine Verbesserung<br />

<strong>des</strong> Flüchtlingsschutzes vorsieht, gehören die ausdrückliche Anerkennung <strong>der</strong><br />

nichtstaatlichen Verfolgung und die Anküpfung an das Geschlecht als<br />

Verfolgungsgrund. In <strong>der</strong> Praxis werden die Konzepte mittlerweile weitgehend<br />

sachgerecht aufgegriffen. Dennoch ist bei einigen Entscheidungsträgern noch eine<br />

gewisse Unsicherheit festzustellen, die zu falschen Entscheidungen führt. So wird<br />

mitunter bei nichtstaatlicher Verfolgung an Stelle <strong>des</strong> Flüchtlingsschutzes lediglich<br />

subsidiärer Schutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG gewährt. O<strong>der</strong> es werden zusätzliche<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen an die Qualifizierung <strong>der</strong> nichtstaatlichen Akteure gestellt, so dass ein<br />

kleinerer, unstrukturierter Personenkreis wie beispielsweise die Familie nicht als<br />

Verfolger qualifiziert werden könne, auch wenn staatlicher Schutz gegen die<br />

Verfolgung fehlt. Im Bereich <strong>der</strong> Anknüpfung allein an das Geschlecht als<br />

Verfolgungsgrund werden teilweise trotz <strong>der</strong> klaren rechtlichen Regelung noch<br />

weitere Kriterien zur Bildung einer best<strong>im</strong>mten sozialen Gruppe verlangt.<br />

Problematische Ergebnisse können dabei entstehen, wenn an die Verfolgung als<br />

Merkmal zur Bildung einer sozialen Gruppe angeknüpft wird. Die Verfolgung <strong>der</strong><br />

gesamten sozialen Gruppe ist jedoch gerade keine Voraussetzung für die<br />

Flüchtlingsanerkennung. Vielmehr genügt, dass die schutzsuchende Person<br />

individuell gefährdet ist, wenn diese Verfolgung an das Geschlecht anknüpft.<br />

Die gesetzlichen Neuerungen haben also wichtige Impulse für eine Angleichung <strong>des</strong><br />

Flüchtlingsschutzes in Deutschland an die Vorgaben <strong>der</strong> GFK und die internationale<br />

Praxis erbracht. Allerdings mangelt es bisher noch an einer grundlegenden und<br />

durchgehenden Anpassung <strong>der</strong> deutschen Rechtswirklichkeit an die internationalen<br />

Standards.<br />

2. Wi<strong>der</strong>ruf<br />

Die Hoffnung auf eine an den Vorgaben <strong>der</strong> GFK orientierte Anwendung <strong>der</strong><br />

Wi<strong>der</strong>rufsvorschriften hat sich nicht erfüllt. Wi<strong>der</strong>rufe erfolgen nach wie vor in großer<br />

Zahl verfrüht. Zwar hat das Bun<strong>des</strong>verwaltungsgericht in einer Entscheidung vom 1.


107<br />

November 2005 1 zu den Voraussetzungen <strong>des</strong> Wi<strong>der</strong>rufes nunmehr festgestellt, dass<br />

in die entsprechende deutsche Rechtsvorschrift <strong>des</strong> § 73 Abs. 1 AsylVfG <strong>der</strong><br />

Auslegungsmaßstab <strong>der</strong> GFK hineinzulesen ist. Dieses positive Element <strong>des</strong> Urteils<br />

wird allerdings dadurch relativiert, dass die durch das Gericht vorgenommene<br />

Auslegung <strong>des</strong> Artikels 1 C (5) GFK nach Auffassung <strong>des</strong> UNHCR den<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> GFK nicht vollständig gerecht wird.<br />

Es würde den Zielen <strong>des</strong> internationalen Flüchtlingsschutzes entsprechen, wenn <strong>der</strong><br />

Schutz nur beendet würde, wenn <strong>der</strong> Flüchtling in Sicherheit und Würde<br />

zurückkehren kann o<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e dauerhafte Lösung erreicht worden ist.<br />

Voraussetzungen sind demnach für eine Beendigung nach Art. 1 C (5) GFK, a) eine<br />

grundlegende und b) dauerhafte Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Situation sowie c) die<br />

Wie<strong>der</strong>herstellung effektiven Schutzes <strong>des</strong> Herkunftsstaates. 2<br />

Die deutsche Praxis beschränkt sich weiterhin häufig auf die Feststellung, dass eine<br />

Verfolgung nicht mehr drohe und läßt außer Betracht, ob dem Flüchtling angesichts<br />

<strong>der</strong> Gesamtsituation eine Rückkehr auch tatsächlich zumutbar ist. In <strong>der</strong> Konsequenz<br />

wird Flüchtlingen häufig ihr Status und damit grundlegende Konventionsrechte<br />

verfrüht entzogen. Das Bun<strong>des</strong>amt hat <strong>im</strong> Laufe <strong>des</strong> Jahres 2005 in insgesamt 10.579<br />

Fällen den Flüchtlingsstatus wi<strong>der</strong>rufen. Insbeson<strong>der</strong>e Flüchtlinge aus dem Irak<br />

(6.951 Entscheidungen) waren hiervon betroffen. Ein subsidiärer Schutz nach § 60<br />

Abs. 2 bis 7 AufenthG wird hier in <strong>der</strong> Regel nicht gewährt.<br />

Häufig führt <strong>der</strong> Verlust <strong>des</strong> Flüchtlingsstatus dazu, dass ein Aufenthaltstitel <strong>der</strong><br />

betroffenen Personen nicht verlängert o<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>rufen wird. Diese Personen<br />

verbleiben dann oft mit einer Duldung und somit mit einem äußerst schwachen<br />

Rechtsstatus in Deutschland. Aus juristischer Sicht sind die Betroffenen<br />

ausreisepflichtig, obwohl die Bedingungen in den Herkunftsstaaten eine Rückkehr<br />

häufig auf absehbare Zeit als nicht zumutbar erscheinen lassen und vor diesem<br />

Hintergrund die Ausreisepflicht – wie zum Beispiel bei irakischen Flüchtlingen – auch<br />

nicht zwangsweise durchgesetzt wird. Das Flüchtlingsschicksal dieser Menschen hat<br />

damit in Wirklichkeit kein Ende gefunden.<br />

Um eine völkerrechtskonforme Anwendung <strong>der</strong> betreffenden Vorschriften zu<br />

gewährleisten und einen verfrühten Wi<strong>der</strong>ruf zu vermeiden, bedarf es einer<br />

Gesetzesän<strong>der</strong>ung, in <strong>der</strong> die Voraussetzungen für einen Wi<strong>der</strong>ruf spezifiziert<br />

werden.<br />

3. Subsidiärer Schutz gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG<br />

Die Rechtslage und Praxis gewährleisten weiterhin nur einen lückenhaften Schutz. So<br />

wird weiterhin Abschiebungsschutz nach <strong>der</strong> EMRK entgegen <strong>der</strong> expliziten<br />

Rechtssprechung <strong>des</strong> Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nur in Fällen<br />

staatlicher Gefahrenquellen gewährt. Außerdem haben Personen, die vor sog.<br />

generellen Gefahren geflohen sind, nur bei extremster Gefährdungslage eine Chance<br />

auf die Gewährung von Abschiebungsschutz.<br />

Auch wenn durch das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz wichtige Verbesserungen <strong>im</strong> Hinblick auf<br />

den Rechtsstatus subsidiär geschützter Personen eingeführt wurden, bleibt hier<br />

erheblicher Verbesserungsbedarf. Der <strong>im</strong> Vergleich zu Flüchtlingen schwächere<br />

Rechtsstatus führt dazu, dass die betroffenen Personen zwar wie Flüchtlinge für sehr<br />

lange Zeiträume o<strong>der</strong> für <strong>im</strong>mer rechtmäßig in Deutschland bleiben, ihnen jedoch<br />

nicht die gleichen Integrationschancen eingeräumt werden. Insbeson<strong>der</strong>e haben<br />

subsidiär geschützte Personen häufig nur geringe Chancen auf<br />

1 BVerwG 1 C 21.04 – Urteil vom 1. November 2005.<br />

2 Vgl. UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz: Die Beendigung <strong>der</strong> Flüchtlingseigenschaft <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> Art. 1<br />

C (5) und (6) <strong>des</strong> Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung <strong>der</strong> Flüchtlinge, HCR/GIP/03/03 (10. Februar 2003).<br />

The UN Refugee Agency L'Agence <strong>des</strong> Nations Unies pour les réfugiés<br />

107


108<br />

Familienzusammenführung und erhebliche Schwierigkeiten be<strong>im</strong> Zugang zum<br />

Arbeitsmarkt. Nach Ansicht von UNHCR sollte diesem Personenkreis dagegen durch<br />

Gewährung eines flüchtlingsgleichen Status die Chance auf Selbstständigkeit und<br />

Unabhängigkeit von öffentlicher Hilfe eingeräumt werden.<br />

In den genannten Bereichen besteht also weiterhin gesetzlicher Anpassungsbedarf.<br />

4. Dublin II-Verfahren<br />

In <strong>der</strong> praktischen Durchführung <strong>des</strong> Dublin-Verfahrens innerhalb <strong>des</strong> deutschen<br />

Asylsystems ist ein effektiver Rechtsschutz nicht <strong>im</strong>mer gewährleistet. In einem<br />

erheblichen Teil <strong>der</strong> Verfahren wird den betroffenen Personen durch die Anwendung<br />

<strong>des</strong> Konzeptes <strong>des</strong> „sicheren Drittstaats“ die Möglichkeit einer Klage praktisch<br />

genommen: bei Anwendung dieses Konzeptes erfolgt nämlich die Zustellung <strong>der</strong><br />

Entscheidung <strong>im</strong> Dublin-Verfahren erst bei <strong>der</strong> Überstellung in den für zuständig<br />

gehaltenen Staat. Auch soweit eine Klageeinreichung noch gelingt, besteht in solchen<br />

Fällen keine Möglichkeit <strong>der</strong> Anordnung <strong>der</strong> aufschiebenden Wirkung. Dies erscheint<br />

angesichts <strong>der</strong> humanitären Kriterien, wie sie in <strong>der</strong> Dublin-II Verordnung<br />

entscheidend sind, beson<strong>der</strong>s problematisch. Diese Defizite sollten vom Gesetzgeber<br />

behoben werden.<br />

Ein weiteres zentrales Problem bei <strong>der</strong> Anwendung <strong>des</strong> Dublin-Verfahrens betrifft<br />

traumatisierte Menschen. Die Dublin II-Verordnung enthält zwar keine zwingende<br />

Regelung, nach <strong>der</strong> aufgrund einer Traumatisiserung <strong>der</strong> schutzsuchenden Person<br />

die Zuständigkeit Deutschlands vorliegen würde, bietet den Mitgliedsstaaten aber die<br />

Möglichkeit <strong>des</strong> freiwilligen Selbsteintritts (Art. 3 Abs. 2 Dublin II), auch wenn <strong>der</strong><br />

betreffende Staat anhand <strong>der</strong> Dublin-Kritierien nicht zuständig wäre. Ein solcher<br />

Selbsteintritt würde es erlauben, <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Zuständigkeitsentscheidung den<br />

beson<strong>der</strong>en humanitären Bedürfnissen traumatisierter Personen gerecht zu werden.<br />

Dies geschieht jedoch lei<strong>der</strong> nur sehr selten. Hier sollten die deutschen Behörden aus<br />

Sicht von UNHCR ihre Praxis än<strong>der</strong>n.<br />

5. Aufenthaltstitel für schutzbedürftige Personen, die keinen Status als<br />

Flüchtlinge o<strong>der</strong> subsidiär Schutzberechtigte erhalten haben<br />

Die aufenthaltsrechtliche Behandlung von Personen, die keinen formellen<br />

Schutzstatus <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> § 60 erhalten haben, <strong>der</strong>en Rückkehr in ihren<br />

Herkunftsstaat dennoch nicht nur vorübergehend unmöglich ist, ist nunmehr in § 25<br />

Abs. 5 AufenthG geregelt. Das Ziel dieser Regelung ist, die Zahl <strong>der</strong> Duldungen zu<br />

verringern und den betroffenen Personen eine gesicherte aufenthaltsrechtliche<br />

Stellung und damit eine tatsächliche Integrationsperspektive in Deutschland<br />

anzubieten. In <strong>der</strong> Praxis drängt sich <strong>der</strong> Eindruck auf, dass dieses Ziel nicht erreicht<br />

wird. Hauptgrund hierfür ist, dass die Frage weitgehend ausgeblendet bleibt, ob eine<br />

Rückkehr ins He<strong>im</strong>atland zumutbar wäre. Wegen <strong>der</strong> Annahme <strong>der</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>behörden, dass die Betroffenen je<strong>der</strong>zeit freiwillig in ihre Herkunftslän<strong>der</strong><br />

zurückkehren könnten, kann die Mehrzahl dieser Personen vor dem Hintergrund <strong>der</strong><br />

jetzigen gesetzlichen Regelungen und <strong>der</strong>en praktischer Anwendung nicht auf die<br />

Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hoffen und wird daher – mit allen damit<br />

verbundenen Einschränkungen – weiterhin nur geduldet.<br />

Leidtragende dieser Situation sind oft Auslän<strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Aufenthalt in <strong>der</strong><br />

Bun<strong>des</strong>republik Deutschland aus Sicht von UNHCR aufgrund <strong>der</strong> Situation in ihren<br />

He<strong>im</strong>atlän<strong>der</strong>n gerechtfertigt war o<strong>der</strong> noch <strong>im</strong>mer gerechtfertigt ist. Hierzu zählen<br />

insbeson<strong>der</strong>e Personen,<br />

The UN Refugee Agency L'Agence <strong>des</strong> Nations Unies pour les réfugiés<br />

108


109<br />

- die in <strong>der</strong> Vergangenheit vor nichtstaatlicher Verfolgung in ihren<br />

Herkunftslän<strong>der</strong>n geflohen, auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> früheren Rechtslage<br />

gleichwohl nicht als Flüchtlinge anerkannt worden sind,<br />

- die Schutz vor Bürgerkriegssituationen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en gravierenden<br />

allgemeinen Sicherheitsrisiken suchen, o<strong>der</strong><br />

- <strong>der</strong>en Flüchtlingsanerkennung unanfechtbar wi<strong>der</strong>rufen wurde, obwohl sich<br />

die Lage in ihren Herkunftsstaaten noch nicht in ausreichendem Maße<br />

stabilisiert hat.<br />

Viele dieser Personen leben seit etlichen Jahren – manche sogar bereits in zweiter<br />

Generation – in Deutschland. Ein Wegfall <strong>der</strong> Rückkehrhin<strong>der</strong>nisse ist vielfach nicht<br />

abzusehen. Die Betroffenen sind zum Teil gut integriert. An<strong>der</strong>en ist trotz längjährigen<br />

Aufenthalts mangels eines gesicherten Aufenthaltsstatus eine nachhaltige Integration<br />

noch nicht gelungen.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> Zurückhaltung <strong>der</strong> Behörden bei <strong>der</strong> Anwendung von § 23 AufenthG<br />

wird die prekäre aufenthaltsrechtliche Situation in <strong>der</strong> Praxis auch nicht durch<br />

entsprechende allgemeine Anordnungen gelöst. Härtefallkommissionen iSd. § 23a<br />

AufenthG können zwar in beson<strong>der</strong>s gelagerten Einzelfällen die Zuerkennung eines<br />

Aufenthaltsrechtes vorschlagen, sind jedoch we<strong>der</strong> dafür best<strong>im</strong>mt noch geeignet,<br />

eine große Zahl von Fällen zu bewältigen.<br />

Eine Lösung <strong>des</strong> Problems kann nur durch eine Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> geltenden Rechtslage<br />

erreicht werden. In <strong>der</strong>en Mittelpunkt sollte die Berücksichtigung <strong>der</strong> Unzumutbarkeit<br />

<strong>der</strong> He<strong>im</strong>kehr als ein zusätzliches, die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels<br />

rechtfertigen<strong>des</strong> Ausreisehin<strong>der</strong>nis stehen. Es wird angeregt klarzustellen, dass<br />

hierbei insbeson<strong>der</strong>e die bisherige Dauer <strong>des</strong> Aufenthaltes, das Alter, die soziale und<br />

familiäre Verwurzelung in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik Deutschland sowie – unter Beachtung<br />

<strong>der</strong> spezifischen Verhältnisse in den jeweiligen Herkunftslän<strong>der</strong>n – die tatsächlichen<br />

Chancen einer Reintegration <strong>der</strong> Betroffenen berücksichtigt werden müssen.<br />

UNHCR Regionalvertretung für Deutschland,<br />

Österreich und die Tschechische Republik<br />

Berlin, März 2006<br />

The UN Refugee Agency L'Agence <strong>des</strong> Nations Unies pour les réfugiés<br />

109


110<br />

Statement <strong>des</strong> Vorsitzenden <strong>der</strong> Härtefallkommission NRW<br />

zum Härtefallverfahren nach § 23a AufenthG<br />

für den <strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong><br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>ministeriums <strong>des</strong> Inneren<br />

<strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong><br />

Evaluation <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

am 30./ 31.März <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>haus<br />

Für die Gelegenheit als Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Härtefallkommission be<strong>im</strong> Innenministerium<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> NRW <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> dieses <strong>Erfahrungsaustausch</strong>es die Arbeit <strong>der</strong> Härtefallkommission<br />

darstellen und eine erste Bewertung dieser neuen Vorschrift vornehmen<br />

zu können, bedanke ich mich.<br />

Ausgangssituation und rechtliche Grundlagen<br />

Das Gesetz zur Steuerung und Begrenzung <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung und zur Regelung <strong>des</strong><br />

Aufenthalts und <strong>der</strong> Integration von Unionsbürgern und Auslän<strong>der</strong>n (Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz)<br />

vom 30. Juli 2004 (BGBl. I Seite 1950) ist am 1.01.2005 in Kraft getreten.<br />

Dieses Artikelgesetz beinhaltet als Artikel 1 das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit<br />

und die Integration von Auslän<strong>der</strong>n <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet (Aufenthaltsgesetz<br />

- AufenthG).<br />

110


111<br />

§ 23a AufenthG regelt in seinen Absätzen 1 und 2 die Aufenthaltsgewährung in Härtefällen.<br />

„(1) Die oberste Lan<strong>des</strong>behörde darf anordnen, dass einem Auslän<strong>der</strong>, <strong>der</strong> vollziehbar<br />

ausreisepflichtig ist, abweichend von den in diesem Gesetz festgelegten Erteilungs-<br />

und Verlängerungsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel eine Aufenthaltserlaubnis<br />

erteilt wird, wenn eine von <strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>regierung durch Rechtsverordnung<br />

eingerichtete Härtefallkommission darum ersucht (Härtefallersuchen). Die Anordnung<br />

kann <strong>im</strong> Einzelfall unter Berücksichtigung <strong>des</strong> Umstan<strong>des</strong> erfolgen, ob <strong>der</strong><br />

Lebensunterhalt <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s gesichert ist o<strong>der</strong> eine Verpflichtungserklärung nach<br />

§ 68 abgegeben wird. Die Annahme eines Härtefalls ist in <strong>der</strong> Regel ausgeschlossen,<br />

wenn <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> Straftaten von erheblichem Gewicht begangen hat. Die Befugnis<br />

zur Aufenthaltsgewährung steht ausschließlich <strong>im</strong> öffentlichen Interesse und<br />

begründet keine eigenen Rechte <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s.“<br />

„(2) Die Lan<strong>des</strong>regierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung eine Härtefallkommission<br />

nach Absatz 1 einzurichten, das Verfahren, Ausschlussgründe und<br />

qualifizierte Anfor<strong>der</strong>ungen an eine Verpflichtungserklärung nach Absatz 1 Satz 2<br />

einschließlich vom Verpflichtungsgeber zu erfüllen<strong>der</strong> Voraussetzungen zu best<strong>im</strong>men<br />

sowie die Anordnungsbefugnis nach Absatz 1 Satz 1 auf an<strong>der</strong>e Stellen zu übertragen.<br />

Die Härtefallkommissionen werden ausschließlich <strong>im</strong> Wege <strong>der</strong> Selbstbefassung<br />

tätig. Dritte können nicht verlangen, dass eine Härtefallkommission sich mit<br />

einem best<strong>im</strong>mten Einzelfall befasst o<strong>der</strong> eine best<strong>im</strong>mte Entscheidung trifft. Die<br />

Entscheidung für ein Härtefallersuchen setzt voraus, dass nach den Feststellungen<br />

<strong>der</strong> Härtefallkommission dringende humanitäre o<strong>der</strong> persönliche Gründe die weitere<br />

Anwesenheit <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet rechtfertigen.“<br />

Mit <strong>der</strong> Aufenthaltsgewährung in Härtefällen nach § 23a AufenthG hat das Gesetz<br />

eine eigene Grundlage für die Regelung eines Härtefalls geschaffen. In beson<strong>der</strong>s<br />

gelagerten Fällen kann bei Vorliegen dringen<strong>der</strong> humanitärer o<strong>der</strong> persönlicher<br />

Gründe, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abweichend von den <strong>im</strong> Gesetz geregelten<br />

Voraussetzungen für die Gewährung eines Aufenthaltstitels ermöglicht werden,<br />

wenn eine durch die Lan<strong>des</strong>regierung eingerichtete Härtefallkommission darum<br />

ersucht. Damit wurde eine in ihren Tatbestandsvoraussetzungen auslegungsfähige<br />

und –bedürftige Ausnahmevorschrift geschaffen. Aus ihrem Zusammenhang <strong>im</strong> Re-<br />

111


112<br />

gelungssystem kann sie jedoch nicht dem Ausgleich aller Schwierigkeiten und Härten,<br />

die durch das normierte System entstehen, dienen.<br />

Erlauben Sie mir an dieser Stelle ein Zitat von Herrn Professor Dr. Günter Renner:<br />

„...Damit wird die praktische Unzulänglichkeit <strong>des</strong> sonstigen Systems bestätigt und<br />

gleichzeitig Abhilfe ermöglicht:..“ Die Vorschrift ist darauf gerichtet, „...einen Einzelfall<br />

humanitär zu lösen, <strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Anwendung <strong>des</strong> Gesetzes sonst nicht gerecht behandelt<br />

werden kann....Die Vorschrift stellt eine materiell- und verfahrensrechtliche<br />

eigenständige Grundlage für die Aufenthaltsgewährung bereit....Das Spektrum dringen<strong>der</strong><br />

humanitärer o<strong>der</strong> persönlicher Gründe für einen Verbleib in Deutschland ist<br />

bewusst weit angelegt. Solche Gründe können sich aus einer unglücklichen Konstellation<br />

o<strong>der</strong> Entwicklung <strong>des</strong> persönlichen Schicksals ergeben, die unter an<strong>der</strong>e Vorschriften<br />

nicht subsumiert werden können, weil sie von den dort erfassten Sachverhalten<br />

abweichen. Sie können durch eine ungewöhnlich lange Aufenthaltsdauer ohne<br />

gesicherten Status verstärkt werden. Schließlich können sie auf einem ungünstigen<br />

Zusammenwirken von persönlichen und wirtschaftlichen Faktoren beruhen, die trotz<br />

langen Aufenthalts eine Inanspruchnahme ministerieller Altfallregelungen nach § 23<br />

Abs.1 unmöglich gemacht haben.“<br />

Mit <strong>der</strong> Verordnung zur Einrichtung einer Härtefallkommission nach § 23a <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes<br />

und zur Regelung <strong>des</strong> Verfahrens (Härtefallkommissionsverordnung<br />

–HFKVO-) vom 14. Dezember 2004 ( GV.NRW: S.820 ) hat die Lan<strong>des</strong>regierung<br />

in Nordrhein- Westfalen von <strong>der</strong> Ermächtigung <strong>des</strong> § 23 a Abs. 2 AufenthG sowohl<br />

<strong>im</strong> Hinblick auf die Einrichtung einer Härtefallkommission, als auch <strong>im</strong> Hinblick<br />

auf die Delegationsmöglichkeit <strong>der</strong> Anordnungsbefugnis Gebrauch gemacht. Es wurde<br />

eine weisungsfreie und unabhängige Härtefallkommission eingerichtet.<br />

Die Härtefallkommission hat zur Zeit neun Mitglie<strong>der</strong>, die durch das Innenministerium<br />

für zwei Jahre berufen wurden. Fünf Mitglie<strong>der</strong> wurden auf Vorschlag <strong>der</strong> evangelische<br />

Kirche, <strong>der</strong> katholische Kirche, <strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaft <strong>der</strong> Spitzenverbände<br />

<strong>der</strong> freien Wohlfahrtspflege <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> NRW, <strong>des</strong> Flüchtlingsrates Nordrhein-<br />

Westfalen e.V. sowie <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>arbeitsgemeinschaft Pro Asyl berufen. Darüber hinaus<br />

sind eine Vertreterin <strong>des</strong> Integrationsministeriums, <strong>der</strong> Leiter einer Auslän<strong>der</strong>behörde,<br />

ein Facharzt für Psychiatrie sowie <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> Geschäftsstelle als Vorsitzen<strong>der</strong>,<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Härtefallkommission. Bei seinen Berufungsentscheidungen<br />

112


113<br />

war das Innenministerium in <strong>der</strong> glücklichen Lage auf Mitglie<strong>der</strong> zurückgreifen zu<br />

können, die zum Teil bereits über viele Jahre in <strong>der</strong> Härtefallkommission ehrenamtlich<br />

zusammengearbeitet haben. Die interdisziplinäre Zusammensetzung ermöglicht<br />

die fachkundige Bewertung <strong>der</strong> verschiedenen Aspekte vorgetragener Härtefälle. Sie<br />

zwingt die Beteiligten Interessengegensätze in <strong>der</strong> Diskussion möglichst auszugleichen.<br />

Die Kommission hat sich am 17.2.2005 auf <strong>der</strong> Basis <strong>des</strong> AufenthG und <strong>der</strong> HFKVO<br />

neu konstituiert. Sie kann ein Härtefallersuchen an die jeweils zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

richten. Aufgrund <strong>des</strong> Ersuchens darf die zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde abweichend<br />

von den gesetzlich festgelegten Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen<br />

eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. Die Befugnis zur Aufenthaltsgewährung<br />

steht ausschließlich <strong>im</strong> öffentlichen Interesse und begründet keine eigenen Rechte<br />

<strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s. Die Härtefallkommission wird daher ausschließlich <strong>im</strong> Wege <strong>der</strong><br />

Selbstbefassung tätig und entscheidet autonom, mit welchen <strong>der</strong> ihnen vorgetragenen<br />

Fälle sie sich inhaltlich auseinan<strong>der</strong>setzt.<br />

Daneben hat die neu eingerichtete Härtefallkommission wie bisher die Möglichkeit,<br />

<strong>im</strong> Einzelfall Empfehlungen zur Anwendung <strong>des</strong> geltenden Auslän<strong>der</strong>rechts zu geben<br />

o<strong>der</strong> generelle Empfehlungen an das Innenministerium zu richten.<br />

Nachdem die Härtefallkommissionsverordnung aus haushaltsrechtlichen Gründen<br />

zunächst nur für ein Jahr in Kraft gesetzt worden war, wurde ihre Geltungsdauer mit<br />

<strong>der</strong> ersten Verordnung zur Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Härtefallkommissionsverordnung vom 19.04<br />

2005 bis zum 31.12.2007 verlängert. Über eine Anpassung <strong>der</strong> Geltungsdauer entsprechend<br />

<strong>der</strong> Ermächtigungsgrundlage <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz bis zum 31.12.2009<br />

muss noch entschieden werden.<br />

Die notwendigen Verfahrensregelungen hat das Innenministerium nach Abst<strong>im</strong>mung<br />

mit einzelnen Auslän<strong>der</strong>behörden sowie den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Härtefallkommission mit<br />

Erlass vom 20.01.2005 in Kraft gesetzt.<br />

Arbeit <strong>der</strong> Härtefallkommission <strong>im</strong> Jahre 2005<br />

Die Arbeit <strong>der</strong> Härtefallkommission bewegte sich in einem Spannungsfeld unterschiedlichster<br />

und äußerst gegensätzlicher Interessenlagen und Positionen. Auf <strong>der</strong><br />

113


114<br />

einen Seite wurde das Institut als solches nicht akzeptiert und damit jede positive<br />

Entscheidung auf dieser Rechtsgrundlage für falsch o<strong>der</strong> gar rechtswidrig erachtet. In<br />

<strong>der</strong> Gegenposition erhoffte man sich die Lösung aller menschlichen Probleme, die<br />

sich aus <strong>der</strong> Anwendung <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>rechtes ergeben.<br />

Trotz dieser konträren Erwartungen waren die mit <strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Vorschrift Beauftragten<br />

–HFK und Auslän<strong>der</strong>behörden – aufgefor<strong>der</strong>t, ihre Entscheidungspraxis<br />

unter Berücksichtigung <strong>der</strong> rechtlichen <strong>Rahmen</strong>bedingungen zu entwickeln.<br />

Welche Personen von dieser neuen Ausnahmevorschrift profitieren sollen, lässt sich<br />

generell und abstrakt kaum beantworten. Wäre eine Antwort leicht zu finden, hätte<br />

<strong>der</strong> Gesetzgeber vielleicht eher eine Legaldefinition in Form einer generellen Härtefallklausel<br />

geschaffen. Die Entscheidung läge dann allein in <strong>der</strong> Hand <strong>der</strong> zuständigen<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde. Diesen Weg ist er bewusst nicht gegangen, son<strong>der</strong>n hat<br />

„statt <strong>des</strong>sen einer praeter-legem-Konstruktion den Vorzug gegeben, in <strong>der</strong> Hoffnung,<br />

damit weitere Rechtsschutzverfahren ausschließen zu können. ... Vor allem<br />

aber – so wurde befürchtet –könne eine allgemeine Härtefallklausel zu einer weiteren<br />

erheblichen Belastung <strong>der</strong> Behörden und Gerichte führen.“ ( Hailbronner Kommentar<br />

zum Auslän<strong>der</strong>recht § 23a AufenthG I 1 )<br />

Die Härtefallkommission hat sich zu Beginn ihrer Arbeit für ihre Ersuchensentscheidungen<br />

nach § 23a AufenthG auf Eckpunkte für ihre Arbeit verständigt. Hierbei war<br />

sie sich <strong>der</strong> Schwierigkeit bewusst, abstrakte Entscheidungsleitlinien für Ihre Arbeit<br />

zu entwickeln. Diese sollten sich durch das Entscheidungsverhalten in den behandelten<br />

Einzelfällen sowie die Reaktionen <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden auf Ersuchen gem.<br />

§ 23a AufenthG bilden.<br />

Die nachfolgenden Eckpunkte wurden für die interne Entscheidungsfindung festgehalten:<br />

1. Die Situation in den Zielstaaten entzieht sich <strong>der</strong> Beurteilung durch die Härtefallkommission.<br />

2. Fragen einer wirtschaftlichen und sozialen Integration <strong>der</strong> hier lebenden Auslän<strong>der</strong><br />

spielen neben <strong>der</strong> Aufenthaltsdauer eine herausragende Rolle.<br />

114


115<br />

3. In Verfahren für min<strong>der</strong>jährig eingereiste Erwachsene, kommt es bei <strong>der</strong> Beurteilung<br />

<strong>im</strong> Einzelfall darauf an, ob aufgrund bisher gezeigter Leistungen in<br />

Schule, Ausbildung o<strong>der</strong> Beruf eine Integration in die hiesigen Lebensbedingungen<br />

zu erwarten ist.<br />

4. An die Qualität vorgelegter ärztlicher Bescheinigungen und Gutachten wird,<br />

wie in <strong>der</strong> Vergangenheit, ein hoher Maßstab anzulegen sein.<br />

5. Die Kommission beschäftigt sich einmal mit einem vorgetragenen Einzelfall.<br />

6. Über die <strong>im</strong> Härtefallverfahren bekannt gewordenen Sachverhalte sowie über<br />

das Diskussions- und Abst<strong>im</strong>mungsverhalten in <strong>der</strong> Kommission bewahren die<br />

Mitglie<strong>der</strong> absolutes Stillschweigen.<br />

Entsprechend den Vorgaben <strong>der</strong> Härtefallkommissionsverordnung wurden zwischenzeitlich<br />

Entscheidungsgrundsätze schriftlich formuliert. Das Einvernehmen mit dem<br />

Innenministerium wurde am 13.12.2005 hergestellt. Die Entscheidungsgrundsätze<br />

wurden den Auslän<strong>der</strong>behörden bekannt gegeben und sind <strong>im</strong> Internet veröffentlicht.<br />

Damit versucht Nordrhein-Westfalen die Umsetzung <strong>des</strong> Härtefallverfahrens soweit<br />

wie möglich transparent darzustellen. Vor dem Hintergrund <strong>der</strong> dargestellten Schwierigkeiten<br />

einer normativen Festlegung sogenannter „Härtekriterien“ sind die Grundsätze<br />

offen formuliert. So ist gewährleistet, dass <strong>im</strong> Härtefallverfahren auf sich verän<strong>der</strong>nde<br />

gesellschaftliche und politische Entwicklungen reagiert werden kann.<br />

Im Jahr 2005 sind 1064 Einzelfälle an die Härtefallkommission herangetragen worden,<br />

von denen 738 Fälle abgeschlossen sind. Seit ihrer konstituierenden Sitzung<br />

am 17.02.2005 hat die Kommission 668 Einzelfälle beraten. In ca. 5 % ( 29 Fälle) <strong>der</strong><br />

beratenen Fälle hat sie eine Empfehlung zur Anwendung <strong>des</strong> geltenden Auslän<strong>der</strong>rechts<br />

an die zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde gerichtet.<br />

115


116<br />

In 14 % ( 92 Fälle ) <strong>der</strong> beratenen Fälle hat sie die zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

darum ersucht, eine Aufenthaltserlaubnis abweichend von den sonstigen Erteilungsund<br />

Verlängerungsvoraussetzungen <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes zu erteilen. In 74 Fällen<br />

sind die Auslän<strong>der</strong>behörden dem Ersuchen gefolgt und haben Aufenthaltserlaubnisse<br />

nach § 23a AufenthG erteilt. In 14 Fällen haben sie von den neuen rechtlichen<br />

Möglichkeiten keinen Gebrauch gemacht. In 4 Fällen sind abschließende Entscheidungen<br />

noch nicht getroffen worden. Damit wurden <strong>im</strong> Jahre 2005 für ca. 300 Personen<br />

Aufenthaltserlaubnisse aufgrund <strong>der</strong> neuen Vorschrift <strong>des</strong> § 23a AufenthG abweichend<br />

von den Voraussetzungen <strong>des</strong> Gesetzes erteilt.<br />

Ein wichtiger Aspekt <strong>der</strong> Arbeit einer Härtefallkommission sind aus meiner Sicht die<br />

Empfehlungen zur Anwendung <strong>des</strong> geltenden Auslän<strong>der</strong>rechts. Auf diesem Feld hat<br />

sich die Härtefallkommission in Nordrhein-Westfalen durch Ihre Arbeit in den vergangenen<br />

10 Jahren einen anerkannten Namen gemacht.<br />

Diese Arbeit stand <strong>im</strong> vergangenen Jahr aus nachvollziehbaren Gründen nicht <strong>im</strong><br />

Fokus <strong>der</strong> öffentlichen Diskussion. Die Empfehlung ist jedoch nach wie vor ein wichtiges<br />

Instrument zur Weiterentwicklung <strong>der</strong> Entscheidungspraxis <strong>im</strong> Auslän<strong>der</strong>recht<br />

gerade <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> Vorschriften zur Erteilung von<br />

Aufenthaltsrechten aus humanitären Gründen. Die Arbeit <strong>der</strong> HFK hat hier in <strong>der</strong><br />

Vergangenheit aber auch wesentlich zur Erhöhung <strong>der</strong> Akzeptanz <strong>der</strong> Entscheidungen<br />

<strong>der</strong> örtlichen Auslän<strong>der</strong>behörden beigetragen. Gleichzeitig sind durch diese Arbeit<br />

die in <strong>der</strong> Kommission vertretenen Organisationen gezwungen sich regelmäßig<br />

mit den Möglichkeiten und den Grenzen <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>rechtes auseinan<strong>der</strong> zu setzen.<br />

Die Möglichkeiten in diesem Betätigungsfeld Akzente zu setzen hängen wesentlich<br />

von den Entscheidungsspielräumen <strong>der</strong> örtlichen Auslän<strong>der</strong>behörden ab.<br />

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen dass das mit den Vorschriften für<br />

ein humanitäres Aufenthaltsrecht verbundene gesetzgeberische Ziel <strong>der</strong> Abschaffung<br />

sogenannter Kettenduldungen in <strong>der</strong> Praxis <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes nicht annähernd<br />

erreicht werden konnte. Breit gefächerte Anwendungshinweise in Bund und<br />

Län<strong>der</strong>n sowie zum Teil konträre Rechtsprechung zur Anwendung <strong>des</strong> § 25 Auf-<br />

116


117<br />

enthG machen deutlich, dass <strong>der</strong> gesetzgeberische Wille wohl nicht eindeutig zum<br />

Ausdruck gekommen ist. Diese Situation hat es <strong>der</strong> Härtefallkommission erschwert,<br />

umsetzbare Empfehlungen zur Anwendung <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>rechtes zu geben.<br />

Ich möchte in diesem Zusammenhang aus dem Fazit eines Aufsatzes von Herrn<br />

Richter am Oberverwaltungsgericht Benassi zitieren:<br />

„Nach allem ist deutlich geworden, das § 25 Abs. 4 und 5 Aufenthaltsgesetz wesentlich<br />

zur Vermeidung und Reduzierung von Duldungen beitragen können. ... Die Erteilung<br />

von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 Satz 1 o<strong>der</strong> Satz 2 Aufenthaltsgesetz<br />

kann selbst dann in Betracht kommen, wenn dem Auslän<strong>der</strong> zwar eine freiwillige<br />

Ausreise prinzipiell möglich, nicht aber zumutbar ist.<br />

Ein <strong>der</strong>artiges Gesetzesverständnis führt gleichzeitig zu einer Entlastung <strong>der</strong> Härtefallkommissionen,<br />

denen ohnehin möglichst nicht, in den etwa aus humanitären o<strong>der</strong><br />

sonstigen persönlichen Gründen beson<strong>der</strong>s schwierig erscheinenden Verfahren, in<br />

letzter Instanz die Entscheidung überlassen werden sollte. ....... Angesichts <strong>der</strong> aufgezeigten<br />

Problemlage, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> unbest<strong>im</strong>mten Rechtsbegriffe in § 25 Abs.<br />

4 und Abs. 5 Aufenthaltsgesetz, dürfte es vielfach eine Willensfrage sein, ob die darin<br />

enthaltenen Regelungen dem Auslän<strong>der</strong> zugute kommen. Dies erfor<strong>der</strong>t ein hohes<br />

Maß an Verantwortungsbewusstsein bei allen Rechtsanwen<strong>der</strong>n.“<br />

Im Zusammenhang mit einer <strong>Evaluierung</strong> <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes kann man diesen<br />

Appell auch an den Gesetzgeber richten und um die Worte bei allen Rechtsgestaltern<br />

ergänzen.<br />

Bewertung und Perspektiven <strong>des</strong> Härtefallverfahrens<br />

Durch das neue Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz ist die Einrichtung einer Härtefallkommission<br />

institutionalisiert worden. Ihre Handlungsmöglichkeiten sind materiell gestärkt.<br />

Gleichzeitig sind die Erwartungen an die Arbeit einer Härtefallkommission sowie an<br />

die entscheidenden Behörden deutlich gewachsen. Es wird von vielen Seiten die Erwartung<br />

artikuliert, über die Vorschrift <strong>des</strong> § 23 a könne je<strong>der</strong> Fall <strong>im</strong> Sinne <strong>der</strong> Gewährung<br />

eines Aufenthaltsrechts gelöst werden. Diese Erwartungshaltung verkennt<br />

117


118<br />

den rechtlichen <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> § 23 a AufenthG sowie die Zweistufigkeit <strong>des</strong> Entscheidungswegs.<br />

Nur <strong>im</strong> Zusammenwirken mit den zuständigen Behörden ist die Erteilung<br />

einer Aufenthaltserlaubnis möglich. Das Institut <strong>der</strong> Aufenthaltsgewährung in Härtefällen<br />

wird sich in <strong>der</strong> Zusammenarbeit zwischen Härtefallkommissionen und Behörden<br />

weiter entwickeln müssen. Mit dieser Verän<strong>der</strong>ung sind die Belastungen für die<br />

Mitglie<strong>der</strong> so stark gewachsen, dass es eines stark ausgeprägten Idealismus bedarf,<br />

sich dieser Aufgabe neben seiner sonstigen beruflichen Tätigkeit zu stellen. Von einzelnen<br />

Mitglie<strong>der</strong>n, die auch die Arbeit <strong>des</strong> gebildeten Vorprüfungsausschusses bewältigen,<br />

wurden in einem Jahr über 30.000 Seiten gelesen.<br />

Mit <strong>der</strong> Vorschrift <strong>des</strong> § 23a AufenthG sind die Möglichkeiten <strong>der</strong> Aufenthaltsgewährung<br />

aus humanitären Gründen durch den Gesetzgeber bewusst erweitert worden.<br />

Die mit <strong>der</strong> Ausführung <strong>des</strong> Gesetzes Beauftragten haben damit die Möglichkeit erhalten,<br />

neben <strong>der</strong> Anwendung <strong>des</strong> umfangreichen auslän<strong>der</strong>rechtlichen Regelwerks,<br />

<strong>im</strong> Einzelfall menschliche Aspekte zu berücksichtigen. Diese Möglichkeit sollte nach<br />

den Erfahrungen <strong>des</strong> ersten Jahres dringend erhalten werden. Über die Möglichkeiten<br />

und Grenzen einer solchen Norm kann und muss man streiten. Die Praxis <strong>des</strong><br />

ersten Jahres zeigt, dass die Anwen<strong>der</strong> die Möglichkeiten <strong>der</strong> Norm unterschiedlich<br />

betrachten und praktizieren. Dies ist in Anbetracht <strong>der</strong> offenen Interpretationsmöglichkeiten<br />

nicht verwun<strong>der</strong>lich. Verstärkt wird dies durch eine breite rechtliche Bewertung<br />

<strong>der</strong> sonstigen Vorschriften für die Erteilung humanitärer Aufenthaltsrechte durch<br />

die Gerichte und die Innenminister.<br />

Im Jahre 2005 haben mit Ausnahme <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> Bayern und Nie<strong>der</strong>sachsen alle<br />

Län<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Ermächtigungsgrundlage <strong>des</strong> § 23a AufenthG Gebrauch gemacht<br />

und eine Härtefallkommission eingerichtet. Auch aus diesen Län<strong>der</strong>n gibt es erste,<br />

aus Nie<strong>der</strong>sachsen inzwischen sehr deutliche Anzeichen, dass dort eine Härtefallkommission<br />

eingerichtet werden könnte. Damit hat sich das Institut Härtefallkommission<br />

<strong>im</strong> ersten Jahr <strong>der</strong> Anwendung <strong>des</strong> neuen Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik<br />

etabliert.<br />

118


119<br />

An <strong>der</strong> Einrichtung von Härtefallkommissionen sollte festgehalten werden. Sie gewährleisten<br />

die Einbindung nicht staatlicher Organisationen in die schwierigen und<br />

gesellschaftlich umstrittenen auslän<strong>der</strong>rechtlichen Entscheidungen. Gleichzeitig institutionalisieren<br />

sie den Dialog zwischen staatlichen und nicht staatlichen Stellen in <strong>der</strong><br />

Umsetzung <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>rechtes.<br />

Es ist zu überlegen, welche Rolle diese Einrichtungen künftig übernehmen sollen.<br />

Aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Härtefallkommission NRW wäre es auch praktikabel, die Entscheidung<br />

über die Aufenthaltsgewährung in Härtefällen in den Katalog <strong>der</strong> Vorschriften<br />

zur Gewährung von Aufenthaltsrechten aus humanitären Gründen aufzunehmen und<br />

so in die Zuständigkeit <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde zu übertragen. Den Härtefallkommissionen<br />

käme dann, wie in <strong>der</strong> Vergangenheit, empfehlende Kompetenzen zu.<br />

Inwieweit sich <strong>der</strong> Gesetzgeber hierzu <strong>im</strong> Hinblick auf dann nicht auszuschließende<br />

Rechtschutzverfahren verstehen kann, kann ich nicht einzuschätzen. Ich gebe zu<br />

Bedenken, dass <strong>im</strong> ersten Jahr <strong>der</strong> Anwendung <strong>des</strong> AufenthG die Rechtsstreitverfahren<br />

zur Anwendung <strong>des</strong> § 25 Abs.5 AufenthG so deutlich zugenommen haben, dass<br />

eine rechtstechnische Verknüpfung <strong>der</strong> gesetzgeberischen Anliegen aus den §§ 23 a<br />

und 25 Abs.5 in einer justiziablen Norm die Zahl <strong>der</strong> Verwaltungsstreitverfahren wohl<br />

nicht spürbar erhöhen würde. Eine entsprechend normierte Härtefallklausel böte die<br />

Chance, dass sich aus dem Dialog von Verwaltung und Nicht Staatlichen Organisationen<br />

sowie zu erwarten<strong>der</strong> Rechtsprechung praktikable und akzeptierte Kriterien zur<br />

Aufenthaltsgewährung aus humanitären Gründen entwickeln. Hierzu müsste <strong>der</strong> gesetzgeberische<br />

Wille deutlich klarer als bisher zum Ausdruck kommen. Mir ist bewusst,<br />

wie schwierig die Formulierung einer entsprechenden Vorschrift sein wird.<br />

Unter Berücksichtigung <strong>der</strong> sich aktuell abzeichnenden Rechtsprechung zur Art. 8<br />

EMRK wird man sich dieser Aufgabe über kurz o<strong>der</strong> lang aber ohnehin nicht entziehen<br />

können.<br />

119


Anlagen:<br />

Härtefallkommissionsverordnung<br />

Verfahrenserlass vom 20.1.2005<br />

Entscheidungsgrundsätze<br />

120<br />

120


122<br />

Verordnung<br />

zur Einrichtung einer Härtefallkommission<br />

nach § 23a <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes und<br />

zur Regelung <strong>des</strong> Verfahrens<br />

(Härtefallkommissionsverordnung -HFKVO-)<br />

Aufgrund <strong>des</strong> § 23a Abs. 2 <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vom 30. Juli 2004<br />

(BGBl. I S. 1950) wird verordnet:<br />

§ 1<br />

Einrichtung<br />

(1) Be<strong>im</strong> Innenministerium <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nordrhein-Westfalen wird eine Härtefallkommission<br />

<strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> § 23a AufenthG eingerichtet.<br />

(2) Die Befugnis zur Aufenthaltsgewährung aufgrund <strong>des</strong> § 23a AufenthG steht ausschließlich<br />

<strong>im</strong> öffentlichen Interesse und begründet keine eigenen Rechte <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s.<br />

§ 2<br />

Berufungsverfahren und Zusammensetzung<br />

(1) Die Härtefallkommission hat min<strong>des</strong>tens sieben und max<strong>im</strong>al neun Mitglie<strong>der</strong>.<br />

Das Innenministerium beruft die Mitglie<strong>der</strong> und ihre Stellvertreterinnen und Stellvertreter.<br />

Der Berufungszeitraum beträgt in <strong>der</strong> Regel zwei Jahre. Wie<strong>der</strong>holte Berufungen<br />

sind zulässig.<br />

(2) Die evangelische Kirche, die katholische Kirche, die Arbeitsgemeinschaft <strong>der</strong><br />

Spitzenverbände <strong>der</strong> freien Wohlfahrtspflege <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> NRW, <strong>der</strong> Flüchtlingsrat<br />

Nordrhein-Westfalen e.V. sowie die Bun<strong>des</strong>arbeitsgemeinschaft Pro Asyl können<br />

dem Innenministerium für seine Berufungsentscheidungen je ein Mitglied sowie eine<br />

Vertreterin o<strong>der</strong> einen Vertreter vorschlagen. Die vorgeschlagenen Mitglie<strong>der</strong> und<br />

ihre Vertreterinnen und Vertreter sollen Erfahrungen in <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>- und Flüchtlingsarbeit<br />

haben.<br />

(3) Bei den Vorschlägen und den Berufungsentscheidungen soll darauf Bedacht genommen<br />

werden, dass die unterschiedlichen Aspekte eingebrachter Härtefälle sachkundig<br />

gewürdigt werden können, und dass die Härtefallkommission möglichst<br />

gleichmäßig mit Frauen und Männern besetzt werden kann.


123<br />

§ 3<br />

Geschäftsstelle, Vorprüfungsausschuss<br />

(1) Be<strong>im</strong> Innenministerium wird eine Geschäftsstelle für die Härtefallkommission gebildet.<br />

Der Leiter o<strong>der</strong> die Leiterin <strong>der</strong> Geschäftsstelle ist Vorsitzen<strong>des</strong> Mitglied <strong>der</strong><br />

Härtefallkommission und vertritt die Härtefallkommission nach außen.<br />

(2) Die Geschäftsstelle bereitet die Sitzungen vor. Sie holt die erfor<strong>der</strong>lichen Stellungnahmen<br />

ein und legt den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Kommission die zu behandelnden Anträge<br />

rechtzeitig vor dem Sitzungstermin mit einer begründeten Stellungnahme <strong>der</strong><br />

zuständigen Auslän<strong>der</strong>behörde vor.<br />

(3) Die Härtefallkommission kann einen Vorprüfungsausschuss bilden, dem die o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Vorsitzende <strong>der</strong> Härtefallkommission sowie zwei weitere von <strong>der</strong> Kommission<br />

benannte Mitglie<strong>der</strong> angehören. Für je<strong>des</strong> Mitglied wird eine Stellvertreterin o<strong>der</strong> ein<br />

Stellvertreter aus <strong>der</strong> Kommission benannt.<br />

§ 4<br />

Einleitung <strong>des</strong> Beschlussverfahrens<br />

(1) Die Härtefallkommission wird ausschließlich <strong>im</strong> Wege <strong>der</strong> Selbstbefassung tätig.<br />

Dritte können nicht verlangen, dass die Härtefallkommission sich mit einem best<strong>im</strong>mten<br />

Einzelfall befasst o<strong>der</strong> eine best<strong>im</strong>mte Entscheidung trifft. In Anträgen aus <strong>der</strong><br />

Kommission sind das bisherige auslän<strong>der</strong>rechtliche Verfahren sowie die dringenden<br />

humanitären o<strong>der</strong> persönlichen Gründe, welche die weitere Anwesenheit eines Auslän<strong>der</strong>s<br />

<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet rechtfertigen, nachvollziehbar darzustellen.<br />

(2) Anträge nach Abs. 1 werden zunächst <strong>der</strong> Geschäftsstelle zugeleitet. Liegen keine<br />

Ausschlussgründe gemäss § 5 dieser Verordnung vor, bittet die Geschäftsstelle<br />

die zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde um eine Stellungnahme zu dem dargestellten<br />

Sachverhalt und zu dem Votum <strong>des</strong> Antrages.<br />

(3) Die Geschäftsstelle kann <strong>der</strong> Kommission o<strong>der</strong> dem Vorprüfungsausschuss sonstige<br />

Einzelfälle vorlegen. Für sich hieraus ergebende Anträge nach Abs.1 leitet sie<br />

das Beschlussverfahren nach Abs. 2 ein.<br />

§ 5<br />

Ausschlussgründe<br />

(1) Das Verfahren nach dieser Verordnung ist ausgeschlossen für Auslän<strong>der</strong>innen<br />

und Auslän<strong>der</strong>,<br />

- die sich nicht <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet aufhalten,<br />

- für die keine nordrhein-westfälische Auslän<strong>der</strong>behörde zuständig ist,<br />

- die nicht ausreisepflichtig sind,<br />

- die keinen ordnungsgemäßen Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen haben,


124<br />

- gegen die eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erlassen worden<br />

ist,<br />

- denen ein Aufenthaltstitel nach § 5 Abs. 4 AufenthG versagt wurde<br />

o<strong>der</strong><br />

- die nach den § 53 AufenthG o<strong>der</strong> <strong>der</strong> entsprechenden Vorschrift <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>gesetzes<br />

ausgewiesen sind<br />

(2) Das Verfahren nach dieser Verordnung soll ausgeschlossen sein für Auslän<strong>der</strong>innen<br />

und Auslän<strong>der</strong>,<br />

- die sich entgegen einem Einreise -und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG<br />

<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet aufhalten, es sei denn, eine Ausreise ist aus rechtlichen o<strong>der</strong><br />

tatsächlichen Gründen unmöglich,<br />

- für die noch eine Aufenthaltserlaubnis o<strong>der</strong> eine Bescheinigung über das gemeinschaftliche<br />

Aufenthaltsrecht in einem an<strong>der</strong>en aufenthaltsrechtlichen<br />

Verfahren bei <strong>der</strong> zuständigen Auslän<strong>der</strong>behörde o<strong>der</strong> <strong>im</strong> asylrechtlichen Verfahren<br />

vor dem Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge erreicht werden<br />

kann,<br />

- die zur Fahndung ausgeschrieben sind o<strong>der</strong> keine ladungsfähige Adresse haben,<br />

- die Straftaten von erheblichem Gewicht i.S.d. § 23a AufenthG begangen haben,<br />

- die nach den § 54 AufenthG o<strong>der</strong> <strong>der</strong> entsprechenden Vorschrift <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>gesetzes<br />

ausgewiesen sind<br />

o<strong>der</strong><br />

- für die <strong>der</strong> Termin einer Rückführung bereits feststeht.<br />

§ 6<br />

Beratungs- und Beschlussverfahren<br />

(1) Die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Härtefallkommission sind in ihrer Entscheidung unabhängig<br />

und frei von Weisungen. Rechts- und fachaufsichtliche Befugnisse werden durch das<br />

Verfahren nach § 23a AufenthG nicht berührt.<br />

(2) Die Härtefallkommission tagt min<strong>des</strong>tens einmal <strong>im</strong> Monat. Wird ein Vorprüfungsausschuss<br />

gebildet, tagt die Härtefallkommission min<strong>des</strong>tens einmal <strong>im</strong> Quartal. Sie<br />

ist beschlussfähig, wenn min<strong>des</strong>tens die Hälfte ihrer Mitglie<strong>der</strong> anwesend ist. Ihre<br />

Sitzungen sind nicht öffentlich. Beratungsinhalte, <strong>im</strong> Verfahren bekannt gewordene<br />

Daten sowie das Abst<strong>im</strong>mungsverhalten unterliegen <strong>der</strong> Verschwiegenheitspflicht.<br />

(3) Kommt die Härtefallkommission nach Abwägung aller Gesichtspunkte zu dem<br />

Ergebnis, dass aufgrund <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Situation <strong>des</strong> Einzelfalles dringende humanitäre<br />

o<strong>der</strong> dringende persönliche Gründe den weiteren Aufenthalt <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>in<br />

bzw. <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet rechtfertigen, beschließt sie ein Härtefallersuchen.<br />

Für ein Härtefallersuchen <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> § 23a Aufenthaltsgesetz bedarf es <strong>der</strong><br />

St<strong>im</strong>menmehrheit <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Sitzung anwesenden Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Härtefallkommission.<br />

Die Gründe für das Härtefallersuchen werden <strong>im</strong> Sitzungsprotokoll schriftlich festgehalten.<br />

Trifft die Härtefallkommission keine Ersuchensentscheidung nach § 23a<br />

AufenthG, kann sie <strong>im</strong> Einzelfall mit St<strong>im</strong>menmehrheit Empfehlungen zur Anwendung<br />

<strong>des</strong> geltenden Auslän<strong>der</strong>rechts geben.


125<br />

§ 7<br />

Anordnung<br />

(1) Die Befugnis zur Anordnung, dass einem Auslän<strong>der</strong> <strong>im</strong> Falle eines Härtefallersuchens<br />

abweichend von den <strong>im</strong> Gesetz festgelegten Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen<br />

für einen Aufenthaltstitel eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden<br />

kann, wird gem. § 23a Abs. 2 AufenthG auf die jeweils zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

übertragen.<br />

(2) Die Geschäftsstelle leitet ein Härtefallersuchen <strong>der</strong> zuständigen Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

zu. Die Auslän<strong>der</strong>behörde darf auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>des</strong> Härtefallersuchens, abweichend<br />

von den <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz festgelegten Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen<br />

für einen Aufenthaltstitel eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. Sie kann<br />

ihre Anordnung <strong>im</strong> Einzelfall davon abhängig machen, ob <strong>der</strong> Lebensunterhalt <strong>des</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>s gesichert ist o<strong>der</strong> ob eine Verpflichtungserklärung <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> § 68<br />

AufenthG abgegeben wird.<br />

(3) Die Auslän<strong>der</strong>behörde informiert das Innenministerium und die Geschäftsstelle<br />

<strong>der</strong> Härtefallkommission über ihre beabsichtigte Entscheidung. Will sie einem Ersuchen<br />

nicht entsprechen, teilt sie dem Innenministerium und <strong>der</strong> Geschäftstelle <strong>der</strong><br />

Härtefallkommission vor einer abschließenden Entscheidung auch die hierfür maßgeblichen<br />

Gründe mit.<br />

§ 8<br />

Entscheidungsgrundsätze; Verfahrensvorschriften<br />

(1) Die Härtefallkommission gibt sich notwendige Entscheidungsgrundsätze <strong>im</strong> Einvernehmen<br />

mit dem Innenministerium.<br />

(2) Wird ein Vorprüfungsausschuss gebildet, regelt das Innenministerium <strong>im</strong> Benehmen<br />

mit <strong>der</strong> Härtefallkommission das Vorprüfungsverfahren auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong><br />

Entscheidungsgrundsätze.<br />

(3) Sonstige Verwaltungsvorschriften zum Verfahren erlässt das Innenministerium<br />

nach Anhörung <strong>der</strong> Härtefallkommission.


126<br />

§ 9<br />

Geltungsdauer<br />

Diese Verordnung tritt am 01. Januar 2005 in Kraft und am 31.12.2005 außer Kraft.<br />

Düsseldorf, den 2004<br />

Für die Lan<strong>des</strong>regierung<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

<strong>der</strong> Ministerpräsident<br />

(Peer Steinbrück)<br />

Der Innenminister <strong>des</strong><br />

Lan<strong>des</strong> Nordrhein-Westfalen<br />

(Dr. Fritz Behrens)


Bezirksregierungen<br />

Arnsberg, Detmold, Düsseldorf,<br />

Köln und Münster<br />

nachrichtlich:<br />

Staatskanzlei<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nordrhein-Westfalen<br />

Ministerium für Gesundheit,<br />

Soziales, Frauen und Familie<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nordrhein-Westfalen<br />

131<br />

Verordnung zur Einrichtung einer Härtefallkommission nach § 23 a <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes<br />

(AufenthG) und zur Regelung <strong>des</strong> Verfahrens (Härtefallkommissionsverordnung<br />

- HFKVO -)<br />

Hinweise und Erläuterungen zu den vorgesehenen Verfahrensabläufen<br />

Beiliegend übersende ich den Text <strong>der</strong> Härtefallkommissionsverordnung sowie die<br />

amtliche Begründung zu Ihrer Information und mit <strong>der</strong> Bitte um Weiterleitung an die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden <strong>des</strong> Regierungsbezirks.<br />

Für die Durchführung <strong>des</strong> Härtefallverfahrens in Zusammenarbeit mit den Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

bitte ich folgende Hinweise zu beachten:


132<br />

1. Gemäß § 23 a AufenthG i.V. mit § 7 HFKVO kann die zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

einem Auslän<strong>der</strong>, <strong>der</strong> vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von<br />

den <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz für einen Aufenthaltstitel festgelegten Erteilungs- und<br />

Verlängerungsvoraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis erteilen, wenn die<br />

Härtefallkommission sie darum ersucht.<br />

Die Befugnis zur Aufenthaltsgewährung steht ausschließlich <strong>im</strong> öffentlichen Interesse<br />

und begründet keine eigenen Rechte <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s. Diesen Grundgedanken<br />

<strong>des</strong> Härtefallverfahrens greift die HFKVO in ihren §§ 1 und 4 auf.<br />

Entsprechend den Vorgaben <strong>des</strong> § 23 a Abs. 2 AufenthG wird die Härtefallkommission<br />

nach § 4 <strong>der</strong> HFKVO ausschließlich <strong>im</strong> Wege <strong>der</strong> Selbstbefassung<br />

tätig.<br />

2. Das bisher praktizierte Antragsverfahren an die Härtefallkommission hat damit<br />

seine Bedeutung verloren. Künftig wird die Härtefallkommission aufgrund von<br />

Anträgen ihrer Mitglie<strong>der</strong> tätig werden. Darüber hinaus hat die Geschäftsstelle<br />

nach § 4 Abs. 3 HFKVO die Möglichkeit, <strong>der</strong> Härtefallkommission sonstige Einzelfälle<br />

vorzulegen.<br />

Sofern einzelne Auslän<strong>der</strong>behörden in beson<strong>der</strong>s gelagerten Einzelfällen ein<br />

Härtefallverfahren nach § 23 a AufenthG anregen wollen, können sie <strong>der</strong> Geschäftsstelle<br />

<strong>der</strong> Härtefallkommission den zugrundeliegenden Sachverhalt mit<br />

einer abschließenden auslän<strong>der</strong>rechtlichen Darstellung und Wertung vortragen.<br />

Die Geschäftsstelle hat dann die Möglichkeit, ggfls. ein Verfahren nach § 4<br />

HFKVO einzuleiten.<br />

3. Nachdem die Härtefallkommission o<strong>der</strong> ein ggfls. von ihr gebildeter Vorprüfungsausschuss<br />

entschieden hat, dass sich die Härtefallkommission mit einem<br />

Einzelfall befassen will, wird die zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde nach § 4 Abs. 2<br />

HFKVO um eine Stellungnahme zu dem dargestellten Sachverhalt und dem<br />

Votum <strong>des</strong> Antrages gebeten, sofern sie das Verfahren nicht selbst angeregt<br />

hat. Über vorgetragene Einzelfälle, mit denen sich die Kommission nicht befasst,<br />

wird die jeweils zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde informiert.


133<br />

4. § 23 a AufenthG begründet keine subjektiv-öffentlichen Rechte <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s,<br />

so dass sich Entscheidungen <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> dieser Vorschrift entsprechenden<br />

verwaltungsgerichtlichen Überprüfungen entziehen. Die Einleitung <strong>des</strong> Beschlussverfahrens<br />

nach § 4 HFKVO ist kein Rechtsbehelf und entfaltet keine<br />

aufschiebende Wirkung in Bezug auf bereits eingeleitete aufenthaltsbeendende<br />

Maßnahmen.<br />

Mit <strong>der</strong> Berichtsauffor<strong>der</strong>ung wird die zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde gebeten,<br />

für die Dauer <strong>der</strong> Durchführung <strong>des</strong> Härtefallverfahrens, <strong>im</strong> Regelfall für nicht<br />

mehr als 8 Wochen ab Vorlage <strong>des</strong> abschließenden Berichts <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde,<br />

<strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> rechtlichen Möglichkeiten von aufenthaltsbeendenden<br />

Maßnahmen abzusehen. Beabsichtigt die Auslän<strong>der</strong>behörde <strong>im</strong> Einzelfall <strong>der</strong><br />

Bitte nicht zu folgen, soll <strong>der</strong> Bericht so frühzeitig vorgelegt werden , dass eine<br />

Befassung <strong>der</strong> Härtefallkommission ermöglicht wird.<br />

5. Nach Auswertung aller entscheidungserheblichen Unterlagen wird ein Antrag<br />

möglichst zeitnah durch die Härtefallkommission beraten. Kommt die Härtefallkommission<br />

nach Abwägung aller Gesichtspunkte zu dem Ergebnis, dass aufgrund<br />

<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Situation <strong>des</strong> Einzelfalles unter Beachtung <strong>der</strong> Voraussetzungen<br />

und Grenzen <strong>des</strong> § 23 a AufenthG dringende humanitäre o<strong>der</strong> dringende<br />

persönliche Gründe den weiteren Aufenthalt <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>in bzw. <strong>des</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>s <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet rechtfertigen, beschließt sie ein Härtefallersuchen.<br />

Härtefallersuchen werden <strong>der</strong> jeweils zuständigen Auslän<strong>der</strong>behörde zeitnah<br />

nach den Sitzungen durch die Geschäftsstelle zugeleitet.<br />

6. Auf <strong>der</strong> Grundlage eines Härtefallersuchens prüft die zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

<strong>im</strong> Einzelfall, ob sie von <strong>der</strong> aufgrund eines Ersuchens bestehenden<br />

rechtlichen Möglichkeit, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, Gebrauch macht.<br />

Sie kann ihre Entscheidung <strong>im</strong> Einzelfall davon abhängig machen, ob <strong>der</strong> Lebensunterhalt<br />

<strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s gesichert ist o<strong>der</strong> ob eine Verpflichtungserklärung<br />

<strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> § 68 AufenthG abgegeben wird. Auf § 7 Abs. 2 HFKVO weise<br />

ich hin.


134<br />

7. Auf die Informationspflicht <strong>des</strong> § 7 Abs. 3 HFKVO mache ich beson<strong>der</strong>s aufmerksam.<br />

Die Auslän<strong>der</strong>behörde informiert das Innenministerium und die Geschäftsstelle<br />

<strong>der</strong> Härtefallkommission über ihre beabsichtigte Entscheidung.<br />

Will sie einem Ersuchen nicht entsprechen, teilt sie dem Innenministerium und<br />

<strong>der</strong> Geschäftsstelle <strong>der</strong> Härtefallkommission vor einer abschließenden Entscheidung<br />

auch die hierfür maßgeblichen Gründe mit. Die Information über ihre<br />

Entscheidung dient zur Vorbereitung einer <strong>Evaluierung</strong> <strong>der</strong> Verordnung.<br />

8. Will die Auslän<strong>der</strong>behörde dem Härtefallersuchen folgen, erteilt sie eine entsprechende<br />

Aufenthaltserlaubnis.<br />

Sofern sie dem Ersuchen nicht folgt, ergeht <strong>im</strong> Hinblick auf die Vorschrift <strong>des</strong> §<br />

23 a Abs. 1 letzter Satz AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 2 <strong>der</strong> HFKVO keine materielle<br />

ablehnende auslän<strong>der</strong>rechtliche Einzelentscheidung mit Außenwirkung.<br />

9. Die Härtefallkommission kann auch <strong>im</strong> Einzelfall Empfehlungen zur Anwendung<br />

<strong>des</strong> geltenden Auslän<strong>der</strong>rechts geben. Über eine Empfehlung <strong>der</strong> Härtefallkommission<br />

wird die zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde ebenfalls zeitnah unterrichtet<br />

werden. Sofern ich die <strong>der</strong> Empfehlung zugrundeliegende Rechtsauffassung<br />

<strong>der</strong> Härtefallkommission nicht teile, werde ich dies <strong>der</strong> zuständigen Behörde <strong>im</strong><br />

Zusammenhang mit <strong>der</strong> Übersendung <strong>der</strong> Empfehlung mitteilen. Wird das Härtefallverfahren<br />

mit einer Empfehlung <strong>im</strong> Einzelfall beendet, bitte ich die Informationspflicht<br />

<strong>des</strong> § 7 Abs. 3 HFKVO analog anzuwenden, wenn die Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

beabsichtigt, einer Empfehlung nicht zu folgen.<br />

10. Die Geschäftsstelle wird Eingangsbestätigungen nach dem beiliegenden Muster<br />

erteilen. Den zuständigen Auslän<strong>der</strong>behörden werden die Voten <strong>der</strong> Härtefallkommission<br />

rechtzeitig mitgeteilt.<br />

Sie informieren die betroffenen Auslän<strong>der</strong> über das Ergebnis <strong>des</strong> Härtfallverfahrens.<br />

In diesem Zusammenhang ist darauf Bedacht zu nehmen, dass in schriftlichen<br />

Informationen nicht <strong>der</strong> Anschein erweckt wird, es handele sich um erneute<br />

materielle Entscheidungen <strong>im</strong> Einzelfall.


135<br />

11. Das Beratungs- und Beschlussverfahren nach § 6 HFKVO soll ab <strong>der</strong> Berichtsauffor<strong>der</strong>ung<br />

nicht länger als 3 Monate in Anspruch nehmen. Um dieses<br />

Ziel zu erreichen, soll <strong>der</strong> Schriftwechsel direkt mit <strong>der</strong> zuständigen Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

erfolgen. Berichte sollen innerhalb von 4 Wochen möglichst unter<br />

Verwendung <strong>des</strong> beiliegenden Vordrucks vorgelegt werden. Die Bezirksregierungen<br />

werden durch Kopien <strong>der</strong> vorgelegten Berichte von den Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

informiert.<br />

12. Die Geschäftsstelle <strong>der</strong> Härtefallkommission ist unter <strong>der</strong> Telefax-Nr. 0211/871-<br />

2348 sowie unter folgenden Rufnummern zu erreichen:<br />

Herr Weber 0211/871-2991<br />

Frau Stursberg-Königs 0211/871-2380<br />

Herr Bachmann 0211/871-2381<br />

Ich bitte, die Auslän<strong>der</strong>behörden <strong>des</strong> Regierungsbezirks entsprechend zu informieren.<br />

Im Auftrag


136<br />

Entscheidungsgrundsätze für die Arbeit <strong>der</strong><br />

Härtefallkommission be<strong>im</strong> Innenministerium<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nordrhein-Westfalen<br />

Aufgrund <strong>des</strong> § 23 a Absatz 2 <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vom 30. Juli 2004<br />

(BGBl. I S. 1950) hat die Lan<strong>des</strong>regierung die Verordnung zur Einrichtung einer Härtefallkommission<br />

nach § 23 a <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes und zur Regelung <strong>des</strong> Verfahrens<br />

(Härtefallkommissionsverordnung – HFKVO -) erlassen und be<strong>im</strong> Innenministerium<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nordrhein-Westfalen eine Härtefallkommission <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> § 23 a<br />

AufenthG eingerichtet. Damit ist in Nordrhein-Westfalen die Rechtsgrundlage geschaffen<br />

worden, in beson<strong>der</strong>s gelagerten Fällen bei Vorliegen dringen<strong>der</strong> humanitärer<br />

o<strong>der</strong> persönlicher Gründe abweichend von den allgemeinen Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen<br />

für einen Aufenthaltstitel eine Aufenthaltserlaubnis an<br />

vollziehbar ausreisepflichtige Auslän<strong>der</strong> zu erteilen. Das Härtefallverfahren ist durch<br />

eine zweistufige Entscheidungsstruktur gekennzeichnet. Richtet die Härtefallkommission<br />

ein Ersuchen an die nach <strong>der</strong> Härtefallkommissionsverordnung zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde,<br />

kann diese, gestützt auf die neue Rechtsgrundlage, abweichend von<br />

den sonst <strong>im</strong> Gesetz festgelegten Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen<br />

eine Aufenthaltserlaubnis erteilen.<br />

Unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Vorgaben <strong>des</strong> § 23 a AufenthG und <strong>der</strong> Härtefallkommissionsverordnung<br />

geben sich die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kommission die nachstehenden Entscheidungsgrundsätze.<br />

Hierbei ist sich die Härtefallkommission <strong>der</strong> Schwierigkeit<br />

bewusst, abstrakte Entscheidungsleitlinien für ihre Arbeit festzuschreiben. Aufgrund<br />

ihrer bisherigen Entscheidungspraxis soll jedoch die Arbeit unter Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> nachstehenden Grundsätze fortgeführt und weiter entwickelt werden.<br />

Bezogen auf die folgenden Entscheidungsgrundsätze ist das Einvernehmen mit dem<br />

Innenministerium gem. § 8 Abs. 1 HFKVO am 13. 12. 2005 hergestellt.


137<br />

Formelle Aspekte <strong>der</strong> Entscheidungsfindung<br />

und Beschlussverfahren:<br />

Einmaligkeit <strong>der</strong> Befassung<br />

1. Die Kommission beschäftigt sich nur einmal mit einem vorgetragenen Einzelfall.<br />

Eine erneute Befassung erfolgt nur, wenn sich <strong>der</strong> Sachverhalt o<strong>der</strong> die<br />

Rechtslage entscheidungserheblich verän<strong>der</strong>t haben.<br />

Verschwiegenheitspflicht - § 6 Abs. 2 Satz 5 HFKVO<br />

2. Die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kommission bewahren über die <strong>im</strong> Härtefallverfahren bekannt<br />

gewordenen Fakten sowie über das Diskussions- und Abst<strong>im</strong>mungsverhalten<br />

in <strong>der</strong> Kommission absolutes Stillschweigen. Die Information <strong>der</strong> Betroffenen<br />

erfolgt ausschließlich durch die Geschäftsstelle über die zuständige<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde.<br />

Vorprüfung - §§ 3 Abs. 3 und 6 Abs. 2 HFKVO<br />

3. Ein Vorprüfungsausschuss als Teil <strong>der</strong> Härtefallkommission ist eingerichtet.<br />

Seine Einrichtung hat sich bewährt und ist für die Bewältigung <strong>der</strong> zu beurteilenden<br />

Fallzahlen unerlässlich. Die Mitglie<strong>der</strong> <strong>des</strong> Vorprüfungsausschusses<br />

orientieren sich bei ihren Voten an den einschlägigen Rechtsgrundlagen und<br />

den folgenden Entscheidungsgrundsätzen. Über die Arbeit <strong>des</strong> Vorprüfungsausschusses<br />

wird in <strong>der</strong> Härtefallkommission kontinuierlich berichtet. In <strong>der</strong><br />

Härtefallkommission besteht Einigkeit, dass von einzelnen Mitglie<strong>der</strong>n eingebrachte<br />

Anliegen zunächst durch den Vorprüfungsausschuss geprüft werden.


138<br />

Materielle Entscheidungsgrundsätze:<br />

Allgemeine <strong>Rahmen</strong>bedingungen<br />

4. Bei einem Härtefallersuchen handelt es sich um ein Votum werten<strong>der</strong> Art<br />

durch ein weisungsfreies Gremium. Die Härtefallkommission wird ausschließlich<br />

<strong>im</strong> Wege <strong>der</strong> Selbstbefassung tätig. Da es sich bei den betreffenden Personen<br />

um vollziehbar Ausreisepflichtige handelt, <strong>der</strong>en Anträge in aller Regel<br />

bereits <strong>im</strong> Gerichtsverfahren eingehend geprüft worden sind, ist bei <strong>der</strong> Beurteilung<br />

<strong>der</strong> Frage, ob dringende humanitäre o<strong>der</strong> persönliche Gründe den weiteren<br />

Aufenthalt eines ausreisepflichtigen Auslän<strong>der</strong>s rechtfertigen, ein strenger<br />

Maßstab anzulegen.<br />

Härtefall - Kriterien zur Feststellung dringen<strong>der</strong> humanitärer o<strong>der</strong> persönlicher<br />

Gründe<br />

5. Voraussetzung für einen Härtefall ist ein atypischer Sachverhalt, <strong>der</strong> sich deutlich<br />

durch die für den Betroffenen belastenden Beson<strong>der</strong>heiten von <strong>der</strong> Vielzahl<br />

möglicher vergleichbarer Fälle abhebt.<br />

Die Kommission geht insoweit davon aus, dass für eine Ersuchensentscheidung<br />

bei umfassen<strong>der</strong> Würdigung aller <strong>im</strong> Einzelfall relevanten Umstände eine<br />

so außergewöhnliche Situation vorliegen muss, dass nach Abwägung zwischen<br />

dem öffentlichen Interesse an <strong>der</strong> Durchsetzung einer Ausreisepflicht<br />

und den persönlichen Belangen <strong>der</strong> Betroffenen an einem weiteren Aufenthalt<br />

<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet, das öffentliche Interesse aus humanitären Erwägungen zurückstehen<br />

muss.<br />

Strafrechtlich relevante Handlungen Betroffener sowie Täuschungen über aufenthaltsrechtlich<br />

relevante Umstände führen in diesem Zusammenhang<br />

grundsätzlich zu einer deutlichen Verstärkung <strong>des</strong> öffentlichen Interesses.


139<br />

Darüber hinaus wird das öffentliche Interesse in <strong>der</strong> Regel überwiegen, wenn<br />

<strong>der</strong> betreffende Auslän<strong>der</strong> durch organisierte Kr<strong>im</strong>inalität in die Bun<strong>des</strong>republik<br />

Deutschland eingeschleust wurde o<strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Ausreise durch Untertauchen<br />

entzogen hat.<br />

6. Bei <strong>der</strong> Prüfung <strong>der</strong> Frage, ob ein Härtefallersuchen an die zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

gerichtet wird, stehen humanitäre Erwägungen, die in <strong>der</strong> Person<br />

<strong>des</strong> Betroffenen sowie <strong>des</strong>sen Angehörigen liegen, <strong>im</strong> Vor<strong>der</strong>grund. Der<br />

Frage einer wirtschaftlichen und sozialen Integration <strong>der</strong> hier lebenden Auslän<strong>der</strong><br />

kommt neben <strong>der</strong> Aufenthaltsdauer in <strong>der</strong> Gesamtschau aller Aspekte<br />

eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung zu.<br />

Die Härtefallkommission wird aber in ihrer Praxis darauf achten, dass das humanitäre<br />

Institut <strong>des</strong> § 23 a AufenthG nicht ausschließlich unter integrativen<br />

Aspekten in Anspruch genommen wird.<br />

Die Zielsetzungen aus Artikel 6 <strong>des</strong> Grundgesetzes und Artikel 8 <strong>der</strong> Europäischen<br />

Menschenrechtskonvention –EMRK – können, ebenso wie an<strong>der</strong>e Lebenssituationen,<br />

vor allem Aspekte <strong>der</strong> sozialen und wirtschaftlichen Integration<br />

in die hiesigen Lebensverhältnisse, zu einem positiven Votum <strong>der</strong> Kommission<br />

führen. In diesem Zusammenhang dient die Best<strong>im</strong>mung <strong>des</strong> § 23 a Aufenthaltsgesetz<br />

aber nicht dem Ausgleich jeglicher Schwierigkeiten und Härten,<br />

die durch das normierte System entstehen.<br />

Ehemalige Min<strong>der</strong>jährige, die in Deutschland aufgewachsen sind<br />

7. Aufgrund <strong>der</strong> Zeitläufe nach den großen Migrationswellen <strong>der</strong> neunziger Jahre<br />

spielen Verfahren für min<strong>der</strong>jährig eingereiste, inzwischen erwachsene Auslän<strong>der</strong>innen<br />

und Auslän<strong>der</strong>, die ihre Sozialisation <strong>im</strong> wesentlichen durch die<br />

hiesigen Lebensverhältnisse erfahren haben, bei <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> Kommission<br />

eine große Rolle. Die Vorschriften <strong>des</strong> AufenthG bieten nicht die Möglichkeit,<br />

Integrationsleistungen wie gute Leistungen in Schule, Ausbildung o<strong>der</strong> Beruf<br />

und die mit <strong>der</strong> Loslösung junger Erwachsener aus dem Familienverbund unter<br />

Umständen verbundenen erheblichen psychischen Beeinträchtigungen zu


140<br />

berücksichtigen. Bei <strong>der</strong> Beurteilung <strong>im</strong> Einzelfall kommt es darauf an, ob aufgrund<br />

bisher gezeigter Leistungen in Schule, Ausbildung o<strong>der</strong> Beruf, eine Integration<br />

in die hiesigen Lebensbedingungen zu erwarten ist.<br />

Zielstaatsbezogene Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse<br />

8. Der Härtefallkommission ist bewusst, dass sich die Situation in den Zielstaaten<br />

aufgrund <strong>der</strong> <strong>im</strong> Asylverfahrensgesetz normierten Bindung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

an die Entscheidungen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes für Migration und Flüchtlinge<br />

ihrer Beurteilung entzieht.<br />

Inlandsbezogene Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse<br />

9. Die Beurteilung vorgetragener gesundheitlicher Beeinträchtigungen, aufgrund<br />

<strong>der</strong>er ein Verbleib <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet geltend gemacht wird, bereitet <strong>im</strong> Einzelfall<br />

große Probleme. Die Härtefallkommission wird wie bisher an die Qualität<br />

vorgelegter ärztlicher Bescheinigungen und Gutachten einen hohen Maßstab<br />

anlegen. Gesundheitliche Beeinträchtigungen allein werden nur in extremen<br />

Son<strong>der</strong>situationen dazu führen können, ein Aufenthaltsrecht zu gewähren.<br />

Beachtung zentraler auslän<strong>der</strong>rechtlicher Vorgaben<br />

10. Die Härtefallkommission beachtet in ihrer Arbeit Grundsatzentscheidungen<br />

<strong>des</strong> Gesetzgebers, die obergerichtliche Rechtsprechung, Beschlüsse <strong>der</strong> ständigen<br />

Konferenz <strong>der</strong> Innenminister und –senatoren <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> und <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong><br />

(IMK ) <strong>im</strong> Hinblick auf die Gewährung eines humanitären Aufenthaltsrechtes<br />

für best<strong>im</strong>mte Gruppen sowie <strong>der</strong>en lan<strong>des</strong>rechtliche Umsetzung durch Erlasse<br />

<strong>des</strong> IM NRW.


141


142<br />

Sprung, Hartmut<br />

Abteilungspräsident<br />

23. März 2006<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> <strong>Evaluierung</strong> <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

am 30. und 31. März 2006<br />

3. Thema: Humanitäre Aufenthalte, Bleiberechtsregelungen, Asylverfahren, Illegalität<br />

3.1 Humanitäre Aufenthalte<br />

Der Aufenthalt aus humanitären Gründen ist seit dem 01.01.2005 in § 25 AufenthG geregelt:<br />

3.1.1 § 25 Abs. 1 AufenthG – Asylanerkennungen, drei Jahre Aufenthaltserlaubnis, Wi<strong>der</strong>ruf/Rücknahme<br />

nach § 73 Abs. 2 a AsylvfG, Wi<strong>der</strong>ruf <strong>des</strong> Aufenthaltstitels durch ABH nach<br />

§ 52 Abs. 1 Ziff. 4 AufenthG möglich<br />

• Zahlen<br />

In 2005 lag die Quote <strong>der</strong> Asylanerkennungen bei 0,9 %, in 2004 bei 1,5 %. Der Rückgang ist auf<br />

die zum Teil eingetretenen Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> politischen Lage in den HKL zurückzuführen.<br />

Entscheidungen Wi<strong>der</strong>rufs-/Rücknahmeverfahren in 2005 insgesamt: 11.181<br />

davon Irak: 7.189<br />

Türkei: 514<br />

Serbien u. Montenegro: 1.254<br />

Sri Lanka: 716<br />

Afghanistan: 272<br />

Entscheidungen Wi<strong>der</strong>ruf/Rücknahme Art. 16a GG in 2005 insgesamt: 2.631<br />

• Vollzugsfragen<br />

Stärkste HKL bei Wi<strong>der</strong>ruf sind: Irak, Türkei, Serbien-Montenegro, Sri Lanka, Afghanistan. Die Einleitung<br />

von Wi<strong>der</strong>rufsverfahren orientiert sich z.B. bei Afghanistan <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> eines abgestuften Verfahrens<br />

an <strong>der</strong> Beschlusslage <strong>der</strong> IMK, wonach vorrangig die Anerkennungen von Straftätern und solchen<br />

Personen überprüft werden, die sich in jüngerer Vergangenheit wie<strong>der</strong>holt <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland aufgehalten<br />

haben. Gemäß IMK-Beschluss werden zudem prioritär auch Wi<strong>der</strong>rufe für ledige Männer zwischen 18<br />

und 65 Jahren geprüft.<br />

• Rechtsprechung<br />

Das BVerwG hat in seinem Urteil vom 01.11.2005 ausgeführt, dass § 73 Abs. 2 a AsylVfG n.F. eine zukunftsorientierte<br />

Regelung darstelle. Sie könne sich nur auf Fälle beziehen, in denen bei Inkrafttreten <strong>der</strong><br />

Vorschrift we<strong>der</strong> ein Wi<strong>der</strong>ruf noch eine Rücknahme erfolgt war. Offengelassen hat das BVerwG, ob die<br />

Vorschrift erst in Wi<strong>der</strong>rufsverfahren zu beachten ist, die auf Anerkennungen erfolgen, die nach dem<br />

01.01.2005 ausgesprochen worden sind.<br />

Seite 142 von


143<br />

3.1.2 § 25 Abs. 2 AufenthG – Aufenthaltserlaubnis wegen Flüchtlingsanerkennung nach § 60 Abs. 1<br />

AufenthG<br />

• Zahlen<br />

In 2005 lag die Quote <strong>der</strong> Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG bei 4,3 % , in<br />

2004 (§ 51 Abs. 1 AuslG alt) bei 1,8 %. Von den in 2005 insgesamt ergangenen 2.053 positiven Feststellungen<br />

zu § 60 Abs. 1 AufenthG entfielen 76 % auf den Familienabschiebeschutz nach § 26 Abs. 4 AsylVfG.<br />

Entscheidungen Wi<strong>der</strong>ruf/Rücknahme zu § 60 Abs. 1 AufenthG in 2005: 6.932<br />

Geschlechtsspezfische Verfolgung in 2005 (positive Entscheidungen zu § 60 Abs. 1 AufenthG):<br />

Insgesamt: 59 Personen<br />

- davon staatliche: 26 Personen<br />

- davon nichtstaatl.: 33 Personen<br />

In 17 weiteren Fällen vorgetragener geschlechtsspezifischer Verfolgung wurde eine positive Feststellung<br />

nach § 60 Abs. 7 AufenthG getroffen.<br />

Nichtstaatliche Verfolgung 2005 (positive Entscheidungen zu § 60 Abs. 1 AufenthG):<br />

Insgesamt: 65 Personen<br />

• Rechtsfolgenabschätzung/Fazit<br />

Ein Vergleich <strong>der</strong> bereinigten Schutzquote zu § 60 Abs. 1 AufenthG (ohne Familienabschiebeschutz) mit<br />

<strong>der</strong> Schutzquote zu § 51 Abs. 1 AuslG alt zeigt, dass die Neuregelung <strong>des</strong> § 60 Abs. 1 AufenthG (staatl.,<br />

nichtstaatl., geschlechtsspezifische Verfolgung) keine Auswirkungen auf die Schutzquote <strong>des</strong> § 60 Abs. 1<br />

AufenthG hat. Während die Schutzquote nach § 51 Abs. 1 AuslG alt in 2004 ca. 1,8 % betragen hat, liegt<br />

die bereinigte Schutzquote zu § 60 Abs. 1 AufenthG in 2005 bei ca. 0,9 %. Dies ist auf die zum Teil eingetretenen<br />

Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> politischen Lage in den HKL zurückzuführen.<br />

Im Hinblick auf § 73 Abs. 2 a AsylVfG wird das Bun<strong>des</strong>amt <strong>im</strong> Laufe von 2007 mit vorbereitenden Prüfungen<br />

beginnen, um <strong>der</strong> gesetzlichen Pflicht zu genügen. Der Focus liegt hierbei auf Personen mit einer<br />

Asylanerkennung nach dem 01.01.2005 (in 2005 76 Personen) und anerkannten Flüchtlingen nach § 51<br />

AuslG alt bzw. § 60 Abs. 1 AufenthG, bei denen die Erteilung einer Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis (Verfestigung<br />

<strong>des</strong> Aufenthaltes) ansteht.<br />

3.1.3 § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG – Aufenthaltserlaubnis bei Gewährung von subsidiärem Schutz<br />

nach § 60 Abs. 2, 3, 5 o<strong>der</strong> 7 AufenthG<br />

• Zahlen<br />

In 2005 lag die Quote <strong>der</strong> Feststellung von subsidiärem Schutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bei 1,4<br />

%, in 2004 (§ 53 Abs. 1 bis 6 AuslG alt) bei 1,6 %.<br />

In 2004 wurden 3.785 isolierte Anträge nach § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG alt, in 2005 2.780 isolierte Anträge<br />

nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG be<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>amt gestellt.<br />

Entscheidungen Wi<strong>der</strong>ruf/Rücknahme zu<br />

§ 60 Abs. 2, 3, 5, 7 AufenthG in 2005: 1.016<br />

Seite 143 von


144<br />

• Beteiligung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes nach § 72 Abs. 2 AufenthG bei Feststellung von subsidiärem<br />

Schutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG durch die ABHen<br />

Im Jahr 2005 gab es hierzu 2.292 Anfragen; 1.624 Stellungnahmen wurden vom Bun<strong>des</strong>amt gefertigt.<br />

Hauptherkunftslän<strong>der</strong> sind Serbien und Montenegro sowie Bosnien und Herzegowina. Ganz überwiegend<br />

wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung vorgetragen. Inhaltlich werden auch<br />

schwerpunktmäßig Abschiebungsverbote wegen <strong>der</strong> allgemeinen Lage einer Min<strong>der</strong>heit, aber auch Herz-<br />

Kreislauferkrankungen o<strong>der</strong> Epilepsie geltend gemacht.<br />

Erledigung<br />

innerhalb<br />

Bearbeitungsdauer § 72 Abs. 2 AufenthG 2005<br />

1 Monat 3 Monate 6 Monate<br />

39,5 % 63,5 % 90,5%<br />

3.1.4 § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG - Aufenthaltserlaubnis wegen dringen<strong>der</strong> humanitärer o<strong>der</strong> persönlicher<br />

Gründe, wegen erheblichen öffentlichen Interessen o<strong>der</strong> wegen Unmöglichkeit <strong>der</strong><br />

Ausreise aus rechtlichen o<strong>der</strong> tatsächlichen Gründen<br />

Die Rechtsprechung betrifft hier ganz überwiegend die Frage, ob ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis<br />

nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG besteht. Dabei geht es häufig darum, ob den Betroffenen eine<br />

freiwillige Ausreise zumutbar ist. Diese Problematik war auch schon bei <strong>der</strong> Regelung nach § 30 Abs. 3<br />

AuslG alt relevant. Soweit hier zielstaatsbezogene Gründe geltend gemacht werden, können diese bei (ehemaligen)<br />

Asylbewerbern nur gegenüber dem Bun<strong>des</strong>amt geltend gemacht werden. Bei <strong>der</strong> Zumutbarkeitsfrage<br />

ist <strong>der</strong> Schutz von Ehe und Familie einzubeziehen.<br />

Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Prüfung <strong>der</strong> allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen, wie etwa<br />

Passpflicht und Ausweisungsgründe, <strong>im</strong> Verhältnis zu den speziellen Voraussetzungen.<br />

Nach Auffassung <strong>des</strong> OVG Nie<strong>der</strong>sachsen findet § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG entgegen <strong>der</strong> Vorläufigen<br />

Anwendungshinweise <strong>des</strong> BMI auch auf vollziehbar ausreisepflichtige Auslän<strong>der</strong> Anwendung.<br />

3.1.5 Kettenduldungen<br />

Entgegen <strong>der</strong> ursprünglichen Fassung <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes wurden Kettenduldungen nicht vollständig<br />

abgeschafft.<br />

3.2 Bleiberechtsregelungen<br />

Von dieser Möglichkeit ist verschiedentlich durch Beschlüsse <strong>der</strong> Ständigen Konferenz <strong>der</strong> Innenminister<br />

und –senatoren durch den Erlass von Altfall- o<strong>der</strong> Härtefallregelungen Gebrauch gemacht worden. So<br />

wurde zuletzt mit IMK-Beschluss vom 19.11.1999 ein Bleiberecht für Asylbewerber mit langjährigem<br />

Aufenthalt beschlossen. Als begünstigter Personenkreis und damit als „Altfall“ wurden in dieser Regelung<br />

Familien und Alleinstehende mit Kin<strong>der</strong>n, die vor dem 01.07.1993 eingereist sind sowie Alleinstehende<br />

bei Einreise vor dem 01.01.1990 festgelegt.<br />

Der Erlass einer weiteren „Altfallregelung“ wird <strong>der</strong>zeit diskutiert.<br />

Seite 144 von


3.3 Asylrecht<br />

• Verfahrensdauer<br />

Gesamtbearbeitungsdauer 2004/2005<br />

145<br />

1 Monat 3 Monate 6 Monate<br />

Ist Ist Ist<br />

2004<br />

alle HKL<br />

34,4 % 62,4 % 80,2 %<br />

2005<br />

alle HKL<br />

27,8 % 63,2 % 81,6 %<br />

Anmerkung: Berücksichtigt wurden die ab dem 01.01.2003 gestellten Asylanträge (Umstellung <strong>der</strong> Statistik<br />

von Verfahrens- auf Bearbeitungsdauer). Bei <strong>der</strong> Berechnung <strong>der</strong> Bearbeitungsdauer bleiben für HKL, die<br />

mit einem Entscheidungsstopp belegt werden, die Zeiten <strong>des</strong> Entscheidungsstopps unberücksichtigt.<br />

Gründe für den Rückgang <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> einmonatigen Verfahrenserledigungen sind:<br />

• Deutlich verringerte Aktenumlaufmenge sowie Verdichtung schwieriger Fälle.<br />

• 28 % aller Erstanträge betreffen Meldungen <strong>der</strong> ABH’en nach § 14a Abs. 2 AsylVfG (Familieneinheit).<br />

Diese Fälle können i.d.R. auf Grund <strong>des</strong> erfor<strong>der</strong>lichen zu gewährenden rechtlichen Gehörs<br />

und abzuwarten<strong>der</strong> Rückantworten <strong>der</strong> Eltern nicht innerhalb eines Monats erledigt werden.<br />

Anstieg <strong>der</strong> Anhörungen in Folgeverfahren (Zunahme informatorischer Anhörungen gerade auch hinsichtlich<br />

Vortrag von gesundheitlichen Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen).<br />

3.3.1 Familieneinheit § 14a AsylVfG<br />

• Zahlen<br />

Im Jahr 2005 wurden insgesamt 8.110 Asylantragsfiktionen nach § 14a AsylVfG registriert. Bei 28.914<br />

Asylerstanträgen lag die Quote <strong>der</strong> § 14a-Fälle damit bei ca. 28%. Nach Einschätzung <strong>der</strong> Außenstellen<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes entfallen über 90% aller § 14a-Fälle auf sogenannte Altfälle nach Abs. 2, die von den<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden gemeldet werden. Altfälle sind solche, in denen die Einreise o<strong>der</strong> Geburt <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong><br />

vor dem 01.01.2005 lag.<br />

• Vollzugsfragen<br />

Die Verteilung <strong>der</strong> Asylantragsfiktionen auf die Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> lässt vermuten, dass von <strong>der</strong> Neuregelung<br />

unterschiedlich Gebrauch gemacht wird. So entfallen 2.513 Asylantragsfiktionen auf NRW, 1.505 auf<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen, 1.084 auf Baden-Württemberg und 711 auf Hessen. Für Brandenburg wurden lediglich 38<br />

Asylantragsfiktionen registriert.<br />

• Rechtsfragen<br />

Der § 14a Abs. 2 AsylVfG ist nach seinem Wortlaut zunächst auf alle Kin<strong>der</strong> anwendbar, die seit dem<br />

01.01.2005 einreisen o<strong>der</strong> in Deutschland geboren werden, wenn ein Elternteil nach Stellung eines Asylantrages<br />

eine Aufenthaltsgestattung besitzt o<strong>der</strong> sich nach Abschluss seines Asylverfahrens ohne Aufenthaltstitel<br />

o<strong>der</strong> mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet aufhält.<br />

Der § 14a Abs. 2 AsylVfG wird vom Bun<strong>des</strong>amt auch auf Fälle angewendet, bei denen <strong>der</strong> Zeitpunkt <strong>der</strong><br />

Geburt/Einreise <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> zwar vor dem 01.01.2005 liegt, die Anzeige jedoch nach dem In-Kraft-Treten<br />

<strong>der</strong> Neuregelung erfolgt.<br />

3.3.2 Mitwirkungspflichten bei <strong>der</strong> Weiterleitung (§§ 20 Abs. 2, 22 Abs. 3, 23 Abs. 2 AsylVfG)<br />

Seite 145 von


• Zahlen<br />

146<br />

Das Bun<strong>des</strong>amt hat <strong>im</strong> Jahr 2005 insgesamt 99 Asylerstanträge als Asylfolgeantrag bewertet. Im Verhältnis<br />

zu 28.914 Asylerstanträgen ergibt sich für die fiktiven Folgeanträge lediglich eine Quote von etwa<br />

0,34%. Dies zeigt, dass die Regelungen keine größere praktische Relevanz haben.<br />

• Vollzugsfragen<br />

Die für die Anwendung <strong>der</strong> Regelung erfor<strong>der</strong>lichen Belehrungen hat das Bun<strong>des</strong>amt den Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n<br />

in deutsch und in den 55 Hauptherkunftssprachen zur Verfügung gestellt. Außerdem sind die Belehrungen<br />

auch <strong>im</strong> Internet eingestellt. Alle Behörden, die einen Asylsuchenden weiterleiten, können darauf<br />

zugreifen.<br />

3.3.3 Familienabschiebungsschutz nach § 26 Abs. 4 AsylVfG<br />

• Zahlen<br />

Im Jahr 2005 hat das Bun<strong>des</strong>amt insgesamt 1.614 Personen Familienabschiebungsschutz gewährt. Dies<br />

sind 76 % aller positiven Entscheidungen zu § 60 Abs. 1 AufenthG in 2005.<br />

• Regelungsbedarf<br />

Im Entwurf <strong>des</strong> Zweiten Än<strong>der</strong>ungsgesetzes ist vorgesehen, die Jahresfrist <strong>des</strong> Abs. 2 Satz 2 zu streichen.<br />

Dadurch könnten auch Kin<strong>der</strong> den Status noch erhalten, die nach <strong>der</strong> bisherigen Regelung keinen Anspruch<br />

hatten. Auch diese Rechtsän<strong>der</strong>ung könnte <strong>im</strong> Wege eines Folgeantrages geltend gemacht werden.<br />

• Fazit<br />

Die Regelung <strong>des</strong> Familienabschiebungsschutzes hat in <strong>der</strong> Praxis keine beson<strong>der</strong>en Probleme aufgeworfen,<br />

das Bun<strong>des</strong>amt hat in anhängigen Klageverfahren abgeholfen soweit die Eltern o<strong>der</strong> Ehegatten bereits<br />

Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG erhalten hatten und diese Entscheidung nicht zu wi<strong>der</strong>rufen<br />

war.<br />

3.3.4 Nachfluchttatbestände nach § 28 Abs. 2 AsylVfG<br />

• Zahlen<br />

Zu <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Fälle, in denen eine positive Entscheidung nach § 60 Abs. 1 AufenthG wegen <strong>der</strong> Regelung<br />

<strong>des</strong> § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht erfolgen konnte, lassen sich keine Angaben machen, da die Entscheidungsgründe<br />

statistisch nicht geson<strong>der</strong>t auswertbar sind. Eine Rechtsfolgenabschätzung ist daher<br />

nicht möglich.<br />

• Rechtsfragen<br />

Insbeson<strong>der</strong>e UNHCR sieht in <strong>der</strong> Vorschrift eine Regelvermutung, dass dem Betroffenen keine Verfolgung<br />

droht. Wird <strong>im</strong> Verfahren eine drohende Verfolgung festgestellt, solle eine Flüchtlingsanerkennung<br />

erfolgen. Diese Auffassung lässt sich allerdings mit dem Wortlaut <strong>der</strong> Vorschrift nicht vereinbaren.<br />

3.3.5 Wi<strong>der</strong>ruf/Rücknahme – Regelüberprüfung nach § 73 Abs. 2a AsylVfG<br />

• Rechtsfragen<br />

Die Drei-Jahres-Frist <strong>des</strong> § 73 Abs. 2a AsylVfG beginnt bei „Altfällen“, bei denen vor dem 01.01.2005<br />

die Voraussetzungen <strong>des</strong> § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt wurden, mit dem 01.01.2005 zu laufen, da die<br />

Zeiten einer Aufenthaltsbefugnis mangels Übergangsvorschrift bei <strong>der</strong> Drei-Jahres-Frist nicht angerech-<br />

Seite 146 von


147<br />

net werden. Die Überprüfung ist wegen <strong>der</strong> Akzessorität zu § 26 Abs. 3 AufenthG somit erst Ende 2007<br />

erfor<strong>der</strong>lich und sinnvoll (enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Regelüberprüfung und Erteilung <strong>der</strong><br />

Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis).<br />

Im Hinblick auf den in § 60 Abs. 1 AufenthG aufgenommenen Verweis auf die GFK wurde außerdem<br />

vertreten, wegen <strong>der</strong> „Wegfall-<strong>der</strong>-Umstände-Klausel“ <strong>des</strong> Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK könne beispielsweise<br />

bei Kosovo, dem Irak und Afghanistan kein Wi<strong>der</strong>ruf <strong>der</strong> Flüchtlingsanerkennung erfolgen, da in<br />

diesen Län<strong>der</strong>n keine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden sei, die Schutz vor Verfolgung gewähren<br />

könnte.<br />

• Rechtsprechung<br />

Das Bun<strong>des</strong>verwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 01.11.2005 dargelegt, dass § 73 Abs. 2a AsylVfG<br />

auf vor dem 01.01.2005 ergangene Wi<strong>der</strong>rufsentscheidungen keine Anwendung finde. Das Gericht<br />

hat dabei offen gelassen, ob die Regelung darüber hinausgehend nur für den Wi<strong>der</strong>ruf von Anerkennungsbescheiden<br />

gelten soll, die nach dem 01.01.2005 ergangen sind.<br />

Außerdem hat das BVerwG klar gestellt, dass § 73 Abs. 1 AsylVfG seinem Inhalt nach Art. 1 C Nr. 5<br />

Satz 1 GFK entspricht. Dies entspricht <strong>der</strong> vom Bun<strong>des</strong>amt vertretenen Position.<br />

3.3.6 Nichtstaatliche Verfolgung bei § 60 Abs. 1 AufenthG<br />

• Rechtsfragen/Rechtsprechung<br />

Zur Auslegung <strong>des</strong> Begriffs <strong>der</strong> nichtstaatlichen Verfolgung vertritt das VG Regensburg die Auffassung,<br />

<strong>der</strong> Tatbestand <strong>des</strong> § 60 Abs. 1 AufenthG setze voraus, dass die Verfolgung von Gruppen ausgehe, die<br />

dem Staat o<strong>der</strong> den Parteien o<strong>der</strong> Organisationen ähnlich seien. Dies sei jedoch bei Verfolgung durch<br />

Familienmitglie<strong>der</strong> nicht <strong>der</strong> Fall. Das OVG Schleswig-Holstein hat mit Beschluss vom 26.08.2005 in<br />

einem Verfahren wegen Blutrache/Ehrenmord die Berufung zugelassen, um grundsätzlich zu klären, ob<br />

Privatpersonen nichtstaatliche Akteure <strong>im</strong> Sinn von § 60 Abs. 1 Satz 4c) AufenthG sein können.<br />

• Fazit<br />

Die Rechtsprechung <strong>des</strong> VG Regensburg stellt eine Min<strong>der</strong>meinung dar, die we<strong>der</strong> vom Bun<strong>des</strong>amt noch<br />

von <strong>der</strong> übrigen Rechtsprechung geteilt wird. Der Hauptanwendungsfall <strong>der</strong> Neuregelung, eine staatliche<br />

Schutzunfähigkeit, insbeson<strong>der</strong>e in einer Bürgerkriegssituation, spielt in <strong>der</strong> Praxis bisher nur eine untergeordnete<br />

Rolle<br />

3.3.7 Geschlechtsspezifische Verfolgung bei § 60 Abs. 1 AufenthG<br />

• Zahlen<br />

Von den <strong>im</strong> Jahr 2005 439 erfolgten positiven Feststellungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG (ohne Familienabschiebe-schutz)<br />

wurde in 26 Fällen (Personen) eine staatliche und in 33 Fällen eine nichtstaatliche geschlechtsspezifische<br />

Verfolgung bejaht.<br />

• Rechtsprechung<br />

Der Rechtsprechung lässt sich noch keine klare Tendenz entnehmen. Der Hessische VGH hat in seinem<br />

Urteil vom 23.03.2005 <strong>im</strong> Hinblick auf drohende Genitalverstümmelung in Sierra Leone alle Frauen in<br />

diesem Land als soziale Gruppe eingestuft. Das VG Frankfurt/Main hat dies mit Urteil vom 23.08.2005<br />

Seite 147 von


148<br />

entsprechend für Frauen in Pakistan entschieden. Alleinstehende Frauen aus Afghanistan, die Opfer außerehelicher<br />

Übergriffe wurden, hat das VG Dresden als soziale Gruppe definiert.<br />

3.4 Illegalität<br />

Das Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge wird zu diesem Themenkomplex eine Forschungsstudie<br />

„Illegal aufhältige Drittstaatsangehörige in Deutschland“ <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> Europäischen Migrationsnetzwerkes<br />

herausgegeben.<br />

3.4.1 Es gibt keine Legaldefinition, son<strong>der</strong>n lediglich Regelungen für Einreise und Aufenthalt.<br />

3.4.2 Vollzugsfragen <strong>im</strong> Zusammenhang mit ed-Behandlung bei illegal aufhältigen Migranten<br />

Ermächtigungsgrundlage für die ED-Behandlung illegal aufhältiger Auslän<strong>der</strong> in Deutschland war zunächst<br />

§ 41 AuslG, jetzt § 49 Abs. 7 AufenthG jeweils i.V.m. Art. 11 EURODAC-VO. Danach ist die Identität<br />

eines Auslän<strong>der</strong>s, <strong>der</strong> das 14. Lebensjahr vollendet hat und sich ohne erfor<strong>der</strong>lichen Aufenthaltstitel<br />

<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet aufhält, durch Abnahme <strong>der</strong> Abdrücke aller zehn Finger zu sichern, wenn Anhaltspunkte<br />

dafür vorliegen, dass er einen Asylantrag in einem an<strong>der</strong>en Migliedstaat <strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaften<br />

gestellt hat. Diese Anhaltspunkte sind <strong>im</strong> AufenthG lei<strong>der</strong> nicht näher beschrieben. Nach<br />

Art. 11 Abs. 1 Ziff. 1c EURODAC-VO ist eine Überprüfung in <strong>der</strong> Regel begründet, wenn <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong><br />

seine Abschiebung zu verhin<strong>der</strong>n versucht, indem er es ablehnt, bei <strong>der</strong> Feststellung seiner Identität mitzuwirken,<br />

vor allem, indem er keine o<strong>der</strong> gefälschte Ausweispapiere vorlegt. Dies ist vielen Polizeidienststellen<br />

nicht bekannt. Das Bun<strong>des</strong>amt wird für Auslän<strong>der</strong>- und Polizeidienststellen Schulungen<br />

durchführen; die erste Schulung fand bereits am 15.03.2006 in Bochum für die ABHen Bochum und Herne<br />

sowie die umliegenden Polizeidienststellen statt.<br />

3.4.3 Aufgaben <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes <strong>im</strong> Zusammenhang mit Illegalität<br />

- Verteilung unerlaubt eingereister Auslän<strong>der</strong>, § 15 a AufenthG (VilA)<br />

- REAG - Programm<br />

- Härtefallkommissionen<br />

3.4.4 Zahlen<br />

Es ist auf Grundlage <strong>der</strong> verfügbaren statistischen Daten nicht möglich, die Anzahl <strong>der</strong> illegal aufhältigen<br />

Migranten in Deutschland exakt zu best<strong>im</strong>men. Als absolute Untergrenze dürfte die Zahl von 100.000<br />

Personen gelten – als Obergrenze ist verschiedentlich von bis zu einer Million illegal Aufhältiger die Rede.<br />

- Ausreisepflichtige Auslän<strong>der</strong> ohne Duldung (AZR, Stand 15.12.2005): 104.572<br />

- Ausreisepflichtige Auslän<strong>der</strong> mit Duldung (AZR, Stand 15.12.2005): 192.155<br />

- Polizeiliche Aufgriffe 1 von unerlaubt eingereisten Auslän<strong>der</strong>n in 2004: 18.215<br />

- Aufgriffsfälle <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> Dublinverfahrens 2 :<br />

Jahr Anzahl Aufgriffsfälle Dublin - DÜ + Dublin II (monatl. Durchschnitt)<br />

2003 1.353 (113)<br />

2004 2.394 (200)<br />

2005 2.403 (200)<br />

1 Feststellungen durch die Bun<strong>des</strong>polizei und die beauftragten Behörden (Zollverwaltung, Lan<strong>des</strong>polizei, Wasserschutzpolizei<br />

HH und HB) bezüglich Aufgriffen an bun<strong>des</strong>deutschen Land- und Seegrenzen und auf den Flughäfen<br />

2 Der Auslän<strong>der</strong> hält sich illegal in Deutschland auf, hat jedoch ein laufen<strong>des</strong> Asylverfahren bzw. einen bereits abgelehnten<br />

Asylantrag in einem an<strong>der</strong>en Mitgliedsstaat; an diesen stellt das Bun<strong>des</strong>amt ein Wie<strong>der</strong>aufnahmegesuch.<br />

Seite 148 von


149<br />

Die hohe Anzahl an Aufgriffsfällen seit 2004 wird auf inzwischen vermehrt durchgeführten EURO-<br />

DAC-Abgleich durch die Polizei auf Bun<strong>des</strong>- und Lan<strong>des</strong>ebene zurückgeführt.<br />

Deutschland erzielte be<strong>im</strong> Abgleich <strong>der</strong> Fingerabdruckdaten illegal in Deutschland aufhältiger Drittauslän<strong>der</strong><br />

mit Asylbewerberdaten beson<strong>der</strong>s viele EURODAC-Treffer (3.400 <strong>im</strong> Jahr 2005); es ist damit <strong>im</strong><br />

europaweiten Vergleich mit Abstand führend. Die daraus resultierende, relativ hohe Anzahl an Übernahmeersuchen<br />

soll durch gezielte Dublin-Schulungsmaßnahmen in 2006 bei Polizei- und Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

noch weiter gesteigert werden (s.o.).<br />

Auswertung <strong>der</strong> 2005 von Deutschland erzielten EURODAC-Treffer (ET) be<strong>im</strong> Abgleich <strong>der</strong> Daten illegal<br />

aufhältiger Auslän<strong>der</strong> mit Asylbewerberdaten:<br />

Hierzu existiert keine bun<strong>des</strong>amtseigene Statistik, da diese Personengruppe nicht zu den Asylbewerbern<br />

in Deutschland gehört und nur insoweit in MARiS erfasst ist, als für diese Übernahmeersuchen an an<strong>der</strong>e<br />

Mitgliedstaaten gestellt und somit zuvor Aufgriffsakten angelegt wurden. Aus diesem Grund ist hier<br />

die Kommissionsstatistik von beson<strong>der</strong>em Interesse. Wie aus <strong>der</strong> folgenden Kurzübersicht erkennbar,<br />

erzielte Deutschland hier – wie in 2003 und 2004 – mit Abstand die meisten Treffer:<br />

Rang Mitgliedstaat Erzielte ET CAT 3- CAT 1 3 *<br />

1 Deutschland 3.400<br />

2 Nie<strong>der</strong>lande 1.950<br />

3 Norwegen 1.134<br />

4 Tschechische Republik 432<br />

5 UK 250<br />

*Angaben lt. Kommissionsstatistik<br />

Die Mitgliedstaaten, mit denen 2005 die meisten ET erzielt wurden, sind folgende:<br />

Mitgliedstaat Erzielte ET an<strong>der</strong>er ET DE’s *(Rang in<br />

Mitgliedstaaten * DE)<br />

Österreich 1.208 769 (1)<br />

Schweden 1.142 504 (2)<br />

Frankreich 1.014 373 (3)<br />

Belgien 864 317 (4)<br />

Deutschland<br />

*Angaben lt. Kommissionsstatistik<br />

800 entfällt<br />

3.4.5 Soziale und rechtliche Lage<br />

Illegal aufhältige Migranten haben in gewissem Umfang soziale Rechte:<br />

3.4.6 Positionen zum Umgang mit illegaler Einwan<strong>der</strong>ung und illegalem Aufenthalt<br />

Grundsätzlich lassen sich in <strong>der</strong> deutschen Diskussion eine „ordnungsrechtliche“ und eine „menschenrechtlich“<br />

orientierte Position unterscheiden. Erstere wird durch das BMI und die Innenministerien <strong>der</strong><br />

Län<strong>der</strong> vertreten, während letztere von zivilgesellschaftlichen Akteuren (Kirchen, Wohlfahrtsverbände)<br />

3<br />

Cat 1 (Kategorie 1) = Asylbewerber, CAT 2 = Aufgriffe illegal Aufhältiger <strong>im</strong> Inland; CAT 3: Aufgriffe bei illegalem Grenzübertritt<br />

Seite 149 von


150<br />

betont wird. Ordnungs- und menschenrechtlich orientierte Auffassungen stehen in einem Spannungsverhältnis<br />

zueinan<strong>der</strong> und werden oft als unvereinbar betrachtet.<br />

Es gibt aber auch Vorschläge für eine „duale Perspektive“, d.h. für eine pragmatische Politik, die zwei<br />

Ziele verfolgt: Einerseits sollen illegale Einreisen und Aufenthalte <strong>im</strong> Ansatz vermieden werden, an<strong>der</strong>erseits<br />

geht es um die Vermeidung sozialer Härten, die <strong>im</strong> Zusammenhang mit bestehen<strong>der</strong> aufenthaltsrechtlicher<br />

Illegalität auftreten.<br />

Gesamtwürdigung <strong>des</strong> ZuwG:<br />

• Die Anwendung von § 26 Abs. 4 AsylVfG (Familienabschiebeschutz) ist bisher unproblematisch.<br />

• Dublin-Fälle gemäß §§ 26a Abs. 1, 34a, 29 Abs. 3, 35, 36 AsylVfG<br />

Die Verän<strong>der</strong>ungen für die Praxis ergeben sich u.a. aus den erheblichen Fristverkürzungen,<br />

<strong>der</strong> verstärkten Bedeutung <strong>des</strong> Gundsatzes <strong>der</strong> Familieneinheit und insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Unterstützung<br />

durch EURODAC. Im Übrigen ist festzustellen, dass das Inkrafttreten <strong>des</strong> ZuwG für<br />

das Dublinverfahren keine weitergehenden Auswirkungen mit sich gebracht hat.<br />

• Ein Vergleich <strong>der</strong> bereinigten Schutzquote zu § 60 Abs. 1 AufenthG (ohne Familienabschiebeschutz)<br />

mit <strong>der</strong> Schutzquote zu § 51 Abs. 1 AuslG (alt) zeigt, dass die Neuregelung <strong>des</strong> § 60<br />

Abs. 1 AufenthG (staatliche, nichtstaatliche, geschlechtsspezifische Verfolgung) nur wenig<br />

Auswirkungen auf die Schutzquote <strong>des</strong> § 60 Abs. 1 AufenthG hat.<br />

• Die Beteiligung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes durch die Auslän<strong>der</strong>behörden bei Entscheidungen über das<br />

Vorliegen zielstaatsbezogener Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse hat sich auf Grund <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en<br />

Sachkunde <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes über die Verhältnisse in den Herkunftslän<strong>der</strong>n bewährt (§ 72<br />

Abs. 2 AufenthG).<br />

Perspektiven:<br />

• Elektronischer Rechtsverkehr<br />

Für 2006 ist <strong>im</strong> BAMF ein Pilotverfahren mit einer begrenzten Teilnehmeranzahl geplant,<br />

<strong>des</strong>sen <strong>Evaluierung</strong> Anfang 2007 erfolgen soll. Im Asylverfahren erfolgt <strong>der</strong>zeit <strong>im</strong> begrenzten<br />

Umfang ein Austausch elektronischer Dokumente/ Akten auf Basis e-mail / Julia (abgesicherter<br />

e-mail-Versand) mit den VG`s in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen mittels<br />

<strong>des</strong> elektronischen Gerichtspostfaches mit dem VG Minden und dem OVG Münster. Das Asylbearbeitungssystem<br />

<strong>des</strong> BAMF ist aktuell auf eine Nutzung <strong>der</strong> virtuellen Poststelle umgestellt<br />

worden. Diese Komponente wird in <strong>der</strong> Praxis aktuell aber noch nicht eingesetzt. Die<br />

Zusammenarbeit mit den Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> einer technischen Evaluation sollte weiter<br />

ausgebaut werden.<br />

• § 5 AsylVfG<br />

Die Neufassung <strong>des</strong> § 5 AsylVfG <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>der</strong> Verabschiedung <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

besagt, dass nicht mehr <strong>der</strong> (hinsichtlich <strong>des</strong> Entscheidungstenors insoweit weisungsungebundene)<br />

Einzelentschei<strong>der</strong> die Asylentscheidung trifft, vielmehr „entscheidet das<br />

Bun<strong>des</strong>amt“ über Asylanträge einschließlich <strong>der</strong> Feststellungen zu § 60 Abs. 1 AufenthG. Der<br />

Gesetzgeber erwartet, dass das Bun<strong>des</strong>amt hieraus Konsequenzen zieht; denn es bestehen nun<br />

völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten, die Ablauf- und Aufbaustrukturen für den Entschei-<br />

Seite 150 von


151<br />

dungsprozess zu ordnen. Ein Probelauf zur Einführung einer Teamstruktur in das Asylverfahren<br />

ab dem 01.08.2005 stellte in diesem Sinne den ersten Schritt dar.<br />

Ausblick:<br />

Die Abschichtung von Aufgabenmodulen auf Mitarbeiter <strong>des</strong> mD hat sich bewährt und wird<br />

kurzfristig in allen Außenstellen, unabhängig von <strong>der</strong> Größe, eingeführt werden. Mittlere und<br />

große Außenstellen führen Teams zur Verfahrens- und Prozessbearbeitung unter fachlichen<br />

Koordinatoren A13g / hD ein, denen Mitarbeiter <strong>des</strong> mD fest zugeordnet werden. Den Außenstellen<br />

wird freigestellt, ob ein gemeinsames Verfahrens- und Prozessteam installiert wird<br />

o<strong>der</strong> getrennte Teams gebildet werden. Das Konferenzmodell ist ein wöchentlich zusammentreten<strong>des</strong><br />

Gremium aus den SB-Asyl unter Leitung <strong>des</strong> Referenten. Hier werden <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong><br />

von Besprechungen Arbeitspensen, Leit- und Präzedenzfälle erörtert sowie grundsätzliche<br />

Entwicklungen (z.B. Rechtsprechung) bzw. <strong>Rahmen</strong>richtlinien dargestellt. Dies erleichtert<br />

u.a. die Einführung von Gesetzesnovellen, Dienstanweisungen, Än<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Rechtsprechung.<br />

Die Steuerung <strong>des</strong> Asylverfahrens wird somit unterstützt, die Qualität gesteigert, das<br />

Verfahren beschleunigt.<br />

• § 72 Abs. 2 AufenthG<br />

Die Zusammenarbeit mit den Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n in Sicherheitsfragen und bei <strong>der</strong> Beteiligung<br />

nach § 72 Abs. 2 AufenthG sollte weiter ausgebaut werden. An <strong>der</strong> Absicht, <strong>im</strong> Zweiten Än<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

zum Aufenthaltsgesetz das Beteiligungserfor<strong>der</strong>nis auf alle Fälle <strong>der</strong> zielstaatsbezogenen<br />

Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG sowie über das Vorliegen<br />

von Ausschlussgründen nach § 25 Abs. 3 Satz 2 Buchstabe a) bis d) AufenthG auszuweiten,<br />

sollte festgehalten werden. Die Hinweise <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes zur Aufbereitung <strong>der</strong> Anfragen<br />

durch die Auslän<strong>der</strong>behörden sollten in die künftige Verwaltungsvorschrift zum AufenthG<br />

aufgenommen werden.<br />

Seite 151 von


MR Wilfried Schmäing<br />

Hessisches Ministerium <strong>des</strong> Innern und für Sport<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong><br />

am 30. März 2006<br />

<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>haus, Berlin<br />

Humanitäre Aufenthalte, Bleiberechtsregelungen, Asylverfahren, Illegalität<br />

Statement<br />

Ich werde mich in meinem Statement zu dem mir vorgegebenen Thema auf folgende Punkte<br />

konzentrieren:<br />

1. Humanitäre Aufenthaltsrechte<br />

2. „Kettenduldungen“<br />

3. Feststellung von Abschiebeverboten durch Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

4. Härtefallkommission<br />

5. Bleiberechtsregelung<br />

6. Situation von Illegalen<br />

1. Humanitäre Aufenthaltsrechte<br />

Im Focus <strong>der</strong> Betrachtung steht vor allem § 25 Aufenthaltsgesetz. Dessen<br />

Entwicklungsgeschichte macht deutlich, dass es zum einen darum geht, Personen, die ihre<br />

Ausreise nicht selbst verschuldet haben, ein Bleiberecht zu gewähren; auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

sollten davon aber Personen ausgeschlossen werden, die ihre Abschiebung verhin<strong>der</strong>n. Auch<br />

wenn Ihnen dies bekannt sein dürfte, wie<strong>der</strong>hole ich hier noch einmal, dass nur diejenigen<br />

begünstigt werden sollen, die – aus den unterschiedlichsten Gründen und voraussichtlich für<br />

längere Zeit – nicht ausreisen können. Nicht begünstigt werden sollen diejenigen, die –<br />

wie<strong>der</strong>um aus den unterschiedlichsten Gründen – nicht ausreisen wollen.<br />

Ein Bleiberecht kann daher nur gewährt werden, wenn rechtliche o<strong>der</strong> tatsächliche<br />

Abschiebehin<strong>der</strong>nisse bestehen. Die in diesem Zusammenhang oft genannte Zumutbarkeit<br />

hat <strong>im</strong> Gesetz keinen Nie<strong>der</strong>schlag gefunden. Die Rechtsprechung ist zu diesem Thema noch<br />

uneinheitlich. Es zeichnet sich jedoch ab, dass insbeson<strong>der</strong>e ein langjähriger Aufenthalt in<br />

Gleitende Arbeitszeit: Bitte Besuche und Anrufe von montags bis donnerstags zwischen 8.30-12.00 und 13.30-15.30 Uhr, freitags von 8.30-12.00 Uhr<br />

o<strong>der</strong> nach Vereinbarung.<br />

Friedrich-Ebert-Allee 12 · D-65185 Wiesbaden · Telefon (06 11) 353 - 0 · Telefax (GR 3) (06 11) 353 1766 · Telex 4 186 814Email:<br />

poststelle@hmdi.hessen.de<br />

152


- 153 -<br />

Deutschland allein kein Kriterium <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz ist.<br />

In beson<strong>der</strong>s extremen Ausnahmesituationen vermag allerdings § 8 EMRK ein rechtliches<br />

Abschiebehin<strong>der</strong>nis darzustellen. Dies gilt nach einer Entscheidung <strong>des</strong> Hessischen<br />

Verwaltungsgerichtshofs, wenn eine Integration erfolgt ist und eine (Re)Integration <strong>im</strong><br />

Herkunftsland gänzlich unmöglich ist. Diese Fragen können aber nur anhand <strong>des</strong> Einzelfalls<br />

berücksichtigt werden.<br />

2. „Kettenduldungen“<br />

Die Formulierung „Kettenduldungen sollen abgeschafft werden“ ist irreführend. Es ist <strong>im</strong><br />

Gesetz angelegt, dass Personen, die ihre Abschiebung bewusst verhin<strong>der</strong>n, weil sie über ihre<br />

Identität täuschen o<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Passbeschaffung nicht mitwirken, eine Duldung erhalten. Die<br />

Bezugnahme auf den gesetzgeberischen Willen in diesem Zusammenhang ist schwierig.<br />

Ursprünglich sollte nämlich die Duldung abgeschafft werden. Der Entwurf <strong>des</strong><br />

Aufenthaltsgesetzes ist aber in dieser Form vom Bun<strong>des</strong>rat abgelehnt worden. Vielmehr ist<br />

auf Grundlage <strong>der</strong> Beschlussempfehlung <strong>des</strong> Vermittlungsausschusses die Duldung weiterhin<br />

Bestandteil <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes. Die Duldung kann und muss insoweit über Jahre hinaus<br />

weiter erteilt werden, wenn keine Ausreise erfolgt und die Erteilung eines Aufenthaltstitels<br />

rechtlich ausgeschlossen ist. Lösungsmöglichkeiten für diese Fallgestaltungen sehe ich nicht.<br />

Eine „Belohnung“ dieser obstruktiven Verhaltensweise dieser Auslän<strong>der</strong> durch Erteilung<br />

eines Aufenthaltstitels ist aus fachlichen Gesichtspunkten abzulehnen.<br />

3. Feststellung von Abschiebeverboten durch Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

Bekanntlich entscheidet die Auslän<strong>der</strong>behörde nur dann über herkunftsstaatsbezogene<br />

Abschiebehin<strong>der</strong>nisse, wie z. B. die Behandelbarkeit einer Krankheit <strong>im</strong> Herkunftsland,<br />

wenn kein Asylverfahren vorausgegangen ist. Hierzu verfügt die Auslän<strong>der</strong>behörde über kein<br />

eigenes Wissen, son<strong>der</strong>n muss Auskünfte einholen und nach den gesetzlichen Best<strong>im</strong>mungen<br />

auch das Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge beteiligen. Die Entscheidungen sind, wie<br />

man sich vorstellen kann, sehr unterschiedlich. In diesem Zusammenhang böte es sich an,<br />

diese Entscheidung in allen Fällen auf das Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge zu<br />

übertragen, da hier die Fachkompetenz und Erfahrung vorhanden und eine gleichmäßige<br />

Entscheidungspraxis sichergestellt ist.


- 154 -<br />

4. Härtefallkommission<br />

Hessen hat <strong>im</strong> April letzten Jahres eine Härtefallkommission nach § 23 a AufenthG<br />

eingerichtet. Diese besteht ausschließlich aus Abgeordneten <strong>des</strong> Hessischen Landtags, die<br />

vom Landtag vorgeschlagen und vom Innenminister berufen werden. Seit Einrichtung <strong>der</strong><br />

Kommission wurden von den Mitglie<strong>der</strong>n 48 Anträge zur Behandlung in <strong>der</strong> Kommission<br />

gestellt. Nur die Mitglie<strong>der</strong> können entsprechende Anträge stellen. In sechs Fällen hat die<br />

Kommission Ersuchen an den hessischen Innenminister gerichtet. In vier Fällen ist eine<br />

Anordnung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ergangen, in zwei Fällen ist darüber<br />

noch keine Entscheidung getroffen worden. 10 Anträge wurden abgelehnt, 4 Anträge wurden<br />

zurückgenommen. Über die Behandlung <strong>der</strong> übrigen Anträge ist noch keine abschließende<br />

Entscheidung herbeigeführt worden (Stand 28.02.06). Hier wird oft verwiesen auf den langen<br />

Aufenthalt, hier geborene Kin<strong>der</strong>, die ihre He<strong>im</strong>atsprache nur noch ungenügend sprechen<br />

und die hier integriert sind. Eine generelle Lösungsmöglichkeit stellt dies aber gerade nicht<br />

dar. Härtefallentscheidungen können nur Einzelfallentscheidungen sein und bleiben. Eine<br />

solide Bewertung <strong>des</strong> Verfahrens ist vor dem Hintergrund <strong>der</strong> wenigen Entscheidungen aber<br />

noch nicht möglich.<br />

5. Bleiberechtsregelung<br />

Hessen hat auch <strong>im</strong> Hinblick mit den Erfahrungen in <strong>der</strong> Härtefallkommission eine<br />

Bleiberechtsregelung in die bun<strong>des</strong>weite Diskussion eingebracht, die u.a. eine<br />

Aufenthaltsdauer von sechs Jahren, deutsche Sprachkenntnisse und die Sicherung <strong>des</strong><br />

Lebensunterhalts vorsieht. Soweit <strong>der</strong> Betroffene aufgrund behördlicher Regelungen<br />

belegbar gehin<strong>der</strong>t war, eine Arbeit aufzunehmen, soll eine „Probeerlaubnis“ erteilt werden<br />

können. Die Innenministerkonferenz hat hierzu eine Ministerarbeitsgruppe eingesetzt, an <strong>der</strong><br />

sich Hessen voraussichtlich beteiligen wird. Wir hoffen bis zum Herbst dieses Jahres auf<br />

entsprechende Ergebnisse, wobei klar ist, dass es einer einvernehmlichen Regelung bedarf.<br />

6. Situation von Personen mit illegalem Status<br />

Einer Legalisierung von Personen, die sich nicht bei den Auslän<strong>der</strong>behörden melden und sich<br />

damit strafbar machen, kann aus fachlichen Gesichtspunkten nicht näher getreten werden.<br />

Jede Legalisierung führ zu einer Sogwirkung, die es zu vermeiden gilt. Auch die in diesem<br />

Zusammenhang bestehenden Mitteilungspflichten müssen erhalten bleiben. Niemand kann<br />

etwas dagegen haben, wenn Kin<strong>der</strong> die Schule besuchen und Kranke behandelt werden.<br />

Warum aber Behörden dies nicht <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde mitteilen sollen, vermag ich nicht zu


- 155 -<br />

erkennen. Wer sich illegal in Deutschland aufhält, muss mit seiner Abschiebung rechnen. Ein<br />

Verzicht au diese eindeutige Rechtsfolge würde letztlich dazu führen, dass einer <strong>der</strong><br />

Grundprinzipien <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>rechts ausgehebelt und eine <strong>der</strong> Steuerung <strong>der</strong> Migration<br />

unmöglich gemacht würde. Man darf auch nicht vergessen, dass damit das Schleuserunwesen<br />

unterstützt würde, was nicht gewollt sein kann. Eine Notwendigkeit zur Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Rechtslage sehe ich daher nicht.<br />

(Schmäing)<br />

Mit einer Veröffentlichung dieses Statements bin ich einverstanden (Sperrfrist: 1. April 2006).


156<br />

Stellungnahme zur Evaluation <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

Die beiden großen christlichen Kirchen haben die Entstehung <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes von<br />

Anfang an intensiv begleitet. Für die Gelegenheit, zur <strong>Evaluierung</strong> <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

beizutragen und zur praktischen Handhabe <strong>der</strong> Regelungen Auskunft geben zu können, möchten<br />

die Kirchen sich ausdrücklich bedanken.<br />

Im Folgenden möchten die Kirchen insbeson<strong>der</strong>e auf die Auslegung <strong>der</strong> Regelungen zum<br />

humanitären Aufenthalt eingehen. Darüber hinaus verweisen sie auf die Stellungnahmen <strong>des</strong><br />

Diakonischen Werks <strong>der</strong> EKD vom 27. Januar 2006 und <strong>des</strong> Deutschen Caritasverban<strong>des</strong><br />

vom 20. März 2006. Die Kirchen behalten sich vor, auch ihrerseits zu den dort ausführlicher<br />

behandelten Themenfel<strong>der</strong>n, insbeson<strong>der</strong>e zur Integration und zur Regelung <strong>des</strong> Spätaussiedlerzuzugs,<br />

noch ergänzende Anmerkungen zu machen.<br />

Als erschwerend für die Erstellung <strong>der</strong> Stellungnahme hat sich die Tatsache erwiesen, dass in<br />

den meisten Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n Daten über Anträge auf die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen<br />

und über diesbezügliche Entscheidungen seitens <strong>der</strong> Behörden entwe<strong>der</strong> nicht erhoben1<br />

o<strong>der</strong> nicht <strong>der</strong> Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Für die Einschätzung <strong>der</strong> Entwicklung<br />

in vielen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n musste so von <strong>der</strong> Erlasslage, den Gerichtsurteilen und den Berichten<br />

<strong>der</strong> kirchlichen Beratungsstellen auf die Gesamtwirkung <strong>der</strong> Auslegung <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Regelung geschlossen werden.<br />

Humanitäre Aufenthalte<br />

Die beiden großen Kirchen haben zunächst die Erweiterung <strong>der</strong> Möglichkeiten <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz,<br />

aus humanitären Gründen Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen, ausdrücklich begrüßt.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e die Aufnahme <strong>des</strong> § 25 Abs. 4 und Abs. 5 AufenthG schien die Realisierung<br />

eines <strong>der</strong> erklärten Ziele <strong>der</strong> Reform <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes zu ermöglichen: die<br />

Praxis <strong>der</strong> Kettenduldungen abzuschaffen.2 Diese Intention <strong>des</strong> Gesetzgebers bestand auch<br />

fort, nachdem das Institut <strong>der</strong> Duldung als Ergebnis <strong>des</strong> Vermittlungsverfahrens wie<strong>der</strong> in den<br />

Gesetzestext aufgenommen worden war.3<br />

1 So beispielsweise in Baden Württemberg, vgl. Stellungnahme <strong>des</strong> Innenministeriums Baden-Württemberg auf einen Antrag<br />

<strong>der</strong> Fraktion Grüne <strong>im</strong> Landtag von Baden Württemberg, Drucksache 13/4339 vom 12. 05. 2005<br />

2 BT Drucksache 15/420 zur Regelung <strong>des</strong> § 25 Abs. 6, S. 80<br />

3 So betonte Bun<strong>des</strong>innenminister Schily in einer Rede vor dem Bun<strong>des</strong>rat am 09.07.2004 zum Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz, das die<br />

Intention, Kettenduldungen abzuschaffen, nach wie vor bestand. Auch <strong>der</strong> Abg. Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher<br />

<strong>der</strong> SPD–Bun<strong>des</strong>tqgsfraktion, berichtete auf <strong>der</strong> Hohenhe<strong>im</strong>er Tagung vom 28.-30.01.2005, dass unter allen Verhandlungspartnern<br />

<strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungskompromisses Einigkeit bestanden habe, das Problem <strong>der</strong> Kettenduldungen zu bewältigen,<br />

vgl. Göbel-Z<strong>im</strong>mermann, Die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG,<br />

ZAR 2005, 275, 275.


157<br />

Die Kirchen haben <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> betont, dass die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen an<br />

langjährig geduldete und in Deutschland integrierte Auslän<strong>der</strong> nach ihrer Überzeugung von<br />

großer Dringlichkeit ist.4<br />

Im November 2005 – fast ein Jahr nach Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes - lebten 192<br />

941 Auslän<strong>der</strong> mit einer Duldung in Deutschland.5 Weit über die Hälfte von ihnen befindet<br />

sich schon seit mehr als acht Jahren hier. Nach Angaben <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>regierung sind davon<br />

bun<strong>des</strong>weit 48.000 Duldungsinhaber seit über 11 Jahren, 72.000 seit über 8 Jahren, 120.000<br />

seit über 5 Jahren, 157.000 seit über 3 Jahren und 173.000 seit über 2 Jahren in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik<br />

Deutschland.6<br />

Die hohe Anzahl an Menschen, die nach wie vor ohne rechtmäßigen Aufenthaltsstatus und in<br />

großer rechtlicher Unsicherheit über einen langen Zeitraum hier lebt, macht nach Ansicht <strong>der</strong><br />

Kirchen eine verän<strong>der</strong>te Handhabung <strong>der</strong> Regelungen <strong>des</strong> humanitären Aufenthaltsrechts unumgänglich.<br />

Das betrifft insbeson<strong>der</strong>e die folgenden Vorschriften:<br />

1. § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG<br />

Nach § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG kann einem Auslän<strong>der</strong> aus dringenden humanitären o<strong>der</strong><br />

persönlichen Gründen für einen vorübergehenden Zweck eine Aufenthaltserlaubnis erteilt<br />

werden.<br />

Als größtes Hin<strong>der</strong>nis für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> § 25 Abs.<br />

4 S. 1 AufenthG stellt sich die zum Teil vertretene Auffassung dar, vollziehbar Ausreisepflichtige<br />

seien von <strong>der</strong> Regelung auszuschließen. Für diese Einschränkung <strong>des</strong> Anwendungsbereiches<br />

wird vorgebracht, dass es sich bei § 23 a und § 25 Abs. 5 AufenthG um Spezialregelungen<br />

für vollziehbar Ausreisepflichtige handele. Diese Regelugen seien abschließend.7<br />

Diese Position vertritt das Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern in den Vorläufigen Anwendungshinweisen<br />

(<strong>im</strong> Folgenden: VAH)8 und beispielsweise das Land Nordhein-Westfalen <strong>im</strong> Erlass<br />

vom 28.2.2005. Da die meisten Duldungsinhaber vollziehbar ausreisepflichtig sind, unterfallen<br />

sie bei dieser Auslegung nicht dem Anwendungsbereich <strong>der</strong> Regelung.<br />

Die Gesetzessystematik legt jedoch einen an<strong>der</strong>en Schluss nahe: § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG<br />

schafft ausdrücklich eine zusätzliche Möglichkeit <strong>der</strong> Aufenthaltsverlängerung für alle diejenigen,<br />

bei denen bereits ein rechtmäßiger Aufenthaltstitel besteht – <strong>im</strong> Umkehrschluss muss<br />

dann § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG auch für Personen ohne rechtmäßigen Aufenthaltstitel anwendbar<br />

sein.9 Auch hat § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG <strong>im</strong> Vergleich zu § 25 Abs. 5 AufenthG<br />

4 Vgl. „Integration för<strong>der</strong>n - Zusammenleben gestalten“, Wort <strong>der</strong> deutschen Bischöfe zur Integration von Migranten, 23.<br />

September 2004; "Zusammenleben gestalten", ein Beitrag <strong>des</strong> Rates <strong>der</strong> EKD zu Fragen <strong>der</strong> Integration und <strong>des</strong> Zusammenlebens<br />

mit Menschen an<strong>der</strong>er Herkunft, Sprache o<strong>der</strong> Religion, EKD Texte 76, 2002<br />

5 Antwort <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>regierung auf die Kleine Anfrage <strong>der</strong> Fraktion "Die Linke" (BT-Drucksache 16/164 vom 12. 12. 2005)<br />

6 So die Antwort <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>regierung auf die Kleine Anfrage <strong>der</strong> Fraktion „Die Linke“ (BT-Drucksache 16/307 vom 21. 12.<br />

2005). Die Zahlen sind aufsummiert und gerundet.<br />

7 Erlass <strong>des</strong> Innenministeriums <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nordrhein-Westfalen vom 28.2.2005, S. 2; VAH, Ziffer 25.4.1.1. Satz 5<br />

8 VAH, Ziffer 25.4.1.1. Satz 4 und 5<br />

9 siehe auch: Göbel-Z<strong>im</strong>mermann, a.a.O., 275; Benassi, Zur praktischen Bedeutung <strong>des</strong> § 25 Abs. 4 und 5, InfAuslR 2005,<br />

357, 358


158<br />

eine an<strong>der</strong>e Zielrichtung. § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG schafft nur eine vorübergehende Aufenthaltsmöglichkeit<br />

für einen seinem Zweck nach zeitlich begrenzten Aufenthalt. § 25 Abs. 5<br />

AufenthG soll demgegenüber Duldungsinhabern unter best<strong>im</strong>mten Voraussetzungen die Erteilung<br />

einer Aufenthaltserlaubnis ermöglichen.10 Auch ein Vergleich mit <strong>der</strong> Rechtslage<br />

nach dem AuslG spricht gegen einen Ausschluss von vollziehbar Ausreisepflichtigen: Nach<br />

<strong>der</strong> amtlichen Begründung zum Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz 2002 soll die Vorschrift <strong>des</strong> § 25 Abs. 4<br />

S. 1 AufenthG die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in denjenigen Fällen ermöglichen, in<br />

denen bisher nach § 55 Abs. 3 AuslG eine Duldung erteilt werden konnte11 – so übrigens<br />

auch die VAH in Ziffer 25.4.1.1. Satz 1. Ein entsprechen<strong>der</strong> Duldungsgrund ist daher <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz<br />

nicht mehr aufgenommen worden. Der Anwendungsbereich <strong>der</strong> Regelung <strong>des</strong><br />

§ 55 Abs. 3 AuslG bezog sich in <strong>der</strong> Praxis allerdings hauptsächlich auf Auslän<strong>der</strong>, die vollziehbar<br />

ausreisepflichtig waren.<br />

Die große Bedeutung <strong>der</strong> vom Gesetzgeber als schützenswert bezeichneten Rechtsgüter<br />

spricht ebenfalls gegen die Unterteilung in vollziehbar und nicht vollziehbar Ausreisepflichtige.12<br />

Das zeigt sich insbeson<strong>der</strong>e am verfassungsrechtlichen Bezug <strong>des</strong> Tatbestandsmerkmals<br />

<strong>der</strong> dringenden humanitären Gründe.<br />

Die bisher ergangene Rechtsprechung13 bestätigt ebenfalls die Ansicht, we<strong>der</strong> Wortlaut, noch<br />

Systematik noch Entstehungsgeschichte rechtfertige eine Beschränkung auf Auslän<strong>der</strong> mit<br />

rechtmäßigem Aufenthalt.14<br />

In einigen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n haben sich die Innenministerien - entgegen <strong>der</strong> VAH - für eine Einbeziehung<br />

von vollziehbar Ausreisepflichtigen entschieden: Neben den Verwaltungsvorschriften<br />

in Nie<strong>der</strong>sachsen15 beziehen auch die Erlasse in Rheinland Pfalz und Mecklenburg-<br />

Vorpommern16 vollziehbar Ausreisepflichtige in den Anwendungsbereich ein.<br />

Praxis<br />

Angesichts <strong>des</strong> Auslegungsstreits allein <strong>im</strong> Anwendungsbereich <strong>der</strong> Norm verwun<strong>der</strong>t es<br />

nicht, dass die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG von<br />

Bun<strong>des</strong>land zu Bun<strong>des</strong>land sehr unterschiedlich ist. Während bis zum August 2005 in<br />

Schleswig Holstein 47 Personen eine Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage <strong>des</strong> § 25 Abs. 4 S. 1<br />

AufenthG erhalten haben sollen, liegt die Anzahl in Berlin bis zum 5. Juli 2005 wohl bei 410.<br />

Im Bun<strong>des</strong>land Hessen, das sich auf die VAH <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>innenministeriums bezieht, scheint<br />

kaum eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden zu sein.<br />

Bleiben das Bun<strong>des</strong>innenministerium und die Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>, die ihre Praxis an den VAH orientieren,<br />

bei ihrer einschränkenden Interpretation <strong>des</strong> Anwendungsbereichs, kann die Regelung<br />

<strong>des</strong> § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG nicht zur Abschaffung <strong>der</strong> Kettenduldungen beitragen.<br />

10 Vgl.: Göbel-Z<strong>im</strong>mermann, a.a.O., 275; Stiegeler, Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG: erste Erfahrungen in <strong>der</strong> Beratungspraxis,<br />

Asylmagazin 12/2005, 4, 6; Renner, Aufenthaltsrecht, 8. Aufl. 2005, Rn. 29 zu § 25<br />

11 BT-Drucksache 15/420, S. 79f. zu Abs. 4 Satz 1<br />

12 siehe auch: Benassi, a.a.O., 358<br />

13 OVG Bremen, B. v. 14. 07. 2005 – 1 B 176/05; OVG Nie<strong>der</strong>sachsen, B. v. 27. 06. 2005 – 11 ME 96/05; VG Braunschweig,<br />

B. v. 10.01.2006; VG Braunschweig, U. v. 01.09.2005 – 5 A 15/05<br />

14 Hollmann, Aufenthalt aus humanitären Gründen, Asylmagazin 3/2006, 7, 8<br />

15 Vorläufige Nie<strong>der</strong>sächsische Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz v. 30.11.2005<br />

16 Erlass <strong>des</strong> rheinland-pfälzischen Innenministeriums vom 17.12.2004 (Ziffer 3.2.), Auslegungshinweise <strong>des</strong> Innenministeriums<br />

Mecklenburg-Vorpommern, v. 27. 07. 2005


159<br />

Die Kirchen sprechen sich <strong>des</strong>halb für eine Klarstellung in den VAH und den jeweiligen Erlassen<br />

dahingehend aus, dass auch vollziehbar Ausreisepflichtige unter die Regelung <strong>des</strong> § 25<br />

Abs. 4 S. 1 AufenthG fallen können.<br />

2. § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG<br />

§ 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG entspricht weitgehend § 30 Abs. 2 Nr. 2 AuslG und eröffnet<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden <strong>im</strong> Wege <strong>des</strong> Ermessens die Möglichkeit, bei Vorliegen einer außergewöhnlichen<br />

Härte eine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern, obwohl die ursprünglichen Voraussetzungen<br />

für die Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis nicht mehr vorliegen. Verlängert<br />

werden können dabei nicht nur Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG –<br />

vielmehr stellt die Regelung eine von Satz 1 unabhängige Rechtsgrundlage dar.<br />

Umstritten ist dabei vor allem, wann eine außergewöhnliche Härte zu bejahen ist. Die bisherige<br />

Rechtsprechung17 bejaht eine außergewöhnliche Härte nur dann, wenn sich <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong><br />

in einer exzeptionellen Son<strong>der</strong>situation befindet, die sich von <strong>der</strong> Lage vergleichbarer Auslän<strong>der</strong><br />

deutlich unterscheidet. Dagegen spricht nach Ansicht <strong>der</strong> Kirchen aber, dass sich die<br />

Regelung in Wortlaut und Struktur von § 30 Abs. 2 AuslG unterscheidet, eine Auslegung <strong>der</strong><br />

außergewöhnlichen Härte sich also nicht an <strong>der</strong> Rechtsprechung zur Vorgängernorm orientieren<br />

kann.18 An<strong>der</strong>s als <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> § 30 Abs. 2 AuslG müssen gerade keine dringenden<br />

humanitären Gründe nachgewiesen werden.<br />

Die Verän<strong>der</strong>ungen zur bisherigen Rechtslage rechtfertigen nach Ansicht <strong>der</strong> Kirchen darüber<br />

hinaus, dass die Dauer <strong>des</strong> bisherigen Aufenthaltes <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s und seiner Familie <strong>im</strong><br />

<strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Prüfung, ob auf Grund beson<strong>der</strong>er Umstände <strong>des</strong> Einzelfalls das Verlassen <strong>des</strong><br />

Bun<strong>des</strong>gebietes eine „außergewöhnliche Härte“ bedeutet, Berücksichtigung findet.19<br />

Praxis<br />

Die Norm wird bun<strong>des</strong>weit nach Einschätzung <strong>der</strong> kirchlichen Beratungsstellen kaum genutzt;<br />

es sind wenige Fälle bekannt, in denen eine Verlängerung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis<br />

nach § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG erteilt wurde.<br />

Nach Ansicht <strong>der</strong> Kirchen eröffnet § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG die Möglichkeit, einem Flüchtling<br />

o<strong>der</strong> subsidiär Geschützten nach rechtskräftigem Wi<strong>der</strong>ruf seines Status weiterhin einen<br />

gesicherten Aufenthaltsstatus zu gewähren. Das muss zumin<strong>des</strong>t dann gelten, wenn die Verbindung<br />

<strong>des</strong> ehemaligen Flüchtlings in den Jahren <strong>des</strong> Aufenthaltes in Deutschland zu seinem<br />

Herkunftsland vollständig abgebrochen ist. Insbeson<strong>der</strong>e in Hinblick auf die große Anzahl<br />

von Wi<strong>der</strong>rufsverfahren in den Jahren 2004 und 2005 könnte durch eine vermehrte und großzügigere<br />

Anwendung von § 25 Abs. 4 S. 2 AufenthG verhin<strong>der</strong>t werden, dass die Anzahl von<br />

Kettenduldungsinhabern weiter steigt.<br />

3. § 25 Abs. 5 AufenthG<br />

17 OVG NRW, B. v. 20.05.2005 – 18 B 1207/04, ähnlich: VGH Baden Württemberg, B. v. 09.02.2005 – 11 S 1099/04; VG<br />

Braunschweig, B. v. 10.01.2006 – 6 B 432/05<br />

18 so auch: Stiegeler, a.a.O., 7; Benassi, a.a.O., 359<br />

19 so auch Auslegungshinweise <strong>des</strong> Innenministeriums Mecklenburg Vorpommern und Stiegeler, a.a.O, 7; wohl an<strong>der</strong>er Ansicht:<br />

OVG NRW, B. v. 05. 07. 2005 - 18 B 2210/04; VGH Baden Württemberg, B. v. 09.05.2005 - 11 S 1099/04, VG Koblenz,<br />

U. v. 24.01.2005 – 3 K 3891/03.KO


160<br />

Nach § 25 Abs. 5 AufenthG kann einem vollziehbar ausreisepflichtigen Auslän<strong>der</strong> eine Aufenthaltserlaubnis<br />

erteilt werden, wenn die Ausreise aus rechtlichen o<strong>der</strong> tatsächlichen Gründen<br />

unmöglich und mit dem Wegfall <strong>des</strong> Ausreisehin<strong>der</strong>nisses in absehbarer Zeit nicht zu<br />

rechnen ist, es sei denn, er hat das Ausreisehin<strong>der</strong>nis selbst verschuldet. Nach 18 Monaten<br />

soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.<br />

Das Hauptproblem bei <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> Norm ist in <strong>der</strong> Formulierung <strong>des</strong> Tatbestan<strong>des</strong><br />

bereits angelegt: § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG stellt für die Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis<br />

nicht auf die Unmöglichkeit <strong>der</strong> Abschiebung, son<strong>der</strong>n auf die Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise<br />

ab. Über die Frage, wann eine Ausreise unmöglich ist, herrscht auch ein Jahr nach Inkrafttreten<br />

keine Einigkeit.<br />

In <strong>der</strong> rechtlichen Auseinan<strong>der</strong>setzung, die um das Tatbestandsmerkmal Unmöglichkeit <strong>der</strong><br />

Ausreise entstanden ist,20 hat sich die Frage nach <strong>der</strong> Berücksichtigung <strong>der</strong> Zumutbarkeit als<br />

Schlüsselthema für die praktische Anwendung <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 AufenthG herauskristallisiert.<br />

Nach Auffassung <strong>der</strong> Kirchen müssen subjektive Umstände, insbeson<strong>der</strong>e die persönliche<br />

Zumutbarkeit, berücksichtigt werden. Das erfor<strong>der</strong>n sowohl <strong>der</strong> Regelungszweck, die Systematik<br />

als auch die Entstehungsgeschichte <strong>der</strong> Vorschrift.21 Bleibt die subjektive Unmöglichkeit<br />

unberücksichtigt, läuft die Regelung leer, denn theoretisch ist eine faktische Ausreise –<br />

zur Not <strong>im</strong> Wege eines Krankentransportes – <strong>im</strong>mer möglich.22 Auch spricht sich die Gesetzesbegründung<br />

eindeutig für eine Berücksichtigung aus.23<br />

Auf den Text <strong>der</strong> Gesetzesbegründung beziehen sich auch die VAH <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>innenministeriums,<br />

indem sie ihn weitgehend zitieren. Nach Ziffer 25.5.1.2. Satz 2 liegt ein Ausreisehin<strong>der</strong>nis<br />

nicht vor, wenn zwar eine Abschiebung nicht möglich ist, (…), eine freiwillige Ausreise<br />

jedoch möglich und zumutbar. Im Umkehrschluss lässt sich daraus folgern, dass bei <strong>der</strong><br />

Beurteilung, ob eine freiwillige Ausreise möglich ist, das Kriterium <strong>der</strong> Zumutbarkeit zu berücksichtigen<br />

ist.<br />

Die Erlasslage in den Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n n<strong>im</strong>mt den Ansatz <strong>der</strong> VAH teilweise auf: In Rheinland<br />

Pfalz24, Schleswig Holstein25 und Mecklenburg Vorpommern26 wird ausdrücklich das Kriterium<br />

<strong>der</strong> Zumutbarkeit betont.<br />

In den Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n Hessen, Nordrhein-Westfalen und Nie<strong>der</strong>sachsen27 wird das Kriterium<br />

<strong>der</strong> Zumutbarkeit hingegen nur sehr eingeschränkt geprüft. Der nordrhein-westfälische Erlass28<br />

beschränkt die Unzumutbarkeit <strong>der</strong> freiwilligen Ausreise „<strong>im</strong> Wesentlichen auf<br />

schwerwiegende krankheitsbedingte Gründe“. Insbeson<strong>der</strong>e eine lange Aufenthaltsdauer<br />

schließt <strong>der</strong> Erlass <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Zumutbarkeitserwägungen als Grund aus. Der hessische<br />

20 Überblick über die Rechtsstreits <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG bei Stiegeler, a.a.O.,7f.<br />

21 Zur Frage, ob die Problematik <strong>des</strong> Begriffes "Ausreise" auch schon <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Debatten zum Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

2002 gesehen wurden: Stiegeler, a.a.O., 7<br />

22 so: Göbel-Z<strong>im</strong>mermann, a.a.O., 278<br />

23 BT-Drucksache,15/240, S. 80,<br />

24 Ziffer 3.4. <strong>des</strong> Erlasses <strong>des</strong> rheinland-pfälzischen Innenministeriums v. 17.12.2004<br />

25 Ziffer 1.1. Erlass <strong>des</strong> Innenministeriums <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Schleswig Holstein v.- 28.9.2005<br />

26 Ziffer 5 <strong>der</strong> Auslegungshinweise <strong>des</strong> Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern v. 27.07.2005<br />

27 Erlass <strong>des</strong> Nie<strong>der</strong>sächsischen Ministeriums für Inneres und Sport v. 30.11.2005<br />

28 Erlass <strong>des</strong> Innenministeriums <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nordrhein-Westfalen v. 28.02.2005


161<br />

Erlass29 stellt klar, dass es sich bei <strong>der</strong> Vorschrift <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 AufenthG keineswegs um<br />

eine verkappte Altfallregelung handele, grenzt sich explizit von den VAH <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>innenministeriums<br />

ab und betont, dass es lediglich auf die objektive Möglichkeit <strong>der</strong> freiwilligen<br />

Ausreise ankomme. Auch nach den nicht öffentlichen ergänzenden Hinweisen <strong>des</strong> Innenministeriums<br />

Baden-Württemberg30 soll die Zumutbarkeit keine Rolle spielen. Die Prüfung <strong>der</strong><br />

Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise ohne Berücksichtigungen <strong>der</strong> Zumutbarkeit führt in<br />

einigen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n dazu, dass beispielsweise Angehörigen von Min<strong>der</strong>heiten aus dem<br />

Kosovo die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen mit <strong>der</strong> Begründung verweigert wird, eine<br />

Ausreise in den Kosovo sei – ungeachtet <strong>der</strong> an<strong>der</strong>slautenden Verhandlungsergebnisse <strong>des</strong><br />

Bun<strong>des</strong>innenministeriums mit UNMIK - freiwillig möglich.31<br />

Das Land Berlin hat <strong>im</strong> November 2005 in zwei Erlassen zu traumatisierten bosnischen<br />

Staatsangehörigen und zu staatenlosen Palästinensern aus dem Libanon Kriterien benannt,<br />

nach denen eine Aufenthaltserlaubniserteilung für diese beiden Gruppen möglich ist.<br />

Praxis<br />

Die Handhabe <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 AufenthG in den Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n differiert erheblich. Dennoch<br />

sind die Zahlen <strong>der</strong> erteilten Aufenthaltserlaubnisse bun<strong>des</strong>weit gering. Die wenigen positiven<br />

Entscheidungen nach § 25 Abs. 5 AufenthG in Hessen sind zugunsten von Familienangehörigen<br />

von Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG ergangen. Die Lage<br />

in Rheinland Pfalz (bis Mitte <strong>des</strong> Jahres 2005 446 Aufenthaltserlaubnisse nach § 25 Abs. 5<br />

AufenthG) und Schleswig Holstein (bis 15.8.2005 472 Personen, nach erneutem Erlass sind<br />

die Zahlen noch einmal angestiegen) sieht für die Kettenduldungsinhaber erlassbedingt besser<br />

aus. Verglichen mit <strong>der</strong> Intention <strong>des</strong> Gesetzes ist das Ergebnis insgesamt jedoch ernüchternd.<br />

Die nach Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes gehegte Hoffnung <strong>der</strong> Kirchen, die Situation<br />

von Duldungsinhabern würde verbessert, hat sich nicht erfüllt.<br />

Die Kirchen for<strong>der</strong>n in diesem Bereich ein klares Bekenntnis zur Intention <strong>des</strong> Gesetzes. Im<br />

Gesetzeswortlaut <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 AufenthG soll nach Ansicht <strong>der</strong> Kirchen eine Klarstellung<br />

dahingehend erfolgen, dass <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Prüfung <strong>der</strong> Ausreisemöglichkeit das Kriterium<br />

<strong>der</strong> Zumutbarkeit zu berücksichtigen ist.<br />

Darüber hinaus ergibt sich <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 AufenthG die Frage, ob zielstaatsbezogene<br />

Umstände von den Auslän<strong>der</strong>behörden berücksichtigt werden können. Nach Ansicht<br />

<strong>der</strong> Kirchen ist dies – zumin<strong>des</strong>t wenn kein Asylantrag gestellt wurde und somit keine Entscheidung<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes für Migration und Flüchtlinge vorliegt – wünschenswert.32<br />

Ein weiteres Problem stellen die zum Teil hohen Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden an<br />

die Mitwirkungspflichten33 <strong>der</strong> Antragsteller dar. Kirchliche Beratungsstellen berichten, dass<br />

<strong>der</strong> Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis teilweise auch mit <strong>der</strong> Begründung versagt<br />

wird, <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> verweigere seine Mithilfe beispielsweise bei <strong>der</strong> Passbeschaffung.<br />

29 Erlass <strong>des</strong> Hessischen Ministeriums <strong>des</strong> Innern und für Sport v. 07.02.2005<br />

30 Vgl. Die Grünen/Bündnis 90 <strong>im</strong> Landtag von Baden-Württemberg, Presseinformation Bleiberecht statt Kettenduldung v.<br />

29.09.2005, S. 2<br />

31 Praxis in Baden Württemberg, Erlass in Hessen, siehe Fn. 29<br />

32 Wird von einigen Gerichten auch jetzt schon so beurteilt: BayVGH, B. v. 08.1.1.2005 – 24 CS 05.2630; OVG Nie<strong>der</strong>sachsen,<br />

B. v. 24.10.2005 – 8 LA 123/05; VG Berlin, B. v. 21.12.2005 – VG 11 A 944.05, siehe auch Hollmann, a.a.O., 10<br />

33 Zur Frage, ob diese bestehen: verneinend Hoffmann, Aueftnhaltsrechtliche Mitwirkungs- und Hinweispflichten, Asylmagazin<br />

9/2005, 3, 7


162<br />

Dabei bleiben die zum Teil erheblichen Schwierigkeiten, mit denen sich die Auslän<strong>der</strong> in den<br />

jeweiligen Konsulaten konfrontiert sehen, unberücksichtigt. Die Kirchen for<strong>der</strong>n, von <strong>der</strong><br />

Möglichkeit <strong>des</strong> § 5 Abs. 3 S. 2 AufenthG verstärkt Gebrauch zu machen und bei <strong>der</strong> Erteilung<br />

einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach Möglichkeit von <strong>der</strong> Passbeschaffung<br />

abzusehen.<br />

4. § 23 a AufenthG – Härtefallkommissionen<br />

Die Aufnahme <strong>der</strong> Regelung <strong>des</strong> § 23a AufenthG, die den Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n die Einrichtung und<br />

Ausgestaltung von Härtefallkommissionen ermöglicht, haben die Kirchen ausdrücklich begrüßt.<br />

Sie sahen und sehen darin die Möglichkeit, für Menschen in beson<strong>der</strong>s schwierigen<br />

Lebenslagen eine Einzelfallgerechtigkeit herbeizuführen, die ihnen auf Grundlage <strong>des</strong> geltenden<br />

Rechtes nicht gewährt wird.<br />

Seit Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes haben die Kirchen in den verschiedenen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n<br />

nicht nur dafür geworben, Härtefallkommissionen einzurichten, son<strong>der</strong>n sich auch für<br />

eine Ausgestaltung <strong>der</strong> entsprechenden Verordnungen ausgesprochen, die nicht zu viele Menschen<br />

von vorneherein durch eine restriktive Ausgestaltung <strong>der</strong> Ausschlussgründe von <strong>der</strong><br />

Befassung durch die Kommissionen ausschließt. Lei<strong>der</strong> waren diese Bemühungen nicht bun<strong>des</strong>weit<br />

erfolgreich.34 In allen 12 Härtefallkommissionen <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>35 haben jeweils<br />

ein Vertreter <strong>der</strong> katholischen und <strong>der</strong> evangelischen Kirche ihren Sitz. In Nie<strong>der</strong>sachsen,<br />

einem <strong>der</strong> drei Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>, in denen <strong>der</strong> Petitionsausschuss die Aufgaben <strong>der</strong> Härtefallkommissionen<br />

übern<strong>im</strong>mt,36 sind die Kirchen auch <strong>im</strong> Beratungsgremium vertreten, das vom<br />

Petitionsausschuss in Fällen um ein Votum gebeten wird, in welchen sich <strong>der</strong> Ausschuss nicht<br />

einigen konnte.<br />

Die bisherigen Erfahrungen <strong>der</strong> kirchlichen Vertreter zeigen vor allem eins deutlich: In Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n,<br />

in denen sich durch die restriktive Handhabung <strong>der</strong> Vorschriften <strong>des</strong> § 25 Abs. 4<br />

und 5 AufenthG keine Perspektive für Duldungsinhaber auf einen gesicherten Aufenthaltsstatus<br />

bietet und in denen betroffene Menschen <strong>des</strong>halb dauerhaft von einem ungehin<strong>der</strong>ten Zugang<br />

zu Arbeit und Ausbildung ausgeschlossen sind, werden die Härtefallkommissionen als<br />

einzige Chance auf einen gesicherten Aufenthalt angesehen. Das schlägt sich dann in Form<br />

einer <strong>im</strong>mens hohen Anzahl von Eingaben an die Härtefallkommissionen nie<strong>der</strong>.<br />

Zur Illustration dieser Entwicklung mögen die Zahlen aus folgenden Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n dienen:<br />

In Nordrhein-Westfalen wurden bis zum 31.12.2005 1046 Anträge an die Härtefallkommission<br />

gestellt. Nur in 111 Fällen gab die Härtefallkommission ein positives Votum ab bzw.<br />

sprach sich für ein Ersuchen nach § 23 a AufenthG aus. In Baden Württemberg wurden <strong>im</strong><br />

selben Zeitraum 820 Anträge an die Härtefallkommission gerichtet – nur 42 <strong>der</strong> Anträge wurden<br />

von <strong>der</strong> Kommission positiv entschieden und führten zu einem positiven Ersuchen nach §<br />

23 a AufenthG. In 37 Fällen kam das Innenministerium diesem Ersuchen nach. In Rheinland<br />

Pfalz hingegen, das durch die großzügige Auslegung <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 AufenthG Duldungsinhabern<br />

auch an<strong>der</strong>e Aufenthaltsperspektiven bietet, wurden lediglich 106 Anträge an die<br />

Kommission gerichtet. Zieht man die an<strong>der</strong>weitig erledigten und zurückgestellten Anträge ab,<br />

34 Für einen Überblick über die Härtefallverordnungen <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> und eine Einschätzung <strong>der</strong> Ausschlussgründe aus<br />

flüchtlingspolitischer Sicht siehe Schwantner, Asylinfo 3/2006, S. 14 f.<br />

35 Härtefallkommissionen existieren in: Baden Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen (erste Sitzung voraussichtlich April<br />

2006), Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-<br />

Holstein und Thüringen<br />

36 Neben Nie<strong>der</strong>sachsen verfahren Hessen und Hamburg nach diesem Prinzip.


163<br />

verblieben 63 Anträge, über die eine Entscheidung zu fällen war. Von den bisher 46 beratenen<br />

Fällen entschied die Kommission in 19 Fällen positiv. Den Betroffenen wurde in diesen 19<br />

Fällen eine Aufenthaltserlaubnis durch den Innenminister erteilt. Ähnlich sieht es in Schleswig<br />

Holstein aus: An die Härtefallkommission wurden bis zum 31.12.2005 lediglich 188 Anträge<br />

gestellt, davon konnten 134 beraten werden, von denen 70 durch die Kommission positiv<br />

beschieden wurden. Das Härtefallersuchen wurde in 65 Fällen vom Innenminister umgesetzt.<br />

Härtefallkommissionen sind we<strong>der</strong> ihrem Sinn und Zweck nach darauf ausgerichtet, noch<br />

personell dafür ausgerüstet, großen Gruppen von Menschen eine Aufenthaltsperspektive bieten<br />

zu können. Sie sollen vielmehr prüfen, ob Menschen in beson<strong>der</strong>s schwierigen Lebenslagen<br />

– so genannte Härtefälle – aus humanitären Erwägungen heraus ein Aufenthaltsrecht in<br />

Deutschland gewährt werden kann.<br />

5. Bleiberecht<br />

Nach Einschätzung <strong>der</strong> Kirchen liegen ausreichend Erkenntnisse über die nach wie vor andauernde<br />

unerträgliche Situation <strong>der</strong> Inhaber von Kettenduldungen vor. Wenn es auch bedauerlicherweise<br />

viele Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> versäumt haben, Zahlen über Anträge <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> humanitären<br />

Aufenthalte zu sammeln, ist doch ausreichend Datenmaterial über die bun<strong>des</strong>weite<br />

Anzahl von Duldungsinhabern vorhanden. Die Anzahl hat sich auch nach über einem Jahr<br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz in nur geringem Maße verringert.<br />

Die Wi<strong>der</strong>rufspraxis <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes für Migration und Flüchtlinge37 wird – wenn die in den<br />

letzten zwei Jahren erteilten Wi<strong>der</strong>rufe rechtskräftig werden und tatsächlich zum Verlust <strong>des</strong><br />

auslän<strong>der</strong>rechtlichen Aufenthaltsstatus führen - die Anzahl <strong>der</strong> Duldungsinhaber noch vergrößern.<br />

Die Kirchen for<strong>der</strong>n <strong>des</strong>halb, die ursprüngliche Intention <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes nun umzusetzen<br />

und eine großzügige Bleiberechtsregelung zu schaffen. Regelungen, die von vorneherein<br />

große Gruppen von Auslän<strong>der</strong>n aus dem Anwendungsbereich einer Altfallregelung<br />

ausschließen - wie beispielsweise die Altfallregelung aus dem Jahre 1999 -, führen nur dazu,<br />

dass das Thema in kurzer Zeit erneut auf <strong>der</strong> politischen Agenda erscheint. Die Kirchen sprechen<br />

sich ausdrücklich dafür aus, dass Menschen, die sich in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik integriert<br />

haben und Familien, <strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong> hier aufgewachsen und zur Schule gegangen sind, eine<br />

Aufenthaltsperspektive in Deutschland erhalten sollen.<br />

Berlin, den 28.03.2006<br />

37 Für eine Kritik <strong>der</strong> Praxis in Deutschland aus völkerrechtlicher Sicht siehe Hruschka, Salomons, Zu Auslegung und Inhalt <strong>des</strong><br />

Art. 1 C (5) <strong>der</strong> Genfer Flüchtlingskonvention, ZAR 2004, S. 386ff. und dies., Die Ausnahmen von den Beendigungsklauseln<br />

gem. Art. 1 C (5) 2 GK und die deutsche Rechtsprechung zu § 73 I AsylVfG, ZAR 2005, S. 1ff.


--<br />

RA Dr. Reinhard Marx - Mainzer Landstr. 127a – D- 60327 Frankfurt am Main<br />

168<br />

DR. REINHARD MARX<br />

- Rechtsanwalt -<br />

Stellungnahme<br />

zum<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong><br />

Im <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

Am 30. und 31. März 2006 <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>haus<br />

3. Thema: Humanitäre Aufenthalte,<br />

Bleiberechtsregelungen, Asylverfahren,<br />

Illegalität<br />

Mainzer Landstraße 127a<br />

(Eingang Rudolfstraße)<br />

D-60327 Frankfurt am Main<br />

Telefon: 0049 / 69 / 24 27 17 34<br />

Telefax: 0049 / 69 / 24 27 17 35<br />

E-Mail: info@ramarx.de<br />

Internet: http://www.ramarx.de<br />

M/S<br />

Bei Antwort und Zahlung bitte angeben.<br />

31. Juli 2006<br />

Glie<strong>der</strong>ung<br />

A. Vorbemerkung Seite 169<br />

B. Asylverfahren<br />

1. Nichtstaatliche Verfolgungsakteure<br />

170<br />

(§ 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c) AufenthG) 170<br />

2. Gechlechtsspezifische Verfolgung (§ 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) 172<br />

a) Deutsche und gemeinschaftsrechtliche Konzeption 172<br />

b) Begriff <strong>des</strong> „Geschlechts“ 174<br />

3. Religiöse Verfolgung 178<br />

4. Anwendung <strong>der</strong> Dublin II – Verordnung<br />

5. Nachfluchtgründe <strong>im</strong> Asylfolgeantragsverfahren<br />

179<br />

(§ 28 Abs. 2 AsylVfG) 180<br />

C. Humanitäre Aufenthaltstitel 181<br />

1. Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 bis 3 AufenthG 181<br />

2. Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG 182<br />

3. Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG 185<br />

a) Vorbemerkung 185<br />

b) Begriff <strong>des</strong> rechtlichen Ausreisehin<strong>der</strong>nisses 186<br />

c) Rechtliches Hin<strong>der</strong>nis „Verwurzelung“<br />

d) Strafbarkeit <strong>des</strong> geduldeten Aufenthaltes<br />

189<br />

(§ 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) 194<br />

4. Anwendung <strong>der</strong> Sperrwirkung nach § 10 Abs. 3 AsylvfG 196<br />

5. Verfestigung <strong>des</strong> Aufenthaltes 197<br />

a) Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG 197<br />

b) Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG 200


169<br />

A. Vorbemerkung<br />

Nach <strong>der</strong> Konzeption <strong>der</strong> Fachtagung soll <strong>der</strong> thematische Schwerpunkt <strong>des</strong><br />

Themenkomplexes Nr. 3 insbeson<strong>der</strong>e auf Fragestellungen zur Verfahrensbeschleunigung,<br />

zur nichtstaatlichen und geschlechtsspezifischen Verfolgung, zur Feststellung von<br />

Abschiebungsverboten durch die Auslän<strong>der</strong>behörden und Zusammenarbeit mit dem<br />

Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge, zu Kettenduldungen und Bleiberechtsregelungen<br />

sowie zur sozialen und rechtlichen Lage <strong>der</strong> Illegalen gelegt werden.<br />

Die Stellungnahme schränkt den Themenkomplex teilweise ein, teilweise erweitert sie diesen:<br />

Das Asylverfahren ist in den letzten drei Jahrzehnten durch eine kaum noch überschaubare<br />

Zahl von Gesetzesän<strong>der</strong>ungen beschleunigt worden, sodass ein Bedürfnis für weitere<br />

Beschleunigungsmaßnahmen nicht erkannt werden kann. Deshalb wird in <strong>der</strong> Stellungnahme<br />

dieser Gegenstand nicht behandelt. Der Hinweis auf nichtstaatliche und<br />

geschlechtsspezifische Verfolgungen zielt auf die Rechtsanwendung zu § 60 Abs. 1<br />

AufenthG. An <strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>behördlichen Feststellungspraxis zu den<br />

Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen <strong>des</strong> § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG hat sich, soweit ersichtlich,<br />

gegenüber <strong>der</strong> Verwaltungspraxis vor dem 1. Januar 2005 nichts Wesentliches geän<strong>der</strong>t. Ganz<br />

überwiegend werden Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong><br />

<strong>des</strong> Asylverfahrens (vgl. § 24 Abs. 2, § 31 Abs. 3 AsylVfG) behandelt. Da die Richtlinie<br />

2004/83/EG bislang durch das Bun<strong>des</strong>amt nicht angewendet wird, hat sich gegenüber <strong>der</strong><br />

früheren Verwaltungspraxis nichts verän<strong>der</strong>t. Än<strong>der</strong>ungen, die aus Art. 15 <strong>der</strong> Richtlinie für<br />

die deutsche Rechtsanwendung folgen, haben <strong>des</strong>halb in <strong>der</strong> Verwaltungspraxis noch keine<br />

Bedeutung und werden erst nach Abschluss <strong>der</strong> Gesetzesberatungen zum Referentenentwurf<br />

zum 2. AufenthÄndG vom 3. Januar 2006 (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 1 bis 4 AufenthGE) relevant<br />

werden. Deshalb werden <strong>im</strong> Blick auf das Asylverfahren vorrangig die nichtstaatliche und<br />

geschlechtsspezifische Verfolgung und einige weitere ausgewählte Fragen behandelt.<br />

Mit dem Hinweis auf Kettenduldungen und Bleiberechtsregelungen wird <strong>der</strong><br />

Themenschwerpunkt „humanitäre Aufenthalte“ zu kurz gefasst. Es geht insbeson<strong>der</strong>e um die<br />

Anwendung <strong>des</strong> § 25 AufenthG in seinen verschiedenen Varianten. Damit ist <strong>der</strong><br />

Schwerpunkt <strong>der</strong> Stellungnahme aufgezeigt, weil hiermit die zentrale Kontroverse bei <strong>der</strong><br />

Anwendung <strong>der</strong> humanitären Regelungen <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes <strong>im</strong> letzten Jahr ins<br />

Blickfeld rückt. Dabei ist <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>der</strong> Anwendung von § 25 Abs. 5 AufenthG


170<br />

insbeson<strong>der</strong>e auf das gesetzgeberische Ziel <strong>der</strong> Vermeidung von Kettenduldungen<br />

einzugehen. In diesem Zusammenhang gewinnen auch die Verfestigungsregelungen,<br />

insbeson<strong>der</strong>e die akzessorische Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG sowie<br />

die nichtakzessorische Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG und die<br />

Sperrwirkung von § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG Bedeutung.<br />

B. Asylverfahren<br />

1. Nichtstaatliche Verfolgungsakteure (§ 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c) AufenthG)<br />

Der Gesetzgeber hat in § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG lediglich einen Teilausschnitt aus den in<br />

den Vorschriften Art. 6 bis 8 <strong>der</strong> Richtlinie 2004/83/EG geregelten Konzept <strong>des</strong> „Wegfalls <strong>des</strong><br />

nationalen Schutzes“ in deutsches Recht umgesetzt und wird, sollte <strong>der</strong> Referentenentwurf so<br />

Gesetz werden, diese reduzierte Konzeption <strong>des</strong> Flüchtlingsbegriffs <strong>der</strong> Richtlinie<br />

beibehalten. Die Rechtsanwendung zu § 60 Abs. 1 AufenthG droht aufgrund <strong>des</strong>sen <strong>im</strong><br />

Verhältnis zur Richtlinie in eine Schieflage zu geraten. Die Vorschriften <strong>der</strong> Richtlinie zum<br />

Flüchtlingsbegriff (vgl. Art. 6 bis 10) führen gegenüber <strong>der</strong> bisherigen asylrechtlichen<br />

Dogmatik zum Begriff <strong>der</strong> politischen Verfolgung eine völlig verän<strong>der</strong>te Dogmatik und<br />

Prüfstruktur ein. 1 Dabei kann <strong>der</strong> Regelungszusammenhang von Art. 6 und 7 <strong>der</strong> Richtlinie<br />

als Ausdruck <strong>der</strong> Schutzlehre und damit als klare Abkehr von <strong>der</strong> deutschen<br />

Zurechnungsdoktrin 2 verstanden werden. § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG kann sachgerecht nur<br />

vor dem Hintergrund <strong>der</strong> Vorschriften <strong>der</strong> Normen <strong>der</strong> Art. 6 und 7 <strong>der</strong> Richtlinie verstanden<br />

werden. An<strong>der</strong>erseits wenden das Bun<strong>des</strong>amt und die überwiegende Rechtsprechung die<br />

Richtlinie nicht an, sodass Spurenelemente <strong>der</strong> Zurechnungsdoktrin und damit die vorrangige<br />

Konzentration auf das Merkmal <strong>der</strong> Staatlichkeit <strong>der</strong> Verfolgung auch weiterhin die<br />

Rechtsanwendung beeinflussen können.<br />

Art. 6 <strong>der</strong> Richtlinie 2004/83/EG unterscheidet zwischen dem Staat und diesen vergleichbaren<br />

Organisationen einerseits und nichtstaatlichen Akteuren an<strong>der</strong>erseits. Es ist unzulässig, <strong>im</strong><br />

Blick auf nichtstaatliche Verfolgungsakteure best<strong>im</strong>mte einschränkende qualifizierende<br />

Voraussetzungen aufzustellen, insbeson<strong>der</strong>e nichtstaatliche Verfolgungsakteure nur dann in<br />

1 S. hierzu insbeson<strong>der</strong>e Reinhard Marx, Handbuch zur Flüchtlingsanerkennung. Erläuterungen zur Richtlinie<br />

2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie), Erg.Lief. September 2005, Teil 1 Leitsätze Nr. 1 bis 7, § 2 Rdn. 1 bis 4.<br />

2 So auch VG Karlsruhe, U. v. 28. 4. 2005 – A 2 K 12160/03.


171<br />

Betracht zu ziehen, wenn diese als Träger überlegener Macht angesehen werden können, wie<br />

dies in Anlehnung an die Zurechnungsdoktrin teilweise versucht wird. Derart einschränkende<br />

Voraussetzungen sind <strong>im</strong> Blick auf Parteien o<strong>der</strong> Organisationen, die den Staat o<strong>der</strong> einen<br />

wesentlichen Teil <strong>des</strong> Staatsgebiets beherrschen, in ihrer Funktion als Schutzakteure zu<br />

for<strong>der</strong>n. Die Rolle <strong>der</strong> Verfolgungsakteure ist hingegen nicht mit einem irgendwie <strong>der</strong><br />

hoheitlichen Macht vergleichbaren Moment verbunden. Es ist für die Anwendung und<br />

Auslegung <strong>der</strong> Konvention unerheblich, von wem die Verfolgung ausgeht. Maßgeblich ist<br />

allein, dass eine Maßnahme Verfolgungscharakter aufweist und hiergegen kein nationaler<br />

Schutz verfügbar ist, weil die in Art. 7 Abs. 1 <strong>der</strong> Richtlinie bezeichneten Schutzakteure nicht<br />

willens o<strong>der</strong> fähig zur Schutzgewährung sind.<br />

Der Gesetzgeber hat diese sich aus <strong>der</strong> Differenzierung zwischen Verfolgungsakteuren und<br />

Schutzakteuren ergebende Rechtslage dadurch hervorgehoben, dass er in § 60 Abs. 1 Satz 4<br />

Buchst. c) AufenthG ausdrücklich auf die Situation zerfallen<strong>der</strong> Herrschaftsstrukturen<br />

hinweist. Dies wird teilweise auch in <strong>der</strong> Rechtsprechung hervorgehoben. 3 Für die<br />

Vorläufernorm <strong>des</strong> § 60 Abs. 1 AufenthG, nämlich § 51 Abs. 1 AuslG 1990, hatte das<br />

Bun<strong>des</strong>verwaltungsgericht demgegenüber ausdrücklich festgestellt, <strong>der</strong> den Flüchtlingsschutz<br />

manifestierende Abschiebungsschutz nach dieser Norm setze nicht an<strong>der</strong>s wie <strong>der</strong><br />

Asylanspruch voraus, dass die dem Asylsuchenden drohende Verfolgung aus <strong>der</strong> staatlichen<br />

Gebietshoheit erwachse. 4 Daher könne § 51 Abs. 1 AuslG 1990 vor einer<br />

Bürgerkriegssituation, die dadurch gekennzeichnet sei, dass keine <strong>der</strong> kämpfenden Parteien<br />

die effektive Gebietsgewalt innehabe, in <strong>der</strong> aber etwa an ethnische Merkmale <strong>des</strong><br />

Asylsuchenden anknüpfende Übergriffe <strong>des</strong> Militärs zu befürchten seien, keinen<br />

Abschiebungsschutz gewährleisten. Denn das Merkmal »politisch« kennzeichne die<br />

Verfolgung als Verhalten einer organisierten Herrschaftsgewalt, vorrangig eines Staates,<br />

welcher <strong>der</strong> Betroffene unterworfen sei. Dies gelte für § 51 Abs. 1 AuslG 1990 ebenso wie für<br />

den Asylanspruch. 5<br />

3<br />

VG Regensburg, AuAS 2006, 21 (22); VG Regensburg, U. v. 17. 1. 2005 – RN 3 K 04.30621; VG<br />

Regensburg, U. v. 17. 1. 2005 – RN 3 K 04.30591.<br />

4<br />

BVerwGE 95, 42 (44) = NVwZ 1994, 497 = EZAR 230 Nr. 3 = AuAS 1994, 140 = InfAuslR 1994, 196<br />

= D 56; bekräftigt BVerwG, NVwZ 1994, 1112 = InfAuslR 1994, 329 = EZAR 043 Nr. 3.<br />

5<br />

BVerwGE 95, 42 (45) = EZAR 230 Nr. 3 = InfAuslR 1994, 196 = NVwZ 1994, 497 = D 56; BVerwG,<br />

NVwZ 1994, 1112.


172<br />

Diese Rechtsprechung ist durch Art. 6 und 7 <strong>der</strong> Richtlinie 2004/83/EG überholt.<br />

Spurenelemente dieser Rechtsprechung können auch nicht dadurch konserviert werden, dass<br />

den nichtstaatlichen Akteuren entgegen dem <strong>der</strong> Richtlinie zugrunde liegenden Ansatz ein<br />

rud<strong>im</strong>entäres Fundament überlegener Macht unterschoben wird und damit nichtstaatliche<br />

Akteure, die keine überlegene Macht ausüben, aus <strong>der</strong> Betrachtung herausfallen. Vielmehr<br />

bezeichnet <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> nichtstaatlichen Verfolgungsakteure eine weite Brandbreite<br />

unterschiedlicher Akteure, die von Warlords und Kriegskommandanten, die keine überlegene<br />

Gebietsgewalt erlangt haben, über Kommandanten einer marodierenden Soldateska, die<br />

Soldateska selbst, Dorfälteste, Mafiabosse, die Geschlechtsverstümmelung durchführende<br />

Hebammen, bis hin zu gewalttätigen Ehemännern und Lebenspartnern reicht.<br />

Damit die Schutzlehre einen adäquaten Nie<strong>der</strong>schlag <strong>im</strong> deutschen Recht findet, müsste die<br />

Unterscheidung zwischen Verfolgungsakteuren (Art. 6 RL 2004/83/EG) einerseits und<br />

Schutzakteuren (Art. 7 RL 2004/83/EG) an<strong>der</strong>erseits begrifflich schärfer gefasst werden. Es<br />

ist aber fraglich, ob die in sich geschlossene Konzeption <strong>des</strong> Flüchtlingsbegriffs <strong>der</strong> Richtlinie<br />

durch lediglich ergänzende Än<strong>der</strong>ungen <strong>des</strong> § 60 Abs. 1 AufenthG angemessen umgesetzt<br />

werden kann.<br />

2. Geschlechtsspezifische Verfolgung (§ 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG)<br />

a) Deutsche und gemeinschaftsrechtliche Konzeption<br />

Nach § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG kann eine Verfolgung wegen <strong>der</strong> Zugehörigkeit zu einer<br />

best<strong>im</strong>mten sozialen Gruppe auch dann vorliegen, wenn die Verfolgung allein an das<br />

Geschlecht anknüpft. Demgegenüber reicht nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. d) Abs. 2 letzter<br />

Halbs. <strong>der</strong> Richtlinie 2004/83/EG allein <strong>der</strong> Hinweis auf das Geschlecht für die Darlegung<br />

eines Verfolgungsgrun<strong>des</strong> nicht aus. Vielmehr wird die Darlegung eines zusätzlichen<br />

Aspektes gefor<strong>der</strong>t. Nach <strong>der</strong> Rechtsprechung geht <strong>der</strong> deutsche Gesetzgeber damit über das<br />

Gemeinschaftsrecht hinaus und verzichtet auf die Darlegung zusätzlicher Erfor<strong>der</strong>nisse, wenn<br />

die geltend gemachte Verfolgung an einen geschlechterbezogenen Verfolgungsgrund<br />

anknüpft. Die Richtlinie dürfe <strong>des</strong>halb nicht zu einer restriktiven Anwendung <strong>des</strong> § 60 Abs. 1<br />

Satz 3 AufenthG herangezogen werden. 6 Offensichtlich ist dies <strong>der</strong> Grund dafür, dass <strong>der</strong><br />

6 Hess.VGH, U. v. 23. 5. 2005 – 3 UE 3457/04.A.


173<br />

Referentenentwurf zum 2. AufenthÄndG in § 60 Abs. 1 Satz 4 lezter Halbs. AufenthGE<br />

lediglich eine ergänzende Anwendung best<strong>im</strong>mter Normen <strong>der</strong> Richtlinie vorschlägt.<br />

Mit dem gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsvorrang dürfte eine lediglich ergänzende<br />

Anwendung <strong>der</strong> Richtlinie kaum vereinbar sein. Sofern das deutsche Recht tatsächlich über<br />

Gemeinschaftsrecht hinausgehen sollte, kann Art. 3 <strong>der</strong> Richtlinie, <strong>der</strong> den Mitgliedstaaten<br />

eine über die gemeinschaftsrechtlichen Min<strong>des</strong>tnormen hinausgehende Rechtsanwendung<br />

ermöglicht, in den Katalog <strong>der</strong> Verweisungsnormen aufgenommen und damit eine<br />

unmittelbare Anwendung <strong>der</strong> entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften<br />

angeordnet werden, wie dies auch be<strong>im</strong> subsidiären Schutz vorgesehen ist (vgl. § 60 Abs. 11<br />

AufenthGE).<br />

In <strong>der</strong> überwiegenden Mehrzahl <strong>der</strong> Fälle geschlechtsspezifischer Verfolgungstatbestände<br />

dürfte es jedoch zwischen dem gemeinschaftsrechtlichen und dem deutschen Ansatz zu<br />

keinen unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Nach Ansicht von UNHCR bedeutet zwar<br />

eine geschlechterbezogene Analyse <strong>der</strong> GFK nicht, dass alle Frauen automatisch Anspruch<br />

auf den Statusbescheid haben. Die Flüchtlingsdefinition schließe jedoch bei richtiger<br />

Auslegung mit geschlechtsspezifischer Verfolgung begründete Asylanträge ein, ohne dass es<br />

insoweit <strong>der</strong> Darlegung eines zusätzlichen Aspektes bedarf. Aus den Beschlüssen <strong>des</strong><br />

Exekutivkomitees <strong>des</strong> Programms von UNHCR folgt ein feststehen<strong>der</strong> Grundsatz, dass bei<br />

<strong>der</strong> Auslegung und Anwendung <strong>des</strong> Flüchtlingsbegriffs in seiner Gesamtheit stets auf eine<br />

mögliche geschlechtsbezogene D<strong>im</strong>ension zu achten ist. 7 Daher bestehe auch keine<br />

Notwendigkeit, die Definition <strong>des</strong> Flüchtlingsbegriffs <strong>der</strong> GFK durch einen weiteren Grund<br />

zu ergänzen. 8 Dieser Position liegen die <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Global Consultations on International<br />

Protection verabschiedeten Schlussempfehlungen <strong>der</strong> Expertenrunde zur<br />

geschlechtsspezifischen Verfolgung vom 6. bis 8. September 2001 in San Remo zugrunde, die<br />

in Nr. 3 darauf hinweisen, dass das Geschlecht zwar nicht ausdrücklich in <strong>der</strong><br />

Flüchtlingsdefinition bezeichnet werde. Es sei jedoch klar und <strong>des</strong>halb allgemein anerkannt,<br />

dass geschlechterbezogene Aspekte die Art <strong>der</strong> Verfolgung sowie die dieser<br />

zugrundeliegenden Gründe beeinflussen o<strong>der</strong> best<strong>im</strong>men könnten. Der Wortlaut, das Ziel und<br />

<strong>der</strong> Zweck <strong>der</strong> GFK erfor<strong>der</strong>ten eine geschlechterbezogene Aspekte einschließende<br />

7 UNHCR, ExCom, Nr. 39 (1985), Nr. 73 (1993), Nr. 77 (g) (1995), Nr. 79 (o) (1997), Nr. 87 (1999).<br />

8 UNHCR, Geschlechtsspezifische Verfolgung, 7. Mai 2002, S. 3 f.


174<br />

Auslegung und Anwendung. Ob <strong>der</strong> Hinweis auf geschlechterbezogene Aspekte als solcher<br />

bereits ausreicht, um von einer Verfolgung wegen <strong>der</strong> Zugehörigkeit zu einer best<strong>im</strong>mten<br />

sozialen Gruppe ausgehen zu können, bedarf <strong>der</strong> vertieften Analyse <strong>des</strong> Begriffs <strong>des</strong><br />

Geschlechts.<br />

b) Begriff <strong>des</strong> „Geschlechts“<br />

Um das Wesen <strong>der</strong> geschlechtsspezifischen Verfolgung zu verstehen, müssen die beiden<br />

Bedeutungen <strong>des</strong> Begriffs „Geschlecht“, die biologische („sex“) und die soziale („gen<strong>der</strong>“),<br />

definiert und getrennt betrachtet werden. Gen<strong>der</strong>spezifische Merkmale werden als klare<br />

Beispiele für eine best<strong>im</strong>mte soziale Gruppe bezeichnet, die durch ein angeborenes und<br />

unverän<strong>der</strong>bares Merkmal miteinan<strong>der</strong> verbunden ist. 9 Der Begriff „Gen<strong>der</strong>“ ist jedoch we<strong>der</strong><br />

statisch noch von Natur aus vorgegeben, son<strong>der</strong>n erhält <strong>im</strong> Laufe <strong>der</strong> Zeit sozial o<strong>der</strong> kulturell<br />

entstandene Inhalte. 10 Faktoren für eine <strong>der</strong>artige soziale Begriffsbest<strong>im</strong>mung<br />

geschlechterbezogener Aspekte sind das biologische Geschlecht, das Alter, <strong>der</strong> eheliche<br />

Status, <strong>der</strong> familiäre und verwandtschaftliche Hintergrund, <strong>der</strong> frühere wirtschaftliche und<br />

soziale Status sowie berufliche Hintergrund o<strong>der</strong> ethnische o<strong>der</strong> Stammeszugehörigkeiten. Es<br />

sind also stets eine Vielzahl von Faktoren, die bei <strong>der</strong> begrifflichen Erfassung<br />

„geschlechtsbezogener“ Verfolgungstatbestände zu ermitteln und zu berücksichtigen sind.<br />

Nicht allein das biologische Geschlecht, son<strong>der</strong>n eine Bandbreite sozio-kultureller<br />

Kontextbedingungen konkretisieren den Gen<strong>der</strong>begriff. Knüpft die Verfolgung allein an<br />

einem <strong>der</strong>art begrifflich geschärften – sozio-kulturellen - Gen<strong>der</strong>begriff an, liegt nach<br />

deutschem wie nach gemeinschaftsrechtliche Verständnis ein Verfolgungsgrund vor.<br />

In <strong>der</strong> Verwaltungspraxis <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes scheint insbeson<strong>der</strong>e auch wegen <strong>der</strong> bislang<br />

fehlenden Anwendung <strong>der</strong> Richtlinie 2004/83/EG große Unsicherheit bei <strong>der</strong> Behandlung<br />

geschlechtsspezifischer Verfolgungen vorzuherrschen: So wird festgestellt, das<br />

Sachvorbringen einer marokkanischen Antragstellerin, als geschiedene Frau würde ihr Vater<br />

und die Nachbarschaft sie als geschiedene Frau nicht akzeptieren, ihre Schwiegermutter habe<br />

Lügen über ihren Lebenswandel dahin verbreitet, dass sie „für Geld mit Männern gehen“<br />

würde, sodass ihr älterer Bru<strong>der</strong> ihr gedroht habe, er werde sie für den Fall <strong>der</strong> Rückkehr<br />

9 James C. Hathaway, The Law of Refugee Status, S. 162.<br />

10 UNHCR, Geschlechtsspezifische Verfolgung, S. 3.


175<br />

umbringen, sei „asylrechtlich nicht relevant“. Dabei handele es „sich ausschließlich um<br />

familiäre Probleme, für die <strong>der</strong> Staat nicht verantwortlich gemacht werden“ könne. 11 In<br />

diesem Fall war allerdings substanziiert vorgetragen worden, dass in Marokko für gefährdete<br />

Frauen keine Schutzstrukturen bestünden.<br />

Im Falle einer musl<strong>im</strong>ischen Frau mit drei Töchtern aus dem Sandjak hatte die Antragstellerin<br />

vorgebracht, ihr Ehemann habe sie und auch die Töchter während ihrer Ehe wie<strong>der</strong>holt<br />

schwerwiegend misshandelt. Bei einer Rückkehr würde ihr Ehemann sie sicherlich finden. Er<br />

würde sie aufsuchen. Sie könne sich ihm nicht entziehen und wolle nicht, dass ihr und ihren<br />

Töchtern erneut Übergriffe drohten. Das Bun<strong>des</strong>amt stellte fest, eine Gefahr durch den<br />

Ehemann könnte zwar grundsätzlich drohen. Die Antragstellerinnen könnten jedoch Schutz<br />

bei staatlichen Stellen suchen, <strong>der</strong> auch gewährt werde. 12 Allerdings war das Bun<strong>des</strong>amt in<br />

diesem Verfahren ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass in den eingesehenen<br />

Dokumentationssammlungen bei den Verwaltungsgerichten keine Erkenntnisse über<br />

Schutzstrukturen in Serbien und Montenegro für misshandelte Frauen verfügbar seien und<br />

<strong>des</strong>halb von Amts wegen Aufklärungsbedarf bestehe.<br />

Im Wi<strong>der</strong>rufsverfahren hatte eine kosovarische Frau dargelegt, dass sie durch ihren Ehemann<br />

<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet schwerwiegend misshandelt worden und dieser aufgrund ihrer Anzeige zu<br />

einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren wegen Körperverletzung in vier Fällen,<br />

gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und Misshandlung von Schutzbefohlenen<br />

verurteilt worden war. Sie befürchte für den Fall <strong>der</strong> Rückkehr in das Kosovo, dass ihr<br />

Ehemann und seine neun Brü<strong>der</strong> sich für die Anzeige rächen würden. Das Bun<strong>des</strong>amt hatte<br />

aus Anlass <strong>der</strong> Verurteilung <strong>des</strong> Ehemannes ein Wi<strong>der</strong>rufsverfahren eingeleitet und den<br />

Statusbescheid mit <strong>der</strong> Begründung aufgehoben, dass KFOR und UNMIK Übergriffe nicht<br />

tatenlos hinnehmen, son<strong>der</strong>n <strong>im</strong> Falle einer Bedrohung durch den Ehemann hinreichenden<br />

Schutz gewähren würden. 13 Demgegenüber verpflichtete das Verwaltungsgericht das<br />

Bun<strong>des</strong>amt in diesem Fall zur Feststellung eines Abschiebungshin<strong>der</strong>nisses nach § 60 Abs. 7<br />

AufenthG, weil gerade in Ansehung von Gewaltanwendung gegen Ehefrauen und aus dem<br />

11<br />

Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge, Bescheid vom 27. Juni 2005 – 5138683, S. 2 und 4.<br />

12<br />

Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge, Bescheid vom 4.. Oktober 2005 – 5153560, S. 2 und 6.<br />

13<br />

Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge, Bescheid vom 15. November 2004 – 5098334-1, S. 5.


176<br />

Familiennetz ausgestoßene Frauen <strong>im</strong> Kosovo Polizei und Gericht nur begrenzt zur<br />

Schutzgewährung in <strong>der</strong> Lage seien. Es stellte allerdings keinen Verfolgungsgrund nach § 60<br />

Abs. 1 Satz 3 AufenthG fest. 14<br />

Die dargestellte Verwaltungspraxis verdeutlicht den engen Sachzusammenhang zwischen<br />

dem Problembereich <strong>der</strong> fehlenden staatlichen Schutzstrukturen und gen<strong>der</strong>spezifischen<br />

Verfolgungstatbeständen. Wohl aufgrund <strong>der</strong> traditionellen Fixierung auf die frühere<br />

Rechtsprechung, dass Schutzunfähigkeit asylrechtlich unerheblich sei, wird in den<br />

Beispielsfällen die gebotene Aufklärung vermieden und den staatlichen Instanzen ohne<br />

zureichende Sachaufklärung Schutzfähigkeit unterstellt. Vermutlich dürfte die aus privaten<br />

Beziehungen hervorbrechende Bedrohung ursächlich für dieses Vorgehen sein. UNHCR weist<br />

jedoch darauf hin, dass konkrete Fälle von häuslicher Gewalt Verfolgung aus Gründen <strong>der</strong><br />

Konvention darstellen können. 15 In <strong>der</strong> australischen, kanadischen und U.S.-amerikanischen<br />

Rechtsprechung werden Frauen, die Gewalt <strong>im</strong> häuslichen Umfeld durch Familienangehörige<br />

erleiden, als best<strong>im</strong>mte soziale Gruppe behandelt. 16 Zwar kann ein Verfolgungsgrund nicht<br />

angenommen werden, wenn <strong>der</strong> Gewalt ausschließlich private Konfliktbeziehungen zugrunde<br />

liegen. Die Motivation <strong>des</strong> nichtstaatlichen Verfolgers ist jedoch unerheblich, wenn <strong>der</strong> Staat<br />

wegen eines Verfolgungsgrun<strong>des</strong> Schutz verweigert. Geht die Gewalt also von einem<br />

Familienangehörigen aus und zielt sie nicht auf den Gen<strong>der</strong>status <strong>der</strong> Frau, weil sie Ausdruck<br />

eines privaten Konfliktes ist, liegt <strong>der</strong> häuslichen Gewalt dennoch ein Verfolgungsgrund<br />

zugrunde, wenn <strong>der</strong> Staat den erfor<strong>der</strong>lichen Schutz gegen häusliche Gewalt verweigert, weil<br />

die Betroffenen Frauen sind. 17 Häufig werden die familiären Beziehungsstrukturen jedoch von<br />

partriarchalischen Überlegenheitsvorstellungen beherrscht, sodass Gewalt nicht Ausdruck<br />

eines privaten Konfliktes ist, son<strong>der</strong>n auf den Gen<strong>der</strong>status <strong>der</strong> Frauen zielt.<br />

Die häusliche Gewalt kann damit an einen Verfolgungsgrund anknüpfen, wenn <strong>der</strong> Ehemann<br />

o<strong>der</strong> Partner die häusliche Gewalt wegen <strong>der</strong> geschlechtsspezifischen Rolle <strong>der</strong> Frau ausübt.<br />

Kann dies nicht festgestellt werden, kann <strong>der</strong> geschlechtsspezifische Charakter in <strong>der</strong><br />

14<br />

VG Frankfurt am Main, U. v. 29. September 2005 – 2 E 6152/04.A(1), UA, S. 5.<br />

15<br />

UNHCR, Geschlechtsspezifische Verfolgung, S. 5 f.<br />

16 Kanadische Richtlinien zu Asylbewerberinnen, die sich auf Furcht vor Verfolgung aufgrund ihres<br />

Geschlechts berufen vom 25. 11. 1996, RL Nr. 4 A I 3; Australian Refugee and Humanitarian Division,<br />

Particular Social Group: An Australian Perspective, Dezember 2001, S. 20 f.<br />

17 Australian Fe<strong>der</strong>al Court, FCA 1529 (1999) – Khawar; Fe<strong>der</strong>al Court, FCA 1130 (2000) – Khawar; House<br />

of Lords, IJRL 1999, 496 (504 f.) – Islam and Shah.


177<br />

systematischen Versagung staatlichen Schutzes aus geschlechtsspezifischen Gründen zum<br />

Ausdruck kommen. Die betroffenen Frauen können mit praktizierenden Homosexuellen<br />

verglichen werden, die durch den Staat nicht geschützt würden. 18 Eine Gesellschaft, die<br />

Frauen aufgrund ihres Geschlechts <strong>im</strong> Blick auf die Bereitstellung eines wirksamen Schutzes<br />

diskr<strong>im</strong>iniert, grenzt diese aus <strong>der</strong> Gesellschaft aus. Der entscheidende Faktor, welche bei <strong>der</strong><br />

häuslichen Gewalt die betroffene Gruppe von Frauen von den Frauen innerhalb einer<br />

Gesellschaft insgesamt abgrenzt, ist die evidente institutionalisierte Diskr<strong>im</strong>inierung von<br />

Frauen durch Polizei, Gerichte und das gesamte Rechtssystem eines Staates. 19<br />

Unter Hinweis auf die kanadische Rechtsprechung 20 wird festgestellt, dass <strong>der</strong><br />

Verfolgungsgrund <strong>der</strong> Zugehörigkeit zu einer best<strong>im</strong>mten sozialen Gruppe »Frauen als<br />

Ganzes« erfassen müsse. Es gebe gewichtige Gründe dafür, Frauen als Mitglie<strong>der</strong> einer<br />

best<strong>im</strong>mten sozialen Gruppe anzusehen, weil sie <strong>im</strong> Gegensatz zu den in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

privilegierte Positionen einnehmenden Männern entrechtet seien. 21 Auf den Aspekt <strong>der</strong><br />

Entrechtung <strong>im</strong> Zusammenhang mit sexueller Gewalt, Ehrenmorden und<br />

nonkonformistischen Verhalten gegenüber islamischen Wertvorstellungen wird auch in <strong>der</strong><br />

deutschen Rechtsprechung hingewiesen. 22 Das gemeinsame Merkmal bei <strong>der</strong> häuslichen<br />

Gewalt ist die soziale, kulturelle und die entsprechend geprägte familiäre Situation <strong>der</strong><br />

betroffenen Personen. Die gegen diese ausgeübte Gewalt erfüllt einen best<strong>im</strong>mten Zweck.<br />

Das Muster <strong>der</strong> angewendeten o<strong>der</strong> angedrohten Gewalt zielt darauf, Gefolgschaft <strong>der</strong><br />

betroffenen Frauen zu erzielen und <strong>der</strong>en konkrete Lebensführung in einer Weise zu<br />

begrenzen, dass ein freibest<strong>im</strong>mtes Denken und Handeln unterbunden und die missbrauchte<br />

Frau den Bedürfnissen und For<strong>der</strong>ungen <strong>des</strong> Verfolgers zu dienen hat. Die ausgeübte Gewalt<br />

wird planvoll und kontrolliert ausgeübt. 23<br />

Bei <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Abgrenzung ist zunächst zu bedenken, dass Opfer von Kr<strong>im</strong>inalität<br />

generell eine Situation <strong>der</strong> Schutzlosigkeit erfahren, aber nicht bereits <strong>des</strong>halb die Kriterien<br />

18 Lordrichter Steyn, House of Lords, IJRL 1999, 496 (504 f.) – Islam and Shah.<br />

19 Lordrichter Hoffmann, House of Lords, IJRL 1999, 496 (50507 - 515) – Islam and Shah.<br />

20 S. hierzu Audrey Macklin, HRQ 1995, 213.<br />

21 Jacqueline R. Castel, IJRL 1992, 39 (52).<br />

22 VG Göttingen, AuAS 2006, 57 (57).<br />

23 U.S. Court of Appeals, 9th Circuit, IJRL 2001, 586 (592) – Aguirre-Cervantes.


178<br />

<strong>der</strong> Flüchtlingseigenschaft erfüllen. Der entscheidende Unterschied zwischen <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Kr<strong>im</strong>inalität einerseits und <strong>der</strong> gegen Frauen in ihrer sozialen Rolle gerichteten Gewalt<br />

an<strong>der</strong>erseits ist die Art und Weise <strong>der</strong> Gewaltanwendung und die systematische staatliche<br />

Schutzversagung. Je<strong>der</strong> Erklärungsversuch muss <strong>des</strong>halb über die individuellen<br />

Charakteristika <strong>des</strong> Mannes, <strong>der</strong> Frau und <strong>der</strong> Familie hinausgehen und die gesellschaftlichen<br />

Verhältnisse <strong>im</strong> Herkunftsland <strong>der</strong> Antragstellerin in den Blick nehmen. Generell kann<br />

Gewalt gegen Frauen als Ausdruck <strong>der</strong> alle Kulturen beherrschenden Vorstellung verstanden<br />

werden, dass Männer den Frauen überlegen sind und die mit ihnen zusammenlebenden Frauen<br />

ihrer Verfügungsgewalt unterliegen. 24<br />

3. Religiöse Verfolgung<br />

Art. 10 Buchst. b) RL 2004/83/EG erfasst auch die religiöse Betätigung <strong>im</strong> öffentlichen<br />

Bereich. Demgegenüber schützt nach Ansicht <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichtes das Asylrecht<br />

lediglich das "religiöse Existenzmin<strong>im</strong>um." Dies setze zwar ein kommunikatives Element,<br />

voraus, nämlich die religiöse Kommunikation (gemeinsames Gebet, Gottesdienst). Diese<br />

muss in<strong>des</strong> abseits <strong>der</strong> Öffentlichkeit stattfinden. 25<br />

Da die Rechtsprechung eine<br />

Berücksichtigung <strong>der</strong> Richtlinie vor Ablauf <strong>der</strong> Umsetzungsfrist am 10. Oktober 2006<br />

ablehnt, wendet sie weiterhin den verengten, auf das „forum internum“ zielenden Ansatz an. 26<br />

Nach Inkrafttreten <strong>der</strong> <strong>im</strong> Referentenentwurf zum 2. AufenthÄndG vorgeschlagenen<br />

Verweisungsregelung in § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthGE wird die Rechtsprechung allerdings<br />

die Richtlinie berücksichtigen müssen.<br />

Der Pluralität <strong>der</strong> Religionsfreiheit <strong>im</strong>manent ist <strong>der</strong> Öffentlichkeitsaspekt. Für die<br />

Herausbildung <strong>der</strong> Religionsfreiheit war ja gerade das christliche Verständnis von <strong>der</strong><br />

Freiheitsbotschaft <strong>des</strong> Evangeliums, die frei verkündigt wird, von prägen<strong>der</strong> Bedeutung. Der<br />

christlichen Freiheitsbotschaft »liegt nichts an einer weltlosen inneren Freiheit; sie will <strong>der</strong><br />

Welt zugute kommen. Deshalb eignet <strong>der</strong> christlichen Verkündigung von ihrem Inhalt her ein<br />

Öffentlichkeitscharakter. Um <strong>der</strong> Öffentlichkeit <strong>des</strong> Evangeliums willen wurde in <strong>der</strong><br />

Geschichte <strong>des</strong> Christentums von Anfang an die Gewährung <strong>der</strong> zunächst als Kultusfreiheit<br />

24 Ausdrey Macklin, H.R.Q. 1995, 213 (244)).<br />

25 BVerfGE 76, 143 (159) = EZAR 200 Nr. 20 = NVwZ 1988, 237 = InfAuslR 1988, 87; zuletzt noch<br />

BVerwGE 120, 16 (24) = InfAuslR 2004, 319 (322) = NVwZ 2004, 1000 = AuAS 2004, 125; BVerwGE 122,<br />

271 (283) = EZAR 51 Nr. 2, beide zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990.


179<br />

verstandenen Religionsfreiheit gefor<strong>der</strong>t«. 27 Auch wenn die gängige Vorstellung von<br />

Religionsausübung in erster Linie Gebet, Kult und Predigt, allenfalls noch karitative<br />

Tätigkeiten vor Augen hat, so hat doch das Christentum seit sehr früher Zeit seine durchaus<br />

politische Handlungskomponente niemals verleugnet. 28 Dieser geistesgeschichtliche<br />

Hintergrund findet seinen Ausdruck <strong>im</strong> geltenden Völkerrecht, an den die Richtlinie<br />

offensichtlich anknüpft:<br />

Neben dem gesprochenen Wort sind grundsätzlich alle von Art. 19 IPbpR erfassten<br />

Kommunikationsformen einschließlich <strong>der</strong> in Art. 21 IPbpR garantierten<br />

Versammlungsfreiheit geschützt. Darüber hinaus genießen Religionsgemeinschaften<br />

Vereinigungsfreiheit gemäß Art. 22 IPbpR. Auch fallen religiöse Botschaften inhaltlich unter<br />

den umfassenden Anwendungsbereich <strong>der</strong> öffentlichen Meinungsfreiheit. Die öffentliche<br />

Religionsfreiheit wird damit als Unterfall <strong>der</strong> öffentlichen Meinungsfreiheit angesehen. 29 Zu<br />

den von Art. 18 Abs. 1 <strong>des</strong> Paktes geschützten Formen <strong>der</strong> Religionsfreiheit gehören<br />

namentlich <strong>der</strong> Gottesdienst, religiöse Bräuche, Praxis und Unterricht. Unter Gottesdienst ist<br />

die typische Form religiöser Anbetung und Verkündung, also die Kultusfreiheit zu<br />

verstehen. 30 Ebenfalls relativ eindeutig best<strong>im</strong>mt ist die Gewährleistung religiöser Riten und<br />

Gebräuche, wozu insbeson<strong>der</strong>e Prozessionen, aber auch das Tragen einer religiösen Kleidung<br />

o<strong>der</strong> Barttracht o<strong>der</strong> das Tragen <strong>des</strong> Turbans, kurz Gebete und alle sonstigen Bräuche, Rituale<br />

und Riten <strong>der</strong> verschiedenen Religionsgemeinschaften, gezählt werden. 31<br />

4. Anwendung <strong>der</strong> Dublin II - Verordnung<br />

In <strong>der</strong> Vergangenheit ist das Bun<strong>des</strong>amt vermehrt dazu übergegangen, unter Berufung auf §<br />

29 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG in Dublinverfahren nach § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG vorzugehen<br />

und eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylVfG mit <strong>der</strong> Folge zu verfügen,<br />

dass <strong>der</strong> ansonsten nach § 29 Abs. 3 Satz 1 in Verb. mit § 35 Satz 2, § 36 Abs. 3 AsylVfG<br />

26 OVG SH, AuAS 2005, 262 (264).<br />

27 Wolfgang Huber/ Heinz Eduard Tödt, Menschenrechte, 1977, S. 164.<br />

28 Johannes Neumann, Das Grundrecht <strong>der</strong> Glaubens- und Religionsfreiheit, in: Johannes Schwartlän<strong>der</strong>,<br />

Menschenrechte, Tübingen 1978, S. 130.<br />

29 Manfred Nowak, UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotikoll, 1989.<br />

Komentar, Rdn. 21 zu Art. 18.<br />

30 Jochen Abr. Frowein/Wolfgang Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention. EMRK-Konvention, 2.<br />

Aufl., 1996, Rdn. 10 zu Art. 9; Manfred Nowak, aa. a. O., Rdn. 23 zu Art. 18.<br />

31 Jochen Abr. Frowein/Wolfgang Peukert, a. a. O.; Manfred Nowak, a. a. O.


180<br />

gegebene Eilrechtsschutz entfällt. Die Folge ist, dass etwa <strong>im</strong> Zusammenhang mit den<br />

Vorschriften über die Familienzusammenführung (z.B. Art. 7 und 8 Verordnung (EG) Nr.<br />

343/2003)) die Abschiebungsanordnung ohne gerichtliche Überprüfung vollstreckt wird.<br />

Normen <strong>der</strong> Verordnung, die abwehrfähige Rechte vermitteln, begründen in<strong>des</strong> subjektive<br />

Rechte. 32 Darüber hinaus folgt aus Art. 19 Abs. 2 Satz 3 2. Halbs. <strong>der</strong> Verordnung, dass gegen<br />

die Entscheidung <strong>im</strong> Dublinverfahren ein Rechtsbehelf eröffnet werden muss. Dieser muss so<br />

ausgestaltet werden, dass er die Beantragung <strong>des</strong> Suspensiveffekts und damit Eilrechtsschutz<br />

gewährleistet. 33 Die bezeichnete Verwaltungspraxis, die nunmehr durch Än<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> § 34a<br />

Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. AsylVfGE durch den Referentenentwurf zum 2. AufenthÄndG<br />

gesetzlich sanktioniert werden soll, ist <strong>des</strong>halb mit dem gemeinschaftsrechtlichen<br />

Anwendungsvorrang unvereinbar.<br />

4. Nachfluchtgründe <strong>im</strong> Asylfolgeantragsverfahren (§ 28 Abs. 2 AsylVfG)<br />

Probleme sind bei <strong>der</strong> Anwendung von § 28 Abs. 2 AsylVfG aufgetreten. Insoweit ist die<br />

Regelung we<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> GKK vereinbar 34 noch mit Gemeinschaftsrecht, da nach Art. 5 Abs. 3<br />

RL 2004/83/EG den Mitgliedstaaten Befugnisse nur „unbeschadet <strong>der</strong> GFK“ eingeräumt<br />

werden. Die Rechtsprechung wendet § 28 Abs. 2 AsylVfG aber in dem Fall nicht an, in dem<br />

die zur Schutzgewährung führenden exilpolitischen Aktivitäten bereits vor dem 1. Januar<br />

2005 entfaltet wurden. 35 Die Mitgliedstaaten dürfen die Konvention nicht durch die Art und<br />

Weise <strong>der</strong> Behandlung von Nachfluchtgründen verletzen. Der starre Regelmechanismus <strong>des</strong><br />

geltenden § 28 Abs. 2 AsylVfG wie auch die <strong>im</strong> Referentenentwurf eines 2 AufenthÄndG<br />

vorgeschlagene Neufassung wird <strong>der</strong> GFK nicht gerecht. Bereits das Handbuch von UNHCR<br />

weist in Ansehung subjektiver Nachfluchtgründe auf das Gebot einer sorgfältigen<br />

Untersuchung aller Umstände <strong>des</strong> Einzelfalls hin. Später hat UNHCR erneut bekräftigt, dass<br />

<strong>der</strong>artige Gründe die Frage <strong>der</strong> Glaubwürdigkeit <strong>des</strong> Antragstellers aufwerfen würden, da<br />

nicht ausgeschlossen werden könnte, dass mit diesen Aktivitäten eine best<strong>im</strong>mte Absicht<br />

verfolgt werde. In solchen Fällen sei es beson<strong>der</strong>s wichtig, dass alle Einzelheiten sorgfältig<br />

auf ihre Wahrscheinlichkeit hin geprüft und analysiert würden, dass <strong>des</strong>wegen tatsächlich die<br />

32 Michael Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 29 Rdn. 127.<br />

33 Michael Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, § 29 Rdn. 263.<br />

34 So auch VG Stuttgart, NVwZ 2006, 113; s. auch OVG NW, InfAuslR 2005, 489.<br />

35 VG Meiningen, InfAuslR 2006, 159 (162).


181<br />

Gefahr <strong>der</strong> Verfolgung drohe. 36 Daher hält UNHCR § 28 Abs. 2 AsylVfG n. F. für<br />

unvereinbar mit <strong>der</strong> GFK. 37 Auch <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>rat hatte völkerrechtliche Bedenken gegen diese<br />

Vorschrift geltend gemacht.<br />

Der Begriff <strong>der</strong> begründeten Furcht vor Verfolgung bringt das Doppelerfor<strong>der</strong>nis <strong>der</strong><br />

persönlichen Glaubwürdigkeit und <strong>der</strong> glaubhaften, auf guten Gründen beruhenden Furcht <strong>des</strong><br />

Antragstellers ins Spiel. Herzstück <strong>der</strong> entsprechenden Prüfung ist, ob die „subjektive“ Furcht<br />

wohl begründet ist, ob also hinreichend zuverlässige Tatsachen und Umstände das Urteil<br />

rechtfertigen, dass <strong>der</strong> Antragsteller ernsthaft mit <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Verfolgung rechnen<br />

muss. 38 In diesem Zusammenhang auftretende Probleme können nicht in <strong>der</strong> abstrakten Weise<br />

wie mit <strong>der</strong> schematisierenden Regelung <strong>des</strong> § 28 Abs. 2 AsylVfG gelöst werden. Vielmehr<br />

sind sämtliche Umstände <strong>des</strong> Einzelfalles in den Blick zu nehmen einschließlich <strong>der</strong><br />

Beziehung zwischen <strong>der</strong> befürchteten Verfolgung und dem Risiko ihrer Verwirklichung. 39<br />

Weil die Manifestation oppositioneller Meinungen menschenrechtlich geschützt ist, ist die<br />

Fixierung auf gewillkürte Aktivitäten ohnehin nicht sachgerecht. 40<br />

C. Humanitäre Aufenthaltstitel<br />

1. Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 bis 3 AufenthG<br />

Bei <strong>der</strong> Anwendung von § 25 Abs. 1 bis 3 AufenthG sind bislang keine gravierenden<br />

Probleme aufgetreten. Insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> Entscheidung nach § 25 Abs. 3 AufenthG hat die<br />

zwingende Abweichung von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen (§ 5 Abs. 3 1.<br />

Halbs. AufenthG) gegenüber <strong>der</strong> früher üblichen Anwendung <strong>der</strong> Regelversagungsgründe<br />

nach § 7 Abs. 2 AuslG 1990 eine erhebliche Rechtsverbesserung herbeigeführt. Allerdings<br />

sollten für die subsidiär Schutzberechtigten Verbesserungen in <strong>der</strong> sozialrechtlichen<br />

Rechtsstellung überlegt werden. Erst nach einem vier Jahre dauernden Aufenthalt entfällt die<br />

36 UNHCR, Auslegung von Art. 1 GFK, April 2001, Rdn. 34.<br />

37 UNHCR, Stellungnahme an den BT-Innenausschuss v. 14. 1. 2002, DB, 14. WP, Innenausschuss, Prot. Nr.<br />

83, 14/674 I, S. 280; ebenso amnesty international, Stellungnahme an den BT-Innenausschuss v. 11. 1. 2002,<br />

DB, 14. WP, Innenausschuss, Prot. Nr. 83, 14/674 D, S. 235; Reinhard Marx, Stellungnahme an den BT-<br />

Innenausschuss v. 1. 1. 2002, DB, 14. WP, Innenausschuss, Prot. Nr. 83, 14/674, S. 168.<br />

38 Guy S. Goodwin-Gill, The Refugee in International Law, S. 41.<br />

39 Guy S. Goodwin-Gill, The Refugee in International Law, S. 41.<br />

40 James C. Hathaway, The Law of Refugee Status, S. 37.


182<br />

Vorrangprüfung (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 2 BeschVerfV) und bedarf es auch anschließend noch<br />

<strong>der</strong> Durchführung <strong>des</strong> Zust<strong>im</strong>mungsverfahrens. Zwar erlaubt die Richtlinie 2004/83/EG die<br />

Anwendung <strong>des</strong> Vorrangprinzips (Art. 26 Abs. 3 Satz 2). Nach Art. 3 <strong>der</strong> Richtlinie können<br />

die Mitgliedstaaten jedoch günstigere Normen anwenden.<br />

Unvertretbare Verfahrensverzögerungen und nicht gerechtfertigte Erschwernisse treten durch<br />

die insbeson<strong>der</strong>e <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>land Hessen praktizierte, in aller Regel über acht Monate<br />

dauernde Sicherheitsanfrage vor je<strong>der</strong> Entscheidung über die Erteilung und Verlängerung<br />

einer Aufenthaltserlaubnis auf. Lediglich vor <strong>der</strong> Entscheidung über eine<br />

Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis darf nach § 73 Abs. 2 Satz 3 AufenthG anlassbezogen eine<br />

Sicherheitsüberprüfung durchgeführt werden. Eine systematische und lückenlose<br />

Sicherheitsüberprüfung in Ansehung best<strong>im</strong>mter Herkunftslän<strong>der</strong> ist aber auch in diesem Fall<br />

nicht zulässig. Für die Durchführung einer systematischen Sicherheitsüberprüfung auch bei<br />

<strong>der</strong> Entscheidung über befristete Aufenthaltstitel enthält das AufenthG keine<br />

Rechtsgrundlage. Der Verwaltungsaufwand steht in keinem Verhältnis zum Erfolg. Eine<br />

gerichtliche Überprüfung dieser Praxis ist wegen § 44a VwGO und <strong>der</strong> Dauer <strong>der</strong><br />

Verwaltungsstreitverfahren in<strong>des</strong> kaum zu erreichen.<br />

2. Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG<br />

Umstritten ist, ob § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auch bei vollziehbar ausreisepflichtigen<br />

Antragstellern anwendbar ist. Nach Nr. 25.4.1.1 VAH bietet die Vorschrift die Möglichkeit<br />

für die Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis für einen vorübergehenden Aufenthalt<br />

in den Fällen, in denen bisher nach § 55 Abs. 3 AuslG 1990 die Duldung erteilt wurde. Ein<br />

Daueraufenthalt solle über diese Norm nicht eröffnet werden. Der Antragsteller müsse sich<br />

bereits <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet befinden und dürfe nicht vollziehbar ausreisepflichtig sein. Diese<br />

Begründung ist wi<strong>der</strong>sprüchlich, da die Vorschrift an die Regelung <strong>des</strong> § 55 Abs. 3 AuslG<br />

1990 anknüpft, welche auf vollziehbar ausreisepflichtige Personen angewendet wurde. Diese<br />

Einschränkung <strong>des</strong> Anwendungsbereichs <strong>der</strong> Norm ist bedenklich und zudem unnötig. Gerade


183<br />

die vom Gesetzgeber als schützenswert bezeichneten Rechtsgüter sprechen gegen die<br />

Einschränkung auf nicht vollziehbar ausreisepflichtige Antragsteller. 41<br />

Der Aufenthaltszweck muss stets kurzfristig angelegt sein, darf also keinen längeren<br />

Aufenthalt erfor<strong>der</strong>n. Dies verdeutlich auf die Regelung in § 26 Abs. 1 AufenthG. Danach<br />

kann die Aufenthaltserlaubnis für längstens sechs Monate erteilt werden, solange sich <strong>der</strong><br />

Antragsteller noch nicht min<strong>des</strong>tens 18 Monate <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet aufgehalten hat. Wird<br />

hingegen ein Daueraufenthalt angestrebt, kann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4<br />

Satz 1 AufenthG nicht beansprucht werden. Hiervon ist aber eine Ausnahme zulässig, wenn<br />

<strong>der</strong> Antragsteller daneben weitere Gründe geltend macht, die einen vorübergehenden<br />

Aufenthalt erkennen lassen. 42<br />

Allerdings <strong>im</strong>pliziert das Tatbestandsmerkmal „ für einen vorübergehenden Aufenthalt“ eine<br />

ex-ante-Prognose. Danach stellt die Auslän<strong>der</strong>behörde <strong>im</strong> Zeitpunkt <strong>der</strong> Erteilung <strong>der</strong><br />

Aufenthaltserlaubnis in ihre Prognose einen alsbaldigen Wegfall <strong>des</strong> Ausreisehin<strong>der</strong>nisses<br />

ein. Deshalb hat <strong>der</strong> Antragsteller nachzuweisen, dass er nach Ablauf <strong>der</strong> Geltungsdauer <strong>der</strong><br />

Aufenthaltserlaubnis freiwillig ausreisen wird. Diese Voraussetzung wird regelmäßig nicht<br />

erfüllt sein, wenn ein dauerhafter Aufenthalt angestrebt wird. Sollte sich nachträglich<br />

herausstellen, dass das Ausreisehin<strong>der</strong>nis entgegen <strong>der</strong> Prognose nicht entfallen ist, besteht<br />

die Möglichkeit <strong>der</strong> Verlängerung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2<br />

AufenthG. 43<br />

Werden mehrere Aufenthaltszwecke geltend gemacht, die einerseits auf einen<br />

Daueraufenthalt, an<strong>der</strong>erseits auf einen vorübergehenden Aufenthalt gerichtet sind, kann<br />

allein auf den vorübergehenden Zweck abgestellt werden. Maßgebend ist auch in diesem Fall,<br />

ob die Auslän<strong>der</strong>behörde <strong>im</strong> Zeitpunkt <strong>der</strong> Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis mit dem<br />

Wegfall <strong>des</strong> vorübergehenden Ausreishin<strong>der</strong>nisses rechnen darf. 44<br />

Im Hinblick auf § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG wird allgemein davon ausgegangen, dass mit<br />

dieser Vorschrift eine von § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG unabhängige, selbständige<br />

41 Nie<strong>der</strong>s.OVG, InfAuslR 2005, 381 (383); VG Braunschweig, U. v. 1. 9. 2005 – 5 A 15/05; Günter Benassi,<br />

InfAuslR 2005, 357 (358); Ralph Göbel-Z<strong>im</strong>mermann, ZAR 2005, 275; Günter Renner, AuslR, § 25 AufenthG<br />

Rdn. 29.<br />

42 Nie<strong>der</strong>s.OVG, InfAuslR 2005, 381 (383); VG Braunschweig, U. v. 1. 9. 2005 – 5 A 15/05;.<br />

43 Nie<strong>der</strong>s.OVG, InfAuslR 2005, 381 (383).<br />

44 Günter Benassi, InfAuslR 2005, 357 (359).


184<br />

Rechtsgrundlage geschaffen wurde (Nr. 25.4.2.1 VAH). 45 Zwischen Satz 1 und Satz 2 <strong>des</strong> §<br />

25 Abs. 4 AufenthG besteht kein systematischer Zusammenhang. Vielmehr soll mit § 25 Abs.<br />

4 Satz 2 AufenthG unabhängig von <strong>der</strong> Grundlage <strong>des</strong> ursprünglichen Aufenthaltstitels eine<br />

Ausnahmemöglichkeit für alle Fälle geschaffen werden, in denen bereits ein rechtmäßiger<br />

Aufenthalt besteht und das Verlassen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>gebietes für den Antragsteller eine<br />

außergewöhnliche Härte bedeuten würde. 46<br />

Eine außergewöhnliche Härte setzt voraus, dass <strong>der</strong> Antragsteller sich in einer individuellen<br />

Son<strong>der</strong>situation befindet, aufgrund <strong>der</strong>er ihn die Aufenthaltsbeendigung nach Art und<br />

Schwere <strong>des</strong> Eingriffs wesentlich härter treffen würde als an<strong>der</strong>e Auslän<strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Aufenthalt<br />

ebenfalls zu beenden wäre (Nr. 25.4.2.2 VAH). Nach <strong>der</strong> obergerichtlichen Rechtsprechung<br />

ist eine außergewöhnliche Härte gegeben, wenn <strong>der</strong> Antragsteller seine wesentliche<br />

Sozialisation <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet erfahren hat. Im Hinblick auf die damit eingetretene<br />

Verwurzelung <strong>des</strong> Antragstellers erscheine eine Aufenthaltsbeendigung als unverhältnismäßig<br />

und damit als außergewöhnliche Härte. 47 Ist <strong>der</strong> Aufenthalt nicht rechtmäßig gewinnt die<br />

Verwurzelung bei <strong>der</strong> Anwendung von § 25 Abs. 5 AufenthG Bedeutung (Seiten 23 ff.).<br />

Insoweit weist § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG gegenüber § 30 Abs. 2 AuslG 1990 qualitativ<br />

eine Verän<strong>der</strong>ung auf, weil die Dauer <strong>des</strong> bisherigen Aufenthaltes nach <strong>der</strong> Vorläufernorm<br />

nicht berücksichtigt werden durfte, <strong>der</strong> Gesetzgeber diese Einschränkung in § 25 Abs. 4 Satz<br />

2 AufenthG hingegen nicht übernommen hat. Deshalb dürfen <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

Aufenthaltsbeendigung eintretende außergewöhnliche Härtegründe ebenso berücksichtigt<br />

werden wie eine beson<strong>der</strong>s intensive Verwurzelung <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet. 48<br />

Die Annahme einer außergewöhnlichen Härte kann nicht darauf gestützt werden, dass <strong>der</strong><br />

Antragsteller eine Arbeitsstelle in Aussicht hat (Nr. 25.4.2.3 VAH). Das Nichtvorliegen <strong>der</strong><br />

tatbestandlichen Voraussetzungen an<strong>der</strong>er aufenthaltsrechtlicher Vorschriften rechtfertigt die<br />

Annahme einer außergewöhnlichen Härte nicht. Beruft sich <strong>der</strong> Antragsteller beispielsweise<br />

auf allgemeine Verhältnisse <strong>im</strong> Herkunftsland, z.B. Katastrophen- o<strong>der</strong> Kriegssituation, ist<br />

nur auf die Lage vergleichbarer Fälle aus o<strong>der</strong> in diesem Staat abzustellen (Nr. 25.4.2.4<br />

45 OVG NW, InfAuslR 2005, 380 (381); VG Braunschweig, U. v. 1. 9. 2005 – 5 A 15/05; Günter Benassi,<br />

InfAuslR 2005, 357 (359); Ralph Göbel-Z<strong>im</strong>mermann, ZAR 2005, 275 (277).<br />

46 Günter Benassi, InfAuslR 2005, 357 (359); Ralph Göbel-Z<strong>im</strong>mermann, ZAR 2005, 275 (277).<br />

47 OVG NW, InfAuslR 2005, 380 (381); Günter Benassi, InfAuslR 2005, 357 (359).<br />

48 Günter Benassi, InfAuslR 2005, 357 (359).


185<br />

VAH). Allgemeine Verhältnisse <strong>im</strong> Herkunftsland, die unter Umständen <strong>der</strong> Ausreise <strong>des</strong><br />

Antragstellers entgegenstehen, fallen unter die Regelungsbereiche <strong>der</strong> § 23, § 24 o<strong>der</strong> § 60a<br />

Abs. 1 AufenthG (Nr. 25.4.2.4 VAH).<br />

3. Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG<br />

a) Vorbemerkung<br />

§ 25 Abs. 5 AufenthG ist die wohl am heftigsten umstrittene Vorschrift <strong>im</strong> Abschnitt <strong>des</strong><br />

AufenthG über humanitäre Aufenthaltstitel. So wird bereits bestritten, dass <strong>der</strong> Gesetzgeber<br />

gegenüber dem verunglückten Regelungsmechanismus <strong>der</strong> §§ 55 Abs. 2, Abs. 4 Satz 1, § 30<br />

Abs. 3 und 4 AuslG 1990 Verbesserungen habe einführen und die Praxis <strong>der</strong> Kettenduldungen<br />

abschaffen wollen. Wegen <strong>des</strong> politisch bedingten Versäumnisses, für die auf etwa 200.000<br />

Personen eingeschätzten geduldeten Auslän<strong>der</strong> aufenthaltsrechtliche Lösungen genereller Art<br />

zu entwickeln, konzentrieren sich in <strong>der</strong> Rechtsprechung die Bemühungen darauf, <strong>im</strong> hohen<br />

Maße integrierten Jugendlichen über § 25 Abs. 5 AufenthG zu helfen. Durch die unverän<strong>der</strong>t<br />

geübte Praxis erhöhter Anfor<strong>der</strong>ungen an die Bemühungen zur Beschaffung von<br />

He<strong>im</strong>reisedokumenten (vgl. § 30 Abs. 4 AuslG 1990, § 25 Abs. Satz 4 letzter Halbs.<br />

AufenthG) unterläuft die Verwaltungspraxis jedoch <strong>der</strong>artige Bemühungen.<br />

§ 25 Abs. 5 AufenthG wird so zum sozialen Sprengstoff mit Auswirkungen auf die<br />

Integrationsfähigkeit dieser Gesellschaft. Die überwiegende Mehrzahl <strong>der</strong> geduldeten<br />

Auslän<strong>der</strong> kommt aus den Krisengebieten <strong>des</strong> früheren Jugoslawien. Sie rufen in Erinnerung,<br />

dass in Europa, das auf den Prinzipien <strong>der</strong> Universalität und Völkerverständigung beruht, zum<br />

ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1990er Jahren zivilisatorische<br />

Zerfallsprozesse hervor gebracht wurden, <strong>der</strong>en Folgen bis heute fortwirken. Auch in den<br />

Flüchtlingen aus dieser Region verkörpern sich diese Folgen. Die Akte ihrer Berechtigung<br />

zum Aufenthalt wurde juristisch korrekt und handwerklich perfekt abgeschlossen und einer<br />

auf Abschiebung ausgerichteten Verwaltungspraxis damit die erfor<strong>der</strong>liche<br />

Legit<strong>im</strong>ationsbasis vermittelt. Dennoch standen nicht nur bilaterale Störungen, son<strong>der</strong>n häufig<br />

insbeson<strong>der</strong>e auch bei den betroffenen Auslän<strong>der</strong>behörden humanitäre und moralische<br />

Skrupel dem gefor<strong>der</strong>ten konsequenten Vollzug entgegen.


186<br />

Verkannt wird, dass mit rein polizeirechtlichen Mitteln ein nach politischen Lösungen<br />

drängen<strong>des</strong> Problem nicht gelöst werden kann. Die Vorstellung <strong>der</strong> Ausweglosigkeit, nach<br />

zumeist über dreizehn Jahren in eine Umgebung zurückkehren zu müssen, in <strong>der</strong> zumeist<br />

keine soziale Perspektive mehr besteht und ein über ein Jahrzehnt zurückliegen<strong>des</strong> Grauen<br />

traumatische Erinnerungen wie<strong>der</strong>belebt, sprengt die menschliche Vorstellungskraft. Darüber<br />

hinaus läuft die Bun<strong>des</strong>republik mit dieser Praxis Gefahr, eine hohe Anzahl integrierter<br />

jugendlicher Auslän<strong>der</strong> in das soziale Nichts abzudrängen und damit zugleich den Reichtum<br />

<strong>der</strong> hiesigen Gesellschaft an dynamischen, integrativen und humanen Potenzialen ohne Not<br />

gravierend zu beschädigen. So gesehen, ist reines Abwehrdenken politisch unvernünftig und<br />

läuft dem Integrationsziel <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes entgegen.<br />

b) Begriff <strong>des</strong> rechtlichen Ausreisehin<strong>der</strong>nisses<br />

Insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Streit um den Zumutbarkeitsbegriff macht deutlich, wie stark<br />

Abwehrdenken die Auslegung <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 AufenthG leitet. Dabei läuft die Kontroverse<br />

<strong>im</strong> Ergebnis auf einen Streit um Worte hinaus, wie aufzuzeigen ist: Festzuhalten ist zunächst,<br />

dass <strong>der</strong> Begriff <strong>des</strong> Ausreisehin<strong>der</strong>nisses nicht mehr auf die Möglichkeit <strong>der</strong> Abschiebung,<br />

son<strong>der</strong>n auf die <strong>der</strong> Ausreise abstellt. Damit soll sichergestellt werden, dass die subjektiven<br />

Möglichkeiten <strong>des</strong> Betroffenen, bei <strong>der</strong> Beseitigung <strong>der</strong> die Ausreise hin<strong>der</strong>nden Umstände<br />

mitzuwirken, erfasst werden. Ein Ausreisehin<strong>der</strong>nis liegt nicht vor, wenn zwar eine<br />

Abschiebung nicht möglich ist, z.B. weil eine Begleitung durch Sicherheitsbeamte nicht<br />

durchgeführt werden kann, eine freiwillige Ausreise jedoch möglich und zumutbar ist (Nr.<br />

25.5.1.2 VAH). 49 Im Umkehrschluss folgt hieraus, dass ein Ausreisehin<strong>der</strong>nis vorliegt, wenn<br />

zwar die Abschiebung wie auch die freiwillige Ausreise möglich, aber nicht zumutbar sind. 50<br />

Begründet wird diese Ansicht mit <strong>der</strong> Entstehungsgeschichte <strong>des</strong> Gesetzes. Erkennbar sollten<br />

die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis <strong>im</strong> Vergleich zur früheren<br />

Regelung in § 30 Abs. 3 und 4 AuslG 1990 nicht verschärft werden. 51 Nach den<br />

49 So auch Erlass <strong>des</strong> Innenministeriums SH v. 28. 9. 2005 – IV 606-212-29.111.3-25; Erlass <strong>des</strong><br />

Innenministeriums Rh-Pf v. 17. 12. 2004 – 19300-7:316 O; dagegen Hess.MdI, Erlass vom 7. 2. 2005 – II 4 23<br />

d; Erlass <strong>des</strong> Innenministeriums NRW v. 28. 2. und vom 2. 6. 2005 – 15-39.05.01-2.<br />

50 VGH BW, U. v. 18. 1. 2006 – 13 S 2220/05; Hess.VGH, B. v. 1. 6. 2005 – 3 TG 1273/05; Günter Renner,<br />

AuslR, 8. Aufl., 2005, § 25 AufenthG Rdn. 34; Günter Benassi, InfAuslR 2005, 357 (360); Ralph Göbel-<br />

Z<strong>im</strong>mermann, ZAR 2005, 275 (277 f.).<br />

51 VGH BW, U. v. 18. 1. 2006 – 13 S 2220/05.


187<br />

Gesetzesmaterialien sollte § 25 Abs. 5 AufenthG gerade bei schon länger <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet<br />

lebenden Auslän<strong>der</strong>n zur Aufenthaltsgewährung führen. 52 Auch eine freiwillige Ausreise sei<br />

dann nicht möglich, wenn ihr dieselben rechtlichen o<strong>der</strong> humanitären Gründe<br />

entgegenstünden, die bereits zur Aussetzung <strong>der</strong> Abschiebung geführt hätten. Ein in <strong>der</strong><br />

Praxis weit verbreitetes Verständnis <strong>des</strong> Ausreisebegriffs, das lediglich auf die technische<br />

Möglichkeit <strong>der</strong> Ausreise abstelle, finde in <strong>der</strong> Gesetzesbegründung keine Stütze. Theoretisch<br />

sei eine freiwillige Ausreise fast <strong>im</strong>mer objektiv möglich. 53<br />

Demgegenüber wird in einigen Län<strong>der</strong>n erlassrechtlich best<strong>im</strong>mt, dass die Frage <strong>der</strong><br />

Verhältnismäßigkeit <strong>der</strong> Aufenthaltsbeendigung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Unzumutbarkeit <strong>der</strong> Ausreise keine<br />

tatbestandmäßige Voraussetzung bei <strong>der</strong> Anwendung <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 AufenthG sei. Vielmehr<br />

sei <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Unmöglichkeit als objektives Tatbestandsmerkmal ohne subjektives<br />

Element zu verstehen. Daher komme es nur auf die Möglichkeit <strong>der</strong> freiwilligen Ausreise,<br />

nicht aber darauf an, ob diese auch subjektiv zumutbar sei. 54 Entscheidend sei <strong>des</strong>halb darauf<br />

abzustellen, ob dem Betroffenen eine freiwillige Rückreise in sein Herkunftsland möglich sei.<br />

§ 25 Abs. 5 AufenthG verwende den Begriff <strong>der</strong> Abschiebung nicht mehr. Auch dann, wenn<br />

eine zwangsweise Rückführung nicht möglich sei, die Ausreise aber auf freiwilliger Basis<br />

erfolgen könne, scheide <strong>des</strong>halb die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären<br />

Gründen aus. Es komme also nicht darauf an, ob die Auslän<strong>der</strong>behörde in <strong>der</strong> Lage sei, den<br />

Betroffenen zwangsweise abzuschieben. Vielmehr sei entscheiden<strong>der</strong> Anknüpfungspunkt, ob<br />

ihm selbst diese Ausreise möglich ist, wenn er sich darum bemühe. 55<br />

Der Wortlaut <strong>der</strong> Norm spreche ausdrücklich von „Unmöglichkeit“, nicht aber von<br />

„Unzumutbarkeit“. Eine systematische Betrachtung gebiete kein an<strong>der</strong>es Ergebnis. Dringende<br />

humanitäre o<strong>der</strong> persönliche Gründe habe <strong>der</strong> Gesetzgeber nur in § 25 Abs. 4 Satz 1<br />

AufenthG, nicht aber in § 25 Abs. 5 AufenthG aufgenommen. Letztere Vorschrift for<strong>der</strong>e<br />

<strong>des</strong>halb wie bisher die rechtliche o<strong>der</strong> tatsächliche Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise und nicht die -<br />

einer Berücksichtigung humanitärer und persönlicher Gründe zugängliche – Unzumutbarkeit<br />

52 Günter Benassi, InfAuslR 2005, 357 (360); Ralph Göbel-Z<strong>im</strong>mermann, ZAR 2005, 275 (278).<br />

53 Ralph Göbel-Z<strong>im</strong>mermann, ZAR 2005, 275 (277 f.)<br />

54 Hess.MdI, Erlass vom 7. 2. 2005 – II 4 23 d; Erlass <strong>des</strong> Innenministeriums NRW v. 28. 2. und vom 2. 6.<br />

2005 – 15-39.05.01-2-; so auch Nie<strong>der</strong>s.OVG, U. v. 29. 11. 2005 – 10 LB 84/05; BayVGH, U. v. 10. 1. 2005 –<br />

24 B 03.3389.<br />

55 BayVGH, U. v. 10. 1. 2005 – 24 B 03.3389.


188<br />

<strong>der</strong> Ausreise. 56 Auch aus <strong>der</strong> Entstehungsgeschichte <strong>der</strong> Norm folge nicht das Erfor<strong>der</strong>nis <strong>der</strong><br />

Zumutbarkeit. Soweit in <strong>der</strong> Gesetzesbegründung die Prüfung <strong>der</strong> subjektiven Möglichkeit –<br />

und damit <strong>im</strong>plizit auch die Zumutbarkeit – erwähnt werde, werde dadurch nicht die Schwelle<br />

für das Vorliegen von Ausreisehin<strong>der</strong>nissen gegenüber § 30 Abs. 3 und 4 AuslG 1990<br />

herabgesetzt o<strong>der</strong> etwa die Zumutbarkeit als eigenständiges Prüfungskriterium eingeführt.<br />

Vielmehr berücksichtige die Gesetzesbegründung die frühere Rechtsprechung zu diesen<br />

Normen. Diese habe nämlich auch schon zu § 30 Abs. 3 und 4 AuslG 1990 angenommen,<br />

dass in Einzelfällen ein Ausreisehin<strong>der</strong>nis <strong>im</strong> Sinne dieser Vorschriften vorliegen und die<br />

Abschiebung aus verfassungs- o<strong>der</strong> völkerrechtlichen Gründen mit Blick auf Art. 6 GG und<br />

Art. 8 EMRK „unzumutbar“ und damit „rechtlich unmöglich“ sein könne. Für einen<br />

gesetzgeberischen Willen zur Einführung eines eigenständigen Tatbestandsmerkmals <strong>der</strong><br />

Zumutbarkeit, das Raum für die Prüfung von <strong>der</strong> Ausreise entgegenstehenden humanitären<br />

o<strong>der</strong> persönlichen Gründen ließe, lasse sich den Gesetzesmaterialien hingegen nichts<br />

entnehmen. 57<br />

Die entgegen gesetzten Positionen unterscheiden sich bei näherem Hinsehen <strong>im</strong> Ergebnis<br />

nicht, wohl aber in <strong>der</strong> dogmatischen Begründung, soweit es um den dogmatischen<br />

Stellenwert <strong>des</strong> „Zumutbarkeitsbegriffs“ geht: Denn auch die gegen die Zumutbarkeit<br />

gerichtete Position berücksichtigt verfassungs- und völkerrechtliche Schutznormen und stellt<br />

damit nicht lediglich auf die technische Möglichkeit <strong>der</strong> Ausreise ab. Denn mit dem Hinweis<br />

auf Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK 58 kommen individuelle Zumutbarkeitsgesichtspunkte<br />

ins Spiel. Vermieden werden soll eine eigenständige Hervorhebung <strong>der</strong> „Zumutbarkeit“ wohl,<br />

um bereits auf dogmatischer Ebene einer zu stark am Interesse <strong>des</strong> Schutz <strong>des</strong> Einzelnen<br />

orientierten Auslegung <strong>der</strong> Vorschrift <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 AufenthG entgegen zu wirken.<br />

Einwände gegen die freiwillige Ausreise, die auf verfassungs- und völkerrechtliche<br />

Schutznormen gestützt werden, stehen <strong>der</strong> Ausreise damit auch nach <strong>der</strong> gegen das<br />

Zumutbarkeitserfor<strong>der</strong>nis gerichteten Position aus „rechtlichen Gründen“ entgegen.<br />

Materiellrechtlich manifestieren verfassungs- und völkerrechtliche Schutznormen wie z.B.<br />

Art. 2 Abs. 2 in Verb. mit Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 3 und 8 EMRK das<br />

positivrechtlich verankerte Verständnis davon, was dem Einzelnen an Belastungen in<br />

56<br />

Nie<strong>der</strong>s.OVG, U. v. 29. 11. 2005 – 10 LB 84/05.<br />

57<br />

Nie<strong>der</strong>s.OVG, U. v. 29. 11. 2005 – 10 LB 84/05.


189<br />

zumutbarer Weise abverlangt werden kann. Das mo<strong>der</strong>ne Verständnis universeller<br />

Menschenrechte n<strong>im</strong>mt ja seinen rechtlichen Ausgangspunkt vom Einzelnen aus und legt von<br />

dort aus seine rechtlich anerkannten Schutzräume und <strong>der</strong>en Grenzen unter Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> sich aus <strong>der</strong> Gemeinschaftsgebundenheit <strong>der</strong> Grund- und Menschenrechte ergebenden<br />

„zumutbaren“ Belastungen fest. Nicht alles was technisch möglich ist, darf daher vom<br />

Betroffenen aus rechtlichen Gründen gefor<strong>der</strong>t werden, son<strong>der</strong>n nur das, was für ihn zumutbar<br />

ist. Rechtlich ist <strong>des</strong>halb die Ausreise unmöglich, wenn sie für den Einzelnen nach Maßgabe<br />

<strong>des</strong> Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie an<strong>der</strong>er verfassungs- und völkerrechtlicher<br />

Normen unzumutbar ist. Letztlich kommt es darauf an, wie eng verfassungs- und<br />

völkerrechtliche Schutznormen begrifflich gefasst und welche tatsächlichen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

an ihre Anwendung <strong>im</strong> konkreten Einzelfall gestellt werden. Dementsprechend sind einige<br />

Obergerichte, welche Art. 8 EMRK bei <strong>der</strong> Anwendung von § 25 Abs. 5 AufenthG<br />

berücksichtigen, so klug und vermeiden eine Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem Begriff <strong>der</strong><br />

Zumutbarkeit, son<strong>der</strong>n stellen lapidar fest, dass sich eine rechtliche Unmöglichkeit <strong>der</strong><br />

Ausreise auch Art. 8 EMRK ergeben könne. 59<br />

Überlegt werden sollte eine Än<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 AufenthG, um einerseits rechtlichen<br />

Schutznormen besser Geltung verschaffen und an<strong>der</strong>erseits die zuwan<strong>der</strong>ungspolitische<br />

Steuerungsfähigkeit nach Maßgabe <strong>des</strong> verfassungskräftigen Grundsatzes <strong>der</strong><br />

Verhältnismäßigkeit gestalten zu können. Zu diesem Zweck schlägt <strong>der</strong> Deutsche<br />

Anwaltverein in seiner Stellungnahme vom März 2006 vor, an § 25 Abs. 1 Satz 1 AufenthG<br />

den folgenden Halbsatz anzufügen:<br />

„….rechtliche Unmöglichkeit ist auch anzunehmen, wenn eine Rechtsgüterabwägung<br />

<strong>im</strong> Einzelfall das staatliche Interesse an <strong>der</strong> Aufenthaltsbeendigung als nachrangig<br />

erscheinen lässt.“<br />

c) Rechtliches Hin<strong>der</strong>nis „ Verwurzelung“<br />

Derzeit steht <strong>im</strong> Streit, welche Reichweite Art. 8 Abs. 1 EMRK bei <strong>der</strong> Anwendung von § 25<br />

Abs. 5 AufenthG einzuräumen ist. Eine den Schutz <strong>des</strong> Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1<br />

EMRK auslösende Verbindung mit <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik kann nach <strong>der</strong> Rechtsprechung<br />

58 Nie<strong>der</strong>s.OVG, U. v. 29. 11. 2005 – 10 LB 84/05.


190<br />

insbeson<strong>der</strong>e für solche Auslän<strong>der</strong> in Betracht kommen, die aufgrund eines Hineinwachsens<br />

in die hiesigen Verhältnisse (Verwurzelung) mit gleichzeitiger Entfremdung von ihrem<br />

Herkunftsland so eng mit <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik Deutschland verbunden sind, dass sie faktisch<br />

deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen sind. 60 Ihre Situation ist dadurch gekennzeichnet,<br />

dass die Bun<strong>des</strong>republik faktisch das Land ist, zu dem sie gehören, während sie mit ihrem<br />

Herkunftsland <strong>im</strong> Wesentlichen nur noch das formale Band ihrer Staatsangehörigkeit<br />

verbindet. Für die Beurteilung <strong>der</strong> Verwurzelung <strong>des</strong> Betroffenen komme es dabei<br />

entscheidend auch darauf an, ob bzw. inwieweit seine familiären Verhältnisse an das Leben<br />

<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet angeglichen sind und welche Verbindungen insoweit noch zum Staat <strong>der</strong><br />

Staatsangehörigkeit bestehen. 61<br />

Ein <strong>der</strong> Rechtfertigung bedürftiger Eingriff in die von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten<br />

Rechte durch Versagung einer Aufenthaltserlaubnis liegt in<strong>des</strong> regelmäßig nur vor, wenn das<br />

Privat- o<strong>der</strong> Familienleben <strong>im</strong> Aufenthaltsstaat fest verankert ist und sich nicht auf eine lose<br />

Verbindung beschränkt. Hierzu gehört nach <strong>der</strong> Rechtsprechung grundsätzlich – als Basis –<br />

eine aufenthaltsrechtliche Verankerung. Ein bloß geduldeter Aufenthalt stehe <strong>der</strong> Annahme<br />

eines geschützten Privatlebens zumin<strong>des</strong>t tendenziell entgegen. Eine aufenthaltsrechtlich<br />

erhebliche und insoweit schutzwürdige Einglie<strong>der</strong>ung in die in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik<br />

bestehenden Lebensverhältnisse während <strong>des</strong> Aufenthalts eines Auslän<strong>der</strong>s, <strong>der</strong> sich nicht<br />

rechtmäßig <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet aufhalte, könne <strong>des</strong>halb grundsätzlich nicht erfolgen. 62<br />

Allerdings könne ein schutzwürdiger Aufenthalt <strong>im</strong> Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK auch <strong>im</strong><br />

Falle bloßer Duldung nicht von vornherein verneint werden. Vielmehr komme es darauf an,<br />

aus welchen Gründen <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> sich trotz Fehlens eines Aufenthaltsrechts <strong>im</strong><br />

Bun<strong>des</strong>gebiet aufhalte und ob ihm eine Ausreise grundsätzlich möglich und zumutbar wäre<br />

und ob die Aufenthaltsbeendigung aus von ihm zu vertretenden Gründen o<strong>der</strong> aufgrund<br />

59 Hess.VGH, B. v. 15. 2 2006 – 7 TG 106/06; OVG Rh-Pf, B. v. 24. 2. 2006 – 7 B 10020/06.OVG<br />

60 VGH BW, U. v. 18. 1. 2006 – 13 S 2220/05; VGH BW, U. v. 24. 11. 2005 – 11 S 1078/05; Hess.VGH, B.<br />

v. 15. 2 2006 – 7 TG 106/06; OVG Rh-Pf, B. v. 24. 2. 2006 – 7 B 10020/06.OVG; VG Stuttgart, U. v. 5. 10.<br />

2005 – 11 K 3065/04; VG Darmstadt, U. v. 22. 11. 2005 – 4 E 2800/03(1); VG Darmstadt, U. v. 22. 2. 2006 – 4<br />

E 2493/04(1); VG Karlsruhe, AuAS 2006, 50.<br />

61 VGH BW, U. v. 18. 1. 2006 – 13 S 2220/05.<br />

62<br />

VGH BW, U. v. 18. 1. 2006 – 13 S 2220/05; VGH BW, U. v. 24. 11. 2005 – 11 S 1078/05 Hess.VGH, B.<br />

v. 15. 2 2006 – 7 TG 106/06.


191<br />

an<strong>der</strong>er Umstände – etwa wegen <strong>der</strong> Verhältnisse <strong>im</strong> Herkunftsland – nicht möglich sei. 63 In<br />

<strong>der</strong> Rechtsprechung wird insoweit darauf hingewiesen, dass nach <strong>der</strong> Rechtsprechung <strong>des</strong><br />

EGMR ein geduldeter Aufenthalt <strong>der</strong> Annahme eines schutzwürdigen Rechtes <strong>im</strong> Sinne von<br />

Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht entgegenstehe, die Frage <strong>der</strong> Rechtmäßigkeit in<strong>des</strong> <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong><br />

Schrankenprüfung berücksichtigt werden dürfe. 64<br />

Auch wenn ein rechtlich ungesicherter Aufenthalt Grundlage für die Annahme eines<br />

schutzwürdigen Privatlebens <strong>im</strong> Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK sein könne, sei die daraus<br />

folgende Rechtsposition <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Schrankenbest<strong>im</strong>mung gegen das Recht <strong>des</strong><br />

Vertragsstaates zur Einwan<strong>der</strong>ungskontrolle abzuwägen. Art. 8 EMRK verbiete die<br />

Abschiebung eines ausländischen Staatsangehörigen nicht allein <strong>des</strong>wegen, weil er sich „eine<br />

best<strong>im</strong>mte Zeit“ <strong>im</strong> Hoheitsgebiet <strong>des</strong> Vertragsstaates aufgehalten habe. Vielmehr bedürfe es<br />

näherer Anhaltspunkte dafür, dass eine Rückkehr nach Maßgabe <strong>des</strong><br />

Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unzumutbar sei. Allein <strong>der</strong> Umstand, dass ein Auslän<strong>der</strong> als<br />

Kind in das Bun<strong>des</strong>gebiet eingereist und dort aufgewachsen und zur Schule gegangen sei,<br />

rechtfertige einen solchen Schluss noch nicht. 65<br />

Die Rechtsprechung verneint jedoch regelmäßig, dass aufenthaltsbeendenden Maßnahmen<br />

Eingriffsqualität zukomme. Aufenthaltsrechtliche Entscheidungen würden nicht regelmäßig,<br />

son<strong>der</strong>n nur ausnahmsweise – bei Hinzutreten best<strong>im</strong>mter Umstände – in das Recht auf<br />

Familien- und Privatleben eingreifen. Dies folge daraus, dass aufenthaltsrechtliche<br />

Entscheidungen eines Vertragsstaates keine zielgerichtete und unmittelbare Regelung <strong>des</strong><br />

Familien- und Privatlebens darstellten, son<strong>der</strong>n diese Schutzgüter <strong>des</strong> Art. 8 EMRK lediglich<br />

mittelbar und faktisch berührten. Eingriffsqualität erreichten aufenthaltsrechtliche<br />

Entscheidungen nur, wenn <strong>der</strong> durch sie bewirkten Einwirkung auf Familien- o<strong>der</strong> Privatleben<br />

eine best<strong>im</strong>mte Intensität zukomme. 66<br />

Eingriffsqualität komme aufenthaltsbeendenden Maßnahmen <strong>des</strong>halb grundsätzlich nur dann<br />

zu, wenn <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> ein Privatleben <strong>im</strong> Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK, das durch<br />

persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert sei, faktisch nur mehr <strong>im</strong><br />

63<br />

VGH BW, U. v. 18. 1. 2006 – 13 S 2220/05.<br />

64<br />

VG Stuttgart, U. v. 5. 10. 2005 – 11 K 3065/04.<br />

65<br />

VGH BW, U. v. 18. 1. 2006 – 13 S 2220/05; VGH BW, U. v. 24. 11. 2005 – 11 S 1078/05; Hess.VGH, B.<br />

v. 15. 2 2006 – 7 TG 106/06.<br />

66 Hess.VGH, B. v. 15. 2 2006 – 7 TG 106/06.


192<br />

Bun<strong>des</strong>gebiet führen könne. Ob dies <strong>der</strong> Fall sei, hänge von seiner Integration <strong>im</strong><br />

Bun<strong>des</strong>gebiet einerseits sowie von <strong>der</strong> Möglichkeit zur Integration bzw. Reintegration in sein<br />

Herkunftsland ab. 67 Bei <strong>der</strong> Beurteilung <strong>der</strong> Verwurzelung komme <strong>der</strong> Dauer <strong>des</strong><br />

Aufenthaltes <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet, guten deutschen Sprachkenntnissen und <strong>der</strong> sozialen<br />

Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in <strong>der</strong> Innehabung eines<br />

Arbeits- o<strong>der</strong> Ausbildungsplatzes, in einem festen Wohnsitz, ausreichenden Mitteln zur<br />

Sicherstellung <strong>des</strong> Lebensunterhaltes einschließlich Krankenversicherungsschutz zum<br />

Ausdruck komme, wesentliche Bedeutung zu. 68<br />

Darüber hinaus sei an<strong>der</strong>erseits insbeson<strong>der</strong>e zu berücksichtigen, ob <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> ein Alter<br />

erreicht habe, in dem ihm ein Heinwachsen in die Lebensumstände <strong>des</strong> Staates seiner<br />

Staatsangehörigkeit in <strong>der</strong> Regel nicht o<strong>der</strong> nur unter größten Schwierigkeiten gelingen<br />

könne. Dabei seien insbeson<strong>der</strong>e auch die Sprachkenntnisse <strong>des</strong> Betroffenen bzw. <strong>des</strong>sen<br />

sprachliche Integrationsfähigkeit <strong>im</strong> Herkunftsland, die Existenz dort leben<strong>der</strong> Angehöriger<br />

sowie sonstige Bindungen an das He<strong>im</strong>atland in Betracht zu ziehen. 69 Dabei sei <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong><br />

<strong>der</strong> Folgenabschätzung auch zu berücksichtigen, dass die Schaffung einer Lebensgrundlage<br />

dann auf sehr schwer o<strong>der</strong> vermutlich gar nicht zu überwindende Hin<strong>der</strong>nisse stoße, wenn das<br />

Herkunftsland von einem Krieg o<strong>der</strong> von bürgerkriegsähnlichen Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />

gekennzeichnet sei. 70<br />

Dementsprechend kann etwa bei jugendlichen Auslän<strong>der</strong>n, die seit über zwölf Jahren <strong>im</strong><br />

Bun<strong>des</strong>gebiet leben, vor Erteilung einer Duldungsbescheinigung mehrere Jahre einen<br />

gestatteten Aufenthalt hatten und über mehrere Jahre <strong>im</strong> Besitz <strong>der</strong> Aufenthaltsbefugnis waren<br />

und die seit mehr als sechs Jahren die Schule besucht und damit etwa die<br />

Integrationsvoraussetzungen <strong>des</strong> § 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erfüllen, ein geschütztes<br />

Privatleben <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> Art. 8 Abs. 1 EMRK geltend gemacht werden. Unter diesen<br />

Voraussetzungen wird die Integrationsfähigkeit und –bereitschaft bezogen auf das<br />

Herkunftsland nicht mehr geprüft. 71<br />

67 Hess.VGH, B. v. 15. 2 2006 – 7 TG 106/06.<br />

68 Hess.VGH, B. v. 15. 2 2006 – 7 TG 106/06.<br />

69 VGH BW, U. v. 18. 1. 2006 – 13 S 2220/05; OVG Rh-Pf, B. v. 24. 2. 2006 – 7 B 10020/06.OVG.<br />

70 VG Darmstadt, U. v. 22. 11. 2005 – 4 E 2800/03(1); VG Darmstadt, U. v. 22. 2. 2006 – 4 E 2493/04(1).<br />

71 OVG Rh-Pf, B. v. 24. 2. 2006 – 7 B 10020/06.OVG.


193<br />

An<strong>der</strong>erseits wird in <strong>der</strong> obergerichtlichen Rechtsprechung auch in Fällen eines über zwölf<br />

Jahre dauernden Aufenthaltes jugendlicher Auslän<strong>der</strong> die Verwurzelung wegen <strong>des</strong><br />

durchgehend ungesicherten Aufenthaltes und auch <strong>des</strong>halb verneint, weil die<br />

Aufenthaltsdauer wegen mehrerer Asyl- und Aufenthaltsverfahren verlängert worden war.<br />

Unter diesen Voraussetzungen erweise sich die Versagung <strong>der</strong> Legalisierung ihres<br />

Aufenthaltes <strong>im</strong> Blick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK nicht als unverhältnismäßig. 72 Eine<br />

vermittelnde Position wird in <strong>der</strong> untergerichtlichen Rechtsprechung bei langjährig <strong>im</strong><br />

Bun<strong>des</strong>gebiet geduldeten Auslän<strong>der</strong>n vertreten. Ein nicht schützenswerter Aufenthalt <strong>im</strong><br />

Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK sei anzunehmen, wenn <strong>der</strong> Betreffende Bemühungen <strong>der</strong><br />

Behörde, ihn in sein Herkunftsland abzuschieben, etwa durch hartnäckige Weigerung, an <strong>der</strong><br />

Beschaffung <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen He<strong>im</strong>reisedokumente mitzuwirken, unterlaufen habe. Eine<br />

an<strong>der</strong>e Betrachtung sei angezeigt, wenn die Behörde die Abschiebung gemäß § 54 AuslG<br />

1990 o<strong>der</strong> § 60a AufenthG o<strong>der</strong> aufgrund eines auf einer an<strong>der</strong>en Norm beruhenden<br />

auslän<strong>der</strong>rechtlichen Erlasses während eines längeren Zeitraums ausgesetzt o<strong>der</strong> aus an<strong>der</strong>en<br />

Gründen davon abgesehen habe, den Betroffenen in sein Herkunftsland abzuschieben, obwohl<br />

sie dazu rechtlich und tatsächlich in <strong>der</strong> Lage gewesen wäre. 73 Da jugendliche Auslän<strong>der</strong><br />

aufgrund ihres Lebensalters noch nicht selbst ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit<br />

sicherstellen könnten und dürften, könne unter diesen Voraussetzungen wegen <strong>der</strong><br />

vollzogenen Verwurzelung in die hiesigen Lebensverhältnisse nicht zu ihren Lasten<br />

entscheidend darauf abgestellt werden, dass sie und ihre Familienangehörigen von<br />

Arbeitslosenhilfe, Kin<strong>der</strong>geld, Wohngeld und Sozialhilfe lebten. 74<br />

Die obergerichtliche Rechtsprechung verkennt überwiegend die Ausstrahlungswirkung <strong>der</strong><br />

Europäischen Menschenrechtskonvention auf Verwaltungshandeln. Akribisch wird<br />

nachgezeichnet, wie <strong>der</strong> Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die äußeren Grenzen<br />

<strong>der</strong> einwan<strong>der</strong>ungspolitischen Steuerungsfähigkeit <strong>der</strong> Vertragsstaaten absteckt, um mit den<br />

so ermittelten, auf Vertragsverletzungen ausgerichteten materiellen Vorgaben nationale<br />

Normen <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>rechts inhaltlich zu konkretisieren. Das Erkenntnisinteresse zielt dabei<br />

ausschließlich auf die Sichtbarmachung dieser extremen Grenzbereiche. Die Normen <strong>der</strong><br />

72<br />

VGH BW, U. v. 24. 11. 2005 – 11 S 1078/05<br />

73<br />

VG Stuttgart, U. v. 5. 10. 2005 – 11 K 3065/04; VG Darmstadt, U. v. 22. 11. 2005 – 4 E 2800/03(1).<br />

74<br />

OVG Rh-Pf, B. v. 24. 2. 2006 – 7 B 10020/06.OVG.


194<br />

Konvention durchdringen jedoch alles staatliche Handeln. Die Konvention ist ein Vertrag für<br />

die kollektive Durchsetzung <strong>der</strong> Menschenrechte und Grundfreiheiten. Ziel und Zweck <strong>der</strong><br />

Konvention als ein Instrument zum Schutz <strong>des</strong> Individuums erfor<strong>der</strong>n <strong>des</strong>halb, dass ihre<br />

Vorschriften durch die Vertragsstaaten als Schutzvorschriften praktisch wirksam und effektiv<br />

gestaltet, verstanden und angewendet werden. 75 Die Konvention gewinnt damit nicht erst<br />

Gestalt, wenn sie verletzt wird. Nur zur Aufdeckung dieser Verletzungen ist <strong>der</strong> Gerichtshof<br />

berufen. Die Konvention durchdringt vielmehr die Poren <strong>der</strong> Verfassung <strong>der</strong> Vertragsstaaten.<br />

Sie zeigt nicht nur Grenzen auf, die nicht verletzt werden dürfen, son<strong>der</strong>n bietet<br />

Handlungspotenziale, die zum Aufbau und zur Bewahrung einer humanen Gesellschaft<br />

unabdingbar sind. Der Handlungsspielraum, den die konventionsrechtlichen Schutznormen<br />

aufzeigen, materialisiert sich damit nicht erst an <strong>der</strong>en Grenzen. Nicht allein das, was<br />

konventionsrechtlich verboten ist, darf die einwan<strong>der</strong>ungspolitische Steuerungsfähigkeit <strong>der</strong><br />

Vertragsstaaten leiten. Vielmehr hält die Konvention die Staaten dazu an, ihre<br />

gesellschaftliche und staatliche Ordnung auch <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Einwan<strong>der</strong>ungspolitik auf den<br />

Prinzipien <strong>der</strong> menschlichen Würde und <strong>des</strong> Respekts vor dem Einzelnen aufzubauen.<br />

d) Strafbarkeit <strong>des</strong> geduldeten Aufenthaltes (§ 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG)<br />

Im engen Zusammenhang mit <strong>der</strong> Anwendungspraxis zu § 25 Abs. 5 AufenthG steht die<br />

Verschärfung <strong>der</strong> Duldungspraxis mittels strafrechtlicher Sanktionen. Gegenüber dem<br />

früheren Recht, das <strong>im</strong> Falle <strong>des</strong> Besitzes <strong>der</strong> Duldungsbescheinigung (§ 66 Abs. 1 Satz 1<br />

AuslG 1990) regelmäßig die Strafbarkeit ausschloss (vgl. § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990), hat<br />

<strong>der</strong> Verordnungsgeber <strong>der</strong> AufentV die Rechtsstellung für geduldete Auslän<strong>der</strong> erheblich<br />

verschärft: Die Strafbarkeit entfällt nach geltendem Recht nur dann, wenn <strong>der</strong> Betroffene<br />

einen Ausweisersatz nach § 48 Abs. 2 AufenthG vorlegen kann (vgl. § 95 Abs. 1 Nr. 1<br />

AufenthG). Der Verordnungsgeber unterscheidet in<strong>des</strong> bei <strong>der</strong> Regelung <strong>der</strong> entsprechenden<br />

Vordruckmuster in den Ausweisersatz nach § 48 Abs. 2 AufenthG (vgl. § 58 Nr. 1 AufenthV)<br />

sowie in die Duldungsbescheinigung (§ 60a Abs. 4 AufenthG), die ausdrücklich nicht als<br />

Ausweisersatz nach § 48 Abs. 2 AufenthG eingestuft wird ((vgl. § 58 Nr. 2 AufenthV). Folge<br />

ist, dass Inhaber von Duldungsbescheinigungen, <strong>der</strong>en Abschiebung aus rechtlichen o<strong>der</strong><br />

tatsächlichen Gründen unmöglich ist, sich strafbar machen und die Strafgerichte mit<br />

unnötigen Verfahren belasten, die <strong>im</strong> Übrigen regelmäßig eingestellt werden. Entsprechende<br />

75 EGMR, EZAR 933 Nr. 1, § 87 = EuGRZ 1989, 319 = NJW 1990, 2183 – Soering.


195<br />

Ermittlungsverfahren werden häufig aufgrund eines Hinweises <strong>der</strong> zuständigen Außenstelle<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes an die zuständigen Polizeibehörden aus Anlass <strong>der</strong> Folgeantragstellung<br />

eingeleitet.<br />

Offensichtlich sollen mit diesem Regelungsmechanismus diejenigen vollziehbar<br />

ausreisepflichtigen Personen getroffen werden, die bewusst und gewollt Ausreisebemühungen<br />

unterlaufen o<strong>der</strong> erschweren. Betroffen werden aber auch jene Personen, bei denen über Jahre<br />

eine Ausstellung von Pass- o<strong>der</strong> Passersatzdokumenten durch die konsularischen<br />

Vertretungen verweigert wird und <strong>der</strong> Vorwurf <strong>der</strong> verschuldeten Verletzung entsprechen<strong>der</strong><br />

Mitwirkungspflichten (vgl. § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG) nicht erhoben werden kann<br />

o<strong>der</strong> jedenfalls auf nicht hinreichend zuverlässigen Feststellungen beruht. Das<br />

Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht hat zwar jüngst entschieden, dass <strong>der</strong> Gesetzgeber nicht gehin<strong>der</strong>t<br />

sei, Verstöße gegen die Pass- und Ausweispflicht allgemein mit Strafe zu bedrohen. Das<br />

Gericht weist insoweit aber ausdrücklich auf die beson<strong>der</strong>e Relevanz <strong>im</strong> Hinblick auf<br />

diejenigen Personen hin, <strong>der</strong>en Einreise unter Vorgabe unzutreffen<strong>der</strong> Personalien erfolgte.<br />

Stünden <strong>der</strong> Ausreise lediglich tatsächliche Hin<strong>der</strong>nisse entgegen, namentlich solche, die <strong>der</strong><br />

Ausreisepflichtige selbst zu vertreten habe, werde ihm durch die Auferlegung <strong>der</strong> Pass- und<br />

Ausweispflicht nichts Unzumutbares abverlangt. 76<br />

Dies spricht dafür, jedenfalls <strong>im</strong> Hinblick auf die Personen, bei denen keine zureichenden<br />

Tatsachen das Vertretenmüssen <strong>des</strong> Abschiebungshin<strong>der</strong>nisses belegen, Regelungen zu<br />

treffen, welche die Strafbarkeit ausschließen. Eine Unzumutbarkeit entsprechen<strong>der</strong><br />

Bemühungen kann schon dann angenommen werden, wenn sich die Passausstellung<br />

erfahrungsgemäß verzögert und bereits alle erfor<strong>der</strong>lichen Unterlagen vorgelegt worden<br />

sind. 77 Ein Ausweisersatz nach § 55 AufenthV, <strong>der</strong> einer Anwendung von § 58 Nr. 2<br />

AufenthV entgegensteht, wird nur erteilt, wenn Passdokumente in zumutbarer Weise nicht<br />

erlangt werden können. Da die entsprechenden Voraussetzungen zumeist über Jahre <strong>im</strong> Streit<br />

stehen, bleibt es <strong>des</strong>halb nach <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen Rechtslage bei <strong>der</strong> Strafbarkeit. Der Strafrichter<br />

muss <strong>des</strong>halb prüfen, ob zumutbare Anfor<strong>der</strong>ungen zur Beseitigung <strong>des</strong><br />

Abschiebungshin<strong>der</strong>nisses unternommen wurden. Spricht er frei o<strong>der</strong> stellt er das Verfahren<br />

76<br />

BVerfG (Kammer), NVwZ 2006, 80 (81).<br />

77<br />

An<strong>der</strong>s Leopold/Angelo Vallone, ZAR 2005, 66 (68)l


196<br />

ein, hin<strong>der</strong>t das die Polizeibehörden nicht, anlassbezogen erneut Ermittlungsverfahren<br />

einzuleiten.<br />

4. Anwendung <strong>der</strong> Sperrwirkung nach § 10 Abs. 3 AufenthG<br />

Ist <strong>der</strong> Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden o<strong>der</strong> hat <strong>der</strong> Antragsteller den Antrag<br />

zurückgenommen, darf die Aufenthaltserlaubnis nur aus humanitären Gründen nach § 22 bis §<br />

26 AufenthG erteilt werden (§ 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Hat <strong>der</strong> Antragsteller in<strong>des</strong> einen<br />

Rechtsanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels (z. B. § 28 Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 32 Abs.<br />

2 und 3 AufenthG), ist über diesen durch die Auslän<strong>der</strong>behörde eine Entscheidung<br />

herbeizuführen. Dies gilt nach <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>sächsischen Erlasspraxis auch <strong>im</strong> Falle <strong>der</strong><br />

Ermessensreduktion. 78 Eine entsprechende gesetzliche Klarstellung erscheint angezeigt.<br />

In diesem Falle kann <strong>der</strong> Antrag <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet bearbeitet werden (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2 1.<br />

Alt. AufenthG). Im Falle eines Ermessenstatbestan<strong>des</strong> (z. B. § 16 Abs. 4, 30 Abs. 2, § 32 Abs.<br />

4 AufenthG) muss <strong>der</strong> Antragsteller in<strong>des</strong> ausreisen und ein Visumverfahren durchführen. Die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde kann allerdings aufgrund beson<strong>der</strong>er Umstände über den Antrag<br />

entscheiden (§ 5 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. AufenthG). Unklar ist, ob insoweit <strong>der</strong> Vorschrift <strong>des</strong> §<br />

39 Nr. 5 AufenthV eine die Anwendung <strong>des</strong> § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. AufenthG<br />

einschränkende Auslegung zur Folge hat.<br />

Ist <strong>der</strong> Asylantrag in <strong>der</strong> qualifizierten Form nach § 30 Abs. 3 AsylVfG abgelehnt worden,<br />

darf vor <strong>der</strong> Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden (§ 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Der<br />

Bescheid <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes muss in<strong>des</strong> ausdrücklich auf die Norm <strong>des</strong> § 30 Abs. 3 AsylVfG<br />

verweisen. Lässt dieser die maßgebliche Rechtsgrundlage offen, kann die Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

dem Antrag nicht die Sperrwirkung <strong>des</strong> § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegenhalten. Im<br />

Falle eines Rechtsanspruchs findet die Sperrwirkung jedoch keine Anwendung (§ 10 Abs. 3<br />

Satz 3 AufenthG). Die Sperrwirkung hin<strong>der</strong>t auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis<br />

nach §§ 22 bis 26 AufenthG. Dies ist, wie <strong>der</strong> Vergleich zwischen § 23a Abs. 1 Satz 1 und §<br />

25 Abs. 5 AufenthG verdeutlicht, ungere<strong>im</strong>t. 79 Während über die Aufenthaltserlaubnis nach §<br />

23a AufenthG in Abweichung von allen gesetzlichen Erteilungsvoraussetzungen entschieden<br />

78<br />

Nie<strong>der</strong>s.MdI, Informations- und Schulungsmaterial zum ZuwG, August 2004, S. 19.<br />

79<br />

S. hierzu <strong>im</strong> Einzelnen Reinhard Marx, Auslän<strong>der</strong>- und Asylrecht, 2. Aufl., 2005, S. 1120 f.


197<br />

wird, ist etwa den Sollansprüchen nach § 25 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 Satz 2 AufenthG die<br />

Sperrwirkung entgegenzuhalten. Dadurch wird ein rechtmäßiger Aufenthalt unmöglich<br />

gemacht.<br />

Im Hinblick auf Art. 15, 18 und 24 Abs. 2 RL 2004/83/EG wäre die Anwendung <strong>der</strong><br />

Sperrwirkung unvereinbar mit Gemeinschaftsrecht. Der Referentenentwurf zum 2.<br />

AufenthÄndG trägt dem allerdings nicht Rechnung, da eine Än<strong>der</strong>ung von § 10 Abs. 3<br />

AufenthG nicht empfohlen und in <strong>der</strong> vorgeschlagenen Regelung in § 26 Abs. 2 Satz 2<br />

AufenthGE dieses Problem nicht behandelt wird. Im Hinblick auf § 25 Abs. 5 AufenthG ist<br />

die Anwendung <strong>der</strong> Sperrwirkung jedenfalls insoweit ungere<strong>im</strong>t, soweit dringende<br />

inlandsbezogene Härtegründe für die Entscheidung maßgebend sind.<br />

Es wird <strong>des</strong>halb vorgeschlagen, in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG klarzustellen, dass auch <strong>der</strong><br />

Fall <strong>der</strong> Ermessensreduktion erfasst wird. 80 Dafür spricht, dass § 10 Abs. 1 AufenthG den<br />

Begriff „gesetzlicher Anspruch“, § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG hingegen den Begriff<br />

„Anspruch auf Erteilung“ verwendet. Die Rechtsprechung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verwaltungsgerichtes<br />

wendet sich nur <strong>im</strong> Blick auf gesetzliche Ansprüche gegen die Einbeziehung <strong>der</strong><br />

Ermessensreduktion. 81 Im Falle eines „Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels“ (§ 10<br />

Abs. 3 Satz 3 AufenthG) steht damit § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bei krankheitsbedingten<br />

o<strong>der</strong> sonstigen Härtegründen <strong>der</strong> Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. So kann<br />

die Sperrwirkung zwar bereits nach geltendem Recht ausgelegt werden. Sinnvoll erscheint<br />

in<strong>des</strong> eine entsprechende Klarstellung.<br />

5. Verfestigung <strong>des</strong> Aufenthalts<br />

a) Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG<br />

§ 26 Abs. 3 AufenthG ist lex spezialis gegenüber § 9 Abs. 2 bis 6 AufenthG und regelt die<br />

entsprechenden Voraussetzungen enumerativ. Dies liegt in <strong>der</strong> gesetzgeberischen<br />

Konsequenz, Asylberechtigten, <strong>der</strong>en Status nach Ablauf von drei Jahren fortbesteht, eine<br />

80 So auch VG Freiburg, InfAuslR 2005,388 (390), für den gleich gelagerten Fall <strong>des</strong> § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Alt.<br />

AufenthG; wohl auch Klaus Dienelt, ZAR 206, 120 (122 f.); dagegen Nr. 10.3.1 VAH, an<strong>der</strong>s jedoch Nr. 5.2.3<br />

VAH.<br />

81<br />

BVerwGE 101, 265 (271) = EZAR 011 Nr. 9 = InfAuslR 1997, 21; BVerwG, NVwZ-RR 2004, 687 =<br />

EZAR 017 Nr. 21.


198<br />

„Perspektive für eine dauerhafte Lebensplanung in Deutschland“ zu eröffnen. 82 Bestätigt<br />

wird diese Auffassung auch dadurch, dass das Gesetz neben <strong>der</strong> Min<strong>des</strong>tdauer für den Besitz<br />

<strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis allein den Wi<strong>der</strong>rufsvorbehalt vorgesehen hat. Gleichwohl kann das<br />

Bun<strong>des</strong>amt nach negativer Wi<strong>der</strong>rufsprüfung nachträglich über den Wi<strong>der</strong>ruf o<strong>der</strong> die<br />

Rücknahme nach Ermessen entscheiden (§ 73 Abs. 2a Satz 3 AsylVfG) und die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde die Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG<br />

nach unanfechtbarer statusrechtlicher Aufhebungsentscheidung wi<strong>der</strong>rufen. Unklar ist <strong>der</strong>zeit,<br />

ob die Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG rechtsbeständig ist o<strong>der</strong> nach<br />

welchen Grundsätzen die vom Gesetzgeber angestrebte dauerhafte Lebensperspektive <strong>im</strong><br />

Bun<strong>des</strong>gebiet nach Ablauf von drei Jahren <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> akzessorischen<br />

Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG verwirklicht werden kann.<br />

Während die nach an<strong>der</strong>en Rechtsgrundlagen erteilte Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nur nach den<br />

Vorschriften <strong>des</strong> § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 AufenthG wi<strong>der</strong>rufen werden kann und damit<br />

nicht unter dem Vorbehalt eines Wi<strong>der</strong>rufs <strong>der</strong> für die Erteilung <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis<br />

maßgebenden Statusentscheidung steht, ist die Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3<br />

AufenthG <strong>der</strong> einzige Fall, in dem <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>ruf eines Statusberechtigung, auf <strong>der</strong>en<br />

Grundlage sie erteilt wurde, zu <strong>der</strong>en Wi<strong>der</strong>ruf berechtigt. Zwar stellt § 26 Abs. 2 AufenthG<br />

allein die Aufenthaltserlaubnis unter den Vorbehalt <strong>der</strong> Fortgeltung <strong>des</strong> Ausreisehin<strong>der</strong>nisses.<br />

Daraus könnte entnommen werden, dass die einmal gewährte Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis, auch<br />

wenn sie wegen <strong>der</strong> gewährten Statusberechtigung erteilt wurde, nicht unter dem Vorbehalt<br />

<strong>der</strong> Fortgeltung <strong>der</strong> asylrechtlichen Statusentscheidung steht. Nur die Aufenthaltserlaubnis,<br />

nicht aber die Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis ist in ihrem Fortbestand von <strong>der</strong> Fortgeltung <strong>des</strong><br />

Verwaltungsaktes abhängig, auf <strong>des</strong>sen Grundlage sie erteilt bzw. verlängert wurde. Eine<br />

<strong>der</strong>artige Interpretation <strong>des</strong> gesetzlichen Regelungszusammenhangs von § 26 Abs. 2 und 3<br />

AufenthG würde <strong>der</strong> gesetzgeberischen Absicht, Asylberechtigten und Flüchtlingen, <strong>der</strong>en<br />

Status nach Ablauf von drei Jahren fortbesteht, eine „Perspektive für eine dauerhafte<br />

Lebensplanung in Deutschland“ zu eröffnen.<br />

82 BT-Drs. 15/420, S. 80, Nr. 26.3.1 VAH.


199<br />

Nur eine Aufenthaltserlaubnis, nicht aber eine Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis bedarf <strong>der</strong><br />

Verlängerung. Daher ist auch eine Interpretation denkbar, dass sich § 26 Abs. 2 AufenthG <strong>im</strong><br />

Hinblick auf die Frage <strong>der</strong> Rechtsbeständigkeit <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3<br />

AufenthG keine Aussagen entnehmen lässt. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob nach<br />

Wi<strong>der</strong>ruf <strong>der</strong> Asylanerkennung ein Wi<strong>der</strong>ruf <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis zulässig ist, weil<br />

<strong>der</strong> für die Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG maßgebende Rechtgrund<br />

entfallen ist.<br />

Nach Ansicht <strong>des</strong> BVerwG ist ein auf <strong>der</strong> Statusanerkennung aufbauen<strong>des</strong> Aufenthaltsrecht<br />

selbst asylbedingt und unterliegt <strong>des</strong>halb dem Wi<strong>der</strong>ruf. 83 Ist die Statusberechtigung<br />

unanfechtbar wi<strong>der</strong>rufen worden, entscheidet danach die Auslän<strong>der</strong>behörde gemäß § 52 Abs.<br />

1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG nach pflichtgemäßem Ermessen über den Fortbestand <strong>des</strong><br />

Aufenthaltsrechts. Nach <strong>der</strong> Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerwG ist das <strong>der</strong> Behörde eingeräumte<br />

Ermessen nach § 52 Abs. 1 AufenthG dabei nicht an best<strong>im</strong>mte Vorgaben geknüpft, son<strong>der</strong>n<br />

eröffnet einen weiten Spielraum. Die Behörde darf danach grundsätzlich davon ausgehen,<br />

dass in den Fällen <strong>des</strong> § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG ein gewichtiges öffentliches<br />

Interesse an dem Wi<strong>der</strong>ruf <strong>des</strong> Aufenthaltstitels besteht, falls nicht aus an<strong>der</strong>en<br />

Rechtsgründen ein gleichwertiger Aufenthaltstitel zu gewähren ist.<br />

Die Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerwG lässt allerdings die Frage offen, nach welchen<br />

Rechtsvorschriften <strong>der</strong> weitere Aufenthalt <strong>des</strong> Asylberechtigten, <strong>des</strong>sen Status unanfechtbar<br />

wi<strong>der</strong>rufen worden ist, geregelt werden kann. Wenn die Auslän<strong>der</strong>behörde zwar aus<br />

beson<strong>der</strong>en humanitären Gründen vom aufenthaltsrechtlichen Wi<strong>der</strong>ruf Abstand nehmen<br />

kann, ist damit noch nicht die Frage beantwortet, nach welchen Rechtsvorschriften <strong>der</strong><br />

weitere Aufenthalt geregelt werden soll. Wegen <strong>der</strong> akzessorischen Natur <strong>der</strong><br />

Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG ist fraglich, ob diese Vorschrift nach<br />

unanfechtbarer Aufhebung <strong>der</strong> asylrechtlichen Statusentscheidung weiterhin als<br />

Rechtsgrundlage für die Fortgeltung <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis in Betracht kommen kann.<br />

Die Lösung bietet in diesem Fall § 26 Abs. 4 AufenthG. Allerdings setzt die Anwendung<br />

83 BVerwGE 117, 380 (385) = EZAR 019 Nr. 19 = NVwZ 2003, 1275 = InfAuslR 2003, 324.


200<br />

dieser Norm den Nachweis <strong>der</strong> allgemeinen Voraussetzungen nach § 9 Abs. 2 AufenthG<br />

voraus. Fehlt es an diesen, treten bislang nicht ansatzweise geklärte Rechtsprobleme auf.<br />

b) Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG<br />

§ 26 Abs. 4 AufenthG enthält gegenüber <strong>der</strong> Vorläufernorm eine Reihe von signifikanten<br />

Verbesserungen. Insbeson<strong>der</strong>e die Übergangsvorschriften in § 102 Abs. 2, § 104 Abs. 2<br />

AufenthG manifestieren den gesetzgeberischen Willen, den Anwendungsbereich <strong>der</strong><br />

Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 AufenthG möglichst weit zu gestalten. Gleichwohl<br />

treten in <strong>der</strong> Praxis eine Reihe gravieren<strong>der</strong> Probleme auf:<br />

Die Anrechnung nur <strong>des</strong> <strong>der</strong> Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis vorangegangenen<br />

Asylverfahrens (vgl. § 26 Abs. 4 Satz 3 AufenthG) entspricht zwar <strong>der</strong> früheren Rechtslage<br />

(vgl. § 35 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1990) und wird nach <strong>der</strong> Rechtsprechung dahin verstanden,<br />

dass bei mehreren Asylverfahren nur die Dauer <strong>des</strong> <strong>der</strong> Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis<br />

unmittelbar vorangegangenen Asylverfahrens angerechnet wird. 84 Die Folge ist, dass von<br />

zwei durchgeführten Verfahren das möglicherweise nur vier Monate dauernde zweite<br />

Verfahren, nicht aber das möglicherweise über vier bis fünf Jahre dauernde Erstverfahren<br />

berücksichtigt wird. 85 Dies läuft dem auf Integration langjährig hier leben<strong>der</strong> Flüchtlinge<br />

zielenden Zweck <strong>des</strong> § 26 Abs. 4 AufenthG zuwi<strong>der</strong>. Im Hinblick auf afghanische<br />

Flüchtlinge, bei denen das Bun<strong>des</strong>amt in Folge <strong>der</strong> geklärten Rechtsprechung durch das<br />

Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht 86 <strong>im</strong> Zeitraum von Mai bis Anfang November 2001 etwa 11.000<br />

positive Statusbescheide getroffen hatte, wird <strong>des</strong>halb nur das wenige Monate dauernde<br />

zweite Verfahren, nicht jedoch das erste Verfahren, das häufig von 1992/1993 bis 1998 o<strong>der</strong><br />

auch länger gedauert hatte, angerechnet. Der Gesetzgeber sollte wegen <strong>des</strong> Integrationsziels<br />

<strong>des</strong> § 26 Abs. 4 AufenthG regeln, dass bei mehreren Asylverfahren das Verfahren<br />

berücksichtigt wird, dass am längsten gedauert hat. Da eine Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis den<br />

Besitz einer Aufenthaltserlaubnis voraussetzt, vermag ein möglicher Einwand, durch eine<br />

<strong>der</strong>artige Regelung würden Anreizwirkungen zur Verfahrensverzögerungen geschaffen, kaum<br />

überzeugungskräftig vorgebracht werden.<br />

84<br />

BVerwG, InfAuslR 1998, 10 (12) = NVwZ 1998, 191 = EZAR 015 Nr. 15.<br />

85<br />

Reinhard Marx, Auslän<strong>der</strong>- und Asylrecht, 2. Aufl., 2005, S. 171.<br />

86 BVerfG (Kammer), EZAR 202 Nr. 30 = InfAuslR 2000, 521 = NVwZ 2000, 1165.


201<br />

Durch die Anrechnung von Zeiten <strong>des</strong> Besitzes <strong>der</strong> Aufenthaltsbefugnis (§§ 30 ff. AuslG<br />

1990, § 70 Abs. 1 AsylVfG a.F.) wie auch <strong>der</strong> <strong>des</strong> Besitzes <strong>der</strong> Duldungsbescheinigung (§ 66<br />

Abs. 1 Satz 1 AuslG 1990) bis zum 31. Dezember 2004 (vgl. § 102 Abs. 2 AufenthG) hat <strong>der</strong><br />

Gesetzgeber seinen Willen zum Ausdruck gebracht, unabhängig vom rechtlichen Charakter<br />

<strong>des</strong> bisherigen Aufenthaltsrechtes den Aufenthalt langjährig hier lebenden Personen, <strong>der</strong>en<br />

Aufenthalt aus humanitären Gründen in einen rechtmäßigen umgewandelt worden ist, über §<br />

26 Abs. 4 AufenthG möglichst großzügig zu verfestigen. Dies ergibt sich insbeson<strong>der</strong>e aus<br />

<strong>der</strong> kumulativen Charakter <strong>der</strong> Anrechnungsregelung (vgl. Nr. 102.2 VAH). Der Gesetzgeber<br />

hat zu diesem Zweck in § 104 Abs. 2 Satz 2 AufenthG geregelt, dass bei diesen Personen <strong>der</strong><br />

Nachweis <strong>der</strong> Altersvorsorge (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AufenthG) entfällt. Privilegiert werden<br />

in<strong>des</strong> nur die Antragsteller, die am 1. Januar 2005 <strong>im</strong> Besitz <strong>der</strong> Aufenthaltsbefugnis waren (§<br />

104 Abs. 2 Satz 1 AufenthG).<br />

Folge hiervon ist, dass langjährig hier lebende subsidiär Schutzberechtigte (vgl. § 53 AuslG<br />

1990), die wegen <strong>des</strong> eingeschränkten Zugangs zum Arbeitsmarkt an den<br />

Regelversagungsgründen (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AuslG 1990) gescheitert und <strong>des</strong>halb<br />

am 1. Januar 2005 nur <strong>im</strong> Besitz <strong>der</strong> Duldungsbescheinigung waren, nicht vom Nachweis <strong>der</strong><br />

Altersvorsorge befreit sind. Da <strong>der</strong> Besitz <strong>der</strong> Arbeitsberechtigung zwar einen sechs Jahre<br />

dauernden rein faktischen Aufenthalt ausreichen ließ, jedoch den Besitz einer<br />

Aufenthaltsbefugnis for<strong>der</strong>te (vgl. § 286 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b) SGB III a.F.), können diese<br />

Personen trotz langjährigen Aufenthaltes häufig kein fünf Jahre dauern<strong>des</strong><br />

sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis nachweisen. Im Falle <strong>der</strong> unanfechtbaren<br />

Aufhebung <strong>des</strong> auf § 53 AuslG 1990 beruhenden Feststellungsbeschei<strong>des</strong> wird <strong>des</strong>halb die<br />

Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert (vgl. § 26 Abs. 2 AufenthG) und <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong><br />

Versagungsverfügung wegen <strong>der</strong> Ausreisepflicht die Abschiebung angedroht. Insoweit<br />

ergeben sich Bedenken aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und sollte<br />

<strong>der</strong> Gesetzgeber durch die Einbeziehung dieser Personengruppe in den Anwendungsbereich<br />

von § 104 Abs. 2 Satz 2 AufenthG diesen Bedenken Rechnung tragen.<br />

In <strong>der</strong> Verwaltungspraxis bereitet darüber hinaus die versteckte Regelung <strong>des</strong> § 24 Abs. 4<br />

Satz 4 AufenthG erhebliche Anwendungsprobleme. Dadurch soll <strong>der</strong> Aufenthalt von <strong>im</strong><br />

kindlichen o<strong>der</strong> jugendlichen Alter eingereisten subsidiär o<strong>der</strong> sonst humanitär<br />

Schutzberechtigten nach denselben Regelungen wie <strong>der</strong> Aufenthalt von Migrantenkin<strong>der</strong>n


202<br />

(vgl. § 35 AufenthG) verfestigt werden. Der Vorteil dieser Regelung besteht darin, dass nach<br />

§ 35 Abs. 1 Satz 1 AufenthG die Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis abweichend von den allgemeinen<br />

Voraussetzungen <strong>des</strong> § 9 Abs. 2 AufenthG erteilt wird. Wird § 26 Abs. 4 Satz 4 AufenthG die<br />

Funktion einer Rechtsfolgenverweisung zugewiesen, wären die tatbestandlichen<br />

Voraussetzungen ausschließlich in § 26 Abs. 4 AufenthG geregelt. Der Zweck <strong>der</strong><br />

Verweisungsnorm bestünde <strong>des</strong>halb darin, alle vor Vollendung <strong>des</strong> 18. Lebensjahres<br />

eingereiste Antragsteller vom Nachweis <strong>der</strong> Voraussetzungen <strong>des</strong> § 9 Abs. 2 AufenthG zu<br />

befreien.<br />

Eine Reihe von Auslän<strong>der</strong>behörden differenzieren bei <strong>der</strong> Anwendung <strong>des</strong> § 26 Abs. 4 Satz 4<br />

AufenthG jedoch zwischen Antragstellern, die <strong>im</strong> Zeitpunkt <strong>der</strong> Antragstellung unter 16 Jahre<br />

einerseits und über 16 Jahre an<strong>der</strong>erseits alt sind. Die Folge hiervon ist, dass <strong>der</strong> Nachweis <strong>der</strong><br />

Sicherung <strong>des</strong> Lebensunterhaltes (§ 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG) gefor<strong>der</strong>t wird, obwohl<br />

bei Anwendung <strong>des</strong> § 35 Abs. 1 Satz 1 AufenthG dieser Nachweis entfällt. An<strong>der</strong>erseits setzt<br />

§ 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis für die Dauer von<br />

fünf Jahren voraus und ist offensichtlich, dass insoweit an die Stelle von § 35 Abs. 1 Satz 2<br />

AufenthG die tatbestandlichen Voraussetzungen nach § 26 Abs. 4 in Verb. mit § 102 Abs. 2,<br />

§ 104 Abs. 2 AufenthG treten. Dies spricht dafür, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen<br />

<strong>des</strong> § 35 Abs. 1 Satz 2 AufenthG bei <strong>der</strong> Anwendung von § 26 Abs. 4 Satz 4 AufenthG keine<br />

Anwendung finden sollen.<br />

Der Gesetzgeber hat eine entsprechende Anwendung von § 35 AufenthG für jugendliche<br />

subsidiär Schutzberechtigte und Flüchtlinge vorgeschrieben und damit dem Umstand<br />

Rechnung getragen, dass die aufenthalts- und integrationsrechtlichen Voraussetzungen für die<br />

Verfestigung <strong>der</strong>en Aufenthaltes nicht nach Maßgabe <strong>der</strong> rechtlichen Kriterien beurteilt<br />

werden kann, die für die konkreten Lebensverhältnisse von Migrantenkin<strong>der</strong>n maßgebend<br />

sind. Es ist <strong>des</strong>halb eine Klarstellung <strong>der</strong>gestalt erwünscht, dass unter den Voraussetzungen<br />

<strong>des</strong> § 26 Abs. 4 Satz 4 AufenthG die Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis abweichend von § 9 Abs. 2<br />

AufenthG erteilt wird.


203


Thema: Rückführung<br />

204<br />

Neben dem Problem <strong>der</strong> Nichtrückführbarkeit beson<strong>der</strong>er Herkunftsstaaten o<strong>der</strong><br />

Regionen wegen <strong>der</strong> dort herrschenden Umstände (Irak, Afghanistan, Kosovo pp.)<br />

stellt die Nichtrückführbarkeit wegen Identitätsklärungsproblemen das quantitativ<br />

größte Rückführungsproblem dar.<br />

Bei den Identitätsklärungsproblemen sind zwei große Bereiche strukturell zu<br />

unterscheiden, nämlich das Mitwirkungsverhalten <strong>der</strong> ausreisepflichtigen Personen<br />

einerseits und das Kooperationsverhalten <strong>der</strong> potentiellen Herkunftsstaaten<br />

an<strong>der</strong>erseits. Im praktischen Verfahren kumulieren die beiden Problembereiche<br />

regelmäßig in unterschiedlicher Intensität, so dass die Problemkonstellation von<br />

Staat zu Staat und innerhalb <strong>der</strong> Staaten von Fall zu Fall unterschiedlich ausgestaltet<br />

ist. Vor diesem Hintergrund wird es deutlich, dass es keine „Patentrezepte“ geben<br />

kann und dass hier Problemlösungen nur in eingeschränktem Maße<br />

gesetzgeberischen Lösungen zugänglich sind. Die Komplexität <strong>der</strong><br />

Problemstellungen erfor<strong>der</strong>t ein „Drehen an allen Stellschrauben“, so weit es jeweils<br />

opportun und machbar ist.<br />

Kooperationsverhalten <strong>der</strong> Herkunftsstaaten<br />

Die völkergewohnheitsrechtliche Situation ist, dass <strong>der</strong> abgebende Staat dem<br />

aufnehmenden Staat gegenüber verpflicht ist, nachzuweisen, dass es sich um seinen<br />

Staatsangehörigen handelt und dass er <strong>des</strong>halb zur Rückübernahme verpflicht ist.<br />

Da es zur Ausgestaltung <strong>des</strong> Beweisverfahrens keinerlei verbindliche Normen gibt,<br />

obliegt - außer in Fällen mit gültigen Nationalpässen – die Ausgestaltung dem<br />

jeweiligen Staat. Diese Situation wird von vielen Staaten in unterschiedlichster Form<br />

und Intensität angewendet und ausgenutzt, um ihre eigenen Vorstellungen über ein<br />

Bleiberecht für die betroffenen Personen durchsetzen zu können. Dies geschieht<br />

mehr o<strong>der</strong> weniger offen. Ein Staat wie Nigeria geht beispielsweise so weit, dass er,<br />

wenn einem einzelnen Nigerianer aus seiner Sicht „Unrecht“ geschehen ist, die<br />

gesamte Kooperation mit den deutschen Behörden über Monate einstellt, was bei


205<br />

über 4.000 offenen Identifizierungsfällen für vermutlich nigerianische<br />

Staatsangehörige man auch als Erpressung bezeichnen könnte. Eine Reihe von<br />

Staaten setzen sich zudem über das Völkergewohnheitsrecht völlig hinweg, indem<br />

sie auch bei nachgewiesener Staatsangehörigkeit <strong>der</strong> betroffenen Personen direkt<br />

o<strong>der</strong> indirekt auf nachgewiesener Freiwilligkeit zur Ausreise durch den Betroffenen<br />

bestehen. Allein diese eindeutig völkerrechtswidrige Verfahrensweise wird aktuell<br />

von 8 Staaten praktiziert und betreffen ca. 22.000 Ausreisepflichtige. Die von den<br />

Fachdienststellen für die Fragen <strong>der</strong> Passbeschaffung erstellte sogen.<br />

Problemstaatenliste, also die Liste <strong>der</strong> Staaten mit Rückführungsschwierigkeiten <strong>im</strong><br />

Bereich <strong>der</strong> Passersatzbeschaffung, umfasst <strong>der</strong>zeit 26 Staaten. Betroffen sind<br />

davon über 60.000 offene Fälle, mit steigen<strong>der</strong> Tendenz. Es ist aber eindeutig<br />

festzustellen, dass bei den meisten <strong>der</strong> aufgeführten Problemstaaten bei<br />

entsprechen<strong>der</strong> Mitwirkung <strong>der</strong> Ausreisepflichtigen auch Reisedokumente zu<br />

erhalten sind. Der Schluss, dass die Problemstaaten auch die willentliche Rückkehr<br />

ihrer Staatsangehörigen verhin<strong>der</strong>n, ist fast <strong>im</strong>mer falsch.<br />

Mit nationalen Gesetzen ist natürlich das Kooperationsverhalten an<strong>der</strong>er souveräner<br />

Staaten nicht wirklich zu beeinflussen. Somit haben die Regelungen <strong>des</strong><br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes hier keine Auswirkungen gezeigt, mit Ausnahme einer in<br />

Teilen verstärkten Reflektion auf humanitäre Aufenthaltsrechte für die eigenen<br />

Staatsangehörigen, insbeson<strong>der</strong>e zu Nachfragen nach Altfallregelungen.<br />

Bemühungen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>, das Kooperationsverhalten einzelner<br />

Staaten o<strong>der</strong> ihrer Vertretungen positiv zu beeinflussen, sind in den Fällen, in denen<br />

entsprechende Druckmittel fehlen, völlig auf den guten Willen <strong>der</strong> Gegenseite<br />

angewiesen. Aus Sicht <strong>der</strong> <strong>Praktiker</strong> wäre hier eine Kohärenz <strong>des</strong> staatlichen<br />

Handelns insbes. <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> finanziellen Unterstützung und <strong>der</strong> Visa-<br />

Erteilungspraxis äußerst wünschenswert. Auch sollte geprüft werden, inwieweit Mittel<br />

<strong>der</strong> Entwicklungshilfe herangezogen werden können, um die For<strong>der</strong>ung best<strong>im</strong>mter<br />

Staaten nach finanzieller Unterstützung ihrer He<strong>im</strong>kehrer zu entsprechen. Dabei gilt<br />

es natürlich durch kreative Lösungen die Schaffung neuer Pull-Faktoren zu<br />

vermeiden.


206<br />

Eine beson<strong>der</strong>e Form <strong>der</strong> Rückführungsverhin<strong>der</strong>ung stellt die oft völlig<br />

unzureichende Personalausstattung in den zuständigen Konsularabteilungen dar, die<br />

zudem oft verbunden ist mit aufwendigen Anfor<strong>der</strong>ungen an das Verfahren (jede<br />

Person muss persönlich vorgeführt werden). Selbst bei gutem Kooperationswillen<br />

führt dieser „Flaschenhalseffekt“ dazu, dass die Abarbeitung <strong>der</strong> vorhandenen Fälle<br />

– ohne die monatlich neu hinzukommenden Fälle – mehrere Jahre brauchen würde.<br />

Identitätsverschleierung<br />

Der Nichtbesitz o<strong>der</strong> <strong>der</strong> vorgebliche Nichtbesitz von Identitätsunterlagen wird<br />

strategisch zur Rückführungsverhin<strong>der</strong>ung eingesetzt und gehört zur<br />

Standardinstruktion von Schleusern für die Geschleusten. Die Anzahl <strong>der</strong><br />

Asylbewerber, die vorgeben, keinerlei Identitätsnachweise zu besitzen, liegt<br />

durchschnittlich zwischen 80 und 90 %.<br />

Ohne Identitätsnachweise sind die Angaben zur Person und Herkunft frei gestaltbar<br />

und entsprechend häufig auch falsch, so dass auch die Überprüfungsverfahren<br />

kooperationswilliger Staaten negativ verlaufen. Da viele Staaten als<br />

Rückübernahmevoraussetzung eine <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland verifizierte Identität <strong>des</strong><br />

Ausreisepflichtigen voraussetzen, ist die korrekte Beantwortung <strong>der</strong> <strong>im</strong><br />

Passersatzantrag gefor<strong>der</strong>ten Angaben zwingend. Ein positives o<strong>der</strong> negatives<br />

Überprüfungsergebnis<br />

Ausreisepflichtigen.<br />

liegt in diesen Fällen allein in <strong>der</strong> Hand <strong>des</strong><br />

Die in diesem Zusammenhang neu eingeführten o<strong>der</strong> neu gestalteten Vorschriften<br />

<strong>des</strong> AufenthG, insbeson<strong>der</strong>e <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>der</strong> Identitätsklärung, wie die<br />

Strafbarkeit falscher Angaben und die Sicherung von Unterlagen <strong>im</strong> Visumsverfahren<br />

und die Fundpapierdatenbank haben das auslän<strong>der</strong>rechtliche Instrumentarium<br />

erweitert. Fundpapierdatenbank und vor allem die Unterlagen aus den Visaverfahren<br />

werden bei <strong>der</strong> Identitätsklärung hilfreiche Dienste leisten können, wenn sie erst<br />

einmal in einem praxisrelevanten Maße eingesetzt werden können. Voraussetzung<br />

ist allerdings, dass sie konsequent umgesetzt und genutzt werden. Ein äußerst


207<br />

wichtiger Lückenschluss wäre ein adäquates Verfahren zur<br />

Identitätsbeweissicherung <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Schengen-Visa.<br />

Da bei fehlenden Beweisen ohne wahre Angaben durch die Betroffenen eine<br />

Rückführung dauerhaft verhin<strong>der</strong>t ist, muss zudem die Rückkehrmotivation durch<br />

geeignete Maßnahmen in allen Bereichen, auch <strong>im</strong> Repressiven, geför<strong>der</strong>t werden.<br />

Dazu könnte aus <strong>Praktiker</strong>sicht gehören<br />

• zwingen<strong>des</strong> Sachleistungsgebot bei Personen, die nachweislich falsche o<strong>der</strong><br />

unvollständige Angaben zu ihrer Identität machen o<strong>der</strong> auf sonstige Weise<br />

an ihrer Identitätsklärung nicht angemessen mitwirken,<br />

• Strafbarkeit <strong>der</strong> Nichterfüllung zumutbarer Anfor<strong>der</strong>ungen bei <strong>der</strong><br />

Identitätsklärung,<br />

• Erweiterung <strong>der</strong> Angabenpflichten in § 49 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf alle zur<br />

Identitätsfeststellung notwendigen Angaben,<br />

• explizite Aufnahme eines Abschiebungshaftgrun<strong>des</strong> nach § 62 Abs. 2 bei <strong>der</strong><br />

Weigerung, zumutbare Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>im</strong> Identitätsverfahren zu erfüllen,<br />

• Ermöglichung <strong>des</strong> automatischen Bildabgleichs mit <strong>der</strong> Visadatei.<br />

Die D<strong>im</strong>ension und die Komplexität <strong>des</strong> Phänomens <strong>der</strong> Identitätsverschleierung<br />

verlangt <strong>der</strong> Praxis vieles ab; die Praxis ist insoweit für jede Verbesserung ihres<br />

rechtlichen und tatsächlichen Instrumentariums dankbar.<br />

Autor:<br />

Dietmar Martini-Emden<br />

Clearingstelle <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> RLP für<br />

Passbeschaffung und Flugabschiebung


Friedhelm Weller<br />

Zentrale Auslän<strong>der</strong>behörde Dortmund<br />

- -<br />

208<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Evaluation <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes;<br />

Statement zum Themenkomplex „Rückführung“<br />

Beseitigung von Rückführungshin<strong>der</strong>nissen am Beispiel <strong>der</strong> Rückführung türkischer<br />

Staatsbürger<br />

Die Rückführung türkischer Staatsbürger in die Türkei ist einer <strong>der</strong> Schwerpunkte <strong>der</strong><br />

Rückführungstätigkeit in Nordrhein-Westfalen.<br />

Die türkischen Migranten stellen die größte Gruppe <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>er in NRW dar. Bei <strong>der</strong><br />

Identifikation und Beschaffung von Personaldokumenten sind die türkischen<br />

Auslandsvertretungen, <strong>im</strong> Vergleich zu an<strong>der</strong>en außereuropäischen Vertretungen, zum einen<br />

recht kooperativ und zum an<strong>der</strong>en in <strong>der</strong> Lage, auf ein straff organisiertes Registersystem<br />

zurückzugreifen.<br />

Im Umgang mit den türkischen Behörden zeigt sich jedoch, dass man dort <strong>im</strong> Normalfall<br />

nicht glücklich darüber ist, erhebliche Zeit für die Identifikation von Straftätern, illegalen<br />

Einwan<strong>der</strong>ern o<strong>der</strong> ehemaligen Asylbewerbern aufwenden zu müssen. Darüber hinaus scheint<br />

es keine Abst<strong>im</strong>mung zwischen den Auslandsvertretungen und den Einreisebehörden in <strong>der</strong><br />

Türkei zu geben.<br />

• Verfahren zur Passausstellung dauern oft sehr lange, da die erhobenen Daten<br />

regelmäßig zur Prüfung in die Türkei gegeben werden. Dies auch, wenn die jeweilige<br />

Auslandsvertretung selbst schon Dokumente für die betroffene Person ausgestellt o<strong>der</strong><br />

verlängert hat.<br />

• Die türkischen Behörden ziehen die Passverfahren oft <strong>im</strong> Interesse ihrer Staatsbürger<br />

in die Länge. In <strong>der</strong>- sicherlich verständlichen- Absicht, türkischen Staatsbürgern<br />

einen möglichst umfassenden Rechtsschutz in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik zu verschaffen,<br />

werden Reisedokumente nur dann ausgestellt, wenn alle Verwaltungsverfahren nach<br />

Möglichkeit abgeschlossen sind. Personen, die bereits vollziehbar zur Ausreise<br />

verpflichtet sind, aber noch ein laufen<strong>des</strong> Klage-, Härtefall- o<strong>der</strong> Petitionsverfahren<br />

verfolgen, werden auf diese Weise begünstigt.<br />

• Die türkische Praxis, wegen <strong>der</strong> Nichtableistung von Wehrdienst auszubürgern, führt<br />

oft zu einer Verzögerung <strong>der</strong> beabsichtigten Rückführung, da erst <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland<br />

intensiv geprüft werden muss. In vielen Fällen gibt es auch Ablehnungen, so dass die<br />

ausgebürgerte Person und ggf. ihre Familien in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik verbleiben<br />

müssen.<br />

• Wenn letztlich ein Passersatzdokument ausgestellt wird, erfolgt bei <strong>der</strong> Einreise in die<br />

Türkei eine weitere Prüfung <strong>der</strong> Identität <strong>des</strong> Betroffenen, so, als ob die umständliche<br />

Prüfung <strong>des</strong> Auslandvertretung nicht stattgefunden hätte.<br />

24.03.2006


- -<br />

209<br />

• Eine große Gruppe von Migranten aus <strong>der</strong> Türkei, <strong>der</strong>en Rückführung ebenfalls große<br />

Probleme bereitet, sind arabischsprachige Kurden aus <strong>der</strong> Gegend um Mardin, <strong>im</strong><br />

Südosten <strong>der</strong> Türkei, nahe <strong>der</strong> syrischen Grenze.<br />

In den Jahren 1986 - 1992 reisten u.a. über den Flughafen Frankfurt / Main mehrere<br />

tausend Personen mit echten türkischen Personaldokumenten (Türkischer Nüfus,<br />

Türkischer Reisepass) in die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland ein. Dieser Personenkreis<br />

stellte be<strong>im</strong> Grenzschutzamt Frankfurt / Main einen Asylerstantrag. Dabei wurden die<br />

türkischen Reisedokumente einbehalten und die Antragsteller zur Fortführung <strong>des</strong><br />

Asylverfahrens an verschiedene Auslän<strong>der</strong>behörden weiterverwiesen.<br />

Unter Missachtung dieser Zuweisung und Umgehung einer erkennungsdienstlichen<br />

Behandlung begaben sich die Antragsteller zu einer an<strong>der</strong>en Auslän<strong>der</strong>behörde <strong>im</strong><br />

Bun<strong>des</strong>gebiet und stellten dort, ohne entsprechende Dokumente vorlegen zu können,<br />

einen zweiten Asylantrag als Staatenlose / ungeklärte Staatsangehörige aus dem<br />

Libanon. Das bereits anhängige Asylverfahren unter <strong>der</strong> türkischen Identität wurde<br />

mit Vorsatz verschwiegen. Da aus dem Erstantragsverfahren keine Fingerabdrücke<br />

vorlagen und die Personen überwiegend arabisch sprechen konnten, wurde die<br />

Doppelantragstellung über Jahre hinweg nicht bemerkt.<br />

In Deutschland leben diese Familien insbeson<strong>der</strong>e unter folgenden Alias-Personalien:<br />

„EL ZEIN“, „OMEIRAT“, „SAADO“, „MIRI“, „REMMO“ und „FARIS“.<br />

Verschiedene Schreibweisen dieser Namen sind auf unterschiedliche Transkriptionen<br />

zurückzuführen. Nie<strong>der</strong>lassungsschwerpunkte dieser Familien waren u.a. Nordrhein-<br />

Westfalen, Nie<strong>der</strong>sachsen, Bremen und Berlin. Genaue Größenordnungen sind nicht<br />

verifizierbar, es sollen bis zu 30.000 Personen sein.<br />

Bei dem beschriebenen Personenkreis handelt es sich um kurdische Volkszugehörige<br />

mit türkischer Staatsangehörigkeit, die sich <strong>im</strong> Zuge <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ungsbewegung auch<br />

zu großen Teilen als Gastarbeiter <strong>im</strong> Libanon aufgehalten haben und dort zum Teil<br />

geboren wurden. Die Familien beherrschen daher sowohl die türkische als auch die<br />

arabische Sprache. Die einzelnen Familien sind häufig, bedingt durch Heirat <strong>der</strong><br />

einzelnen Mitglie<strong>der</strong> untereinan<strong>der</strong>, eng miteinan<strong>der</strong> verbunden.<br />

Die Identifikation dieser Familien bereitet den türkischen Behörden erhebliche<br />

Probleme, da diese Personen <strong>im</strong> Regelfall angeben, nicht die türkische Sprache zu<br />

sprechen. Erst durch umfangreiche Ermittlungen deutscher Behörden, die durch ein<br />

loses Netzwerk persönlicher Kontakte untereinan<strong>der</strong> verbunden sind, konnte eine<br />

Vielzahl von Personen, mit ihrer in <strong>der</strong> Türkei erfolgten Registrierung in Verbindung<br />

gebracht und identifiziert werden.<br />

Allein durch die Zentrale Auslän<strong>der</strong>behörde Dortmund konnten seit 2001 über 500<br />

Personen aus diesem Personenkreis in die Türkei zurückgeführt werden. Zu diesem<br />

Zweck wurde bei <strong>der</strong> Zentralen Auslän<strong>der</strong>behörde ein Informationsarchiv aufgebaut,<br />

dass die Möglichkeiten <strong>der</strong> Identifikation und <strong>der</strong> Rückführung beschreibt und die<br />

notwendigen Hintergrundinformationen zusammenfasst. Das Archiv steht auch in<br />

kompakter, elektronischer Form zur Verfügung.<br />

Im Kreis Soest, Regierungsbezirk Arnsberg in NRW werden durch die konsequente<br />

Umsetzung <strong>des</strong> gesetzlichen Rückführungsauftrages allein aus diesem Personenkreis<br />

jährlich 1,1 Millionen Euro an Sozialleistungen eingespart.<br />

24.03.2006


- -<br />

210<br />

Durch die bereits dargestellte, fehlende Zusammenarbeit <strong>der</strong> türkischen Behörden<br />

untereinan<strong>der</strong>, war es in diesen Fällen jedoch erfor<strong>der</strong>lich, die Rückführungen auch<br />

durch Mitarbeiter <strong>der</strong> Zentralen Auslän<strong>der</strong>behörde Dortmund begleiten zu lassen. Die<br />

Begleitung ist erfor<strong>der</strong>lich, um bei <strong>der</strong> Einreise in die Türkei nochmals<br />

„Überzeugungsarbeit“ zu leisten und unsere Beweismittel und Falldokumentationen<br />

den Einreisebehörden vor Ort vorzulegen. Die regelmäßigen Kontakte vor Ort haben<br />

darüber hinaus zur Vertrauensbildung beigetragen.<br />

Zum Abschluss meiner Ausführungen noch einige praxisorientierte Anmerkungen zu den<br />

maßgebenden Vorschriften <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes:<br />

Durch die bekannte Problematik <strong>der</strong> Verschleierung <strong>der</strong> persönlichen und nationalen<br />

Identitäten - durch die ausreisepflichtigen Personen- hat sich gezeigt, dass es<br />

notwendig ist, die Betroffenen in stärkerem Maße zur Mitwirkung zu verpflichten.<br />

Die Vorschriften <strong>des</strong> § 82 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) werden von uns regelmäßig<br />

benötigt, um Personen durch Vorführungen zu identifizieren.<br />

Im Hinblick auf die zunehmende Praxis <strong>der</strong> Einladung ausländischer Delegationen zur<br />

Feststellung <strong>der</strong> Herkunft ausreisepflichtiger Staatsangehöriger bei deutschen<br />

Behörden wäre es daher sinnvoll, eine Klarstellung in § 82.4 AufenthG dahingehend<br />

vorzunehmen, dass sich das persönliche Erscheinen nicht nur auf die Vertretungen <strong>des</strong><br />

Staates bezieht, <strong>der</strong>en Staatsangehörigkeit vermutet wird, son<strong>der</strong>n auch auf offiziell<br />

eingeladene und autorisierte Vertreter dieser Staaten.<br />

Die mögliche Errichtung sogenannter Ausreiseeinrichtungen auf Län<strong>der</strong>ebene nach<br />

§ 62 AufenthG sollte verstärkt geprüft und möglichst mit allen Län<strong>der</strong>n einheitlich<br />

abgest<strong>im</strong>mt werden, um Passbeschaffungen und daraus folgende Rückführungen<br />

konsequenter umsetzen zu können.<br />

Darüber hinaus wäre es für die Rückführungspraxis überaus sinnvoll, verstärkt auf<br />

zwischenstaatliche Rückübernahmeabkommen zu setzen und diesbezügliche<br />

Verhandlungen mit den Hauptherkunftslän<strong>der</strong>n zu intensivieren. Auch für die Türkei<br />

fehlt bisher ein solches Abkommen.<br />

Die mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher<br />

Richtlinien <strong>der</strong> Europäischen Union in Bezug auf die Rückführungs- und<br />

Identifizierungsverfahren vorgesehenen Än<strong>der</strong>ungen sind zu begrüßen. So z. B.<br />

- die ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die vorläufige Festnahme von<br />

Auslän<strong>der</strong>n zum Zwecke <strong>der</strong> Abschiebung in § 62 AufenthG,<br />

- die Übermittlungsermächtigungsnorm für die Auslandsvertretungen an die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden nach § 87.2 AufenthG,<br />

- <strong>der</strong> halbjährliche Datenabgleich zwischen Auslän<strong>der</strong>- und Meldebehörden<br />

nach § 90 a AufenthG sowie<br />

- die Speicherung von Lichtbil<strong>der</strong>n <strong>im</strong> Auslän<strong>der</strong>zentralregister (§ 3 AZR-<br />

Gesetz)<br />

Da alle europäischen Staaten mit den gleichen Rückführungsproblemen konfrontiert<br />

sind, wäre eine verstärkte Zusammenarbeit überaus sinnvoll. Mit <strong>der</strong> Einführung von<br />

Eurodac ist bereits ein positiver Anfang gemacht worden.<br />

24.03.2006


212<br />

Zentrale Auslän<strong>der</strong>behörde Düsseldorf<br />

Möglichkeiten zur Beseitigung von Rückführungshin<strong>der</strong>nissen <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong><br />

Klärung <strong>der</strong> Identität <strong>der</strong> Zurückzuführenden und <strong>der</strong> Passersatzbeschaffung<br />

Die Aufgaben <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Rückführung, die den kommunalen Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

beson<strong>der</strong>e Schwierigkeiten bereiten, können durch spezialisierte zentrale Behörden<br />

effektiver erledigt werden. In NRW wurden den Zentralen Auslän<strong>der</strong>behörden (ZAB)<br />

durch die Verordnung über Zuständigkeiten <strong>im</strong> Auslän<strong>der</strong>wesen (ZustAVO) vom<br />

15.02.2005 Aufgaben <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Passersatzbeschaffung und Abschiebung als<br />

originäre Aufgaben übertragen.<br />

Damit unterstützt das Land die kommunalen Auslän<strong>der</strong>behörden bei <strong>der</strong><br />

Rückführungspraxis, die darauf gerichtet ist, eine vollziehbare Ausreisepflicht<br />

konsequent und zügig, aber nicht um jeden Preis, son<strong>der</strong>n unter Wahrung<br />

humanitärer Aspekte durchzusetzen.<br />

Ca. 85 bis 90 % <strong>der</strong> Asylsuchenden bzw. illegal eingereisten Personen geben an,<br />

dass sie nicht <strong>im</strong> Besitz von Personaldokumenten sind, die ihre Identität belegen<br />

können. Damit aber die Ausreiseverpflichtung von Auslän<strong>der</strong>n durchgesetzt werden<br />

kann, benötigen die Auslän<strong>der</strong>behörden Reisedokumente, die den Grenzübertritt<br />

ermöglichen.<br />

Hier muss schon unmittelbar nach <strong>der</strong> ersten Kontaktaufnahme mit einer Behörde<br />

(Auslän<strong>der</strong>behörde o<strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge) eine Befragung<br />

zur Person bzw. zur Herkunft durchgeführt werden. Auch ist bereits zu diesem<br />

Zeitpunkt bei Personen, die nicht über Personaldokumente verfügen, die Aufnahme<br />

eines Passersatzantrages angezeigt.<br />

Die Än<strong>der</strong>ung <strong>im</strong> Asylverfahrensgesetz zum 01.01.2005 <strong>im</strong> Hinblick auf den Fortfall<br />

<strong>des</strong> § 43 b hat hier eine empfindliche Lücke geschaffen, nachdem insbeson<strong>der</strong>e die<br />

Aufnahme <strong>der</strong> Passersatzanträge durch das BAMF entfallen ist.<br />

In den vergangenen Jahren hat sich <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> bestätigt, dass die Beschaffung<br />

von Passersatzpapieren zu einem zentralen Problem bei <strong>der</strong> Durchsetzung von<br />

Ausreiseverpflichtungen geworden ist. Der überwiegende Teil <strong>der</strong> ausreisepflichtigen<br />

Personen hält sich nur <strong>des</strong>halb noch <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet auf, weil sich die<br />

Passersatzbeschaffung als sehr schwierig, wenn nicht sogar als unmöglich heraus<br />

stellt.<br />

Aus diesem Grund sind in <strong>der</strong> Folge sehr langwierige und mühsame Ermittlungs- und<br />

Identifizierungsmaßnahmen <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden über die konsularischen<br />

Vertretungen <strong>der</strong> – vermuteten bzw. behaupteten - Herkunftsstaaten anzustellen.<br />

So stellt es zum Beispiel für die beteiligten deutschen Behörden ein erhebliches<br />

Problem dar, dass keine einheitlichen Anfor<strong>der</strong>ungen und Vorgaben für die<br />

Beantragung von Passersatzpapieren bestehen. Vielmehr verfügt je<strong>der</strong> Staat über<br />

eigene Anfor<strong>der</strong>ungen und Vordrucke zur Passersatzausstellung. Es gibt Staaten,<br />

bei denen es ausreicht, wenn glaubhaft gemacht wird, dass <strong>der</strong> betroffene Auslän<strong>der</strong><br />

aus diesem Staat stammt; es gibt aber ebenso Staaten, die darauf bestehen, dass


213<br />

die ausreisepflichtigen Personen zuerst persönlich <strong>der</strong> Auslandsvertretung vorgeführt<br />

werden, dabei die Identität in einem Interview geklärt wird und dann eine<br />

Überprüfung <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland erfolgt, bevor nach einem positiven Prüfergebnis<br />

geeignete Personaldokumente für die Rückführung ausgestellt werden.<br />

Selbstverständlich sind diese Verfahrensregelungen ständigen Verän<strong>der</strong>ungen<br />

unterworfen.<br />

Um dieser Situation gerecht werden zu können, wurde damit begonnen, die<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> einzelnen Botschaften und Konsulate systematisch zu erfassen<br />

und zu dokumentieren. Eine Analyse <strong>des</strong> Innenministeriums NRW, weshalb viele<br />

Ausreiseverpflichtungen nicht o<strong>der</strong> nur sehr verzögert durchgesetzt werden können,<br />

hat ergeben, dass häufig die Beschaffung von Passersatzpapieren<br />

unverhältnismäßig lange andauert.<br />

Die Ursachen hierfür wurden unter an<strong>der</strong>em mit dem Umstand begründet, dass die<br />

Anträge oft auf falschen Formularen bzw. unvollständig eingereicht wurden und<br />

<strong>des</strong>halb nicht von den Auslandsvertretungen bearbeitet werden. Festzustellen ist<br />

aber auch, dass die betroffenen Personen ihren Mitwirkungspflichten nicht o<strong>der</strong> nur<br />

unzureichend nachkommen, indem sie ihre tatsächliche Identität und Herkunft<br />

verschleiern bzw. bewusst falsche Angaben machen und dadurch ein geordnetes<br />

Passersatzbeschaffungsverfahren erheblich erschweren o<strong>der</strong> unmöglich machen.<br />

Im Jahr 2005 erhielt die ZAB Düsseldorf von den kommunalen Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

2068 Anträge zur Passersatzbeschaffung (ohne Serbien und Montenegro einschl.<br />

Kosovo). Davon wurden 158 Anträge an an<strong>der</strong>e ZAB bzw. BPolD<br />

zuständigkeitshalber weitergeleitet.<br />

Im gleichen Zeitraum wurden 659 Passersatzpapiere von den konsularischen<br />

Vertretungen ausgestellt, damit waren nur ca. 31,9 % <strong>der</strong> Verfahren positiv erledigt<br />

Abgelehnt wurden 367 (18 %) <strong>der</strong> Passersatzanträge.<br />

Von den <strong>im</strong> Jahr 2005 eingegangenen Anträgen werden noch 1042 Passverfahren<br />

(50,4 %) bearbeitet. In diesen Fällen steht eine positive o<strong>der</strong> negative Entscheidung<br />

noch aus.<br />

Daneben werden aus den Vorjahren noch eine Vielzahl von<br />

Passersatzbeschaffungsverfahren bearbeitet.<br />

Diese Statistik dokumentiert deutlich die geschil<strong>der</strong>te Problematik in den<br />

Passersatzbeschaffungsverfahren, indem ausgewiesen wird, dass nur ca. ein Drittel<br />

aller Fälle positiv abgeschlossen werden konnte.<br />

Zusätzlich war festzustellen, dass die Zahl <strong>der</strong> Personen, die <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong><br />

Passersatzpapierbeschaffung bei den Vertretungen ihrer He<strong>im</strong>atlän<strong>der</strong> vorgeführt<br />

werden müssen, stark ansteigt.<br />

Im Jahr 2005 sind von <strong>der</strong> ZAB Düsseldorf aus 182 (Sammel-)Vorführungen mit 962<br />

Personen durchgeführt worden.


214<br />

Dieses ist nicht zuletzt auf den Umstand zurückzuführen, dass fast alle Staaten<br />

persönliche Vorführungen verlangen. Jede dieser Vorführungen ist mit einem großen<br />

zeitlichen, personellen und logistischen Aufwand verbunden, zumal <strong>der</strong><br />

überwiegende Teil <strong>der</strong> Auslandsvertretungen zwischenzeitlich in Berlin angesiedelt<br />

ist.<br />

Oftmals sind die Passersatzanträge erneut bei an<strong>der</strong>en Auslandsvertretungen zu<br />

stellen und die Botschaftsvorführungen zu wie<strong>der</strong>holen, wenn die zuerst behauptete<br />

Nationalität <strong>des</strong> Betroffenen <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> Interview sich als nicht zutreffend<br />

heraus stellt. Das hat zur Folge, dass einige Personen bei mehreren<br />

Auslandsvertretungen vorgeführt werden müssen.<br />

Die Aufgabenwahrnehmung in diesem Bereich erfor<strong>der</strong>t in großem Maße<br />

Spezialkenntnisse sowie persönliche Kontakte, die mühsam aufgebaut werden<br />

müssen. Insbeson<strong>der</strong>e die ständige Kontaktpflege zu den Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeitern <strong>der</strong> Botschaften und Konsulate ist auch vor dem Hintergrund, dass das<br />

diplomatisches Personal regelmäßig nach 3 Jahren ausgewechselt wird, eine<br />

Herausfor<strong>der</strong>ung, die <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen unterliegt und Anpassungen<br />

erfor<strong>der</strong>t.<br />

Mittlerweile ist feststellbar, dass Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>, die bisher den Bereich <strong>der</strong><br />

Passersatzbeschaffung noch nicht zentralisiert haben, vergleichbare Zentralstellen<br />

aufbauen bzw. neu eingerichtet haben. Es hat sich gezeigt, dass die Zentralisierung<br />

in diesem Arbeitsbereich unverzichtbar ist und zu dieser Aufgabenkonzentration<br />

keine an<strong>der</strong>en effektiven Alternativen bestehen.<br />

Für das Jahr 2006 ist zu erwarten, dass die Zahlen weiter auf diesem hohen Niveau<br />

bleiben bzw. noch weiter ansteigen.<br />

Mit <strong>der</strong> Zentralisierung <strong>der</strong> Beschaffung von Passersatzpapieren wird die von den<br />

Auslandsvertretungen gefor<strong>der</strong>te größere Übersichtlichkeit hinsichtlich <strong>der</strong> Anzahl<br />

<strong>der</strong> Verhandlungsführer geschaffen und gleichzeitig die Zeitintervalle für die<br />

Beschaffung von Passersatzpapieren intensiviert bzw. erheblich verkürzt.<br />

Als absolutes Negativbeispiel in <strong>der</strong> Passersatzbeschaffung stellt sich die<br />

Zusammenarbeit mit den Staaten Iran und Russische Fö<strong>der</strong>ation dar, da die<br />

Einleitung eines Verfahrens u.a. nur dann möglich ist, sofern die Betroffenen selbst in<br />

sein He<strong>im</strong>atland zurückkehren möchten bzw. <strong>der</strong> Passersatzausstellung an die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde ausdrücklich zust<strong>im</strong>mt.<br />

Hier kann nur, wie auch bei einer Vielzahl an<strong>der</strong>er Staaten, <strong>der</strong> Abschluss von<br />

Rückübernahmeabkommen Abhilfe schaffen.<br />

Nach wie vor ist die Rückführung ausreisepflichtiger Auslän<strong>der</strong> mit erheblichen<br />

Schwierigkeiten verbunden.<br />

Die Problematik erstreckt sich <strong>im</strong> wesentlichen auf<br />

� die Verschleierung <strong>der</strong> persönlichen und nationalen Identität und die<br />

mangelhafte Mitarbeit <strong>des</strong> zurückzuführenden Auslän<strong>der</strong>s,


215<br />

� die fehlende Bereitschaft zahlreicher Auslandsvertretungen, ihrer<br />

völkerrechtlichen Verpflichtung <strong>der</strong> Rücknahme ihrer Staatsangehörigen<br />

nachzukommen und die sich daraus resultierenden erheblichen Probleme bei<br />

<strong>der</strong> Passersatzbeschaffung,<br />

� die Rückweisung abzuschieben<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> aus Linienmaschinen durch die<br />

Piloten wegen „angenommener“ Sicherheitsrisiken trotz Begleitung durch<br />

Sicherheitskräfte <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>polizei etc.<br />

� Vorlage von ärztlichen Attesten o<strong>der</strong> Gutachten unmittelbar vor <strong>der</strong><br />

Abschiebung über angebliche Erkrankungen<br />

Diese fortschreitende Entwicklung <strong>der</strong> „böswilligen“ Schaffung faktischer<br />

Abschiebehin<strong>der</strong>nisse führte zu einem Rückgang <strong>der</strong> <strong>im</strong> Jahr 2005 durchgeführten<br />

Abschiebungen.<br />

Dennoch wurden <strong>im</strong> Jahr 2005 von den ZAB in NRW 3119 Personen auf dem<br />

Luftwege, davon 2063 Personen allein aus <strong>der</strong> Abschiebungshaft, abgeschoben.<br />

401 Personen mussten in NRW aus <strong>der</strong> Abschiebungshaft entlassen werden, u.a.<br />

weil die Abschiebung wegen fehlen<strong>der</strong> Passersatzpapiere aufgrund <strong>der</strong><br />

Verschleierung <strong>der</strong> wahren Identität nicht innerhalb von drei Monaten möglich war.<br />

Insgesamt hat die ZAB Düsseldorf <strong>im</strong> Jahr 2005 1003 Abschiebungen durchgeführt.<br />

Davon 960 auf dem Luft- und 43 auf dem Landweg.<br />

96 Abschiebungen sind gescheitert (12 x Asyl beantragt, 11 x Krankheit, 1 x Verw.-<br />

Gerichtsentscheidung, 29 x untergetaucht, 43 x sonstige Gründe).<br />

Die Problematik <strong>der</strong> Passersatzbeschaffung lässt sich nur, wie bereits schon<br />

erwähnt, durch den Abschluss von Rückübernahmeabkommen reduzieren.<br />

Als positives Beispiel möchte ich hier das Rückübernahmeabkommen mit Serbien<br />

und Montenegro hervorheben.<br />

Von 1691 Ersuchen auf Rückübernahme, die <strong>im</strong> Jahr 2005 von <strong>der</strong> ZAB Düsseldorf<br />

an die Innenministerien in Belgrad und Podgorica gerichtet wurden, wurden 1217<br />

Zust<strong>im</strong>mungen zur Rückübernahme (72 %) erteilt. Von 2075 zur Abschiebung<br />

angemeldete Personen konnten in <strong>der</strong> Folge 636 Personen (30,7 %) abgeschoben<br />

werden.<br />

Darüber hinaus konnte mit den Innenministerien auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>des</strong><br />

Rückübernahmeabkommens <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> von Expertengesprächen die problemlose<br />

Rückübernahme von unbegleiteten Min<strong>der</strong>jährigen und von Personen, die <strong>der</strong><br />

unmittelbaren medizinischen Betreuung nach <strong>der</strong> Abschiebung bedürfen, geklärt<br />

werden.<br />

Im Gegensatz hierzu möchte ich als negatives Beispiel die Rückführungen in das<br />

Kosovo darstellen.


216<br />

Für serbisch-montenegrinische Staatsangehörige aus dem Kosovo hat die ZAB<br />

Düsseldorf zentral für das Land NRW und für einige Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> die Einleitung und<br />

Koordinierung <strong>der</strong> Rückführungsmaßnahme übernommen. Ferner stellt sie für diesen<br />

Personenkreis EU-Reisedokument aus und begleitet die Rückführungsmaßnahme<br />

am Flughafen Düsseldorf gemeinsam mit <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>polizei und <strong>der</strong><br />

Bezirksregierung Düsseldorf.<br />

An <strong>der</strong> Rückführung über den Flughafen Düsseldorf nehmen auch an<strong>der</strong>e<br />

Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> teil (z.B. Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg–<br />

Vorpommern, Nie<strong>der</strong>sachsen, Rheinland–Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein,<br />

Sachsen, Sachsen-Anhalt und die Bun<strong>des</strong>polizei).<br />

Die ausreisepflichtigen Personen sind nach dem Memorandum of Un<strong>der</strong>standing<br />

(MoU) vom 17.11.1999, vereinbart zwischen dem Son<strong>der</strong>repräsentant <strong>des</strong><br />

Generalsekretärs <strong>der</strong> Vereinten Nationen für das Kosovo und dem Bun<strong>des</strong>minister<br />

<strong>des</strong> Innern <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik Deutschland, zurückzuführen. In nachträglichen<br />

Vereinbarungen, die in abgest<strong>im</strong>mten Nie<strong>der</strong>schriften dokumentiert sind, sind die<br />

Ausreisepflichtigen bei <strong>der</strong> UN-Mission <strong>im</strong> Kosovo (UNMIK) zur Überprüfung<br />

anzumelden und die Zust<strong>im</strong>mung zur Abschiebung einzuholen. Dabei wird zwischen<br />

albanischen Volkszugehörigen und Min<strong>der</strong>heiten (z.B. Ashkali, Ägypter und Roma)<br />

unterschieden.<br />

Von NRW aus wurden <strong>im</strong> Jahr 2005 <strong>der</strong> UNMIK zur Überprüfung und Zust<strong>im</strong>mung<br />

zur Abschiebung folgende Ersuchen vorgelegt:<br />

Angemeldet beanstandet<br />

Anmeldung albanischer<br />

Volkszugehöriger<br />

Anmeldung von ethnischen<br />

2096 669 ( 31,9%)<br />

Min<strong>der</strong>heiten<br />

1371 734 (53,5%)<br />

Anzahl <strong>der</strong> Personen die <strong>im</strong> Jahr 2005 zur Abschiebung angemeldet bzw.<br />

abgeschoben wurden:<br />

Bun<strong>des</strong>land Angemeldet Abgeschoben Storniert<br />

NRW<br />

An<strong>der</strong>e<br />

1928 421 (21,8%) 1507<br />

Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> 1798<br />

371 (20,6%) 1427<br />

Für die aus NRW zur Abschiebung angemeldeten Personen wurden 1514 EU-<br />

Reisedokumente ausgestellt.<br />

Die Gründe für die geringe Zahl <strong>der</strong> tatsächlich zurückgeführten Personen sind<br />

vielschichtig. Zum einen hängt dies, wie die nachstehenden Ausführungen zeigen,<br />

mit dem Verständnis <strong>der</strong> UNMIK zur Rückübernahme <strong>der</strong> Flüchtlinge in das Kosovo<br />

generell zusammen, zum an<strong>der</strong>en sind Probleme feststellbar, die sich den


217<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden vor Ort aufgrund <strong>der</strong> feststehenden Rückführungstermine<br />

stellen.<br />

Erläuternd sei darauf hingewiesen, dass UNMIK in Folge <strong>der</strong> März-Unruhen 2004 die<br />

Rückführung zunächst ausgesetzt hatte. Nachdem die Rückführung von albanischen<br />

Volkszugehörigen <strong>im</strong> Mai 2004 wie<strong>der</strong> zugelassen wurde, wurde erst nach den<br />

Expertengesprächen mit UNMIK <strong>im</strong> April 2005 in Berlin, <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>aufnahme <strong>der</strong><br />

Rückführungen von Ashkali und Ägypter wie<strong>der</strong> erlaubt. Ein weiterer Erfolg dieser<br />

Expertengespräche war <strong>der</strong> Einstieg in den Rückführungsprozess von Angehörigen<br />

<strong>der</strong> Roma-Ethnie.<br />

Die Rückführung <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heiten ist nur möglich, wenn UNMIK nach Durchführung<br />

eines individuellen Prüfverfahrens (“Screeningprozess”) <strong>der</strong> beabsichtigten<br />

Maßnahme nicht wi<strong>der</strong>spricht.<br />

Der Anteil <strong>der</strong> beanstandeten Fälle für diesen Personenkreis lag zuletzt bei ca. 80 %.<br />

Hauptbeanstandungsgründe <strong>der</strong> UNMIK sind nach wie vor die fehlenden<br />

Unterbringungsmöglichkeit (Haus zerstört) o<strong>der</strong> gesundheitliche Gründe (PTBS,<br />

Depressionen u.ä.).<br />

Im Januar 2005 hat UNMIK in einem mit dem Gesundheitsministerium <strong>des</strong> Kosovo<br />

erstellten Memorandum über die “Verfügbarkeit von angemessener medizinischer<br />

Behandlung für posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) <strong>im</strong> Kosovo”<br />

ausgeführt, dass hinsichtlich <strong>der</strong> geringen Behandlungsmöglichkeiten und <strong>des</strong><br />

wenigen Fachpersonals, Personen, die an PTBS leiden, vor ihrer Rückkehr in das<br />

Kosovo ihre Behandlung <strong>im</strong> <strong>der</strong>zeitigen Aufenthaltsland abschließen sollten. Bei<br />

diesem von <strong>der</strong> Rückführung bedrohten Personenkreis sieht UNMIK eine<br />

Verschlechterung <strong>des</strong> mentalen Gesundheitsstatus, da sie nicht die Möglichkeit einer<br />

psychotherapeutischen und/o<strong>der</strong> sozialtherapeutischen Weiterbehandlung haben.<br />

Basierend auf diese Ausführungen vertritt UNMIK weiterhin den Standpunkt, dass<br />

Personen die an PTBS o<strong>der</strong> vergleichbaren Erkrankungen (wie Depressionen) leiden<br />

nicht zwangsweise in das Kosovo zurückgeführt werden können, auch wenn nur eine<br />

medikamentöse Behandlung erfor<strong>der</strong>lich ist und sie über die finanziellen Mittel<br />

verfügen, um Medikamente zu kaufen o<strong>der</strong> diese von den deutschen Behörden für<br />

einen gewissen Zeitraum zur Verfügung gestellt werden.<br />

Weiter st<strong>im</strong>mt UNMIK jede Art von Familientrennung <strong>im</strong> Zusammenhang mit einer<br />

Rückführung nicht zu.<br />

Hinzu kommt, dass die Zahl <strong>der</strong> Stornierungen <strong>der</strong> von den Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

gemeldeten Personen 2005 ansteigend ist. Grund hierfür sind oftmals kurz vor <strong>der</strong><br />

Abschiebung auftretende Probleme, die eine Rückführung unmöglich machen. Die<br />

Gründe hierfür sind vielschichtig.<br />

Es zeigt sich vermehrt, dass rückzuführende Personen nach Jahren <strong>des</strong> Aufenthaltes<br />

in Deutschland als albanische Volkszugehörige nunmehr vorgeben, <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heit<br />

<strong>der</strong> “Roma” anzugehören, weil sie erkannt haben, dass diese Min<strong>der</strong>heit noch unter<br />

einen beson<strong>der</strong>en Schutz <strong>der</strong> UNMIK steht und nur unter best<strong>im</strong>mten<br />

Voraussetzungen abgeschoben werden kann. Sicherlich gibt es Fälle, wo die Frage


218<br />

<strong>der</strong> Zugehörigkeit während <strong>des</strong> Aufenthaltes nicht abschließend geklärt worden ist<br />

bzw. geklärt werden konnte. Die Fälle, die hier angesprochen sind, zeichnen sich<br />

aber dadurch aus, dass die ausländischen Staatsangehörigen nach ihrer Einreise<br />

zunächst vorgetragen haben, albanische Volkszugehörige zu sein, sich dann als<br />

Angehörige <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heit <strong>der</strong> Ashkali ausgaben und jetzt ihre Roma-Zugehörigkeit<br />

vortragen.<br />

Feststellbar ist auch, dass unmittelbar vor <strong>der</strong> Rückführung erstmalig Erkrankungen<br />

vorgetragen werden, die bisher <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde nicht bekannt waren und die<br />

beabsichtigte Maßnahme in Frage stellen o<strong>der</strong> bei psychischen Erkrankungen<br />

unmöglich machen.<br />

In einer Vielzahl von Fällen ist ein Zugriff durch die Auslän<strong>der</strong>behörden am Tag <strong>der</strong><br />

Abschiebung nicht möglich, weil die Abschiebungstermine bekannt sind und die<br />

Personen <strong>des</strong>halb vorübergehend untertauchen o<strong>der</strong> sich Teile <strong>der</strong> Familie nicht in<br />

<strong>der</strong> Wohnung befinden.<br />

Auch gibt es <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> Fälle, wo Personen vor <strong>der</strong> Abschiebung in ein Drittland<br />

ausreisen, sich dort als Asylsuchende ausgeben und nach Abschluss <strong>der</strong><br />

Überprüfung <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> eines Übernahmeersuchens in die Bun<strong>des</strong>republik<br />

Deutschland überstellt werden.<br />

Fazit<br />

Meine Ausführungen geben letztlich nur über einen Teil <strong>der</strong> Schwierigkeiten<br />

Auskunft, die <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>der</strong> Passersatzpapierbeschaffung und <strong>der</strong><br />

Rückführung ausreisepflichtiger Auslän<strong>der</strong> stehen und mit denen die Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter <strong>der</strong> ZAB täglich konfrontiert werden.<br />

Dennoch darf mit Blick auf die Passersatzpapierbeschaffung nicht unerwähnt<br />

bleiben, dass die überwiegende Zahl <strong>der</strong> Staaten ihren Verpflichtungen <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong><br />

<strong>der</strong> Rücknahme ihrer Staatsangehörigen nachkommt.<br />

Vielfach waren hierbei die von den ZAB in NRW geknüpften Kontakte mit den<br />

ausländischen Vertretungen ausschlaggebend.<br />

Hier liegt meiner Meinung nach auch <strong>der</strong> Schlüssel für die Zukunft, um aus<br />

verschiedenen Komponenten bzw. aus unterschiedlichsten Wege, die die ZAB<br />

gegangen sind und die sich als hilfreich herausgestellt haben, eine grundierte Basis<br />

für ein zukunftsweisen<strong>des</strong> Verfahren zu schaffen.<br />

Zum einen kann dies die Übertragung <strong>der</strong> Passersatzpapierbeschaffung und die<br />

Bündelung best<strong>im</strong>mter Aufgaben bei <strong>der</strong> Rückführung auf die ZAB, wie es in NRW<br />

<strong>der</strong> Fall ist, sein. So organisieren bereits heute die ZAB in ihren Dienstgebäuden für<br />

best<strong>im</strong>mte Staaten Vorführungen zur Passersatzpapierbeschaffung o<strong>der</strong> haben<br />

legit<strong>im</strong>ierte ausländische Delegationen zu Gast, die außerhalb <strong>der</strong> konsularischen<br />

Vertretung Passersatzpapieranträge entgegennehmen, prüfen und wenn möglich,<br />

anschließend Dokumente ausfertigen. In diesem Verbund sind auch eventuelle


219<br />

Reisen <strong>der</strong> ZAB in best<strong>im</strong>mte Län<strong>der</strong> zusehen, um Rückführungsmöglichkeiten<br />

unmittelbar vor Ort zu besprechen.<br />

Zum an<strong>der</strong>en erleichtern Rückübernahmeabkommen, wie wir sie kennen und heute<br />

anwenden, die täglichen Aufgaben. Eine an<strong>der</strong>e Alternative, über die nachzudenken<br />

ist, stellt die Gewährung einer finanziellen Hilfe dar, wie es UNMIK bei<br />

Rückführungen in das Kosovo insbeson<strong>der</strong>e dann sieht und for<strong>der</strong>t, wenn die<br />

Rückkehrer über keinerlei Unterkunft mehr verfügen.


220<br />

RD´in Gabriele Stellmacher Hannover, 27.03.2006<br />

Nie<strong>der</strong>sächsisches Ministerium für Inneres und Sport<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Evaluation <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

am 30. und 31. März 2006 <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>haus<br />

2. Sitzungstag<br />

4. Thema: Rückführung<br />

Fragestellungen zur Beseitigung von Rückführungshin<strong>der</strong>nissen (etwa bei <strong>der</strong> Klärung<br />

<strong>der</strong> Identität <strong>der</strong> Zurückzuführenden und <strong>der</strong> Passersatzbeschaffung)<br />

Für die Situation, in <strong>der</strong> sich Auslän<strong>der</strong>innen o<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> befinden, die keinen <strong>der</strong> <strong>im</strong><br />

Aufenthaltsgesetz vorgesehenen Aufenthaltstitel erhalten können, gibt es <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz<br />

wenige Regelungen. Das Gesetz geht in § 58 Abs. 2 AufenthG davon aus, dass jemand,<br />

<strong>der</strong> unerlaubt eingereist ist, keinen Aufenthaltstitel hat o<strong>der</strong> <strong>des</strong>sen Aufenthalt nicht<br />

als erlaubt gilt und bei dem eine Frist zur freiwilligen Ausreise abgelaufen ist, vollziehbar ausreisepflichtig<br />

ist. Erfolgt keine freiwillige Ausreise, regelt § 58 Abs. 1 AufenthG, dass <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong><br />

abzuschieben ist.<br />

So klar die Rechtslage ist, kommt es bei <strong>der</strong> konsequenten Aufenthaltsbeendigung ausreisepflichtiger<br />

Auslän<strong>der</strong> allerdings zu einer Vielzahl von Problemen. Bereits <strong>im</strong> Jahr 2000 hat<br />

eine von <strong>der</strong> IMK eingesetzte Arbeitsgruppe auf Staatssekretärsebene einen Bericht zur Beseitigung<br />

von Rückführungsschwierigkeiten vorgelegt, <strong>der</strong> nach wie vor aktuell ist. Der Bericht<br />

listet eine Reihe von Verhaltensmustern auf. Viele dieser Verhaltensweisen lassen sich<br />

unter den Oberbegriff „Verschleierung <strong>der</strong> Identität“ zusammenfassen. Darunter fallen unter<br />

an<strong>der</strong>em<br />

• Vernichten, Verstecken, o<strong>der</strong> Vorenthalten <strong>der</strong> Ausweispapiere<br />

• Führung mehrerer Alias-Personalien zur Verschleierung <strong>der</strong> wahren Identität und <strong>der</strong><br />

Staatsangehörigkeit<br />

• Behauptung, Staatsangehöriger eines Lan<strong>des</strong> zu sein, von dem bekannt ist, dass<br />

dorthin aus rechtlichen o<strong>der</strong> tatsächlichen Gründen keine Abschiebungen erfolgen,<br />

• Mangelnde bis fehlenden Mitwirkung bei <strong>der</strong> Klärung <strong>der</strong> Identität und Staatsangehörigkeit<br />

sowie <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Passersatzpaperbeschaffung durch Falschangaben<br />

o<strong>der</strong> Verweigerung wesentlicher Angaben<br />

Die Schwierigkeiten bestehen nicht nur auf Seiten ausreisepflichtiger Auslän<strong>der</strong>innen o<strong>der</strong><br />

Auslän<strong>der</strong>. Bei ungeklärten Staatsangehörigkeiten und o<strong>der</strong> Identitäten bereiten eine Reihe<br />

von diplomatischen Vertretungen <strong>der</strong> vermuteten He<strong>im</strong>atstaaten, bei denen die erfor<strong>der</strong>lichen<br />

He<strong>im</strong>reisedokumente beantragt werden müssen, erhebliche Schwierigkeiten:<br />

• Schleppende Bearbeitung <strong>der</strong> Anträge auf Ausstellung von He<strong>im</strong>reisedokumenten<br />

durch die Botschaften in Deutschland,<br />

• For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Vorlage von Dokumenten durch die Botschaften trotz feststehen<strong>der</strong><br />

Staatsangehörigkeit,<br />

• Langwierige, teilweise über mehrere Jahre andauernde Identitätsklärungen <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atstaat<br />

• Ablehnung <strong>der</strong> Vorführung <strong>der</strong> betroffenen Personen zur Identitätsklärung,<br />

• Die Feststellung <strong>der</strong> Staatsangehörigkeit wird von einer ausdrücklichen Erklärung <strong>der</strong><br />

betreffenden Person abhängig gemacht, Staatsangehöriger <strong>des</strong> jeweiligen Lan<strong>des</strong> zu<br />

sein,<br />

• Zur Feststellung <strong>der</strong> Staatsangehörigkeit wird ein entsprechen<strong>des</strong> Zeugnis mehrerer<br />

Landsleute verlangt,<br />

• Die Ausstellung <strong>der</strong> He<strong>im</strong>reisedokumente wird von <strong>der</strong> Erklärung <strong>der</strong> Freiwilligkeit <strong>der</strong><br />

He<strong>im</strong>kehr abhängig gemacht.


221<br />

Das Aufenthaltsgesetz enthält einige gesetzliche Möglichkeiten, um auf die Probleme zu<br />

reagieren: So wurde mit dem Gesetz zur Än<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes und weiterer<br />

Gesetze die auch von Nie<strong>der</strong>sachsen lange gefor<strong>der</strong>te Einrichtung einer Fundpapierdatenbank<br />

beschlossen, in <strong>der</strong> in einem automatisierten Verfahren Lichtbil<strong>der</strong> aus aufgefundenen<br />

Ausweisdokumenten, die bisher nicht best<strong>im</strong>mten Personen zugeordnet werden konnten,<br />

digitalisiert erfasst und verglichen werden können. In einem ersten Schritt sollten bis zum<br />

Herbst letzten Jahres die „herrenlosen“ Ausweispapiere an das Bun<strong>des</strong>verwaltungsamt übermittelt<br />

werden, um die Datenbank aufzubauen. Bislang gibt es wenig Erfahrungen mit <strong>der</strong><br />

Datenbank, weil <strong>der</strong> Aufbau noch nicht abgeschlossen ist. Die AG-Rück hat in ihrer Herbstsitzung<br />

2005 daher beschlossen, dass die Län<strong>der</strong> für die Fundpapierdatenbank werben und<br />

die verschiedenen Stellen, bei denen Fundpapiere vorliegen, noch einmal auf die Verpflichtung<br />

zur Meldung an das Bun<strong>des</strong>verwaltungsamt hinweisen.<br />

Mit <strong>der</strong> Neuregelung <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes wurde außerdem in § 61 Abs. 2 AufenthG eine<br />

Rechtsgrundlage für die Einrichtung von Ausreiseeinrichtungen für vollziehbar ausreisepflichtige<br />

Auslän<strong>der</strong> geschaffen. In Nie<strong>der</strong>sachsen wurde bereits 1998 <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> eines Projekts<br />

zwei Ausreiseeinrichtungen an den Standorten <strong>der</strong> Gemeinschaftsunterkünfte in Oldenburg<br />

und Braunschweig geschaffen. Die Ausreiseeinrichtungen haben die Möglichkeit, jeweils 25<br />

Personen aufzunehmen, die langjährig ihre Identität verschleiert haben. Dort wird versucht,<br />

in regelmäßigen Befragungen und durch an<strong>der</strong>e Maßnahmen zur Identitätsfeststellung, die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden bei <strong>der</strong> Identitätsklärung zu unterstützen. Allein das Signal, dass ein<br />

Aufenthalt in <strong>der</strong> Ausreiseeinrichtung in Betracht gezogen wird, führte in einigen Fällen bereits<br />

zu einer Preisgabe <strong>der</strong> Identität.<br />

Positive Erfahrungen wurden in Nie<strong>der</strong>sachsen mit <strong>der</strong> Identitätsklärung nepalesischer<br />

Staatsangehöriger gemacht. Die vermuteten nepalesischen Staatsangehörigen werden vor<br />

Ort in Nepal durch die dortigen Innenbehörden identifiziert. Bisher wurden alle zugeführten<br />

Personen positiv geklärt und sind in Nepal geblieben.<br />

Ungeachtet <strong>der</strong> positiven Erfahrungen, die in Nie<strong>der</strong>sachsen mit den Ausreiseeinrichtungen<br />

und <strong>der</strong> Identitätsklärung nepalesischer Staatsangehöriger gemacht wurden, wird doch eines<br />

deutlich: Es wird mit großem Aufwand in Einzelfällen, in denen Personen sich bereits einige<br />

Zeit <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet aufhalten, versucht, noch eine Identitätsklärung vorzunehmen. Zu diesem<br />

Zeitpunkt werden kaum noch Beweise für die Herkunft aus einem best<strong>im</strong>mten Land bei<br />

diesen Personen zu finden sein und es hängt von fast kr<strong>im</strong>inalistischer Kleinarbeit ab, ob<br />

Ansatzpunkte für eine Identitätsklärung noch gefunden werden können. Wichtig erscheint es<br />

mir <strong>des</strong>halb, insbeson<strong>der</strong>e zu Beginn <strong>des</strong> Aufenthalts, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die<br />

Identität zu klären. Da viele Auslän<strong>der</strong>innen o<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>s zu Beginn ihres Aufenthalts ein<br />

Asylverfahren durchführen und damit das Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge die erste<br />

Behörde ist, die ein Verfahren für diese Personen durchführt, müssen bereits zu diesem frühen<br />

Zeitpunkt alle Möglichkeiten genutzt werden, eine Identitätsklärung zu versuchen.<br />

Wie ausgeführt, ist Identitätsklärung nicht nur eine Aufgabe und ein Problem <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden.<br />

Rückführungsschwierigkeiten ergeben sich auch <strong>des</strong>halb, weil die Zusammenarbeit<br />

mit den Vertretungen <strong>der</strong> Herkunftslän<strong>der</strong> alles an<strong>der</strong>e als zufrieden stellend verläuft.<br />

Auch hier war man nicht untätig. So wurden Rückübernahmeabkommen abgeschlossen.<br />

Auch die Zentralisierung und Teilzentralisierung <strong>der</strong> Passersatzbeschaffung für best<strong>im</strong>mte<br />

Staaten bei <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>polizei und innerhalb <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> hat zu positiven Ergebnissen geführt.<br />

Die Zahl <strong>der</strong> Staaten, mit denen Schwierigkeiten bestehen, macht jedoch deutlich,<br />

dass die Bemühungen fortgesetzt werden müssen.<br />

Als aktuelles Beispiel möchte ich zum Schluss nur die Schwierigkeiten anführen, die sich<br />

zurzeit trotz <strong>der</strong> vorhandenen Vereinbarungen mit UNMIK bei <strong>der</strong> Rückführung in das Kosovo<br />

ergeben. Im letzten Jahr sind 34,5 % <strong>der</strong> angemeldeten Personen albanischer Herkunft<br />

und 14,1 % <strong>der</strong> angemeldeten Min<strong>der</strong>heiten letztlich zurückgeführt worden. Ich darf daran


222<br />

erinnern, dass es gegenwärtig so gut wie unmöglich ist, Angehörige <strong>der</strong> Roma in das Kosovo<br />

zurückzuführen. In Nie<strong>der</strong>sachsen gibt es ca. 5.600 ausreisepflichtige Roma. Gibt es auch<br />

bei Angehörigen <strong>der</strong> Roma ein Problem <strong>der</strong> Identitätsklärung? Das ist zu vermuten. Es gibt<br />

keine Stelle, die verbindlich feststellt, ob eine ausreisepflichtige Person aus dem Kosovo, die<br />

behauptet, Angehörige <strong>der</strong> Roma Min<strong>der</strong>heit zu sein, dies auch wirklich ist. Dieses Problem<br />

allerdings durch eine Än<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzte lösen zu wollen, erscheint mir nicht<br />

möglich.


223


I. Einführung<br />

224<br />

<strong>Praktiker</strong> <strong>Erfahrungsaustausch</strong> zum Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

30./31. März 2006<br />

Berlin<br />

4. Thema: Rückführung<br />

ORR’in Barbara Hitz, Bun<strong>des</strong>polizeidirektion<br />

Koordinierungsstelle <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> für Rückführungsangelegenheiten<br />

Ausgehend von einem Ziel <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes, <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong><br />

Zuwan<strong>der</strong>ung (§ 1 Abs. 1 S. 2 AufenthG), ist festzuhalten, dass die Beendigung <strong>des</strong><br />

Aufenthaltes (§§ 50 ff AufenthG) ein zentrales Element ist. Dabei ist – soweit eine<br />

freiwillige Rückkehr nicht möglich ist – auf das Instrument <strong>der</strong> zwangsweisen<br />

Rückführung zurückzugreifen. Im Jahr 2005 gab es 17.773 Abschiebungen, davon<br />

16.865 auf dem Luftweg. Diese Zahlen bestätigen den Trend <strong>der</strong> letzten Jahre – die<br />

Zahl <strong>der</strong> Abschiebungen geht zurück (2004: 21.970 Abschiebungen, d.h. ein<br />

Rückgang von 23,2 %).<br />

Bei <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Rückführung ist zunächst auf die Beschaffung von<br />

He<strong>im</strong>reisedokumenten (II.), dann auf die praktische Ausführung (III.) und letztlich auf<br />

die kostenmäßige Abwicklung <strong>der</strong> Maßnahme (IV.) einzugehen.<br />

II. Beschaffung von He<strong>im</strong>reisedokumenten<br />

Durch das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz wurde mit <strong>der</strong> Regelung <strong>des</strong> § 71 Abs. 3 Nr. 7<br />

AufenthG die erfor<strong>der</strong>liche Klarstellung hinsichtlich <strong>der</strong> Zuständigkeit <strong>der</strong><br />

Bun<strong>des</strong>polizei für Beschaffung von He<strong>im</strong>reisedokumenten für Auslän<strong>der</strong> einzelner<br />

Staaten erreicht.<br />

Diese Aufgabe wird <strong>im</strong> Wege <strong>der</strong> Amtshilfe für die Län<strong>der</strong> durch die<br />

Bun<strong>des</strong>polizeidirektion wahrgenommen. Derzeit werden dreizehn Staaten (Benin,<br />

Burundi, Gambia, Guinea-Bissau, Liberia, Mali, Mauretanien, Nigeria, Senegal,<br />

Sierra Leone, Sudan, Togo, Uganda und Vietnam) zentral von <strong>der</strong><br />

Bun<strong>des</strong>polizeidirektion bearbeitet. Durch die Zentralisierung konnten teilweise<br />

Fortschritte bei <strong>der</strong> Beschaffung von He<strong>im</strong>reisedokumenten erreicht werden, etwa<br />

durch stetige und intensive Kontakte zu den Botschaften. Insgesamt gesehen hat<br />

sich dieses Verfahren bewährt.<br />

Die bestehenden Probleme bei <strong>der</strong> Beschaffung von He<strong>im</strong>reisedokumenten sind<br />

weniger in <strong>der</strong> Gesetzeslage (insbes. § 48 Abs. 3 und § 49 Abs. 1 AufenthG),<br />

son<strong>der</strong>n vielmehr in <strong>der</strong> Praxis begründet. Neben <strong>der</strong> Weigerung <strong>der</strong><br />

Rückzuführenden, trotz bestehen<strong>der</strong> Verpflichtung an <strong>der</strong> Beschaffung <strong>der</strong><br />

Dokumente mitzuwirken, ist die tatsächliche Zusammenarbeit mit den Behörden <strong>der</strong><br />

aufnehmenden Staaten schwierig. Generell lässt sich bei vielen <strong>der</strong> von <strong>der</strong><br />

Bun<strong>des</strong>polizeidirektion betreuten Staaten eine sehr geringe Kooperationsbereitschaft<br />

Kontoverbindung: Bun<strong>des</strong>kasse Trier bei <strong>der</strong> Deutschen Bun<strong>des</strong>bank, Filiale Trier, 585 010 03 (BLZ 585 000 00)<br />

IBAN DE 44 5850 0000 0058 5010 03, BIC MARKDEF 1585


225<br />

und die Weigerung, ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung zur Aufnahme ihrer<br />

staatsangehörigen nachzukommen, feststellen.<br />

Es sind exemplarisch ausgeführt, folgende Problempunkte <strong>im</strong> Zusammenwirken<br />

beson<strong>der</strong>s hervorzuheben:<br />

� schleppende Bearbeitung von Anträgen<br />

� Aussetzen <strong>der</strong> Bearbeitung<br />

� Verknüpfen <strong>der</strong> Ausstellung von Pässen / Passersatzpapieren mit an<strong>der</strong>en<br />

(unzulässigen) For<strong>der</strong>ungen<br />

� keine Ausstellung von Pässen / Passersatzpapieren trotz feststehen<strong>der</strong><br />

Staatsangehörigkeit<br />

� zu späte bzw. zu kurzfristige Ausstellung von Pässen / Passersatzpapieren,<br />

ggf. mit sehr kurzer Gültigkeit, so dass (kostenpflichtige) Verlängerungen bzw.<br />

Neuausstellungen erfor<strong>der</strong>lich werden<br />

� Verlangen von hohen Gebühren<br />

Entsprechend den obigen Ausführungen ist festzuhalten, dass die gesetzlichen<br />

Grundlagen zur Aufgabenerfüllung ausreichend sind, es aber weitere Anstrengungen<br />

bei <strong>der</strong> praktischen Anwendung <strong>des</strong> Gesetzes geben muss.<br />

Dabei wären die unterschiedlichen Möglichkeiten, die bereits in Einzelfällen etabliert<br />

wurden (etwa die Einladung von ausländischen Expertengruppen zu<br />

Identifizierungsmaßnahmen) dahingehend zu prüfen, ob sie in größerem Umfang<br />

durchgeführt werden könnten. Da nicht nur Deutschland von diesen Problemen<br />

betroffen ist, sollte auch bei Maßnahmen <strong>der</strong> Passersatzbeschaffung geprüft werden,<br />

welche Kooperationsformen mit den europäischen Partnern zur Lösung in Betracht<br />

kommen. So hat sich etwa die europäische Zusammenarbeit bei <strong>der</strong> Planung und<br />

Durchführung von Sammelrückführungen bereits bewährt.<br />

Wegen <strong>der</strong> kurzzeitigen Erfahrungen ist <strong>der</strong>zeit noch offen, inwieweit sich durch die<br />

neu eingerichtete Fundpapierdatenbank (§ 49a, § 49b AufenthG) Än<strong>der</strong>ungen bzw.<br />

Erleichterungen ergeben, so dass bei einzelnen Personen auf das langwierige und<br />

schwierige Verfahren <strong>der</strong> Beschaffung von He<strong>im</strong>reisedokumenten verzichtet werden<br />

kann.<br />

III. Zurückweisung, Zurückschiebung und Rückführung von Auslän<strong>der</strong>n aus<br />

und in an<strong>der</strong>e Staaten<br />

1)Hinsichtlich <strong>der</strong> konkreten Durchführung von Rückführungen haben sich durch das<br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz keine Än<strong>der</strong>ungen ergeben. Die Regelung <strong>des</strong> § 71 Abs. 3 Nr.<br />

1 AufenthG entspricht <strong>der</strong> bisherigen Norm (§ 63 Abs. 4 Nr. 1 AuslG).<br />

Insoweit ist auch hier festzuhalten, dass die Schwierigkeiten in <strong>der</strong> Durchsetzung <strong>der</strong><br />

Ausreiseverpflichtung auch in diesem Punkt nicht in <strong>der</strong> Gesetzeslage, son<strong>der</strong>n in<br />

dem Verhalten <strong>der</strong> rückzuführenden Personen bzw. <strong>der</strong> aufnehmenden Staaten<br />

begründet sind. Nachdem sich das Verhalten <strong>der</strong> Rückzuführenden nur schwerlich<br />

beeinflussen lässt, sind Anstrengungen dahingehend zu entwickeln, dass<br />

„Aufnahmeverhalten“ <strong>der</strong> betroffenen Län<strong>der</strong> positiv zu gestalten.


226<br />

Daher sind neben den bestehenden gesetzlichen Regelungen bi- und multilaterale<br />

Rückübernahmeabkommen für ein effektives „Rückkehrmanagement“ unerlässlich.<br />

Dabei sollte angestrebt werden, <strong>der</strong>artige Vereinbahrungen möglichst europaweit<br />

einheitlich zu gestalten und gemeinsame Standards festzulegen, um zu verhin<strong>der</strong>n,<br />

dass die Staaten durch unterschiedliche Gestaltung <strong>der</strong> Abkommen (etwa bzgl. <strong>der</strong><br />

Gewährung von Finanzmittel als Anreiz für die Übernahme von Rückzuführenden)<br />

gegeneinan<strong>der</strong> ausgespielt werden.<br />

Es sollte in diesem Zusammenhang auch die Gelegenheit genutzt werden, die<br />

Akzeptanz bzgl. <strong>der</strong> operativen Durchführung von Rückführungen zu erhöhen und<br />

bestehende Restriktionen (etwa die Beschränkung auf 5 Rückzuführende bei<br />

Chartermaßnahmen nach Nigeria) abzubauen.<br />

Bei Staaten, die sich gegen den Abschluss von Rückübernahmeabkommen sträuben<br />

bzw. unzumutbare Bedingungen stellen, wäre zu überlegen, ob zunächst versucht<br />

werden kann, auf darunterliegenden Ebenen („Verfahrensabsprachen“) zu beginnen<br />

um so Bewegung in den Prozess zu bringen.<br />

2) Feststellung <strong>der</strong> (Flug-)Reisetauglichkeit<br />

Mit <strong>der</strong> Best<strong>im</strong>mung <strong>des</strong> § 82 Abs. 4 AufenthG haben die zuständigen Behörden ein<br />

wichtiges Instrument in die Hand bekommen, um eine erfor<strong>der</strong>liche ärztliche<br />

Untersuchung zur Klärung <strong>der</strong> (Flug-)Reisetauglichkeit notfalls auch zwangsweise<br />

durchsetzen zu können. Nach den Erkenntnissen <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>polizei gibt es aktuell<br />

nur sehr wenige Einzelfälle, bei denen <strong>der</strong> Vollzug <strong>der</strong> Rückführung aus diesen<br />

Gründen scheitert. Insoweit hat sich diese Regelung in <strong>der</strong> Praxis sehr bewährt.<br />

IV. Kosten<br />

Der Umfang <strong>der</strong> Kostenhaftung ergibt sich u. a. aus § 67 Abs. 1 Nr. 3, wonach<br />

sämtliche durch eine erfor<strong>der</strong>liche amtliche Begleitung <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s entstehenden<br />

Kosten umfasst sind.<br />

Bezüglich <strong>der</strong> Kostentragung bei Rückführungen ist aktuell auf die Entscheidung <strong>des</strong><br />

Bun<strong>des</strong>verwaltungsgerichts vom 14.03.06 (1C 5/05) zu verweisen. Danach sind die<br />

Kosten, die infolge einer Begleitung durch Beamte <strong>des</strong> Zielstaates, die das<br />

Bun<strong>des</strong>verwaltungsgericht nicht als amtliche Begleitung ansieht, entstanden sind,<br />

keine Kosten <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> § 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG sind, son<strong>der</strong>n solche nach §<br />

67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Im Hinblick darauf, dass die Kosten nach <strong>der</strong><br />

Verwaltungspraxis – bevor sie gegenüber einem Kostenschuldner geltend gemacht<br />

werden – unterschiedlichen Kostenträgern zugeordnet werden, ist dieser Punkt<br />

<strong>der</strong>zeit nicht eindeutig geregelt. Für eine abschließende Bewertung bleiben die<br />

Urteilsgründe <strong>der</strong> Entscheidung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verwaltungsgerichts vom 14.03.06 (1C<br />

5/05) abzuwarten.<br />

V. Zusammenfassung / Ausblick<br />

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die gesetzlichen Grundlagen für die<br />

Aufgabenerfüllung ausreichend sind. Es kommt jetzt darauf an, sie in <strong>der</strong> Praxis<br />

konsequent zu nutzen.


227<br />

Einzelne Punkte <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Rückführung erscheinen aus grenzpolizeilicher Sicht<br />

noch regelungsbedürftig. So sind beispielhaft folgende Punkte zu erwähnen:<br />

� Beschaffung von He<strong>im</strong>reisedokumenten:<br />

Bzgl. <strong>der</strong> eingefügten §§ 49a und b AufenthG sowie 89a AufenthG<br />

(Fundpapierdatei) sollten die zuständigen Behörden in den die Zuständigkeit<br />

regelnden §§ 71 AufenthG aufgenommen werden.<br />

� Rückführung :<br />

Die Problematik <strong>der</strong> Durchbeför<strong>der</strong>ung, die auch eine Art <strong>der</strong><br />

Außerlan<strong>des</strong>bringung ist, ist zu regeln. Dabei sollte nicht nur – in Umsetzung<br />

<strong>der</strong> Richtlinie 2003/110/EG – die Durchbeför<strong>der</strong>ung auf dem Luftweg, son<strong>der</strong>n<br />

auch die Maßnahmen auf dem Landweg geregelt werden. Eine entsprechende<br />

Regelung ist in § 74a <strong>des</strong> „Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung<br />

aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien <strong>der</strong> Europäischen Union“<br />

vorgesehen.<br />

� Kosten:<br />

Die Erfassung von Kostenschuldnern <strong>im</strong> AZR ist bislang nicht in<br />

ausreichendem Maße berücksichtigt. Dazu sollte die Möglichkeit eröffnet<br />

werden, dass analog <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Visadatei möglichen Erfassung von<br />

Verpflichtungsgebern künftig evtl. vorhandene Kostenschuldner (z.B. nach §<br />

64 Abs. 2 AufenthG) o<strong>der</strong> eine eigene Kostenschuld <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s (gem. §§<br />

66,67 AufenthG) <strong>im</strong> allgemeinen Datenbestand <strong>des</strong> AZR erfasst werden<br />

können.<br />

Weiterhin müssen neue Wege gefunden werden, die praktische Durchführung <strong>des</strong><br />

Gesetzes zu verbessern. Dabei ist die Zusammenarbeit mit an<strong>der</strong>en Ministerien,<br />

Behörden und sonstige Organisationen, aber auch den europäischen Partnern, zu<br />

stärken. Ferner sollte auch überlegt werden, wie die unterschiedlichsten<br />

Handlungsfel<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zusammenarbeit weiter verknüpft und in Abhängigkeit zum<br />

Verhalten <strong>der</strong> Zielstaaten bei <strong>der</strong> Rückführung gesetzt werden können (z.B.<br />

technische Ausstattungshilfe).


<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> zum<br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

Berlin, 30.-31. März 2006<br />

Familiennachzug und Spätaussiedler<br />

Erfahrungen aus <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Visumerteilung<br />

VLR Klaus Botzet – Auswärtiges Amt<br />

Referat für Visumrecht (Einzelfälle)<br />

228


Ehegattennachzug und illegale<br />

Migration<br />

Scheinehen<br />

OVG Berlin: eine schützwürdige eheliche Lebensgemeinschaft<br />

i. S. von Art. 6 GG liegt nur vor, wenn eine<br />

� auf Dauer und<br />

� auf gegenseitigen Schutz- und Beistand angelegte<br />

Lebensgemeinschaft angestrebt wird und<br />

� diese von beiden Ehepartnern als solche gewollt<br />

wird.<br />

229


Ehegattennachzug und illegale<br />

Migration<br />

� Scheinehen<br />

häufigste Fallgruppe <strong>der</strong> Klagen auf Visumerteilung<br />

(2005: ca. 2.500 Klagen auf Visumerteilung, überwiegende Mehrzahl<br />

davon auf F33amilienzusammenführung von Ehegatten )<br />

� erhebliche praktische Probleme hinsichtlich Erkennbarkeit<br />

und Nachweis<br />

� Abgrenzung von einer zulässigen Zweckehe<br />

� Beson<strong>der</strong>e Schwierigkeit <strong>der</strong> einseitigen Scheinehe<br />

In <strong>der</strong> Praxis keine wesentliche Än<strong>der</strong>ung durch Einführung <strong>des</strong><br />

AufenthG. Umfangreiche Rechtsprechung.<br />

230


Ehegattennachzug und illegale<br />

Migration<br />

Scheinehe bei Vorhandensein von Kin<strong>der</strong>n<br />

� Abstammung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> von dem ausländischen Ehepartner als Vater<br />

wird von Gesetzes wegen unterstellt, wenn das Kind während <strong>des</strong><br />

Bestehens <strong>der</strong> Ehe geboren wird.<br />

� Auch wenn Prüfung ergeben hat, dass keine Schutzwürdigkeit <strong>der</strong> Ehe<br />

vorliegt, entsteht hier grundsätzlich Nachzugsanspruch gem. § 28 Abs.<br />

1 Nr. 3 AufenthG, obwohl ein „Scheinvater“ naturgemäß die soziale<br />

Vaterschaft für das Kind ebensowenig anstrebt wie eine eheliche<br />

Lebensgemeinschaft.<br />

� Rechtsprechung hat in Einzelfällen die Durchführung eines DNA-Tests<br />

zum Nachweis <strong>der</strong> biologischen Vaterschaft als Indiz für das Bestehen<br />

einer schutzwürdigen Ehe zugelassen. Insoweit gibt es jedoch noch<br />

keine gefestigte Rechtsprechung.<br />

231


Ehegattennachzug und<br />

Lebensunterhalt 1<br />

Die vorläufigen Anwendungshinweise zu § 27 Abs. 3 und § 28 Abs.<br />

1 AufenthG legen nahe an, dass die fehlende Sicherung <strong>des</strong><br />

Lebensunterhalts auch be<strong>im</strong> Familiennachzug zu einem<br />

Deutschen einen Ablehnungsgrund darstellen kann.<br />

Insoweit besteht Wi<strong>der</strong>spruch sowohl zu Wortlaut <strong>des</strong> § 28 Abs. 1<br />

AufenthG wie auch zum Grundsatz, dass einem Deutschen<br />

nicht zugemutet werden kann, die familiäre Lebensgemeinschaft<br />

<strong>im</strong> Ausland zu führen. Formulierung führt <strong>der</strong>zeit<br />

zu einer Reihe von gerichtlichen Auseinan<strong>der</strong>setzungen.<br />

Empfehlung:<br />

Klarstellung in <strong>der</strong> Verwaltungsvorschrift nach Maßgabe <strong>der</strong><br />

demnächst zu erwartenden Rechtsprechung.<br />

232


Ehegattennachzug und<br />

Lebensunterhalt 2<br />

Genaue Definition <strong>der</strong> Sicherung <strong>des</strong> ausreichenden Lebensunterhalts ist in<br />

<strong>der</strong> Praxis stark umstritten. Umfangreiche Kasuistik ist zu erwarten.<br />

Beispiele:<br />

� Sollen die für Erwerbstätige geltenden Freibeträge <strong>im</strong> Sozialhilferecht<br />

vom Nettoeinkommen abgezogen werden (§§ 11 Abs. 2 Nr. 6, 30 SGB<br />

II)? Die Rechtsprechung ist bisher uneinheitlich.<br />

� Wie viel Nachhaltigkeit <strong>der</strong> Einkommenserzielung ist erfor<strong>der</strong>lich?<br />

� § 27 Abs. 3 AufenthG führt dazu, dass manchen Auslän<strong>der</strong>behörden die<br />

Vorlage von Verpflichtungsermächtigungen von weiteren<br />

Familienangehörigen zur Absicherung <strong>des</strong> LU for<strong>der</strong>n. Sind hierbei z.<br />

B. Pfändungsfreigrenzen zu berücksichtigen, wie eine AB meint?<br />

233


Ehegattennachzug und<br />

Zwangsehen<br />

Bei persönlichem Gespräch in <strong>der</strong> Auslandsvertretung geben die Antragstellerinnen i. d. R nicht<br />

zu erkennen, dass sie die Ehe unter Zwang eingehen bzw. sind nicht bereit, dies<br />

schriftlich festhalten zu lassen o<strong>der</strong> sagen ggf. vor Zeugen an<strong>der</strong>s aus.<br />

Derzeit diskutierte Maßnahmen bleiben letztlich politischen Entscheidungen vorbehalten. Aus <strong>der</strong><br />

Praxis heraus lassen sich folgende Vorteile bzw. Schwierigkeiten erkennen:<br />

1. Nachweis ausreichen<strong>der</strong> deutscher Sprachkenntnisse als Voraussetzung für FZ-Anspruch<br />

Vorteil: führt zur Durchbrechung <strong>der</strong> Isolation <strong>der</strong> Frauen in D, hilft bei <strong>der</strong> Vermittlung kultureller Inhalte<br />

und <strong>der</strong> Aufklärung über Rechte, macht Zwangsverheiratung für Eltern wie Ehepartner<br />

unattraktiver. Aus Sicht <strong>der</strong> Praxis grundsätzlich zu begrüßen.<br />

2. Heraufsetzung <strong>des</strong> Nachzugsalters auf 21 Jahre<br />

Vorteil: macht Zwangsverheiratung für Eltern wie Ehepartner unattraktiver<br />

Gemeinsame Schwierigkeit bei<strong>der</strong> Vorschläge: verfassungsrechtlich vertretbare Ausgestaltung <strong>im</strong> Hinblick<br />

auf Art. 3 und 6 GG.<br />

Einheitliches Nachzugsalter von 21 Jahren birgt ggf. Problem <strong>der</strong> Einzelfallungerechtigkeit bei an<strong>der</strong>en<br />

Fallgestaltungen, in denen es sich nicht um Zwangsheirat handelt.<br />

234


Kin<strong>der</strong>nachzug 1<br />

Anerkennung ausländischer Sorgerechtsentscheidungen<br />

§ 32 AufenthG berücksichtigt nicht, dass eine Reihe von ausländischen<br />

Rechtsordnungen eine dem deutschen Recht vergleichbare<br />

Sorgerechtsübertragung nicht kennt (z. B. Mazedonien u.a.m.).<br />

In <strong>der</strong> Praxis entstehen hier erhebliche Schwierigkeiten. Obwohl eine<br />

Kin<strong>des</strong>wohlprüfung oft nahelegt, die fehlende Sorgerechtsentscheidung<br />

zu ersetzen, ist dies dem Gesetzeswortlaut nach nicht möglich.<br />

Korrektur soll über die Verwaltungsvorschrift erfolgen.<br />

Empfehlung: gesetzgeberischer Handlungsbedarf bleibt je nach<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Rechtsprechung zu prüfen.<br />

235


Kin<strong>der</strong>nachzug 2<br />

Fortfall <strong>der</strong> Kin<strong>des</strong>wohlprüfung unter 16 Jahren<br />

In einer Reihe von Fällen steht das Kin<strong>des</strong>wohl dem Kin<strong>der</strong>nachzug<br />

offenkundig entgegen, weil die ausländische Sorgerechtsentscheidung<br />

das Kin<strong>des</strong>wohl nicht in Betracht zieht. Dennoch besteht <strong>der</strong><br />

Nachzugsanspruch gem. § 32 Abs. 1 AufenthG. Ablehnung <strong>der</strong><br />

Anerkennung <strong>der</strong> ausländischen Sorgerechtsentscheidung unter<br />

Verweis auf den Ordre Public kommt in solchen Fällen nicht in Betracht.<br />

Beispiel: Nachzug eines 15jährigen Mädchens aus <strong>der</strong> Osttürkei ohne<br />

Deutschkenntnisse zu dem allein lebenden, voll berufstätigen Vater in D. Die<br />

Mutter, die bis dahin das Sorgerecht ausübte, verbleibt in <strong>der</strong> Türkei.<br />

Empfehlung: Prüfung, ob nicht de lege ferenda ausnahmsweise<br />

Kin<strong>des</strong>wohlerwägungen jedenfalls dann vom Gesetz her vorzusehen sind, wenn<br />

das Kin<strong>des</strong>wohl offenkundig dem Nachzug entgegen steht.<br />

236


Missbräuchliche Anerkennung <strong>der</strong><br />

Vaterschaft zur Erlangung eines<br />

Aufenthaltsrechts<br />

Derzeitige Praxis <strong>der</strong> Visumerteilung folgt <strong>der</strong> Entscheidung <strong>des</strong><br />

VGH Baden - Würtemberg vom 03.03.05 (13 S 3035/04)<br />

wonach sich auslän<strong>der</strong>rechtliche Ansprüche in Fällen <strong>der</strong><br />

missbräuchlichen Anerkennung <strong>der</strong> Vaterschaft nicht ableiten<br />

lassen. VG Berlin ist dieser Rechtsprechung bisher gefolgt.<br />

Gesetzgeberische Klarstellung durch Einführung <strong>des</strong> behördlichen<br />

Anfechtungsrechts ist aus Sicht <strong>der</strong> Praxis zu begrüßen und<br />

angesichts von Unsicherheiten in <strong>der</strong> Rechtsprechung auch<br />

erfor<strong>der</strong>lich.<br />

237


Spätaussiedler 1<br />

� Einführung <strong>der</strong> <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz vorgesehenen<br />

Sprachstandstests für Ehegatten und Abkömmlinge von<br />

Spätaussiedlern war problemlos (gute Zusammenarbeit von AA,<br />

BVA und Goethe-Institut).<br />

� Von rund 1.500 in 2005 zu einem Sprachstandstest<br />

eingeladenen Personen sind knapp 60 % zum Test erschienen.<br />

Davon haben knapp 25 % den Test bestanden.<br />

� Vermutlich hat ein erheblicher Teil <strong>der</strong> Personen mit nicht<br />

ausreichenden Sprachkenntnissen <strong>im</strong> Wege <strong>der</strong><br />

Familienzusammenführung nach dem AufenthG Aussichten,<br />

nach D einzureisen.<br />

238


Spätaussiedler 2<br />

� Problem: ungeklärt ist <strong>der</strong>zeit, ob und ggf. welche<br />

Familienangehörigen zusammen mit dem Spätaussiedler<br />

ausreisen dürfen o<strong>der</strong> ob sie mit einer geson<strong>der</strong>ten Zust<strong>im</strong>mung<br />

<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde nachreisen müssen.<br />

� Eine rechtliche Klärung, ggf. durch einen entsprechenden<br />

Beschluss <strong>der</strong> IMK wäre wünschenswert, <strong>der</strong> diese<br />

Rechtsunsicherheit baldmöglichst beendet.<br />

239


Datum: 25.03.2006<br />

Telefon: (089) 233 23030<br />

Telefax: (089) 233 27501<br />

ck.vollmer@muenchen.de<br />

Frau Vollmer<br />

<strong>Evaluierung</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

- Familiennachzug -<br />

Allgemeine Anmerkungen<br />

240<br />

Kreisverwaltungsreferat<br />

Hauptabteilung II Einwohnerwesen<br />

Auslän<strong>der</strong>angelegenheiten<br />

KVR-II/3<br />

Die <strong>im</strong> 6. Abschnitt <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) neu aufgenommenen Anspruchsregelungen<br />

haben in <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde München zu einer Reduzierung <strong>des</strong> Prüfungsaufwands<br />

für Ermessensentscheidungen geführt. Dies ist angesichts <strong>des</strong> durch an<strong>der</strong>e Neuregelungen<br />

verursachten Mehraufwands grundsätzlich zu begrüßen.<br />

Beispiele für den verringerten Aufwand sind z.B. <strong>der</strong> Wegfall von Ermessensprüfungen be<strong>im</strong><br />

Ehegattennachzug nach 5-jährigem (bzw. nach EU-Recht 2-jährigem) Besitz einer Aufenthaltserlaubnis<br />

(AE) o<strong>der</strong> be<strong>im</strong> „kleinen Asyl“ (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 und 2) sowie be<strong>im</strong> Kin<strong>der</strong>nachzug<br />

zu einem allein sorgeberechtigten Elternteil (§ 32 Abs. 3).<br />

An<strong>der</strong>erseits kann aber Missbräuchen, z.B. durch Umgehung <strong>der</strong> Visaverfahren kaum noch<br />

entgegengetreten werden.<br />

Familiennachzug zu Deutschen, § 28<br />

Die Rechtslage ist nach dem AufenthG unverän<strong>der</strong>t, <strong>der</strong> Vollzug grundsätzlich unproblematisch.<br />

Da gesicherter Lebensunterhalt und ausreichen<strong>der</strong> Wohnraum ebenso wie nach altem Recht<br />

für die Erteilung einer AE nicht erfor<strong>der</strong>lich sind, sollte geprüft werden, ob nicht bei selbst verschuldetem<br />

Sozialhilfebezug eine Ablehnungsmöglichkeit <strong>im</strong> Ermessen eingeführt werden<br />

kann.<br />

Be<strong>im</strong> Familiennachzug zu Deutschen, aber auch be<strong>im</strong> Nachzug zu Auslän<strong>der</strong>n mit gesichertem<br />

Aufenthaltsstatus kommt es außerdem <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> zu missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen.<br />

Die Auslän<strong>der</strong>behörde München hat schon bisher in Fällen, bei denen die Vaterschaft für ein<br />

nichteheliches Kind bereits vor <strong>der</strong> Geburt anerkannt wird, dem Vater (o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Mutter) in <strong>der</strong><br />

Regel bis zur Geburt eine Duldung erteilt und danach eine AE, wenn <strong>der</strong> Vater sich an <strong>der</strong> Erziehung<br />

<strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> beteiligt, d.h. eine sog. „Beistandsgemeinschaft“ vorlag. Nach <strong>der</strong> neuesten<br />

Rechtsprechung <strong>des</strong> BVerfG vom 08.12.05 reicht schon ein regelmäßiger, z.B. 14-tägiger<br />

Kontakt für die Erteilung einer AE aus.<br />

Zur Verhin<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Missbrauchs sollte man die Möglichkeit schaffen, dass die Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

in <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Mitwirkungspflicht nach § 82 einen DNA-Test als Vaterschaftsnachweis<br />

verlangen kann, wenn aufgrund <strong>der</strong> Einzelfallumstände Zweifel an <strong>der</strong> Vaterschaft<br />

bestehen. Hiermit hat die Auslän<strong>der</strong>behörde München gute Erfahrungen gemacht, weil hier-


241<br />

durch nach <strong>der</strong> Geburt <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> eine schnelle Klärung <strong>der</strong> Vaterschaft und <strong>des</strong> auslän<strong>der</strong>rechtlichen<br />

Status möglich ist. Unabhängig davon ist die <strong>im</strong> Gesetzentwurf <strong>des</strong> BMJ geplante<br />

Anfechtung <strong>der</strong> Vaterschaft durch einen Träger öffentlicher Belange zu begrüßen, da sie Klarheit<br />

über den zivilrechtlichen Status <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> schafft.<br />

Familiennachzug zu Auslän<strong>der</strong>n, § 29<br />

Zur Voraussetzung <strong>des</strong> ausreichenden Wohnraums (Abs.1 Nr. 2) ist folgen<strong>des</strong> anzumerken:<br />

Die in den Anwendungshinweisen unverän<strong>der</strong>t genannten Min<strong>des</strong>tgrößen (12 qm pro Person,<br />

Kin<strong>der</strong> unter 6 Jahren 10 qm, Kin<strong>der</strong> unter 2 Jahren werden gar nicht mitgerechnet, 10 %-<br />

Abzug bei abgeschlossener Wohnung) sollten überprüft und nach oben angepasst werden.<br />

Nach jetziger Rechtslage werden durch den Familiennachzug ständig weitere Wohnungsnotstandsfälle<br />

geschaffen und zugelassen, die dann sofort einen Anspruch auf die Vormerkung<br />

für eine Sozialwohnung mit hoher Dringlichkeit haben. Das ist insbeson<strong>der</strong>e in den Fällen relevant,<br />

bei denen <strong>der</strong> hier lebende Ehegatte eines nachziehenden Auslän<strong>der</strong>s noch bei seinen<br />

Eltern wohnt (was oft vorkommt).<br />

Beispiel: Eine 65 qm große 3-Z<strong>im</strong>mer-Wohnung ist mit 5 Personen voll belegt. Der Nachzug<br />

einer sechsten Person muss zugelassen werden ( 6x12=72, abzüglich 10 % = 64,8 qm erfor<strong>der</strong>lich).<br />

Ausübung einer Erwerbstätigkeit, Abs. 5:<br />

Die Besserstellung von nachgezogenen Familienangehörigen be<strong>im</strong> Arbeitsmarktzugang nach<br />

2-jährigem Aufenthalt ist nicht nachvollziehbar und müsste korrigiert werden.<br />

Beispiel: Die nachgezogene Ehefrau eines IT-Spezialisten erhält nach 2-jährigem<br />

Aufenthalt nicht nur einen vollen Arbeitsmarktzugang, son<strong>der</strong>n darf jetzt auch selbständig erwerbstätig<br />

sein, während <strong>der</strong> Ehemann nur als IT-Spezialist arbeiten darf.<br />

Ehegattennachzug zu Auslän<strong>der</strong>n, § 30<br />

Abs. 1 Nr. 3<br />

Der Ehegatte eines hier lebenden Auslän<strong>der</strong>s hat einen Anspruch auf AE, wenn dieser seit<br />

5 Jahren (nach EU-Recht jetzt 2 Jahren) eine AE besitzt. Dies gilt auch wenn <strong>der</strong> hier lebende<br />

Ehegatte trotz seines langen Aufenthaltes über keine ausreichenden Sprachkenntnisse verfügt<br />

o<strong>der</strong> wenn er noch nicht volljährig ist.<br />

Die mit dem 2. ÄndG geplante Einführung eines Min<strong>des</strong>talters für beide Ehepartner sowie<br />

das Erfor<strong>der</strong>nis von einfachen Sprachkenntnissen bereits vor <strong>der</strong> Einreise ist zur Vermeidung<br />

von Zwangsehen und zur besseren Integration grundsätzlich ein richtiger Ansatz.<br />

Im Zusammenhang mit dem erleichterten Ehegattennachzug ist auch auf den zunehmenden<br />

Missbrauch <strong>des</strong> § 31 hinzuweisen (Erwerb eines eigenständiges Aufenthaltsrechts für den<br />

nachgezogenen Ehegatten bei Aufhebung <strong>der</strong> ehelichen Lebensgemeinschaft):


242<br />

In vielen Fällen erfolgt die Trennung vom Ehepartner auffällig kurze Zeit nach Ablauf von zwei<br />

Jahren, oft sogar schon wenige Tage o<strong>der</strong> Wochen danach. Nicht selten wird dann <strong>der</strong> frühere<br />

geschiedene Ehepartner erneut geheiratet, <strong>der</strong> dann zusammen mit gemeinsamen Kin<strong>der</strong>n <strong>im</strong><br />

Familiennachzug einreist. Dies muss dann auch zugelassen werden, da in allen Fällen ein<br />

Rechtsanspruch zum Familiennachzug besteht und selbst dann wenn <strong>der</strong> Verdacht besteht,<br />

dass die das Aufenthaltsrecht <strong>des</strong> hier lebenden Auslän<strong>der</strong>s begründende Ehe in Wirklichkeit<br />

eine Scheinehe war. Nach altem Recht konnte <strong>der</strong> Familiennachzug <strong>im</strong> Ermessen abgelehnt<br />

werden, damals bestand <strong>der</strong> Rechtsanspruch nur für Inhaber einer Aufenthaltsberechtigung,<br />

nicht aber für Inhaber einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis.<br />

Die Feststellung <strong>des</strong> Trennungszeitpunkts macht in vielen Fällen Probleme, oft werden diesbezüglich<br />

von den getrennten Ehegatten verschiedene Zeitpunkte angegeben. Dies führt in<br />

gerichtlichen Verfahren <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> zu mühevollen Beweisaufnahmen mit langwierigen Anhörungen<br />

und Zeugenaussagen. Hier sollte bei <strong>der</strong> Berechnung <strong>des</strong> maßgeblichen Zeitraumes<br />

(ebenso wie <strong>im</strong> neuen EU-Recht) auf das Datum <strong>des</strong> Scheidungsantrages bzw. den <strong>im</strong> Scheidungsantrag<br />

genannten Trennungszeitpunkt abgestellt werden.<br />

Kin<strong>der</strong>nachzug, § 32<br />

Der Rechtsanspruch be<strong>im</strong> Kin<strong>der</strong>nachzug zu einem (allein sorgeberechtigten) Elternteil erweist<br />

sich in <strong>der</strong> Praxis als problematisch. In vielen Fällen wird das Sorgerecht von ausländischen<br />

Gerichten offensichtlich allein <strong>des</strong>wegen auf den in Deutschland lebenden Elternteil<br />

umgeschrieben, um dem Kind einen Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen. Häufig kommen<br />

die Kin<strong>der</strong> nach Abschluss ihrer Schulausbildung kurz vor Vollendung <strong>des</strong> 16. Lebensjahres<br />

ohne jegliche Sprachkenntnisse nach Deutschland. Sachgerechtere Entscheidungen waren<br />

nach altem Recht möglich, als <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>nachzug in diesen Fällen bei schlechter Integrationsprognose<br />

<strong>im</strong> Ermessen abgelehnt werden konnte.<br />

Umgehung <strong>der</strong> Visaverfahren<br />

Wenn ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht, kann von <strong>der</strong> Einholung<br />

eines an sich erfor<strong>der</strong>lichen Visums abgesehen werden (§ 5 Abs. 2 S. 2). Diese Möglichkeit<br />

gab es auch unter dem alten Auslän<strong>der</strong>gesetz schon. Durch die mit dem ZuwG zusätzlich geschaffenen<br />

Anspruchstatbestände wird diese Ausnahme jedoch häufiger geltend gemacht was<br />

zu zeitraubenden Auseinan<strong>der</strong>setzungen führt. Hinzu kommt, dass die früher in § 9 DV AuslG<br />

enthaltene Einschränkung auf gesetzliche Ansprüche weggefallen ist und Ausnahmen auch<br />

bei Ermessensreduzierung auf Null möglich sind. Der Visumszwang ist insbeson<strong>der</strong>e be<strong>im</strong><br />

Nachzug von Kin<strong>der</strong>n, die mit einem Besuchsvisum einreisen und erst <strong>im</strong> Inland einen Antrag<br />

auf AE stellen, kaum durchsetzbar. Be<strong>im</strong> Ehegattennachzug werden die Erteilungsvoraussetzungen<br />

(z.B. Sicherung <strong>des</strong> Lebensunterhalts, ausreichen<strong>der</strong> Wohnraum) nicht selten erst <strong>im</strong><br />

Laufe längerer gerichtlicher Auseinan<strong>der</strong>setzungen geschaffen.


243


Frankfurt am Main, 27.03.2006<br />

244<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong><br />

<strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Evaluation <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

am 30. und 31. März 2006 <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>haus<br />

Fr., 31.03.2006, 10.30 – 12.45 Uhr<br />

5. Thema: Familiennachzug<br />

Referentin:<br />

Hiltrud Stöcker-Zafari, Dipl. Päd.<br />

Bun<strong>des</strong>geschäftsstelle – Referat Beratung


Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften beschäftigt sich seit 34 Jahren mit den Belangen<br />

eingewan<strong>der</strong>ter Paare und Familien. Unsere Kenntnisse basieren auf diesem Hintergrund. Wir erhalten<br />

jährlich ca. 16.000 Anfragen, ein Großteil hiervon, ca. 60%, ist dem Bereich Einreisevisum von<br />

Familienangehörigen, Einreise zur Eheschließung, Ehegatten- sowie Kin<strong>der</strong>nachzug zuzuordnen.<br />

1. Besuchervisum für Familienangehörige<br />

245<br />

Um eingewan<strong>der</strong>ten Familien in Deutschland ein Familienleben zu ermöglichen, können<br />

Familienangehörige, die in einem Drittstaat leben, ein Besuchervisum für Deutschland erhalten.<br />

Hierfür sprechen Angehörige, die <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet leben, eine Einladung aus und erklären sich bereit,<br />

die Kosten für den Aufenthalt <strong>des</strong> Besuchs zu übernehmen. Bei <strong>der</strong> abzugebenden<br />

Verpflichtungserklärung prüft die kommunale Behörde die Bonität <strong>des</strong> in Deutschland lebenden<br />

Einla<strong>der</strong>s. Die Prüfung <strong>der</strong> Bonität erfolgt kommunal verschieden. In vielen Kommunen wird das<br />

pfändungsfreie Einkommen zugrunde gelegt.<br />

Erfahrungen -<br />

Insbeson<strong>der</strong>e seit <strong>der</strong> „Visaaffäre“ <strong>im</strong> letzten Jahr werden Besuchervisa von Familienangehörigen aus<br />

Drittstaaten noch restriktiver als zuvor erteilt. Selbst Familienangehörige, die bisher mehrfach in<br />

Deutschland zu Besuch waren, erhielten kein Visum mehr, obgleich sie die gleichen Unterlagen wie<br />

gewohnt vorlegten. Dies führt natürlich zu einer großen Irritation bei den Familienangehörigen, da<br />

sich die gesetzlichen Best<strong>im</strong>mungen in <strong>der</strong> Zwischenzeit nicht geän<strong>der</strong>t haben, und es für die<br />

Antragsteller/-innen nicht nachvollziehbar war bzw. ist, warum einem Antrag nun nicht mehr<br />

entsprochen wird, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Vergangenheit regelmäßig zur Bewilligung führte. Folglich wird die<br />

Ablehnung <strong>des</strong> Einreisevisums von den Antragsteller/-innen als Willkür <strong>der</strong> Behörde o<strong>der</strong> das<br />

gesamte Proze<strong>der</strong>e als ein kostspieliges Glücksspiel wahrgenommen.<br />

Verstärkt wird diese Empfindung<br />

• durch umgehende schriftliche Ablehnung, während in <strong>der</strong> Vergangenheit für den gleichen<br />

Bearbeitungsvorgang mehrere Wochen Zeit beansprucht wurde o<strong>der</strong><br />

• durch das Hinhalten <strong>der</strong> Antragsteller/-innen, die erst nach einigen Tagen um weitere Angaben<br />

gebeten werden.<br />

Beispiele –<br />

Frau M. wurde von ihrem Bru<strong>der</strong>, deutsch verheiratet, zum Weihnachtsfest <strong>im</strong> Kreis <strong>der</strong> deutschen<br />

angeheirateten Familie eingeladen. Auch die Schwiegereltern <strong>des</strong> Bru<strong>der</strong>s freuten sich auf diesen<br />

Besuch, sprachen eine zusätzliche Bürgschaft gegenüber <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde aus. Der Antrag<br />

wurde von <strong>der</strong> Botschaft in Israel innerhalb 10 Tagen abgelehnt. Die Kosten, die dem Bru<strong>der</strong><br />

entstanden sind, belaufen sich auf insgesamt 225 € (50 € für DHL, 25 € für die Einladung, 100 €<br />

für die Krankenversicherung, 50 € Bearbeitungsgebühr für das Visum). Eine Begründung wurde<br />

nicht gegeben.<br />

Auch die Schwester eines Algeriers, <strong>der</strong> ebenfalls seit Jahren mit seiner deutschen Ehefrau in<br />

Deutschland lebt, erhielt kein Visum für den Familienbesuch. Sie besuchte bereits mehrfach ihren<br />

Bru<strong>der</strong> und nahm auch diesmal den beschwerlichen Weg von 1000 km mit dem Bus zur Botschaft


246<br />

nach Algier in Kauf, um dort vorzusprechen und den Antrag persönlich abzugeben. Der Antrag<br />

wurde abgelehnt, weil die Rückkehrbereitschaft nicht als gegeben angesehen wurde. „Dies ergibt<br />

sich insbeson<strong>der</strong>e aus <strong>der</strong> Tatsache, dass Sie we<strong>der</strong> über ausreichende familiäre noch<br />

wirtschaftliche Bindungen an Ihr He<strong>im</strong>atland verfügen. Sie sind nicht eigenständig familiär<br />

verwurzelt, da Sie noch keine eigene Familie haben, Sie sind ledig.“ (aus dem Antwortschreiben<br />

<strong>der</strong> Botschaft auf die Remonstration <strong>der</strong> Antragstellerin).<br />

Die Oma aus dem Senegal durfte in <strong>der</strong> Vergangenheit zwe<strong>im</strong>al kommen: zur Hochzeit ihrer<br />

Tochter und zur Geburt <strong>der</strong> Zwillinge. Die Erteilung <strong>der</strong> damaligen Visa (Zeitraum: in den letzten<br />

3-4 Jahren) bereiteten keinerlei Probleme, ebenso <strong>der</strong> Aufenthalt in Deutschland sowie die<br />

fristgemäße Ausreise. Auch in 2005 ging die Familie von den bisherigen guten Erfahrungen aus.<br />

Die Verpflichtungserklärung lag vor, die Krankenversicherung wurde abgeschlossen. Die Oma<br />

<strong>der</strong> Zwillinge beantragt an einem Montag das Touristenvisum bei <strong>der</strong> Deutschen Botschaft in<br />

Dakar. Es wird gesagt, sie solle am Dienstag wie<strong>der</strong>kommen. Am Dienstag hieß es, sie solle am<br />

Mittwoch wie<strong>der</strong>kommen. Am Mittwoch wurde ihr gesagt, sie solle am Donnerstag<br />

wie<strong>der</strong>kommen. Am Donnerstag wird sie befragt, wovon sie <strong>im</strong> Senegal ihren Lebensunterhalt<br />

bestreite. Sie erwi<strong>der</strong>t, dass sie verheiratet sei und vom Einkommen ihres Mannes lebe.<br />

Der Antrag wird kommentarlos abgelehnt. Der Familie ist unbegreiflich, welche Kriterien zu<br />

dieser Ablehnung führten.<br />

Frau B. ist seit 1984 deutsche Staatsbürgerin, ist deutsch verheiratet und erhält seit ca. 20 Jahren<br />

regelmäßig (alle 1-2 Jahre) Besuch von ihren Eltern aus Belarus. Bisher gab es keine Probleme,<br />

we<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Visumerteilung noch während <strong>des</strong> Aufenthaltes in Deutschland. Die Eltern reisten<br />

stets fristgemäß nach Hause. Sie wussten ja, dass sie wie<strong>der</strong>kommen konnten.<br />

Im März 2005 beantragten sie wie gewohnt das Besuchervisum und erhielten nach zwei Tagen<br />

eine Ablehnung ohne Begründung.<br />

Seit mehreren Monaten erhalten wir verstärkt Anfragen von Menschen, die keinen Besuch mehr aus<br />

dem Ausland empfangen können, da ihre Bonität als Einla<strong>der</strong> in Frage gestellt wird.<br />

Ein Deutscher möchte seinen Schwiegervater aus Russland einladen. Er hat bislang schon<br />

unzählige Male seine Schwiegermutter eingeladen, alles war korrekt. Er besorgt sich einen<br />

Termin und legt die gefor<strong>der</strong>ten Unterlagen vor: Bun<strong>des</strong>personalausweis, drei<br />

Einkommensnachweise, Personalien <strong>des</strong> Eingeladenen. Nach zehn Minuten hält <strong>der</strong> Mann ein<br />

Papier in <strong>der</strong> Hand, dass ihm bescheinigt "Bonität nicht gegeben". Seine Familie bezieht und<br />

bezog zu keinem Zeitpunkt Sozialleistungen. Die Gehaltsbescheinigung (Steuerklasse 3, zwei<br />

Kin<strong>der</strong>) weist einen monatlichen sozialversicherungspflichtigen Bruttoverdienst von 3833,39<br />

Euro/Monat aus, also oberhalb <strong>der</strong> Pflichtversicherungsgrenze in <strong>der</strong> gesetzlichen<br />

Krankenversicherung, resultieren<strong>der</strong> Nettoverdienst 2646,23 Euro.<br />

Der Familienvater ist seit Juli 2001 be<strong>im</strong> <strong>der</strong>zeitigen Arbeitgeber tätig.<br />

Empfehlungen -<br />

Das Verwaltungsverfahren sollte durch entsprechende Vorgaben <strong>des</strong> Gesetzgebers bun<strong>des</strong>einheitlich<br />

und transparent organisiert werden. Hierzu sind die Kriterien zur Erreichung eines Besuchervisums<br />

darzulegen und die Gründe aufzuführen, die zu einer Ablehnung führen.


247<br />

Weiterhin sollte die Verwaltung aufgefor<strong>der</strong>t werden, Familien über die Möglichkeiten einer<br />

Beantragung <strong>des</strong> längerfristigen Visums zur mehrmaligen Einreise nach § 6 Abs. 2 AufhG zu beraten.<br />

Bei <strong>der</strong> Prüfung <strong>der</strong> Bonität sollte die reale Lebenssituation berücksichtigt werden:<br />

• das Kin<strong>der</strong>geld ist als Einkommen anzurechnen, denn das Kind wird als zu unterhaltende<br />

Personen voll berücksichtigt,<br />

• evtl. finanzielle Rücklagen <strong>der</strong> Familie für diese Zeit,<br />

• Hinzuziehung weiterer Familienangehöriger, die <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet leben.<br />

Familienbesuche sollten regelmäßig gestattet werden, damit Familien auch über Grenzen hinweg<br />

miteinan<strong>der</strong> leben können. Familienbesuche sind nach an<strong>der</strong>en Maßstäben zu beurteilen als ein<br />

touristisches Sightseeing.<br />

Die Befürchtung, dass nach einer Einreise nicht mehr ausgereist wird, können wir für die meisten<br />

Familien nicht teilen. Vielmehr ist die Bereitschaft auszureisen extrem hoch, wenn man die<br />

Gewissheit hat, wie<strong>der</strong> kommen zu können.<br />

2. Aufenthalt zur Vorbereitung <strong>der</strong> Eheschließung<br />

Aus Erfahrung sowie aus unseren Beratungen wissen wir, dass für die Vorbereitung einer<br />

Eheschließung mit Auslandsberührung eine längere Zeit eingeplant werden muss, um die<br />

erfor<strong>der</strong>lichen Urkunden und Dokumente in <strong>der</strong> gefor<strong>der</strong>ten Form dem Stan<strong>des</strong>amt vorlegen zu<br />

können.<br />

Für Partner/-innen von Frauen bzw. Männern mit deutscher Staatsbürgerschaft o<strong>der</strong> die mit einem<br />

gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland leben, ist keine rechtliche Regelung <strong>im</strong> AufhG für die<br />

Zeit <strong>der</strong> Ehevorbereitung bzw. für die Eingehung einer Lebenspartnerschaft vorgesehen. Erst wenn<br />

die Eheschließung unmittelbar bevorsteht, können gesetzliche Best<strong>im</strong>mungen greifen.<br />

Empfehlungen –<br />

Unseres Erachtens sollte diese Best<strong>im</strong>mung ausgeweitet werden, um einem Paar die Möglichkeit zu<br />

geben, noch fehlende Urkunden bzw. Beglaubigungen beizubringen. Dabei sollte <strong>im</strong> Einzelfall<br />

berücksichtigt werden, aus welchem Land die Dokumente zu erbringen sind, welche<br />

Beglaubigungswege die Urkunden durchlaufen müssen. Außerdem sollte die bestehende Partnerschaft<br />

sowie die Lebensumstände <strong>des</strong> <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet lebenden Partners gebührend einbezogen werden.<br />

Hält sich <strong>der</strong> Partner/die Partnerin noch <strong>im</strong> Ausland auf und betreibt von dort die Einreise zur<br />

Eheschließung, so sollte diese zukünftig frühzeitig erlaubt werden, damit die Vorbereitungen zur<br />

Eheschließung gemeinsam <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet vorgenommen werden können.<br />

Ebenso sollte bei homosexuellen Paaren berücksichtigt werden, dass sie ihre Lebenspartnerschaft in<br />

<strong>der</strong> Regel nicht <strong>im</strong> Ausland eingehen können. Sie sind in beson<strong>der</strong>em Maß an einer frühzeitigen<br />

Einreise interessiert.


248<br />

3. Aufenthalt von Familienangehörigen Deutscher<br />

Zuerst möchten wir grundsätzlich kritisieren, dass deutsch-verheiratete Familien gegenüber<br />

Unionsbürger/-innen in Deutschland benachteiligt sind, denn Familienangehörige von Deutschen<br />

unterliegen den gesetzlichen Regelungen <strong>des</strong> AufhG. Dabei wird auf die Staatsangehörigkeit <strong>des</strong><br />

Ehegatten/<strong>der</strong> Ehegattin abgestellt und nicht die grundgesetzlich garantierten Rechte <strong>des</strong> Deutschen in<br />

den alleinigen Vor<strong>der</strong>grund gestellt.<br />

a) Aufenthalt nach <strong>der</strong> Eheschließung<br />

Wir begrüßen die eindeutige Regelung in § 28 AufhG, in dem erstmalig <strong>der</strong> Rechtsanspruch auf<br />

Aufenthalt für den Ehegatten unabhängig <strong>des</strong> finanziellen Nachweises <strong>des</strong> Lebensunterhalts klar<br />

gesetzlich normiert ist.<br />

Erfahrungen–<br />

Paare berichten uns <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong>, dass sich Auslän<strong>der</strong>behörden nicht exakt an diese Normierung<br />

halten, son<strong>der</strong>n entsprechende finanzielle Nachweise <strong>des</strong> deutschen Partners/<strong>der</strong> deutschen Partnerin<br />

for<strong>der</strong>n. Diese For<strong>der</strong>ung wird be<strong>im</strong> Ehegattennachzug aus dem Ausland in Form einer<br />

Verpflichtungserklärung verlangt.<br />

Paare erleben diese Situationen als <strong>im</strong>mens große Verunsicherung, da ihnen suggeriert wird, dass sie<br />

nur dann mit ihrem Ehepartner in Deutschland zusammen leben können, wenn sie über ausreichende<br />

finanzielle Mittel verfügen.<br />

Weiterhin wird uns häufig von Paaren berichtet, die außerhalb <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>gebietes geheiratet haben,<br />

dass die Auslän<strong>der</strong>behörde die Ersterteilung <strong>der</strong> befristeten Aufenthaltserlaubnis an die Vorlage eines<br />

Familienbuches knüpft. Nach Beantragung <strong>des</strong> Familienbuches be<strong>im</strong> Stan<strong>des</strong>amt wartet das Paar<br />

meist Monate auf die Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis, da Dokumente und Urkunden in <strong>der</strong><br />

gefor<strong>der</strong>ten Form meist nicht zeitnah zu erbringen sind. In <strong>der</strong> Zwischenzeit muss das Paar die damit<br />

verbundenen Nachteile beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt in Kauf nehmen, da potentielle<br />

Arbeitgeber die erteilte Fiktionsbescheinigung als Unsicherheitsfaktor ansehen, zudem sind Reisen ins<br />

benachbarte Ausland nicht möglich.<br />

In diesem Zusammenhang erachten wir die Ausführungen <strong>der</strong> vorläufigen Anwendungshinweise <strong>des</strong><br />

Bun<strong>des</strong>innenministeriums in 28.1.2 für nicht hilfreich: „Bei Anwendung <strong>des</strong> Absatzes 1 Nr. 1 kommt<br />

es nicht darauf an, ob die Ehe in Deutschland o<strong>der</strong> <strong>im</strong> Ausland geschlossen wurde. Bei je<strong>der</strong><br />

Eheschließung muss die Ortsform beachtet worden sein, also die am Ort <strong>der</strong> Eheschließung<br />

vorgegebene Form einschließlich <strong>der</strong> zwingenden Eheschließungsvoraussetzungen, wie sie am<br />

Eheschließungsort gelten.“<br />

Dieser Hinweis ist wi<strong>der</strong>sprüchlich. Es wird zum einen ausgeführt, dass für die Anwendung dieses<br />

Paragraphen <strong>der</strong> Eheschließungsort unerheblich ist, zum an<strong>der</strong>en gilt es aber die Ortsform zu<br />

beachten.<br />

Ein/e Mitarbeiter/-in <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde wird sich durch diese Hinweise veranlasst fühlen, die<br />

Ortsform <strong>der</strong> Eheschließung zu berücksichtigen. Da er bzw. sie selbst die Ortsform nicht überprüfen<br />

bzw. feststellen kann, wird folglich <strong>der</strong> ausländische Ehegatte/die ausländische Ehegattin an das<br />

Stan<strong>des</strong>amt mit dem Hinweis verwiesen, ein Familienbuch anzulegen, denn nur wenn für Deutschland


249<br />

eine rechtswirksame Eheschließung zustande gekommen ist, könne anschließend die<br />

Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.<br />

Empfehlungen –<br />

Die noch zu erlassenen Verwaltungsvorschriften sollten eindeutig den Verzicht <strong>des</strong> Nachweises <strong>des</strong><br />

Lebensunterhalts formulieren.<br />

Die noch ausstehenden Verwaltungsvorschriften sollten den Rechtsanspruch auf Aufenthalt nicht aus<br />

dem Auge verlieren und insofern die Vorlage eines Familienbuches nicht zu einer Voraussetzung für<br />

die Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis erheben.<br />

b) Verfestigung <strong>des</strong> Aufenthaltsstatus<br />

Die Erteilung <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufhG wird in <strong>der</strong> Verwaltungspraxis an<br />

den Nachweis geknüpft, dass <strong>der</strong> Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit, eigenem Vermögen<br />

o<strong>der</strong> sonstigen eigenen Mitteln bestritten wird. Wird dieser Nachweis nicht erbracht, so wird keine<br />

Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis erteilt, son<strong>der</strong>n weiterhin eine befristete Aufenthaltserlaubnis.<br />

Aus unserer Sicht basiert diese Praxis nicht auf einer eindeutig normierten gesetzlichen Regelung.<br />

Laut § 28 Abs. 2 darf zwar kein Ausweisungsgrund vorliegen, jedoch ist keine Vorschrift zu finden,<br />

dass <strong>der</strong> Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln gesichert sein muss. Nach unseren Recherchen finden<br />

wir ebenso viele Juristen/Juristinnen, die für die Berücksichtigung <strong>des</strong> § 5 Abs. 1 Nr. 1 in § 28 Abs. 2<br />

sprechen und die sich gegen diese Anknüpfung aussprechen.<br />

Erfahrungen –<br />

Die Familien realisieren nicht, dass ihnen das Grundgesetz in Artikel 6 einen staatlichen Schutz<br />

garantiert. Sie erleben diesen Schutz nicht in <strong>der</strong> Verwaltungspraxis, sie sehen vielmehr ihren<br />

befristeten Aufenthaltstitel, den sie regelmäßig neu beantragen müssen und dabei stets vor Augen<br />

haben, dass ein Antrag auch angelehnt werden kann. Besorgte Nachfragen erreichen unseren Verband,<br />

in denen die Befürchtung ausgedrückt wird, ob <strong>der</strong> Ehemann/die Ehefrau wegen fehlen<strong>der</strong> eigener<br />

finanzieller Mittel aus Deutschland ausgewiesen werden kann.<br />

Empfehlungen -<br />

Der Gesetzgeber sollte an dieser Stelle eine klare Regelung erlassen.<br />

Aus <strong>der</strong> Lebensrealität binationaler Familien wissen wir, wie wichtig die Verfestigung <strong>des</strong><br />

Aufenthalts für das Sicherheitsbedürfnis <strong>der</strong> Familie ist. Planungen lassen sich nur sehr schwer<br />

vornehmen, wenn ihnen durch die Befristung <strong>des</strong> Aufenthaltstitels Grenzen gesetzt werden. Familien<br />

benötigen jedoch für die Gestaltung ihres Lebens sichere rechtliche <strong>Rahmen</strong>bedingungen.<br />

Daher plädieren wir für die Klarstellung in § 28 Abs. 2 und für den Verzicht auf den Nachweis <strong>des</strong><br />

gesicherten Lebensunterhaltes. Der Grundgesetzartikel 6 gebietet diese Deutlichkeit.


4. Ehegattennachzug und Kin<strong>der</strong>nachzug<br />

250<br />

Grundsätzlich möchten wir anmerken, dass sich die Ausführungen in Abschnitt 6<br />

„Aufenthalt aus familiären Gründen“ an einem klassischen Familienbegriff orientieren (Vater, Mutter,<br />

Kind) und dabei <strong>der</strong> gesellschaftlichen Realität, die durch plurale Lebensformen gekennzeichnet ist,<br />

nicht gerecht wird.<br />

• Es fehlen beispielsweise Regelungen, die einem ausländischen Elternteil eines Kin<strong>des</strong>, das in<br />

Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, ein Aufenthaltsrecht einräumt.<br />

• Bedingt durch die weltweite Mobilität kommt es nicht selten vor, dass Paare und Familien<br />

nach einem Auslandsaufenthalt wie<strong>der</strong> ihren Wohnsitz ins Bun<strong>des</strong>gebiet verlegen wollen. Dies<br />

ist nach den bestehenden Regelungen gemeinsam nicht möglich. Das AufhG geht vielmehr<br />

davon aus, dass ein Teil <strong>der</strong> Familie, z.B. <strong>der</strong> deutsche, bereits <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet lebt und<br />

arbeitet und anschließend weitere Familienangehörige nachzieht. Das ist lebensfremd und<br />

führt nur zu längeren Trennungszeiten, die die Familie nicht beabsichtigte.<br />

• Der Nachzug von weiteren Familienangehörigen, für die Sorge und Verantwortung<br />

übernommen wird, wie beispielsweise (Groß)eltern o<strong>der</strong> Geschwister, ist nach § 36 AufhG nur<br />

zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte möglich. In <strong>der</strong> Praxis kommt folglich ein<br />

Nachzug so gut wie gar nicht vor. Diese Regelung schränkt Familienleben ein, behin<strong>der</strong>t<br />

zudem Eingewan<strong>der</strong>te sich auf ihren Lebensmittelpunkt Deutschland zu konzentrieren, denn<br />

die Sorge um <strong>im</strong> Herkunftsland verbliebene unversorgte Angehörige führt zu einer ständigen<br />

Unsicherheit.<br />

a) Kin<strong>der</strong>nachzug<br />

Wir begrüßen den gesetzlich normierten Anspruch auf Nachzug von Kin<strong>der</strong>n zu ihren Eltern bzw.<br />

sorgeberechtigten Elternteilen.<br />

Wir kritisieren jedoch, dass das Kindschaftsrechtsreformgesetz nicht gebührend berücksichtigt<br />

wurde.<br />

Empfehlungen -<br />

Wir erleben in <strong>der</strong> Praxis <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong>, dass die alleinige Sorge in vielen Län<strong>der</strong>n nicht<br />

gerichtlich beurkundet wird, denn nicht alle Län<strong>der</strong> kennen diese spezielle Form. Unter <strong>der</strong><br />

Berücksichtigung <strong>des</strong> aktuellen deutschen Kindschaftsrechts, in dem die gemeinsame Sorge die<br />

Regel darstellt und die alleinige eine Abweichung in begründeten Einzelfällen, sowie das<br />

Umgangsrecht als gleichrangig bedeutend für das Kin<strong>des</strong>wohl angesehen wird, sollte auch das<br />

AufhG entsprechend nachgebessert werden.<br />

Es sollte <strong>der</strong> Nachzug eines Kin<strong>des</strong> zu seinem umgangsberechtigten Elternteil ebenso als<br />

Anspruch vorgesehen sein. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Eltern ihre gemeinsame Sorge<br />

nicht auch grenzüberschreitend ausüben dürfen.<br />

Als extrem schwierig erleben wir jedoch in <strong>der</strong> Praxis unserer Beratungsarbeit die<br />

Verfahrensregelung <strong>des</strong> Nachzugs. Diese ist weitestgehend vergleichbar mit dem<br />

Ehegattennachzug und wird somit nicht geson<strong>der</strong>t aufgeführt.


) Ehegattennachzug<br />

251<br />

Das AufhG normiert Rechtsansprüche auf Einreise und Aufenthalt in Deutschland für Frauen und<br />

Männer, die mit Deutschen bzw. mit Einwan<strong>der</strong>er/-innen, die in Deutschland mit einem sicheren<br />

Aufenthaltsstatus leben, verheiratet sind. Diese Regelung begrüßen wir sehr, war sie doch in <strong>der</strong><br />

Vergangenheit keine Selbstverständlichkeit.<br />

Die Schwierigkeiten, mit denen wir in unserer Beratungspraxis zu tun haben, betreffen das<br />

Verwaltungshandeln, das diese Rechtsansprüche umsetzt. Dabei erleben wir sehr häufig, dass<br />

Rechtsansprüche unterlaufen und Antragsteller/-innen zu Bittsteller/-innen gemacht werden. Viele<br />

Paare nehmen nicht mehr wahr, dass ihnen überhaupt Rechte zustehen.<br />

Erfahrungen –<br />

Die Bearbeitung <strong>des</strong> Visums zum Familiennachzug erfor<strong>der</strong>t eine sorgfältige Prüfung <strong>des</strong><br />

Antrages durch die deutsche Auslandsvertretung. Dabei ist die inländische Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

einzubeziehen, in <strong>des</strong>sen Gebiet <strong>der</strong> Nachzug erfolgen soll. Dieses äußerst komplexe<br />

Zusammenspiel ist für die antragstellenden Paaren/Familien nicht überschaubar. Die Verfahren<br />

sind zeit- und kostenintensiv. Geraten sie ins Stocken, so ist die Ursache hierfür meist nicht<br />

nachzuvollziehen. Handelt es sich um ein Einreisevisum zur Eheschließung, so ist zusätzlich ein<br />

örtliches Stan<strong>des</strong>amt involviert, wodurch die Abst<strong>im</strong>mung sowie die Zusammenarbeit <strong>der</strong><br />

Behörden nicht vereinfacht wird.<br />

In vielen Län<strong>der</strong>n greift zudem die deutsche Auslandsvertretung auf örtliche Anwälte, auf<br />

sogenannte Vertrauensanwälte, zurück, die die Angaben <strong>der</strong> Antragsteller/-innen auf Verlangen<br />

<strong>der</strong> deutschen Auslandsvertretung jedoch auf Kosten <strong>der</strong> Antragsteller/-innen überprüfen. Ihre<br />

Recherchen werden bei <strong>der</strong> Entscheidung über das Einreisevisum berücksichtigt. Uns erreichen<br />

viele Klagen über die Seriosität <strong>der</strong> Anwälte.<br />

Nachfolgende Schil<strong>der</strong>ung haben wir aus Berichten von Ratsuchenden zusammengestellt:<br />

In Beratungsgesprächen berichten uns Paare häufig, dass sie unfreundlich in den<br />

deutschen Auslandsvertretungen behandelt werden, dass ihnen kaum erklärt wird, aus<br />

welchen Gründen weitere Überprüfungen vorgenommen werden und dass sie <strong>im</strong> Unklaren<br />

gehalten werden, wie viel Zeit die Bearbeitung <strong>des</strong> Visums noch beanspruchen wird. Viele<br />

Paare warten mehrere Monate auf ihren Ehepartner/ihre Ehepartnerin, ohne dass ein<br />

Ende abzusehen ist. Sie leben getrennt voneinan<strong>der</strong>, obgleich sie miteinan<strong>der</strong> verheiratet<br />

sind, um zusammen zu leben. Der in Deutschland lebende Ehegatte finanziert meist beide<br />

Aufenthaltsorte und gerät selbst bei gutem Verdienst nach einigen Monaten in finanzielle<br />

Nöte. Das Verfahren unter Einbeziehung <strong>der</strong> Vertrauensanwälte verursacht hohe Kosten,<br />

die vom Urkundeninhaber zu begleichen sind. Die Seriosität <strong>der</strong> Vertrauensanwälte wird<br />

von den betroffenen Paaren angezweifelt, da diese offen zusätzliche Gel<strong>der</strong> für die<br />

Erstellung von Berichten <strong>im</strong> Sinne <strong>der</strong> Urkundeninhaber verlangen. Die gesamte Situation<br />

ist für die meisten Paare nicht überschaubar und wird daher psychisch als äußerst<br />

belastend empfunden. Die Gründe, die für eine längere Bearbeitung sprechen, sind nicht<br />

transparent. Die deutsche Auslandsvertretung verweist an die inländische<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde und umgekehrt. Zwischen den Behörden wird das Paar zerrieben.


252<br />

Ein Grund für langwierige Verwaltungsverfahren liegt darin, dass Behörden sicher sein wollen,<br />

dass das Paar die Absicht hat, tatsächlich in Deutschland eine eheliche Lebensgemeinschaft zu<br />

führen. Bestehen Zweifel an dieser Ernsthaftigkeit, so verlangen Behörden von dem Paar weitere<br />

Nachweise, um diese zu beheben, sie befragen das Paar getrennt voneinan<strong>der</strong>, ermitteln in seiner<br />

Nachbarschaft und suchen es in <strong>der</strong> gemeinsamen Wohnung auf.<br />

Solch ein Vorgehen liegt mangels objektiver Kriterien <strong>im</strong> Ermessen <strong>des</strong> jeweiligen Mitarbeiters<br />

<strong>der</strong> Behörde und ist damit abhängig von seinen individuellen Kenntnissen und Erfahrungen.<br />

Gemeinsames Familienleben ist grundgesetzlich geschützt und kann <strong>des</strong>halb nicht in das<br />

Ermessen eines Behördenmitarbeiters gelegt werden.<br />

Dieses Verwaltungshandeln ist allgemein bekannt, so dass weitere Ausführungen an dieser Stelle<br />

nicht erfor<strong>der</strong>lich sind. Außerdem berühren sie auch an<strong>der</strong>e Ministerien, wie das Auswärtige Amt,<br />

so dass weitere Gespräche und <strong>Erfahrungsaustausch</strong> an einem an<strong>der</strong>en Ort bzw. unter einem<br />

an<strong>der</strong>en Titel anstehen würden. Bei Bedarf sind wir gerne bereit, aus unserer Beratungspraxis<br />

weitere Details darzulegen.<br />

5. Abschließende Anmerkungen<br />

Als interkultureller Familienverband haben wir bereits in <strong>der</strong> Vergangenheit schon oft darauf<br />

hingewiesen, dass <strong>der</strong> Gesetzgeber einerseits Rechtsansprüche für Familien mit<br />

Auslandsberührung geschaffen hat, diese aber an<strong>der</strong>erseits durch Vorgaben und<br />

Anwendungshinweise für die Verwaltung stückweit zurückgenommen werden. Aus unserer Sicht<br />

werden dabei Rechtsansprüche sowie Grund- und Menschenrechte systematisch unterlaufen.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e die bun<strong>des</strong>weit anzutreffende Überprüfungspraxis <strong>der</strong> Verwaltung binationaler Ehen<br />

greift eklatant in die Privat- und Int<strong>im</strong>sphäre von Paaren ein und stellt eine Verletzung von<br />

Grundrechten dar. Das Bürgerliche Gesetzbuch überlässt es den Individuen selbst, ihr Eheleben zu<br />

gestalten und zu formen und zwar unabhängig von <strong>der</strong> Wahl <strong>des</strong> Partners/<strong>der</strong> Partnerin. Die<br />

Beachtung dieser Grundrechte sollte zukünftig auch Eingang finden in die Vorschriften für die<br />

Verwaltung.<br />

Wir weisen <strong>des</strong>halb das Vorhaben <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>regierung entschieden zurück, die bisherige<br />

Überprüfungspraxis <strong>der</strong> Verwaltung gesetzlich zu normieren durch die Aufnahme eines<br />

zusätzlichen Absatzes in § 27 Aufenthaltsgesetz. Mit dieser Regelung werden Ehen mit<br />

Auslandsberührung diskr<strong>im</strong>iniert. Sie stehen solange unter Generalverdacht, einzig und allein aus<br />

aufenthaltsrechtlichen Gründen geschlossen worden zu sein, bis <strong>der</strong> Nachweis <strong>des</strong> Gegenteils<br />

erbracht ist.<br />

Der Gesetzgeber ist gut beraten, seine Absichten nochmals zu überdenken und entsprechend<br />

zurück zu nehmen.<br />

Grundsätzlich sind Rechte von allen Familien zu respektieren und zu berücksichtigen, unabhängig<br />

ihrer Herkunft. Nur dann ist gewährleistet, dass sich eingewan<strong>der</strong>te Menschen langfristig auf<br />

Deutschland einlassen und sich an <strong>der</strong> Gestaltung <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> entsprechend ihrer Möglichkeiten<br />

beteiligen.


253


Statement <strong>Evaluierung</strong> <strong>des</strong> ZuwG<br />

Anrede,<br />

254<br />

Bun<strong>des</strong>verwaltungsamt<br />

bevor ich für die Gruppe <strong>der</strong> Spätaussiedler zu den praktischen Erfahrungen <strong>im</strong><br />

Umgang mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz komme, lassen Sie mich mit einigen,<br />

wenigen Bemerkungen die Beson<strong>der</strong>heiten dieses Teils <strong>der</strong> Migration erläutern.<br />

Wir - das Bun<strong>des</strong>verwaltungsamt (BVA) - sind für die Aufnahme <strong>der</strong> Spätaussiedler<br />

und ihrer Familienangehörigen aus den ehemaligen so genannten „Ostblockstaaten“<br />

zuständig. Nach den Verän<strong>der</strong>ungen in Osteuropa sind seit 1988 mehr als 3,9 Mio.<br />

Aussiedler und ihre Angehörigen zu uns gekommen.<br />

Bei dieser Gruppe unterscheiden wir heute<br />

- den Spätaussiedler<br />

- seine nichtdeutschen Ehegatten und Abkömmlinge<br />

- sonstige Familienangehörige<br />

Im Unterschied zu an<strong>der</strong>en Zuwan<strong>der</strong>ergruppen werden die Spätaussiedler<br />

Deutsche <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> Artikels 116 Abs. 1 <strong>des</strong> Grundgesetzes.<br />

Gesetzliche Voraussetzungen dafür sind:<br />

Sie müssen von Deutschen abstammen,<br />

ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache führen können und<br />

sich in ihrem Herkunftsland durchgängig als Deutsche bekannt haben.<br />

Zum Nachweis <strong>der</strong> Spätaussiedlereigenschaft stellt das BVA eine entsprechende<br />

Bescheinigung (früher Vertriebenenausweis) aus.<br />

Auch die nichtdeutschen Ehegatten und Abkömmlinge <strong>der</strong> Spätaussiedler haben mit<br />

<strong>der</strong> Aufnahme <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet grundsätzlich die Möglichkeit eine vergleichbare<br />

Bescheinigung zu bekommen, mit <strong>der</strong> sie ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit<br />

erhalten.<br />

Die Einreise und gegebenenfalls Einbürgerung von Familienangehörigen, die nicht<br />

diesem Personenkreis unterfallen, richtet sich dagegen nach allgemeinem<br />

Auslän<strong>der</strong>recht.


255<br />

Zu den wesentlichen Antragsvoraussetzungen ermittelt das BVA unmittelbar in den<br />

Herkunftsgebieten. So können die Bewerber um die Aufnahme als Spätaussiedler<br />

den schon seit 1996 obligatorischen Nachweis ihrer Sprachkenntnisse an allen Orten<br />

<strong>im</strong> Herkunftsgebiet erbringen, die über eine deutsche Auslandsvertretung verfügen.<br />

Anrede,<br />

ich komme nunmehr zu den <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> dieser Veranstaltung zu evaluierenden<br />

Verän<strong>der</strong>ungen <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz.<br />

Dabei möchte ich mich auf die drei wichtigsten Themenkomplexe beschränken:<br />

1. die Straffung <strong>des</strong> mehrstufigen Aussiedleraufnahmeverfahrens und<br />

Konzentration <strong>der</strong> Entscheidung be<strong>im</strong> BVA<br />

2. den Nachweis von Grundkenntnissen <strong>der</strong> deutschen Sprache für<br />

nichtdeutsche Ehegatten und Abkömmlinge<br />

3. die Erschwerung einer gemeinsamen Einreise aller Familienmitglie<strong>der</strong> je<br />

nach dem, ob sie einen vertriebenen- o<strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>rechtlichen<br />

Nachzugsanspruch haben<br />

Anrede,<br />

ich habe eingangs den „Vertriebenenausweis“ und seine u.a.<br />

staatsangehörigkeitsrechtliche Bedeutung für die Aufnahmebewerber erwähnt. Auch<br />

für die Ausstellung dieser Bescheinigung ist seit dem 1.1.2005, also dem Tag <strong>des</strong><br />

Inkrafttretens <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes, das Bun<strong>des</strong>verwaltungsamt zuständig.<br />

Früher wurde dieses eigenständige Verwaltungsverfahren von den Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n,<br />

auf welche die Personen nach ihrer Einreise vom BVA verteilt wurden, durchgeführt.<br />

Die Län<strong>der</strong> hatten dann sämtliche Anspruchsvoraussetzungen, die bereits Grundlage<br />

für die Erteilung <strong>des</strong> Beschei<strong>des</strong> <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> vom BVA durchgeführten<br />

„Aufnahmeverfahrens“ waren, erneut in ihrem eigenen „Bescheinigungsverfahren“ zu<br />

prüfen. Dies war nach alter Verfahrenspraxis auch durchaus sinnvoll, denn bis Mitte<br />

1996 hat das Bun<strong>des</strong>verwaltungsamt bei <strong>der</strong> Bearbeitung <strong>des</strong> Aufnahmeantrages auf<br />

die Angaben <strong>des</strong> Antragstellers zu seinen Sprachkenntnissen vertraut. Erwiesen sich<br />

diese Angaben jedoch nach <strong>der</strong> Einreise als unzutreffend, so musste es – neben <strong>der</strong><br />

nicht in allen Fällen möglichen Rücknahme <strong>des</strong> Aufnahmebeschei<strong>des</strong> – ein weiteres<br />

Korrektiv geben. Diese Funktion erfüllte das sogenannte „Bescheinigungsverfahren“,<br />

in <strong>des</strong>sen <strong>Rahmen</strong> die Antragsteller persönlich den Fragen <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>bediensteten<br />

Rede und Antwort stehen mussten.


256<br />

Wie ich bereits ausgeführt habe, führt das BVA jedoch seit knapp 10 Jahren<br />

eigenständige Ermittlungen unmittelbar <strong>im</strong> Herkunftsgebiet durch, so dass diese<br />

Fälle in aller Regel nicht mehr vorkommen können. Ich sage „in aller Regel“, weil<br />

das BVA dann, wenn für den Antragsteller eine Anreise zum Sprachtest<br />

beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar ist, auf die persönliche<br />

Anhörung aus humanitären Gründen verzichtet. Konsequenterweise sieht das<br />

Bun<strong>des</strong>vertriebenengesetz in <strong>der</strong> Gestalt <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes nunmehr vor,<br />

dass ein Sprachtest <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> Bescheinigungsverfahrens nur noch dann<br />

durchgeführt werden darf, wenn er nicht bereits <strong>im</strong> Aufnahmeverfahren erfolgt ist.<br />

Diese Regelung begrüße ich sehr, führt sie doch zu einer deutlichen<br />

Risikomin<strong>im</strong>ierung für den Bewerber: Wer <strong>im</strong> Herkunftsgebiet seine<br />

Sprachkenntnisse nachgewiesen hat, muss nicht mehr damit rechnen, dass sie nach<br />

<strong>der</strong> Ausreise durch die abweichende Auslegung <strong>des</strong> gesetzlichen Begriffs „einfaches<br />

Gespräch“ in Frage gestellt werden.<br />

Aber auch die Zuständigkeitskonzentration für beide Verfahren be<strong>im</strong> BVA hat sich<br />

bewährt: Die Aufnahmebewerber erhalten <strong>der</strong>zeit ca. eineinhalb Monate nach ihrer<br />

Einreise ihren „Vertriebenenausweis“ von unserer Außenstelle in Friedland<br />

übersandt. Zuvor müssen sie ihren Willen, tatsächlich in Deutschland den Wohnsitz<br />

zu nehmen, durch Vorlage einer Meldebescheinigung nachweisen. Somit führt<br />

dieses Verfahren „aus einer Hand“ nicht nur zu einer deutlichen zeitlichen Straffung<br />

(was eine rasche Integration begünstigen dürfte), son<strong>der</strong>n auch zu weniger<br />

Bürokratie für den <strong>im</strong> deutschen Alltag noch unerfahrenen Aufnahmebewerber.<br />

Anrede,<br />

die zweite wesentliche Än<strong>der</strong>ung betrifft den Anspruch <strong>der</strong> Ehegatten und<br />

Abkömmlinge auf Aufnahme. An verschiedenen Stellen meiner Ausführungen habe<br />

ich bereits die Bedeutung <strong>der</strong> deutschen Sprache erwähnt. Bis zum Inkrafttreten <strong>des</strong><br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes war es ausreichend, wenn <strong>der</strong> Spätaussiedler selbst in <strong>der</strong><br />

Lage war, ein „einfaches Gespräch“ auf Deutsch zu führen. Die Ehegatten und<br />

Abkömmlinge mussten lediglich ihr Personenstandsverhältnis zur „Bezugsperson“<br />

nachweisen. Wenn man sich jedoch vor Augen führt, dass von den in Deutschland<br />

eintreffenden Personen vor Inkrafttreten <strong>des</strong> Gesetzes vier Fünftel Angehörige <strong>der</strong><br />

Aussiedler waren, die in <strong>der</strong> Regel über keinerlei Deutschkenntnisse verfügten, so<br />

wird deutlich, dass dies ihrer rasche Integration nicht unbedingt zuträglich ist.


257<br />

Denn nach <strong>der</strong> Intention <strong>des</strong> Gesetzgebers soll die Möglichkeit <strong>der</strong> Einbeziehung von<br />

Familienangehörigen in den Aufnahmebescheid <strong>des</strong> Spätaussiedlers gerade die<br />

rasche Einglie<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Spätaussiedlers selbst erleichtern. Konsequenterweise<br />

entscheidet dieser nach <strong>der</strong> gesetzlichen Neuregelung <strong>des</strong>halb auch allein über die<br />

Frage, wer in seinen Aufnahmebescheid einbezogen werden soll. Nach „altem<br />

Recht“ hatten die Ehegatten und Abkömmlinge ein eigenes Antragsrecht.<br />

Kernstück <strong>der</strong> Neuregelung <strong>der</strong> Familienaufnahme ist <strong>des</strong>halb die Anfor<strong>der</strong>ung, dass<br />

nur <strong>der</strong>jenige Abkömmling o<strong>der</strong> Ehegatte Aufnahme findet und damit privilegiert<br />

Deutscher wird, <strong>der</strong> über „Grundkenntnisse <strong>der</strong> deutschen Sprache“ verfügt.<br />

Der Gesetzgeber hat diesen unbest<strong>im</strong>mten Rechtsbegriff <strong>der</strong>gestalt konkretisiert,<br />

dass die Voraussetzungen vorliegen, wenn die Kompetenzstufe A 1 <strong>des</strong><br />

„Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen: Lernen, lehren und<br />

Beurteilen“ <strong>des</strong> Europarates erreicht wird. Bei dem Sprachniveau A 1 handelt es sich<br />

um die unterste Stufe elementarer Sprachkenntnisse.<br />

Im Gegensatz zum Spätaussiedler, <strong>der</strong> lediglich über „mündliches“ Sprachvermögen<br />

verfügen muss, setzt „A 1“ jedoch die Fähigkeit voraus, einfache Texte in lateinischer<br />

(nicht kyrillischer!!!) Schrift zu lesen und zu verstehen. Ebenso muss die<br />

einzubeziehende Person, in <strong>der</strong> Lage sein, sich über grundlegende Dinge in<br />

einfachen Sätzen zu unterhalten, aber auch einfache Texte schreiben zu können.<br />

Damit wird die Integrationsfähigkeit zusätzlich zur Sprechkompetenz über ein<br />

Zurechtfinden in <strong>der</strong> lateinischen Buchstabenwelt deutlich geför<strong>der</strong>t. Diese<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen wurden durch das zuständige Oberverwaltungsgericht in Münster<br />

bestätigt.<br />

Die Überprüfung dieser Sprachkenntnisse erfolgt ebenfalls in den Herkunftsgebieten.<br />

Während die Deutschkenntnisse <strong>der</strong> Spätaussiedler allerdings von speziell<br />

geschulten Mitarbeitern <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verwaltungsamtes überprüft werden, bedient sich<br />

das BVA bei den Tests für die Familienangehörigen – den so genannten<br />

Sprachstandstests - <strong>des</strong> Goethe- Institutes. Dies hat folgenden Grund: Be<strong>im</strong><br />

Spätaussiedler ist die Frage aufzuklären, ob er seine Sprachkenntnisse <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong><br />

einer deutsch geprägten Erziehung durch Verwandte vermittelt bekommen hat. Somit<br />

handelt es sich be<strong>im</strong> sog. „Sprachtest“ um eine Anhörung <strong>im</strong> verwaltungsrechtlichen<br />

Sinne. Be<strong>im</strong> Sprachstandstest für die Angehörigen hingegen handelt es sich um eine<br />

echte Fremdsprachenprüfung, die beliebig oft wie<strong>der</strong>holt werden kann. Sie wird<br />

anhand <strong>des</strong> standardisierten, weltweiten Testformates „Start Deutsch 1“<br />

abgenommen. Der Prüfer muss daher unverzichtbar über linguistischen<br />

Sachverstand verfügen.


258<br />

Die Prüfung ablegen müssen Personen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben. Bei<br />

jüngeren Bewerbern erfolgt die Einbeziehung ohne Test, sofern Integrationsprobleme<br />

nicht zu erwarten sind.<br />

Für den Nachweis von Grundkenntnissen <strong>der</strong> deutschen Sprache stehen dem<br />

Bewerber zwei gleichwertige Varianten zur Verfügung:<br />

Der Kandidat hat entwe<strong>der</strong> die Möglichkeit, <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> einer Anhörung an einer<br />

deutschen Auslandsvertretung den beschriebenen Sprachstandstest abzulegen. Er<br />

wird, nachdem er von <strong>der</strong> Bezugsperson („seinem Spätaussiedler“) angemeldet<br />

wurde, vom BVA zu einem Termin eingeladen. Der Test ist in diesem Fall kostenlos.<br />

Alternativ können Grundkenntnisse <strong>der</strong> deutschen Sprache aber auch durch Vorlage<br />

<strong>des</strong> Zertifikats „Start Deutsch 1“ (o<strong>der</strong> einer höherwertigen Prüfung <strong>des</strong> Goethe-<br />

Instituts) nachgewiesen werden. Es besteht die Möglichkeit, dieses Zertifikat direkt<br />

be<strong>im</strong> Goethe-Institut (GI) o<strong>der</strong> einer Partnerorganisation <strong>des</strong> GI mittels Prüfung zu<br />

erlangen.<br />

Insgesamt wurden bislang 2127 Personen zu einem unserer Sprachstandstest<br />

eingeladen, 1254 Personen sind erschienen, 315 haben bestanden.<br />

Anrede,<br />

die Tatsache, dass bislang verhältnismäßig wenige Personen zum Sprachstandstest<br />

gemeldet wurden und <strong>der</strong> Umstand, dass von den Angemeldeten, die ja durch die<br />

Anmeldung zum Ausdruck bringen, dass sie meinen über die erfor<strong>der</strong>lichen<br />

Sprachkenntnisse zu verfügen, nahezu die Hälfte nicht erscheint und von den<br />

Erschienenen nur ein Viertel den Test besteht, machen deutlich, dass die<br />

Einschätzung <strong>der</strong> sprachlichen Situation durch den Gesetzgeber zutreffend ist. Die<br />

Notwendigkeit <strong>der</strong> gesetzlichen Regelung liegt auf <strong>der</strong> Hand.<br />

Die Umstellung <strong>des</strong> Verfahrens selbst verlief problemlos. Insbeson<strong>der</strong>e hat sich die<br />

Zusammenarbeit mit dem Goethe- Institut bewährt.<br />

Anrede,<br />

<strong>im</strong> Zusammenhang mit den Angehörigen darf ich abschließend auf eine Problematik<br />

hinweisen, die dem Bun<strong>des</strong>verwaltungsamt ein beson<strong>der</strong>es Anliegen ist:


259<br />

Wie ich eingangs erwähnte richtet sich die Einreise von Familienangehörigen, die<br />

nicht in den Aufnahmebescheid <strong>des</strong> Spätaussiedlers einbezogen werden können,<br />

wie z.B. Schwieger- und Stiefkin<strong>der</strong>, nach den allgemeinen Vorschriften <strong>des</strong><br />

Aufenthalts-/Auslän<strong>der</strong>rechts. Im Gegensatz zu den Schwieger- und Stiefkin<strong>der</strong>n<br />

werden die Spätaussiedler und <strong>der</strong>en nahe Angehörige nach Vertriebenenrecht in<br />

Deutschland aufgenommen. Das bedeutet, dass sie bei Vorliegen <strong>der</strong><br />

vertriebenenrechtlichen Voraussetzungen, nach §7 StAG die deutsche<br />

Staatsangehörigkeit erwerben. Eine dieser Voraussetzungen für die nahen<br />

Angehörigen ist seit Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes <strong>der</strong> beschriebene<br />

Nachweis von Sprachkenntnissen. Liegen diese nicht vor, können die nahen<br />

Angehörigen nicht nach Vertriebenenrecht, son<strong>der</strong>n ebenso wie die Schwieger- und<br />

Stiefkin<strong>der</strong> nach Auslän<strong>der</strong>recht einreisen. Das heißt, sie erhalten nicht die deutsche<br />

Staatsangehörigkeit, son<strong>der</strong>n müssen für eine etwaige spätere Einbürgerung die<br />

Voraussetzungen nach Aufenthaltsrecht erfüllen.<br />

Mit Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes entstand also eine neue Fallgruppe,<br />

nämlich die <strong>der</strong> nahen Angehörigen, die mangels nachgewiesener Sprachkenntnisse<br />

keinen vertriebenenrechtlichen Anspruch auf Aufnahme und Einbürgerung, wohl aber<br />

einen auslän<strong>der</strong>rechtlichen Anspruch auf Familiennachzug haben.<br />

Bis zum Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes hatte das BVA auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

eines Beschlusses <strong>der</strong> Innenministerkonferenz die Möglichkeit, diejenigen Personen,<br />

die ohnehin ein solches Nachzugsrecht hatten, in den Aufnahmebescheid als<br />

„sonstige Familienangehörige“ einzutragen. Dies hatte zur Folge, dass die deutsche<br />

Auslandsvertretung <strong>der</strong> gesamten Familie zum Zwecke <strong>der</strong> gemeinsamen<br />

Aussiedlung ein Visum ausstellen konnte. Derzeit besteht diese Möglichkeit nicht<br />

mehr, so dass <strong>der</strong> Spätaussiedler gegebenenfalls allein ausreisen muß. Ob dies<br />

angesichts <strong>des</strong> traditionell starken Familienzusammenhaltes realistisch ist wird zu<br />

beobachten sein. Positive Auswirkungen auf die Integration sind eher nicht zu<br />

erwarten. Gerechnet werden muß aber wohl zumin<strong>des</strong>t mit einer Verunsicherung<br />

unter den Spätaussiedlern und das zu einem Zeitpunkt, an dem <strong>der</strong> Zuzug von<br />

Spätaussiedlern und ihren Familien ohnehin drastisch zurückgegangen ist. Im<br />

Interesse <strong>der</strong> betroffenen Menschen scheint mir eine Regelung die zumin<strong>des</strong>t<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> Einreise eine einheitliche Behandlung <strong>der</strong> Familien gewährleistet<br />

dringend geboten.


260<br />

Einführen<strong>des</strong> Statement<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> am 31.03.2006<br />

I. Im Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz geregelt:<br />

- Integrationskurse<br />

- MEB<br />

- Integrationsprogramm<br />

II. Integrationskurse<br />

D<br />

Dr. Griesbeck Michael<br />

Abteilungsleiter Integration<br />

24.03.2006<br />

1. <strong>Rahmen</strong>vorgaben<br />

- Grundangebot <strong>des</strong> Staates (§ 43 AufenthG / § 9 BVFG)<br />

- Als Angebot und Verpflichtung ausgestaltet (Prinzip <strong>des</strong> „För<strong>der</strong>ns und For<strong>der</strong>ns“)<br />

- Insbeson<strong>der</strong>e für Neuzuwan<strong>der</strong>er, aber auch für schon länger in Deutschland lebende<br />

Auslän<strong>der</strong> (Hinweis auf § 44 Abs. 4, aber auch § 44a AufenthG)<br />

- Verpflichtungsmöglichkeit für Neuzuwan<strong>der</strong>er (§ 44 a Abs. 1 Nr. 1 AufenthG)<br />

- Die Verpflichtungsmöglichkeit für schon länger in Deutschland lebende Auslän<strong>der</strong><br />

zeigt, dass Integrationskurse nicht nur für Neuzuwan<strong>der</strong>er vorgesehen sind<br />

- Sanktionsmöglichkeiten (§ 44a Abs. 3 AufenthG)<br />

- Folgen für Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis und Einbürgerung<br />

- Einheitliches Kursangebot für Auslän<strong>der</strong> und Spätaussiedler (wegen vergleichbarem<br />

Integrationsbedarf)<br />

- Planzahlen 2005: 98.000 Neuzuwan<strong>der</strong>er, 56.000 Bestandsauslän<strong>der</strong>, 40.000 Spätaussiedler<br />

2. Zahlen aus <strong>der</strong> Praxis <strong>des</strong> ersten Jahres<br />

- 215.651 Berechtigte<br />

- 115.158 Teilnehmer<br />

- Zahl <strong>der</strong> berechtigten Neuzuwan<strong>der</strong>er: 18.481, verpflichteten Neuzuwan<strong>der</strong>er: 42.453,<br />

vom Bun<strong>des</strong>amt berechtigten Bestandsauslän<strong>der</strong>: 103.146, von den ABHs verpflichtete<br />

Bestandsauslän<strong>der</strong>: (18.330) und Spätaussiedler (33.241)<br />

- Teilnehmer: 24.651 Neuzuwan<strong>der</strong>er, 68.696 Bestandsauslän<strong>der</strong>, 21.811 Spätaussiedler


261<br />

- 8196 Kurse, davon 7.400 allgemeine Kurse,<br />

- zielgruppenspezifische Kurse: Alphabetisierungskurse: 227, Eltern- bzw. Frauenkurse:<br />

456, Jugendkurse 113<br />

- Möglichkeit <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>betreuung (gesetzlich vorgesehen für Spätaussiedler, bei Auslän<strong>der</strong>n<br />

finanziert <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> von Frauen- und Elternkursen) wurde in 2005 nur wenig<br />

in Anspruch genommen (337.739 € für 1.276 betreute Kin<strong>der</strong>), starker Anstieg zu Beginn<br />

<strong>des</strong> neuen Jahres<br />

- Fahrtkostenzuschüsse wurden für verpflichtete Bestandsauslän<strong>der</strong> (§ 4 Abs. 3 IntV)<br />

und Jugendliche bei Jugendintegrationskursen gewährt. Vorgesehen ist eine Fahrtkostenzuschussregelung<br />

für Spätaussiedler<br />

- In 23 Außenstellen wurden über 200 Mitarbeiter <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes (Regionalkoordinatoren/Rekos<br />

und Reko-Assistenten) eingesetzt<br />

3. Erkenntnisse <strong>des</strong> ersten Jahres<br />

- geringer Anteil an zielgruppenspezifischen Kursen, geringes Interesse an zielgruppenspezifischen<br />

Kursen bei Frauen und Jugendlichen<br />

- Schwerpunkt lag 2005 bei <strong>der</strong> Implementierung <strong>der</strong> allgemeinen Integrationskurse.<br />

Kurse für spezielle Zielgruppen wurden daher nur in geringer Zahl angeboten, werden<br />

aber Schwerpunkt <strong>der</strong> Weiterentwicklung 2006 sein<br />

- hoher Anteil von Frauen: 63 % <strong>der</strong> Kursteilnehmer waren Frauen. Erfreuliches Ergebnis,<br />

weil Frauen für die Bildungskarrieren <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> wichtig sind<br />

- hoher Anteil von schon länger in Deutschland lebenden Auslän<strong>der</strong>n (56,3 % <strong>der</strong> Berechtigten,<br />

59,7 % <strong>der</strong> Teilnehmer)<br />

- viele Verpflichtungen von Neuzuwan<strong>der</strong>ern<br />

- wenig Verpflichtungen von schon länger in Deutschland lebenden Auslän<strong>der</strong>n<br />

- mögliche Erklärungen: Wenig Meldungen durch ALG II-Behörden, ggf. direkt von ALG<br />

II mit o<strong>der</strong> ohne Einglie<strong>der</strong>ungsvertrag zu den Außenstellen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes geschickt,<br />

und wenig Meldungen von Jugend- und Schulbehörden von beson<strong>der</strong>s Integrationsbedürftigten<br />

an Auslän<strong>der</strong>behörden. Teilweise sind sich die Behörden <strong>des</strong><br />

neuen Systems noch nicht bewusst o<strong>der</strong> die Zusammenarbeit gestaltet sich schwierig<br />

- Entwicklung <strong>der</strong> Trägerlandschaft: 2004 913 Kurse allein bei den durch das Bun<strong>des</strong>amt<br />

geför<strong>der</strong>ten Trägern (Anzahl <strong>der</strong> Träger nach SGB III und Garantiefondskursen nicht<br />

bekannt), 2005: 2.042 Träger an 6.063 Kursorten, 2006 1.719 Träger an 5.183 Kursstätten;<br />

starker Anstieg bei VHS, die über 1/3 <strong>der</strong> Anbieter stellen, sowie bei den Bildungswerken<br />

und Sprach- und Fachschulen, bei denen sehr viel Private vertreten sind.<br />

- D.h.: es gibt ein flächendecken<strong>des</strong> Kurssystem, aber nach Erkenntnissen auch Konkurrenz<br />

in Ballungsgebieten und längere Dauer bis zum Zustandekommen <strong>im</strong> Ländlichen<br />

Raum (ev. weil es Fahrtkostenerstattung nur für best. Zielgruppen gibt)<br />

-


262<br />

- Testergebnisse: von 28.898 Teilnehmern, die den Kurs 2005 abgeschlossen hatten,<br />

haben 17.482 an <strong>der</strong> freiwilligen Abschlussprüfung teilgenommen, davon haben 69 %<br />

(12.151) die Prüfung mit Erfolg abgeschlossen, davon 41% mit sehr gut o<strong>der</strong> gut.<br />

- In den ersten zwei Monaten <strong>des</strong> neuen Jahres haben weitere 2.313 Teilnehmer die<br />

Prüfung absolviert, die Bestehensquote ist gleich geblieben.<br />

- System <strong>der</strong> Regionalkoordinatoren wird sehr gut angenommen: begehrte und kompetente<br />

Ansprechpartner für Kommunen und Sprachkursträger sowie Träger <strong>der</strong> freien<br />

Wohlfahrt<br />

- Das System ist teilnehmer- und nicht kursorientiert. Nach Aussagen <strong>der</strong> Träger führt<br />

dies zu einem höheren Verwaltungsaufwand und geringere Planungssicherheit für Träger<br />

als die bisherige Ausschreibung von Kursen.<br />

4. Initiativen durch das Bun<strong>des</strong>amt<br />

- Workshops zur Zwischenevaluierung und Weiterentwicklung<br />

- Bewertungskommissions-Sitzungen<br />

- Gespräche mit <strong>Praktiker</strong>n <strong>im</strong> Juni 2005, Folge: Entbürokratisierung, Verschlankung <strong>der</strong><br />

Formulare, Einführung einer Verwaltungspauschale<br />

- Gespräche mit Dozenten <strong>im</strong> Juli und November 2005, Folge: Einbeziehung von Dozentenvertretern<br />

in den <strong>Evaluierung</strong>sworkshop in Bamberg <strong>im</strong> Juli, Vorschläge zur Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> Dozentenhonorare bei <strong>der</strong> Qualitätsprüfung <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Vor-Ort-<br />

Prüfung, Einbringung eines Ansatzes in den Haushalt 2006<br />

- Gespräche mit den großen Kommunen <strong>im</strong> Februar 2006: Folge: verstärkte Netzwerkarbeit<br />

<strong>der</strong> Rekos mit den kommunalen Behörden zur Verzahnung <strong>der</strong> Beteiligten vor<br />

Ort (z.B. zum „Austausch“ von Interessenten bei Sprachschulen, damit Kurse schneller<br />

beginnen können; verstärktes Ansprechen von Argen<br />

- Fahrtkosten auch für Teilnehmer in Jugendkursen<br />

- Beson<strong>der</strong>e Konditionen für Behin<strong>der</strong>tenkurse<br />

- Bun<strong>des</strong>amt hat zur Opt<strong>im</strong>ierung <strong>des</strong> Integrationskursverfahrens Vorschläge unterbreitet<br />

- Ausweitung <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Regionalkoordinatoren<br />

- Überlegungen zur besseren Finanzausstattung<br />

- <strong>Evaluierung</strong> gem § 43 AufenthG hat bereits begonnen<br />

- Begleitung durch Integrationsforschung<br />

- Internationaler Vergleich: Ständiger Verbesserungsprozeß auch durch Vergleich <strong>der</strong><br />

Systeme v.a. in EU-Mitgliedsstaaten


III. Integration in den Arbeitsmarkt<br />

263<br />

- Spracherwerb u.a. durch Integrationskurse hat große Bedeutung als Voraussetzung<br />

einer erfolgreichen beruflichen Integration (Zahlen)<br />

- Sprachniveau B 1 GERR ist Min<strong>im</strong>um für Integration in den Arbeitsmarkt, daran sollte<br />

festgehalten werden.<br />

- Für diejenigen, die das Sprachniveau nicht erreichen, ist ggf. <strong>der</strong> Weitererwerb von<br />

Sprachkompetenz z.B. durch Verzahnung mit BA-Maßnahmen möglich<br />

- Bun<strong>des</strong>amt wird ab 2007 für die ESF-Sprachför<strong>der</strong>ung zuständig sein; in diesem <strong>Rahmen</strong><br />

ist das nahtlose Anschließen von ESF-Maßnahme an Integrationskursen bei Vorliegen<br />

von Voraussetzungen möglich.<br />

- Schon jetzt ist durch Verbundprojekte eine Weiterför<strong>der</strong>ung z.B. für Jugendliche zur Erlangung<br />

<strong>des</strong> Hauptschulabschlusses <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> ESF-För<strong>der</strong>ung möglich<br />

- Maßnahmen für Spätaussiedler gem. § 9 Abs. 4 BVFG (enthalten auch Module für Bewerbungstraining)<br />

- Wichtig: Kontakt mit potenziellen Arbeitgebern schon während <strong>des</strong> Integrationskurses:<br />

Regelung von Praktika bereits in § 11 IntV vorgesehen<br />

- Stärkere Verzahnung mit den ARGEN wünschenswert (s.o.)<br />

- Zur Schnittstellenproblematik gab es bereits mehrere Gespräche BMI/BAMF-BMAS, in<br />

denen die Schnittstellenprobleme wie Verpflichtung von Leistungsempfängern, Fahrtkostenerstattung,<br />

Kursunterbrechung wegen 1€-Jobs identifiziert und teilweise auch<br />

schon gelöst wurden<br />

IV. Migrationserstberatung<br />

- bis Ende 2004 Aussiedlersozialberatung und Auslän<strong>der</strong>sozialberatung getrennt<br />

- ab 2005 Zusammenlegung und inhaltliche und strukturelle Fortentwicklung zur MEB,<br />

JMD weiter in getrennter Zuständigkeit bei BMFSFJ<br />

- MEB ist ein den Integrationskurs ergänzen<strong>des</strong>, aber selbstständiges Integrationsangebot<br />

und bietet eine zeitlich befristete, systematische, bedarfsorientierte Einzelfallberatung<br />

(vorrangig mit <strong>der</strong> Methode <strong>des</strong> Case - Managememt)<br />

- MEB soll den Integrationsprozess gezielt initiieren, steuern und begleiten. Erwachsene<br />

(Neu) Zuwan<strong>der</strong>er (Auslän<strong>der</strong> und Spätaussiedler) sollen zu selbstständigem Handeln<br />

in allen Angelegenheiten <strong>des</strong> tägliche Lebens befähigt werden<br />

- 2005 mit 27.9 Mio. € 545 Stellen in 660 Einrichtungen geför<strong>der</strong>t<br />

- Zielgruppen sind mit erster Priorität erwachsene Neuzuwan<strong>der</strong>er (Auslän<strong>der</strong> und Spätaussiedler),<br />

mit zweiter Priorität bereits länger <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet lebende erwachsene<br />

Zuwan<strong>der</strong>er (Auslän<strong>der</strong> und Spätaussiedler) in konkreten Krisensituationen<br />

-


264<br />

- Träger: Spitzenverbände <strong>der</strong> freien Wohlfahrt und BdV, z.T. wird Öffnung <strong>des</strong> Trägerpools<br />

auch für weitere Organisationen gefor<strong>der</strong>t<br />

- Aus <strong>der</strong> Praxis wird von einer verbesserungsbedürftigen Kontaktnahme zwischen den<br />

Stellen <strong>der</strong> MEB / JMD, den Sprachkursträgern, den Auslän<strong>der</strong>behörden und den Ar-<br />

Gen / Job Centern berichtet. Die MEB kann als integrationskursergänzen<strong>des</strong> Instrument<br />

nur wirken, wenn <strong>der</strong> Zugang <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>er sichergestellt wird und <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong><br />

<strong>des</strong> Case – Management eine intensive einzelfallbezogene (aber auch generelle) Kooperation<br />

<strong>der</strong> verantwortlichen Institutionen / Organisationen „vor – Ort“ stattfindet. Das<br />

Bun<strong>des</strong>amt hat, u.a. über die Rekos, Maßnahmen zur stärkeren Verzahnung ergriffen.<br />

V. Integrationsprogramm<br />

1. Zahlen, Daten, Fakten<br />

- Auftrag nach § 45 AufenthG: (1) Bestehende Integrationsangebote von Bund, Län<strong>der</strong>n,<br />

Kommunen und privaten Trägern für Auslän<strong>der</strong> und Spätaussiedler feststellen und (2)<br />

Empfehlungen zu ihrer Weiterentwicklung vorlegen.<br />

Zu beteiligen: Län<strong>der</strong>, Kommunen, Auslän<strong>der</strong>- / Integrationsbeauftragte von Bund, Län<strong>der</strong>n,<br />

Kommunen, Beauftragter <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>regierung für Aussiedlerfragen und nationale<br />

Min<strong>der</strong>heiten. Darüber hinaus u.a.: Religionsgemeinschaften, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände,<br />

Träger <strong>der</strong> freien Wohlfahrtspflege.<br />

- 5 Handlungsfel<strong>der</strong>: Sprachför<strong>der</strong>ung, Bildung, berufliche Integration, soziale Beratung,<br />

gesellschaftliche Integration – werden kontinuierlich bearbeitet, jeweils ein bis zwei bilden<br />

jährlich den Schwerpunkt.<br />

Querschnittsthemen: Nachhaltigkeits- und Qualitätssicherung, Evaluation, Vernetzung<br />

sowie insbeson<strong>der</strong>e För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> interkulturellen Öffnung und <strong>des</strong> bürgerschaftlichen<br />

Engagements.<br />

- 6 Arbeitsphasen:<br />

• Definition <strong>des</strong> Schwerpunkthandlungsfelds<br />

• Recherche- und Feststellung <strong>der</strong> Angebote<br />

• Zieldefinition<br />

• Analyse<br />

• Lösungsentwicklung<br />

• Umsetzung<br />

2. Aktuelle Situation<br />

- Das Bun<strong>des</strong>amt hat 2005 die konzeptionelle Gesamtplanung für das Integrationsprogramm<br />

erarbeitet, die Recherche <strong>im</strong> Handlungsfeld Sprachför<strong>der</strong>ung durchgeführt und<br />

die Dialogprozesse mit den Akteuren vorbereitet (vgl. Phase 2)<br />

-


265<br />

- Die Koordinierung <strong>der</strong> Beteiligung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> ist in <strong>der</strong> IMAG Integration erfolgt (Bestandsaufnahme<br />

<strong>der</strong> Integrationsaktivitäten auf Bun<strong>des</strong>ebene 7/2005).<br />

- Die Abst<strong>im</strong>mung über die Einbeziehung <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> fand <strong>im</strong> Januar 2006 mit <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>arbeitsgemeinschaft<br />

für Integration und Flüchtlingsfragen statt.<br />

- Der Bund hat die Sprachför<strong>der</strong>ung als erstes Schwerpunkthandlungsfeld vorgeschlagen<br />

– die Län<strong>der</strong> haben diesem zugest<strong>im</strong>mt.<br />

- Aktuelle Arbeitsschritte <strong>im</strong> 1. Halbjahr 06 sind:<br />

• Fortschreibung <strong>der</strong> Bestandsaufnahme <strong>der</strong> Integrationsaktivitäten <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong><br />

• Vertiefung <strong>im</strong> Handlungsfeld Sprachför<strong>der</strong>ung auf <strong>der</strong> Ebene <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong><br />

• Feststellung <strong>der</strong> Sprachför<strong>der</strong>angebote <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>.<br />

3. Weiteres Vorgehen<br />

- Einrichtung von Arbeitsgruppen zu folgenden Themen, die Empfehlungen als Basis für<br />

das IP entwickeln (zwischen Bund und Län<strong>der</strong>n konsentiert):<br />

• Sprachför<strong>der</strong>ung in Kin<strong>der</strong>garten/ Kin<strong>der</strong>tagesstätten, Vorschule und Schule<br />

• (Sprach)För<strong>der</strong>ung am Übergang Schule – Beruf(sausbildung) sowie berufliche<br />

Sprachför<strong>der</strong>ung<br />

• Sprachför<strong>der</strong>ung zur Vorbereitung auf die und in <strong>der</strong> Hochschule (einschl.<br />

Lehre und Forschung in DaZ)<br />

• Evaluation von Sprachför<strong>der</strong>angeboten<br />

- Parallel dazu Einrichtung einer Steuerungsgruppe; die Abhängigkeiten und Zusammenhänge<br />

zwischen den Handlungsfel<strong>der</strong>n <strong>der</strong> sprachlichen und beruflichen Integration<br />

werden beson<strong>der</strong>s in den Blick genommen.<br />

- 2006 wird mit dem Handlungsfeld <strong>der</strong> beruflichen Integration als zweiter Schwerpunkt<br />

begonnen.<br />

- Wichtig ist, dass <strong>der</strong> Bund seine Integrationsaktivitäten bündelt und ressortübergreifend<br />

gemeinsam strategisch ausrichtet. Das IP kann hierzu einen <strong>Rahmen</strong> bieten.<br />

Schon jetzt ist sichtbar, dass bereits die Feststellung <strong>der</strong> Angebote und <strong>der</strong> Informationstransfer<br />

einer besseren Zusammenarbeit und Abst<strong>im</strong>mung von Maßnahmen und zu<br />

Synergieeffekten führt.<br />

Dr. Michael Griesbeck


TÜRKISCHE GEMEINDE IN DEUTSCHLAND e.V.<br />

Almanya Türk Toplumu<br />

______________________________________________________________________________________<br />

Bun<strong>des</strong>geschäftsstelle / Genel Merkez<br />

Tempelhofer Ufer 21, 10963 Berlin<br />

� 030-624 31 20 � Fax: 030-61 30 43 10<br />

http://www.tgd.de � Mail: kenan.kolat@tgd.de<br />

266<br />

Bankverbindung:<br />

Deutsche Bank Hamburg<br />

# 65 16710 � BLZ 200 700 00<br />

BUNDESVORSITZENDER<br />

GENEL BAŞKAN<br />

Kenan Kolat<br />

� 0177 260 31 49<br />

Berlin, 13.04.2006<br />

PRAKTIKER-ERFAHRUNGSAUSTAUSCH IM RAHMEN DER<br />

EVALUATION DES ZUWANDERUNGSGESETZES<br />

am 30.- 31. März 2006<br />

vorgelegt von Kenan Kolat<br />

Bun<strong>des</strong>vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Türkischen Gemeinde in Deutschland<br />

In <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik Deutschland leben über 14 Millionen Menschen mit<br />

Migrationshintergrund. In den nächsten 20-30 Jahren werden wir in den Großstädten<br />

kaum Schulen haben, in denen <strong>der</strong> Anteil von Schüler/-innen nichtdeutscher<br />

Herkunftssprache unter 50% sein wird. Aus diesem Grund wird es in nächster<br />

Zukunft die Hauptaufgabe <strong>der</strong> Politik die Sachaffung <strong>der</strong> Einglie<strong>der</strong>ungs- und<br />

Teilhabechancen und –möglichkeiten sein.<br />

Für uns heißt Integration Partizipation. Ohne Partizipation werde es kaum eine<br />

Integration geben. Und Integration wird es erst dann vorliegen, wenn ethnische,<br />

soziale o<strong>der</strong> kulturelle Zugehörigkeit für den Zugang zu den zentralen Gütern <strong>der</strong><br />

Gesellschaft nicht mehr eine entscheidende Rolle spielt.<br />

Integrationsindikatoren in diesem Zusammenhang sind an erster Stelle die Bildungs-<br />

und die Arbeitsmarktsstatistiken. Hieraus erkennen wir, ob die schulische<br />

Partizipation gelungen ist. In den letzten Jahren haben sich die Abschlüsse von<br />

Zuwan<strong>der</strong>erkin<strong>der</strong>n <strong>im</strong> Gegensatz zu <strong>der</strong> öffentlichen Wahrnehmung verbessert.<br />

1980 war 50% <strong>der</strong> türkischen Schüler/-innen ohne einen Abschluss, in diesem ist es<br />

Jahr 24% (<strong>im</strong> Vergleich: 10% deutsche Schüler/-innen verlassen die Schule ohne<br />

jeglichen Abschluss). Die Arbeitslosenquote ist doppelt so hoch, wie bei den <strong>der</strong><br />

Deutschen. Hier spielt insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> hohe Anteil <strong>der</strong> sozialen Unterschicht bei<br />

den Zuwan<strong>der</strong>er/-innen (80%, bei Deutschen 13%) eine entscheidende Rolle.<br />

Unserer Meinung nach handelt es sich hier eher um ein Schicht- bzw. soziales<br />

Problem, als ein ethnisches. Wir sprechen vom kumulierten Unterschichtproblem.


______________________________________________________________________________________<br />

Die Freizeitkontakte <strong>der</strong> Menschen mit Migrationshintergrund mit deutschen und<br />

an<strong>der</strong>en Nationalitäten ist ein weiterer Indikator für die Integration. Hier gibt es keine<br />

großen Verän<strong>der</strong>ungen in den letzten Jahren.<br />

Die Ehen zwischen Deutschen und Nichtdeutschen haben auch eine best<strong>im</strong>mte<br />

Aussage über die Einglie<strong>der</strong>ung von Menschen mit Migrationshintergrund. Der Anteil<br />

<strong>der</strong> Heiraten türkischer Männer mit deutschen Frauen hat stark zugenommen: von<br />

3,5% auf 11,3%. Bei türkischen Frauen sind die Anteile ebenfalls steigend: von 1,7%<br />

auf 12,5%.<br />

Ein weiteres Indiz für die Einglie<strong>der</strong>ung ist die subjektiv empfundene Zugehörigkeit<br />

zur Aufnahmegesellschaft. Hier sehen wir in den letzten Monaten eine negative<br />

Entwicklung, die insbeson<strong>der</strong>e mit <strong>der</strong> Erhöhung <strong>des</strong> Drucks auf türkische Migrant/innen<br />

zu erklären ist. Dieser Druck wird als Ass<strong>im</strong>ilation empfunden und verringert<br />

die Identifikation mit dem Land.<br />

Bei den Integrationskursen stellen wir fest, dass die Teilnahmebereitschaft und <strong>der</strong><br />

Teilnahmewunsch an diesen Kursen insbeson<strong>der</strong>e von bereits vor 1.1.2005 lebenden<br />

Zuwan<strong>der</strong>er/-innen viel häufiger sind. Das Problem <strong>der</strong> Deutschkurse ist es aber,<br />

dass innerhalb von 600 Stunden das Niveau B1 nicht o<strong>der</strong> kaum erreichbar ist. Diese<br />

Stufe ist nur mit Vorkenntnissen möglich. Die hohe Klassenstärke ist ein weiteres<br />

Hin<strong>der</strong>nis für die Erreichung dieses Ziels. Es fehlt <strong>des</strong> Weiteren an notwendigen<br />

Differenzierungen, z.B. Vorbildungen sollten möglichst berücksichtigt werden. Bei<br />

speziellen Gruppen sollte es möglich sein, die Stunden zu erhöhen. Über eine<br />

Zielgruppenerweiterung für bereits eingebürgerte Personen und EU-Bürger/-innen<br />

müsste nachgedacht werden.<br />

Eine Verzahnung <strong>der</strong> Kurse mit Arbeits- und Ausbildungs- o<strong>der</strong> Weiterbildungsangeboten<br />

sollte erstrebt werden. Hierfür wäre eine Zusammenarbeit <strong>der</strong> örtlich<br />

zuständigen Mitarbeiter/-innen von BAMF mit den Jobcentern und kommunalen<br />

Einrichtungen (wie Jugendämter, Integrationsbeauftragten, Migrantenselbstorganisationen)<br />

denkbar, um vor Ort gemeinsame Strategien zu entwickeln.<br />

Die Vergütung von 2,05 € pro Std/TN ist nicht akzeptabel, reduziert stark die Qualität<br />

<strong>der</strong> Kurse. Der bürokratische Mehraufwand bei <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Kurse (bis zu<br />

14 Verwaltungsvorgängen) müsste ebenfalls beseitigt werden.<br />

Die Teilnahmeverpflichtung <strong>im</strong> Zusammenhang mit Sanktionen ist kein geeignetes<br />

Mittel, da dies für z.B. assoziationberechtigte türkische Staatsbürger/-innen nicht<br />

anzuwenden sind. Anstelle dieser Methodik sollten Anreize geschaffen werden, um<br />

die Beteiligung von Neuzuwan<strong>der</strong>/-innen zu för<strong>der</strong>n. Hierbei wäre z.B. denkbar, dass<br />

an Integrationskursen erfolgreich teilgenommenen Personen die Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis<br />

nach 3 Jahren zu erteilen.<br />

Die Frage <strong>des</strong> Wie<strong>der</strong>erwerbs <strong>der</strong> türkischen Staatsangehörigkeit nach dem<br />

1.1.2000 beschäftigt uns seit Anfang 2005, nachdem das neue Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

erstmals eine Möglichkeit für den Aufenthaltsstatus geschafft hat. Zuerst muss<br />

angemerkt werden, dass es bei den über 40.000-45.000 Menschen um einen Antrag<br />

267


______________________________________________________________________________________<br />

vor dem 1.1.2000 handelt. Diese Menschen haben ihre Anträge vor Inkrafttreten <strong>des</strong><br />

neuen Staatsangehörigkeitsrechts bei türkischen Behörden gestellt, wurden aber<br />

nach 2000 eingebürgert, das das Verfahren in <strong>der</strong> Türkei lange gedauert hat. Für<br />

diese Personengruppe ist <strong>im</strong>mer noch keine befriedigende Lösung gefunden. Umso<br />

problematischer ist es, dass die Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> unterschiedliche Wege gegangen<br />

sind.<br />

Man hätte das Problem durch eine rückwirkende Übergangsregelung lösen können.<br />

Lei<strong>der</strong> hat das Bun<strong>des</strong>innenministerium dies nicht gewollt. Hierzu hatte die TGD<br />

entsprechende Gesetzesvorschläge gemacht. Des Weiteren kann man das Problem<br />

noch heute vermin<strong>der</strong>n, indem den ehemaligen Deutschen eine<br />

Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis erteilt wird. Hierzu bedarf es nur eine kleine Än<strong>der</strong>ung <strong>im</strong> §<br />

38 AufentG.<br />

Es ist integrationspolitisch kontraproduktiv, dass diese Menschen, die schon mal<br />

Deutscher waren, plötzlich nur noch einen befristeten Titel erhalten.<br />

Übrigens ist anzumerken, dass dieses Problem auch viele Deutsche <strong>im</strong> Ausland und<br />

Aussiedler aus den ehemaligen Sowjetrepubliken betrifft.<br />

Die Rolle <strong>der</strong> Migrantenselbstorganisationen <strong>im</strong> Einglie<strong>der</strong>ungsprozess ist<br />

ebenfalls sehr wichtig. Es wäre darüber nachzudenken, ob wie mit <strong>der</strong> Jüdischen<br />

Gemeinde entsprechende Staatsverträge abzuschließen, ob einerseits diese<br />

Organisationen in den Prozess einzubinden, an<strong>der</strong>erseits eine Verpflichtung von<br />

diesen zu erwarten.<br />

Grundsätzlich ist aber anzumerken, dass be<strong>im</strong> Integrationsprozess die<br />

Migrantenorganisationen in alle Entscheidungsprozesse einzubeziehen, damit die<br />

Sichtweisen dieser auch Berücksichtigung finden.<br />

Die Türkische Gemeinde in Deutschland bedankt sich für diese Möglichkeit und wird<br />

ihren Beitrag zu mehr Partizipation leisten.<br />

268


______________________________________________________________________________________<br />

269


272<br />

Kiel, <strong>im</strong> März 2006<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Evaluation <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

am 30. und 31. März 2006 <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>haus<br />

Statement zum 6. Thema: Integration und Gesellschaft (Schnittstellenproblematik zum<br />

SGB II)<br />

Gerwin Stöcken, Geschäftsführer <strong>des</strong> Jobcenter Kiel<br />

1. Einglie<strong>der</strong>ungsvereinbarung nach § 15 SGB II als zentrales Element<br />

Neben <strong>der</strong> Sicherung <strong>des</strong> Lebensunterhaltes ist die Einglie<strong>der</strong>ungsvereinbarung Grundlage<br />

<strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> Fallmanager/innen <strong>im</strong> SGB II. Sie zielt zunächst auf die umfängliche<br />

Erfassung <strong>der</strong> aktuellen Lebenssituation <strong>der</strong> Hilfeempfänger/innen. Dabei stehen folgende<br />

Fragen <strong>im</strong> Mittelpunkt:<br />

• Ressourcen und Defizite (z.B. schulische und berufliche Bildung, Berufserfahrung,<br />

vorhandene Kompetenzen)<br />

• Soziale Situation (z.B. Wohnverhältnisse, soziale Integration, Familiensituation)<br />

• Wirtschaftliche Lage (z.B. Überschuldungssituation, beson<strong>der</strong>e finanzielle Belastungen)<br />

• Suchtprobleme<br />

• Beson<strong>der</strong>e Problemlagen (z.B. gesundheitliche und psychische Belastungen, Handicaps,<br />

Erziehungsprobleme)<br />

• Ziele und Wünsche für die Arbeitsmarktintegration<br />

• Migrationshintergrund, hierbei sind insbeson<strong>der</strong>e folgende Themen für das Fallmanagement<br />

von Bedeutung:<br />

o Sprachprobleme<br />

o Kulturelle Gegensätzlichkeiten<br />

o fehlende o<strong>der</strong> unzureichende (berufliche) Qualifikationen<br />

Die gründliche und systematische Erfassung <strong>der</strong> tatsächlichen Lebenssituation ist Ausgangssituation<br />

<strong>der</strong> weiteren Beratungsarbeit. Hieraus wird die Einglie<strong>der</strong>ungsvereinbarung<br />

abgeleitet. Um eine zielführende Vereinbarung zu erarbeiten, ist es zumin<strong>des</strong>t erfor<strong>der</strong>lich,<br />

gemeinsam getragene Sichtweisen zwischen den Beteiligten herzustellen.<br />

Problemzuweisungen sind selten erfolgreich.<br />

Die Einglie<strong>der</strong>ungsvereinbarung ist <strong>im</strong> Idealfall das Ergebnis <strong>des</strong> Aushandlungsprozesses<br />

und beschreibt


273<br />

• erreichbare Ziele,<br />

• notwendige Unterstützungsleistungen,<br />

• eigene Aktivitäten <strong>der</strong> Betroffenen,<br />

• individuelle Umsetzungsstrategien und<br />

• Evaluation sowie Kriterien für Erfolg.<br />

Einglie<strong>der</strong>ungsvereinbarungen für Migrant/innen sollen darüber hinaus zu beson<strong>der</strong>en<br />

Lebenslagen <strong>der</strong> Betroffenen Aussagen enthalten:<br />

• Überwindung von Sprachbarrieren<br />

• Berücksichtigung kultureller und religiöser Beson<strong>der</strong>heiten<br />

• Berücksichtigung familiärer Beson<strong>der</strong>heiten<br />

• Umgang mit erworbenen (in Deutschland nicht anerkannten) Qualifikationen.<br />

Die Betroffenen sind über die Folgen <strong>der</strong> Einglie<strong>der</strong>ungsvereinbarung informiert und mit<br />

den möglichen Konsequenzen und Sanktionen vertraut gemacht.<br />

2. Zusammenwirken mit den Instrumenten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

Die unterschiedlichen Integrationsbemühungen <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes und <strong>des</strong><br />

SGB II müssen aufeinan<strong>der</strong> abgest<strong>im</strong>mt werden, um die bestmöglichen Erfolge für die<br />

Betroffenen zu erreichen. Daher wurde in Kiel bereits Anfang 2005 ein Arbeitskreis gegründet,<br />

in dem Inhalt und Form <strong>der</strong> Integrationskurse nach § 43 Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

mit den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>des</strong> SGB II Gegenstand <strong>der</strong> Arbeit ist. Beteiligt sind<br />

• Träger von Integrationskursen<br />

• <strong>der</strong> Regionalkoordinator <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes für Migration und Flüchtlinge<br />

• die Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

• das Referat für Migrant/innen <strong>der</strong> Stadt Kiel und<br />

• das Jobcenter Kiel.<br />

Ziel ist es, über Inhalt und Gestaltung <strong>der</strong> Integrationskurse zu informieren und gleichzeitig<br />

die Schnittstelle zur Einglie<strong>der</strong>ungsvereinbarung zu gestalten. Es soll sichergestellt<br />

sein, dass die Fallmanager/innen <strong>des</strong> Jobcenters an den Erfahrungen <strong>der</strong> Betroffenen in<br />

den Integrationskursen anknüpfen und dort gewonnene Einsichten und Erfahrungen für<br />

die weitere Arbeit <strong>der</strong> Arbeitsmarktintegration nutzen. Auch wurde es hilfreich eingeschätzt,<br />

wenn Migrant/innen schon <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> Integrationskurses auf die Verfahren<br />

<strong>des</strong> SGB II vorbereitet werden und Kenntnisse über das Instrumentarium <strong>des</strong> SGB II<br />

vermittelt bekommen. So ist gewährleistet, dass (sofern erfor<strong>der</strong>lich) Migrant/innen unmittelbar<br />

aus dem Integrationskurs an das Fallmanagement übergeleitet werden können.<br />

Dies galt vor allem auch für die „Bestandsauslän<strong>der</strong>“, die <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Integrationskurse<br />

erreicht werden konnten.<br />

Darüber hinaus soll erreicht werden, dass wesentliche Anfor<strong>der</strong>ungen an die Arbeitsmarktintegration<br />

von Migrant/innen - sowohl übergreifend als auch Einzelfall bezogen -<br />

gemeinsam zwischen den unterschiedlichen Akteuren eingeschätzt werden. Hierzu zählen<br />

insbeson<strong>der</strong>e folgende Bereiche:


274<br />

• Einschätzung über die Entwicklung <strong>des</strong> Arbeitsmarktes<br />

• Indikatoren für Erfolge und Misserfolge bei <strong>der</strong> Arbeitsmarktintegration (Fähigkeiten,<br />

Fertigkeiten, soziale Kompetenzen, För<strong>der</strong>bedarf)<br />

• Hinweise über bisher erworbene berufliche Qualifikationen <strong>im</strong> Einzelfall<br />

• Hinweise über beson<strong>der</strong>e Belastungssituationen<br />

• Abst<strong>im</strong>mung beson<strong>der</strong>er Verfahren für die Integration junger Menschen<br />

Der über diesen Weg entstandene <strong>Erfahrungsaustausch</strong> hilft den Partnern bei ihrer Arbeit<br />

und sichert den Wissenstransfer <strong>im</strong> Interesse einer möglichst effektiven Arbeitsmarktintegration<br />

für die Betroffenen.<br />

Ebenfalls von Bedeutung ist die Kooperation mit den Migrationsberatungsstellen. Seit Anfang<br />

2005 hat sich eine Arbeitsgruppe, bestehend aus den Trägern in Kiel (Erst- und Sozialberatung)<br />

und dem Jobcenter etabliert. Zwischenzeitlich wurde Kontakte zu allen dezentralen<br />

Anlaufstellen hergestellt. Dabei wurde das Angebot <strong>der</strong> Migrationsberatung<br />

vorgestellt und das Verfahren <strong>der</strong> Zusammenarbeit beschrieben, so dass die Integrationsmaßnahmen<br />

für die Betreffenden sinnvoll ergänzt werden können.<br />

3. Zusammenarbeit bei Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs nach<br />

§ 44a Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

Im <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Beratung von Grundsicherungsempfänger/innen nach dem SGB II treffen<br />

die Fallmanager auch <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> auf Migrant/innen, <strong>der</strong>en sprachlichen Defizite und<br />

<strong>der</strong>en Teilhabe am Leben in <strong>der</strong> Gemeinschaft aus unterschiedlichsten Gründen nicht<br />

gewährleistet ist. Die Entscheidung, ob diese Migrant/innen nach § 44a Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

über die Auslän<strong>der</strong>behörde zur Teilnahme an einem Integrationskurs verpflichtet<br />

werden sollen, treffen die Fallmanager. Sie werden dabei von den <strong>im</strong> Arbeitskreis genannten<br />

Institutionen bei folgenden Feststellungen unterstützt:<br />

• Feststellung <strong>der</strong> Sprachkenntnisse (ggf. wird ein Test in den Räumen <strong>des</strong> Jobcenters<br />

durch Integrationskursträger durchgeführt)<br />

• Beratung <strong>der</strong> Fallmanager/innen bei <strong>der</strong> Einschätzung, ob die Vermittlung rechtlichen,<br />

kulturellen o<strong>der</strong> geschichtlichen Basiswissen notwendig und geeignet ist, Integrationsfortschritte<br />

zu erreichen<br />

• Unterstützung bei <strong>der</strong> Beschreibung individueller, kultureller und familiärer Beson<strong>der</strong>heiten<br />

Das Verfahren ist in einem Leitfaden beschrieben, <strong>der</strong> diesem Statement beigefügt ist.<br />

4. Weitere Schnittstellen bei <strong>der</strong> Integration von Migrant/innen<br />

Über die beschriebenen Schnittstellen hinaus, wurden weitere Anlässe <strong>der</strong> Kooperation<br />

identifiziert und ausgestaltet:<br />

• Aufbau und Durchführung von unterstützenden berufsbezogenen Sprachkursen <strong>im</strong><br />

Anschluss an die Integrationskurse nach dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

• Angemessene Berücksichtigung <strong>der</strong> Migrant/innen (entsprechend ihres Anteils an<br />

den Arbeitslosenzahlen) bei <strong>der</strong> Gestaltung beson<strong>der</strong>er Einglie<strong>der</strong>ungsleistungen<br />

nach dem SGB II für beson<strong>der</strong>s benachteiligte Gruppen


275<br />

• Vereinbarungen verbindlicher Kooperationsformen zwischen Sozialberatungsstellen<br />

und dem Fallmanagement durch Hospitation, Entwicklung von Beratungsstandards<br />

• Frühzeitige Intervention und Verhin<strong>der</strong>ung von Bildungsabbrüchen durch die Einbeziehung<br />

<strong>der</strong> Schulen<br />

• Erfassung <strong>der</strong> tatsächlichen Lebenssituation durch sozialräumliche Arbeitsansätze<br />

5. Anfor<strong>der</strong>ungen an die zukünftige Gestaltung <strong>der</strong> Schnittstellen<br />

Die ersten Erfahrungen in <strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> Arbeitsmarktintegration mit den Instrumenten<br />

<strong>des</strong> SGB II und in <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit Trägern nach dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

machen deutlich, dass einige grundlegende Anfor<strong>der</strong>ungen an die Arbeitsmarktintegration<br />

an <strong>der</strong> Schnittstelle zum Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz noch offen sind:<br />

• Jugendliche müssen <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Sprachför<strong>der</strong>ung umfassend unterstützt, so<br />

dass sie bei Eintritt in das Regelschulsystem ihre Bildungschancen wahrnehmen<br />

können.<br />

• Schulen sollten bei <strong>der</strong> Integration von Kin<strong>der</strong>n mit Migrationshintergrund nachhaltig<br />

unterstützt werden.<br />

• Integrationskurse, sollten wenn <strong>im</strong> Einzelfall erfor<strong>der</strong>lich, auch über den jetzigen<br />

zeitlichen <strong>Rahmen</strong> hinaus angeboten werden.<br />

• Das Bildungspotential <strong>der</strong> Migrant/innen muss <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Einglie<strong>der</strong>ungsplanung<br />

und <strong>der</strong> Integrationskurse genau erfasst und für den Arbeitsmarkt erschlossen<br />

werden.<br />

• Die Arbeit <strong>der</strong> Migrationsberatungsstellen hat für die Arbeitsmarktintegration von<br />

Migrant/innen erhebliche Bedeutung und sollte nicht unter Finanzierungsvorbehalt<br />

stehen.


276<br />

Leitfaden zur För<strong>der</strong>ung von Migranten und Migrantinnen <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> SGB II und<br />

<strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

Einführung<br />

Der Begriff Migration bezeichnet als Oberbegriff den Wan<strong>der</strong>ungsprozess von Einzelnen und<br />

Gruppen über Nationalitätsgrenzen hinweg. Der Begriff Migrantin/ Migrant wird auch genutzt<br />

für Eingebürgerte o<strong>der</strong> Menschen mit deutschem Pass, die <strong>im</strong> Laufe ihres Lebens nach<br />

Deutschland zugewan<strong>der</strong>t sind (z.B. Spätaussiedler). Migrant/innen haben häufiger als an<strong>der</strong>e<br />

Gruppen erhebliche Probleme sich wirksam in die deutsche Gesellschaft zu integrieren.<br />

Gründe hierfür können Sprachbarrieren, wirtschaftlicher Nachteile, fehlen<strong>der</strong> Qualifikationen,<br />

fehlen<strong>der</strong> Vertrautheit mit <strong>der</strong> sozialkulturellen Tradition und bewusster o<strong>der</strong> unbewusster<br />

Diskr<strong>im</strong>inierung sein.<br />

Der Anteil Menschen mit Migrationshintergrund in <strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>hauptstadt Kiel beträgt mehr<br />

als 10%. Ziel <strong>des</strong> Jobcenters Kiel ist es für die von Arbeitslosigkeit betroffenen Migrant/innen<br />

eine nachhaltige Verbesserung <strong>der</strong> Integration in den Arbeitsmarkt zu erreichen. Es lassen<br />

sich aufgrund <strong>der</strong> Vielschichtigkeit möglicher Problemkonstellationen keine allgemeingültigen<br />

Leitlinien formulieren. Daher ist es erfor<strong>der</strong>lich einige Hinweise für die Beratung zu formulieren,<br />

die jeweils <strong>im</strong> Einzelfall geprüft werden müssen.<br />

Folgende zusätzlichen Problemstellungen lassen sich <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> Fallmanagements<br />

erkennen:<br />

• Sprachprobleme<br />

• Kulturelle Gegensätzlichkeiten<br />

• fehlende o<strong>der</strong> unzureichende (berufliche) Qualifikationen<br />

Je nach Problemlage können folgen Handlungsoptionen beschrieben werden:<br />

• individuelle Beratung durch die Integrationsfachkraft<br />

Da die Integrationsfachkraft selbst unbewusst eigene Haltungen und kulturelle Unsicherheiten in die Beratung<br />

einbringen kann, bietet es sich an, eigene Unsicherheiten <strong>im</strong> Umgang mit dem Thema Migration<br />

in einem kollegialen Gespräch zu klären. (Welche Haltung nehme ich ein? Welche Vorerfahrungen habe<br />

ich gemacht? Wie gehe ich vor? Wen beziehe ich noch ein?)<br />

• Sprachför<strong>der</strong>ung in Form von Sprachkursen<br />

• Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen in Kombination mit Sprachkursen<br />

• Vermittlung vorhandener gesellschaftlicher und arbeitsmarktbezogener Standards<br />

• Betreuung durch Dritte mit interkultureller Kompetenz<br />

• Hilfestellung bei <strong>der</strong> Anerkennung beruflicher Abschlüsse<br />

• För<strong>der</strong>ung von Grundqualifikationen und Qualifikationsanpassungen<br />

Neben allen bestehenden För<strong>der</strong>instrumenten <strong>des</strong> Jobcenters stehen <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> Fallmanagements<br />

folgende beson<strong>der</strong>e Maßnahmen zur Verfügung:


277<br />

1. Integrationskurse - für Bürger/innen mit ausländischem Pass - durch das Bun<strong>des</strong>amt<br />

für Migration und Flüchtlinge<br />

Mit dem Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes wird die „Integration von rechtmäßig<br />

auf Dauer <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet lebenden Auslän<strong>der</strong>n“ geför<strong>der</strong>t. Vorrangig stehen die Integrationskurse<br />

neu zugewan<strong>der</strong>ten Auslän<strong>der</strong>innen und Auslän<strong>der</strong>n zu. Bereits länger<br />

hier lebende Personen können <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> vorhandener Kapazitäten in die För<strong>der</strong>ung<br />

einbezogen werden. Damit wird <strong>der</strong> Tatsache Rechnung getragen, dass beispielsweise<br />

auch hier schon länger ansässige Migranten und Migrantinnen-------Bedarf an Maßnahmen<br />

<strong>der</strong> Integrationsför<strong>der</strong>ung haben können.<br />

Die Integrationsför<strong>der</strong>ung (Verpflichtung für die Integrationskurse?) wird seit dem Jahreswechsel<br />

(2005) <strong>im</strong> Auftrag <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amts für Migration und Flüchtlinge von den örtlichen<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden durchgeführt. Die Träger <strong>der</strong> Leistungen nach dem SGB II<br />

können gegenüber diesen Behörden die Teilnahme an Integrationsmaßnahmen anregen.<br />

Hintergrund dieser Regelung ist das Bestreben, den Auslän<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> die Auslän<strong>der</strong>in<br />

durch das Vermitteln von Sprachkenntnissen besser in den Arbeitsprozess einglie<strong>der</strong>n zu<br />

können. Die Integrationsfachkräfte sollen die Teilnahme nach folgendem Verfahren anregen:<br />

a. Im Gespräch wird festgestellt, dass eine ausländische Staatsangehörigkeit besteht<br />

sowie die Sprachkenntnisse und das kulturelle Verständnis für eine berufliche<br />

Tätigkeit nicht ausreichen. Es wird in <strong>der</strong> Einglie<strong>der</strong>ungsvereinbarung<br />

festgehalten:<br />

• Anregung zur Teilnahme seitens <strong>des</strong> Jobcenters<br />

• Teilnahme am Kurs nach Auffor<strong>der</strong>ung durch die Auslän<strong>der</strong>behörde und<br />

• Rückmeldung über den Beginn <strong>des</strong> Kurses seitens <strong>des</strong> Kunden/ <strong>der</strong> Kundin.<br />

b. Über das Amt für Auslän<strong>der</strong> und Staatsangehörigkeitsangelegenheiten <strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>hauptstadt<br />

Kiel wird nach § 44a (1) Ziffer 2a Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz die Teilnahme<br />

an einem Integrationskurs mit dem, in <strong>der</strong> Anlage beigefügten, Vordruck<br />

angeregt.<br />

c. Die Auslän<strong>der</strong>behörde informiert dann direkt die Betroffenen über das weitere<br />

Verfahren. Eine Rückmeldung an das Jobcenter Kiel erfolgt durch die Auslän<strong>der</strong>behörde.<br />

Diese teilt ggf. auch mit, dass eine Teilnahme nicht erfolgt ist. In diesen<br />

Fällen kann eine Kürzung bis zu 10% nach § 44a (3) für die Zeit <strong>der</strong> Nichtteilnahme<br />

erfolgen.<br />

d. Die Anregung durch das Jobcenter und die Zuweisung zum Integrationskurs werden<br />

zentral durch die Auslän<strong>der</strong>behörde erfasst.<br />

2. Weitergehende Sprachkurse<br />

Im <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> Arbeitsmarktprogrammes <strong>des</strong> Jobcenter Kiel werden über einen Träger<br />

Sprachkurse eingerichtet. Diese richten sich an Menschen mit geringem Sprachverständnis<br />

o<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>em För<strong>der</strong>bedarf, die nicht durch Integrationskurse erreicht werden.<br />

Auf Anfor<strong>der</strong>ung aus dem Fallmanagement können Sprachkurse für spezielle Zielgruppen<br />

(z.B. Frauen / Teilzeit) eingerichtet werden.<br />

3. Sprache und Beruf<br />

Diese Maßnahme richtet sich an Menschen mit sprachlichen Grundkenntnissen. Der<br />

Spracherwerb dient <strong>der</strong> Vertiefung beruflicher Sprachkenntnisse. Der Praxisanteil verfolgt


278<br />

das Ziel <strong>der</strong> Überprüfung <strong>des</strong> sprachlichen Verständnisses sowie einer<br />

ersten Einschätzung beruflicher Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />

4. Familienprofiling<br />

Diese Maßnahme hat das Ziel, auch Migrantenfamilien zu unterstützen neue Lösungsansätze<br />

für die Beendigung <strong>der</strong> Hilfebedürftigkeit zu suchen. Interkulturelle Divergenzen<br />

werden aufgedeckt und angesprochen.<br />

5. Zusatzjobs<br />

Die zusätzliche Einrichtung von Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung<br />

ist für diesen Personenkreis <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Bildungsplanung in den Sozialzentren<br />

denkbar und erwünscht. Hier können realistische Einschätzungen über die Fähigkeiten<br />

und Fertigkeiten gewonnen sowie bestehende Hemmnisse abgebaut werden. Zusatzjobs<br />

bieten auch die Möglichkeit, <strong>im</strong> Gegensatz zum oft schulischen und geschützten<br />

Umfeld <strong>der</strong> Sprachkurse, Sprachkompetenz in „realer“ Umgebung zu erwerben.<br />

6. Migrationssozialdienste<br />

In Kiel gibt es verschiedene Angebote freier Träger, die zur Unterstützung <strong>im</strong> Beratungsgespräch<br />

herangezogen werden können, als auch zur beruflichen Integration verschiedene<br />

Hilfestellungen anbieten:<br />

Migrationserstberatung<br />

http://www.drk-kiel.de/<br />

http://www.awo-kiel.de/AWO_KV/Unsere_Angebote_fuer_Sie/Migrationsdienst/migrationsdienst.htm<br />

http://www.caritas-sh.de/seiten/kiel.htm<br />

Referat für Migration <strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>hauptstadt Kiel<br />

http://www.kiel.de/Aemter_30_bis_52/53/Amtsverzeichnis_53/Referat_fuer_Migration.htm#53.5<br />

weitere Informationen<br />

http://www.bun<strong>des</strong>recht.juris.de/bun<strong>des</strong>recht/aufenthg_2004/index.html<br />

http://www.frsh.de/links.htm


279


280<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> zum Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz (Aufenthaltsgesetz)<br />

S t a t e m e n t<br />

zum Themenkomplex „Integration und Gesellschaft“<br />

Helmut Huber,<br />

Bayerisches Staatsministerium für<br />

Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen<br />

1. Meine Ausführungen zum Themenkomplex „Integration und Gesellschaft“ <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

mit <strong>der</strong> <strong>Evaluierung</strong> <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes wollen Ihre Aufmerksamkeit auf<br />

die integrationspolitische Sicht eines Bun<strong>des</strong>lan<strong>des</strong> lenken. Im Bayerischen Staatsministerium<br />

für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen hat das Referat „Integration von<br />

Zuwan<strong>der</strong>ern“ die Aufgabe, die bayerische Integrationspolitik als wichtigen Teil <strong>der</strong> Sozialpolitik<br />

zu gestalten. Die Abst<strong>im</strong>mung innerhalb <strong>der</strong> Staatsregierung geschieht über die<br />

interministerielle Arbeitsgruppe „Integration von Zuwan<strong>der</strong>ern“, <strong>der</strong>en Fe<strong>der</strong>führung<br />

ebenfalls be<strong>im</strong> Sozialministerium liegt.<br />

2. Das Gelingen <strong>der</strong> Integration ist für den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft von<br />

herausragen<strong>der</strong> Bedeutung. Dies ist keine neue Erkenntnis. Integration findet seit jeher<br />

statt, und sie ist weiterhin eine große Aufgabe für die Zukunft. Die Regelungen <strong>der</strong> Integration<br />

in Kapitel 3 <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes sind ein Signal, dass Integration politisch<br />

gewollt ist und vorangebracht werden soll. Die gesetzlich geregelte Integrationsför<strong>der</strong>ung<br />

ist Chance und Herausfor<strong>der</strong>ung zugleich.<br />

3. Integrationsför<strong>der</strong>ung nach dem Aufenthaltsgesetz heißt in erster Linie Sprachför<strong>der</strong>ung.<br />

Ich meine, dass <strong>der</strong> Start <strong>im</strong> Jahr 2005 erfolgreich war, und ich möchte vorweg diese positive<br />

Entwicklung betonen.<br />

Bei einem gewaltigen Vorhaben, wie es die flächendeckende Einführung <strong>der</strong> Integrationskurse<br />

nun einmal ist, kann es nicht ausbleiben, dass Kritikpunkte und Än<strong>der</strong>ungswünsche<br />

geäußert werden. Der Gesetzgeber hat dies einkalkuliert und erwartet einen Erfahrungsbericht.<br />

Ungeachtet <strong>der</strong> in Auftrag gegebenen Evaluation soll auch dieser Prak-


281<br />

tiker-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> einen Beitrag leisten. Aus Lan<strong>des</strong>sicht konzentriere ich mich<br />

dabei auf Bemerkungen zu den rechtlichen Vorgaben <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz und in <strong>der</strong> Integrationskursverordnung.<br />

Hierzu ergeben sich nach den bisherigen Erfahrungen aus <strong>der</strong><br />

Sicht <strong>des</strong> Sozialministeriums folgende Fragestellungen bezüglich effizienter rechtlicher<br />

<strong>Rahmen</strong>bedingungen <strong>der</strong> Sprachför<strong>der</strong>ung.<br />

4. Integrationskursverordnung<br />

4.1 Angemessenheit <strong>des</strong> Stundenumfangs<br />

Nach <strong>der</strong> Integrationskursverordnung sind für Sprachför<strong>der</strong>ung 600 Stunden vorgesehen.<br />

Ziel ist das Zertifikat Deutsch entsprechend <strong>der</strong> Niveaustufe B 1 <strong>des</strong> Gemeinsamen<br />

Europäischen Referenzrahmens für Sprachen <strong>des</strong> Europarats.<br />

Die Zahlen <strong>des</strong> Jahres 2005 über abgelegte Prüfungen lassen m. E. noch keine endgültigen<br />

Folgerungen für die künftige Entwicklung bei den Abschlussquoten zu. Dies<br />

soll aber nicht heißen, dass die bisher erzielte Abschlussquote gering geschätzt wird;<br />

von den zur Prüfung gemeldeten Teilnehmern haben – abhängig von <strong>der</strong> Bezugsgröße<br />

– 42 % bzw. 70 % die Prüfung B 1 bestanden.<br />

Losgelöst von diesen ersten Ergebnissen zum Prüfungserfolg <strong>der</strong> Teilnehmer wäre<br />

eher grundsätzlich zu klären, ob <strong>der</strong> Stundenumfang als ausreichend für eine erfolgreiche<br />

Sprachför<strong>der</strong>ung angesehen wird. Aus meiner Sicht – und ich bin hier sicher<br />

nicht alleine – wäre eine Erhöhung auf 900 Stunden zumin<strong>des</strong>t für best<strong>im</strong>mte Zielgruppen<br />

notwendig.<br />

Für die Diskussion stellt sich angesichts <strong>des</strong> gesamten finanziellen Aufwands für die<br />

Integrationskurse die Frage, ob es letztlich nicht effektiver wäre, sich auf die För<strong>der</strong>ung<br />

ggf. weniger Kurse mit einem höheren Stundenumfang einzulassen, die dann für<br />

die Teilnehmer einen noch besseren messbaren Erfolg brächten. Zumin<strong>des</strong>t für Jugendliche<br />

bzw. junge Erwachsene mit Sprachdefiziten wäre die erweiterte Sprachför<strong>der</strong>ung<br />

dringend notwendig, um ihnen günstigere Lebensperspektiven zu eröffnen.<br />

Außerdem müsste bei Alphabetisierungskursen über die Erhöhung <strong>der</strong> Stundenzahl<br />

nachgedacht werden.


282<br />

4.2 Stundenausweitung für Fachsprache nutzen<br />

Der Integrationskurs kann - auch bei Stundenausweitung - nur ein Fundament sein,<br />

auf dem je<strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>er selbst aufbauen und weiterlernen muss, um seine Sprachfertigkeiten<br />

zu verbessern.<br />

Für erwerbsfähige Integrationskursteilnehmer sollte Sprache zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit<br />

befähigen. Die Ausweitung <strong>des</strong> Stundenumfangs sollte daher in diesen<br />

Integrationskursen fachsprachliche bzw. berufshinführende Elemente enthalten.<br />

Hierzu liegen z. B. aus Bayern bereits Erfahrungen mit Komb<strong>im</strong>aßnahmen vor:<br />

Wegen <strong>des</strong> bisher knappen <strong>Rahmen</strong>s von 600 Stunden wird von einigen Bildungsträgern<br />

in Bayern eine Kombination <strong>des</strong> Integrationskurses mit berufsbezogenen Kurselementen<br />

einschließlich Praktika angeboten. Es wird von vorneherein eine auf 900<br />

o<strong>der</strong> ggf. auch mehr Stunden ausgerichtete Maßnahme konzipiert. In diesem Gesamtkontext<br />

wird <strong>der</strong> berufsbezogene Teil <strong>der</strong> insgesamt stundenmäßig ausgeweiteten<br />

För<strong>der</strong>maßnahme aus Mitteln <strong>des</strong> Europäischen Sozialfonds finanziert, die <strong>der</strong><br />

Freistaat Bayern zur Verfügung stellt.<br />

Wer weiß, wie mühsam Spracherwerb ist, kann nachvollziehen, dass jede zusätzliche<br />

För<strong>der</strong>stunde - die Motivation <strong>der</strong> Teilnehmer vorausgesetzt - mehr Erfolg, gerade<br />

auch in Bezug auf eine spätere berufliche Tätigkeit, bringt.<br />

4.3 Teilnehmerbezogene För<strong>der</strong>ung und Kursgröße<br />

Sprache wird gelernt durch Sprechen. Je mehr schon <strong>im</strong> Integrationskurs die Teilnehmer<br />

zum Sprechen und nicht nur zum Zuhören angeregt werden, <strong>des</strong>to besser<br />

sind die Lernfortschritte.<br />

Die teilnehmerbezogene För<strong>der</strong>ung führt dazu, dass für den Sprachkursträger die Erstattung<br />

umso höher ist, je mehr Teilnehmer - bis zu <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Integrationskursverordnung<br />

genannten Höchstgrenze von 25 Teilnehmern - <strong>im</strong> Kurs sind. Bei max<strong>im</strong>aler<br />

Teilnehmerzahl bleiben - rein rechnerisch - in einer 45-minütigen Unterrichtseinheit<br />

nicht einmal zwei Minuten, die jedem Teilnehmer für die eigene Anwendung <strong>der</strong> Sprache<br />

zur Verfügung stehen. Hochgerechnet auf 630 Zeitstunden hat dann je<strong>der</strong> Teil-


283<br />

nehmer während <strong>des</strong> Unterrichts durchschnittlich gerade mal 28 Stunden selbst<br />

Deutsch gesprochen.<br />

Die Höchstzahl <strong>der</strong> Teilnehmer sollte daher <strong>im</strong> Interesse <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Integrationskurse<br />

auf unter 20 Teilnehmer reduziert werden.<br />

4.4 Kostenerstattung, Verwaltungsaufwand<br />

Dass die angeregte Absenkung <strong>der</strong> Teilnehmerhöchstzahl die Frage <strong>des</strong> Erstattungssatzes<br />

zusätzlich belebt, liegt auf <strong>der</strong> Hand. Ich möchte allerdings aus Lan<strong>des</strong>sicht<br />

den Erstattungssatz von 2,05 EUR je Teilnehmer und Stunde ebenso wenig kommentieren<br />

wie Klagen über den Verwaltungsaufwand, und nur auf folgen<strong>des</strong> hinweisen:<br />

Von den Trägern, insbeson<strong>der</strong>e in Ballungsgebieten mit hohen Lebenshaltungskosten,<br />

wird die zu geringe Erstattung kritisiert. Folgen sind zum einen hohe Teilnehmerzahlen<br />

in den Kursen, trotzdem werden zum an<strong>der</strong>en sinkende Honorare für die<br />

Lehrkräfte beklagt; bei<strong>des</strong> wirkt sich auf die Qualität <strong>der</strong> Kurse aus.<br />

4.5 Abschlusstest „Zertifikat Deutsch (B 1)“<br />

Nach <strong>der</strong> Integrationskursverordnung findet am Ende <strong>des</strong> Integrationskurses eine<br />

Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch (B 1) statt, ferner <strong>der</strong> Test zum Orientierungskurs.<br />

Die Ausrichtung <strong>des</strong> Integrationskurses auf die selbstständige Sprachanwendung, die<br />

dem Zertifikat Deutsch entspricht, ist richtig. Gleichzeitig sollte aber <strong>der</strong> Tatsache<br />

Rechnung getragen werden, dass zahlreiche Teilnehmer dieses Ziel nicht erreichen.<br />

Entsprechend <strong>der</strong> Einschätzung <strong>der</strong> Sprachkursträger sollte diesen Teilnehmern die<br />

Prüfung nach <strong>der</strong> Niveaustufe A 2 ermöglicht werden. Dabei geht es nicht um die Absenkung<br />

<strong>der</strong> sprachlichen Anfor<strong>der</strong>ungen – ausreichende Sprachkenntnisse, aus denen<br />

sich rechtliche Vergünstigungen ableiten, sind weiterhin erst mit B 1 erreicht. Mit<br />

<strong>der</strong> Bestätigung <strong>der</strong> Niveaustufe A 2 erhalten die Teilnehmer den Nachweis einer erfolgreich<br />

bestandenen Prüfung und werden zum Weiterlernen motiviert. Bei einer<br />

<strong>der</strong>artigen Flexibilität würde auch eine stärkere Verpflichtung <strong>der</strong> Teilnehmer, den<br />

Test zu absolvieren, Sinn machen.


284<br />

4.6 Unterschiedlichkeit <strong>der</strong> Trägerlandschaft<br />

Das Verfahren <strong>der</strong> Trägerzulassung führt - gerade in größeren Städten - zu einer<br />

Trägervielfalt, in ländlichen Gebieten dagegen oftmals zu einer Monostruktur. Folgen<br />

sind einerseits eine Unübersichtlichkeit <strong>der</strong> Trägerlandschaft mit einem Konkurrenzkampf<br />

um Teilnehmer und an<strong>der</strong>erseits inhomogene Kursgruppen bzw. längere Wartezeiten,<br />

bis ein Kurs beginnen kann.<br />

5. Aufenthaltsgesetz<br />

5.1 Verpflichtung zum Integrationskurs<br />

Neuzuwan<strong>der</strong>er, die nicht Deutsch sprechen, haben nach den Regelungen <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes<br />

Anspruch auf den Integrationskurs und sind ggf. zum Besuch verpflichtet.<br />

Bereits hier lebende Auslän<strong>der</strong> können von <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> verfügbarer<br />

Kursplätze zum Integrationskurs verpflichtet werden. Hier können folgende<br />

Probleme auftreten:<br />

- Eine Verpflichtung durch die Auslän<strong>der</strong>behörde kann erfolgen, wenn eine „beson<strong>der</strong>e<br />

Integrationsbedürftigkeit“ festgestellt wird. Dies kann anlässlich einer Vorsprache<br />

<strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s, insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> Verlängerung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis,<br />

festgestellt werden. Allerdings bleibt dies eher dem Zufall überlassen,<br />

weil <strong>der</strong> Antrag auf Verlängerung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis stellvertretend durch<br />

Verwandte o<strong>der</strong> Anwälte gestellt werden kann. Soziale Einrichtungen, die<br />

Sprachdefizite feststellen und ihrerseits eine beson<strong>der</strong>e Integrationsbedürftigkeit<br />

erkennen, sind we<strong>der</strong> verpflichtet noch in aller Regel bereit, diese Erkenntnisse<br />

an die Auslän<strong>der</strong>behörde mitzuteilen. Die Absicht <strong>des</strong> Gesetzgebers, hier lebende<br />

integrationsbedürftige Auslän<strong>der</strong> zur nachholenden Integration zu verpflichten,<br />

läuft daher vielfach ins Leere. Nur 4 v. H. <strong>der</strong> Verpflichtungsfälle bayerischer Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

wurden wegen beson<strong>der</strong>er Integrationsbedürftigkeit gegenüber<br />

bereits hier lebenden Auslän<strong>der</strong>n ausgesprochen.<br />

- Nach bisherigen Erkenntnissen wird auch von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en gesetzlich geregelten<br />

Verpflichtungsmöglichkeit zu wenig Gebrauch gemacht:


285<br />

SGB II-Leistungsträger sollen für leistungsbeziehende Auslän<strong>der</strong> mit Sprachdefiziten<br />

bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde die Teilnahme an einem Integrationskurs anregen,<br />

damit von dort die Verpflichtung ausgesprochen werden kann. Das bayerische<br />

Innenministerium hat festgestellt, dass etwa 20 v. H. <strong>der</strong> Verpflichtungsfälle<br />

Leistungsempfänger betrafen, wobei in Großstädten deutlich weniger ausländische<br />

SGB II-Leistungsempfänger verpflichtet wurden als in ländlichen Gebieten.<br />

Die - zumin<strong>des</strong>t für Bayern - feststellbare geringe Ausschöpfung <strong>der</strong> den Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

vom Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge bereitgestellten Kontingente<br />

für die Verpflichtung von bereits hier lebenden Auslän<strong>der</strong>n in Integrationskurse darf<br />

nicht als vorschnelle Begründung genommen werden, dass <strong>der</strong> Bedarf nicht vorhanden<br />

wäre. Die angedeuteten Probleme geben einen Hinweis auf mögliche Ursachen;<br />

letztlich bedarf dies aber noch einer genaueren Analyse hinsichtlich <strong>des</strong> Zusammenwirkens<br />

zwischen SGB II-Leistungsträgern - Sozialbehörden – Regionalstellen <strong>des</strong><br />

Bun<strong>des</strong>amts für Migration und Flüchtlinge - Auslän<strong>der</strong>behörden. Ggf. sind gesetzliche<br />

Best<strong>im</strong>mungen notwendig, die die Datenübermittlung von Sozialbehörden zu den<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden regeln, um dem gesetzlichen Auftrag nach Verpflichtung integrationsbedürftiger<br />

Auslän<strong>der</strong> in Integrationskurse angemessen nachkommen zu können.<br />

Zu prüfen wäre ferner, ob Auslän<strong>der</strong> mit Sprachdefiziten, die Leistungen nach<br />

SGB III beziehen, zum Integrationskurs verpflichtet werden sollen, und wie die Zusammenarbeit<br />

zwischen Arbeitsagenturen und Auslän<strong>der</strong>behörden zu regeln ist.<br />

5.2 Fahrtkostenerstattung<br />

Eine an<strong>der</strong>e Problematik betrifft die Fahrtkostenerstattung für verpflichtete SGB II-<br />

Leistungsempfänger. Die Erstattungsmöglichkeit <strong>der</strong> Integrationskursverordnung bezieht<br />

sich auf die Fälle, in denen ein ortsnahes Kursangebot nicht zur Verfügung<br />

steht. Auch ein ortsnahes Kursangebot kann aber einen erheblichen Kostenaufwand<br />

für den öffentlichen Personennahverkehr verursachen. Diese bei regelmäßigem<br />

Kursbesuch für eine Wochen- bzw. Monatskarte anfallenden Kosten sind mit <strong>der</strong> Regelleistung<br />

für den Lebensunterhalt nach SGB II nicht abgedeckt. Es sollte <strong>des</strong>halb<br />

zumin<strong>des</strong>t eine Empfehlung an die SGB II-Leistungsträger gegeben werden, dass sie<br />

die Fahrtkosten übernehmen können und sollen, zumal sie als Gegenleistung über<br />

die Sprachför<strong>der</strong>ung ihres Klientels ein wirkungsvolles Angebot zur Erhöhung <strong>der</strong><br />

Vermittlungsfähigkeit in Arbeit erhalten.


5.3 För<strong>der</strong>n- und For<strong>der</strong>n-Prinzip<br />

286<br />

Im Aufenthaltsgesetz kommt nach bayerischer Auffassung das „För<strong>der</strong>n- und For<strong>der</strong>n-Prinzip“<br />

nur eingeschränkt zur Geltung. Es fehlen grundsätzliche Ausführungen<br />

zur Integration.<br />

Deshalb sollten die Zielvorstellungen <strong>des</strong> Gesetzgebers für die Integration ausdrücklich<br />

<strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz festgeschrieben werden. Dazu gehören eine Integrationsverpflichtung<br />

<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> und wirksame Sanktionen bei nicht erfolgreicher Integration.<br />

Die Integrationsverpflichtung muss darauf hinauslaufen, dass je<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong><br />

die Werteordnung <strong>des</strong> Grundgesetzes ohne Einschränkungen respektiert und sich<br />

ausreichende Kenntnisse <strong>der</strong> deutschen Sprache aneignet.<br />

Zu erwägen wären <strong>des</strong>halb<br />

- die Formulierung einer Integrationsverpflichtung für Auslän<strong>der</strong> nach dem Grundsatz<br />

„För<strong>der</strong>n und For<strong>der</strong>n“,<br />

- aufenthaltsrechtliche Sanktionen bei schuldhaftem Nichterreichen <strong>des</strong> Ziels <strong>des</strong><br />

Integrationskurses bzw. Nichtteilnahme sowie<br />

- eine Angleichung <strong>der</strong> Regelungen <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz an die <strong>des</strong> SGB II, damit<br />

<strong>im</strong> Falle von Integrationsverweigerung eine spürbare Reduzierung <strong>der</strong> SGB II-<br />

Leistung erfolgen kann.<br />

Dem Grundsatz <strong>des</strong> For<strong>der</strong>ns kommt die <strong>im</strong> Entwurf zum Zweiten Än<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

<strong>des</strong> Aufenthaltesgesetzes beabsichtigte Regelung entgegen, Deutsch vor Zuzug von<br />

Ehegatten zu for<strong>der</strong>n. Damit wird - sowohl für den bereits hier lebenden Ehegatten<br />

als auch für den aus dem He<strong>im</strong>atland nachzuholenden Ehegatten - verdeutlicht, dass<br />

Integration ein hohes gesellschaftspolitisches Anliegen ist und schon vor <strong>der</strong> Einreise<br />

Integrationsbemühungen - auf eigene Kosten <strong>des</strong> Zuzugswilligen - erwartet werden.<br />

Da über den Familiennachzug Integrationsprobleme <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> neu entstehen,<br />

wären <strong>im</strong> Übrigen die allgemeinen Nachzugsvoraussetzungen zu überdenken. So<br />

sollte auch be<strong>im</strong> Familiennachzug von Auslän<strong>der</strong>n zu Deutschen die Lebensunterhaltssicherung<br />

<strong>der</strong> Familie aus eigenem Einkommen und eine ausreichende Wohnung<br />

zur Voraussetzung gemacht werden, um von vorneherein das Risiko für Staat


287<br />

und Gesellschaft zu min<strong>im</strong>ieren, dass Zuwan<strong>der</strong>ung in die sozialen Sicherungssysteme<br />

erfolgt.<br />

5.4 Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Migrationsberatung<br />

Bund und Län<strong>der</strong> stellen - wie <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz als Ermessensleistung enthalten<br />

- die migrationsspezifische Beratung sicher. Sie hat die Aufgabe, insbeson<strong>der</strong>e Neuzuwan<strong>der</strong>er<br />

bei ihrer Integration zu unterstützen und an den Integrationskurs heranzuführen,<br />

aber auch bereits hier lebende Zuwan<strong>der</strong>er, Auslän<strong>der</strong> genauso wie Spätaussiedler,<br />

bei ihrer Integration zu unterstützen. Beson<strong>der</strong>e Bedeutung hat die Begleitung<br />

<strong>der</strong> Integrationskursteilnehmer.<br />

In Bayern wurde mit den Wohlfahrtsverbänden ein umfangreiches <strong>Rahmen</strong>konzept<br />

für die aus Lan<strong>des</strong>mitteln geför<strong>der</strong>te Migrationsberatung erstellt, die die Aufgaben <strong>im</strong><br />

Einzelnen beschreibt. Bisherige Erfahrungen zeigen allerdings, dass die Umstellung<br />

<strong>der</strong> Migrationsberatung von <strong>der</strong> ehemaligen „Auslän<strong>der</strong>beratung“ o<strong>der</strong> „Spätaussiedlerbetreuung“<br />

in eine kompakte Migrationsberatung mit entsprechen<strong>der</strong> Begleitung<br />

<strong>der</strong> Integrationskursteilnehmer noch zu wünschen übrig lässt. Dies sind allerdings Anfor<strong>der</strong>ungen,<br />

die weniger auf die Vorgaben <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes zurückgehen, als<br />

vielmehr das Selbstverständnis <strong>der</strong> Beratungstätigkeit und Fragen <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

zwischen Sprachkursträgern und Beratungsdiensten betreffen.<br />

Wünschenswert wäre, die frühzeitige Hinführung an die Migrationsberatung zu<br />

verbessern. Auslän<strong>der</strong>behörden sollten <strong>des</strong>halb bei <strong>der</strong> Verpflichtung von Teilnehmern<br />

zum Integrationskurs berechtigt sein, Name und Anschrift an die Migrationsberatung<br />

zu geben, um <strong>der</strong>en Mitarbeitern für eine effektive Integrationsbegleitung die<br />

Kontaktaufnahme zu ermöglichen. Dies wäre gerade auch <strong>im</strong> Hinblick auf die an größeren<br />

Orten vorhandene Vielfalt <strong>der</strong> Bildungsträger dringend erfor<strong>der</strong>lich, weil sonst<br />

verpflichtete Auslän<strong>der</strong>, vor allem Neuzuwan<strong>der</strong>er, kaum in <strong>der</strong> Lage sind, den für<br />

sie geeigneten Kursträger ausfindig zu machen.<br />

5.5 Bun<strong>des</strong>weites Integrationsprogramm<br />

Das Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge hat den Auftrag, ein bun<strong>des</strong>weites Integrationsprogramm<br />

zu entwickeln, in dem die bestehenden Integrationsangebote<br />

festgestellt und Empfehlungen zur Weiterentwicklung vorgelegt werden. Auf Initiative


288<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amts fanden bereits erste Gespräche mit den Län<strong>der</strong>n statt, um diesen<br />

Gesetzesauftrag zu erfüllen.<br />

Aus bayerischer Sicht ist vor überzogenen Erwartungshaltungen zu warnen, die mit<br />

dem Begriff „Programm“ in aller Regel verbunden werden. Es gilt daher deutlich zu<br />

machen, dass es kein Programm in dem Sinne sein kann, dass allein For<strong>der</strong>ungen an<br />

den Staat und seine Organe gerichtet werden. Es geht nach bayerischer Auffassung<br />

vielmehr darum, den vielfältigen Angeboten zur Integration, die von Bund, Län<strong>der</strong>n,<br />

Kommunen und gesellschaftlichen Gruppen vorgehalten werden, zum Erfolg zu verhelfen.<br />

Notwendig ist vor allem, auf Seiten <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>er Bewusstsein zu schaffen,<br />

dass sie selbst für Integration verantwortlich sind und entsprechende eigene Anstrengungen,<br />

gerade auch hinsichtlich <strong>des</strong> Spracherwerbs, unternehmen müssen.<br />

6 Bayerische Leitlinien zur Integration und Bayerisches Integrationsforum<br />

Die Bayerische Staatsregierung hat ihre grundlegenden Vorstellungen zur Integration von<br />

Zuwan<strong>der</strong>ern <strong>im</strong> Jahr 2003 in Integrationsleitlinien zum Ausdruck gebracht. Diese Leitlinien<br />

- betonen die Eigenverantwortlichkeit je<strong>des</strong> einzelnen Zuwan<strong>der</strong>ers für ein Gelingen<br />

<strong>der</strong> Integration unter Beachtung <strong>der</strong> hier geltenden Werte und Normen,<br />

- verlangen das Zusammenwirken aller gesellschaftlichen Gruppen zur Unterstützung<br />

<strong>der</strong> Integration und<br />

- benennen als wichtigste Handlungsfel<strong>der</strong> Spracherwerb, Einglie<strong>der</strong>ung in die Arbeitswelt<br />

sowie Hilfestellungen bei <strong>der</strong> sozialen Integration.<br />

Im Jahr 2004 hat die Bayerische Staatsregierung unter dem Motto „ID - Integration <strong>im</strong> Dialog<br />

- Migranten in Bayern“ das Bayerische Integrationsforum eingerichtet, <strong>des</strong>sen Ziel es<br />

ist, das Verständnis für Integration zu för<strong>der</strong>n. Die Betonung <strong>des</strong> Dialogs soll auf die Tatsache<br />

hinweisen, dass Integration nur dann gelingen kann, wenn Menschen verschiedener<br />

Kulturen aufeinan<strong>der</strong> zugehen. Nach <strong>der</strong> Auftaktveranstaltung auf Lan<strong>des</strong>ebene fanden<br />

<strong>im</strong> Jahr 2005 in allen sieben bayerischen Regierungsbezirken Veranstaltungen unter<br />

dem Motto „Integration <strong>im</strong> Dialog“ statt. Für das Jahr 2006 wird die noch stärkere Einbeziehung<br />

<strong>der</strong> örtlichen Ebene angestrebt.


289


Einwohner- und Integrationsamt<br />

Jeanine Rudolph<br />

290<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> zum Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

6. Thema Integration und Gesellschaft, Berlin 31.03.06<br />

1. Vorbemerkung<br />

Letzte Woche erreichte mich ein Anruf einer Sprachkursleiterin mit dem Inhalt: eine<br />

Teilnehmerin hat sich so sehr über die Verpflichtung gefreut, jahrelang wollte sie Deutsch<br />

lernen und durfte es nicht.<br />

Dieses eine Beispiel belegt sehr anschaulich, dass mit <strong>der</strong> Verknüpfung <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

mit Vorschriften zur Integrationsför<strong>der</strong>ung und hier insbeson<strong>der</strong>e mit den<br />

Möglichkeiten <strong>der</strong> Verpflichtung zu Integrationskursen ein wichtiger Schritt in die richtige<br />

Richtung gelungen ist.<br />

Dass die Sprache ein wesentlicher Schlüssel für eine gelingende Integration ist, ist unstrittig<br />

und daher sind die Regelungen zur Integrationsför<strong>der</strong>ung <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz aus<br />

unserer Sicht prinzipiell zu befürworten.<br />

Wir haben in Wiesbaden bereits 2001 mit <strong>der</strong> Einrichtung eines Einwohner- und<br />

Integrationsamtes eine beson<strong>der</strong>e Organisationsform etabliert, mit <strong>der</strong> einerseits <strong>der</strong><br />

kommunalpolitische Schwerpunkt <strong>der</strong> Integrationsför<strong>der</strong>ung umgesetzt wurde und<br />

an<strong>der</strong>erseits war die Konzeption dieses Amtes von Beginn an auch eine Konzeption zur<br />

kommunalen Umsetzung <strong>des</strong> zu erwartenden Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes.<br />

Ich möchte daher <strong>im</strong> Folgenden die Konstruktion dieses Amtes kurz darstellen und vor allem<br />

erläutern, wie wir die Umsetzung <strong>der</strong> Integrationskursverordnung in Wiesbaden organisiert<br />

haben.<br />

Auch wenn sich diese Lösung bisher aus unserer Sicht sehr bewährt hat, möchte ich dann<br />

<strong>im</strong> Umkehrschluss aufzeigen, wo wir Mängel <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz sehen, die wir mit<br />

unserem Weg ein Stück kompensiert haben.<br />

2. Einwohner- und Integrationsamt in Wiesbaden<br />

2.1 Organisationsstruktur<br />

Unter dem Dach <strong>des</strong> Einwohner- und Integrationsamtes sind neben an<strong>der</strong>en, die<br />

Abteilungen Auslän<strong>der</strong>behörde, Abteilung Einwohnerwesen und eine neu geschaffene<br />

Integrationsabteilung unter einem Dach zusammengeführt. Die Integrationsabteilung beinhaltet<br />

auch die Geschäftsstelle <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>beirates. Die Abteilungsleiterin <strong>der</strong><br />

Integrationsabteilung n<strong>im</strong>mt in Personalunion auch die Geschaftsführung <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>beirates<br />

wahr.<br />

Eine weitere Beson<strong>der</strong>heit sind die Migrationserstberatungsdienste <strong>der</strong> Freien Träger<br />

Caritasverband, Arbeiterwohlfahrt und <strong>der</strong> Jugendmigrationsdienst <strong>des</strong> IB <strong>im</strong> Hause.<br />

Fazit: Alle wesentlichen Akteure für integrationsrelevante Aufgaben befinden sich an einem<br />

Ort, unter einem Dach und arbeiten organisatorisch und konzeptionell eng miteinan<strong>der</strong>.<br />

Dahinter steht das Konzept <strong>der</strong> one-stop-agency.


291<br />

2.2 Steuerungsfunktion <strong>der</strong> Integrationsabteilung<br />

Eine <strong>der</strong> Aufgaben <strong>der</strong> Integrationsabteilung ist:<br />

� die allgemeine Beratung zu Sprach- und Integrationskursen und Unterstützung bei<br />

<strong>der</strong> Antragstellung für Zulassungen von Bestandsauslän<strong>der</strong>n<br />

� die zentrale Durchführung von Sprachstandstests und die anschließende Beratung<br />

und Vermittlung in adäquate Integrationskurse<br />

� die Weitervermittlung <strong>der</strong> Teilnehmer/innen an die Migrationserstberatung (MEB)<br />

� die Geschäftsführung <strong>des</strong> Netzwerks aller Sprachkursträger Wiesbadens.<br />

Dies ist eine <strong>der</strong> zentralen Aufgaben, die für die Sicherstellung eines adäquaten<br />

Kursangebotes sehr wichtig ist. In diesem Netzwerk sind neben allen<br />

Sprachkursträgern, die ABH, die Regionalkoordination <strong>des</strong> BAMF sowie Vertreter <strong>der</strong><br />

Komm/AV vertreten. In dieser Runde wird das Angebot gemeinsam geplant und<br />

koordiniert.<br />

Die Kommune übern<strong>im</strong>mt hier die Bereitstellung von für die Träger wichtigen<br />

Informationen wie z.B. die aktuellen Zahlen über Verpflichtungen und<br />

Berechtigungen. Wir führen ein aktuelles Informationssystem über alle Kursangebote<br />

in Wiesbaden, das auch allen Trägern zur Verfügung gestellt wird.<br />

Schnittstellenprobleme werden dort besprochen und opt<strong>im</strong>iert. Die Kommune<br />

übern<strong>im</strong>mt die Öffentlichkeitsarbeit.<br />

Fazit: Die organisatorische und räumliche Zusammenführung aller Akteure und die zentrale<br />

Steuerung durch die neutrale Instanz <strong>der</strong> Kommune hat sich sehr bewährt und wird auch von<br />

<strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Träger anerkannt und geschätzt.<br />

3. Schlussfolgerungen<br />

� Integrationsför<strong>der</strong>ung lässt sich nicht rein ordnungsrechtlich umsetzen. Die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden mit ihrem ordnungsrechtlichen Aufgabenspektrum sind mit den<br />

ihnen zugewiesenen Aufgaben <strong>der</strong> Integrationsför<strong>der</strong>ung sowohl hinsichtlich <strong>der</strong><br />

personellen Ausstattung als auch hinsichtlich <strong>der</strong> Qualifikation <strong>der</strong> Mitarbeiter/innen<br />

überfor<strong>der</strong>t.<br />

� Die Verpflichtung zu einem Sprachkurs ist, wie schon eingangs erwähnt, sehr zu<br />

begrüßen, doch sehen wir hier folgende Probleme:<br />

� Die Kontrolle über die wirkliche Teilnahme an einen Integrationskurs von<br />

Verpflichteten ist aufgrund <strong>der</strong> aufenthaltsrechtlichen Bedingungen für die ABH nicht<br />

in allen Fällen zu leisten.<br />

� Eine Verpflichtung zu einem Sprachkurs setzt auch ein adäquates Angebot voraus.<br />

Um dieses Angebot sicherzustellen, ist ein hohes Maß an Vernetzung und Steuerung<br />

und Beratung notwendig.<br />

� Die Umsetzung <strong>der</strong> Integrationsför<strong>der</strong>ung, so wie sie <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

angelegt ist, erfor<strong>der</strong>t ein komplexes Zusammenspiel vieler Akteure. Dies muss<br />

organisiert sein und ist aus unserer Sicht nur mit neuen Organisationsformen, die die<br />

Grenzen <strong>der</strong> Ordnungsverwaltung überschreiten, zu lösen.<br />

� Die Zulassungskriterien für Sprachkursträger stehen Steuerungs- und Vernetzungsbemühungen<br />

oft entgegen.


292<br />

� Ein Zielgruppenorientiertes Sprachkursangebot ist notwendig. Will man gezielt<br />

Frauen erreichen, ist eine Kin<strong>der</strong>betreuung notwendig. SGB II Empfänger haben oft<br />

langjährige unsystematisch erworbene Sprachkenntnisse. Für diese Zielgruppe sind<br />

die Standardintegrationskurse oft nicht sinnvoll.<br />

� Der Konkurrenzdruck unter den Trägern ist groß. Die Finanzierung <strong>der</strong> Kurse und <strong>der</strong><br />

hohe bürokratische Aufwand geht zu Lasten <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Kurse.


293


<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong><br />

Evaluation <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

6. Thema Integration und Gesellschaft<br />

Lan<strong>des</strong>hauptstadt Wiesbaden<br />

Einwohner- und Integrationsamt<br />

(Integrationsabteilung)<br />

294


Struktur <strong>des</strong> Einwohner- und Integrationsamtes<br />

Ziel: One-stop-agency<br />

Abteilung<br />

Gewerbewesen<br />

Veranstaltungsbüro<br />

Abteilung<br />

Zentrale Dienste<br />

Koordinatorin<br />

�<br />

Caritasverband<br />

Arbeiterwohlfahrt<br />

IB<br />

Einwohner- und<br />

Integrationsamt<br />

Amtsleitung<br />

Abteilung<br />

Einwohner- und<br />

Kfz-Wesen<br />

Kooperation<br />

Abteilung<br />

Auslän<strong>der</strong>behöre<br />

Integrationsför<strong>der</strong>ung<br />

und Beratung<br />

Integrationsabteilung<br />

Geschäftsstelle<br />

Auslän<strong>der</strong>beirat<br />

295<br />

Leitung in<br />

Personalunion<br />

�<br />

Jeanine Rudolph, Lan<strong>des</strong>hauptstadt Wiesbaden - 31.03.06 2


Aufgaben <strong>der</strong> Integrationsabteilung<br />

u.a.<br />

� zentrale Beratung zu<br />

Integrationskursen<br />

- Bindeglied zwischen Auslän<strong>der</strong>behörde und Trägern<br />

- Zentrale Sprachstandstests<br />

- gezielte Sprachkursberatung und Weitervermittlung<br />

- enge Kooperation mit <strong>der</strong> MEB<br />

- führen eines Informationssystems aller Kurse <strong>im</strong> Stadtgebiet<br />

- Steuerung eines nachfragegerechten Kursangebotes über<br />

Netzwerk<br />

- Öffentlichkeitsarbeit<br />

296<br />

Jeanine Rudolph, Lan<strong>des</strong>hauptstadt Wiesbaden - 31.03.06 3


Aufgaben <strong>der</strong> Integrationsabteilung<br />

Steuerung und Vernetzung <strong>des</strong> Kursangebotes<br />

über Netzwerk <strong>der</strong> Sprachkursträger<br />

- Information<br />

- Koordination und Planung<br />

<strong>des</strong> Kursangebotes<br />

- Öffentlichkeitsarbeit<br />

- Opt<strong>im</strong>ierung von Schnittstellen<br />

ABH<br />

KOMM / AV<br />

Träger<br />

Integrationsabteilung<br />

BAMF<br />

297<br />

Jeanine Rudolph, Lan<strong>des</strong>hauptstadt Wiesbaden - 31.03.06 4<br />

MEB


Schlussfolgerungen<br />

� Integrationsför<strong>der</strong>ung lässt sich nicht rein ordnungsrechtlich<br />

umsetzen<br />

� Die ABH ist mit Aufgaben <strong>der</strong> Integrationsför<strong>der</strong>ung überfor<strong>der</strong>t<br />

� Kontrolle von Verpflichteten durch die ABH ist nicht in allen Fällen<br />

möglich<br />

� Eine Verpflichtung zu einem Sprachkurs setzt ein adäquates<br />

Angebot voraus<br />

� Um dieses Angebot sicherzustellen, ist ein hohes Maß an<br />

Vernetzung, Steuerung und Beratung erfor<strong>der</strong>lich<br />

298<br />

� Ein komplexes Zusammenspiel vieler Akteure muss organisiert sein,<br />

hierfür sind neue Organisationsformen notwendig<br />

Jeanine Rudolph, Lan<strong>des</strong>hauptstadt Wiesbaden - 31.03.06 5


Schlussfolgerungen<br />

� Steuerungskompetenz <strong>der</strong> Kommunen ist nicht mitgedacht<br />

� Zulassungskriterien für Träger stehen Steuerungs- und<br />

Vernetzungsbemühungen oft entgegen<br />

� Zielgruppengerechte Sprachkurse erfor<strong>der</strong>lich – Kin<strong>der</strong>betreuung und<br />

Kurse für SGB II – Empfänger mit langjährigen oft unsystematisch erworbenen<br />

Sprachkenntnissen fehlen<br />

� Konkurrenz innerhalb <strong>der</strong> Träger, Finanzierung <strong>der</strong> Kurse und<br />

Bürokratie gehen zu Lasten <strong>der</strong> Qualität<br />

299<br />

Jeanine Rudolph, Lan<strong>des</strong>hauptstadt Wiesbaden - 31.03.06 6


Hamburg, d. 24.03.2006<br />

300<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Evaluation <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes am 30. und 31.<br />

März 2006 <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>haus<br />

* 6. Thema: Integration und Gesellschaft<br />

* Statement: Amadeus Hempel, Geschäftsführer Interkulturelle Bildung<br />

Hamburg<br />

Sprecher von ProIntegration<br />

Stellungnahme zur Veranstaltung<br />

Das neue Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz und die damit verbundenen Integrationskurse <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes für<br />

Migration und Flüchtlinge („BAMF-Kurse“) haben bereits länger in Deutschland lebende Auslän<strong>der</strong> sowie<br />

alle Gruppen von neu zugewan<strong>der</strong>ten Auslän<strong>der</strong>n in die Integrationskurse mit einbezogen. Dies ist gut so<br />

und stellt eine Verbesserung gegenüber <strong>der</strong> vorherigen Situation dar.<br />

Die bisherigen Erfahrungen mit den Integrationskursen sollten aber zu sofortigen Verän<strong>der</strong>ungen führen.<br />

Der Verweis auf die bereits stattfindende Evaluation <strong>der</strong> Integrationskurse nach dem<br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz verkennt, dass frühestens Mitte nächsten Jahres die Ergebnisse vorgestellt und<br />

entsprechende Schlussfolgerungen wirksam werden können. Viele dieser Ergebnisse sind jetzt schon<br />

durch die Zahlen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes für Migration und Flüchtlinge „Jahresbilanz 2005“ absehbar.<br />

Nur eine geringe Anzahl von Teilnehmern erreicht innerhalb <strong>der</strong> 600 Unterrichtsstunden <strong>des</strong><br />

Integrationssprachkurses das angestrebte Niveau „B1“. Von 17.482 Teilnehmern in 2005 <strong>der</strong><br />

Abschlussprüfung Integrationskurse haben zwar 74 % die Prüfung bestanden. Dies kann aber nicht<br />

darüber hinwegtäuschen, dass sich damit eine Mehrheit von den über 115.000 Teilnehmern zur Prüfung<br />

nicht angemeldet haben, weil sie wissen, dass sie diese nicht bestehen würden.<br />

Ein großer Teil <strong>der</strong> lernunerfahrenen Teilnehmer braucht in <strong>der</strong> Regel min<strong>des</strong>tens 900 Unterrichtsstunden,<br />

um eine Sprachkompetenz erlangen, die den selbstständigen Umgang mit <strong>der</strong> Deutschen Sprache<br />

ermöglicht (B1). Teilnehmende, die noch nicht alphabetisiert sind, brauchen min<strong>des</strong>tens weitere 300<br />

Unterrichtsstunden mehr. Innerhalb <strong>der</strong> 900 Unterrichtsstunden können grundlegende Kenntnisse über<br />

die Arbeitswelt in Deutschland vermittelt werden, jedoch ist das Niveau B1 zu niedrig, um eine Integration<br />

in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.<br />

Die Grundlagen <strong>des</strong> deutschen Gesellschaftssystems (Rechtsordnung, Kultur und Geschichte, Werte <strong>des</strong><br />

demokratischen Staatswesens, Prinzipien <strong>der</strong> Rechtsstaatlichkeit, Gleichberechtigung, Toleranz und<br />

Religionsfreiheit) in einem dreißigstündigen Orientierungskurs auf dem sprachlichen Niveau von B1 bzw.<br />

bei <strong>der</strong> Mehrheit <strong>der</strong> Teilnehmer auf dem Niveau von A2 <strong>des</strong> Gemeinsamen Europäischen<br />

Referenzrahmens vermitteln zu wollen, ist nicht realistisch. Die genannten Themen sind Inhalte aller für<br />

den Integrationskurs zugelassenen Lehrwerke. Wünschenswert wäre meines Erachtens, wenn <strong>der</strong><br />

zusätzlich von <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>beauftragten für Integration, Maria Böhmer (CDU), angeregte „Dialog <strong>der</strong><br />

Kulturen“ als interkulturelles Training mit ins Integrationskonzept aufgenommen werden könnte. Der<br />

Orientierungskurs muss grundsätzlich mit dem Sprachkurs verbunden bleiben.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e vor dem Hintergrund <strong>der</strong> zukünftig zurückgehenden Zuwan<strong>der</strong>erzahlen ist die Zahl <strong>der</strong> 2042<br />

<strong>der</strong> für die Integrationskurse zugelassenen Sprachkursträger <strong>im</strong> Jahre 2005 zu hoch (statistisch gesehen<br />

entfallen auf einen Sprachkursträger 55 Teilnehmer pro Jahr). Eine pädagogisch notwendige, <strong>im</strong> Konzept<br />

<strong>des</strong> Integrationskurses angelegte Differenzierung nach Modulen gem. dem Leistungsstand und dem<br />

Lerntempo <strong>der</strong> Teilnehmer ist in <strong>der</strong> Regel nicht durchführbar. Darüber hinaus ist eine kontinuierliche und<br />

wirtschaftliche Beschulung nicht zu gewährleisten. Außerdem haben sich viele Träger, die für 2005<br />

zugelassen waren, nicht wie<strong>der</strong> um eine Zulassung bemüht. Statt<strong>des</strong>sen sind neue Träger dazu<br />

gekommen. Diese Fluktuation erschwert die Zusammenarbeit in (ohnehin großen) Netzwerken und die<br />

Koordination <strong>der</strong> Angebote.


301<br />

Die Integrationskurse geben zwar Bestandsauslän<strong>der</strong>n die Möglichkeit <strong>der</strong> Teilnahme, nicht aber den<br />

Aussiedlern, die schon längere Zeit in Deutschland leben und vergleichbare Sprach- und<br />

Integrationsprobleme haben. Dieser Personenkreis sollte ggf. durch Absprache zwischen Bund und<br />

Län<strong>der</strong>n in das Kurssystem mit einbezogen werden können.<br />

Vor <strong>der</strong> Anmeldung <strong>des</strong> Teilnehmenden in einem Kurs sind eine fachliche Einstufung <strong>der</strong> Vorkenntnisse<br />

und ein ausführliches Beratungsgespräch unerlässlich, um den Einzelnen opt<strong>im</strong>al einer lernhomogenen<br />

Gruppe zuordnen zu können. Die Sprachkenntnisse, das Bildungsniveau und die Lernbiografie<br />

unterscheiden sich oft erheblich. Den Kursträgern sollte nicht <strong>der</strong> Einstufungstest, son<strong>der</strong>n das<br />

Beratungsgespräch bezahlt werden. Der <strong>der</strong>zeit vorliegende Test ist nach einhelliger Meinung <strong>der</strong><br />

Kursträger zur Einstufung von Teilnehmenden nicht geeignet.<br />

Die Größe <strong>der</strong> Lerngruppe hat einen entscheidenden Einfluss auf die Lernprogression. Ideal ist ein<br />

Sprachkurs mit 16 Teilnehmenden, es sollten nicht mehr als 20 sein.<br />

Die sozialpädagogische Beratung und Betreuung sollte wie in <strong>der</strong> Vergangenheit bei den<br />

Garantiefondsmaßnahmen (Schul- und Berufsbildung)und den Maßnahmen nach SGB II auch ein Teil <strong>der</strong><br />

Integrationsmaßnahmen sein.<br />

Zurecht ist <strong>der</strong> Bürokratieabbau ein wesentliches Ziel <strong>der</strong> neuen Regierung. Bei den BAMF-Kursen sollte<br />

damit unmittelbar begonnen werden. Für einen Kurs über 630 Stunden und 20 Teilnehmern ohne<br />

beson<strong>der</strong>e zusätzliche Aufwendungen fallen nahezu 600 Kopien an. Diese müssen durch den<br />

Sprachkursträger zum Teil ausgefüllt, alle jedoch geprüft, bearbeitet ggf. beantwortet und abgelegt<br />

werden. Dieses sowohl bei den Sprachkursträgern als auch be<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>amt für Migration und<br />

Flüchtlinge.<br />

Der geschätzte Verwaltungsaufwand bei 100 Stunden Unterricht beträgt min<strong>des</strong>tens 15 Stunden. Dies ist<br />

durch die einmalige Verwaltungspauschale in Höhe von € 7,00 für pro Teilnehmer und 630-Stunden-Kurs<br />

nicht abgedeckt.<br />

Die bisherige Finanzierung von € 2,05 pro Unterrichtsstunde/Teilnehmer ist unzureichend. Die Kosten für<br />

Unterricht (Lehrkräfte, Räume, Ausstattung <strong>der</strong> Räume, Reinigung, Kopien für den Unterricht u. a.)<br />

können nur abgedeckt werden, wenn die Klassen mit bis zu 25 Teilnehmern besetzt werden.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e in Flächenlän<strong>der</strong>n ist diese Teilnehmerzahl nicht <strong>im</strong>mer zu erreichen.<br />

Der Verein Interkulturelle Bildung Hamburg führt u. a. Deutschkurse <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> Garantiefonds<br />

Hochschule <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und <strong>des</strong><br />

Akademikerprogramms <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>ministerium für Bildung und Forschung durch. Diese Kurse werden<br />

von <strong>der</strong> Otto Benecke Stiftung in Bonn geför<strong>der</strong>t. Einige Kursteilnehmer haben vorher die BAMF-Kurse<br />

besucht. Eine erstaunlich hohe Zahl von Teilnehmern verfolgt den zu Beginn <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung festgelegten<br />

Einglie<strong>der</strong>ungsplan. Die Zahl <strong>der</strong> Abbrecher bewegt sich <strong>im</strong> einstelligen Prozentbereich. Die Quote <strong>der</strong><br />

erfolgreich in die Arbeitsaufnahme vermittelten Akademiker liegt noch <strong>im</strong>mer – trotz einer erheblich<br />

verschlechterten Arbeitsmarktsituation- bei über 70 %.<br />

Bedauerlich ist, dass diese Angebote aus historischen, finanziellen und „grundsätzlichen“ Gründen<br />

lediglich einer relativ kleinen Gruppe <strong>der</strong> Gesamtzuwan<strong>der</strong>er zugängig ist. Mit einer Ausweitung dieser<br />

Angebote auf Zuwan<strong>der</strong>er <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes könnten die vielfältigen Potenziale<br />

besser genutzt, in vielen Fällen überhaupt erst einmal erkannt werden. Spätfolgen könnten so vermieden<br />

werden; „nachholende“ Integrationshilfen wären entbehrlich. INVALID HTML


302<br />

Martin Jungnickel Darmstadt, den 24. März 2006<br />

Leiter <strong>des</strong> Einbürgerungsdezernates<br />

be<strong>im</strong> Regierungspräsidium Darmstadt<br />

<strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> zum Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

am 30./31. März 2006 in Berlin;<br />

Artikel 5: Staatsangehörigkeitsgesetz<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

mit <strong>der</strong> Einfügung <strong>der</strong> Einbürgerungsregelungen aus dem weggefallenen Auslän<strong>der</strong>gesetz in<br />

das Staatsangehörigkeitsgesetz ist ein erster wichtiger Schritt vollzogen worden, die<br />

zersplitterte Rechtsmaterie <strong>des</strong> deutschen Staatsangehörigkeits- und Einbürgerungsrecht<br />

zusammenzuführen und zu vereinheitlichen. Allerdings ist diese Zusammenführung <strong>im</strong><br />

Wesentlichen nur redaktioneller Natur und überdies nicht komplett. Ich denke z.B. an das<br />

„He<strong>im</strong>atlose Auslän<strong>der</strong>-Gesetz“ (HAG) und das „Gesetz zur Vermin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Staatenlosigkeit“, die gleichberechtigt nach wie vor Regelungen zur Einbürgerung enthalten.<br />

Ziel muss es ein, dass alle Staatsangehörigkeits- und Einbürgerungsvorschriften sich in einem<br />

Gesetzeswerk, dem Staatsangehörigkeitsgesetz, wie<strong>der</strong>finden.<br />

Da sich in materiell-rechtlicher Hinsicht mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz kaum etwas geän<strong>der</strong>t<br />

hat, muss sich <strong>der</strong> Blick zwangsläufig auf die staatsangehörigkeitsrechtliche Zäsur richten, die<br />

mit <strong>der</strong> Novellierung zum 1. Januar 2000 stattgefunden hat und die mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

fortgeschrieben wurde. Die Erfahrungen daraus lassen erst Folgerungen hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> hier anstehenden Frage zu, ob weiterer gesetzgeberischer Regelungsbedarf besteht.<br />

Doch zunächst: Welche inhaltlichen Verän<strong>der</strong>ungen hat das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz gebracht?<br />

Zwei Punkte wären zu nennen.<br />

1) § 37 StAG<br />

Die Vorschrift schreibt die so genannte Regelanfrage bei den Ämtern für<br />

Verfassungsschutz verbindlich vor und vollzieht gesetzgeberisch das, was in den<br />

meisten Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n, auch in Hessen, bereits jahrelange Praxis ist. Ich kann hierzu<br />

kurz und prägnant feststellen: Die Regelanfrage hat sich bewährt. Die Erkenntnisse <strong>der</strong><br />

Ämter für Verfassungsschutz versetzen die Einbürgerungsbehörde in die Lage, dem<br />

Ausschlussgrund <strong>der</strong> verfassungsfeindlichen Bestrebungen (§ 11 Nr. 2 StAG) Geltung<br />

zu verschaffen.


2) § 8 II StAG<br />

303<br />

Der Bezug öffentlicher Leistungen, <strong>der</strong> bislang den Weg einer Ermessenseinbürgerung<br />

von Vornherein verschloss, wird nunmehr <strong>im</strong> Falle einer beson<strong>der</strong>en Härte o<strong>der</strong> <strong>des</strong><br />

öffentlichen Interesses eröffnet.<br />

Die Vorschrift beseitigt Unzulänglichkeiten <strong>des</strong> Einzelfalls. Sie hat sich bewährt. Die<br />

Bedeutung – gemessen an <strong>der</strong> Gesamtzahl <strong>der</strong> Einbürgerungsanträge – ist allerdings<br />

gering.<br />

Lassen Sie mich nun zu einigen Themen kommen, die nach 6 Jahren Staatsangehörigkeitsnovelle<br />

von Praxisseite anzusprechen sind:<br />

1) Einheitlichkeit <strong>des</strong> Gesetzesvollzugs<br />

Es ist lei<strong>der</strong> zu konstatieren, dass es in wichtigen Fragen <strong>des</strong> Vollzugs zu einer<br />

unterschiedlichen Praxis quer durch die Republik gekommen ist, beispielsweise bei<br />

<strong>der</strong> Definition <strong>der</strong>„ausreichenden Deutschkenntnisse“ und <strong>der</strong> Hinnahme von<br />

Mehrstaatigkeit bei „Gegenseitigkeit EU“.<br />

Zu beiden Problembereichen gibt es mittlerweile Grundsatzentscheidungen <strong>des</strong><br />

Bun<strong>des</strong>verwaltungsgerichts in Leipzig, ohne dass damit die unterschiedliche Praxis<br />

vollends ausgeräumt wäre.<br />

Hier ist m.E. <strong>der</strong> Gesetzgeber aufgefor<strong>der</strong>t, mittels Legaldefinitionen Klarheit und<br />

Einheitlichkeit zu schaffen.<br />

2) Wertewi<strong>der</strong>spruch<br />

Zurecht schließt <strong>der</strong> Gesetzgeber Menschen von <strong>der</strong> Einbürgerung aus, die<br />

Anhaltspunkte dafür bieten, dass sie nicht auf dem Boden <strong>der</strong> freiheitlich<br />

demokratischen Grundordnung stehen. Demgegenüber stehen Antragsteller, die<br />

bereits bewiesen haben, dass sie die Rechtsordnung missachten, nämlich Straftäter,<br />

vergleichsweise günstig dar. Die Gesetzeswertung, dass eine Verurteilung zu<br />

6 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung noch eine Bagatelle <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong><br />

Einbürgerungsrechts ist, passt nicht ins Gesamtbild, wobei erschwerend das<br />

Kumulationsverbot hinzukommt.<br />

Der Vorschlag, die Bagatellgrenze auf die Hälfte zurückzunehmen o<strong>der</strong> die<br />

Kumulierung zuzulassen, erscheint nicht nur sachgerecht, son<strong>der</strong>n ist meines Wissens<br />

bereits Konsens in den Fachebenen <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>.<br />

3) Rücknahme von Einbürgerungen<br />

Das schwierige Thema <strong>des</strong> Ausschlussgrun<strong>des</strong> <strong>des</strong> § 11 Nr. 2 StAG bringt es mit sich,<br />

dass die Behörde mitunter erst nachträglich, also nach erfolgter Einbürgerung erfährt,<br />

dass ein Antragsteller beispielsweise in einer verfassungsfeindlichen Gruppierung<br />

tätig war. Die Behörde wurde also insoweit getäuscht. Sie ist nun in diesen Fällen auf<br />

die allgemeinen Regelungen <strong>der</strong> Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakten


304<br />

(§ 48 VerwVfG) verwiesen, was in Ansehung <strong>des</strong> Schutzes <strong>der</strong> deutschen<br />

Staatsangehörigkeit durch Art. 16 <strong>des</strong> Grundgesetzes rechtlich nicht einfach, jedenfalls<br />

verwaltungsmäßig sehr aufwändig ist. Eine gesetzliche Rücknahmeregelung wäre<br />

vorzuziehen.<br />

4) Automatischer Verlust <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit (§ 25 StAG)<br />

Die ersichtlich vor dem Hintergrund <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>einbürgerungspraxis verschiedener<br />

Län<strong>der</strong> (z.B Türkei) erfolgte Streichung <strong>des</strong> so genannten Inlandsprivilegs hat in<br />

Einzelfällen zu problematischen Ergebnissen geführt. Zum Beispiel haben Menschen,<br />

denen <strong>der</strong> deutsche Staat <strong>im</strong> Grundsatz eine Mehrstaatigkeit erlaubt, eine EU-<br />

Staatsangehörigkeit angenommen, ohne an die erfor<strong>der</strong>liche<br />

Beibehaltungsgenehmigung zu denken. In einigen Fällen ist daran gedacht, die<br />

gewährte Beibehaltungsgenehmigung jedoch fehlgeschlagen, weil die Betroffenen<br />

nicht verinnerlicht haben, dass sie zwar das Einbürgerungs- und die<br />

Beibehaltungsverfahren parallel betreiben, jedoch nur in einer Reihenfolge, nämlich<br />

zuerst das deutsche, abschließen dürfen. Unterschiedslos haben Alle die deutsche<br />

Staatsangehörigkeit verloren.<br />

Ich halte für diese Fallkonstellation eine erhebliche Dunkelziffer für wahrscheinlich.<br />

Eine Beibehaltungsgenehmigung, die auch heilende Wirkung entfaltet, könnte Abhilfe<br />

schaffen. Deutsche Staatsbürger auf den Weg <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>einbürgerung zu verweisen,<br />

obwohl nur ein „formaler“ Fehler vorliegt, erscheint nicht sachgerecht.<br />

Auf weitere Stichpunkte, etwa „ius soli“, „Harmonisierung von Anspruchs- und<br />

Ermessenseinbürgerung“ und „Ersitzungsregelung“ kann ich aus Zeitgründen nicht vertiefend<br />

eingehen. Vor dem Hintergrund, dass es mir darum geht, für eine inhaltliche<br />

Weiterentwicklung <strong>des</strong> deutschen Einbürgerungsrechts zu werben, ist dies auch nicht<br />

notwendig.<br />

Wie gesagt, ein erster richtiger Schritt ist mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz eingeleitet worden,<br />

weitere Schritte müssen folgen.


305


310<br />

Wortprotokoll<br />

I. Begrüßung durch Herrn Bun<strong>des</strong>minister Dr. Schäuble ............................................................. 311<br />

II. Einführung in die Thematik durch Herrn Abteilungsleiter Dr. Lehnguth ................................ 315<br />

III. Themenkomplex Arbeitsmigration ............................................................................................. 317<br />

1. Anmo<strong>der</strong>ation durch Herrn Dr. Lehnguth ............................................................................... 317<br />

2. Herr Staible............................................................................................................................. 318<br />

3. Herr Bruhns ............................................................................................................................ 320<br />

4. Frau Houben .......................................................................................................................... 324<br />

5. Herr Dr. Dercks ...................................................................................................................... 326<br />

6. Herr Roßocha......................................................................................................................... 328<br />

7. Diskussion .............................................................................................................................. 331<br />

IV. Themenkomplex Innere Sicherheit, Terrorismusbekämpfung................................................ 338<br />

1. Anmo<strong>der</strong>ation durch Herrn Dr. Lehnguth ............................................................................... 338<br />

2. Frau Dahmen ........................................................................................................................ .339<br />

3. Herr Kempfler ......................................................................................................................... 342<br />

4. Herr Sprung............................................................................................................................ 344<br />

5. Herr Pfaff ................................................................................................................................ 346<br />

6. Diskussion .............................................................................................................................. 348<br />

V. Themenkomplex Humanitäre Aufenthalte, Bleiberechtsregelungen, Asylverfahren und<br />

Illegalität ............................................................................................................................................. 356<br />

1. Anmo<strong>der</strong>ation durch Herrn Dr. Lehnguth ............................................................................... 356<br />

2. Herr Armbruster...................................................................................................................... 357<br />

3. Frau Vollmer........................................................................................................................... 359<br />

4. Herr Dr. Dienelt ..................................................................................................................... .362<br />

5. Herr Dr. Bank ........................................................................................................................ .365<br />

6. Herr Weber............................................................................................................................. 368<br />

7. Herr Sprung............................................................................................................................ 371<br />

8. Herr Schmäing ....................................................................................................................... 373<br />

9. Frau Allenberg........................................................................................................................ 375<br />

10. Frau Dr. Franz ........................................................................................................................ 376<br />

11. Herr Dr. Marx......................................................................................................................... .378<br />

12. Diskussion .............................................................................................................................. 381<br />

VI. Themenkomplex Rückführung ................................................................................................... 392<br />

1. Anmo<strong>der</strong>ation durch Herrn Dr. Lehnguth ............................................................................... 392<br />

2. Herr Martini-Emden ................................................................................................................ 393<br />

3. Herr Weller ............................................................................................................................ .395<br />

4. Herr Lindemann...................................................................................................................... 398<br />

5. Frau Stellmacher. ................................................................................................................... 402<br />

6. Frau Hitz................................................................................................................................. 404<br />

7. Diskussion .............................................................................................................................. 407<br />

VII. Themenkomplex Familiennachzug ........................................................................................... 416<br />

1. Anmo<strong>der</strong>ation durch Herrn Dr. Lehnguth ............................................................................... 416<br />

2. Herr Botzet ............................................................................................................................. 417<br />

3. Frau Vollmer........................................................................................................................... 419<br />

4. Frau Stöcker-Zafari ................................................................................................................ 423<br />

5. Herr Maßolle........................................................................................................................... 428<br />

6. Diskussion .............................................................................................................................. 432<br />

VIII. Themenkomplex Integration und Gesellschaft....................................................................... 444<br />

1. Anmo<strong>der</strong>ation durch Herrn Dr. Lehnguth ............................................................................... 444<br />

2. Herr Griesbeck ....................................................................................................................... 444<br />

3. Herr Kolat ............................................................................................................................... 448<br />

4. Frau Prof. Dr. John................................................................................................................. 450<br />

5. Herr Stöcken. ......................................................................................................................... 452<br />

6. Herr Huber.............................................................................................................................. 455<br />

7. Frau Rudolph......................................................................................................................... .458<br />

8. Herr Hempel ........................................................................................................................... 460<br />

9. Diskussion .............................................................................................................................. 463<br />

IX. Themenkomplex Staatsangehörigkeit ....................................................................................... 475<br />

1. Anmo<strong>der</strong>ation durch Herrn Dr. Lehnguth ............................................................................... 475<br />

2. Herr Jungnickel ..................................................................................................................... .476<br />

3. Herr Stichaner. ....................................................................................................................... 479<br />

4. Diskussion .............................................................................................................................. 480


311<br />

I. Begrüßung durch Herrn Bun<strong>des</strong>minister Dr. Schäuble<br />

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte Sie alle herzlich zu unserem <strong>Praktiker</strong>-<br />

<strong>Erfahrungsaustausch</strong> willkommen heißen.<br />

Das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz lebt, wie <strong>im</strong> Übrigen je<strong>des</strong> Gesetz, jede Verordnung, also je<strong>des</strong> Gesetz <strong>im</strong><br />

materiellen Sinne von <strong>der</strong> Umsetzung. Man muss sich dabei <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Klaren sein, dass mangelhaft<br />

umgesetztes Recht den Rechtsstaat letzten En<strong>des</strong> schwächt, während berechenbarer Vollzug ihn<br />

stärkt. Also geht es <strong>im</strong>mer auch um die Legit<strong>im</strong>ität von Recht und seine Akzeptanz und bei<strong>des</strong> wird<br />

eben auf Dauer in Frage gestellt, wenn geschriebenes Recht an <strong>der</strong> Wirklichkeit vorbei geht und für<br />

die Praxis nicht handhabbar ist. Genauso wichtig für die Durchsetzung <strong>des</strong> Rechts ist eine effiziente<br />

Verwaltungsstruktur. Deshalb sind wir in <strong>der</strong> Koalition bei den Koalitionsverhandlungen übereingekommen,<br />

dass wir das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz an Hand <strong>der</strong> Praxis evaluieren und es auf seine Vollzugsfreundlichkeit<br />

prüfen wollen. Wir wollen herausfinden, wo die Stärken <strong>des</strong> Gesetzes liegen und<br />

wo es Schwachpunkte gibt. Evaluation heißt übrigens nicht, dass sich bei Schwachstellen herausstellt,<br />

dass da irgendjemand betroffen sein muss. Im Zusammenhang mit den Sicherheitsmaßnahmen zur<br />

Fußballweltmeisterschaft ist gefragt worden, es hätten sich ja bei den Übungen ein paar Schwachstellen<br />

herausgestellt. Da habe ich gesagt: Gott sei dank, sonst wären ja die Übungen umsonst. Wir machen<br />

das ja gerade, um auch lernen zu können und um Konsequenzen zu ziehen. Und das ist <strong>der</strong><br />

Sinn <strong>des</strong>sen, was wir uns vorgenommen haben und wozu ich sie alle herzlich begrüße.<br />

Ausgewiesene <strong>Praktiker</strong> aus den verschiedenen Lebensbereichen <strong>des</strong> öffentlichen Lebens konnten<br />

wir für die Veranstaltung gewinnen. Aber ich begrüße natürlich auch die Kolleginnen und Kollegen aus<br />

dem Bun<strong>des</strong>tag, die Integrationsbeauftragte <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>regierung, Frau Staatsministerin Maria Böhmer,<br />

und alle an<strong>der</strong>en; sie sind uns alle willkommen und wir wollen uns alle möglichst intensiv darum<br />

kümmern – so gut es geht – <strong>im</strong> Austausch zu lernen. Sie alle sind ja in ihrer täglichen Arbeit mit <strong>der</strong><br />

Anwendung <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes befasst. Deswegen hoffen wir, dass sie alle die Praxis anschaulich<br />

werden darstellen können, wie es eben mit den Regelungen <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes in<br />

<strong>der</strong> Praxis aussieht und wo gegebenenfalls Probleme liegen. Zuwan<strong>der</strong>ung stellt uns, wie wir wissen,<br />

vor enorme, auch sehr unterschiedliche Herausfor<strong>der</strong>ungen, die in <strong>der</strong> Regel auch zueinan<strong>der</strong> in einem<br />

Spannungsverhältnis stehen. Um ein paar Punkte zu sagen: Wir sind in <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong> Globalisierung,<br />

<strong>der</strong> verschärften Arbeitsteilung und <strong>des</strong> internationalen Wettbewerbs darauf angewiesen, hochqualifizierte<br />

Arbeitskräfte für unser Land anzuwerben und es ist wichtig, um unseren Wohlstand langfristig<br />

zu sichern. Wir finden uns mehr denn je auch insoweit in einem internationalen Wettbewerb und<br />

müssen Bedingungen schaffen, dass diese so attraktiv sind, dass Hochqualifizierte mit ihren Angehörigen<br />

nach Deutschland kommen o<strong>der</strong> - wenn sie von hier stammen - auch in Deutschland bleiben.<br />

Zuwan<strong>der</strong>ungspolitik, um einen an<strong>der</strong>en Punkt zu nennen, muss <strong>im</strong>mer auch den Schutz und die Sicherheit<br />

unseres Lan<strong>des</strong> und <strong>der</strong> Menschen, die hier leben, gewährleisten. Wer <strong>im</strong> Übrigen Offenheit<br />

in <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung <strong>im</strong> Gegensatz zu den Sicherheitsanfor<strong>der</strong>ungen und den Bedürfnissen <strong>der</strong> Menschen<br />

nach Sicherheit geraten lässt, zerstört <strong>im</strong> Ansatz nach meiner Überzeugung jede Chance für<br />

eine gelingende Integration und für Toleranz und Offenheit und für vernünftiges Miteinan<strong>der</strong>. Auch<br />

insofern gibt es also eine Interdependenz und Ambivalenz.<br />

Zuwan<strong>der</strong>ungspolitik, das wird gelegentlich fast schon aus dem Blick verloren, Zuwan<strong>der</strong>ungspolitik<br />

muss auch unserer humanitären Verantwortung gerecht werden, wie sie sich nicht nur, aber auch aus<br />

dem Grundgesetz ergibt – was übrigens auch unseren Erfahrungen, den „lessons learned“ <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

entspricht – und aus einer Vielzahl völkerrechtlicher Verträge und Pakte. In dem Zusammenhang<br />

muss ich folgende Bemerkung machen, da ich nun ein bisschen, mehr als zwei Jahrzehnte,<br />

Erfahrungen in diesen Debatten habe, was mir manche gar nicht mehr zutrauen, weil ich mich die<br />

letzten 15 Jahre zurückgehalten habe: Ich hab es schon in den 80er Jahren vermieden, den Begriff<br />

Einwan<strong>der</strong>ungsland zu gebrauchen, weil ich <strong>im</strong>mer gefunden habe, dass in dem Sinne, wie Einwan<strong>der</strong>ungsland<br />

als Begriff verwendet wird, Deutschland in <strong>der</strong> Tat keines ist. Aber die Aussage, dass<br />

Deutschland kein Einwan<strong>der</strong>ungsland ist, wenn die dann so verstanden wird, als gäbe es keine Einwan<strong>der</strong>ung<br />

nach Deutschland, ist so offensichtlich unsinnig, dass man sich nur zum Idioten macht.<br />

Aber Einwan<strong>der</strong>ungslän<strong>der</strong>, klassische jedenfalls, waren solche, die sich ausgesucht haben, wen sie<br />

haben wollten. Also in Australien o<strong>der</strong> Neuseeland hat man unbedingt Z<strong>im</strong>merleute gebraucht und<br />

dann haben sie Frauen für ihre Schafhirten in <strong>der</strong> Geschichte gebraucht. Dann haben sie Frauen angeworben,<br />

die bereit waren, einen Schäfer zu heiraten. Nichts dagegen, aber dies war nicht das Verständnis<br />

<strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik Deutschland <strong>im</strong> Sinne von Offenheit. Und <strong>des</strong>wegen <strong>der</strong> Streit, ob<br />

Deutschland nun Einwan<strong>der</strong>ungsland ist o<strong>der</strong> nicht.<br />

(Zwischenruf von Herrn MdB Wiefelspütz) Bitte? Aber bei uns sind die Schäfer in <strong>der</strong> Lage, sich ihre<br />

Frauen selber zu besorgen. Deswegen bekämpfen wir, Herr Kollege Wiefelspütz, gemeinsam die<br />

Zwangsheirat. Was Sie nicht vergessen sollten und wenn Sie bessere Vorschläge in Ihren Reihen


312<br />

haben sollten, wie man Zwangsheirat bekämpfen kann, bin ich dafür sehr offen. Bisher habe ich noch<br />

keine intelligenteren gehört als die, die von mir stammen; das ist meistens so.<br />

Damit kommen wir aber wie<strong>der</strong> zum Ernst <strong>der</strong> Sache zurück. Ich wollte an dem Beispiel zeigen: Wir<br />

sollten in <strong>der</strong> Debatte auch um Hochqualifizierte und sonst um unsere humanitären Verpflichtungen<br />

nicht so schnell sein, die haben mal mehr und mal weniger Konjunktur, aber wenn sie ernst gemeint<br />

sind, sind sie konjunkturunabhängig. Sie gehören zu dem, ja, Urgestein, zu dem Grund dieser Bun<strong>des</strong>republik,<br />

mit seiner gelingenden freiheitlichen Ordnung. Im Übrigen, auch den Punkt will ich sagen,<br />

das ist, dass weiß je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> hier <strong>im</strong> Raum ist, für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, für die<br />

Offenheit, für die Toleranz eben notwendig, dass die Menschen, die zu uns kommen o<strong>der</strong> gekommen<br />

sind, sich gut integrieren. Also muss Zuwan<strong>der</strong>ungspolitik <strong>im</strong>mer auf Integration ausgerichtet sein.<br />

Das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz, das wir hier evaluieren wollen, beruht auf einem breiten politischen Konsens.<br />

Man glaubt es gar nicht, wenn man weiß, wie lange darum gestritten worden ist. Am Schluss ist<br />

es vom Bun<strong>des</strong>tag mit lediglich zwei Gegenst<strong>im</strong>men verabschiedet worden. Es versucht, den verschiedenen<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen gerecht zu werden, die sich auch <strong>im</strong> Tagungsprogramm von heute und<br />

morgen wi<strong>der</strong>spiegeln. Die Integration ist übrigens dem Gesetzgeber so wichtig, dass die <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

verankerten Integrationskurse Gegenstand einer eigenen <strong>Evaluierung</strong> sind. Sie sehen<br />

also, das Thema müssen wir wirklich ernst nehmen; es spricht auch alles dafür, denn wir haben damit<br />

angefangen und sind damit noch nicht am Ende, Herr Präsident Schmidt. Wir dürfen übrigens nicht<br />

vergessen: Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Herausfor<strong>der</strong>ung und keinesfalls nur eine<br />

staatliche Leistung. Sie betrifft alle Politikbereiche, ist also eine wirkliche Querschnittsaufgabe aller<br />

Ressorts, weswegen auch die Frau Bun<strong>des</strong>kanzlerin die Beauftragte <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>regierung als<br />

Staatsministerin richtigerweise dem Kanzleramt, wie ich finde, organisatorisch zugeordnet hat. Zugegeben,<br />

es ist nicht nur eine Querschnittsaufgabe aller Ressorts, son<strong>der</strong>n eine Aufgabe <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

als Ganzes, auch, um dies nicht zu vergessen, die Zuwan<strong>der</strong>ung, denn es ist eine Zweibahnstraße<br />

und da gilt das Prinzip von För<strong>der</strong>n und For<strong>der</strong>n.<br />

Man muss daran erinnern – manche leidvoll, aber die Erfahrung, dass haben große Koalitionen, Herr<br />

Kollege Stadler, an sich, dass sie aus unterschiedlicher Vergangenheit dann irgendwann zusammen<br />

finden, nur, dass Sie es nicht vergessen, wie das so entstand, ja das muss halt so sein, wenn die<br />

Wähler so entschieden haben –: Auslöser über eine Neugestaltung <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>rechts nachzudenken,<br />

war die Neuregelung <strong>der</strong> Arbeitsmigration. Es gab die sog. Green Card-Regelung, von <strong>der</strong> die<br />

einen <strong>im</strong> Saal mehr gehalten haben als die an<strong>der</strong>en. Die Green Card-Regelung sollte hochqualifizierten<br />

ausländischen IT-Fachkräften eine Arbeitsaufnahme in Deutschland ermöglichen. Es hat sich, um<br />

es koalitionsfreundlich zu sagen, schnell herausgestellt, dass die Regelung nicht so angenommen<br />

wurde, wie erhofft. In dem neuen Aufenthaltsgesetz werden hochqualifizierten Wissenschaftlern und<br />

Arbeitskräften attraktive Aufenthaltsbedingungen geboten, wobei wir hören, dass es auch noch nicht<br />

so toll funktioniert und angenommen wird. Wobei man allerdings die Frage stellen muss, ob allein<br />

aufenthaltsrechtliche Regelungen denn ausschlaggebend sind, sich für o<strong>der</strong> gegen einen Aufenthalt in<br />

Deutschland zu entscheiden. Vielleicht sind es ganz an<strong>der</strong>e Ursachen, wofür das arme Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

einschließlich <strong>der</strong> Behörden von Bund, Län<strong>der</strong> und Kommunen gar nichts können. Aber<br />

natürlich tragen die aufenthaltsrechtlichen Regelungen auch zu <strong>der</strong> Entscheidung bei, wohin jemand<br />

als Höchstqualifizierter geht. Insofern bin ich gespannt auf die Einschätzungen <strong>der</strong> Experten, ob sich<br />

die Erwartungen mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz insoweit erfüllen lassen.<br />

Ein an<strong>der</strong>es Problem war z. B., das früher viele ausländische Studienabsolventen in an<strong>der</strong>e Industrielän<strong>der</strong><br />

mit großzügigeren aufenthaltsrechtlichen Regelungen abgewan<strong>der</strong>t sind und dann mit ihrem<br />

bei uns erworbenen Wissen hiesigen Unternehmen Konkurrenz machten. Man kann auch darüber<br />

nachdenken, ob dies die intelligenteste Verwendung <strong>der</strong> so knappen Steuergel<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Hochschulpolitik<br />

war. Also war es wichtig, ausländischen Studentinnen und Studenten <strong>im</strong> Anschluss an das Studium<br />

die Berufsausübung in Deutschland zu ermöglichen. Aber neben den Hochqualifizierten sollten<br />

wir auch nicht die aufenthaltsrechtliche Regelung für Mittel- und Niedrigqualifizierte vergessen. Da gab<br />

es <strong>im</strong> Vorfeld <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes wohl das größte und vielfältigste Meinungsspektrum: Die<br />

einen for<strong>der</strong>ten die gänzliche Öffnung <strong>des</strong> Arbeitsmarktes, weil <strong>der</strong> Bedarf selbst den Zugang steuern<br />

würde. An<strong>der</strong>e wollten den Arbeitsmarkt für diesen Personenkreis <strong>im</strong> Interesse einer Beschäftigung<br />

deutscher Arbeitsloser so weit wie möglich für Zuwan<strong>der</strong>er verschließen. Das geht so hin und her und<br />

die alljährlich auf- und abebbenden Debatten um Erntehelfer, wobei es hier ja offenbar nach den Angaben<br />

<strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>anstalt für Arbeit eine signifikante an<strong>der</strong>e Entwicklung gibt – wollen wir hoffen, dass<br />

es so sei –, spiegeln das ein wenig wi<strong>der</strong>. Man hat sich <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungskompromisses


313<br />

darauf geeinigt, den seit 1973 bestehenden Anwerbestopp – nur um auch daran zu erinnern, und wer<br />

mag, kann darüber nach denken, wer damals regiert hat – den seit 1973 bestehenden Anwerbestopp<br />

aufrecht zu erhalten, aber Ausnahmen für dringend benötigte Arbeitskräfte vorzusehen.<br />

In den Verhandlungen zum Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz haben und müssen auch <strong>im</strong>mer Sicherheitsfragen<br />

einen beson<strong>der</strong>en Stellenwert einnehmen. Die Sicherheit <strong>der</strong> Bürgerinnen und Bürger ist eine zentrale<br />

Aufgabe auch <strong>des</strong> freiheitlichen Rechtsstaats und <strong>des</strong>halb darf es <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungspolitik<br />

keine Kompromisse geben, die zu Lasten <strong>der</strong> inneren Sicherheit gehen. Es würde übrigens, wie<br />

schon erwähnt, die Akzeptanz <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>er am meisten gefährden. Der Gesetzgeber hat dem<br />

durch folgende Regelungen Rechnung zu tragen versucht:<br />

Die bun<strong>des</strong>weite Regelanfrage be<strong>im</strong> Verfassungsschutz anlässlich von Einbürgerungen sowie Sicherheitsabfragen<br />

vor <strong>der</strong> Erteilung eines Aufenthaltstitels und zusätzlich sicherheitsrelevante Ausweisungstatbestände<br />

z. B. bei Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, wobei die Ausweisung in<br />

diesem Fall nicht mehr einer vorherigen strafrechtlichen Verurteilung bedarf und <strong>im</strong> Übrigen auch den<br />

Ausweisungstatbestand für sog. Hassprediger. Falls <strong>der</strong> Vollzug einer Abschiebung an Abschiebungsverboten<br />

scheitern sollte, sollen Meldeauflagen, Einschränkungen <strong>der</strong> Freizügigkeit und strafbewehrte<br />

Kommunikationsmittelverbote zu einem Sicherheitsgewinn führen. Mit <strong>der</strong> neu eingeführten<br />

Abschiebungsanordnung soll es möglich werden, Auslän<strong>der</strong>innen o<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> zügig außer Lan<strong>des</strong><br />

zu bringen, wenn sie eine beson<strong>der</strong>e Gefahr für die Sicherheit Deutschlands sind. Der Beschleunigung<br />

dient vor allem dabei die Beschränkung <strong>des</strong> Rechtsschutzes auf eine Instanz, nämlich das Bun<strong>des</strong>verwaltungsgericht.<br />

Aber wir wissen, dass die Voraussetzungen dafür hoch liegen, auch hoch<br />

liegen müssen. Das ist wahr, aber <strong>des</strong>wegen darf man die Erwartungen daran nicht überspannen. Die<br />

lange Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren ist natürlich nach wie vor insbeson<strong>der</strong>e dann ein<br />

Problem, wenn die sehr hohe Schwelle <strong>der</strong> Abschiebungsanordnung nicht erreicht ist. Sie ist es übrigens<br />

nicht nur bei <strong>der</strong> Ausweisung extremistischer Auslän<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n auch in an<strong>der</strong>en Fällen. Wir<br />

haben gerade in Berlin so einen schönen Fall, auch über die Medien, erlebt, wo die lange Dauer –<br />

auch nach falschen Angaben – dazu führte, <strong>im</strong> Grunde in ein fast unauflösbares Dilemma hinein zu<br />

kommen. Ich will übrigens Folgen<strong>des</strong> hinzufügen, um insbeson<strong>der</strong>e diejenigen, die an den Koalitionsverhandlungen<br />

dabei gewesen sind – einige sehe ich ja hier <strong>im</strong> Raum – daran zu erinnern: Wir haben<br />

ja hier bei diesem Thema – aber das hätten wir in je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en denkbaren Koalitionskonstellation<br />

genauso verhandelt – als bei <strong>der</strong> Frage, was machen wir mit Menschen, die <strong>der</strong> terroristischen Zuordnung<br />

hinreichend verdächtig sind, dass sie abgeschoben werden können – wofür es ja zwei Voraussetzungen<br />

gibt: Erstens darf er nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben und zweitens muss er<br />

auch noch irgendwohin abgeschoben werden können –, ja herrlich unser Gehirnschmalz darauf verwendet,<br />

wie lange kann Abschiebehaft dauern und was kann man sonst noch machen, bis hin zu<br />

sonstigen Dingen, die ich gar nicht ins Wort nehmen möchte, weil ich glaube, dass Sicherheitsverwahrung<br />

ist in diesen Fällen nicht so ein dem Rechtsstaat angemessenes Instrument ist, und sind dann zu<br />

<strong>der</strong> Frage gekommen: Können wir nicht Dinge, die ja rechtlich relevant sein müssen, sonst kann man<br />

ja nicht eine Abschiebung darauf gründen, können wir nicht den Bereich <strong>der</strong> Strafbarkeit insoweit vorverlegen?<br />

So hirnrissig rechtsstaatsfeindlich o<strong>der</strong> -fremd, wie es dann in <strong>der</strong> öffentlichen Debatte hinterher<br />

geworden ist, war <strong>der</strong> Grundgedanke nicht. Wobei ich <strong>im</strong> Übrigen hinzufüge, also in meiner<br />

Verantwortung jetzt gar nicht so sehr für Zuwan<strong>der</strong>ung, son<strong>der</strong>n für die Bekämpfung <strong>des</strong> internationalen<br />

Terrorismus, dass ich die Abschiebung eines Terrorismusverdächtigen allenfalls die zweitbeste<br />

Lösung finde. Ich wüsste etwas Besseres: Die Vorverlagerung <strong>der</strong> Strafbarkeit. Das ist aber nicht das<br />

Thema so einer Tagung; aber ich muss ja doch aus meinem bedrängten Herzen gelegentlich ein bisschen<br />

nicht nur eine Mör<strong>der</strong>grube machen dürfen.<br />

Ich meine, das Unverständnis <strong>der</strong> Öffentlichkeit ist etwa groß, das müssen alle Beteiligten <strong>im</strong>mer wissen,<br />

natürlich auch in den Gerichten, etwa <strong>im</strong> Hinblick auf den Fall mit dem Mädchen hier in Berlin,<br />

„Aydin“, da müssen Sie einem nichtjuristisch Vorgebildeten, <strong>der</strong> nichts mit dem Thema zu tun hat,<br />

zwischendurch erklären, warum es 10 Jahre dauert. Womit wir eben bei dem Dilemma sind, nämlich<br />

auf <strong>der</strong> einen Seite diejenigen nicht zu belohnen, die sich gesetzeswidrig Einreise o<strong>der</strong> Aufenthalt<br />

erschleichen und dann daran festhalten, indem man sagt, wenn du es lang genug schaffst, hast du es<br />

doch – was übrigens auch eine Geschäftsgrundlage für organisierte Kr<strong>im</strong>inalität bzw. für Schleuser ist<br />

–, und auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite zu wissen: Wenn halt ein Kind hier geboren ist bzw. 10, 15, 20, 100 Jahre<br />

– sag ich einmal vorsichtig, um niemanden mit nichts zu belasten – hier lebt, dann ist es auch<br />

schwierig zu sagen: Aber eigentlich bist du gar kein Deutscher und du hast woan<strong>der</strong>s viel stärkere<br />

Wurzeln, die hast du nur nicht gesehen, du weist es nur nicht.<br />

Deswegen: Schnelles Recht ist besseres Recht. Ich hab es bewusst ironisiert, wer mich jetzt zitiert,<br />

hat ein großes Problem, weil es nicht korrekt sein kann, was <strong>im</strong>mer man daraus zitiert. Aber Sie haben<br />

verstanden, was ich sagen möchte. Im Übrigen, denken Sie an den Fall Kaplan. Denken Sie <strong>im</strong> Übri-


314<br />

gen auch mal mit den Augen <strong>der</strong> Öffentlichkeit o<strong>der</strong> lassen Sie uns daran denken, wenn die Öffentlichkeit<br />

wüsste, was wir für einen Aufwand betreiben, um dann so einen auch zu kontrollieren. Ich<br />

habe mir das mal be<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>amt für Verfassungsschutz erklären lassen. Manchmal ist es gut, dass<br />

nicht alles ganz genau bekannt ist; das ist auch keine ganz sachliche Anmerkung. Im Übrigen ist es<br />

manchmal sogar für die zuständigen Behörden schwer, den Überblick über sämtliche anhängigen<br />

auslän<strong>der</strong>- und asylrechtlichen Verfahren zu behalten und das führt eben allen plastisch vor Augen,<br />

dass sowohl die Rechtschutzmöglichkeiten als auch die Zahl <strong>der</strong> möglichen Instanzen nach Möglichkeit<br />

auf das nach Art. 19 Abs. 4 GG erfor<strong>der</strong>liche Maß eingeschränkt werden sollten.<br />

Die Koalition hat sich darauf verständigt, <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> <strong>Evaluierung</strong> zu prüfen ist, ob alle Sicherheitsfragen<br />

zufrieden stellend gelöst sind. Die bisherigen Informationen zeigen, dass die Län<strong>der</strong> in<br />

sehr unterschiedlichem Maße von den Neuregelungen Gebrauch machen. Und beson<strong>der</strong>s bei <strong>der</strong><br />

Beteiligung <strong>der</strong> Sicherheitsbehörden vor Erteilung eines Visums o<strong>der</strong> eines an<strong>der</strong>en Aufenthaltstitels<br />

wird <strong>der</strong> gesetzliche Spielraum von den Län<strong>der</strong>n unterschiedlich genutzt. Deshalb freue ich mich, dass<br />

Vertreter <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> und <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes für Migration und Flüchtlinge hier sind und zur Klärung <strong>der</strong><br />

Fragen beitragen können, ob hier weiterer gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht o<strong>der</strong> ob die<br />

Präzisierung einzelner Regelungen ausreichend ist.<br />

Sowohl einige Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> als auch europäische Nachbarstaaten haben in den letzten Monaten<br />

erneut gefor<strong>der</strong>t, zusätzliche Maßnahmen bei gefährlichen Auslän<strong>der</strong>n zu ergreifen, die nicht in ihre<br />

Herkunftslän<strong>der</strong> abgeschoben werden können. Ich habe das Thema schon gerade mit <strong>der</strong> Vorverlagerung<br />

<strong>der</strong> Strafbarkeit – bzw. mit dem Versuch einer solchen Überlegung – schon angesprochen. Die<br />

Vorschläge reichen von einer Verschärfung <strong>der</strong> Meldeauflagen, über die Verwendung von elektronischen<br />

Fußfesseln bis hin zur Sicherungsverwahrung. Und diese For<strong>der</strong>ungen werden insbeson<strong>der</strong>e<br />

natürlich <strong>im</strong> Zusammenhang mit ihrer völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Zulässigkeit diskutiert.<br />

Bei einem <strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> sollte <strong>der</strong> Schwerpunkt wohl eher auf Fragen <strong>der</strong> Notwendigkeit,<br />

<strong>der</strong> Effektivität, vielleicht auch <strong>der</strong> Kosten solcher Maßnahmen liegen.<br />

Ein weiteres, ebenso wichtiges und drängen<strong>des</strong> Problem – und bei diesen sind wir nach meiner Erinnerung<br />

auf den Punkt gekommen, uns die <strong>Evaluierung</strong> als Koalition vorzunehmen – sind die sog. Kettenduldungen<br />

und die For<strong>der</strong>ung nach einer allgemeinen Bleiberechtsregelung für über längere Zeiträume<br />

Geduldete.<br />

Die Innenminister <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> haben <strong>im</strong> Dezember 2005 eine Bleiberechtsregelung für seit Jahren<br />

Geduldete ausführlich erörtert. Ich hoffe, dass es vor Jahresende noch eine Einigung <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> in<br />

dieser Frage geben wird. Aber wir haben verabredet, dass wir die <strong>Evaluierung</strong> <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

abwarten, dass wir dies bis Mitte <strong>des</strong> Jahres zum Abschluss bringen und dass wir daraus die<br />

entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen. Wir haben dazu nicht schnell, aber dann doch durch<br />

gutes Zureden auch die teilweise zähneknirschende Zust<strong>im</strong>mung aller Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> erreicht und<br />

sollten also jetzt diese wichtige Vorarbeit leisten, um möglichst rasch voran zu kommen. Denn natürlich<br />

brauchen wir eine vernünftige Regelung und auch kein permanentes Provisorium und auch nicht<br />

ewig Streit darüber. Das alles hilft uns nicht weiter. Wir auch müssen zu einem Ergebnis kommen,<br />

möglichst zu einem Einvernehmen. Das jetzige Aufenthaltsgesetz sieht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis<br />

für eigentlich ausreisepflichtige Personen vor, wenn <strong>der</strong> Ausreise rechtliche o<strong>der</strong> tatsächliche<br />

Gründe entgegenstehen und nicht damit zu rechnen ist, dass dies in absehbarer Zeit wegfalle.<br />

Aber dabei wird natürlich vorausgesetzt, dass die freiwillige Ausreise nicht möglich ist und dass<br />

<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> das Ausreisehin<strong>der</strong>nis nicht selbst verschuldet hat. Selbst dann bleibt übrigens das<br />

Problem, wenn er 15 Jahre hier ist o<strong>der</strong> mit den Kin<strong>der</strong>n und Familienangehörigen. Aber daraus ergibt<br />

sich das Dilemma. Die Regelung hat jedenfalls nicht dazu geführt, Kettenduldungen in dem vom Gesetzgeber<br />

erhofften Umfang zu vermeiden und daher muss anhand <strong>der</strong> tatsächlichen Gegebenheiten<br />

und <strong>des</strong> Gesetzesvollzugs geklärt werden, was Ursache ist und wie Abhilfe geschaffen werden könnte.<br />

Beruht die fortlaufende Duldung darauf, dass die betroffenen Auslän<strong>der</strong>innen und Auslän<strong>der</strong> aus<br />

selbstverschuldeten Gründen nicht ausreisen können o<strong>der</strong> die Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise<br />

nicht nutzen o<strong>der</strong> liegen an<strong>der</strong>e Gründe vor? Und dabei müssen wir in <strong>der</strong> Tat ein beson<strong>der</strong>es Augenmerk<br />

auf die in Deutschland aufgewachsenen Kin<strong>der</strong> richten und ich hoffe – und viele hoffen das<br />

auch über diesen Raum hinaus – dass die <strong>Evaluierung</strong> dazu beitragen wird, eine vernünftige Lösung<br />

möglichst unstreitig zu finden. Ich will noch mal betonen: Wir müssen schon dabei bleiben, dass illegale<br />

Zuwan<strong>der</strong>ung grundsätzlich nicht belohnt werden darf. Wir verhielten uns sonst wi<strong>der</strong>sprüchlich.<br />

Der illegale Aufenthalt von Auslän<strong>der</strong>innen und Auslän<strong>der</strong>n ist aber auch darüber hinaus ein inzwischen<br />

auch bei uns intensiv diskutiertes Thema. An<strong>der</strong>e europäische Län<strong>der</strong> diskutieren das Thema<br />

seit längerem, haben seit längerem das Problem wahrgenommen. Wir kommen nicht darum


315<br />

herum, das auch in Deutschland stärker wahr zu nehmen. Die For<strong>der</strong>ungen gehen von <strong>der</strong> Entkr<strong>im</strong>inalisierung<br />

humanitär motivierter Hilfe über die Sicherstellung <strong>der</strong> Gesundheitsversorgung bis zu <strong>der</strong><br />

Einschränkung von Meldepflichten öffentlicher Stellen, um Illegalen einen anonymen Zugang zu öffentlichen<br />

Einrichtungen zu ermöglichen. Wir haben bisher nur wenige Erkenntnisse darüber, wie es<br />

tatsächlich in Deutschland ist, welche Rechtsauffassungen in <strong>der</strong> Praxis vorherrschen und welche<br />

Verurteilungen es wegen humanitärer Hilfe gibt o<strong>der</strong> welche Stellen sich zur Datenübermittlung verpflichtet<br />

sehen. Auch auf diese Fragen müssen wir Antworten finden.<br />

Meine Damen und Herren, Sie sehen, es sind eine Fülle von Facetten und Blickrichtungen, unter denen<br />

unser gelten<strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz beleuchtet werden muss. Dass sich die <strong>Rahmen</strong>bedingungen<br />

übrigens aufgrund <strong>des</strong> internationalen Geschehens ständig verän<strong>der</strong>n, macht die Aufgabe auch<br />

nicht leichter. Man kann laufenden Verän<strong>der</strong>ungen nur mit Rechtsvorschriften begegnen, die hinreichend<br />

flexible, also an die Situation angepasste Antworten bieten. Es geht also ganz grundsätzlich um<br />

die Frage, ob wir mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz und <strong>der</strong> dazu gehörigen Verwaltungspraxis bereits<br />

einen Stand erreicht haben, <strong>der</strong> die gebotene Klarheit und Berechenbarkeit mit <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen<br />

Flexibilität verbindet.<br />

Wie Sie sehen, gibt es reichlich zu tun, <strong>des</strong>wegen sollte ich zur Einführung auch nicht länger reden.<br />

Wir haben uns ein anspruchsvolles Programm für diese Tage vorgenommen. Ich darf allen, die an<br />

dieser Tagung sich beteiligen und aktiv mitwirken, herzlich danken.<br />

Meine Damen und Herren, in <strong>der</strong> fachlichen Relevanz <strong>der</strong> vielen Einzelfragen steckt insgesamt eine<br />

hohe Verantwortung für die innere Stabilität und Offenheit unserer freiheitlichen Ordnung, auch für die<br />

Menschlichkeit unserer Gesellschaft. Deswegen ist es eine wichtige Tagung und daher bedanke ich<br />

mich, dass Sie mitwirken, und wünsche uns allen gute Erkenntnisse und viel Erfolg.<br />

II. Einführung in die Thematik durch Herrn Abteilungsleiter Dr. Lehnguth<br />

Sehr geehrter Herr Minister, sehr geehrte Frau Staatsministerin Professor Böhmer, sehr geehrter Herr<br />

Parlamentarischer Staatssekretär Altmaier, meine Damen und Herren Abgeordnete, sehr geehrter<br />

Herr Präsident Dr. Schmidt, meine Damen und Herren. Ich möchte alle ebenfalls eingeladenen <strong>Praktiker</strong><br />

und unsere Gäste zum <strong>Erfahrungsaustausch</strong> herzlich willkommen heißen und Ihnen einige Erläuterungen<br />

zu <strong>der</strong> Veranstaltung heute und morgen, aber auch zum Ablauf <strong>der</strong> <strong>Evaluierung</strong> insgesamt<br />

zur Kenntnis bringen. Ich werde die Veranstaltung mo<strong>der</strong>ieren.<br />

Unser Anliegen ist es, den Sachverstand <strong>der</strong> <strong>Praktiker</strong> in die Bewertung <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

einfließen zu lassen, ein Feed-back zu <strong>der</strong> Anwendungspraxis zu erhalten.<br />

Dieser <strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> ist ein Teil <strong>der</strong> <strong>Evaluierung</strong> insgesamt, die sich in vier Teilschritten<br />

vollzieht:<br />

In einem ersten Teilschritt wurden die Erfahrungen <strong>der</strong> Innenminister <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Anwendung<br />

<strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes anhand eines einheitlichen Fragebogens abgefragt. Dieser umfasste<br />

Fragen:<br />

• zum Aufenthaltsgesetz in den Bereichen<br />

o Arbeitsmigration,<br />

o Aufenthalte ausländischer Studieren<strong>der</strong>,<br />

o Integrationskurse,<br />

o Innere Sicherheit,<br />

o Aufenthalt aus humanitären Gründen,<br />

o Familiennachzug,<br />

o zwangsweise Aufenthaltsbeendigung, und<br />

• zur Arbeit <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF),<br />

• zur Arbeit mit den vorläufigen Anwendungshinweisen <strong>des</strong> BMI,<br />

• zur Migrationserstberatung,<br />

• zum Freizügigkeitsgesetz/EU und schließlich auch


• zum Asylverfahrensgesetz,<br />

• zum Staatsangehörigkeitsrecht und<br />

• zum Bun<strong>des</strong>vertriebenengesetz.<br />

316<br />

Die Beauftragte <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>regierung für Migration, Flüchtlinge und Integration erhielt Gelegenheit zur<br />

Stellungnahme, ebenfalls wurden die Erfahrungen <strong>des</strong> Auswärtigen Amtes, <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>ministeriums<br />

für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>ministeriums für Arbeit und Soziales, <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes<br />

für Migration und Flüchtlinge, <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verwaltungsamtes und <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>polizei abgefragt.<br />

Darüber hinaus wurde auch den Nichtregierungsorganisationen und den Kirchen Gelegenheit zur<br />

Stellungnahme gegeben. Die Fragebögen werden <strong>der</strong>zeit von uns <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>innenministerium ausgewertet.<br />

Als zweiter Teilschritt erfolgt durch das Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge eine Analyse <strong>der</strong><br />

Rechtsprechung zum Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz anhand <strong>der</strong> Fragestellung, ob das vom Bun<strong>des</strong>gesetzgeber<br />

Gewollte sich in <strong>der</strong> Anwendungspraxis nie<strong>der</strong>schlägt. Die dritte Gewalt kann hier als Seismograph<br />

<strong>der</strong> Auswirkungen <strong>der</strong> gesetzgeberischen Tätigkeit in <strong>der</strong> Rechtswirklichkeit dienen.<br />

Als dritter Teilschritt werden die Integrationskurse selbst evaluiert. Hierfür haben wir die Firma Ramboll<br />

Management beauftragt, die in einigen Teilschritten vorgeht, zunächst eine Bestandsaufnahme<br />

macht, dann aber auch eine vertiefte Untersuchung durchführt. Diese wird auch darin bestehen, dass<br />

sie Analysen vor Ort macht, dass sie die Kursträger, insgesamt 1.600, befragt, prüft und auch die Verfahrenseffizienz<br />

untersucht, und Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren darlegt. Diese Ergebnisse werden<br />

durch eine internationale Vergleichsuntersuchung noch vertieft.<br />

Der vierte Teilschritt ist <strong>der</strong> <strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> an diesen beiden Tagen und es ist geplant,<br />

noch vor <strong>der</strong> parlamentarischen Sommerpause in diesem Jahr dem Bun<strong>des</strong>tag einen <strong>Evaluierung</strong>sbericht<br />

vorzulegen.<br />

Bei dieser Veranstaltung sollen sieben Themenkomplexe abgearbeitet werden, die ich nur kurz streifen<br />

möchte.<br />

Zunächst erörtern wir den Themenkomplex Arbeitsmigration und dabei legen wir insbeson<strong>der</strong>e<br />

Schwerpunkte auf<br />

- die Zusammenarbeit mit den Agenturen für Arbeit/One-stop-Government,<br />

- Selbständige,<br />

- Studenten und<br />

- die Beschäftigungserlaubnis bei Geduldeten und Asylbewerbern.<br />

Dann wenden wir uns dem Themenkomplex Innere Sicherheit/Terrorismusbekämpfung zu und<br />

diskutieren hier die sicherheitsrelevanten Normen <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes. Insbeson<strong>der</strong>e werden<br />

wir hier die Ausweisungen und Abschiebungen, die Maßnahmen <strong>der</strong> Überwachung ausgewiesener<br />

Auslän<strong>der</strong> aus Gründen <strong>der</strong> inneren Sicherheit und auch die Abschiebungsanordnung gemäß § 58a<br />

AufenthG, das neue Instrumentarium, streifen.<br />

Als dritter Themenkomplex steht <strong>der</strong> Aufenthalt aus humanitären Gründen einschließlich Asylverfahren,<br />

Bleiberechtsregelungen und Illegale auf <strong>der</strong> Tagesordnung.<br />

Hierbei soll das Augenmerk insbeson<strong>der</strong>e auf<br />

- <strong>der</strong> weiteren Beschleunigung <strong>des</strong> Asylverfahrens,<br />

- <strong>der</strong> nichtstaatlichen und geschlechtsspezifischen Verfolgung,<br />

- <strong>der</strong> Feststellung von Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen durch die Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

- die Zusammenarbeit mit dem BAMF und<br />

- die Problematik <strong>der</strong> Kettenduldungen<br />

liegen; aber auch die soziale und rechtliche Lage <strong>der</strong> Illegalen soll in diesem Bereich erörtert werden.<br />

Bei dem Thema Rückführung geht es darum, Möglichkeiten zur Beseitigung von Rückführungshin<strong>der</strong>nissen<br />

zu vertiefen. Es geht auch um Identitätsklärungen von Abzuschiebenden; hieran scheitern<br />

ja häufig Rückführungen.


317<br />

Das fünfte Thema ist dann Familiennachzug. Hier geht es um Ehegatten- und Kin<strong>der</strong>nachzug, aber<br />

auch um missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen, die nach unserem Dafürhalten doch seit einiger<br />

Zeit sich zahlenmäßig vergrößern.<br />

Be<strong>im</strong> Thema Spätaussiedler werden wir die Auswirkungen <strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>vertriebenengesetzes<br />

durch das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz diskutieren und schließlich werden wir den sechsten Themenkomplex<br />

Integration und Gesellschaft vertieft erörtern. Die Schwerpunkte dieses Themenkomplexes<br />

werden sein:<br />

- Sprachliche Integration, Verpflichtungserklärungen,<br />

- Integration <strong>im</strong> Arbeitsmarkt, Schnittstellenproblematik mit SGB II,<br />

- das bun<strong>des</strong>weite Integrationsprogramm sowie auch<br />

- die Integrationsleistungen <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>.<br />

Als letzter, siebter Themenkomplex wird das Staatsangehörigkeitsrecht behandelt werden. Hier<br />

werden wir insbeson<strong>der</strong>e auf die Erfahrungen mit <strong>der</strong> Regelanfrage und die Auswirkungen <strong>der</strong> verbesserten<br />

Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden und den Einbürgerungsbehörden sowie<br />

auch den Auslän<strong>der</strong>behörden und den Einbürgerungsbehörden besprechen und vertiefen.<br />

Noch ein Wort zum Verfahren:<br />

Zu jedem Themenkomplex werden die eingeladenen <strong>Praktiker</strong> eine kurze Einführung von jeweils etwa<br />

10 Minuten hinsichtlich ihrer Erfahrungen geben. Ich weiß, dass Sie uns Unterlagen übermittelt haben,<br />

die viel länger als 10 Minuten sind, und ich möchte Sie sehr bitten, dass Sie sich etwas konzentrieren.<br />

Wir werden dafür sorgen, dass Ihre Unterlagen alle eingeladenen Gästen zur Verfügung gestellt erhalten.<br />

Wir schließen dann an jede Fragenrunde eine Diskussion unter Beteiligung <strong>der</strong> Gäste an und von<br />

<strong>der</strong> gesamten Diskussion wird ein Wortprotokoll erstellt. Die Veranstaltung geht heute bis 21.30 Uhr.<br />

Morgen beginnen wir 8.30 Uhr und enden gegen 19.00 Uhr. Ich weiß, das ist ein ehrgeiziges Programm.<br />

Sollten sich zeitliche Verschiebungen ergeben, haben wir auch die Möglichkeit, die Veranstaltung<br />

am Samstag – meine Leute haben mir aufgeschrieben – auch am Sonntag fortzusetzen. Der<br />

Saal steht uns jedenfalls dann noch zur Verfügung und es wäre auch für die Verpflegung an beiden<br />

Tagen gesorgt. Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

III. Themenkomplex Arbeitsmigration<br />

1. Anmo<strong>der</strong>ation durch Herrn Dr. Lehnguth<br />

Wir kommen jetzt zum 1. Themenkomplex „Arbeitsmigration“.<br />

Hierzu möchte ich gerne die <strong>Praktiker</strong> bitten, am Podium Platz zu nehmen, und diese zunächst<br />

vorstellen, als erstes<br />

den Teamleiter in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit, Herrn Staible,<br />

dann die Vertreterin <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>vereinigung <strong>der</strong> Deutschen Arbeitgeberverbände, Frau<br />

Houben, ganz links außen von hier aus,<br />

dann den stellvertretenden Abteilungsleiter <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Stadt Hamburg, Herrn<br />

Bruhns,<br />

dann an <strong>der</strong> rechten Seite den stellvertretenden Hauptgeschäftsführer <strong>im</strong> DIHK, Herrn Dr.<br />

Dercks<br />

und vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Herrn Roßocha.<br />

Nur noch zwei Worte; ich will dann auch schnell enden. Wir haben in <strong>der</strong> Arbeitsmigration<br />

<strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz ja grundlegende Umgestaltungen erfahren. Auf <strong>der</strong> einen Seite<br />

bleibt <strong>der</strong> seit 1973 bestehende Anwerbestopp grundsätzlich bestehen, wenn auch in modifizierter<br />

Form. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ist die Zulassung Erwerbstätiger vor allem dadurch<br />

verän<strong>der</strong>t und verbessert worden, dass <strong>der</strong> Gesetzgeber erstmals genaue Voraussetzungen<br />

für Selbständige und Hochqualifizierte eingeführt hat. In verfahrensrechtlicher Hinsicht<br />

entscheiden über die Zulassung zum Aufenthalt und zur Erwerbstätigkeit nunmehr die Auslandsvertretungen<br />

und die Auslän<strong>der</strong>behörden allein durch einen einzigen Verwaltungsakt<br />

und wirkt die Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit nur noch in einem internen Zust<strong>im</strong>mungsverfahren<br />

mit.


2. Herr Staible<br />

318<br />

Über dieses sog. One-stop-Government möchten wir uns jetzt unterhalten und austauschen.<br />

Ich würde dann ganz gerne Herrn Staible bitten, das Wort zu ergreifen.<br />

Schönen Dank. Sehr geehrter Herr Minister Dr. Schäuble, meine sehr verehrten Damen<br />

und Herren.<br />

Es freut mich natürlich, dass ich als Vertreter <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur (BA) hier gleich als erster<br />

zu Ihnen zum Thema Arbeitsmigration sprechen darf. Vielleicht kurz zu meiner Person:<br />

Mein Name ist Andreas Staible und ich bin in <strong>der</strong> Zentrale <strong>der</strong> BA, also in Nürnberg, zuständig<br />

für den ordnungspolitischen Teil dieser Arbeitsmigrationsverfahren, das heißt, bei<br />

uns für die Frage, unter welchen Voraussetzungen lassen wir jemanden zum deutschen<br />

Arbeitsmarkt zu. Welche Verfahren sind dort zu beachten und wer prüft in diesen Verfahren<br />

was. Auch wir stellen uns natürlich o<strong>der</strong> haben uns die Frage gestellt, was das erste<br />

Jahr, ein gutes Jahr Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz, gebracht hat. Wobei hier vor allen Dingen von<br />

Interesse sein wird, was es denn gebracht hat für die beteiligten Behörden, also in erster<br />

Linie die Auslän<strong>der</strong>behörden, die Auslandsvertretungen, die Agenturen für Arbeit, was es<br />

gebracht hat für die Auslän<strong>der</strong> und was es für den Arbeitsmarkt gebracht hat.<br />

Ich beginne mal mit den beteiligten Behörden. Herr Dr. Lehnguth hat es eben angesprochen:<br />

Hier gibt es <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsrecht eine neue Form <strong>der</strong> Zusammenarbeit. Wir hatten<br />

bisher in getrennten Verfahren einerseits die Aufenthaltsgenehmigungen und auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite die Arbeitsgenehmigungen. Das ist jetzt zusammengefügt. Es gibt jetzt eine einzelne<br />

einheitliche Anlaufstelle für den Auslän<strong>der</strong>, das ist die Auslän<strong>der</strong>behörde, und es gibt<br />

einen Verwaltungsakt, die Aufenthaltsgenehmigung, die jetzt auch eine Aussage darüber<br />

trifft – und sie auch zu treffen hat – ob und in welchem Umfang die Erwerbstätigkeit erlaubt<br />

ist. Und das bedeutet für uns beide, die wir hier zusammen sitzen, dass die Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

und die Agentur für Arbeit an<strong>der</strong>s miteinan<strong>der</strong> kooperieren, als sie das in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

getan haben, nämlich <strong>im</strong> Wege eines internen Zust<strong>im</strong>mungsverfahrens, <strong>im</strong><br />

Wege <strong>des</strong> sog. One-stop-Government. Wie funktioniert das?<br />

Die Auslän<strong>der</strong>behörde ist gehalten, be<strong>im</strong> Auslän<strong>der</strong>, <strong>der</strong> bei ihr vorspricht, die Daten zu erheben,<br />

die dann die Agentur für Arbeit in die Lage versetzen sollen, dort die Entscheidung<br />

über die Arbeitsmarktzulassung zu treffen. Sie erhebt sie, sie leitet sie weiter an die zuständige<br />

Agentur für Arbeit und dort geschieht dann folgen<strong>des</strong>: Es wird dann geprüft, ob<br />

die materiellrechtlichen Voraussetzungen für diese Zulassungen erfüllt sind. Dort wird <strong>der</strong><br />

Arbeitsmarkt geprüft und dort wird dann eine verbindliche Entscheidung über die Arbeitsmarktzulassung<br />

getroffen. Insofern hat sich also an <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit<br />

durch das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz nichts Wesentliches geän<strong>der</strong>t. Diese Rolle ist unverän<strong>der</strong>t<br />

geblieben. Bislang funktionierte dieses Verfahren in einem Vordruckverfahren, also per<br />

Brief o<strong>der</strong> per Fax. Es gibt einen Vordruck, den wir zusammen mit den Innenverwaltungen,<br />

mit einigen Innenverwaltungen jedenfalls, entwickelt haben und die spannende Frage die<br />

ja hier jetzt interessiert, ist die Frage: Ist das nun ein geeignetes Verfahren o<strong>der</strong> kommt es<br />

hier zu Reibungsverlusten bzw. zu Verzögerungen? Und die Antwort ist: Natürlich kommt<br />

es zu Reibungsverlusten und zu Verzögerungen auf beiden Seiten. Natürlich gibt es auf<br />

beiden Seiten gerade in <strong>der</strong> Anfangsphase <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> Rückfragen, die geklärt werden<br />

müssen. Natürlich gibt es von einzelnen Agenturen Klagen, die geführt werden, etwa dass<br />

Anfragen von Auslän<strong>der</strong>behörden unvollständig o<strong>der</strong> zu spät o<strong>der</strong> stets dann mit „eilt sehr“<br />

versehen werden. Aber das sind aus unserer bun<strong>des</strong>weiten Kenntnis Einzelfälle. In <strong>der</strong><br />

Gesamtschau, um für die Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit zu sprechen, hat sich dieses Verfahren<br />

als machbar erwiesen. Der weit überwiegende Teil unserer Agenturen berichtet, dass die<br />

Kooperation mit den Auslän<strong>der</strong>behörden reibungslos und effektiv verläuft, und wir haben –<br />

so unser Kenntnisstand – keine nennenswerten Einbußen bei Qualität o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Schnelligkeit<br />

<strong>des</strong> Verfahrens. Hier – das muss man auch feststellen – ist vieles dem Engagement<br />

<strong>der</strong> Akteure vor Ort geschuldet, die sich nach meiner Kenntnis schon frühzeitig zusammengesetzt<br />

haben und auch jetzt <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> in Arbeitskreisen zusammensitzen und<br />

dort versuchen, regelmäßig zusammenzusitzen, zusammenzuarbeiten und die Streitfragen


319<br />

klären. Also aus Sicht <strong>der</strong> BA hat sich das Verfahren bewährt, obgleich man anerkennen,<br />

eingestehen muss, dass die Belastungseffekte durch das neue Verfahren für die Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

an<strong>der</strong>s sind als für die Agenturen für Arbeit. Künftig wollen wir das Verfahren<br />

weiter verbessern. Es wird dann zwar nicht gleich von einem mal auf das an<strong>der</strong>e das Faxverfahren<br />

abgeschafft werden, aber wir wollen das Verfahren dahingehend verbessern,<br />

dass wir es web-basiert durchführen. Dafür werden wir das Visa-Online-Portal nutzen. Die<br />

Pilotierung und die Ingangsetzung, also jedenfalls die Pilotierung, erfolgt noch in 2006 und<br />

wir wollen das eigentlich auch in 2006 so fertig haben. Das würde dann bedeuten, dass<br />

durch dieses Zust<strong>im</strong>mungsverfahren die Anfragen noch einfacher transportiert werden<br />

können, nämlich aus einer EDV heraus in die an<strong>der</strong>e hinein, wie das jetzt schon bei den<br />

Visaverfahren <strong>der</strong> Fall ist.<br />

Nächste Frage, nächster Punkt:<br />

Was hat das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz jetzt für den deutschen Arbeitsmarkt gebracht? Die<br />

substantiellen Än<strong>der</strong>ungen bei den Zulassungsmöglichkeiten, wenn Sie so wollen, sind ja<br />

relativ schnell aufgezählt. Es handelt sich vor allem um das Aufenthaltsrecht für Studenten<br />

in § 16 Abs. 4 AufenthG, um die Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis für Hochqualifizierte <strong>im</strong> § 19<br />

AufenthG und um die Aufenthaltserlaubnis für Selbständige in § 21 AufenthG.<br />

Aus den beiden letztgenannten Regelungen wird deutlich, dass die Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit<br />

keinen Gesamtüberblick über das Arbeitsmigrationsgeschehen in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik<br />

Deutschland mehr hat. Warum ist das so? Über die Selbständigen und auch über die<br />

Hochqualifizierten beispielsweise nach § 19 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 3 <strong>der</strong> Beschäftigungsverordnung<br />

entscheiden die Auslän<strong>der</strong>behörden allein. Diese Tatbestände sind zust<strong>im</strong>mungsfrei.<br />

Aber auch bei den zust<strong>im</strong>mungspflichtigen Sachverhalten, also dort, wo wir<br />

die Zust<strong>im</strong>mung erteilen, wissen wir nur, ob wir eine Zust<strong>im</strong>mung erteilt haben. Wir wissen<br />

aber nicht, ob <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> auch einen Titel bekommen hat, ob er diesen Titel heute noch<br />

hat und ob er sich zur Beschäftigung noch in Deutschland aufhält o<strong>der</strong> nicht. Solche Daten<br />

haben wir <strong>im</strong> Wesentlichen nur dort, wo die Agentur, wo die Bun<strong>des</strong>agentur noch titelerteilende<br />

Stelle ist, sprich: bei den Beitrittsstaaten während <strong>der</strong> Übergangsfristen, bei den EU<br />

8. Dort erteilen wir nach wie vor die Arbeitsgenehmigungen-EU und wi<strong>der</strong>rufen sie auch in<br />

den entsprechenden Fällen. Das ist – so muss man sagen – nach wie vor die größte Gruppe<br />

<strong>der</strong> Arbeitsmigration, <strong>der</strong> weit überwiegende Teil kommt also aus den EU-8 und wird<br />

weiterhin, da die Auslän<strong>der</strong>behörden hier nur <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> Freizügigkeitsgesetzes/EU<br />

eine Funktion haben, eben was die Arbeitsmarktzulassung angeht, weitgehend von <strong>der</strong><br />

Agentur für Arbeit bedient. Das bewirkt also eine unzureichende Datenlage. Und auch für<br />

die Daten <strong>der</strong> BA, also für die, die wir jetzt aus unseren Systemen erheben, gilt, dass die<br />

für dieses Jahr zunächst einmal validiert werden müssen, weil auch wir gravierende Umstellungen<br />

bei unserer eigenen IT hatten, so dass man das sehr genau beobachten muss.<br />

Was wir haben sind Anhaltspunkte. Wir haben Anhaltspunkte z.B. über den § 27 Beschäftigungsverordnung,<br />

also die Zulassung zu qualifizierten Berufen. Und das dieser § 27 Beschäftigungsverordnung<br />

genutzt wird. Er wird einmal genutzt <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Ziff. 1 für die<br />

Zulassung von IT-Fachkräften. Das ist ja jetzt die Nachfolge <strong>der</strong> abgelösten Green Card-<br />

Regelung und da haben wir momentan bei unserer Auszählung jedenfalls über 2.000 Zust<strong>im</strong>mungen.<br />

Das ist ungefähr die Kontinuität mit <strong>der</strong> Green Card. Sie lässt sich jedenfalls<br />

dazu herstellen. Wir haben darüber hinaus Zulassungen für Fachkräfte <strong>im</strong> öffentlichen Interesse<br />

und für die Studienabsolventen in etwas geringerer Zahl. Was haben wir noch für<br />

Anhaltspunkte? Wir haben Anhaltspunkte, dass <strong>der</strong> § 39 Abs. 6 AufenthG nicht genutzt<br />

wird. § 39 Abs. 6 AufenthG erlaubt die Zulassung von Staatsangehörigen <strong>der</strong> EU-8, <strong>der</strong><br />

Beitrittsstaaten, zu einer qualifizierten Beschäftigung in Deutschland allein unter <strong>der</strong> Voraussetzung,<br />

dass hier <strong>der</strong> Arbeitsmarkt und die Arbeitsbedingungen geprüft werden. Dieses<br />

Medium wird zurückhaltend genutzt, es ist möglicherweise noch unbekannt, weitgehend<br />

unbekannt.<br />

Nächster Punkt: Än<strong>der</strong>ungsbedarfe:<br />

Zunächst was das Zusammenspiel <strong>der</strong> Agenturen mit den Auslän<strong>der</strong>behörden anbelangt.<br />

Es gibt einzelne Tatbestände, da ist bisweilen unklar, wer über was entscheidet. Beispielsweise<br />

die Zulassung <strong>im</strong> öffentlichen Interesse in § 18 Abs. 4 Satz 2 AufenthG. Nun<br />

ist das öffentliche Interesse sicherlich eine Gemengelage von verschiedenen Belangen, es<br />

ist aber, da es sich um eine Arbeitsmarktzulassung handelt, auch jedenfalls <strong>der</strong> Arbeitsmarkt<br />

berührt und ein zu gewichten<strong>der</strong> Belang, d.h. die Zulassungen unter dieser Hausnummer<br />

sollten nicht ohne Beteiligung <strong>der</strong> BA erfolgen. Darüber hinaus gibt es hier und da


320<br />

Unklarheiten über die Frage, ob die Zulassung zust<strong>im</strong>mungsfrei erfolgen kann o<strong>der</strong> ob sie<br />

nun zust<strong>im</strong>mungspflichtig ist. Auch hier gilt. Im Zweifel sollte die BA eingeschaltet werden,<br />

sollte rückgefragt werden. Ob man das aber unbedingt <strong>im</strong> Gesetz klarstellen o<strong>der</strong> ob man<br />

darauf <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Verwaltungsvorschriften hinweisen sollte hinweist, die Frage stellt<br />

sich noch.<br />

Letzter Punkt: Arbeitsmarkt<br />

Brauchen wir neue o<strong>der</strong> brauchen wir an<strong>der</strong>e Zulassungstatbestände. Nach meiner Auffassung:<br />

Zum heutigen Zeitpunkt nicht. Und warum ist das so? Das ist einmal natürlich<br />

wegen <strong>der</strong> anhaltenden Unterbeschäftigung in Deutschland <strong>der</strong> Fall und in den Fällen, wo<br />

wir Zuwan<strong>der</strong>ung brauchen, also bei den Hochqualifizierten, bei den Fachkräften, wo wir<br />

auch ein Stück wie<strong>der</strong> darauf angewiesen sein werden, dort gilt es aus meiner Sicht, jedenfalls<br />

zunächst einmal das vorhandene Instrumentarium zu nutzen und weiter mit Leben<br />

zu füllen, als das bislang <strong>der</strong> Fall ist. Neben den bereits genannten Vorschriften ist die Beschäftigung<br />

nach § 19 Abs. 2 AufenthG zust<strong>im</strong>mungsfrei; nach dem Absatz 1 dieser Vorschrift<br />

gibt es auch eine Beteiligungs- und Zulassungsmöglichkeit <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für<br />

Arbeit, also eine Zust<strong>im</strong>mungsmöglichkeit.<br />

Und damit möchte ich meine Ausführungen an dieser Stelle beenden und danke für Ihre<br />

Aufmerksamkeit.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Staible. Nun erteile ich Herrn Bruhns, dem Leiter <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>abteilung<br />

<strong>der</strong> Stadt Hamburg, das Wort.<br />

3. Herr Bruhns<br />

Sehr geehrter Herr Minister, sehr geehrte Damen und Herren. Ich möchte mich auch für<br />

die Einladung zunächst bedanken. Die Veranstaltung ist eine gute Möglichkeit über die Erfahrungen<br />

aus <strong>der</strong> Praxis zu berichten. Ich werde versuchen, abweichend von meinem<br />

Protokoll, ein bisschen Ihren Wink mit dem Zaunpfahl beachtend, etwas aufs Tempo zu<br />

drücken.<br />

Das Auslän<strong>der</strong>recht ist mit <strong>der</strong> stetigen Zunahme <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung und mit <strong>der</strong> zunehmenden<br />

Einbindung in Gemeinschaftsrecht zu einem komplexen Rechtsgebiet geworden,<br />

das <strong>im</strong>merhin jetzt in die Lebensverhältnisse von gut 15 % <strong>der</strong> Wohnbevölkerung eingreift.<br />

Der größte Teil <strong>der</strong> hier aufhältigen Auslän<strong>der</strong> ist entwe<strong>der</strong> bemüht o<strong>der</strong> strebt jedenfalls<br />

an, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu sichern. Insofern haben diese Regelungen<br />

auch eine erhebliche Bedeutung. Wir hatten <strong>im</strong> Vorfeld <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

hierüber schon vielfach gesprochen. Viele Fragen haben sich aber auch jetzt erst ergeben.<br />

Gerade in so einem Kurzbeitrag kann man naturgemäß nicht alle Fragen erschöpfend erörtern.<br />

Ich werde also versuchen, ein bisschen auf die Dinge einzugehen, die sich für mich<br />

aus den Erfahrungen <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde eines Stadtstaates ergeben, <strong>der</strong> zum jetzigen<br />

Zeitpunkt in etwa 270.000 Auslän<strong>der</strong>innen und Auslän<strong>der</strong> zu betreuen hat. Generell wird<br />

von den Anwen<strong>der</strong>n die Glie<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes in die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen<br />

und in die Spezifikation für best<strong>im</strong>mte Aufenthaltszwecke positiv<br />

bewertet. Die Zwecke sind <strong>im</strong> Vergleich zum früheren Gesetz trotz <strong>der</strong> geringeren Zahl von<br />

Aufenthaltstiteln dennoch etwas deutlicher geworden. Es hat sich auch als vorteilhaft erwiesen,<br />

dass je<strong>der</strong> Aufenthaltstitel zwingend eine konkrete Aussage enthalten muss zur<br />

Erlaubnis <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit. Das dient in erster Linie natürlich zur Klarheit für den Inhaber<br />

<strong>des</strong> Aufenthaltstitels, also für die betroffen Auslän<strong>der</strong>innen und Auslän<strong>der</strong>; es erleichtert<br />

aber auch die Einschätzung <strong>der</strong> Möglichkeiten für dritte, wie etwa potentielle Arbeitgeber<br />

o<strong>der</strong> auch Geschäftspartner <strong>im</strong> Bereich von selbständiger Erwerbstätigkeit. Bei Kontrollen<br />

<strong>im</strong> Bereich zur Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung ist damit<br />

auch eine Vereinfachung eingetreten. Die mit diesen vielen Aufenthaltstiteln schon von<br />

Gesetzes wegen verbundene Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung o<strong>der</strong> insgesamt<br />

<strong>der</strong> Erwerbstätigkeit macht einerseits die Rechtslage für die Betroffenen transparent und<br />

die Behördenentscheidung vorhersehbar. An<strong>der</strong>erseits begrenzt sie auch die Notwendigkeit<br />

für die Auslän<strong>der</strong>behörden, zur Klärung noch die Beteiligung <strong>der</strong> Arbeitsverwaltung<br />

einzuleiten. Da gerade die von <strong>der</strong> gesetzlichen Erlaubnis erfassten Fallgestaltungen die


321<br />

absolute Mehrheit ausmachen, würde eine Beteiligung <strong>der</strong> Arbeitsverwaltung ansonsten<br />

bei beiden Behörden auch die Kapazitäten völlig überfor<strong>der</strong>n. Soweit mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedürfnisse durch differenzierte<br />

und bedarfsgerechte Steuerung <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung berücksichtigt werden sollen, begrenzt<br />

allerdings diese gesetzliche Erlaubnis <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit aus unserer Sicht die Steuerungsmöglichkeiten<br />

insbeson<strong>der</strong>e hinsichtlich <strong>des</strong> Zugangs zum Arbeitsmarkt. Sie können<br />

auch einen Missbrauch nicht ausschließen. Denn <strong>der</strong> Anreiz und die Möglichkeit, die eigentlich<br />

beabsichtigte Aufnahme einer Beschäftigung aufenthaltsrechtlich dadurch zu erlangen,<br />

dass Motive vorgeschoben werden, die zur Erteilung eines solchen an<strong>der</strong>en, die<br />

Erwerbstätigkeit gesetzlich erlaubenden Aufenthaltstitels führen, sind weiterhin gegeben.<br />

Die Steuerungsmöglichkeiten bestehen nach wie vor nur da, wo insbeson<strong>der</strong>e die Einreise,<br />

aber auch <strong>der</strong> Wechsel <strong>des</strong> Aufenthaltszwecks erklärtermaßen zur Aufnahme <strong>der</strong> Beschäftigung<br />

o<strong>der</strong> Ausbildung führen soll und die Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit mit <strong>der</strong> dort vorhandenen<br />

Sachkunde an <strong>der</strong> Entscheidung beteiligt ist und damit auch Einfluss auf die Aufenthaltsgewährung<br />

hat. Hier kann übergeleitet werden zu <strong>der</strong> Bewertung <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

mit den Arbeitsagenturen. Die Erfahrungen in <strong>der</strong> Praxis, und da st<strong>im</strong>me ich Herrn<br />

Staible voll zu, sind auch aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde durchweg sehr positiv. Die<br />

schon vor dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz bestehenden guten Verbindungen und seit Jahren<br />

gepflegten, persönlichen Kontakte mit <strong>der</strong> Arbeitsagentur haben es in Hamburg bereits <strong>im</strong><br />

Vorfeld und jetzt <strong>im</strong> laufenden Betrieb ermöglicht, Absprachen zu Verfahrensweisen und<br />

zur Kommunikation zu treffen, die sich als zeitsparend und arbeitserleichternd beweisen.<br />

Gemeinsame und gegenseitige Schulungsmaßnahmen haben dazu ebenfalls erheblich<br />

beigetragen. Aus <strong>der</strong> Praxis wird aber auch <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Wunsch vorgetragen, die<br />

Kommunikation zwischen Auslän<strong>der</strong>behörden und Arbeitsverwaltungen durch einen elektronischen<br />

Datenaustausch o<strong>der</strong> Datenverbund zu erleichtern und zu beschleunigen. Vorzugsweise<br />

wird dabei an die Möglichkeit gedacht, aus vorhandenen Datensystemen bei<br />

beiden Seiten mit <strong>der</strong> jeweils an<strong>der</strong>en Dienststelle zu kommunizieren. Die Einsparung von<br />

Postlaufzeiten, vor allen Dingen Vermeidung von Zuordnungsfehlern und Aufwand für Datenerfassung<br />

und -ergänzung, käme dabei Verwaltung und Antragstellern gleichermaßen<br />

zugute. Soweit datenschutzrechtliche Best<strong>im</strong>mungen sich hier hin<strong>der</strong>lich auswirken, richtet<br />

sich auch ein Appell an die Politik, die <strong>Rahmen</strong>bedingungen insoweit zu verbessern o<strong>der</strong>,<br />

wo notwendig, zu schaffen. Die technischen Möglichkeiten kann die Verwaltung gestalten.<br />

Aus hamburger Sicht kann dabei auch die Bereitschaft bestätigt werden, an dem ins Auge<br />

gefassten Pilotprojekt mit <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur weiter aktiv mitzuwirken. Mittelfristig muss<br />

aus unserer Sicht auch daran gearbeitet werden, die Auslandsvertretungen in solche<br />

Kommunikationsstrukturen einzubeziehen, spielen sie doch wegen <strong>der</strong> Visumerteilung <strong>im</strong><br />

gesamten Ablauf <strong>des</strong> Verfahrens auch eine wichtige Rolle. Das Zusammenwirken mit <strong>der</strong><br />

Arbeitsagentur steht auch in engem Zusammenhang mit <strong>der</strong> <strong>im</strong> Aufenthaltsrecht erstmalig<br />

vorgenommenen Umsetzung <strong>des</strong> sog. One-stop-Government. Aus Sicht <strong>der</strong> Antragsteller,<br />

soweit wir sie erfahren, ist dieser Vorteil in den Fällen spürbar, in denen wegen <strong>der</strong> gesetzlichen<br />

Erlaubnis <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit die Auslän<strong>der</strong>behörde den Aufenthaltstitel ohne weitere<br />

Rückfragen erteilen kann. In Beteiligungsfällen gilt dies weniger. Da die Beteiligung<br />

<strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agenturen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Arbeitsagenturen auch bei guter Zusammenarbeit zwangsläufig<br />

einen gewissen Zeitaufwand zur Folge hat, muss den Antragstellern eine vorläufige<br />

Bescheinigung nach § 81 AufenthG ausgestellt werden. Ein erneutes Vorsprechen zur<br />

Ausstellung <strong>des</strong> Aufenthaltstitels bleibt erfor<strong>der</strong>lich. One-stop bedeutet hier also nur eine<br />

Behörde, nicht aber Zeitgewinn. Insgesamt ist aber die Neuregelung von den Auslän<strong>der</strong>innen<br />

und Auslän<strong>der</strong>n <strong>im</strong> gesicherten Aufenthalt durchweg akzeptiert und überwiegend, jedenfalls<br />

soweit sie es mit dem früheren System vergleichen konnten, auch begrüßt worden.<br />

An<strong>der</strong>s stellt sich die Auswirkung <strong>des</strong> sog. One-stop-Governments bei den geduldeten Personen<br />

und den Asylbewerbern dar. Hier ist zunächst festzustellen, dass sich nicht zuletzt<br />

wohl durch die Einführung <strong>des</strong> Arbeitslosengel<strong>des</strong> 2 die Bewerberlage für die bisher für<br />

diesen Personenkreis typischerweise nachgefragten Arbeitsplätze deutlich geän<strong>der</strong>t hat.<br />

Fanden sie früher noch Arbeiten, die schmutzig, schlecht bezahlt o<strong>der</strong> zeitlich ungünstig<br />

und <strong>des</strong>halb für an<strong>der</strong>e, Deutsche und privilegierte Auslän<strong>der</strong>, nicht interessant waren, sehen<br />

sie sich nun <strong>der</strong> Konkurrenz eben dieser Personen gegenüber, die selbst auch unter<br />

einem höheren Druck zur Annahme solcher Arbeiten stehen. Diese Bewerber haben zudem<br />

aus Sicht <strong>der</strong> Arbeitgeber den Vorteil, dass sie ohne weitere bürokratische Notwendigkeiten<br />

beschäftigt werden können. Inhaber von Duldungen und Aufenthaltsgestattungen<br />

hingegen müssen auch noch die aufenthaltsrechtliche Erlaubnis einholen. Diese Än<strong>der</strong>ung


322<br />

<strong>der</strong> Situation hat dazu geführt, dass sich die Beschäftigungsmöglichkeiten <strong>im</strong> Wesentlichen<br />

auf die Branchen Gastronomie und Reinigungsgewerbe reduziert haben.<br />

Nach <strong>der</strong> alten Rechtslage konnte allgemein aufenthaltsrechtlich die Erlaubnis zur Aufnahme<br />

einer Beschäftigung von <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde gegeben werden; die konkrete Erlaubnis<br />

zur Aufnahme <strong>der</strong> angestrebten Beschäftigung wurde von <strong>der</strong> Arbeitsverwaltung<br />

geprüft und erteilt. Damit bestand die Möglichkeit, bei Än<strong>der</strong>ungen <strong>des</strong> Arbeitplatzes, <strong>des</strong><br />

Arbeitgebers, <strong>der</strong> Arbeitszeiten u. ä. unabhängig von <strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>behördlichen Entscheidung<br />

unmittelbar die sachkundige Behörde, nämlich die Arbeitsagentur, anzusprechen.<br />

Ohne die Unternehmen <strong>der</strong> genannten Branchen unter Generalverdacht stellen zu wollen,<br />

ist nach den Meldungen in den Medien und den Mitteilungen von Ermittlungsbehörden <strong>der</strong><br />

Eindruck wohl nicht ganz unberechtigt, dass gerade hier hinsichtlich <strong>der</strong> Arbeitsbedingungen<br />

und <strong>der</strong> Einhaltung tarif- und arbeitsschutzrechtlicher Best<strong>im</strong>mungen eine gewisse<br />

Sorgfalt und Sachkenntnis bei <strong>der</strong> Beurteilung <strong>der</strong> Arbeitsverhältnisse nicht verzichtbar<br />

sind. Eben diese Sachkenntnis ist in den Arbeitagenturen vorhanden; es war daher häufig<br />

möglich, sogleich über die Erteilung <strong>der</strong> Arbeitserlaubnis zu entscheiden o<strong>der</strong> bei nicht<br />

ausreichenden Angaben <strong>der</strong> Arbeitgeber diese sogleich nachzufor<strong>der</strong>n und zu einer zeitnahen<br />

Entscheidung zu kommen.<br />

Die Stellung <strong>der</strong> Anträge auf Erlaubnis solcher Beschäftigungen bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

und das anschließende Zust<strong>im</strong>mungsverfahren führen nun aber zu einer Verfahrensdauer,<br />

die nach den bisherigen Erfahrungen nicht selten zur Folge hat, dass <strong>der</strong> potentielle Arbeitgeber<br />

die Geduld verliert und eine an<strong>der</strong>e Person einstellt. Da diese Gefahr auch den<br />

Antragstellern, den Auslän<strong>der</strong>n, mittlerweile durchaus bewusst ist, kommt es zunehmend<br />

zu Mehrfachanträgen o<strong>der</strong> Anträgen „auf Vorrat“, zumeist in <strong>der</strong> Hoffnung, zumin<strong>des</strong>t mit<br />

einem Antrag durchzudringen. Dies n<strong>im</strong>mt die Kapazitäten bei Auslän<strong>der</strong>behörden und Arbeitsagentur<br />

unnötig in Anspruch und erhöht die Verfahrensdauer. Dies setzt letztlich einen<br />

Teufelskreis in Gang, <strong>der</strong> den Erfolg <strong>der</strong> Neuregelung in diesem Bereich in Frage stellt.<br />

In Hamburg wird in Absprache <strong>der</strong> beiden Behörden schon versucht, das Verfahren insofern<br />

zu vereinfachen, als wenigstens in Fällen <strong>der</strong> reinen Verlagerung <strong>der</strong> ansonsten gleich<br />

bleibenden Arbeitszeiten o<strong>der</strong> einfachen Wechsels <strong>des</strong> Einsatzortes bei gleich bleibendem<br />

Arbeitgeber und gleicher Arbeitszeit eine Beteiligung <strong>der</strong> Arbeitsagentur nicht mehr erfolgt,<br />

son<strong>der</strong>n die Auslän<strong>der</strong>behörde diese Än<strong>der</strong>ungen selbst vorn<strong>im</strong>mt; eine Information <strong>der</strong><br />

Arbeitsagentur bleibt aber erfor<strong>der</strong>lich und die angesprochenen Kapazitätsverluste werden<br />

dadurch jedenfalls nicht entscheidend vermin<strong>der</strong>t.<br />

Aus <strong>der</strong> Praxis würde es daher begrüßt, wenn die Entscheidung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

wie<strong>der</strong> darauf beschränkt werden könnte, die auslän<strong>der</strong>rechtlichen Voraussetzungen für<br />

die Arbeitaufnahme festzustellen, also die Erfüllung <strong>der</strong> Wartezeit von einem Jahr nach<br />

§ 61 Abs. 2 AsylVfG o<strong>der</strong> § 10 BeschVerfV sowie das Nichtvorliegen <strong>der</strong> selbstverschuldeten<br />

Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse nach § 11 BeschVerfV. Diese Voraussetzungen sollten in<br />

Duldung o<strong>der</strong> Aufenthaltsgestattung vermerkt werden. Bei <strong>der</strong> beschriebenen besseren<br />

Sachkunde <strong>der</strong> Arbeitsagenturen wäre es sinnvoll, wenn diese den arbeitserlaubnisrechtlichen<br />

Teil entschieden und in dem auch jetzt schon benutzten Beiblatt vermerkten. Bei Än<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Arbeitszeiten o<strong>der</strong> <strong>des</strong> Arbeitgebers o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Tätigkeit sollten die Arbeitsagenturen<br />

dann auch direkter Ansprechpartner und Entscheidungsträger sein. Es ließe<br />

sich so für die Verwaltung ein erheblicher Zeitgewinn mit Einsparung von Arbeitsaufwand<br />

erreichen, ohne die Qualität <strong>der</strong> Entscheidung und die Überwachungsintensität zu verschlechtern.<br />

Für die Betroffenen und die Arbeitgeber wäre ein Plus an Planungssicherheit<br />

und Flexibilität erreicht.<br />

Ein weiterer bemerkenswerter Paradigmenwechsel <strong>im</strong> Auslän<strong>der</strong>recht ist eingetreten durch<br />

die Neuregelung für erfolgreiche Studienabsolventen. Da früher ihr Aufenthalt als Maßnahme<br />

<strong>der</strong> Entwicklungshilfe betrachtet wurde, war es nur folgerichtig, nach erfolgreichem<br />

Abschluss <strong>der</strong> Ausbildung die Rückkehr in den Herkunftsstaat durchzusetzen, um die Anwendung<br />

<strong>des</strong> Erlernten zugunsten <strong>der</strong> Herkunftsstaaten zu erreichen. Nachdem sich diese<br />

Erwartung aber zunehmend nicht mehr erfüllte und die Absolventen, statt in die Herkunftslän<strong>der</strong><br />

zurückzukehren, vorzugsweise ihre in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik erlangte Qualifikation in<br />

an<strong>der</strong>en westlichen Län<strong>der</strong>n zum Aufbau einer Karriere nutzten, war es konsequent, <strong>im</strong>


323<br />

„Wettbewerb um die besten Köpfe“ solchen erfolgreichen und Erfolg versprechenden<br />

Nachwuchskräften auch Beschäftigung und Verbleib in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik zu ermöglichen.<br />

In <strong>der</strong> Praxis wird diese Möglichkeit häufig in Anspruch genommen, nach kursorischem<br />

Überblick beson<strong>der</strong>s von Absolventen technischer Fächer. In Zusammenhang mit<br />

<strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> einjährigen Suche nach einem adäquaten Arbeitsplatz kann auch in <strong>der</strong><br />

praktischen Umsetzung dieser Neuerung von einem Erfolg ausgegangen werden.<br />

Dieser neuen Zielvorstellung und ihrem Erfolg ist aber auch geschuldet, den grundsätzlichen<br />

Ausschluss eines Wechsels <strong>im</strong> Aufenthaltszweck durchzusetzen und den <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong><br />

auftretenden Versuchen zu wehren, aus einer zunächst begonnenen Ausbildung, beson<strong>der</strong>s<br />

auf einfacherem Niveau, in eine Erwerbstätigkeit zu wechseln, unter Aufgabe <strong>des</strong><br />

eigentlichen Ausbildungsziels.<br />

Eine jedenfalls in Hamburg zu beobachtende Häufung von Fällen, in denen beson<strong>der</strong>s chinesische<br />

Sprachkursteilnehmer und Studenten versuchen, ohne auch nur ansatzweise Erfolge<br />

in ihrer Ausbildung nachweisen zu können, in eine selbständige Tätigkeit o<strong>der</strong> Tätigkeit<br />

als Geschäftsführer eher fragwürdiger Kleinunternehmen zu wechseln, hat mittlerweile<br />

bei den Auslän<strong>der</strong>dienststellen und den Kammern zu Besorgnis geführt.<br />

Von hier ist <strong>der</strong> Bogen zu schlagen zu einer Betrachtung <strong>der</strong> neuen Regelungen für die<br />

Selbständigen: Schon in den ersten Erörterungen <strong>der</strong> Entwürfe zum Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

war aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Praxis Skepsis geäußert worden, ob die Anfor<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Nachweises<br />

einer Investitionssumme von min<strong>des</strong>tens einer Million Euro plus <strong>der</strong> Schaffung von<br />

min<strong>des</strong>tens zehn Arbeitsplätzen ein geeigneter Maßstab für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis<br />

wäre.<br />

Eine zwar nicht völlig repräsentative, aber gleichwohl beeindruckende Umfrage be<strong>im</strong> <strong>Erfahrungsaustausch</strong><br />

<strong>der</strong> großen Auslän<strong>der</strong>behörden <strong>im</strong> Oktober 2005 hat dann ergeben,<br />

dass es praktisch nirgendwo zu einer Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis gekommen ist an<br />

Personen, von denen die genannte Anfor<strong>der</strong>ung erfüllt wurde.<br />

Es muss befürchtet werden, dass diese Vorgabe, mag sie unter wirtschaftspolitischen Aspekten<br />

auch sinnvoll und berechtigt sein, mangels tatsächlich eintreten<strong>der</strong> Anwendungsfälle<br />

auslän<strong>der</strong>rechtlich weitgehend leer läuft. Es dürfte eher einer politischen als einer auslän<strong>der</strong>behördlichen<br />

Bewertung unterliegen, ob bei dieser bisher eingetretenen und weiter<br />

erwarteten Folge diese Regelung jedenfalls in <strong>der</strong> aktuellen Form sinnvoll ist.<br />

Die Wirkung <strong>der</strong> strengen Vorgabe geht aber noch über den beschriebenen Umfang hinaus,<br />

wenn die genannten Voraussetzungen, wie sie wohl <strong>der</strong>zeit vom BMI interpretiert<br />

werden, zugleich auch für die nach dem Gesetz möglichen Ausnahmen aus Gründen eines<br />

übergeordneten wirtschaftlichen Interesses o<strong>der</strong> regionalen Bedürfnisses als Bewertungsmaßstab<br />

wie<strong>der</strong>eingeführt werden. Dann kann und wird es auslän<strong>der</strong>rechtlich nur noch in<br />

sehr eingeschränktem Maße zur Gewährung eines Aufenthaltsrechtes kommen können für<br />

Personen, die sich hier als Selbständige nie<strong>der</strong>lassen möchten.<br />

Bei den o.g. Studienabbrechern wird eine restriktive Behandlung sicher eine hohe Berechtigung<br />

haben, würde sie doch helfen, Missbräuche und sog. „Kümmerexistenzen“ mit alsbald<br />

drohen<strong>der</strong> Pleite und Sozialhilfebedarf zu vermeiden. An<strong>der</strong>erseits gibt es aber auch<br />

eine große Zahl von mittleren Unternehmen überwiegend <strong>im</strong> Bereich <strong>des</strong> Handels und <strong>der</strong><br />

Dienstleistungen, die unter diesen Bedingungen einen Start nicht hätten schaffen können,<br />

jetzt aber durchaus erfolgreich arbeiten. Aus Sicht einer Auslän<strong>der</strong>behörde sollte es daher<br />

mehr darauf ankommen, wie denn die fachlich kompetenten Behörden und Institutionen,<br />

vor allem Handels- und Handwerkskammern, die Erfolgsaussichten solcher angestrebten<br />

Aufenthalte beurteilen.<br />

Soweit aus einem evtl. neuen Absatz 6 <strong>des</strong> § 21 AufenthG <strong>der</strong> Zweckwechsel aus einer<br />

an<strong>der</strong>en Aufenthaltserlaubnis ermöglicht werden soll, wird <strong>der</strong> oben erwähnte Personenkreis<br />

<strong>der</strong> erfolgreichen Ausbildungsabsolventen zu erinnern sein. Auch hier wird es Erfolg<br />

versprechende Personen und Ideen geben, die durchaus mit wertvollen Innovationen verbunden<br />

sein können, aber als kleine Unternehmung beginnen müssen und die Hürde <strong>der</strong><br />

gefor<strong>der</strong>ten Investitionen und Arbeitsplatzschaffung keineswegs erreichen können. Hier<br />

sollte das Auslän<strong>der</strong>recht nicht als Verhin<strong>der</strong>ungsinstrument wirksam werden.


4. Frau Houben<br />

324<br />

Eine weitere und massiv beklagte Schwierigkeit in <strong>der</strong> praktischen Gesetzesanwendung<br />

bereitet die in ihrer Absicht durchaus zu begrüßende Anfor<strong>der</strong>ung, dass über 45-jährige<br />

Antragsteller über eine angemessene Altersversorgung verfügen sollen, wenn sie selbständig<br />

erwerbstätig sein sollen. Der einfache Hinweis, als Maßstab für die Untergrenze<br />

einer angemessenen Versorgung könne die gesetzliche Min<strong>des</strong>trente herangezogen werden,<br />

hilft in <strong>der</strong> Praxis nicht. Schon zum Auslän<strong>der</strong>gesetz 1990 war es nicht gelungen,<br />

praktikable und nachvollziehbare Maßstäbe für die Vergleichbarkeit von staatlichen und<br />

privaten Vorsorgeleistungen zu entwickeln. Dieser Mangel ist durch das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

nicht behoben worden und in den ersten bekannten Entwürfen zu einem<br />

2. Än<strong>der</strong>ungsgesetz offenbar auch nicht aufgegriffen worden.<br />

In <strong>der</strong> Praxis wird kolportiert, dass Auslän<strong>der</strong>behörden zur Vermeidung von Streitigkeiten<br />

und wegen <strong>der</strong> eigenen Argumentationsnot auf die Erfüllung dieser For<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> eine<br />

Nachprüfung schlicht verzichten und/o<strong>der</strong> sich z.B. mit dem Nachweis einfacher Lebensversicherungsverträge<br />

begnügen. Diese „Notwehr“ belegt die Dringlichkeit einer Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Vorgaben. Denn bei aller Verständlichkeit enthält sie Risiken, die nicht hingenommen<br />

werden können.<br />

Eine weitere fehlende, mit dem 2. Än<strong>der</strong>ungsgesetz offenbar beabsichtigten Regelung betrifft<br />

die Ausübung einer freiberuflichen Tätigkeit. Auch hier gilt, dass Bedingungen für einen<br />

Wechsel aus einem an<strong>der</strong>n Aufenthaltstitel und für die Altersicherung hinreichend<br />

konkret und umsetzbar sein müssen.<br />

Zusammenfassend – und damit möchte ich zum Schluss kommen – kann aus <strong>der</strong> Praxis<br />

zur Systematik <strong>der</strong> neuen Regelungen zur Arbeitsmigration ein überwiegend positives Echo<br />

gemeldet werden. Inhaltlich sind zu best<strong>im</strong>mten Fallkonstellationen Lösungen möglich,<br />

die früher so nicht realisierbar waren. Zur praktischen Umsetzung wird aber vielfach eine<br />

Nachbesserung <strong>der</strong> Vorgaben gewünscht. Die Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Arbeitsverwaltung<br />

ist durchaus gut; technische Unterstützung könnte sie noch vereinfachen und verbessern,<br />

zum Nutzen nicht nur <strong>der</strong> Verwaltung, son<strong>der</strong>n vor allem auch <strong>der</strong> betroffenen Antragsteller.<br />

Beson<strong>der</strong>s begrüßt würde es, wenn – wie in dieser Veranstaltung – die Erfahrungen<br />

<strong>der</strong> Anwen<strong>der</strong> Gehör und bei <strong>der</strong> Weiterentwicklung <strong>der</strong> Vorschriften Berücksichtigung finden<br />

könnten.<br />

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Bruhns, ich gebe dann Frau Houben das Wort. Ich darf noch einmal an<br />

die 10 Minuten erinnern; sonst sind wir heute Abend unschwer be<strong>im</strong> Samstag, aber ich bin<br />

gerne bereit dazu.<br />

Meine Damen und Herren, herzlichen Dank für die Einladung zu ihrem heutigen Gespräch.<br />

Die Fragen <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung sind ja in den letzten Jahren bedauerlicherweise wie<strong>der</strong> ein<br />

Stück weit in den Hintergrund getreten. Nach <strong>der</strong> ersten Green Card Euphorie und dann<br />

<strong>der</strong> platzenden Blase am neuen Markt sind, verbunden mit einer nach wie vor sehr schwierigen<br />

Situation am Deutschen Arbeitsmarkt, die Diskussionen insgesamt in den Hintergrund<br />

getreten und, ich meine, das hat die Zuwan<strong>der</strong>ung nicht verdient. Die deutsche Wirtschaft<br />

hat sich sehr früh für eine arbeitsmarktbezogene Zuwan<strong>der</strong>ung ausgesprochen,<br />

nicht zuletzt vor dem Hintergrund <strong>der</strong> demographischen Entwicklung und dem vorhersehbaren<br />

Fachkräftemangel in schon naher Zukunft.<br />

Herr Minister Dr. Schäuble hat vorhin auf die Vorteile <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung hingewiesen, die<br />

auch von uns geteilt werden. Um <strong>der</strong> Zeit genüge zu tun, werde ich diesen Teil jetzt einfach<br />

ein Stück weit aussparen. Aber klar ist für uns, dass Zuwan<strong>der</strong>ung in einer wissensbasierten<br />

Gesellschaft, die auch zunehmend vom internationalen Austausch, lebt ein ganz<br />

wichtiger Baustein für mehr wirtschaftliche Dynamik ist, die auch zu mehr Beschäftigung<br />

von Inlän<strong>der</strong>n führen kann. Wir haben <strong>des</strong>halb das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz bei Inkrafttreten<br />

als einen ersten richtigen Schritt begrüßt. Insbeson<strong>der</strong>e begrüßt haben wir das Dauerauf-


325<br />

enthaltsrecht für Hochqualifizierte von Anfang an, den besseren Arbeitsmarktzugang für<br />

ausländische Studenten an deutschen Hochschulen und die Vereinbarung <strong>der</strong> Verwaltungsverfahren,<br />

jedenfalls gegenüber dem bis damals geltenden Recht. Nichts<strong>des</strong>totrotz<br />

sind aus unserer Sicht die Zuwan<strong>der</strong>ungstatbestände insgesamt aber noch viel zu restriktiv.<br />

Wir sehen – das belegen auch alle Zahlen –, dass Deutschland noch nicht als Magnet<br />

für ausländische Hochqualifizierte wirken kann und ich wi<strong>der</strong>spreche an <strong>der</strong> Stelle auch ein<br />

Stück weit <strong>der</strong> Einschätzung von Herrn Staible, zu sagen, wir brauchen das <strong>im</strong> Moment<br />

noch nicht. Unsere Ansicht ist: Wir müssen jetzt anfangen, mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

Erfahrungen zu sammeln, damit wir gerade dann, wenn die Demographie ab dem Jahre<br />

2011/2015 voll zuschlagen wird, auch gewappnet sind und unsere Regeln so justiert haben,<br />

dass wir damit praktikabel arbeiten können.<br />

Ich möchte 6 Punkte herausgreifen, die aus Sicht <strong>der</strong> Wirtschaft von beson<strong>der</strong>em Interesse<br />

sind, die es aus unserer Sicht nachzubessern gilt, und das sind alles Punkte, auf die insbeson<strong>der</strong>e<br />

auch die Unternehmen – und wir sitzen ja heute hier für einen <strong>Praktiker</strong>-<br />

<strong>Erfahrungsaustausch</strong> – <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> hinweisen.<br />

Der erste Punkt betrifft die Hochqualifizierten, die zwar von Anfang an kommen können, ja,<br />

aber das Zugangskriterium mit einer Einkommensgrenze von min<strong>des</strong>tens 84.000 Euro ist<br />

aus unserer Sicht ein Stück zu hoch. Es liegt nicht nur um 2/3 über dem deutschen Durchschnittseinkommen;<br />

auch <strong>der</strong> Arbeitsmarkt insgesamt gibt für deutsche Hochqualifizierte<br />

diese Summen nicht mehr unbedingt her. Und wir meinen, dass hier ein Stück weit Lockerung<br />

notwendig ist, um Deutschland für Auslän<strong>der</strong> attraktiv zu machen.<br />

Der zweite Punkt ist, dass Selbständige von Anfang an ebenfalls ein unbefristetes Aufenthaltsrecht<br />

bekommen sollten. Eine Million Investitionsvolumen und die Schaffung von 10<br />

Arbeitsplätzen, verbunden mit nur einer befristeten Aufenthaltserlaubnis, machen es nicht<br />

gerade attraktiv, sich in Deutschland dauerhaft nie<strong>der</strong>zulassen und Arbeitsplätze zu schaffen.<br />

Wir meinen, dass hier eine Halbierung <strong>des</strong> notwendigen Investitionsvolumens durchaus<br />

auch dem Gedanken <strong>des</strong> Missbrauchs <strong>der</strong> Unterwan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> deutschen Regelungen<br />

Rechnung tragen würde und zugleich die Gelegenheit bietet, sich in Deutschland nie<strong>der</strong>zulassen<br />

und gute Dienstleistungen anzubieten.<br />

Ein sehr wichtiger Punkt aus unserer Sicht sind auch die aktuellen Regelungen für die betriebliche<br />

Aus- und Weiterbildung, die einfach noch nicht praktikabel genug sind. Es geht<br />

hier in <strong>der</strong> Regel ja nicht darum, dass sich Menschen aus an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n dauerhaft in<br />

Deutschland nie<strong>der</strong>lassen, son<strong>der</strong>n sie sind für ein Praktikum, für ein Training on the Job,<br />

für Ausbildungsbestandteile, für eine gewisse Zeit in Deutschland. Und gleichwohl ist eine<br />

sog. Arbeitsmarktvorrangprüfung notwendig. Die geht zwar in <strong>der</strong> Regel zugunsten <strong>der</strong>jenigen<br />

aus, die hier eine Weiterbildung absolvieren möchten, aber gleichwohl bedeutet es<br />

für die Unternehmen langwierige Verfahren; das bedeutet Bürokratie und damit sind <strong>im</strong>mer<br />

Kosten verbunden. Und auch hier gilt es aus unserer Sicht deutlich nachzusteuern. Das<br />

größere Rad, aber das schließt sich an die Fragen <strong>der</strong> Aus- und Weiterbildung an, dass ist<br />

<strong>der</strong> internationale Personalaustausch, <strong>der</strong> in einer globalisierten Welt unglaublich wichtig<br />

ist. Es gibt eine deutliche Verbesserung gegenüber den alten Regelungen, wo nur 2 Jahre<br />

die Möglichkeit bestand, <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> eines Austauschprogramms in Deutschland aktiv zu<br />

werden. Das ist auf 3 Jahre erhöht worden. Es besteht aber keine Möglichkeit, diesen Aufenthalt<br />

zu verlängern. Und es besteht auch keine Möglichkeit, für qualifizierte Facharbeiter<br />

ohne einen Hochschulabschluss an einem solchen Programm teilzunehmen. Wir meinen,<br />

dass hier erheblicher Flexibilisierungsbedarf besteht.<br />

Sehr wichtig für die Attraktivität <strong>des</strong> Standorts Deutschland – und Deutschland leidet ja<br />

nicht nur unter dem schlechten Wetter und nach wie vor erwiesenen Sprachbarrieren – ist<br />

vor allem die Situation für mitreisende Ehepartner, die in Deutschland große Schwierigkeiten<br />

haben, in <strong>der</strong> Zeit, in <strong>der</strong> sie hier in Deutschland sein können, am Arbeitsmarkt Fuß zu<br />

fassen. An<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong>, etwa die USA o<strong>der</strong> Kanada, haben inzwischen wesentlich flexiblere<br />

Regelungen gefunden, wesentlich großzügigere Regelungen gefunden. Und wir meinen,<br />

dass an dieser Stelle ein sehr relevanter Faktor für die Entscheidung, in Deutschland eine<br />

Tätigkeit aufzunehmen o<strong>der</strong> nicht, sehr stark damit verbunden ist, wie <strong>der</strong> Zugang zum Arbeitsmarkt<br />

für den Partner geregelt ist.


326<br />

Nicht zuletzt auch Punkt 6: Eine Beschäftigungserlaubnis sollte für das gesamten Bun<strong>des</strong>gebiet<br />

erteilt werden, d.h. nicht regional begrenzt. Denn gerade auch internationale Konzerne,<br />

Global Player, sind an vielen Standorten auch in Deutschland aktiv und auch hier<br />

muss es möglich sein, innerhalb eines Programms, innerhalb eines Projekts an verschiedenen<br />

Einsatzorten tätig zu werden. Und das gilt inzwischen zunehmend auch für den<br />

deutschen Mittelstand.<br />

Ein ganz wichtiger Punkt, <strong>der</strong> für uns von sehr entscheiden<strong>der</strong> Bedeutung, auch für die<br />

Frage <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes insgesamt ist – dies ist nicht auf <strong>der</strong> Liste <strong>der</strong> 6 vorgetragenen<br />

Punkte, die relativ auch zügig umsetzbar wären –, das ist erneut die Frage <strong>des</strong><br />

Punktesystems, das ja ursprünglich <strong>im</strong> Gesetzentwurf zum Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz enthalten<br />

gewesen ist und dann in kürzester Zeit bedauerlicherweise wie<strong>der</strong> gestrichen wurde. Wir<br />

meinen, die Erfahrungen in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n belegen durchaus, dass [Nicht verständliche<br />

Zwischenfrage] Bitte? Wir haben jetzt mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz einen ersten Schritt<br />

gemacht. Dieser Teil ist bedauerlicherweise herausgefallen; aber wir meinen, dass es in<br />

einem zweiten Schritt zwangsläufig zu einer mo<strong>der</strong>nen Zuwan<strong>der</strong>ungspolitik dazugehört.<br />

Wir haben jetzt auch <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> EU-Erweiterung und <strong>der</strong> dort festgelegten Übergangsfristen<br />

aus Sicht <strong>der</strong> Wirtschaft eine gute Möglichkeit, das Punktesystem durchaus<br />

zunächst einmal für die neuen EU-Staaten zu testen, Erfahrungen zu sammeln, ggf. nachzusteuern<br />

und nicht gleich das große Rad Punktesystem für die gesamte Steuerung <strong>der</strong><br />

Zuwan<strong>der</strong>ung einzuführen, son<strong>der</strong>n hier ganz gezielt eine schrittweise Öffnung <strong>der</strong> Arbeitsmärkte<br />

in Richtung Mittel- und Osteuropa vorzunehmen und hier über das Punktesystem<br />

sicherzustellen, dass hochqualifizierte Menschen kommen können, die über eine gewisse<br />

Berufserfahrung verfügen, die ein gewisses Qualifikationsniveau mitbringen und bei<br />

denen auch die Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft dauerhaft sicherlich leichter<br />

möglich ist. Wir meinen, dass ist ein Weg, über den sehr intensiv nachgedacht werden sollte.<br />

Zumal, und das ist ja gar keine Frage, ohnehin ab dem Jahr 2011 volle Freizügigkeit<br />

besteht. Wir hätten so die Möglichkeit, in ein gestuftes Verfahren, gerade <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

mit den EU-Übergangsfristen, einzutreten.<br />

Ich schließe an dieser Stelle einfach aus Zeitgründen und ich denke, wir haben da noch<br />

genug Zeit, in eine intensive Debatte zu treten. Es kommt ja auch noch ein Wirtschaftsvertreter<br />

und ich wünsche mir dann eine erkenntnisreiche Diskussion.<br />

Vielen Dank.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Frau Houben. Dann kommt Herr Dr. Dercks vom DIHK dran, bitte schön.<br />

5. Herr Dr. Dercks<br />

Vielen Dank, Herr Dr. Lehnguth. Meine Damen und Herren, ich kann nahtlos anknüpfen an<br />

die Ausführungen <strong>der</strong> Kollegin Houben. Das Thema Punktesystem will ich <strong>des</strong>halb gar<br />

nicht vertiefen, weil wir da uns völlig einig sind, dass das ein Punkt ist, <strong>der</strong> weiterhin auf die<br />

Agenda gehört. Ich möchte, bevor ich zu einigen Punkten Details sage, dann auch vorausschicken,<br />

dass wir uns, glaube ich, davor hüten müssen, dass Jahr 2005, das ja jetzt nun<br />

mal das erste Erfahrungsjahr mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz war, als Normaljahr für die<br />

nächsten Jahrzehnte womöglich zu nehmen. Es war ja nun geprägt dadurch, dass wir uns<br />

am Ende einer dreijährigen, sehr schlechten konjunkturellen Phase befunden haben und<br />

die Unternehmen dementsprechend mit ihren Einstellungsplänen sehr zurückhaltend waren.<br />

Das hat natürlich nicht nur das Verhalten mit Blick auf den inländischen Arbeitsmarkt<br />

geprägt, son<strong>der</strong>n auch die Nachfrage nach ausländischen Fachkräften (Stichwort: Arbeitsmigration).<br />

Das ist insofern wichtig, weil es einerseits natürlich die Einführungsphase<br />

auch bei den beteiligten Behörden erleichtert hat, weil <strong>der</strong> Ansturm nicht so groß gewesen<br />

ist wie vielleicht <strong>im</strong> Jahr 2000, aber gleichzeitig darf man sich eben nicht <strong>der</strong> Illusion hingeben,<br />

dass das Thema Arbeitsmigration vielleicht gar nicht so ein großes ist. Doch in <strong>der</strong><br />

Zukunft wird das Gegenteil <strong>der</strong> Fall sein. Wir leben <strong>im</strong> Moment so ein bisschen in <strong>der</strong> Ruhe<br />

vor dem Sturm. Denn Demographie und die Entwicklung am Arbeitsmarkt werden dazu<br />

führen, dass gerade qualifizierte Arbeitskräfte in den nächsten Jahren <strong>im</strong>mer weiter verstärkt<br />

nachgefragt werden. Und das gerade auch die Zuwan<strong>der</strong>ungspolitik in dem Bereich<br />

wichtig ist, um für auch weniger Qualifizierte in Deutschland ebenfalls Arbeitsplätze zu si-


327<br />

chern. Das aber nur als Vorbemerkung. Ich möchte jetzt zunächst einmal zu dem Thema<br />

Selbständige etwa sagen und mich dem anschließen, was Frau Houben und Herr Bruhns<br />

auch schon gesagt haben: Die vorgegebenen Regelbeispiele, 1 Million Euro Investitionssumme<br />

und Schaffung von 10 Arbeitsplätzen, haben sich aus Sicht <strong>des</strong> DIHK ebenfalls<br />

nicht bewährt. Der DIHK ist ja als fachkundige Körperschaft sehr häufig mit Stellungnahmen<br />

in das Verfahren bei den Selbständigen eingebunden und hat daher in vielen Regionen<br />

<strong>der</strong> Republik auch Erfahrungen machen können, was die Anwendungspraxis angeht.<br />

Die Erfahrungen sind dabei sehr unterschiedlich. Das geht von <strong>der</strong> Extremauslegung los,<br />

dass die Regelbeispiele als absolute Mussvorschrift ausgelegt werden, so dass einzelne<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden, sobald diese beiden Kriterien nicht erfüllt sind, per se keine Genehmigungen<br />

ausstellen. Wie Herr Bruhns ja zu Recht ausgeführt hat, ist aber das in aller Regel<br />

nicht <strong>der</strong> Fall, sodass hier aus einem Regelbeispiel eben eine Mussvorschrift in <strong>der</strong> Anwendung<br />

wird. Das kann aus unserer Sicht nicht Sinn <strong>der</strong> Sache sein, ist auch nach <strong>der</strong><br />

Begründung <strong>des</strong> Gesetzes nicht das, was <strong>der</strong> Gesetzgeber hier an dieser Stelle beabsichtigt<br />

hat. Das einzige, was solche Regelbeispiele sinnvollerweise sein können, sind Erleichterungen<br />

u. E. <strong>im</strong> Verfahren. Selbst dann sollten sie etwas niedriger sein als <strong>im</strong> Moment,<br />

weil sie de facto irrelevant sind in <strong>der</strong> gegenwärtigen Formulierung. Aber sie könnten natürlich<br />

als Regelbeispiele insofern hilfreich sein, als man sagt: O.K., wenn diese relativ hohen<br />

Hürden <strong>der</strong> Regelbeispiele erfüllt sind, dann gibt es automatisch z. B. eine dauerhafte Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis.<br />

Das wäre ein Weg, um hier sozusagen den Regelbeispielen auch<br />

einen Sinn zu geben. Ansonsten wäre es unserer Ansicht nach wichtig, hier klar zu machen,<br />

dass das eben keine ausschließlichen Kriterien sind, son<strong>der</strong>n dass es auf die Prüfung<br />

<strong>der</strong> Gesamtumstände ankommt. Und hier gehen gerade die IHK’s vor Ort auch sehr<br />

verantwortungsvoll mit um, indem sie auch anhand eines umfangreichen Kriterienkatalogs<br />

sich diese Anträge anschauen, um dann gemeinsam in einer Kooperation auch mit den<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden vorzugehen. In <strong>der</strong> schriftlichen Unterlage sind eine Reihe kritischer<br />

Beispiele genannt, wo das in den Regionen aus unserer Sicht nicht wirklich gut funktioniert.<br />

Ich will ausdrücklich erwähnen, dass in <strong>der</strong> schriftlichen Unterlage auch steht – weil Herr<br />

Bruhns ja auch anwesend ist –, dass das in Hamburg sehr gut funktioniert. Also: Das ist<br />

eine große Spannweite, die wir da erleben. Also auch an dieser Stelle von unserer Seite<br />

her <strong>der</strong> Wunsch, hier zum einen die Regelbeispiele herabzusetzen und zum an<strong>der</strong>en dafür<br />

zu sorgen, dass es eben nur beispielhafte Punkte sind, die in <strong>der</strong> Bewertung eine Rolle<br />

spielen, aber keine k.o.-Kriterien, wenn man diese Punkte nicht erreicht.<br />

Dann vielleicht etwas zum Thema Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis für Hochqualifizierte, auch<br />

noch in Anknüpfung an das, was Frau Houben ausgeführt hat. Auch aus unserer Sicht ist<br />

gerade für viele kleine und mittlere Unternehmen die Einkommensgrenze doch sehr hoch<br />

angesetzt. Vielleicht würde es sich da lohnen, auch die Erfahrungen mit <strong>der</strong> Green Card<br />

noch einmal zu Rate zu ziehen. Damals gab es ja eine Einkommensschwelle, die etwas<br />

niedriger lag. Man könnte an die Beitragsbemessungsgrenze in <strong>der</strong> Rentenversicherung,<br />

also an die einfache Beitragsbemessungsgrenze in <strong>der</strong> Rentenversicherung denken. Das<br />

hätte auch den Vorteil, dass es eine West-Ost-Differenzierung noch einmal geben würde,<br />

die <strong>der</strong> unterschiedlichen Einkommenssituation und Unternehmenssituation in beiden Teilen<br />

Deutschlands Rechnung tragen würde, weil es einfach ein Unterschied ist, ob sie in<br />

München mit dieser Einkommensgrenze klarkommen müssen o<strong>der</strong> in den neuen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n.<br />

Das ist, glaube ich, wichtig, hierbei berücksichtigt zu werden.<br />

Dann vielleicht noch einige Erfahrungen zum Thema Kooperation Auslän<strong>der</strong>behörde/Bun<strong>des</strong>agentur<br />

bzw. Erfahrungen, die uns Unternehmen über die IHKs mitgeteilt haben,<br />

wie dieses Thema one-stop-shop denn in <strong>der</strong> Praxis funktioniert. Hier hatte auch Herr<br />

Bruhns schon darauf hingewiesen, dass es in manchen Fällen, zumin<strong>des</strong>t bei den Verän<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Arbeitsbedingungen, sinnvoll sein kann, Erleichterungen o<strong>der</strong> Vereinfachungen<br />

<strong>im</strong> Verfahren einzuführen. Generell ist die Beobachtung, dass doch relativ häufig Auslän<strong>der</strong>behörden,<br />

bei denen nun mal Unternehmen und Arbeitgeber anfragen, weil sie ja<br />

sozusagen die Ansprechpartner zunächst sind, auch schon in <strong>der</strong> ersten Runde an die<br />

Bun<strong>des</strong>agenturen verweisen, weil sie sozusagen, gerade was die Arbeitsmarktrahmenbedingungen<br />

und Regelungen mit Blick auf die Erwerbstätigkeit angeht, nicht das volle Wissen<br />

aufweisen. Da ist sicherlich noch Nachholbedarf. Hinzu kommt, dass es doch sehr<br />

wohl häufig <strong>der</strong> Fall ist, dass dies nicht mit einmaligen o<strong>der</strong> zwe<strong>im</strong>aligen Besuchen bei den<br />

Behörden getan ist, son<strong>der</strong>n häufig Nachfragen kommen und durchaus Unternehmen auch<br />

berichten, dass sie sich vorkommen, als wären sie schon halbe Verbrecher. Das ist so ein<br />

bisschen <strong>im</strong> Bewusstsein in <strong>der</strong> Tatsache, dass es schwarze Schafe gibt und dass dann


6. Herr Roßocha<br />

328<br />

manche Kollegen vor Ort die Schlussfolgerung ziehen, sehr hart <strong>im</strong> Umgang mit den Antragstellern.<br />

Also diese Berichte gibt es. Wie gesagt, das gehört auch zum <strong>Erfahrungsaustausch</strong>,<br />

dass man das dann auch so benennt. Ich gestehe auch, dass die Fälle, wo es keine<br />

Schwierigkeiten gibt, <strong>im</strong> Zweifel nicht uns mitgeteilt werden. Aber das gehört, glaube<br />

ich, dann auch dazu. Was <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> strittig ist, ist das Thema – das ist aber auch keine<br />

neue Erfahrung, gestehe ich – <strong>der</strong> Arbeitsmarktprüfung, also die Frage, ob zur Besetzung<br />

einer Vakanz nicht noch inländische Arbeitskräfte in Betracht kommen. Hier erleben die<br />

Unternehmen die Verpflichtung, Kandidaten <strong>der</strong> Arbeitsagenturen zu prüfen oftmals als<br />

Verzögerung <strong>des</strong> Verfahrens, alldieweil eben sehr offensichtlich ist, dass diese Kandidaten<br />

für solche Tätigkeiten nicht in Frage kommen. Was das Thema Verän<strong>der</strong>ung angeht,<br />

sprich die Verän<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Arbeitsortes, da hat Frau Houben zu Recht das Thema Bun<strong>des</strong>gebiet<br />

ja angesprochen, aber auch die Frage Teilzeit und Vollzeit, Nachtschicht und<br />

Tagschicht. Auch da wäre zu fragen, ob man die Anfor<strong>der</strong>ungen für solches sozusagen<br />

Wie<strong>der</strong>vorstelligwerden bei <strong>der</strong> Behörde nicht an <strong>der</strong> einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Stelle erleichtern<br />

könnte. Unbedingt anschließen möchte ich mich auch dem Hinweis, ich glaube von Herrn<br />

Staible, dass die Möglichkeiten mit <strong>der</strong> Präferenz mit Osteuropäern bislang nicht so intensiv<br />

genutzt werden, wie das auch unseres Erachtens mit Blick auf die dann doch irgendwann<br />

spätestens bei [nicht verständlich] o<strong>der</strong> wann es dann sein soll, Freizügigkeit für Arbeitnehmer<br />

aus den Mitgliedstaaten besser genutzt werden sollte. Das wäre ein Weg, sozusagen<br />

den gleitenden Einstieg auch auf Basis <strong>der</strong> bestehenden Rechtslage hier zu beför<strong>der</strong>n.<br />

Ich möchte dabei ganz beson<strong>der</strong>s darauf hinweisen, dass <strong>der</strong> Druck innerhalb<br />

DIHK-Organisation hier eher und schneller eine Öffnung, zumin<strong>des</strong>t <strong>im</strong> Bereich qualifizierter<br />

Arbeitskräfte, auch in Richtung Osteuropa vorzunehmen, vor allen Dingen von den<br />

Grenz-IHKs in den neuen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n kommt. Also es ist nicht so, als hätten die dortigen<br />

Unternehmer jetzt in erster Linie Angst davor, son<strong>der</strong>n die sagen, wir sind dadurch behin<strong>der</strong>t,<br />

dass wir nicht den polnischen Azubi einstellen können, <strong>der</strong> in unserem Einzelhandelsgeschäft<br />

auch die polnische Sprache abdeckt; wir sind auch durch die, wenn man so<br />

will, Retoursionsmaßnahmen <strong>der</strong> polnischen Seite benachteiligt, weil wir eben nicht ohne<br />

weiteres unsere deutschen Mitarbeiter in Polen einsetzen können. Also: Da gibt es deutliche<br />

Hinweise, dass es <strong>im</strong> bilateralen Geschäft zu Schwierigkeiten kommt. Soweit vielleicht<br />

in aller Kürze meine Ergänzungen zu den Vorrednern.<br />

Vielen herzlichen Dank.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Dercks. Dann kommt Herr Roßocha vom Deutschen Gewerkschaftsbund<br />

an die Reihe.<br />

Der DGB ist ja nicht so häufig einig mit den Arbeitgeberverbänden. Aber in <strong>der</strong> Frage <strong>des</strong><br />

Punktesystems waren, wir glaube ich, von Anfang an einer gemeinsamen Auffassung,<br />

dass dieses System eine gute Möglichkeit bieten würde, um auf <strong>der</strong> einen Seite Arbeitskräftebedarfe<br />

abzudecken und auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite gute und hochqualifizierte Personen<br />

in die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland hineinzuholen. Bei <strong>der</strong> Beurteilung <strong>der</strong> Wirkung <strong>des</strong><br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes bedarf es aus unserer Sicht auch <strong>der</strong> Analyse quantitativer Daten.<br />

Diese liegen aber zum größten Teil zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vor o<strong>der</strong>, wenn sie<br />

denn vorliegen, und da beziehe ich mich ausdrücklich auf die Daten <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur <strong>im</strong><br />

Hinblick auf die Erteilung von Arbeitserlaubnissen für Menschen aus den neuen 8 EU-<br />

Län<strong>der</strong>n, dann sind sie erklärungsbedürftig o<strong>der</strong> sind sehr schwierig zu definieren, wenn<br />

man sich etwa die Arbeitserlaubnisse 2004 und 2005 anschaut, wo es einen Abbruch <strong>der</strong><br />

Arbeitserlaubnisse für polnische Beschäftigte gegeben hat, die aus unserer Sicht jedenfalls<br />

nicht erklärbar ist. Insofern gibt es offensichtlich Schwierigkeiten <strong>im</strong> System <strong>der</strong> Weiterleitung<br />

von Daten und Entscheidungen und wir sind da <strong>der</strong> Auffassung, dass diese Daten auf<br />

jeden Fall opt<strong>im</strong>iert werden müssen und dass <strong>der</strong> Öffentlichkeit, aber auch den Entscheidungsträgern<br />

differenzierte Daten über die Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnisse mit Erwerbstätigkeitenzugang<br />

zur Verfügung gestellt werden müssen. Das ist auch <strong>des</strong>halb vor<br />

allen Dingen wichtig, weil wir ja <strong>im</strong> Aufenthaltsrecht eine sehr ausdifferenzierte Erteilung<br />

von Arbeitserlaubnissen zu Erwerbszwecken haben und nicht nur zwei Titel, auf die wir<br />

uns da berufen könnten.


329<br />

Ich möchte mich hinsichtlich <strong>der</strong> Wirkung <strong>des</strong> Gesetzes vor allen Dingen auf zwei Punkte<br />

konzentrieren. Der eine Punkt bezieht sich auf den Arbeitsmarktzugang von Geduldeten.<br />

Der zweite Punkt bezieht sich auf das Verfahren.<br />

Im Gesetzgebungsverfahren ist es ja nach <strong>der</strong> Einführung <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes nicht<br />

gelungen, die bislang geltende materielle Rechtslage be<strong>im</strong> Arbeitsmarktzugang für Geduldete<br />

zu erhalten. Unmittelbar nach dem Inkrafttreten <strong>des</strong> Gesetzes haben wir ab 10. Januar<br />

ungefähr, haben wir erste Fälle bekommen, wo Beschäftigten gekündigt werden musste,<br />

weil es zu einer Nichtverlängerung <strong>der</strong> Arbeitserlaubnis kam. Die Anrufe, die bei uns ankamen,<br />

gingen zunächst einmal in die Richtung: Wieso erlaubt die Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit<br />

denn nicht die Weiterbeschäftigung. Wenn wir dann nachrecherchiert haben, dann war<br />

es nicht die Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit, die die Weiterbeschäftigung verweigert hat, son<strong>der</strong>n<br />

in den meisten Fällen war es die Auslän<strong>der</strong>behörde. Beispiel: Ein Beschäftigter aus Äthiopien,<br />

<strong>der</strong> so etwas wie ein Vorarbeiter einer Reinigungsfirma war, war fünf Jahre lang beschäftigt<br />

gewesen, am 8. Februar musste er gekündigt werden, weil die Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

in Frankfurt sofort gestempelt hat „Erwerbstätigkeit nicht gestattet“, ohne dass eine weitere<br />

Prüfung überhaupt statt gefunden hat. Offensichtlich nutzen die Behörden die neue<br />

Rechtslage als Handhabe zur Durchsetzung <strong>der</strong> Ausreiseverpflichtung unabhängig davon,<br />

ob dadurch Kosten, z.B. aus dem Asylbewerberleistungsgesetz, zusätzlich entstehen. Aus<br />

Sicht <strong>des</strong> DGB ist die Arbeitserlaubnis kein geeignetes Mittel o<strong>der</strong> Werkzeug zur Beschleunigung<br />

<strong>der</strong> Beendigung <strong>der</strong> Ausbildung. Wir sind <strong>im</strong> Gegenteil <strong>der</strong> Auffassung, dass<br />

Geduldete, langjährig Geduldete, insbeson<strong>der</strong>e, einen Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen<br />

müssen.<br />

Für best<strong>im</strong>mte Gruppen sind wir <strong>der</strong> Auffassung, dass dieser Arbeitsmarktzugang nicht<br />

nachrangig sein darf, son<strong>der</strong>n ein gleichrangiger Arbeitsmarktzugang sein muss. Der Ausschluss<br />

<strong>der</strong> Erteilung <strong>der</strong> Arbeitserlaubnis muss nach unserer Auffassung ebenfalls neu<br />

geregelt werden. Der Brief <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>innenministeriums vom 18.03., glaube ich, zur Erläuterung<br />

<strong>des</strong> neuen § 11 BeschVerfV hat nach unserer Kenntnis nicht dazu geführt, dass<br />

die Auslän<strong>der</strong>behörden jetzt freu<strong>des</strong>trahlend diesen Brief zur Kenntnis genommen haben<br />

und dann entsprechend gehandelt haben. Teilweise noch bis in den September hinein, und<br />

da spreche ich die Auslän<strong>der</strong>behörde Potsdam noch einmal ausdrücklich an, hat es Briefe<br />

und Merkblätter gegeben, in denen drinsteht, wenn keine allumfassende Mitwirkung durch<br />

den Auslän<strong>der</strong> erfüllt wird, dann besteht überhaupt gar keine Notwendigkeit, auch nur die<br />

Zust<strong>im</strong>mung <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis einzuholen. Das<br />

entspricht nach unserer Einschätzung jedenfalls nicht dem alten materiellen Recht und<br />

schon gar nicht dem Brief <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>innenministeriums an die Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>.<br />

Ein beson<strong>der</strong>es Problem taucht bei Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen geduldeter Eltern auf. Zunächst<br />

einmal sind wir als DGB überzeugt, dass es <strong>im</strong> Interesse unserer Gesellschaft, aber<br />

auch <strong>im</strong> Interesse <strong>des</strong> Staates liegt, wenn Kin<strong>der</strong> und Jugendliche, die hier aufgewachsen<br />

sind, unabhängig von ihrem Aufenthaltstatus o<strong>der</strong> ihrem Duldungsstatus, einen Zugang zu<br />

einer betrieblichen Ausbildung bekommen müssen. Und sie wissen, dass mit <strong>der</strong> betrieblichen<br />

Ausbildung auch <strong>im</strong>mer <strong>der</strong> Zugang zur Erwerbstätigkeit verbunden ist, weil es sich ja<br />

um einen Arbeitnehmerstatus handelt. Wir glauben, dass in Bezug auf die geduldeten Jugendlichen<br />

<strong>der</strong> § 25 geän<strong>der</strong>t werden muss und dass geduldete Jugendliche, wenn sie hier<br />

dann länger sind und einen Schulabschluss gemacht haben, ein Bleiberecht erhalten müssen.<br />

Das gilt <strong>im</strong> Übrigen auch für länger aufhältige, ältere Geduldete.<br />

Wir haben von Herrn Minister Dr. Schäuble heute gehört, dass die Bun<strong>des</strong>regierung hier<br />

eine Regelung herbeiführen will. Ich glaube, dass es notwendig ist, hier auch differenziert<br />

vorzugehen. Denn uns geht es nicht darum, Anreizsysteme zu schaffen, um Menschen in<br />

die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland illegal hineinzuholen, son<strong>der</strong>n uns geht es darum, dass<br />

Menschen die in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik Deutschland leben dürfen, meistens dann ohne Aufenthaltserlaubnis,<br />

dass diese Menschen, die in Deutschland leben dürfen, auch einen ordentlichen<br />

Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Und wenn sie dann länger hier leben o<strong>der</strong> die<br />

Beschäftigung fortgesetzt wird, dann ist aus unserer Sicht eine Arbeitsmarktprüfung nicht<br />

mehr erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Zum Verfahren <strong>der</strong> Erteilung einer Arbeitserlaubnis; das ist mein zweiter Punkt.<br />

Grundsätzlich haben wir in den Beratungen und in den Weiterbildungen, die wir mit Auslän<strong>der</strong>behörden,<br />

mit Betriebsräten, aber auch mit Betroffenen durchführen, festgestellt,


330<br />

dass kaum eine Auslän<strong>der</strong>behörde in <strong>der</strong> Lage ist, die Abgrenzungen zwischen den verschiedenen<br />

Beschäftigungen so vorzunehmen, dass sie schnell entscheiden können, ob<br />

eine Arbeitserlaubnis ohne Zust<strong>im</strong>mung <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit erteilt wird o<strong>der</strong><br />

nicht. Ich mache das am Beispiel <strong>der</strong> Hochqualifizierten fest. Wir werden ja mit dem 2. Än<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

jetzt noch eine zusätzliche Gruppe von Hochqualifizierten wahrscheinlich<br />

bekommen. Da haben wir einmal die nach § 19 AufenthG, wir haben <strong>im</strong> Bezug auf den<br />

§ 18 AufenthG mehrere Gruppen von Hochqualifizierten, die kaum in ihrer Vorgabe zu unterscheiden<br />

sind, und Auslän<strong>der</strong>behörden sind sehr schnell dabei, so jedenfalls unsere Erfahrung,<br />

bei <strong>der</strong> Arbeitsagentur anzurufen. Und wenn in <strong>der</strong> Arbeitsagentur jemand sitzt,<br />

<strong>der</strong> sagt, was haben wir denn mit den nicht zust<strong>im</strong>mungspflichtigen Beschäftigungen zu<br />

tun, dann versagen häufig auch die Interpretationsmöglichkeiten. Das One-stop-<br />

Government ist sehr schön und funktioniert auch hervorragend bei ausländischen Staatsangehörigen,<br />

die eine Arbeitsberechtigung haben, weil man es da nämlich nicht braucht.<br />

Es funktioniert da nicht o<strong>der</strong> führt zu längeren Verfahrensdauern, wo es um nachrangigen<br />

Zugang zum Arbeitsmarkt geht, wo es um Befristungen geht, wo es um kurzfristige Befristungen<br />

geht, wo Halbjahresverträge ausgestellt werden, wo dieses Verfahren dazu führt,<br />

dass Arbeitgeber die Stellen dann nicht mehr besetzen, o<strong>der</strong> wie <strong>im</strong> Fall von Gelsenkirchen,<br />

dann die Arbeitgeber nicht mal arbeitslose Bevorrechtigte einstellen, son<strong>der</strong>n die Tätigkeit<br />

einfach an Subunternehmen vergeben, weil eine Vergabe an ein Subunternehmen<br />

schneller zu erreichen ist als eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für ausländische Beschäftigte.<br />

Insofern glauben wir, dass die Verfahren, und Herr Bruhns hat etwas dazu gesagt,<br />

dass die Verfahren vor allen Dingen erleichtert und die Kooperation zwischen Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

und Arbeitsagenturen noch verbesserungsbedürftig ist. Aus meiner Sicht<br />

brauchen wir unbedingt für beide Seiten, sowohl für die Arbeitgeber als auch für die Betroffenen,<br />

Formularsätze, die offensichtlich bekannt sind, inklusive ordentlicher Erklärungen,<br />

wie sie denn zu handhaben sind. Selbst große mittelständige Unternehmen haben Schwierigkeiten,<br />

von vornherein sowohl bei <strong>der</strong> Vergleichbarkeit <strong>der</strong> Tätigkeiten als auch bei den<br />

Vorbedingungen schnell und ausführlich zu antworten, so dass es eben nicht zu Nachfragen<br />

kommt. Und den Vorschlag, dass die direkte Kommunikation bei Rückfragen zwischen<br />

<strong>der</strong> Arbeitsagentur und dem Unternehmen stattfinden soll, teilen wir ausdrücklich. Arbeitsagenturen<br />

haben an<strong>der</strong>s als Auslän<strong>der</strong>behörden eine langjährige Erfahrung in <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

mit Unternehmen und auf diese sollte man eigentlich nicht verzichten.<br />

Ein weiterer Kritikpunkt, <strong>der</strong> bei uns auch relativ häufig auftaucht, ist auch schon gesagt<br />

worden. Und zwar <strong>der</strong> Punkt <strong>der</strong> Beschränkungen in <strong>der</strong> Arbeitserlaubnis. Wir sind da <strong>der</strong><br />

Überzeugung, dass bei <strong>der</strong> Verlängerung einer Arbeitserlaubnis weitgehend auf Beschränkungen<br />

<strong>des</strong> Ortes und <strong>des</strong> Arbeitgebers verzichtet werden kann, nicht aber auf die Beschränkung<br />

<strong>der</strong> Tätigkeit. Und verfahrensmäßig gibt es auch noch ein paar Erleichterungen.<br />

Verfahrensmäßig ist, glaube ich, die Lage <strong>der</strong> Arbeitszeit nicht unbedingt ausschlaggebend<br />

für die Frage, ob ein Bevorrechtigter in dieser Tätigkeit tätig werden kann. Insofern<br />

kann man auch bei <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Verlagerung <strong>der</strong> Arbeitszeit darauf verzichten, diese Beschränkung<br />

mit in die Aufenthaltserlaubnis hineinzunehmen.<br />

Letzter Punkt: Die Vergleichbarkeit von Beschäftigungsbedingungen gerade bei <strong>der</strong> Gruppe<br />

<strong>der</strong> geduldeten Beschäftigten bringt auch die Frage <strong>der</strong> Arbeitsbedingungen <strong>der</strong> vergleichbaren<br />

Arbeitsbedingungen mit sich. Hier kommt es relativ häufig zu einem Zeitverzug,<br />

<strong>der</strong> unnötig ist. Wir glauben auch hier, dass die Prüfung <strong>der</strong> Arbeitsbedingungen für<br />

diejenigen Personen, die sich bereits in Deutschland auskennen und <strong>der</strong>en Arbeitserlaubnis<br />

verlängert wird, nicht so stark gehandhabt werden muss, wie die Bun<strong>des</strong>agentur das in<br />

vielen Fällen handhabt. Vielmehr dient die Frage <strong>der</strong> Arbeitsbedingungen ja dazu, Lohndumping<br />

vor allen Dingen zu verhin<strong>der</strong>n und dient dazu, so jedenfalls die Dienstanweisung,<br />

den Auslän<strong>der</strong> noch zu schützen. Dieser Schutz ist auch am Anfang sicherlich notwendig;<br />

aber wenn dann diese Überprüfung <strong>der</strong> Arbeitsbedingungen dazu führt, dass <strong>der</strong><br />

Drittstaatsangehörige überhaupt keine Arbeitserlaubnis kriegt, weil die Verzögerung <strong>des</strong><br />

Verfahrens so lange dauert, dann kann man auch ein Stück weit darauf verzichten.<br />

In dem schriftlichen Statement habe ich noch auf einen Punkt hingewiesen, den will ich<br />

zumin<strong>des</strong>t ansprechen: Das ist die Umsetzung <strong>der</strong> Freizügigkeitsübergangsregelung. Bei<br />

<strong>der</strong> Freizügigkeit, glaube ich, müssen wir sehr genau aufpassen, ob die weiteren Än<strong>der</strong>ungen,<br />

die wir jetzt <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz vorhaben, mit <strong>der</strong> Stillstandsklausel aus den Beitrittsverträgen<br />

in Übereinst<strong>im</strong>mung zu bringen ist. Sie haben vielleicht gehört, dass das Europäische<br />

Parlament in <strong>der</strong> kommenden Woche einen Beschluss fassen wird, worin es die


7. Diskussion<br />

331<br />

Kommission auffor<strong>der</strong>t, ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten wegen <strong>der</strong> Nichteinhaltung<br />

<strong>der</strong> Stillstandsklausel. Wir sehen an <strong>der</strong> einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Stelle zwar die Position<br />

<strong>des</strong> Europäischen Parlaments für falsch an; aber trotzdem müssen wir schauen bei den<br />

weiteren Verän<strong>der</strong>ungen, dass uns nicht ein Vertragsverletzungsverfahren droht. Und insofern<br />

müssen wir die Bevorzugung von Bürgern aus den neuen acht EU-Mitgliedstaaten gegenüber<br />

neu Einreisenden Drittstaatsangehörigen in jedem Fall berücksichtigen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Roßocha.<br />

Jetzt kommen wir zur Fragestunde. Ich bitte darum, Fragen zu stellen. Ich wollte nur noch<br />

vorweg sagen, die schriftlichen Statements, und Herr Roßocha hatte eben auf seines verwiesen,<br />

können wir Ihnen per e-Mail übermitteln. Wir haben eine Teilnehmerliste erstellt.<br />

Also die Vortragenden brauchen nicht auf ihre schriftlichen Statements zu verweisen.<br />

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie, falls ich Sie nicht kenne, Ihren Namen sagen würden.<br />

Jetzt bitte ich um Meldungen.<br />

Herr Bürsch als erster, Herr Grindel, Herr Stadler, die drei erstmal. Ich habe es mir so vorgestellt,<br />

dass wir einige Fragen sammeln, 3 bis 5 Fragen und danach erst mal eine Antwortrunde<br />

machen.<br />

Ich würde vorschlagen, erst Herr Bürsch, dann Herr Stadler, dann Herr Grindel, in dieser<br />

Reihenfolge.<br />

Herr Bürsch:<br />

Drei Fragen, die erste an Herrn Staible und an Herrn Dercks. Wir haben uns bei <strong>der</strong> Erarbeitung<br />

<strong>des</strong> Gesetzes Gedanken gemacht, ob das Recht einheitlich angewandt wird o<strong>der</strong><br />

ob es, was wir befürchtet haben, eben doch Unterschiede gibt in <strong>der</strong> ganzen Republik, eben<br />

doch eine unterschiedliche Anwendung <strong>des</strong>sen, was wir als Verfahren und was wir<br />

von den Zulassungstatbeständen eingebaut haben.<br />

Deshalb die 1. Frage, das war aus den Antworten nicht deutlich: Können Sie schon jetzt irgendwelche<br />

regionalen Unterschiede feststellen? O<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s gefragt: Müsste vielleicht<br />

noch besser sichergestellt sein, dass es solche Unterschiede nicht gibt, das es eine tatsächlich<br />

einheitliche Rechtsanwendung gibt?<br />

2. Frage: Das, was Frau Houben angesprochen hat, hat uns auch bewegt, Herr Staible.<br />

Sie haben gesagt, dass ist alles soweit in Ordnung. An<strong>der</strong>e Zulassungstatbestände sind<br />

nicht erfor<strong>der</strong>lich. Wir haben in <strong>der</strong> Vorbereitung <strong>des</strong> Gesetzes z.B. Herrn Jagoda vor ein<br />

paar Jahren gehört, <strong>der</strong> uns schon damals – etwa 2001/2002 – deutlich gesagt hat, wenn<br />

wir demographisch mal vorausblicken, welchen Fachkräftemangel wir ab 2010 und dann<br />

ab 2015 noch viel stärker haben, müssen wir uns darauf auch vorbereiten. Insofern würde<br />

ich von <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur auch erwarten, dass sie in <strong>der</strong> Tat den Vorausblick mit anstellt<br />

und uns sagt, wo wir mit Blick auf die nächsten Jahre tatsächlich Erweiterungen brauchen.<br />

Und die 3. Frage betrifft das Punktesystem. Das war von einer Seite, die dieses Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

erarbeitet hat, tatsächlich auch gewünscht und gewollt. Dieser ehemalige<br />

§ 20 AufenthG war von einer an<strong>der</strong>en großen Volkspartei nicht gewollt. Ich wäre sehr<br />

dankbar, von denen, die das hier befürwortet haben, zu hören, wo könnten Sie denen, die<br />

da Sorgen haben, es würde ein großes Tor geöffnet, argumentativ da die Sorgen nehmen,<br />

dass dieses nun die große Öffnung bedeutet. Umgekehrt, also gerade aus Sicht <strong>der</strong> Arbeitgeber<br />

und <strong>der</strong> Gewerkschaften: Wie könnten wir da, was wir für den Arbeitsmarkt brauchen,<br />

vielleicht deutlichen Zuwachs erwarten über ein Punktesystem, was über die jetzigen<br />

Tatbestände eben hinausgeht.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bürsch. Dann Herr Abgeordneter Stadler.


332<br />

Herr Stadler:<br />

Ich muss eine Bemerkung machen zu dem was mehrere angesprochen haben: Zum Kriterium<br />

von 1 Million € Investitionssumme. Da darf ich Ihnen aus dem Gesetzgebungsverfahren<br />

einfach sagen: In <strong>der</strong> Regel heißt nur in <strong>der</strong> Regel und bedeutet kein k.o.-Kriterium.<br />

Das ist auch in <strong>der</strong> Gesetzesbegründung, glaube ich, sehr deutlich nachlesbar und insofern<br />

keine Frage, son<strong>der</strong>n eher eine Anmerkung von mir. Ich hätte aber eine Frage zu<br />

dem, was zu § 39 Abs. 4 AufenthG gesagt wurde, zu <strong>der</strong> Beschränkung <strong>der</strong> Zust<strong>im</strong>mung<br />

<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>beschäftigung auf best<strong>im</strong>mte Bezirke. Das ist ja von Frau Houben kritisiert<br />

worden. Man solle das großzügiger handhaben. In <strong>der</strong> Vorschrift gibt es auch die Möglichkeit,<br />

dass die Beschäftigung nur beschränkt wird auf best<strong>im</strong>mte Betriebe. Da wollte ich<br />

gerne von Herrn Staible und Herrn Bruhns wissen, ob auch diese Einschränkung praktiziert<br />

wird; und was denn dann geschieht, wenn Beschäftigung in diesem Betrieb nicht mehr<br />

möglich ist, sei es, weil vielleicht eine Probezeit nicht bestanden wird o<strong>der</strong> weil <strong>der</strong> Betrieb<br />

insolvent wird? Wie geht es nach Ihrer Erfahrung dann weiter?<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank. Dann Herr Abgeordneter Grindel, bitte schön.<br />

Herr MdB Grindel:<br />

Ich möchte mich bei Herrn Staible und Herrn Bruhns vor allen Dingen bedanken, weil es<br />

für uns als Abgeordnete wichtig ist, und so habe ich diesen Tag und den morgigen auch<br />

verstanden, aus <strong>der</strong> Praxis zu hören, wie die Erfahrungen mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

sind, und nicht alte politische Statements. Und <strong>des</strong>wegen würde ich gerne wissen wollen:<br />

Ist es ei den Selbständigen und auch bei den Höchstqualifizierten wirklich das Aufenthaltsrecht<br />

o<strong>der</strong> gibt es ganz an<strong>der</strong>e Gründe, weshalb wir eben nicht, vielleicht noch nicht so attraktiv<br />

sind. In Bezug auf die wirtschaftliche Lage, die Herr Dercks angesprochen hat, z.B.<br />

die Frage <strong>der</strong> Bezahlung, finde ich die Kritik an <strong>der</strong> 84.000 €-Grenze eher irritierend, weil<br />

eben für best<strong>im</strong>mte Berufe, wie wir wissen, in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n mehr bezahlt wird. Die<br />

Frage bürokratischer Hemmnisse ganz allgemein, wenn man eine Existenz gründen will.<br />

Ich würde ganz gerne von denen, die das kritisch angemerkt haben, von Frau Houben,<br />

vielleicht auch von Herrn Dercks o<strong>der</strong> auch von Herrn Bruhns, präzise wissen: Gibt es Fälle,<br />

nachprüfbar, wo wir sagen könnten, da hat es nur am Aufenthaltsrecht gelegen, weshalb<br />

jemand, <strong>der</strong> <strong>im</strong> Kampf um die klugen Köpfe uns helfen würde, nicht gekommen ist?<br />

Solche Fälle habe ich bisher so noch nie o<strong>der</strong> höchst selten vorgetragen bekommen. Das<br />

würde ich gerne von Ihnen wissen. Wie viele Fälle können Sie da benennen? O<strong>der</strong> ist es<br />

<strong>im</strong> Grunde genommen dann doch offen, aus welchen Gründen diese Kämpfe um die klugen<br />

Köpfe nicht so erfolgreich gewesen sind?<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank. Dann habe ich noch einen Fragesteller, Herr Dr. Maor. Und dann kommen<br />

wir erst einmal zu den Antworten.<br />

Herr Dr. Maor:<br />

Guten Tag. Ich habe eine Frage, vor allen Dingen in Richtung von Herrn Staible. Die geltende<br />

Rechtslage, und zwar die Durchführungsverordnung zum AZR-Gesetz, sieht ja vor,<br />

dass die Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach dem Aufenthaltsgesetz<br />

auf ein Füllhorn von Daten Zugriff hat. Dazu zählt auch, ob einem Auslän<strong>der</strong> tatsächlich<br />

ein Aufenthaltstitel erteilt wurde, mit einer Nebenbest<strong>im</strong>mung, wonach er eine Erwerbstätigkeit<br />

ausüben darf o<strong>der</strong> nicht und wonach er selbständig tätig sein darf o<strong>der</strong> nicht. Und<br />

außerdem haben sie ja auch Zugriff auf die AZR-Daten zu Titel nach § 19 und § 21 AufenthG.<br />

Es gab nun eine Übergangsfrist bis Ende <strong>des</strong> vergangenen Jahres, wo die Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

das noch nicht so zum AZR melden mussten. Und die melden jetzt nach und<br />

speisen das jetzt ein.<br />

Meine Frage ist: Ich hatte aus Ihrem Beitrag herausgehört, dass Sie keinen vollständigen<br />

Überblick über das Migrationsgeschehen haben. Meine Frage ist: Nutzen Sie diese Daten<br />

aus dem AZR bereits? Zweite Frage: Wenn Sie es nutzen, wie nutzen Sie es, wie valide<br />

sind die Daten aus Ihrer Sicht? Und wenn Sie es nicht nutzen, warum nutzen Sie es nicht?<br />

Und wenn es Probleme vor allen Dingen mit <strong>der</strong> Validität gibt, welche? Danke schön.<br />

Herr Dr. Lehnguth:


333<br />

Gut herzlichen Dank, Herr Maor. Dann kommen wir mal zu den Antworten. Die ersten Fragen<br />

waren an Herrn Staible gerichtet. Fragen <strong>des</strong> Herrn Abgeordneten Bürsch und auch<br />

von Herrn Abgeordneter Stadler. Herr Staible, vielleicht fangen Sie mal bitte an.<br />

Herr Staible:<br />

O.k., also ich habe mir 4 Fragen an mich notiert. Das erste war die einheitliche Rechtsanwendung<br />

und hier die Frage, ob es regionale Unterschiede gibt. Also: Wie stellen wir die<br />

einheitliche Rechtsanwendung als Bun<strong>des</strong>agentur für Arbeit sicher? Da sind wir noch in einer<br />

vergleichsweise günstigeren Position, als das auf Seiten <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde <strong>der</strong><br />

Fall ist. Wir haben Durchführungsanweisungen, die wir <strong>im</strong>mer noch herausgeben; die haben<br />

wir auch zum Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz, zum Aufenthaltsgesetz und zu den Beschäftigungsverordnungen<br />

herausgeben und wir pflegen diese kontinuierlich. Diese sind für die<br />

Dienststellen auch verbindlich. Soweit die Theorie. In <strong>der</strong> Praxis wird es so sein, dass es<br />

regionale Unterschiede in <strong>der</strong> Anwendung gibt. Die Frage ist, ob das <strong>im</strong>mer schlecht o<strong>der</strong><br />

auch gut ist. Einerseits legen auch wir ganz großen Wert auf dezentrale Handlungskompetenzen<br />

und auf Entscheidungskompetenz vor Ort. Und da mag es beispielsweise sein,<br />

dass eine Arbeitsmarktprüfung allein auch aus strukturellen o<strong>der</strong> arbeitsmarktlichen Gründen,<br />

die ja sehr unterschiedlich sind, bun<strong>des</strong>weit einen an<strong>der</strong>en Charakter <strong>im</strong> Ort X in Ostdeutschland<br />

als <strong>im</strong> Ort Y in Westdeutschland ann<strong>im</strong>mt. Also von daher mag es hier zu regionalen<br />

Unterschieden kommen. Aber gleichwohl: Wir haben hier Regelungen eigentlich<br />

zu je<strong>der</strong> Vorschrift, die die Handhabung beschreiben. Daran anknüpfend zum § 13 Beschäftigungsverfahrensverordnung;<br />

<strong>der</strong> ist ja jetzt nun mehrfach genannt und auch kritisiert<br />

worden. Ich fasse das so zusammen, dass die Handhabung <strong>der</strong> Agenturen zu rigide, zu<br />

restriktiv sei. Der § 13 Beschäftigungsverfahrensverordnung sagt, dass die Zust<strong>im</strong>mung<br />

beschränkt werden kann. Und dann nennt er mehrere Punkte: die Zust<strong>im</strong>mung kann hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> beruflichen Tätigkeit <strong>des</strong> Arbeitgebers, <strong>des</strong> Bezirkes <strong>der</strong> Agentur für Arbeit,<br />

und <strong>der</strong> Lage und Verteilung <strong>der</strong> Arbeitszeit beschränkt werden. Wann wird die Agentur<br />

von diesen Beschränkungen Gebrauch machen? Sie wird es <strong>im</strong>mer dann tun, wenn das<br />

eine arbeitsmarktliche Relevanz hat. Wenn ich jetzt einen überregionalen Einsatz dort habe,<br />

dann mag es sein, dass zwar vor Ort die Beschäftigung durch einen Auslän<strong>der</strong> erfolgen<br />

kann, aber an einem an<strong>der</strong>en wie<strong>der</strong> nicht. Aber hier gilt eigentlich die Maßgabe o<strong>der</strong> die<br />

Empfehlung, die ich jetzt aussprechen würde: So wenig Beschränkungen wie möglich und<br />

soviel wie nötig, um den Arbeitsmarkt zu sichern. Das gilt auch für die Zeit. Bisweilen findet<br />

man eben auf dem inländischen, auf dem he<strong>im</strong>ischen Arbeitsmarkt keine bevorrechtigten<br />

Bewerber für Arbeitszeiten, die absolut untypisch und unüblich sind. Und aus diesem<br />

Grund kommt dann auch die Beschränkung in den Titel, um alle Beteiligten klar zu machen,<br />

auch für die Kontrolle, <strong>der</strong> arbeitet in <strong>der</strong> Tat von X bis Y und nicht darüber hinaus,<br />

um die Kontrollen auch hier zu ermöglichen. Aber ich will jetzt nicht meine Hand dafür ins<br />

Feuer legen, das sage ich ganz ehrlich, ob alle diese Beschränkungen etwa, die da erteilt<br />

werden, auch <strong>im</strong> Einzelfall arbeitsmarktlich notwendig sind, dass eine Nebenbest<strong>im</strong>mung<br />

räumlich nicht nur auf den Agenturbezirk beschränkt sein muss, das kann man auch regional,<br />

bezirksweit handhaben. Dann schalte ich die Regionaldirektion ein o<strong>der</strong> auch darüber<br />

hinaus. Es muss also nicht unbedingt auf den Agenturbezirk, nicht unbedingt auf den Betrieb<br />

zugeschnitten werden.<br />

Dann war die Frage nach dem Fachkräftemangel und: Wo brauchen wir Erweiterung?<br />

Es ist natürlich absolut richtig und ich sehe das auch so: Wir brauchen Zuwan<strong>der</strong>ung, insbeson<strong>der</strong>e<br />

<strong>im</strong> qualifizierten und hochqualifizierten Bereich, das ist keine Frage. Wir sollten<br />

auch nicht warten, bis die demographischen Effekte vollends nie<strong>der</strong>schlagen. Nur, worauf<br />

ich hinweisen wollte, ist: Zuwan<strong>der</strong>ung ist nicht das Allheilmittel und es ist auch nicht die<br />

einzige Strategie, die ich anwenden kann und anwenden muss, um hier den Fachkräftemangel<br />

zu beseitigen o<strong>der</strong> dem entgegenzuwirken. Darauf kam es mir eigentlich an. Es<br />

gibt an<strong>der</strong>e Instrumente, wo ich drüber nachdenken muss. Wie schaut es aus mit unserem<br />

Ausbildungssystem? Wie schaut es aus mit <strong>der</strong> Personalentwicklung und einer vorausschauenden<br />

Personalpolitik in den Unternehmen? Wie schaut es aus mit <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit<br />

von Älteren, von Frauen? Es gibt also eine ganze Kette von Maßnahmen, die sind allen<br />

bekannt, und da sehen wir die Zuwan<strong>der</strong>ung als ein Element, ein wichtiges Element<br />

neben an<strong>der</strong>en. Und zum jetzigen Zeitpunkt, meine Einschätzung, dabei bleibe ich, werden<br />

die vorhandenen Instrumente noch nicht hinreichend genutzt; da müssen wir auf dem Klavier,<br />

was wir haben, noch ein wenig spielen.<br />

So, dann war es noch <strong>der</strong> Punkt zu den AZR-Daten. Meine Bemerkung, die Bun<strong>des</strong>agentur<br />

habe keine Gesamtschau über die Daten, zielt darauf ab, dass wir Sie in unseren Systemen<br />

nicht allein haben. Inwieweit die Agenturen für Arbeit sich <strong>im</strong> AZR schlau machen,


334<br />

kann ich Ihnen nicht sagen. Was ich weiß und was bei mir ankommt, ist, dass auch das<br />

AZR noch <strong>der</strong> erheblichen Pflege und Nacherfassung von Daten bedarf. Ich bin mir nicht<br />

sicher, ob das AZR die Sachverhalte so, wie ich das jetzt gemeint habe, zum jetzigen Zeitpunkt<br />

abbildet. Es wäre aus meiner Sicht <strong>der</strong> richtige Platz, um diese Informationen zu<br />

bündeln, damit wir sie an einer Stelle haben und dann vorhalten können, auch be<strong>im</strong> Beschäftigungszugang.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut, herzlichen Dank Herr Staible. Herr Bruhns, möchten Sie noch etwas – Sie sind auch<br />

angesprochen worden – ergänzen?<br />

Herr Bruhns:<br />

Ja, ich würde nur gern noch einmal hinweisen auf § 4 Absatz 2 Satz 4 AufenthG, <strong>der</strong> ganz<br />

eindeutig festlegt, dass die Auslän<strong>der</strong>behörden die Beschränkungen zu übernehmen haben<br />

in den Aufenthaltstitel, die sich aus <strong>der</strong> Zust<strong>im</strong>mung <strong>der</strong> Arbeitsagentur ergeben. Das<br />

heißt, wenn die Frage gestellt wird, ob wir Beschränkungen, z. B. <strong>der</strong> Tätigkeit auf einen<br />

best<strong>im</strong>mten Betrieb, durchsetzen, dann sage ich, wenn die Arbeitsagentur ihre Zust<strong>im</strong>mung<br />

so formuliert hat, dann müssen wir das so übernehmen. Da hat die Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

keinen Spielraum.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank. Dann gibt es noch die Frage von Herrn Abgeordneten Grindel hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Höchstqualifizierten; die war gerichtet an Herrn Dr. Dercks und an Herrn Bruhns. Herr<br />

Bruhns, bitte.<br />

Herr Bruhns:<br />

Wir haben bisher nur ganz wenige Hochqualifizierte in Hamburg mit diesem Titel versehen<br />

können. Das mag daran liegen, dass es eine nicht ganz so ausgeprägte Trennschärfe gibt<br />

zwischen dem § 19 AufenthG und einigen Spezialnormen aus <strong>der</strong> Beschäftigungsverfahrensverordnung.<br />

Es gibt etwa Überlagerungen <strong>im</strong> Bereich <strong>des</strong> wissenschaftlichen Personals<br />

und da kann es durchaus sein, dass einige von denen auch noch nach an<strong>der</strong>en<br />

Rechtsgrundlagen ihre Aufenthaltstitel erhalten haben.<br />

Frau Houben:<br />

Eine Ergänzung, weil Sie mich auch gezielt angesprochen hatten zu dem Fall <strong>der</strong> Grenze<br />

von 84.000 €. Nein, liegt uns kein Fall vor <strong>im</strong> positiven Sinne, <strong>der</strong> sagt, nur wegen <strong>der</strong><br />

84.000 € hat es nicht funktioniert. Aber was wir hören, und das finde ich eigentlich viel bedauerlicher,<br />

das ist, dass die Unternehmen ganz klar dieses Signal für sich so werten, dass<br />

sie sich gar nicht erst darum bemühen, diese Menschen anzuwerben. Und wir sehen das<br />

gerade <strong>im</strong> Süden, in Baden-Württemberg, wo <strong>der</strong> Arbeitsmarkt deutlich besser läuft als <strong>im</strong><br />

Rest <strong>der</strong> Republik, wo man auch nach wie vor sehen kann, dass gerade kleine und mittelständische<br />

Unternehmen – denn das betrifft we<strong>der</strong>, o<strong>der</strong> nicht in so starkem Umfange, den<br />

Da<strong>im</strong>ler o<strong>der</strong> den Bosch, die auch auf dem deutschen Arbeitsmarkt in <strong>der</strong> Regel noch Kräfte<br />

rekrutieren können. – über eklatanten Ingenieurmangel in ihrem Bereich berichten und<br />

sozusagen von dieser Regelung per se abgeschreckt sind. Und Sie haben völlig Recht,<br />

wenn Sie sagen, die gleichen qualifizierten Kräfte können <strong>im</strong> Ausland deutlich mehr verdienen,<br />

was natürlich auch an <strong>der</strong> Brutto-Nettodifferenz in Deutschland liegt und was es<br />

auch attraktiver macht, in an<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong> zu gehen. Das ist dann aber <strong>der</strong> Wettbewerb um<br />

die besten Köpfe, wie es so schön heißt. Aus unserer Sicht ist es wichtig, die Potentiale<br />

zunächst mal zu erschließen und auch den Unternehmen deutlich zu machen, es besteht<br />

hier die Möglichkeit, auf qualifizierte Mitarbeiter <strong>im</strong> Ausland zurückzugreifen. Und da muss<br />

man einfach sagen, auch das st<strong>im</strong>mt, dass das Gehaltsniveau in Deutschland insgesamt<br />

niedriger ist. Also 84.000 €, da freut sich je<strong>der</strong> junge Akademiker darüber, wenn er als<br />

Hochqualifizierter diese Summen in deutschen Unternehmen erzielen könnte. Das ist sicherlich<br />

dann eine Frage <strong>des</strong> Marktpreises. Aber die Frage ist, welches Signal sende ich<br />

an die Unternehmen und mit welchem Signal bemühen die sich darum, qualifizierte Kräfte<br />

aus dem Ausland zu bekommen. Und diese Resignation zu sagen, also das ist gar nicht<br />

das Niveau, wobei es nicht um die Qualifikation geht. Denn die Idee <strong>der</strong> 84.000 € war ja,<br />

eine hohe Meßlatte zu legen, um zu sagen, es soll eben nicht je<strong>der</strong> reinkommen o<strong>der</strong> mit<br />

einer geringeren Qualifikation das Ganze dann doch unterlaufen. Das ist nicht unser Ansinnen,<br />

das möchte ich nur ganz klar an dieser Stelle deutlich machen. Aber das Signal,


335<br />

das wir da senden, das ist aus unserer Sicht zu restriktiv und die Potentiale, die da liegen,<br />

werden nicht erschlossen. Dabei geht es eben nicht um den konkreten Fall, bei einer Behörde<br />

darum zu rangeln, sind es nun 83.000 € o<strong>der</strong> 84.000 €, son<strong>der</strong>n insgesamt in die<br />

Unternehmerschaft das Signal zu geben, hier bestehen Spielräume. Und daher ist es uns<br />

sehr wichtig, dass dieses Kriterium noch mal aufgegriffen wird.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Frau Houben. Herr Bürsch, Sie hatten noch nach dem Punktesystem gefragt<br />

und wollten Argumente haben. Da kann ich das Wort an Herrn Dercks geben.<br />

Herr Dercks:<br />

Das eine hängt auch mit dem letzten genannten Punkt irgendwo zusammen. Also zum einen<br />

meine Antwort auch auf die Frage: Gibt es konkrete Fälle? Also IHK´s berichten in <strong>der</strong><br />

Tat von Fällen, dass mittelständische Unternehmen bereit gewesen wären, jemanden einzustellen,<br />

die aber nicht die 84.000 € zahlen können. Es hätte also jemanden konkret gegeben,<br />

<strong>der</strong> das gemacht hätte, <strong>der</strong> auch dann ins Lohngefüge <strong>des</strong> Betriebs hereingepasst<br />

hätte. Denn es ist ja so, dass man in <strong>der</strong> Regel als Betrieb we<strong>der</strong> nach oben noch nach unten,<br />

wer weiß wie viel, abweicht, darum sind manche Sorgen, die in dem Zusammenhang<br />

geäußert werden, glaube ich, auch nicht <strong>im</strong>mer berechtigt. Also diese Fälle gibt es. Die hat<br />

es auch <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>der</strong> Green Card gegeben, wobei es da eine flexiblere Regelung<br />

gab. Man hatte die Ost-West-Grenze, man hatte auch die Ortsüblichkeit <strong>der</strong> Gehälter;<br />

also da war es nicht so, wie wir das jetzt hier bei dieser Regelung haben. Und wir müssen<br />

einfach auch sehen, dass gerade <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Hochqualifizierten, ja gerade die jungen<br />

Leute diejenigen sind, die auch international mobil sind. Sprich, es geht auch um den<br />

Einstieg ins Berufsleben nach einem hochqualifizierten Universitätsabschluss. Und da<br />

werden eben in <strong>der</strong> Regel in den Betrieben diese Summen nicht bezahlt. Und da geht’s<br />

eben dann gar nicht mehr darum, kann man soviel zahlen, son<strong>der</strong>n darum, ob ich es den<br />

Kollegen aus Deutschland zumuten kann, jemanden so viel mehr zu zahlen. Und das spielt<br />

natürlich in <strong>der</strong> betrieblichen Personalpolitik eine Rolle. Nun ist natürlich das Punktesystem,<br />

und da will ich gar nicht ausweichen, ein Weg, sozusagen diese Einkommensgrenzen-Diskussion<br />

zu vermeiden. Da muss Politik sich auch entscheiden, was sie sozusagen<br />

glaubt, in <strong>der</strong> Bevölkerung besser vermitteln zu können. Das will ich gern anhe<strong>im</strong> stellen.<br />

Aber das Thema Einkommenshöhe relativiert sich natürlich, wenn ich an<strong>der</strong>e Kriterien habe.<br />

Ob ich das dann Punktesystem nenne o<strong>der</strong> wie auch <strong>im</strong>mer, sei mal dahingestellt. Aber<br />

bei den Selbständigen z. B. haben wir ja diese Situation, dass eigentlich nach dem Gesetz<br />

nach verschiedenen Kriterien beurteilt wird, nicht nur nach diesen Regelbeispielen,<br />

Herr Stadler, die da genannt sind, son<strong>der</strong>n eben nach vielen Kriterien, die entwe<strong>der</strong> <strong>im</strong><br />

Gesetz stehen o<strong>der</strong> eben daraus abgeleitet werden können. Und dann bin ich da be<strong>im</strong> letzten<br />

Punkt, zu dem ich was sagen möchte. Ja, hier gibt es sehr unterschiedliche Auslegungen,<br />

weil das, was Herr Stadler zu Recht noch einmal betont hat, eben nicht überall so angewendet<br />

wird, son<strong>der</strong>n die Wörtchen „in <strong>der</strong> Regel“ in <strong>der</strong> alltäglichen Praxis, so uns das<br />

die IHK´en übermitteln, dann auch schon einmal weggelassen werden mit <strong>der</strong> Folge, dass<br />

sozusagen fast gar keine Selbständigen bei <strong>der</strong> einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Auslän<strong>der</strong>behörde eine<br />

Chance haben. Hier gibt es durchaus größere Unterschiede. Hier gibt es Situationen,<br />

wo die Praxis restriktiver ist als vor Inkrafttreten <strong>des</strong> Gesetzes. Es gibt das Beispiel Hamburg,<br />

wo es sehr gut läuft, wo auch die Zusammenarbeit zwischen Kammer und Behörde<br />

sehr gut funktioniert. Es gibt auch innerhalb von einzelnen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n Unterschiede;<br />

es ist also nicht nur so, dass es in Schleswig-Holstein an<strong>der</strong>s ist als in Bayern. Es kann<br />

auch sein, dass es in Ort A in Schleswig-Holstein restriktiver ist als in Ort B. Unser Eindruck<br />

ist, dass es sehr viel an <strong>der</strong> großen Unsicherheit liegt, die in den Behörden zu diesem<br />

Punkt herrscht. Das ist gar nicht alles nur böser Wille, son<strong>der</strong>n hier könnte man, so<br />

unser Eindruck, mit entsprechenden Informationen und Aufklärung durchaus noch etwas<br />

tun. Wir wissen ja auch gerade durch unsere Stellungnahmen von Seiten <strong>der</strong> IHK´s, dass<br />

das ein schwieriges Geschäft ist. Dass es da den einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Missbrauchsversuch<br />

gibt, auch von ausländischer Seite, ist auch völlig unbestritten, da muss man dann auch<br />

mal nein sagen. Deshalb haben wir auch einen relativ umfangreichen Kriterienkatalog erarbeitet.<br />

Aber so ein bisschen klareres Fahrwasser auf Seiten <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

bun<strong>des</strong>weit würden wir uns dann an dieser Stelle schon wünschen. Das wäre, glaube ich,<br />

<strong>im</strong> Interesse aller Beteiligten auch ganz gut. Danke.


336<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut, herzlichen Dank, Herr Dercks. Wir erarbeiten ja Verwaltungsvorschriften, also Ausführungsvorschriften,<br />

die mit den Län<strong>der</strong>n eines Tages das Licht <strong>der</strong> Welt erblicken, und wir<br />

werden gewiss etwas an Vorgaben geben können, so dass wir da best<strong>im</strong>mt eine große<br />

Einheitlichkeit bewirken können. Herzlichen Dank dafür.<br />

Gibt es weitere Fragen zu diesem Thema? Herr Roßocha, bitte.<br />

Herr Roßocha:<br />

Ich denke, Herr Bürsch hat recht gehabt bzgl. <strong>der</strong> Frage <strong>des</strong> Punktesystems. Man hätte die<br />

Chance gehabt, mit kleinen Zahlen anzufangen. Man hätte die Chance gehabt, mit einigen,<br />

mit best<strong>im</strong>mten Staatsagehörigen anzufangen. Aber es war ja keine Frage <strong>der</strong> sachlichen<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung über ein System, um möglichst gut qualifizierte Menschen in die Bun<strong>des</strong>republik<br />

hineinzuholen, son<strong>der</strong>n es war eine Auseinan<strong>der</strong>setzung, ob wir bei den Ausnahmen<br />

bleiben wollen o<strong>der</strong> ob wir auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite offen steuernd das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

gestalten wollen. Insofern ist diese Debatte auch nicht abgeschlossen. Aber<br />

sie ist nicht, glaube ich, zentraler Gegenstand <strong>der</strong> <strong>Evaluierung</strong>. Denn wir sollten uns in <strong>der</strong><br />

<strong>Evaluierung</strong> sehr stark auch darauf konzentrieren, wo denn Verfahren o<strong>der</strong> wo denn Gesetzgebungsbest<strong>im</strong>mungen<br />

vorhanden sind, die in <strong>der</strong> Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten<br />

führen. Ich will noch zwei Sätze sagen zu <strong>der</strong> Beschränkung nach § 39 Abs. 4 AufenthG.<br />

Herr Staible, schauen Sie sich doch einmal die Dienstanweisung <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur<br />

zu diesem Punkt an. In <strong>der</strong> Beschäftigungsverordnung steht „kann“ drin, in <strong>der</strong> Dienstanweisung<br />

steht die Zust<strong>im</strong>mung „ist grundsätzlich“ zu verbinden mit den entsprechenden<br />

Beschränkungen. Wir haben da eine sehr unterschiedliche Struktur bei den Beschränkungen,<br />

die teilweise zu Fällen führen, die vom Zoll dann bearbeitet werden müssen. Wir haben<br />

nämlich keine Beschränkungen bei den zust<strong>im</strong>mungsfreien Beschäftigungen nach<br />

§ 18 AufenthG. Wir haben keine Beschränkungen bei den kurzfristig entsandten Arbeitskräften<br />

o<strong>der</strong> auch den an<strong>der</strong>en Gruppen, die dort drin sind, und dort gibt es eine Reihe von<br />

Fällen, wo dann die Finanzkontrolle eingreifen musste, weil die Tätigkeiten völlig an<strong>der</strong>e<br />

waren als die, die vorher genehmigt worden sind. Und insofern haben wir eine sehr unterschiedliche<br />

Handhabung bei den Tätigkeiten, bei denen es möglicherweise nicht notwendig<br />

ist, auf alles zu beschränken. Wir haben die Beschränkung laut Dienstanweisung bei an<strong>der</strong>en<br />

Tätigkeiten, die zust<strong>im</strong>mungsfrei sind, wo die Auslän<strong>der</strong>behörde eigenständig die Aufenthaltserlaubnis<br />

mit Erwerbstätigkeit gibt, grundsätzlich nicht. Und bei den Tätigkeiten gibt<br />

es halt ein paar Probleme, dass Menschen in völlig an<strong>der</strong>e Tätigkeiten hineingebracht<br />

worden sind und auch entsprechend die Vergleichbarkeit <strong>der</strong> Arbeitsbedingungen nicht<br />

gewährleistet ist, an<strong>der</strong>s als bei den an<strong>der</strong>en Tätigkeiten. Danke.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Roßocha. Gibt es weitere Fragen? Bitte schön.<br />

Herr Pfaff:<br />

Mein Name ist Pfaff, ich bin Rechtsanwalt in Frankfurt. Herr Staible, zwei Punkte. Einmal<br />

zum § 16 Abs. 4 AufenthG, <strong>der</strong> ja als große Erleichterung gefeiert wird. Ich sehe das aus<br />

<strong>der</strong> Erfahrung heraus etwas kritischer. Wir hatten <strong>im</strong> alten § 28 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz<br />

Auslän<strong>der</strong>gesetz eine Öffnungsklausel. Hier konnte <strong>der</strong> Student, auch wenn ein öffentliches<br />

Interesse gegeben war, überwechseln in die Beschäftigung. Und wir waren dann über<br />

diese auslän<strong>der</strong>rechtliche Vorschrift in <strong>der</strong> ASAV in § 5 und da sind wir jetzt dann heute<br />

auch wie<strong>der</strong>. Der Student, <strong>der</strong> sein Studium abgeschlossen hat, also <strong>der</strong> Hochschulabsolvent,<br />

kommt ja über den § 16 Abs. 4 AufenthG nicht unmittelbar in ein Beschäftigungsverhältnis,<br />

son<strong>der</strong>n ihm wird nur Zeit gegeben, eines zu suchen. Aber dann ist er genauso den<br />

Beschränkungen unterworfen – u.z. <strong>der</strong> Beschäftigungsverfahrensverordnung mit Verweisen<br />

auf die Beschäftigungsverordnung – wie das <strong>im</strong> Prinzip auch vorher war. Also: Ich sehe<br />

da keine große Erleichterung gegenüber früher. Der zweite Punkt betrifft das Zusammenspiel<br />

von Auslän<strong>der</strong>behörde und Bun<strong>des</strong>agentur. Sie haben das so dargestellt, dass<br />

es <strong>im</strong> Großen und Ganzen klappt. Ich möchte mal einen an<strong>der</strong>en Blick darauf werfen. Die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden sind jedenfalls bis jetzt nicht genug ausgebildet, die richtige Anfrage<br />

an die Agentur zu richten. Ich will es an einem Beispiel verdeutlichen. Man hat es mit einem,<br />

sagen wir, 21-jährigen zu tun, <strong>der</strong> vor dem 18. Lebensjahr eingereist ist und hier ei-


337<br />

nen Hauptschulabschluss gemacht hat. Sie wissen, er genießt die Vergünstigung, dass eine<br />

Arbeitsmarktprüfung nicht mehr statt findet. Genau wie früher nach <strong>der</strong> Arbeitsgenehmigungsverordnung.<br />

Wenn ich jetzt <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur in <strong>der</strong> Anfrage dieses nicht mitteile,<br />

die zwei Daten, vor dem 18. Lebensjahr eingereist, hat eine Aufenthaltserlaubnis und hat<br />

hier den Hauptschulabschluss gemacht, dann findet eine Arbeitsmarktprüfung statt, die<br />

aber überflüssig ist. Ich könnte auch ein zweites Beispiel nennen. Der § 9 Beschäftigungsverfahrensverordnung<br />

ist ja auch nicht so einfach zu handhaben. Also <strong>im</strong> Grunde muss <strong>der</strong><br />

Mitarbeiter, muss die Mitarbeiterin bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde die Durchführungsanweisungen<br />

ihrer Agentur kennen, um eine treffende, richtige Anfrage an die Agentur richten zu<br />

können. In meiner Praxis lasse ich mir <strong>im</strong>mer eine Kopie <strong>der</strong> Anfrage mitteilen, um zu kontrollieren,<br />

ob die Anfrage richtig gestellt worden ist. O<strong>der</strong> ich gehe dann direkt zur Agentur<br />

und regele das dann dort, was nach wie vor <strong>der</strong> beste Weg ist. Also: Meine Einschätzung<br />

ist nicht nur die eines Anwaltes, ich kann das hier vielleicht so sagen; auch Herr Zahn, den<br />

Sie kennen, Leiter <strong>der</strong> Arbeitserlaubnisabteilung <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>agentur in Frankfurt, hat auch<br />

eher eine sehr kritische Auffassung. Ich möchte noch hinzufügen: Das AZR hilft ja in diesen<br />

Fällen nicht, es wird ja erst mal ein Antrag gestellt. Und die Daten, die <strong>im</strong> Antrag enthalten<br />

sind, die sind ja noch nicht <strong>im</strong> AZR. Also mit dem AZR allein kommt die Agentur<br />

auch nicht weiter. Danke schön.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Pfaff. Gibt es weitere Fragen? Ich selbst habe auch noch eine Frage.<br />

Wir sind ja vorhin, Herr Roßocha, Sie haben den Punkt angesprochen, auf Beschäftigungserlaubnisse<br />

bei Geduldeten und Asylbewerbern zu sprechen gekommen. Da gab es<br />

auch in <strong>der</strong> Presse Klagen. Liegen hierzu Erkenntnisse vor, in welchem Umfang eigentlich<br />

Beschäftigungen nicht weiter erlaubt werden konnten? Weil von den Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

dann erst Versagungsgründe erkannt wurden, die bis dahin durch die Arbeitsverwaltung<br />

eben nicht bekannt waren. Und durch das One-stop-Government ist eben diese neue Erkenntnislage<br />

erst entstanden. Diese Frage würde ich ganz gern an Herrn Bruhns richten.<br />

Aber wir wollten erst die von Herrn Pfaff beantworten. Die Frage zu § 16 Abs. 4 AufenthG,<br />

zu den Studenten. Das ist auch an Sie gerichtet gewesen und an Herrn Staible. Bitte<br />

schön.<br />

Herr Staible:<br />

Zum § 16 Abs. 4, <strong>der</strong> hat ja zwei Elemente. Nach erfolgreichem Abschluss <strong>des</strong> Studiums<br />

hat <strong>der</strong> Studienabsolvent einen einjährigen Aufenthalt zur Suche eines studienplatzadäquaten<br />

Arbeitsplatzes. Die Beschäftigungserlaubnis dann, um das wie<strong>der</strong> aufzunehmen,<br />

vollzieht sich nach dem § 27. Da steht dann drinnen, dass er dann zugelassen werden<br />

kann, wenn er das gefunden hat, natürlich auch früher. Für die Zwischenzeit, für diese einjährige<br />

Suche, um die es Ihnen geht, da ist das ein Inlän<strong>der</strong>/Auslän<strong>der</strong> und die Beschränkungen<br />

<strong>der</strong> Beschäftigungsverordnung würde ich dort nicht anwenden. Also auch ich<br />

bräuchte ja dann eine best<strong>im</strong>mte Berufsgruppe o<strong>der</strong> Branche, wo er eben reinpasst. Ist<br />

aber nicht so. Der ist hier Inlän<strong>der</strong>/Auslän<strong>der</strong>, dann gilt die Beschäftigungsverfahrensverordnung<br />

und dann lassen wir den ganz normal mit schlichten Arbeitsmarktprüfung zu. Auch<br />

durchaus für eine geringer qualifizierte Beschäftigung mit dem Aspekt, <strong>der</strong> soll ja von irgendetwas<br />

leben. Also so jedenfalls die Philosophie, die wir dort beherzigen, und wenn die<br />

allerdings nicht durchgängig so gehandhabt wird o<strong>der</strong> sie jetzt dort ein an<strong>der</strong>es Erlebnis<br />

hatten, dann müsste man das gegebenenfalls noch mal überprüfen dann. Die zweite Frage<br />

war: Zusammenspiel Auslän<strong>der</strong>behörde Agentur für Arbeit. Ja, ich gebe Ihnen Recht: Das<br />

stellt größere Anfor<strong>der</strong>ungen an die Kenntnis einer Auslän<strong>der</strong>behörden als an uns von den<br />

Agenturen. In <strong>der</strong> Tat muss <strong>der</strong> Sachbearbeiter in <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde den Beschäftigungssachverhalt<br />

würdigen und uns die relevanten Daten mitteilen. Wenn er das nicht tut,<br />

dann entstehen Mängel in <strong>der</strong> Entscheidung. Da gebe ich Ihnen Recht, da muss man überlegen,<br />

ob man diese Sachverhalte, wenn sie denn häufiger so auftreten, in den entsprechenden<br />

Abfragen abbilden kann o<strong>der</strong> hier auch noch mal einwirkt: Achtet da auf best<strong>im</strong>mte<br />

Sachverhalte.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut, herzlichen Dank. Herr Bruhns, können Sie noch was anfügen?<br />

Herr Bruhns:


338<br />

Ja, ich teile schon die Auffassung, dass in den Auslän<strong>der</strong>behörden hier wirklich Fehlerquellen<br />

möglich sind. Wir haben, wie ich vorhin schon sagte, in Hamburg versucht, durch gegenseitige<br />

und gemeinsame Schulungen solche Dinge anzusprechen. Es zeigt aber auch<br />

ganz allgemein die doch erhebliche Mehrbelastung und vor allen Dingen auch die gestiegenen<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen, die einfach an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

gestellt werden. Was ich nicht unbedingt jetzt hier gleich mit <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung nach<br />

mehr Stellen verbinden will. Aber man sieht schon, dass schlichtweg die Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

wachsen. Und wenn man dieses Verfahren weiter durchführen will, dann muss man natürlich<br />

ordentlich prüfen. Das dauert aber länger. Das muss man wirklich sehen. Also die Belastungen<br />

sind auch für die Auslän<strong>der</strong>behörden stärker geworden. Und allgemein muss<br />

man sagen, die Sachkompetenz, die eigentlich die Bun<strong>des</strong>agentur hat, wird in diesen Fällen<br />

nicht genützt, son<strong>der</strong>n sie geht erst durch den Filter <strong>der</strong> letzten En<strong>des</strong> insoweit nicht so<br />

kompetenten Auslän<strong>der</strong>behörde. Das ist, denke ich, eine Schwäche dieses Systems. Das<br />

muss man einräumen.<br />

Die zweite Frage war zu den Geduldeten. Also wir haben in Hamburg schon vor dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

<strong>im</strong>mer eine relativ restriktive Haltung eingenommen gegenüber den<br />

Personen, die ausreisepflichtig waren und erkennbar und nachhaltig ihre Ausreise, auch<br />

die freiwillige Ausreise, verhin<strong>der</strong>t haben. Da haben wir schon früher bei <strong>der</strong> Zulassung zu<br />

einer Erwerbstätigkeit sehr zurückhaltend agiert. Und insofern hat es eigentlich keine Fälle<br />

gegeben, in denen durch das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz nunmehr eine vorher erlaubte o<strong>der</strong> von<br />

uns zugelassene Erwerbstätigkeit beendet werden musste.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Bruhns. Weitere Fragen liegen nicht vor. Wir sind auch gut in <strong>der</strong><br />

Zeit.<br />

Aus unserer Sicht würde ich die Diskussion in diesen zwei Stunden unter fünf Punkten zusammenzufassen<br />

versuchen.<br />

Aus unserer Sicht stellt es sich so dar, dass grundsätzlich die Neuregelung zur Arbeitsmigration,<br />

zum neuen Verfahren One-stop-Government begrüßt wurde. Von <strong>der</strong> Mehrzahl wird<br />

auch die Beibehaltung <strong>des</strong> Anwerbestopps begrüßt, aber nicht von allen, von einigen auch<br />

bemängelt, etwa dem DIHK beispielsweise. Anscheinend beinhaltet das One-stop-<br />

Government noch Verfahrensprobleme, die hier eben in einzelnen Nuancen hervorgehoben<br />

worden sind. Die Bun<strong>des</strong>agentur hat ja in diesem Bereich für 2006 noch ein elektronisches<br />

Verfahren in Aussicht gestellt. Und wir sind zur Meinung gekommen, dass hier Verfahrensbeschleunigungen<br />

notwendig sein können. Auch be<strong>im</strong> Datenbestand <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>anstalt<br />

müssen noch Verbesserungen, wenn ich das jetzt recht gehört habe, durchgeführt<br />

werden. Die Studentenregelung, das ist <strong>der</strong> zweite Punkt, ist durchweg positiv, mit Einschränkungen,<br />

betrachtet worden. Drittens wird bei <strong>der</strong> betrieblichen Ausbildung <strong>der</strong> Verzicht<br />

auf bürokratische Hemmnisse gefor<strong>der</strong>t. Arbeitsmigration <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> von den § 18<br />

AufenthG wird auch grundsätzlich begrüßt, aber die Regelungen seien hier in einigen Bereichen<br />

zu eng. Es wird mehr Flexibilität gefor<strong>der</strong>t, auch beispielsweise freier Arbeitsmarktzugang<br />

für Ehegatten. Der vierte Punkt ist die Regelung für Hochqualifizierte; diese werden<br />

unterstützt. Es wird aber auch die Auffassung gelegentlich vertreten, dass hier mit zu großen<br />

Einschränkungen gearbeitet wird. Bei den Selbständigen gilt das gleiche. Hier wird gefor<strong>der</strong>t,<br />

dass eben die Anfor<strong>der</strong>ungen, die Anfor<strong>der</strong>ungsprofile etwas gesenkt werden, weil<br />

die etwas zu hohe Voraussetzungen beinhalten. Und es wurde fünftens dann auch noch<br />

mal die Frage eines Punkteverfahrens o<strong>der</strong> eines ähnlichen Verfahrens angesprochen. Es<br />

wurden einige Argumente dazu dafür und dagegen ausgetauscht.<br />

Das würde ich als Ergebnis dieser zweieinhalb Stunden, die wir jetzt hier zuhören durften,<br />

in meinen wenigen Worten darlegen wollen.<br />

Ganz herzlichen Dank. Wir würden jetzt eine Pause machen und uns dann – wobei wir gut<br />

in <strong>der</strong> Zeit liegen, das kann ich mit großer Befriedigung feststellen - zum Thema Innere Sicherheit,<br />

Terrorismusbekämpfung, um 16:00 Uhr wie<strong>der</strong> treffen. Danke schön.<br />

IV. Themenkomplex Innere Sicherheit, Terrorismusbekämpfung<br />

1. Anmo<strong>der</strong>ation durch Herrn Dr. Lehnguth<br />

Meine Damen und Herren, wir fangen jetzt paar Minuten eher an, weil wir nachher, bei<br />

dem dritten Thema, vielleicht einen etwas größeren Gesprächsbedarf haben könnten. Ich


2. Frau Dahmen<br />

339<br />

führe kurz in den zweiten Themenkomplex ein - Innere Sicherheit und Terrorismusbekämpfung.<br />

Wie Sie wissen, haben in den Verhandlungen zum Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz auch vor dem<br />

Hintergrund <strong>der</strong> Terroranschläge in New York und Madrid, Sicherheitsfragen eine beson<strong>der</strong>e<br />

Bedeutung bekommen. Es sind maßgebliche Neuregelungen in diesen Bereichen eingeführt<br />

worden. Ich will einige gerne aufzählen:<br />

Zuerst ist auf die neu geschaffenen bzw. präzisierten Ausweisungstatbestände hinzuweisen:<br />

Wir haben nunmehr einen neuen, zwingenden Ausweisungsgrund bei Schleusern <strong>im</strong><br />

Falle einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, <strong>der</strong>en Vollstreckung nicht zur Bewährung<br />

ausgesetzt wurde, § 53 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz, die Regelausweisung bei Unterstützung<br />

terroristischer Vereinigungen, § 54 Nr. 5 Aufenthaltsgesetz, die Regelausweisung bei Gefährdung<br />

<strong>der</strong> freiheitlich demokratischen Grundordnung (§ 54 Nr. 5a AufenthG), die Regelausweisung<br />

bei falschen Angaben über Verbindungen zu Personen o<strong>der</strong> Organisationen,<br />

die <strong>der</strong> Unterstützung <strong>des</strong> internationalen Terrorismus verdächtig sind (§ 54 Nr. 5<br />

AufenthG), die aber auch die Einführung einer Regelausweisung bei Leitern verbotener<br />

Vereine und Ermessensausweisung für geistige Brandstifter (§ 54 Nr. 7 AufenthG und § 55<br />

Abs. 2 Nr. 8 AufenthG).<br />

Dann gibt es die Abschiebungsanordnung nach § 58a Aufenthaltsgesetz, über die wir uns<br />

wirklich wochenlang, ich kann mich noch gut daran erinnern, gestritten haben; aber davon<br />

wurde nach meinem Kenntnisstand bisher noch nicht Gebrauch gemacht. Es wäre interessant<br />

zu erfahren, aus welchen Gründen eigentlich bislang kein Gebrauch gemacht wurde.<br />

Dann die Überwachungsmöglichkeiten ausgewiesener Auslän<strong>der</strong> aus Gründen <strong>der</strong> inneren<br />

Sicherheit nach § 54a Aufenthaltsgesetz. Dann haben wir <strong>im</strong> Bereich <strong>des</strong> Staatsangehörigkeitsrechts<br />

die bun<strong>des</strong>weite Regelanfrage eingeführt, be<strong>im</strong> Verfassungsschutz vor <strong>der</strong><br />

Einbürgerung sowie Sicherheitsabfragen vor <strong>der</strong> Erteilung eines Visums durch die Auslandsvertretungen<br />

nach § 73 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz und vor Erteilung eines Aufenthaltstitels<br />

durch die Auslän<strong>der</strong>behörden nach § 73 Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz und die Regelabfrage<br />

bei Erteilung einer Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach § 73 Abs. 2 Satz 2 Aufenthaltsgesetz.<br />

Es wurden auch weitere Regelungen zur Verhin<strong>der</strong>ung von Identitätstäuschungen geschaffen,<br />

z. B. die Speicherung zusätzlicher Angaben <strong>im</strong> Auslän<strong>der</strong>zentralregister bei Staatsangehörigen<br />

best<strong>im</strong>mter Staaten in § 29 AZR-Gesetz, die Feststellung und Sicherung <strong>der</strong> Identität<br />

bei Staatsangehörigen von sicherheitsrelevanten Staaten und Staaten, bei denen<br />

Rückführungsschwierigkeiten bestehen (§ 49 Abs. 3 Nr. 5 Aufenthaltsgesetz) sowie die<br />

Fundpapierdatenbank (§§ 49a, 49b und 89a Aufenthaltsgesetz).<br />

Zu diesem Themenkomplex haben wir eingeladen die Leiterin <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Köln,<br />

Frau Dahmen, die sitzt hier rechts neben mir, dann den Leiter <strong>der</strong> Arbeitsgruppe BIRGIT,<br />

die Abkürzung steht für beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefähr<strong>der</strong>n aus<br />

dem Bereich <strong>des</strong> islamistischen Terrorismus und Extremismus, vom Bayerischen Staatsministerium<br />

<strong>des</strong> Innern, Herr Kempfler, man hört ja sehr viel Gutes und Erfolgreiches von<br />

dieser Arbeitsgruppe, dann haben wir eingeladen den Abteilungsleiter, nein, den Abteilungspräsidenten,<br />

Entschuldigung, dies ist ja etwas zu wenig, <strong>im</strong> BAMF, Herrn Sprung, und<br />

– last but not least – den Begrün<strong>der</strong> von Pro Asyl, Herrn Rechtsanwalt Pfaff, <strong>der</strong> ganz links<br />

sitzt. So, dann darf ich <strong>der</strong> Reihenfolge nach das Worte erteilen. Frau Dahmen, wenn Sie<br />

bitte anfangen könnten.<br />

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Dr. Lehnguth, sehr geehrter Herr Altmaier,<br />

ich erinnere an die Richterschelte, die <strong>im</strong> vergangenen Jahr von einem Düsseldorfer Richter<br />

gegenüber den Auslän<strong>der</strong>behörden geäußert wurde. Diese Richterschelte hat mir als<br />

Leiterin <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde schon recht weh getan, weil da <strong>der</strong> Vorwurf gemacht wurde,<br />

dass die Auslän<strong>der</strong>behörden von den Instrumentarien, wie es das Aufenthaltsgesetz ihnen


340<br />

vorgibt, gar keinen Gebrauch machen und dass aufgrund <strong>des</strong>sen solche Personen sich<br />

dann für entsprechend lange Zeit hier in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik aufhalten können.<br />

Um die Komplexität <strong>des</strong> Themas deutlich zu machen und auch deutlich zu machen, mit<br />

welchen Fragenstellungen die Mitarbeiter vor Ort in <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde konfrontiert<br />

sind, werde ich jetzt einfach einige Fragen aufzählen, ohne sie alle abschließend beantworten<br />

zu können. Und ich beginne gleich vielleicht mit einer provokanten Frage. Ist <strong>der</strong><br />

bekennende Musl<strong>im</strong>e gleich ein islamistischer Terrorist o<strong>der</strong> vertritt er einen Extremismus<br />

und kann er als solcher auch von den Mitarbeitern <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde erkannt werden?<br />

Gibt es einen gültigen umfassenden und gerichtsfest anwendbaren Kriterienkatalog, <strong>der</strong><br />

zur Identifizierung beiträgt? Was geschieht, wenn tatsächlich eine von dem Auslän<strong>der</strong> ausgehende<br />

Gefährdung für den Staat und seine Einrichtungen erkannt wird? Das sind nur eine<br />

Hand voll Fragen und ich denke, es ist nicht je<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Lage, die sofort beantworten zu<br />

können. Dann stellt sich natürlich, weil wir in einem Rechtsstaat leben, die Frage: Kann<br />

sich dieser Rechtsstaat mit seinen Gesetzen und Mitteln auch wehren und <strong>im</strong> Einzelfall<br />

recht zeitnah auf entsprechende Entwicklungen und Ereignisse reagieren? Man muss ganz<br />

klar sehen: Wir haben den Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz und insofern bewegt sich die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde in dem Spannungsfeld <strong>des</strong> Individualinteresses <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s zum<br />

Staatsinteresse. Dann muss man ganz klar sehen, dass das Aufenthaltsgesetz als Teil <strong>des</strong><br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes eine Pflichtaufgabe ist. Auch mit dem Inkrafttreten zum 1. Januar<br />

2005 hat sich die Verantwortlichkeit <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde nicht verän<strong>der</strong>t. Die Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

ist für jeden <strong>im</strong>mer erster Ansprechpartner. Und die Auslän<strong>der</strong>behörde mit ihren<br />

Mitarbeitern muss jeden, ob es nun eine Behörde ist, ob es ein Mensch ist, entsprechend<br />

bedienen. Und je<strong>der</strong> erwartet dann auch eine sehr zeitnahe und eine richtige Entscheidung.<br />

Das ist aber nicht <strong>im</strong>mer ganz einfach. Dann muss man sehen: Die kommunale Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

ist vor Ort ganz nah, da gibt es die Stadtparlamente, da gibt es die Stadträte,<br />

die Kreistage, auch dort sind Politiker. Politiker haben teilweise eine an<strong>der</strong>e Wahrnehmung,<br />

haben teilweise eine an<strong>der</strong>e Schwerpunktsetzung. Obwohl die Räte Bestandteile<br />

<strong>der</strong> Exekutive sind, versuchen sie ab und an auch schon einmal legislative Vorschläge zu<br />

unternehmen; das kann man auch nicht <strong>im</strong>mer verübeln. Dann muss man sehen, dass die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde oft in einer so genannten Rechtfertigungsrolle ist. Zum einen, denken<br />

Sie an die Richterschelte, hat sie sich zu rechtfertigen, warum sie etwas nicht gemacht hat.<br />

Zum an<strong>der</strong>en haben die Mitarbeiter sich zu rechtfertigen, warum sie etwas getan haben.<br />

Spätestens dann, wenn eine Abschiebung ansteht, ist es egal um welche Personen es sich<br />

handelt. Da gibt es <strong>im</strong>mer Menschen, die sich für diese Personen verwenden und die mit<br />

den Fingern auf die Mitarbeiter <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde zeigen. In diesem Spannungsfeld<br />

müssen die Mitarbeiter agieren. Und ich erinnere daran, dass was Minister Dr. Schäuble<br />

heute Mittag bei <strong>der</strong> Einführung sagte: Innere Sicherheit sei ein sehr verantwortungsvolles<br />

Thema und Innere Sicherheit berühre auch die kommunale Auslän<strong>der</strong>behörde. Aber sie<br />

agiert nicht allein. Sie muss auch zusammenarbeiten mit verschiedenen an<strong>der</strong>en Behörden<br />

und man muss auch das Ganze <strong>im</strong> Spiegel <strong>des</strong> Behördenaufbaus betrachten. Wir haben<br />

einen Behördenaufbau, <strong>der</strong> in Nordrhein-Westfalen die Bezirksregierung zur Aufsichtsbehörde<br />

macht und das Innenministerium zur obersten Aufsichtsbehörde. Die Bezirksregierung<br />

als Aufsichtsbehörde hat teilweise eine an<strong>der</strong>e Auslegung als die kommunale Auslän<strong>der</strong>behörde.<br />

Es gibt eine Erlasslage <strong>des</strong> jeweiligen Ministeriums. Es gibt Bedürfnisse<br />

und Fragen, die geklärt werden müssen. All diese Dinge müssen vor Ort von <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

vertreten werden. Dann, wenn Sie an die Sicherheitsanfragen denken: Welche<br />

Behörde übern<strong>im</strong>mt die Verantwortung, welche Behörde gibt Informationen so weiter, dass<br />

sie entsprechend verwendet werden können? Ich erinnere nur den ersten fehlgeschlagenen<br />

Versuch <strong>im</strong> Mai 2004, Herrn Kaplan ins He<strong>im</strong>atland zu bringen. Was ist da durch die<br />

Medien gegangen. Wer hat da versucht, wem auch <strong>im</strong>mer die Verantwortung für den fehlgeschlagenen<br />

Versuch zu übertragen. Ich bin heilfroh, dass die Rückführung <strong>im</strong> Oktober<br />

2004 gelungen ist, auch wenn es eine recht anstrengende Geschichte war. Aber es ist<br />

schließlich und endlich gelungen und alle waren zufrieden.<br />

Dann muss man sehen, wie sensibel ist dieses Thema. Wenn ich an die Eingangsfragen<br />

erinnere: Die Mitarbeiter <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde sind überwiegend Mitarbeiter <strong>des</strong> mittleren<br />

Dienstes; sie haben tagtäglich Kontakt mit min<strong>des</strong>tens 40 bis 50 Auslän<strong>der</strong>n. Wie sollen<br />

sie da ganz konkret best<strong>im</strong>mte Dinge erkennen, auch wen Indizienkataloge an die Hand<br />

gegeben werden, auch wenn die Mitarbeiter entsprechend geschult werden – und es gibt<br />

einen guten Kontakt zum Staatsschutz? Es finden auch gegenseitige Schulungen statt.<br />

Aber <strong>im</strong> Eifer <strong>des</strong> Tagesablaufs können best<strong>im</strong>mte Dinge übersehen werden und manche<br />

Dinge überbewertet werden. Ich habe mir von dem Staatsschutz die Zahlen für das Jahr


341<br />

2005 geben lassen. Im Jahre 2005 gingen von meinen Mitarbeitern 75 Hinweise an den<br />

Staatsschutz, davon waren 13 sehr spannend und die werden auch weiterhin intensiv verfolgt.<br />

Jetzt können Sie sagen: In 12 Monaten nur 13 Hinweise. Ich sage: Gott sei Dank hatten<br />

wir schon 13 Hinweise, die den Staatsschutz und dann auch den Verfassungsschutz<br />

aufmerksam gemacht haben, um sich diese Personen einmal genauer anzuschauen.<br />

Dann haben wir ja auch noch die Judikative. Da gibt es ja auch Entscheidungen, die teilweise<br />

das Handeln <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde etwas einschränken. Wir haben nicht nur das<br />

Aufenthaltsrecht. Wir haben das Staatsangehörigkeitsrecht, das Kindschaftsrecht, das<br />

Mel<strong>der</strong>echt. All diese gesetzlichen Best<strong>im</strong>mungen müssen in <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde bedient<br />

werden. In Nordrhein-Westfalen braucht man keine Vermieterbescheinigung mehr,<br />

um sich anzumelden, d. h., wenn Auslän<strong>der</strong> beispielsweise in Köln sehr pfiffig sind, nehmen<br />

sie die gleiche Meldeanschrift wie <strong>der</strong> Oberbürgermeister. Es bedarf keiner Vermieterbescheinigung.<br />

Es ist auch möglich, sich für das Grundstück in dem Flurgrundstück<br />

Nummer 17 Parzelle 13 anzumelden. Diese Dinge sind schwierig zu überprüfen. Wie sollen<br />

die Kollegen in <strong>der</strong> Meldebehörde erkennen, dass da tatsächlich ein Wohnhaus ist o<strong>der</strong><br />

nicht, d. h., auch das Mel<strong>der</strong>echt bietet Möglichkeiten unterzuschlüpfen. Dann die Möglichkeit,<br />

Vater o<strong>der</strong> Mutter eines deutschen Kin<strong>des</strong> zu sein. Artikel 6 Grundgesetz – Schutz <strong>der</strong><br />

Familie. Wann erwirbt ein Kind die deutsche Staatsangehörigkeit? Da haben wir eindeutige<br />

Regelungen: Wenn ein Elternteil rechtmäßig hier ist, und zwar für 8 Jahre, hat das Kind die<br />

deutsche Staatsangehörigkeit. Und oft sind ja auch Personen, die auffällig sind, rechtmäßig<br />

hier. Es sind nicht nur die Personen, die unerlaubt eingereist sind. Es sind Personen,<br />

die hier eine Vita haben. Die haben sich eine Biografie aufgebaut. Wir haben festgestellt,<br />

dass Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Grauen Wölfe in den politischen Parteien aktiv sind. Wir haben festgestellt,<br />

dass Linksradikale, die in ihrem He<strong>im</strong>atland und auch hier auffällig geworden sind,<br />

Mitglie<strong>der</strong> von unseren demokratischen Parteien sind. D. h., es gibt also eine sehr bürgerliche<br />

Fassade und hinter <strong>der</strong> bürgerlichen Fassade spielen sich ganz an<strong>der</strong>e Geschichten<br />

ab. Es gibt aber auch Leute, die tragen sehr deutlich ihre Verän<strong>der</strong>ungen nach außen, die<br />

verän<strong>der</strong>n die Kleidung, die verän<strong>der</strong>n die Haare, die lassen den Bart wachsen. Das sind<br />

vielleicht Indizien, die die Mitarbeiter erkennen können. Aber nicht jede Verän<strong>der</strong>ung bedeutet<br />

auch, dass sie ein Gefahrenpotential darstellt. Also auch da muss man sehen: Können<br />

tatsächlich die Auslän<strong>der</strong>behörden all diese Anfor<strong>der</strong>ungen erfüllen, diese Erwartungen<br />

erfüllen, die an die Auslän<strong>der</strong>behörde gerichtet werden? Denken Sie an die Begriffe<br />

„Political Correctness“, „Multi-Kulti-Philosophie“, an den Wi<strong>der</strong>spruch zwischen Individualinteresse<br />

und Staatsinteresse. Ausweisungsgründe müssen gerichtlich überprüfbar sein.<br />

Wir haben die Möglichkeit, Lästigkeitsschwellen <strong>im</strong>mer höher zu legen. Aber was haben<br />

uns denn die Meldeauflagen für Herrn Kaplan genutzt. Als wir ihn <strong>im</strong> Mai abschieben wollten,<br />

war er nicht da. Das sind alles die Dinge, die man sich hier <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> vor Augen<br />

führen muss. Und ganz wichtig: Arbeiten wir mit einem Vertrauensvorschuss o<strong>der</strong> leben wir<br />

in einer Misstrauensgesellschaft? Gehen wir sensibel mit dem Thema um o<strong>der</strong> wird da eine<br />

gewisse Härte verlangt? Und eins muss man auch ganz klar sehen: Man muss sich vor<br />

falscher Verdächtigung hüten. Es ist ein Straftatbestand. Und wenn ich sehe, welche Verfahren<br />

die Staatsanwaltschaft verfolgt und welche nicht, sage ich meinen Mitarbeitern lieber<br />

eine Meldung zu wenig als eine zuviel. Je<strong>des</strong> Verfahren gegen meine Mitarbeiter wird<br />

mit Akribie verfolgt. Je<strong>des</strong> Verfahren gegen an<strong>der</strong>e Personen wird eingestellt. Und diese<br />

Erfahrungen dokumentieren sich auch bei den Mitarbeitern <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde. Ich habe<br />

zum Beispiel auch ein Ermittlungsverfahren, weil ich gegen Illegale nicht vorgegangen<br />

bin. Ich konnte aber nicht vorgehen, weil best<strong>im</strong>mte <strong>Rahmen</strong>bedingungen nicht erfüllt waren.<br />

Aber gegenüber einem Auslän<strong>der</strong>, <strong>der</strong> meine Mitarbeiterin schwer körperlich verletzt<br />

hat, dass diese, eine junge Frau, mit schweren Hämatomen und Gehirnerschütterung <strong>im</strong><br />

Gesicht zu Hause bleiben musste, ist das Verfahren eingestellt worden. Also, auch da gibt<br />

es Reaktionen <strong>der</strong> Mitarbeiter: Die sind eher zurückhaltend als offensiv nach vorne zu gehen.<br />

Insofern auch hier ein bisschen Verständnis, dass die Auslän<strong>der</strong>behörde nicht alle<br />

Erwartungen erfüllen kann. Dann: Wie spielen Staatsschutz, Verfassungsschutz und die<br />

Kr<strong>im</strong>inalämter miteinan<strong>der</strong>? Wenn wir schon Hinweise weitergeben und Anfragen stellen:<br />

Wie sind denn dann die Antworten? Die Auslän<strong>der</strong>behörde Köln hat die Erfahrung gemacht,<br />

dass in den wenigsten Fällen die Antworten gerichtsfest verwertbar sind. Dann<br />

kommen Briefe zurück mit dem Inhalt: „Wir haben Erkenntnisse, wir sagen aber nicht genau:<br />

was – und bitte nicht <strong>im</strong> Gerichtsverfahren verwenden“. Und dann nach zwei Jahren<br />

müssen die bis dahin erworbenen Erkenntnisse, wenn nicht weitere dazugekommen sind,<br />

vernichtet werden. D. h. also, liegen Erkenntnisse aus dem Jahre 2003 vor, und jetzt Anfang<br />

2006 wird wie<strong>der</strong> etwas gemeldet, dann können die Organe nicht mehr auf die Er-


3. Herr Kempfler<br />

342<br />

kenntnisse aus dem Jahre 2003 zurückgreifen. D. h. also, die müssen neu eine Akte aufbauen<br />

und müssen schauen, was ist möglich. Und denken Sie mal an die Gründe, weshalb<br />

eine Ausweisung nicht vollzogen werden soll. Welche Möglichkeiten es gibt, die auch zum<br />

Schutz <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s <strong>im</strong> Gesetz eingebaut sind. Es sind sicherlich sinnvolle Regelungen,<br />

aber die Regelungen hin<strong>der</strong>n auch, best<strong>im</strong>mte Dinge zu vollziehen. Und diese Vollziehungshin<strong>der</strong>nisse<br />

sind natürlich auch dann nutzbar. Denken Sie an die Dauer <strong>der</strong> Verwaltungsgerichtsverfahren.<br />

In Nordrhein-Westfalen dauert ein Verfahren durchschnittlich um<br />

die 20 Monate. Dann besteht die Möglichkeit, rechtlich nicht gerechtfertigte Anträge zu stellen.<br />

Beliebt sind jetzt die Anträge nach § 25 Absatz 5 Aufenthaltsgesetz, wenn überhaupt<br />

nichts mehr hilft: Aufenthalt aus humanitären Gründen. Da besteht eine Bescheidungspflicht<br />

mit einem anschließenden Verfahren und dieses Verfahren zieht sich in die Länge.<br />

Allein in Köln gab es <strong>im</strong> vergangenen Jahr 892 Verwaltungsgerichtsverfahren. Und dann<br />

endet das nicht mehr in <strong>der</strong> ersten Instanz. Dann geht es in die zweite Instanz. Das sind alles<br />

die Dinge, die auch einen Zeitfaktor mit sich bringen und damit auch nicht die Möglichkeit<br />

eröffnen, zeitnah und <strong>der</strong> Sache gerecht auf die jeweilige Situation zu reagieren. Und<br />

ich denke, allein durch diese Fragen und durch diese Beispiele wird schon deutlich, dass<br />

zwar die Intention <strong>des</strong> Gesetzgebers sicherlich vielen Dingen Rechnung trägt, dass aber in<br />

<strong>der</strong> Exekutive doch die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Ecke noch da ist, die nicht so ohne Weiteres beigeschliffen<br />

werden kann und die auch die Auslän<strong>der</strong>behörde teilweise an einem zeitnahen<br />

und gewünschtem Handeln hin<strong>der</strong>t.<br />

Und hier möchte ich Sie erstmal ein bisschen mit den Fragen und Problemen alleine lassen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Frau Dahmen, für das etwas düstere Bild. Ich komme jetzt zu Herrn Kempfler,<br />

<strong>der</strong> BIRGIT leitet.<br />

Bitte schön.<br />

Sehr geehrter Herr Dr. Lehnguth, meine Damen und Herren,<br />

ich danke sehr herzlich für die Einladung und nehme gerne <strong>im</strong> Sinne einer retrospektiven<br />

Gesetzesfolgenabschätzung zu den den Themenkomplex Innere Sicherheit und Terrorismusbekämpfung<br />

betreffenden Normen <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes Stellung.<br />

Meine Erfahrungen hierzu resultieren aus meiner Funktion als Leiter <strong>der</strong> Arbeitsgruppe<br />

BIRGIT. BIRGIT ist, Herr Dr. Lehnguth hat es bereits gesagt, die Abkürzung für beschleunigte<br />

Identifizierung und Rückführung von Gefähr<strong>der</strong>n aus dem Bereich <strong>des</strong> islamistischen<br />

Terrorismus und Extremismus. Es handelt sich hierbei um eine Einrichtung <strong>des</strong> Bayerischen<br />

Staatsministeriums <strong>des</strong> Innern. Ich übe die Funktion als Leiter dieser Arbeitsgruppe<br />

seit November 2005 nun aus. Ich bin <strong>der</strong> Auffassung, dass sich die sicherheitsrelevanten<br />

Best<strong>im</strong>mungen <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes <strong>im</strong> Großen und Ganzen bewährt haben. Dies jedoch<br />

vor allem unter <strong>der</strong> Voraussetzung, dass die Möglichkeiten <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes<br />

durch einen konsequenten Gesetzesvollzug genutzt werden. Insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> islamistische<br />

Terrorismus und Extremismus stellt eine erhebliche Bedrohung auch für die Sicherheit<br />

<strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik Deutschland dar. Um dieser Bedrohung effektiv zu begegnen, ist<br />

eine Konzentration <strong>der</strong> Ressourcen <strong>der</strong> Sicherheitsbehörden von Nöten.<br />

Allein mit Gesetzesän<strong>der</strong>ungen können nicht notwendigerweise eine Effektivitätssteigerung<br />

<strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Sicherheitsbehörden o<strong>der</strong> eine Verbesserung <strong>der</strong> Sicherheitslage erreicht<br />

werden. Die bereits vorhandenen und neu geschaffenen sicherheitsrechtlichen Instrumente<br />

müssen zwar mit Augenmaß, aber auch erfolgsorientiert und effizient eingesetzt werden. In<br />

Bayern haben wir hierfür einige Anpassungen <strong>der</strong> <strong>Rahmen</strong>bedingungen vorgenommen.<br />

Aufgrund einer lan<strong>des</strong>rechtlichen Zuständigkeitsverordnung wurde in Bayern die Möglichkeit<br />

eröffnet, dass zwei Bezirksregierungen, nämlich die Regierung von Mittelfranken für<br />

Nordbayern und die Regierung von Oberbayern für Südbayern, die Zuständigkeit für den<br />

Erlass von Ausweisungsverfügungen sowie für Überwachungsmaßnahmen nach § 54a <strong>des</strong><br />

Aufenthaltsgesetzes an sich ziehen können. Von dieser Möglichkeit wird vor allem in den<br />

Fällen <strong>des</strong> § 54 Nr. 5, Nr. 5a, Nr. 6 und <strong>des</strong> § 55 Nr. 8 <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes umfassend<br />

Gebrauch gemacht. Lediglich bei den beiden großen Kreisverwaltungsbehörden, nämlich


343<br />

Nürnberg und München, verbleibt die entsprechende Zuständigkeit. Das für die Ausweisung<br />

von Sicherheitsgefähr<strong>der</strong>n und Hasspredigern erfor<strong>der</strong>liche Know-how konnte so auf<br />

lediglich 4 spezialisierte und zu raschem Einschreiten fähige Behörden konzentriert werden.<br />

Bereits <strong>im</strong> Herbst 2004 haben wir die erwähnte Arbeitsgruppe BIRGIT gegründet, die seitdem<br />

die sicherheitsrechtlichen Instrumente <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes für die Bekämpfung<br />

<strong>des</strong> islamistischen Terrorismus bzw. Extremismus nutzbar macht. Die Arbeitsgruppe BIR-<br />

GIT besteht aus jeweils einem Vertreter <strong>der</strong> Regierung von Oberbayern, <strong>der</strong> Regierung<br />

von Mittelfranken, <strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>hauptstadt München, <strong>der</strong> Stadt Nürnberg, <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>amtes<br />

für Verfassungsschutz und <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>kr<strong>im</strong>inalamtes sowie aus mir als Leiter und zugleich<br />

Vertreter <strong>des</strong> Innenministeriums. Hinzu kommt ein Vertreter <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes für Migration<br />

und Flüchtlinge zur Klärung von Fragen den asylrechtlichen Status betreffend. Die AG<br />

BIRGIT führt am Runden Tisch alle Informationen zusammen, die zu einzelnen islamistischen<br />

Gefähr<strong>der</strong>n existieren. Sie prüft und nutzt zielgerichtet alle rechtlichen Möglichkeiten,<br />

um die in Bayern lebenden islamistischen Gefähr<strong>der</strong> auszuweisen, und koordiniert die<br />

Umsetzung <strong>der</strong> notwendigen Maßnahmen. Dort, wo eine Abschiebung aus rechtlichen o<strong>der</strong><br />

aus tatsächlichen Gründen nicht möglich ist, wird <strong>der</strong> Bewegungs- und Handelungsspielraum<br />

<strong>der</strong> Gefähr<strong>der</strong> eingeschränkt. Unter <strong>der</strong> Koordination <strong>der</strong> AG BIRGIT wurden<br />

bislang 48 Ausweisungsbescheide gefertigt. In 28 Fällen wurde mittlerweile <strong>der</strong> Aufenthalt<br />

beendet und bzw. o<strong>der</strong> die Wie<strong>der</strong>einreise dauerhaft verhin<strong>der</strong>t. Eine ganze Reihe weiterer<br />

Ausweisungsbescheide ist zurzeit in Vorbereitung.<br />

Freilich können trotz <strong>der</strong> guten Erfahrungen mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz und den erzielten<br />

Erfolgen die gesetzlichen Regelungen aus unserer Sicht weiter opt<strong>im</strong>iert werden. Ich<br />

darf hierzu einige Beispiele benennen. Das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz hat den Nachweismaßstab<br />

in § 54 Nr. 5 <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes gegenüber <strong>der</strong> Vorläuferfassung abgesenkt und<br />

trägt damit dem Umstand Rechnung, dass mit einem Zuwarten bis zu einem Zeitpunkt, in<br />

welchem das terroristische Verhalten zweifelsfrei nachgewiesen werden kann, den legit<strong>im</strong>en<br />

Sicherheitsinteressen <strong>der</strong> Bevölkerung kaum hinreichend Rechnung getragen werden<br />

kann. Allerdings tut sich allem Anschein nach die Rechtsprechung noch schwer damit, diesen<br />

gesetzgeberischen Schritt auch nachzuvollziehen. Daher plädiere ich dafür, die Formulierung<br />

in § 54 Nr. 5 <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes „wenn Tatsachen die Schlussfolgerung<br />

rechtfertigen“ durch die allgemeine <strong>im</strong> Polizei- und Sicherheitsrecht, und hier geht es auch<br />

um Sicherheitsrecht, gebräuchliche Formulierung „wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen“<br />

zu ersetzen. Im Grundsatz positive Erfahrungen haben wir auch mit § 54a <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes<br />

gemacht. Nicht nur die Aufenthaltsbeendigung, son<strong>der</strong>n auch und gerade<br />

die Einschränkung <strong>des</strong> Handlungsspielraums behin<strong>der</strong>t Extremisten und Terroristen bei<br />

Aktivitäten gegen die innere Sicherheit bzw. die freiheitliche demokratische Grundordnung<br />

in Deutschland. Die Best<strong>im</strong>mung ist momentan die einzige auslän<strong>der</strong>rechtliche Grundlage<br />

zur Überwachung gefährlicher, vollziehbar ausreisepflichtiger Auslän<strong>der</strong>, die sich weiterhin<br />

<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet aufhalten. Wir haben in den meisten unserer Anwendungsfälle eine Unterbringung<br />

in Gemeinschaftsunterkünften fernab von den Ballungszentren verfügt. Und<br />

dennoch: Ein Untertauchen kann auch hier freilich nicht ausgeschlossen werden. Auch<br />

hierfür haben wir mehrere Beispiele. In <strong>der</strong> Praxis hat sich überdies gezeigt, dass Maßnahmen<br />

nach § 54a <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes die Motivation zu einer freiwilligen Ausreise,<br />

d. h. einer Ausreise ohne Abschiebung, ganz erheblich för<strong>der</strong>t. Schließlich wird mit den<br />

Maßnahmen den Betroffenen ganz deutlich vor Augen geführt, dass sie in unserem Lande<br />

unerwünscht sind und sie daran gehin<strong>der</strong>t werden, ihre Bestrebungen hier fortzuführen. Es<br />

wird für sie sichtbar, dass <strong>der</strong> Staat ein ganz erhebliches Interesse an ihre Ausreise hat<br />

und dass <strong>der</strong> Staat Maßnahmen zur Abwendung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit<br />

und Ordnung ergreift, bis dieses Interesse durchsetzbar ist.<br />

Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass sich auch <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> zur Aufnahme bereite Län<strong>der</strong><br />

finden. Die Maßnahmen nach § 54a <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes sind aus unserer Sicht gerade<br />

in ihren Folgewirkungen ein wichtiges auslän<strong>der</strong>rechtliches Instrument mit enormer<br />

spezialpräventiver Wirkung. Dennoch besteht aus meiner Sicht Nachbesserungsbedarf<br />

be<strong>im</strong> Schutz <strong>der</strong> Allgemeinheit vor Gefähr<strong>der</strong>n, die nicht abgeschoben werden können und<br />

sich beispielsweise an Auflagen nach § 54a <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes nicht halten. Der<br />

Aufenthalt von Auslän<strong>der</strong>n, die wegen beson<strong>der</strong>er Gefahren bereits vollziehbar ausgewiesen<br />

sind, kann vielfach nicht beendet werden, weil Abschiebungsverbote zu beachten sind.<br />

Dementsprechend können diese Auslän<strong>der</strong> auch nicht in Abschiebehaft genommen werden.<br />

Es muss hier meines Erachtens <strong>des</strong>halb die Möglichkeit geschaffen werden, Auslän-


4. Herr Sprung<br />

344<br />

<strong>der</strong>, von denen die Gefahr terroristischer Aktivitäten ausgeht, die aber nach erfolgter Ausweisung<br />

nicht in ihre He<strong>im</strong>at abgeschoben werden können, in Sicherheitsgewahrsam zu<br />

nehmen.<br />

Schließlich, meine Damen und Herren, darf ich noch einige wenige Bemerkungen zu § 58a<br />

<strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes anfügen. Die Best<strong>im</strong>mung ist – soweit ersichtlich – we<strong>der</strong> auf<br />

Bun<strong>des</strong>- noch auf Lan<strong>des</strong>ebene praktisch geworden. In unserem Fall liegt dies zunächst<br />

und vor allem daran, dass erfreulicherweise kein entsprechen<strong>der</strong> Sachverhalt bislang bekannt<br />

geworden ist. Aus meiner Sicht dürften denkbare Anwendungsfälle zugleich und zumeist<br />

auch das Interesse <strong>des</strong> Generalbun<strong>des</strong>anwalts auf sich ziehen, sodass wir, um hier<br />

eine einheitliche Zuständigkeit auf <strong>der</strong> Ebene <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> zu gewährleisten, dem Bun<strong>des</strong>ministerium<br />

<strong>des</strong> Innern wohl den Vortritt gewähren würden. Somit dürfte in <strong>der</strong> bayerischen<br />

Praxis § 58a <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes in Zukunft allenfalls in bislang unbekannten Ausnahmesituationen<br />

eine Rolle spielen.<br />

Vielen Dank.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Kempfler, für den erfolgreichen Vortrag. Dann komme ich zu Herrn<br />

Sprung, dem Abteilungspräsidenten <strong>im</strong> BAMF.<br />

Bitte schön.<br />

Herr Staatssekretär, Herr Dr. Lehnguth, meine Damen und Herren,<br />

Sie fragen sich sicher, dass be<strong>im</strong> Thema Terrorismus- und Sicherheitsfragen ein Vertreter<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes für Migration und Flüchtlinge hier auf dem Podium sitzt. Diese Frage<br />

stellt sich Ihnen sicher, aber die kann man auch relativ kurz andeuten. Wenn Sie einfach<br />

mal Ihren Blick nach Amerika wenden, wenn Sie ihn nach Spanien wenden, wenn Sie nach<br />

London wenden: Akteure bei diesen Aktionen, bei diesen Attentaten waren jeweils Menschen<br />

mit Migrationshintergrund. Und wenn wir das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz hier heute evaluieren,<br />

dann müssen wir – denn hier <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz sind die Ausweisungstatbestände<br />

schlussendlich geregelt worden, neu geregelt worden – zurückgreifen bis zum Antiterrorgesetz.<br />

Da sind die Voraussetzungen getroffen worden. Wie ist das Bun<strong>des</strong>amt jetzt<br />

hier positioniert? Was macht das Bun<strong>des</strong>amt in diesem Zusammenhang? Sicherheitsfragen<br />

haben schon stets be<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>amt eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung, haben aber ein wesentlich<br />

größeres Gewicht erfahren nach dem Anschlag 2001. Wir haben daraufhin ein Referat,<br />

ein so genanntes Sicherheitsreferat, eingerichtet, dass die Zusammenarbeit mit den<br />

Sicherheitsbehörden von Bund und Län<strong>der</strong>n ganz intensiv pflegt und für diese Zusammenarbeit<br />

sorgt. Wir haben festgestellt, dass, um hier auf diesem Sektor erfolgreich zu sein, die<br />

behördenübergreifende Zusammenarbeit, sei es auf Bun<strong>des</strong>- o<strong>der</strong> Lan<strong>des</strong>ebene, ganz<br />

wesentlich ist. Wir haben, wie das Antiterrorgesetz vorgesehen hat, Sprach- und Textanalysen<br />

durchgeführt zur Identitätsfeststellung. Allein <strong>im</strong> Jahre 2005 sind über 1.000 Gutachten<br />

gefertigt worden, wobei 98 % sehr gut verwertbare Ergebnisse erbracht haben; in 73 %<br />

<strong>der</strong> untersuchten Fälle konnte die Identität, die angegeben wurde, nicht bestätigt werden<br />

und in 13 % <strong>der</strong> Fälle konnte das vorgetragene Herkunftsland bestätigt werden. Das Erfreuliche<br />

dabei ist, dass diese wissenschaftlichen Gutachten bei Gericht und von den Botschaften<br />

anerkannt werden, so dass das eine gute Vollzugsvoraussetzung ist. Wir haben<br />

physikalisch-technische Untersuchungsstellen eingerichtet bei uns und haben jetzt mit dem<br />

Terrorismusbekämpfungsgesetz auch einen aktiven Übermittlungsauftrag gemäß § 18 Abs.<br />

1a Bun<strong>des</strong>verfassungsschutzgesetz, dass wir von uns aus initiativ Informationen an die Sicherheitsbehörden<br />

übermitteln, die entsprechend einschlägig sind. Wir haben das gemeinsamen<br />

Terrorismusabwehrzentrum in Berlin, an dem wir mitwirken, eine Mitarbeiterin abgeordnet<br />

und haben durch § 30 Abs. 4 <strong>des</strong> Asylverfahrensgesetzes in Verbindung mit § 60<br />

Abs. 8 <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes <strong>im</strong> Grunde genommen einen eigenen Ermittlungsauftrag,<br />

nämlich zu ermitteln, ob Asylausschlussgründe vorliegen, ob also ein terroristischer Hintergrund<br />

vorhanden ist. Es ist unsere Aufgabe, dieses aktiv zu ermitteln. In diesem Zusammenhang<br />

haben wir allein <strong>im</strong> Jahr 2005 in 76 Verfahren diese Vorschrift angewandt, wobei


345<br />

zum Satz 1 – das ist die konkrete Gefahr für die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland – 26 Verfahren<br />

zu verzeichnen waren und zum Satz 2 – den Verbrechen entgegen die Menschlichkeit<br />

o<strong>der</strong> eine schwere nichtpolitische Straftat, die <strong>im</strong> Ausland begangen wurde – 43; in 7 Fällen<br />

waren beide Sätze betroffen. Wir haben in <strong>der</strong> Zentrale noch ein weiteres Referat gegründet,<br />

das sich mit diesem brisanten Verfahren zentral beschäftigt. Im April 2004 wurde<br />

es eingerichtet, haben wir alleine mit unter § 60 Abs. 8 AufenthG 138 Verfahren entschieden<br />

und in 113 von den 138 Verfahren wurde Klage erhoben. 97 dieser Verfahren sind bis<br />

heute noch nicht abgeschlossen. Sie sehen, auch die Gerichte tun sich dort hart. Was sich<br />

als kontrovers zeigt, ist <strong>der</strong> Satz 1 <strong>des</strong> § 60 Abs. 8 AufenthG. Dort for<strong>der</strong>n die Gerichte ja<br />

eine konkrete Gefahr, die noch für die Bun<strong>des</strong>republik besteht; dieses wird ausgedehnt auf<br />

den Satz 2, bei dem es heißt „nur den Anschein erweckt“. Da ist <strong>der</strong> Anschein, den Sie<br />

vorhin gerade zitiert und aus dem Sicherheitsbereich gefor<strong>der</strong>t haben, hinsichtlich <strong>des</strong> Begehens<br />

einer schweren nichtpolitischen Straftat <strong>im</strong> Ausland. Das sind Fakten, die eigentlich<br />

die Gefahr initiieren. Wir sind da bestätigt worden durch das Verwaltungsgericht Ansbach.<br />

Und <strong>der</strong> VGH in München als auch <strong>der</strong> in Mannhe<strong>im</strong> werden demnächst diese Frage entscheiden,<br />

weil sie sie für grundsätzlich erachtet haben. Also das sind bei uns <strong>im</strong> Grunde<br />

genommen die Fragen, die jetzt einer Lösung harren. Bei einer Gesetzesevaluation fragt<br />

man sich <strong>im</strong>mer, ob man die Regeln verän<strong>der</strong>t müsste. Ich sage Ihnen, aus unserer Erfahrung<br />

sollte das Augenmerk auch auf die Art und Weise <strong>des</strong> Vollzuges gerichtet werden, auf<br />

die Art und Weise <strong>der</strong> Zusammenarbeit zwischen den Behörden <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>, <strong>der</strong> Län<strong>der</strong><br />

und <strong>des</strong> Zusammenspiels bis hin auf kommunale Ebene. Das, was vom Bun<strong>des</strong>innenminister<br />

für den ganzheitlichen Bekämpfungsansatz verfolgt wird, was be<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>amt mit<br />

einem Drei-Stufen-Konzept die gleiche Zielrichtung hat, das bringt uns viel mehr Erfolge,<br />

weil wir feststellen müssen, dass <strong>der</strong> Kenntnisstand bei den verschiedenen Behörden sehr<br />

unterschiedlich ist: Die Sicherheitsbehörden sind vornehmlich rein auf das Strafrecht orientiert<br />

und meinen, dass sie, wenn strafrechtlich an dem Fall nichts dran ist, auch eine Meldung<br />

an das Bun<strong>des</strong>amt nicht in Betracht kommt, weil das Bun<strong>des</strong>amt mit diesem Fall<br />

dann nichts anfangen kann. Weit gefehlt. Bei uns ist die Schwelle wesentlich geringer. Und<br />

umgekehrt. Auch be<strong>im</strong> Vollzug <strong>der</strong> Polizeien mussten wir feststellen, das dort gar nicht bekannt<br />

ist, was z. B. Erkenntnisse, die bei regelmäßigen Reisen von Asylberechtigten in den<br />

Irak und wie<strong>der</strong> zurück und das nicht nur einmal, son<strong>der</strong>n mehrfach, dass solche Nachweis<br />

für uns relevant sind. Und <strong>des</strong>wegen, es ist nur ein Beispiel – das lässt sich beliebig fortsetzen<br />

–, haben wir festgestellt, dass wir, wenn wir intensiver zusammenarbeiten und Kriterienkataloge<br />

austauschen, hier größere Erfolge in <strong>der</strong> wechselseitigen Unterstützung <strong>der</strong><br />

Behörden erreichen und diese Zusammenarbeit ist systematisiert worden. Einmal durch<br />

die AG Status <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums, in <strong>der</strong> wir<br />

Sachverhalte als verlängerter Arm <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>innenministeriums, als operativer verlängerter<br />

Arm nach § 58a AufenthG aufbereiten und zuarbeiten bzw. bewerten, auch sehend,<br />

dass hier die Zuständigkeit <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> einschlägig ist, dass Informationen an die Län<strong>der</strong><br />

weiter gegeben werden, wir also dort eine Servicefunktion in Richtung Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> ausüben.<br />

In dieser AG Status, die seit September 2005 arbeitet, wurden Fälle von 95 Personen<br />

bearbeitet, wobei 15 Fälle als nicht einschlägig für diesen Terrorismusbereich betrachtet<br />

wurden. Von den verbliebenen 80 waren 44 mit asylrechtlichem Hintergrund. Dazu wurden<br />

14 Wi<strong>der</strong>rufsverfahren durchgeführt. Der Vollzug dieser Entscheidung scheitert häufig<br />

an Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen, wie es eben schon ausgeführt wurde. Teilweise gibt es<br />

auch Schwierigkeiten in <strong>der</strong> Kooperation mit den Herkunftslän<strong>der</strong>n, die sich sehr zäh bei<br />

<strong>der</strong> Passersatzpapierbeschaffung tun und dann gewisse Fristen überschreiten, die dann<br />

nicht zum Erfolg führt. Diese Zusammenarbeit in <strong>der</strong> AG BIRGIT, die haben wir dort mustergültig<br />

einmal uns erarbeitet, weil wir gemeinsam gute Erfolge dort erzielt haben, wird<br />

jetzt fortgesetzt mit in den Län<strong>der</strong>n zunehmend eingesetzten Arbeitsgruppen ähnlicher<br />

Struktur, so dass dann, soweit auf Lan<strong>des</strong>seite <strong>der</strong> Bedarf ist, das Bun<strong>des</strong>amt dort einen<br />

Mitarbeiter in diese Arbeitsgruppe entsendet. Zusammenfassend kann man sagen, dass<br />

das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz die Arbeit <strong>im</strong> Sicherheitsbereich unterstützt hat, dass wir es begrüßen,<br />

dass <strong>im</strong> § 75 Nr. 11 AufenthG die Koordinierungs- und Austauschfunktion auch<br />

gesetzlich noch einmal unterstrichen wird. Dass es aber, um diese Arbeit weiter zu för<strong>der</strong>n,<br />

sehr auf das administrative Zusammenspiel <strong>der</strong> Behörden noch weiter ankommen wird,<br />

was auf einen guten Weg ist. Aber auch darüber hinaus gesehen müssen technisch auch<br />

noch mal die Verfahren untersucht werden, wie weit wir technische Unterstützung dort einsetzen<br />

können. Wir denken in dem Bereich von Live-Scann-Verfahren z. B. daran. O<strong>der</strong><br />

aber die Frage <strong>der</strong> Sensibilisierung, um noch einmal ein Beispiel aus <strong>der</strong> übergreifenden<br />

Zusammenarbeit <strong>der</strong> Behörden zu nennen, die Sensibilisierung <strong>der</strong> Polizeibehörden für<br />

Aufgriffsfälle Illegaler. Aber da werden wir nachher noch drauf zu sprechen kommen.


Vielen Dank.<br />

5. Herr RA Pfaff<br />

346<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Ganz herzlichen Dank, Herr Sprung, dann aus an<strong>der</strong>er Sichtweise Herr Rechtsanwalt<br />

Pfaff. Bitte schön.<br />

Vielen Dank, dass Sie dem Deutschen Anwaltverein Gelegenheit geben, hier seine Auffassung<br />

darzulegen.<br />

Mein Beitrag ist nicht als Wi<strong>der</strong>spruch zu dem zu verstehen, was Herr Kempfler vorgetragen<br />

hat, weil wir sicherlich verschiedene Erfahrungen gemacht haben und auch verschieden<br />

reagieren. Aber ich halte es doch für wichtig, dass die Erfahrungen, die ich in meinem<br />

Bereich bisher mit diesem Thema gemacht habe, vortrage. Ich beschränke mich <strong>im</strong> Wesentlichen<br />

auf das Ausweisungsproblem, das ja hinüberstrahlt in die Nichtverlängerung <strong>der</strong><br />

Aufenthaltserlaubnis einerseits und auch <strong>im</strong> § 11 <strong>des</strong> Staatsangehörigkeitsgesetzes eine<br />

Rolle spielt.<br />

Der Deutsche Anwaltverein hatte <strong>im</strong> Jahr 2004 auf dem Anwaltstag nachdrücklich davor<br />

gewarnt, die Best<strong>im</strong>mungen weiter zu verschärfen o<strong>der</strong>, man kann auch sagen, weiter zu<br />

lockern. Es wurde die Sorge geäußert, dass die Behörden auslän<strong>der</strong>rechtliche Maßnahmen<br />

auf unbegründeten Verdacht stützen könnten. Die Än<strong>der</strong>ungen <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz<br />

gegenüber dem Auslän<strong>der</strong>gesetz 1990 führten dazu, dass die Formulierung, „wenn Tatsachen<br />

belegen, dass“ ersetzt wurde durch „Tatsachen, die Schlussfolgerungen rechtfertigen,<br />

dass“. Die Befürchtung hat sich als begründet erwiesen. Der Ausgangspunkt für das<br />

Einschreiten <strong>der</strong> Behörden ist übrigens häufig das Einbürgerungsverfahren. Dabei übersehe<br />

ich nicht, dass <strong>der</strong> Entscheidungsspielraum, <strong>der</strong> den Behörden be<strong>im</strong> Einbürgerungsverfahren<br />

in § 11 Satz 1 Nr. 2 Staatsangehörigkeitsgesetz eingeräumt ist, erheblich weiter ist<br />

als <strong>der</strong> Spielraum bei § 54 Nr. 5 und 5a Aufenthaltsgesetz, wo es um die Ausweisung geht.<br />

Es kann aber festgestellt werden, dass die Anlass gebenden Sachverhalte und die Bewertungen<br />

in beiden Verfahren meist identisch sind. Zweifellos sind die staatlichen Sicherheitsorgane<br />

bei <strong>der</strong> Terrorismusbekämpfung und be<strong>im</strong> Schutz <strong>der</strong> freiheitlichdemokratischen<br />

Grundordnung zu aller größter Sorgfalt verpflichtet. Umso merkwürdiger<br />

ist es, dass nicht selten falsche o<strong>der</strong> abwegige Begründungen für Ablehnungsbescheide <strong>im</strong><br />

Aufenthalts- o<strong>der</strong> Einbürgerungsrecht o<strong>der</strong> in Ausweisungsbescheiden herangezogen werden.<br />

Ich will Ihnen ein Beispiel bringen. XY wird gefragt, ob er in einer Organisation sei.<br />

Das wird verneint. Dann wird ihm <strong>im</strong> Ablehnungsbescheid <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> § 11 Satz 1<br />

Staatsangehörigkeitsgesetz vorgeworfen, er habe verschwiegen, vor 9 Jahren als Student<br />

in einer an<strong>der</strong>en Stadt einen Gebetsverein mitbegründet zu haben. Man sieht, dass hier<br />

falsch gefragt wurde. Es wurde nicht gefragt, sind o<strong>der</strong> waren sie, son<strong>der</strong>n, es wurde nach<br />

<strong>der</strong> Gegenwart gefragt und dann wird eben mit dieser Begründung abgelehnt.<br />

Eine wichtige Rolle spielt auch <strong>der</strong> Umstand in diesem Verfahren, dass die Behörden in<br />

<strong>der</strong> Regel auf Dolmetscher angewiesen sind. Man denke etwa daran, dass in Moscheen<br />

gelauscht wird und dass Sie dann Gefahr laufen, falschen Übersetzungen o<strong>der</strong> falschen<br />

Denunziationen ausgeliefert zu sein. Bevor ich einige Beispiele anführe, will ich auf einen<br />

merkwürdigen Umstand aufmerksam machen, den ich einfach mitteilen will, ohne ihn momentan<br />

zu bewerten. In einer ganzen Reihe von Verfahren haben die unteren Verwaltungsbehörden,<br />

also die Auslän<strong>der</strong>behörden o<strong>der</strong> die Regierungspräsidien als Einbürgerungsbehörden,<br />

keine Bedenken gehabt, die Aufenthaltserlaubnis zu verlängern o<strong>der</strong> einzubürgern.<br />

In fast allen diesen Verfahren habe ich die Erfahrung gemacht, dass die oberste<br />

Lan<strong>des</strong>behörde in Zusammenarbeit mit dem Lan<strong>des</strong>amt für Verfassungsschutz die gegenteilige<br />

Position eingenommen hat und durchzusetzen versucht, dass es zu einer Ablehnung<br />

o<strong>der</strong> Ausweisung o<strong>der</strong> Nichteinbürgerung kommt. In einem Fall hat die untere Behörde<br />

remonstriert. Der Fall ist noch nicht zu Ende.<br />

Einige notgedrungen plakative Beispiele, was behördlicherseits als Tatsachen gesehen<br />

wird, welche sicherheitsgefährdende Schlussfolgerungen begründen sollen:


347<br />

- Besuch einer best<strong>im</strong>mten Moschee, eines best<strong>im</strong>mten Vereins neben an<strong>der</strong>en Moscheen,<br />

je nach Wohnsitzwechsel.<br />

- Gelegentliche Vorbeter-Funktion, ohne dass ein Vorwurf bezüglich <strong>des</strong> dabei Gesagten<br />

erhoben worden wäre.<br />

- Spenden zum Erhalt und zur Pflege einer Moschee anlässlich <strong>des</strong> Moscheebesuches,<br />

so wie wir Christen in den Kirchen gelegentlich zum Erhalt <strong>des</strong> Kirchengebäu<strong>des</strong><br />

spenden.<br />

- Bekenntnis zur Scharia. Darauf komme ich noch zurück.<br />

- Organisierung von Haj-Reisen. Bekanntlich gehört es zu den fünf religiösen Grundpflichten<br />

eines Moslems, wenigstens einmal <strong>im</strong> Leben nach Mekka gepilgert zu sein.<br />

- In einem islamischen Verein liegt ein Faltblatt <strong>des</strong> IZ Aachen aus, wobei zum Vorwurf<br />

gemacht wird, dass auf diesem Faltblatt steht, ich zitiere „außer Gott ist kein Gott und<br />

Mohamed ist sein Prophet“, bekanntlich das Glaubensbekenntnis <strong>des</strong> Islam und nicht<br />

<strong>des</strong> Islamismus.<br />

- Reisen nach Ägypten, wobei <strong>der</strong> Betreffende Ägypter ist und in Ägypten, wie auch<br />

hier, eine Firma betreibt.<br />

- Anmietung von Räumen für einen IGD-Kongress <strong>im</strong> September 2003, auf dem <strong>der</strong><br />

Bürgermeister <strong>der</strong> Stadt Hanau die Teilnehmer herzlich willkommen heißt.<br />

- Beitritt zu einem lokalen, 1974 gegründeten IGD-Verein <strong>im</strong> Jahr 1992, also zu einem<br />

Zeitpunkt, als laut Verfassungsschutzbericht von einem Einfluss <strong>der</strong> Moslembru<strong>der</strong>schaft<br />

nicht gesprochen werden konnte, und ohne je Aktivitäten in diesem Verein entwickelt<br />

zu haben und <strong>der</strong> Verein ist außerdem ein Jahr später eingeschlafen.<br />

Insgesamt zeigt sich eine große Unsicherheit <strong>im</strong> Umgang mit dem islamischen Glauben.<br />

So bezeichnet <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>sächsische Lan<strong>des</strong>verfassungsschutz die Moslembru<strong>der</strong>schaft in<br />

einer Stellungnahme <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> einer begehrten Einbürgerung <strong>des</strong>halb als extremistisch,<br />

weil – und jetzt zitiere ich – „<strong>der</strong> Islam ein vollständig auf sich selbst beruhen<strong>des</strong> allumfassen<strong>des</strong><br />

System ist, das frei von äußeren Einflüssen nur auf dem Koran und <strong>der</strong> Tradition<br />

<strong>des</strong> Propheten beruht“, Zitat Ende. Das aber ist nicht nur die Auffassung <strong>der</strong> Moslembru<strong>der</strong>schaft,<br />

son<strong>der</strong>n es kennzeichnet den Islam als Religion, wie übrigens in <strong>der</strong> vom BMI<br />

herausgegebenen Schrift Islamismus nachgelesen werden kann. Vorzüglicher Aufsatz von<br />

Breuer, Grundlagen <strong>der</strong> Scharia und ihre Anwendung <strong>im</strong> 21. Jahrhun<strong>der</strong>t. So besteht die<br />

Gefahr, den Islam statt <strong>der</strong> Terrorismusgefahr und den Islamismus ins Visier zu nehmen.<br />

Als rotes Tuch wirkt das Bekenntnis zur Scharia, wobei verkannt wird, dass dies keineswegs<br />

ein Ausdruck <strong>des</strong> Willens sein muss, die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland in eine islamische<br />

Theokratie verwandeln zu wollen. Ich zitiere aus dem vorzüglichen Buch von Heiner<br />

Bielefeldt „Musl<strong>im</strong>e <strong>im</strong> säkularen Rechtsstaat, Integrationschancen durch Religionsfreiheit“:<br />

-- Zitat --<br />

Weil schon die klassischen Scharia-Schulen teilweise selbst die Möglichkeit eines pragmatischen<br />

Dispenses best<strong>im</strong>mter Scharia-Normen zugunsten <strong>der</strong> Akzeptanz <strong>der</strong> lokalen<br />

Rechtsordnung vorgesehen haben, wäre es voreilig, hinter je<strong>der</strong> Berufung auf die Scharia<br />

gleich eine verfassungsfeindliche Antithese zum säkularen Rechtsstaat zu vermuten. Oft<br />

ist das Gegenteil <strong>der</strong> Fall. In Debatten kann man erleben, dass Musl<strong>im</strong>e sich in einem Atemzug<br />

sowohl zur Scharia als auch zum Grundgesetz bekennen und die Loyalität zum<br />

Grundgesetz geradezu als einen Akt <strong>des</strong> Gehorsams gegenüber <strong>der</strong> Scharia begreifen.“<br />

-- Zitat Ende --<br />

Es sollte den Behörden auch in Wahrnehmung legit<strong>im</strong>er Sicherheitsinteressen gelingen, zu<br />

differenzieren, da sonst auf musl<strong>im</strong>ischer Seite die Erfahrung gemacht wird, dass dieser<br />

Staat es mit <strong>der</strong> Religionsfreiheit nicht so ernst n<strong>im</strong>mt, sie vielmehr kulturalistisch einseitig<br />

praktiziert. Dadurch würden wertvolle Integrationsbemühungen sog. aufgeklärter Moslems<br />

behin<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> zunichte gemacht.<br />

Bezogen auf das Thema <strong>Evaluierung</strong> <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes heißt das:<br />

- Wenigstens sollte § 54 Nr. 5 AufenthG so angewandt werden, wie normiert. Das in<br />

Halbsatz 2 enthaltene Tatbestandsmerkmal „gegenwärtige Gefährlichkeit“ – es steht<br />

nicht nur in <strong>der</strong> Rechtsprechung, es steht <strong>im</strong> Gesetz – dieses Merkmal „gegenwärtige<br />

Gefährlichkeit“ ist nicht nur zu prüfen, wenn es um zurückliegende Mitgliedschaften<br />

o<strong>der</strong> Unterstützungshandlungen geht. Vom Korrektiv „gegenwärtige Gefährlichkeit“<br />

muss auch <strong>im</strong> ersten Halbsatz ausgegangen werden. Das würde nämlich eine Argu-


6. Diskussion<br />

348<br />

mentation unterbinden, die jetzt den Behörden leicht von <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong> perlt: A besucht<br />

eine Moschee. Die Moschee gehört zum Verein X. Der Verein X ist Mitglied in <strong>der</strong> Vereinigung<br />

Y und die Vereinigung Y steht <strong>der</strong> Z-Bru<strong>der</strong>schaft nahe. Man fragt, wo ist da<br />

die gegenwärtige Gefährlichkeit begründet.<br />

- Ich zitiere jetzt den Kern eines Anhörungsschreibens in einem Ausweisungsverfahren<br />

vom 6. Oktober 2005, Stadt Frankfurt am Main, wobei das gewählte Zitat alle erhobenen<br />

Vorwürfe umfasst.<br />

Zitat: „Nach ihren eigenen Angaben haben Sie seit vielen Jahren Kontakt zum islamischen<br />

Zentrum Frankfurt. Dieses haben Sie in <strong>der</strong> Vergangenheit auch mit Geldspenden<br />

unterstützt. Des Weiteren gaben sie an, in <strong>der</strong> Vergangenheit einige Male in <strong>der</strong><br />

Moschee als Vorbeter eingesprungen zu sein. Ihre über Jahre andauernde Beziehung<br />

zum islamischen Zentrum, die finanziellen Zuwendungen und die Berufung zum Vorbeter<br />

lässt die Schlussfolgerung zu, dass Sie diese Vereinigung nachhaltig unterstützen.“<br />

Und dann kommt <strong>der</strong> Rest: Die Nähe zu IGD und zur Moslembru<strong>der</strong>schaft.<br />

Bleibt zu ergänzen für diesen Fall: Der das Hocharabisch beherrschende Ägypter ist<br />

nur dann als Vorbeter eingesprungen, wenn <strong>der</strong> Imam überraschend verhin<strong>der</strong>t und er<br />

selbst zufällig anwesend war.<br />

- Es gibt ein weiteres Korrektiv, welches ebenfalls übersehen, jedenfalls nicht ausreichend<br />

beachtet wird. § 5 Abs. 4 Satz 2 AufenthG enthält eine purgatorische Klausel.<br />

Von <strong>der</strong> Ausweisung kann Abstand genommen werden, wenn <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> sich offenbart<br />

und – hierauf kommt es <strong>im</strong> vorliegenden Zusammenhang an – von seinem „sicherheitsgefährdenden<br />

Handeln“ Abstand n<strong>im</strong>mt. Die Vorschrift zeigt, dass die Ausweisung,<br />

aber auch die Versagung <strong>der</strong> Einreise und Verlängerung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis<br />

stets an ein „sicherheitsgefährden<strong>des</strong> Handeln“ anknüpfen müssen. Der Gesetzgeber<br />

wollte nämlich keinen substanzlosen Unterstützungsbegriff schaffen. Er<br />

zielt vielmehr auf individuell zurechenbare, tatsächlich sicherheitsgefährdende Handlungen.<br />

Das verlieren die Behörden oft aus dem Blick.<br />

- Es wird empfohlen, anlässlich <strong>der</strong> Beratung und Verabschiedung <strong>der</strong> Allgemeinen<br />

Verwaltungsvorschrift zum AufenthG und zum Staatsangehörigkeitsgesetz deutlicher<br />

als bisher die Behörden darauf hinzuweisen, dass, ich zitiere jetzt die Vorläufigen Anwendungshinweise<br />

<strong>des</strong> BMI, „die von einem Auslän<strong>der</strong> ausgehenden Gefahren entwe<strong>der</strong><br />

gegenwärtig bestehen o<strong>der</strong> für die Zukunft zu erwarten sein“ müssen und dass,<br />

ich zitiere wie<strong>der</strong>, „reine Vermutungen o<strong>der</strong> eine entfernte Möglichkeit eines Schadeneintritts<br />

(nicht) genügen“, dass ferner, weiteres Zitat, „eine Gefährdung erst dann vorliegt,<br />

wenn eine auf Tatsachen gestützte, nicht bloß entfernte Möglichkeit eines Schadeneintritts<br />

besteht“ - Ende <strong>des</strong> Zitats aus den Vorläufigen Anwendungshinweisen <strong>des</strong><br />

BMI. Die Praxis <strong>der</strong> vergangenen 15 Monate lehrt: An <strong>der</strong> Gefahrenprognose fehlt es<br />

häufig ebenso wie an <strong>der</strong> Prüfung <strong>des</strong> Übermaßverbotes, die ebenfalls in den Vorläufigen<br />

Anwendungshinweisen <strong>des</strong> BMI zu § 54 Nr. 5a letzter Satz vorgeschrieben ist.<br />

Vielen Dank.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Pfaff.<br />

Jetzt kommen wir zur Fragerunde. Ich bitte um Fragen.<br />

Herr MdB Veit als erster, dann Herr MdB Bürsch und Herr MdB Stadler. Bitte schön, Herr<br />

Abgeordneter Veit.<br />

Herr MdB Veit:<br />

Meine Frage richtet sich an Herrn Kempfler. Wenn ich es richtig verstanden habe, gehen<br />

Sie davon aus, so war Ihre Formulierung, dass wegen einer enormen spezialpräventiven<br />

Wirkung die Möglichkeit, die Terrorverdächtigen auszuweisen, sie in Unterkünfte einzuweisen,<br />

eine ganz beson<strong>der</strong>e Bedeutung hat. Mich würde interessieren: Warum? Weil ich mir


349<br />

in meinem naiven Lebensgefühl vorstellen könnte, dass die ganz beson<strong>der</strong>s bösen Buben<br />

und Mädchen, die wir vielleicht mit beson<strong>der</strong>em Vorrang auch gerne losgeworden wären<br />

wegen ihrer Gefährdung, sich von <strong>der</strong> Frage, ob sie nun in einer zentralen Unterkunft eingewiesen<br />

sind, so nicht nachhaltig beeindrucken lassen in ihrer Gesinnung und vielleicht<br />

auch nicht in ihrem Vorhaben. Deswegen würde ich Sie bitten, diese Aussage vielleicht<br />

noch ein bisschen zu unterfüttern und vielleicht auch ein paar Zahlen zu dem Beispiel zu<br />

nennen. Dass ein paar Ihnen da auch abhanden kommen, will ich gerne glauben, nämlich<br />

möglicherweise gerade die mit <strong>der</strong> größten kr<strong>im</strong>inellen o<strong>der</strong> terroristischen Aktivität o<strong>der</strong><br />

dem größten Potential. Aber vielleicht können Sie das durch Zahlen noch einmal unterlegen.<br />

Denn ich kann mir relativ schwer vorstellen, dass diese spezialpräventive Wirkung sozusagen<br />

in den Unterkünften in die Gehirne <strong>der</strong> betroffenen Terrorverdächtigen träufelt<br />

nach dem Motto: Die wollen mich ja wirklich loswerden, das habe ich jetzt verstanden, also<br />

gehe ich.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank für die Frage, Herr Abgeordneter Bürsch, bitte.<br />

Herr MdB Bürsch:<br />

Ich mache eine Vorbemerkung <strong>des</strong> Dankes, die schon bei <strong>der</strong> vorigen Runde angebracht<br />

gewesen wäre. Es ist ausgesprochen informativ, von den <strong>Praktiker</strong>n zu hören, wie dieses<br />

Gesetz wirkt. Insofern auch Dank an das Innenministerium für die Zusammenstellung. Es<br />

ist auch deutlich ein Unterschied zu den Anhörungen, die wir <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>tag zum Teil haben.<br />

<strong>Praktiker</strong> sprechen eben doch an<strong>der</strong>s als Professoren und wissen mehr, wie Gesetze<br />

wirken. Insofern ist es sehr erfreulich und hilft uns als Abgeordneten wirklich weiter. Also:<br />

Dank für Ihre Mühe.<br />

Die Frage geht in Richtung Zusammenarbeit bei <strong>der</strong> Terrorismusbekämpfung. Und zwar<br />

haben Sie darauf hingewiesen, Herr Sprung. Meine Frage ist: Wie ist es mit <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

mit <strong>der</strong> Wirtschaft, speziell <strong>der</strong> Banken? Ich habe von einem interessanten Projekt<br />

in London gehört. Eine große Londoner Bank untersucht zurzeit unter Beachtung <strong>der</strong><br />

Datenschutzregeln, welche Gewohnheiten die Menschen haben, die als Terroristen tätig<br />

waren. Sie hat nämlich festgestellt, dass unter ihren Kunden einige <strong>der</strong>jenigen waren, die<br />

bei den Londoner Anschlägen beteiligt waren, und die Feststellung geht in die Richtung,<br />

dass die ein paar ungewöhnliche Verhaltensformen haben: Die zahlen nämlich in <strong>der</strong> Regel<br />

keine Mieten, die zahlen keine Hypotheken und es gibt ein paar an<strong>der</strong>e Dinge, die man<br />

bei diesen Menschen tatsächlich fest machen kann, wenn man die Bank, das Bankleben<br />

dieser Menschen, verfolgt. Das bringt natürlich Probleme mit dem Datenschutz mit sich.<br />

Diese datenschutzrechtlichen Regelungen sind von <strong>der</strong> Bank und von den Behörden ausgelegt<br />

und beachtet worden. Also meine Frage: Wie weit wir jenseits <strong>der</strong> Finanzströme, die<br />

sowieso beachtet werden, solche Untersuchungen vielleicht auch mit in den ganzen Sektor<br />

Terrorismusbekämpfung reinnehmen können, also wie weit wir z. B. die Privatwirtschaft,<br />

sprich Banken, in diese Formen <strong>des</strong> Terrorismus mit hineinnehmen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank. Dann Herr Abgeordneter Stadler, bitte.<br />

Herr MdB Stadler:<br />

Ich habe auch an Herrn Kempfler zwei Fragen. Sie haben ja erwähnt, dass Sie von diesen<br />

Beschränkungsmöglichkeiten <strong>des</strong> § 54a AufenthG mehrfach Gebrauch gemacht haben, also<br />

Einweisung in die Residenzpflicht sozusagen, aber da sind ja auch noch an<strong>der</strong>e Punkte<br />

von uns ins Gesetz aufgenommen worden, die keine Kleinigkeiten sind, z. B. das Verbot,<br />

best<strong>im</strong>mte Kommunikationsmittel zu benutzen.<br />

Mich würde interessieren, weil wir da, glaube ich, doch Neuland seinerzeit betreten haben,<br />

ob es in den Fällen, so Sie das angeordnet haben, Klagen gegeben hat und ob es dazu<br />

verwaltungsgerichtliche Entscheidungen gibt.<br />

Die zweite Frage mag vielen womöglich ein wenig absurd erscheinen. Da sie aber von<br />

zwei Innenministern auch schon gestellt worden ist, wage ich es doch, Sie das zu fragen.<br />

Sie haben ja erwähnt, dass diese Maßnahmen auch zu freiwilligen Ausreisen schon ge-


350<br />

führt haben. Nun geht es ja <strong>im</strong>mer um sog. Top-Gefähr<strong>der</strong>. Das ist ja so ein Begriff, <strong>der</strong><br />

gerne auch von Ihrem Innenminister benutzt wird. Haben Sie denn, das wäre meine Frage,<br />

<strong>im</strong> Auge behalten können o<strong>der</strong> Erkenntnisse, was mit diesen Personen weiter geschehen<br />

ist? Wohin sind diese ausgereist und wie haben sie sich dort unter Umständen betätigt?<br />

Ich komme <strong>des</strong>wegen auf die Frage, weil Herr Minister Dr. Schäuble heute Mittag ja erwähnt<br />

hat, er habe manchmal bei einer Ausweisung in best<strong>im</strong>mte Staaten Zweifel, ob das<br />

nicht in Wahrheit die zweitbeste Lösung sei. Er hat zwar nicht verraten, was die beste Lösung<br />

sei, seiner Meinung nach; diese Frage will ich lieber auch gar nicht stellen. Aber dahinter<br />

steckt doch <strong>der</strong> Gedanke, dass man jemanden nicht mehr <strong>im</strong> Auge bzw. unter Kontrolle<br />

hat und das natürlich terroristische Aktivitäten sehr wohl auch vom Ausland aus entwickelt<br />

werden können und nicht nur vom Inland. Meine Frage an Sie: Haben Sie Erkenntnisse,<br />

wie die Personen sich weiterentwickelt haben, die aufgrund Ihrer Maßnahmen <strong>des</strong><br />

§ 54a AufenthG dann freiwillig ausgereist sind?<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Vielen Dank, Herr Abgeordneter Stadler. Übrigens Herr Stadler, die beste Lösung,<br />

das kann ich Ihnen beantworten, ist, dass ein Strafverfahren durchgeführt wird und dass<br />

<strong>der</strong>jenige dann auch einer gerechten Strafe zugeführt wird. Das meint auch Herr Minister;<br />

das wollte ich noch einmal an dieser Stelle sagen.<br />

Herr Kempfler, könnten Sie erstmal bitte die Frage von Herrn MdB Veit, Sie sind ja am<br />

meisten hier gefragt, beantworten und von Herrn MdB Stadler. Bitte schön.<br />

Herr Kempfler:<br />

Die erste Frage zu § 54a AufenthG – Maßnahmen mit spezialpräventiver Wirkung – und<br />

die zweite Frage nach <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> freiwilligen Ausreisen.<br />

Vielleicht erstmal zu <strong>der</strong> Motivation für Anordnungen nach § 54a AufenthG, weil Sie fragten,<br />

ob diese die Gefähr<strong>der</strong> beeindrucken können. Offensichtlich ja; die Personen werden<br />

aus ihrem gewohnten sozialen Umfeld herausgenommen, wie ich sagte; sie werden in<br />

Gemeinschaftsunterkünfte eingewiesen, die eben fernab <strong>der</strong> Ballungszentren liegen. Wir<br />

achten auch auf verschiedene an<strong>der</strong>e Dinge, dass sich etwa ihnen nicht unbedingt ein<br />

Gleichgesinnter in dieser Unterkunft befindet und Ähnliches. Dies allein scheint mir bereits<br />

Eindruck zu machen, dieses Herauslösen aus dem bisherigen Umfeld. Wir haben insgesamt,<br />

Maßnahmen nach § 54a Abs. 3 und 4 in bislang 12 Fällen angeordnet. Zwei Personen,<br />

wenn ich die Zahlen jetzt hier richtig sehe, befinden sich gerade noch in Untersuchungshaft;<br />

für diese sind auch für den Fall <strong>der</strong> Freilassung § 54a-Maßnahmen angeordnet<br />

worden . Und hinsichtlich <strong>der</strong> freiwilligen Ausreisen möchte ich mich hier nicht absolut festlegen,<br />

die liegen bei ungefähr 5 bis 6 Personen. Einige § 54a-Maßnahmen sind auch noch<br />

aktuell am Laufen, nämlich zwei. Das ist dass eine.<br />

Die weiteren Fragen bezogen sich auf die Anordnung <strong>des</strong> Verbots von Kommunikationsmitteln,<br />

also auf § 54a Abs. 4 AufenthG. Wir haben nur in einem Fall lediglich eine Maßnahme<br />

nach § 54a Abs. 3 AufenthG angeordnet. Also in einem Fall war eben nur die Unterbringung<br />

in <strong>der</strong> Gemeinschaftsunterkunft angeordnet, verbunden mit best<strong>im</strong>mten Meldeauflagen,<br />

die öfter stattfinden als nur einmal in <strong>der</strong> Woche, son<strong>der</strong>n <strong>im</strong> Regelfall einmal<br />

täglich zu best<strong>im</strong>mten Uhrzeiten bei <strong>der</strong> Polizeiinspektion, die eben für diese Gemeinschaftsunterkünfte<br />

zuständig ist. In 12 Fällen wurden parallel Maßnahmen nach § 54a<br />

Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG verfügt. Das Kommunikationsverbot setzt ja voraus, dass weiterhin<br />

Kommunikationsmöglichkeiten vorliegen, also dass etwa noch ein Telefonanschluss<br />

nur Verfügung steht, dass noch ein Handyanschluss zur Verfügung steht usw. Das<br />

schränkt zwar natürlich die Betätigungsmöglichkeiten <strong>der</strong> betroffenen Personen ein, aber<br />

Sie müssen <strong>im</strong>mer sehen, es handelt sich hier um Personen, die insbeson<strong>der</strong>e netzwerkartig<br />

in best<strong>im</strong>mte Organisationen eingebunden sind, die dann eben auch telefonisch noch<br />

weiterhin Kontakt halten könnten. Deshalb ist das Kommunikationsverbot meines Erachtens<br />

hier nicht das durchgreifenden Erfolg versprechende Instrument, isoliert betrachtet,<br />

son<strong>der</strong>n eben gerade in Zusammenschau mit <strong>der</strong> Unterbringung in <strong>der</strong> Gemeinschaftsunterkunft.<br />

Und Ihre Frage war dann auch noch, wie es mit Rechtsprechung und Gerichtsverfahren<br />

aussieht. Da ja § 54a Abs. 4 AufenthG gegenüber § 54 Abs. 3 AufenthG nochmals erhöhte


351<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen stellt, gab es min<strong>des</strong>tens einen Fall, wo bisher entschieden worden ist,<br />

dass das Kommunikationsverbot nicht zu halten war, und es sind gerade zwei Klagen noch<br />

anhängig, wo das Gericht jetzt signalisiert hat, dass wohl mit <strong>der</strong> Aufrechterhaltung <strong>der</strong><br />

§ 54a-Abs. 3-Maßnahme zu rechnen ist, aber mit einer Aufhebung <strong>des</strong> Kommunikationsverbots.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank.<br />

Zusatzfrage Herr Stadler:<br />

Wurde nur die Anwendung <strong>im</strong> Einzelfall in diesen Gerichtsentscheidungen moniert o<strong>der</strong><br />

wurde die Vorschrift als solche womöglich auch für verfassungswidrig angesehen?<br />

Herr Kempfler:<br />

Nein, das war nicht <strong>der</strong> Fall. Es war jeweils eine Entscheidung <strong>im</strong> Einzelfall.<br />

Und die letzte Frage, die hier noch gestellt worden ist, war die, ob wir noch Erkenntnisse<br />

haben über den weiteren Verbleib <strong>der</strong> Personen in den Län<strong>der</strong>n, in die sie ausgereist sind.<br />

Also es sind die He<strong>im</strong>atstaaten <strong>im</strong> Wesentlichen, in die die betreffenden Personen freiwillig<br />

ausgereist sind. Das ist u. a. <strong>der</strong> Irak o<strong>der</strong> Afghanistan und dort ist es naturgemäß eben<br />

schwierig, das weitere Schicksal dieser Personen zu beobachten. Zum Teil gibt es Erkenntnisse,<br />

bei denen ich aber jetzt nicht abschließend bewerten kann, wie gesichert die<br />

jeweils sind.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Kempfler, für die sehr konkreten Antworten. Dann gab es noch eine<br />

Frage an Herrn Sprung von Herrn Abgeordneter Bürsch.<br />

Herr Sprung, bitte.<br />

Herr Sprung:<br />

Seitens <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes wird nicht dieser Weg beschritten, aber von Seiten <strong>der</strong> Sicherheitsbehörden,<br />

dort allerdings auch in eingeschränkter Weise. Dann, wenn staatsanwaltschaftliche<br />

Ermittlungsverfahren liefen, und in dem einen Fall, in dem so eine Geldwäschesystematik<br />

erkannt wurde, fand das auch sehr schnell Grenzen, weil es zur Strategie dieser<br />

Terrororganisation dazu gehört, möglichst angepasst und unabhängig Geld in Europa<br />

zu waschen. Und <strong>des</strong>wegen fand dann die weitere Nachforschung auch sehr schnell ein<br />

Ende.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank. Sie hatten sich noch gemeldet. Bitte schön, Herr Botzet vom Auswärtigen<br />

Amt.<br />

Herr Botzet:<br />

Ich hätte noch eine Frage an Frau Dahmen zum Verfahren nach § 31 Abs. 1 Nr. 3 Aufenthaltsverordnung.<br />

Es ist ja ein neues Verfahren: Bei Einreisen aus sog. konsultationspflichtigen<br />

Staaten werden die Sicherheitsbehörden automatisch einbezogen und konsultiert.<br />

Zusätzlich sieht diese Vorschrift vor, dass die Auslän<strong>der</strong>behörden innerhalb einer<br />

Verschweigefrist von 10 Tagen ihre Zust<strong>im</strong>mung erteilen sollen o<strong>der</strong> unter Umständen die<br />

Schweigefrist unterbrechen. Wie wird damit in <strong>der</strong> Praxis in den Auslän<strong>der</strong>behörden umgegangen?<br />

Bringt das ein zusätzliches Maß an Sicherheitserkenntnissen, denn dafür wurde<br />

diese Vorschrift meinem Verständnis nach geschaffen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Vielen Dank, Herr Botzet. Weitere Fragen?<br />

Ich selbst habe mal eine an sich ganz einfache Frage, allerdings nicht an die Personen auf<br />

dem Podium, son<strong>der</strong>n an anwesende Län<strong>der</strong>vertreter, die hier unter uns sitzen. Ich wun<strong>der</strong>e<br />

mich <strong>im</strong>mer etwas, warum eigentlich außer Bayern kein an<strong>der</strong>es Land Maßnahmen


352<br />

nach § 54a Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG anwendet und ich weiß nicht, ob es nicht jetzt etwas<br />

unverschämt ist, wenn ich einige mal frage, die hier sitzen, z. B. Herrn Klußmann aus<br />

Hamburg, den ich hier sehe, o<strong>der</strong> Herrn Schmäing aus Hessen, Herrn Krause aus Berlin,<br />

Herrn Muth aus Rheinland-Pfalz, ob die mal dazu was sagen könnten, weswegen diese<br />

neu geschaffenen Vorschriften, über die wir lange in <strong>der</strong> Diskussion über das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

geredet haben, warum die in diesen Län<strong>der</strong>n so gut wie nicht o<strong>der</strong> gar nicht<br />

angewandt werden. Danke schön.<br />

Die erste Frage war an Frau Dahmen gerichtet, bitte schön.<br />

Frau Dahmen:<br />

Ja, Herr Botzet, <strong>der</strong> Aufwand ist recht hoch und es ist auch schwierig, Erkenntnisse zu erlangen,<br />

insbeson<strong>der</strong>e für die Personen, die noch nicht hier waren. Wir machen sehr häufig<br />

die Erfahrung, dass kumuliert aus best<strong>im</strong>mten Staaten, gerade auch aus den arabischen<br />

Staaten, Einreiseanträge vorliegen, beispielsweise wenn Messen in Köln stattfinden, und<br />

wir stellen uns manchmal die Frage, müssen an die 100 bis 150 Personen aus dem arabischen<br />

Raum an <strong>der</strong> Süßwarenmesse unbedingt teilnehmen, wenn sie kein Produkt vorstellen.<br />

Wir haben aber nicht die Möglichkeit, das entsprechend zu artikulieren, gerade wenn<br />

die Einreiseanträge sehr kurzfristig gestellt werden. Wir haben nicht <strong>im</strong>mer den Vorlauf von<br />

6 Wochen, dass wir also auch mit <strong>der</strong> Unterbrechung <strong>der</strong> Verschweigefrist arbeiten können.<br />

Und gerade, wenn die Anträge sehr kurzfristig gestellt werden, sind wir <strong>im</strong>mer in dem<br />

Zwiespalt zu entscheiden, unterbrechen wir jetzt mit möglichen Konsequenzen, die nicht<br />

gerechtfertigt sind, o<strong>der</strong> geben wir den Leuten die Möglichkeit einzureisen. Und insofern<br />

kann ich Ihnen sagen, ist es für uns <strong>im</strong>mer ein Spagat dies hinzubekommen und wir hätten<br />

gerne teilweise längere Zeit für die Prüfung und würden teilweise gerne auch etwas frühzeitiger<br />

eingebunden werden.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Frau Dahmen, an Sie habe ich selbst noch mal eine Frage: Sie hatten ja vorhin<br />

gesagt, es gebe Verfahrensregelungen, die die Abschiebung verhin<strong>der</strong>n, haben aber<br />

jetzt die nicht genannt und haben auch keine Verbesserungsvorschläge vorgestellt. Vielleicht<br />

könnten Sie sich netterweise da noch mal zu äußern.<br />

Frau Dahmen:<br />

Ja, wir haben z. B. jetzt in Nordrhein-Westfalen Regelungen, dass es min<strong>des</strong>tens eines<br />

Abschiebefehlversuches bedarf, ehe wir sog. Abschiebhaftanträge stellen können, um<br />

dann zur Sicherung <strong>der</strong> Abschiebung die Person auch in Haft zu nehmen. Dann gibt es<br />

Regelungen, dass wir, wenn wir Erkenntnisse haben, dass die Person sich <strong>der</strong> Abschiebung<br />

entziehen wird, keine Möglichkeit haben, Haftanträge erfolgreich durchzusetzen,<br />

wenn eine Meldeanschrift da ist, unabhängig davon, ob wir wissen, dass <strong>der</strong>jenige sich unter<br />

<strong>der</strong> Meldeanschrift aufhält o<strong>der</strong> nicht. Und wir würden da schon gerne sehen, dass da<br />

die entsprechenden Personen, die solche Entscheidungen zu treffen haben, geschult werden<br />

und den Auslän<strong>der</strong>behörden auch ein Stückchen mehr Vertrauen entgegenbringen,<br />

dass die Fakten die vorgetragen werden, auch tatsächlich st<strong>im</strong>mig sind.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut, herzlichen Dank, Frau Dahmen. Ich sehe, dass das nicht Bun<strong>des</strong>recht betrifft, was Sie<br />

gerade vorgetragen haben. Würde es Ihnen helfen, wenn wir in den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften<br />

<strong>der</strong>artige Regelungen einbrächten, die auch dem Land Nordrhein-<br />

Westfalen eine größere Hilfestellung leisten?<br />

Frau Dahmen:<br />

Ein eindeutiges Ja.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut, dann würde ich noch mal bitten, ob sich jetzt wegen <strong>der</strong> Anwendung <strong>des</strong> § 54a Abs. 3<br />

und Abs. 4 AufenthG in an<strong>der</strong>en Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n einige <strong>der</strong> angesprochenen Län<strong>der</strong>vertreter<br />

melden könnten. Herr Klußmann und Herr Muth, Sie haben eben schon genickt. Sie<br />

können ja mal ans Mikrofongehen und sich dazu äußern.


Bitte schön.<br />

353<br />

Herr Klußmann:<br />

Vielen Dank, Herr Dr. Lehnguth. Zu § 54a Abs. 3 AufenthG kann ich sagen, dass das für<br />

Stadtstaaten letztendlich obsolet ist. Die Möglichkeit, jemanden zu verpflichten, in einer<br />

best<strong>im</strong>mten Einrichtung zu wohnen, ist <strong>im</strong> Stadtstaat letztendlich unwirksam. Wir hatten<br />

das auch schon mal mit Vertretern <strong>der</strong> AG BIRGIT erörtert. Letztendlich ist das nur dann<br />

attraktiv, wie Herr Kempfler hier eben auch ausgeführt hat, wenn es wirklich gelingt, Leute<br />

aus ihrem sozialen Umfeld zu lösen. Dazu müsste man die aber dann auch so deutlich<br />

daraus entfernen, wie das <strong>im</strong> Stadtstaat letztendlich nicht möglich ist. Mit den Kommunikationsbeschränkungen,<br />

so habe ich Herrn Kempfler verstanden, schätzt er das als ohnehin<br />

nicht so wirksames Mittel ein. Und ich habe ihn auch so verstanden, dass es in Bayern<br />

auch erst in einem Fall, jedenfalls isoliert, angewandt worden ist. Von daher denke ich, befinden<br />

sich die an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong> in diesem Punkt jedenfalls auch in guter Gesellschaft mit<br />

Bayern.<br />

Ich wollte die Gelegenheit vielleicht noch nutzen, noch mal kurz das zu ergänzen, was<br />

Frau Dahmen in Bezug auf die Möglichkeiten <strong>der</strong> Haftbeantragung gesagt hat. Es ist ein<br />

Problem nicht <strong>der</strong> Gesetzesformulierung, aber <strong>der</strong> Anwendung auch in <strong>der</strong> Rechtsprechung,<br />

was über Nordrhein-Westfalen hinaus reicht. Es ist auch in Hamburg jedenfalls in<br />

<strong>der</strong> Rechtsprechung zur Freiheitsentziehung letztendlich Praxis, die darauf hinausläuft,<br />

Abschiebehaft nur bei einem Abschiebungsfehlversuch als rechtmäßig zu bestätigen, weil,<br />

und von daher betrifft es dann auch Bun<strong>des</strong>recht bzw. Verfassungsrecht, eben hohe Hürden<br />

an die Freiheitsentziehung aus verfassungsrechtlichen Gründen in <strong>der</strong> Rechtsprechung<br />

gezogen werden. Die Hoffnung, dass man das über irgendwelche Präzisierungen in<br />

den zu erwartenden Allgemeinen Verwaltungsvorschriften denn mal eben so en passant<br />

mitregeln kann, teile ich in dem Punkt lei<strong>der</strong> nicht. Es wäre aber wünschenswert. Vielen<br />

Dank.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Herzlichen Dank, Herr Klußmann.<br />

Herr Muth, würden Sie noch mal was sagen können. Herr Muth ist aus Rheinland-Pfalz.<br />

Herr Muth:<br />

Ja, in Rheinland-Pfalz sieht die Situation so aus, dass es ganz einfach an den zugrunde<br />

liegenden Ausweisungen mangelt, auf die <strong>der</strong> § 54a AufenthG angewandt werden könnte.<br />

Wir haben das mal analysiert und auch eine ständige Arbeitsgruppe eingerichtet, an <strong>der</strong><br />

dann das Bun<strong>des</strong>amt beteiligt sein wird. Wir haben Ausweisungen in <strong>der</strong> Planung, wo auch<br />

§ 54a AufenthG mit verfügt werden soll, aber nur die Absätze 1 und 2. Das ist <strong>der</strong> gegenwärtige<br />

Sachstand in Rheinland-Pfalz.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herr Schmäing, bitte.<br />

Herr Schmäing:<br />

Bei uns ist die Situation so, dass wir schon einige Ausweisungsverfügungen vorbereitet<br />

und auch erlassen haben. Diese Regelung ist aber nicht so ganz einfach, weil wir vollziehbare<br />

Ausweisungsverfügungen und Abschiebungsandrohungen brauchen, und dies liegt<br />

häufig nicht vor, so dass wir diese Vorschrift nicht anwenden können in <strong>der</strong> Form. Und für<br />

Kommunikationsverbote gab es bisher noch keinen Anlass. Aber wir haben die räumlichen<br />

Beschränkungen teilweise so gemacht, dass es zu ähnlichen Möglichkeiten kommt. Wir<br />

konnten aber die Vorschrift noch nicht so anwenden, wie man sich das nach dem Gesetz<br />

sozusagen vorstellt.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Und würden Sie da eine Än<strong>der</strong>ung anregen?<br />

Herr Schmäing:<br />

Nein. Ich brauche vollziehbare Ausweisungsverfügungen. Die Verfahren müssen durchgeführt<br />

werden und, wenn die Verfahren durchgeführt worden sind, die teilweise ja auch bei


354<br />

den Gerichten anhängig sind, dann werden wir schauen, welche Maßnahmen zu erfolgen<br />

haben. Wir haben teilweise aber auch Personen, bei denen die Maßnahmen durchgeführt<br />

werden und wir dann davon ausgehen, dass dann auch eine Abschiebung möglich ist, so<br />

dass es das wahrscheinlich gar nicht in <strong>der</strong> Form zur Anwendung kommt.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut, herzlichen Dank, Herr Schmäing. Dann gebe ich noch mal an Frau Stellmacher aus<br />

Nie<strong>der</strong>sachen das Wort.<br />

Bitte schön.<br />

Frau Stellmacher:<br />

Ja, vielen Dank. Wir haben in Nie<strong>der</strong>sachsen eine Arbeitsgruppe Einzelfälle, die sich seit<br />

einem guten Jahr mit dieser Sicherheitsfrage befasst. Wir hatten bisher zwei Ausweisungen.<br />

In diesen beiden Fällen ist es so gewesen, dass die Personen dann freiwillig ausgereist<br />

sind, so dass wir zu den weiteren Maßnahmen nicht mehr greifen mussten. Ansonsten<br />

arbeiten wir <strong>im</strong> Moment noch. Da ist erstmal noch ein bisschen Vorarbeit zu leisten, so<br />

dass wir noch nicht bei den Ausweisungsverfügungen angelangt sind und dann werden wir<br />

weiter sehen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut, herzlichen Dank. Und dann kommt noch Herr Krause aus Berlin an die Reihe. Dann<br />

habe ich alle durch.<br />

Herr Krause:<br />

Ja, vielen Dank. Also zum Absatz 3, glaube ich, kann ich mich anschließen. Was Hamburg<br />

angeht, gilt in <strong>der</strong>selben Weise auch für Berlin. Wir haben nur bis jetzt noch keinen Anlass<br />

gesehen, eine wirksame Maßnahme aussprechen zu können. Im Übrigen ist in Berlin eine<br />

Arbeitsgruppe auch in <strong>der</strong> Entstehung, die sich ein wenig orientieren möchte an den Prinzipien,<br />

nach <strong>der</strong> die AG BIRGIT arbeitet. Da haben wir auch die Sicherheitsbehörden zusammengebracht,<br />

sind aber <strong>im</strong> Augenblick noch dabei, die Ausweisungsbescheide so gestalten<br />

zu wollen, dass sie auch Aussicht auf Erfolg haben und wenn wir dann soweit sein<br />

sollten, dass wir vielleicht auch Möglichkeiten nach § 54a AufenthG zur Anwendung bringen,<br />

dann werden wir das auch versuchen. Solche Maßnahmen sind bis jetzt auch durch<br />

die Sicherheitsbehörden nicht angeregt worden.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut, herzlichen Dank. Gibt es weitere Fragen?<br />

Ich hätte jetzt noch selbst eine Frage. Wir haben ja mit dem ersten Än<strong>der</strong>ungsgesetz eine<br />

Fundpapier-Datenbank be<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>verwaltungsamt eingeführt. Die wirkt seit dem 1. Oktober<br />

2005 und ich habe so das Gefühl, dass die meisten Län<strong>der</strong> die noch nicht so kräftig<br />

annehmen. Ich wollte erstmal Herrn Kempfler fragen, wie das bei ihnen in Bayern ist o<strong>der</strong><br />

auch Herrn Steiner, <strong>der</strong> hier Bayern vertritt und vielleicht zu diesem Punkt auch noch mal<br />

die schon befragten an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>vertreter. Das wäre jetzt meine letzte Frage, die ich<br />

hier für diesen Bereich habe.<br />

Gut. Dann Herr Kempfler, wenn Sie mal anfangen könnten.<br />

Herr Kempfler:<br />

Also, ich habe zur Fundpapier-Datenbank selbst keine Erkenntnisse. Ich nutze aber die<br />

Gelegenheit, noch mal gerne ein Missverständnis, glaube ich, zu den § 54a-Maßnahmen.<br />

ausräumen zu wollen. § 54a Abs. 3 AufenthG wurde nur einmal isoliert angeordnet, ansonsten<br />

in den an<strong>der</strong>en 12 Fällen waren es Kombinationen aus den Absätzen 3 und 4, also<br />

die Beschränkung <strong>der</strong> Kommunikationsmittel war in <strong>der</strong> absolut überwiegenden Anzahl<br />

<strong>der</strong> Fälle mit dabei. Ich sagte nur, dass eben ja noch weiterhin Kommunikationsmittel bestehen<br />

und es eben hier um Personen geht, die gerade eben Kommunikationsmittel unter<br />

Umständen auch weiterhin für ihre Zwecke missbrauchen können.


355<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank. Könnten die an<strong>der</strong>en Herren aus den Län<strong>der</strong>n, die ich vorhin dran hatte, noch<br />

mal Stellung nehmen zu <strong>der</strong> Fundpapier-Datenbank.<br />

Herr Steiner, bitte.<br />

Herr Steiner:<br />

Grundsätzlich ist die Idee, die dahinter steckt, ganz überzeugend, dass man Papiere, die<br />

hier rumliegen, auch tatsächlich sammelt. Es ist natürlich nicht die Gewissheit gegeben,<br />

dass die Papiere dann von den Botschaften <strong>der</strong> He<strong>im</strong>atlän<strong>der</strong> auch anerkannt werden. Sie<br />

haben Pässe zu Personen, die behaupten, dass die Pässe nicht von ihnen stammen.<br />

Grundsätzlich haben wir natürlich versucht, das umzusetzen. Wir haben inzwischen auch<br />

eine zentrale Stelle eingerichtet, die das koordinieren wird, nämlich die Zentralstelle Rückführung<br />

in München. Ich hoffe, dass sich dann die Ergebnisse verbessern. Angesichts <strong>der</strong><br />

großen Än<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> letzten Zeit stand diese Sache nicht so sehr <strong>im</strong> Vor<strong>der</strong>grund gestanden,<br />

wie es sinnvoll gewesen wäre.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Steiner. Dann würde ich noch mal ganz gerne das Wort Herrn<br />

Schmäing erteilen.<br />

Herr Schmäing:<br />

Ja, wir können noch keine Erfahrungen haben. Die Fundpapier-Datenbank, ein schöner<br />

Ausdruck, sammelt ja erst die entsprechenden Papiere, die in den Auslän<strong>der</strong>behörden auftauchen.<br />

Die werden verschickt, die werden zentral gesammelt; das ist natürlich den Behörden<br />

vorgegeben worden. Aber welche Folgen das hat, ist mir nicht bekannt. Mir ist noch<br />

kein Trefferfall bekannt geworden. Das müsste man wahrscheinlich auch da fragen, wo sozusagen<br />

die Papiere gesammelt werden, ob es da zu Reaktionen gekommen ist und welche<br />

Erfolge es da gibt. Das ist für uns ein bisschen schwierig, weil wir die Papiere ja nur<br />

hinschicken. Was für Reaktionen kommen, kriegen wir ja gar nicht mit, jedenfalls nicht in<br />

den Innenministerien. Dazu müsste ich eine Umfrage machen, die ich aber bisher nicht<br />

gemacht habe und bei den vielen Umfragen, die wir zurzeit gemacht haben, auch nicht unbedingt<br />

machen möchte.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut, herzlichen Dank, Herr Schmäing. Herr Muth hatte sich noch gemeldet.<br />

Herr Muth:<br />

Im <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> <strong>Evaluierung</strong> hat unsere Clearingstelle für Passbeschaffung und Flugabschiebung,<br />

die zentral von uns beauftragt worden ist, die Abfragen durchzuführen, mitgeteilt,<br />

dass es bislang aus Rheinland-Pfalz 254 Abfragen gab, aber es in keinem Fall zu einer<br />

Treffermeldung kam. Das wird <strong>im</strong> Wesentlichen darauf zurückgeführt, dass sich <strong>im</strong><br />

Moment - ich kann aber jetzt nicht bestätigen, ob das so richtig ist - 2.000 Funddokumente<br />

in <strong>der</strong> Datenbank befänden, was eine relativ geringe Anzahl wäre und erklären würde,<br />

dass es noch keine Trefferanzahl gibt.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank. Gibt es noch weitere Fragen? Das ist nicht <strong>der</strong> Fall.<br />

Ich versuchen eine Zusammenfassung zu geben nach dem Stand <strong>der</strong> Diskussion. Das Fazit<br />

wäre aus unserer Sicht, dass sich die sicherheitsrelevanten Normen <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

nach Auffassung <strong>der</strong> meisten <strong>Praktiker</strong> bewährt haben. Gesetzgeberischer<br />

Opt<strong>im</strong>ierungsbedarf wurde von Herrn Kempfler insbeson<strong>der</strong>e hinsichtlich <strong>der</strong> Nachweismaßstäbe<br />

be<strong>im</strong> § 54 Nr. 5 AufenthG gesehen und zwar in <strong>der</strong> Form, „wenn Tatsachen die<br />

Annahme rechtfertigen“; er hat es vorhin ausgeführt. In diesem Zusammenhang wies Herr<br />

Rechtsanwalt Pfaff allerdings darauf hin, dass nach seiner Erfahrung die Normen von <strong>der</strong><br />

Verwaltung extensiv und teilweise nicht mehr dem Wortlaut gemäß angewandt würden.<br />

Herr Kempfler hat auch darauf hingewiesen, dass es nach seiner Meinung vernünftig wäre,<br />

will ich einmal formulieren, einen Sicherheits- o<strong>der</strong> Sicherungsgewahrsam einzuführen.<br />

Und die praktische Zusammenarbeit <strong>der</strong> Sicherheitsbehörden hat sich nach Auffassung


356<br />

<strong>der</strong> <strong>Praktiker</strong> entschieden verbessert, muss ich einmal sagen. Es wurde erstmal auf die AG<br />

BIRGIT, zu <strong>der</strong> Herr Kempfler vorgetragen hat, verwiesen, aber eben auch von Bun<strong>des</strong>seite<br />

darauf verwiesen, und zwar war von Herrn Sprung - dass es die AG Status gibt, die<br />

auch ähnliche Aufgaben hat und die be<strong>im</strong> BMI geführt wird. Es wurde allgemein festgestellt,<br />

dass einzelne Tatbestandsmerkmale doch unterschiedlich angewandt werden. Unterschiedliche<br />

Interpretationen, was sicherheitsgefährend sei, wurden teilweise bemängelt<br />

und wir werden da, das habe ich vorhin versprochen, mit den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften<br />

aushelfen und doch zu einer einheitlichen Auslegung kommen können. Von<br />

Frau Dahmen wurde doch ein nach meiner Meinung etwas düsteres Bild von <strong>der</strong> Anwendungspraxis<br />

<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden gegeben, die vom Gesetzgeber nicht beeinflusst werden<br />

kann, wenn ich das einmal sagen darf. Hier gibt es aber doch nach meiner Meinung<br />

mögliche Abhilfemöglichkeiten. Die Personalausstattung sollte verbessert werden, dass ist<br />

jetzt mal ein Appell von mir, von Bun<strong>des</strong>seite, und verstärkte Ausbildungsmaßnahmen<br />

könnten hier gewiss helfen.<br />

Das wäre die Zusammenfassung, die ich gern geben möchte. Jetzt hat Herr Veit noch eine<br />

Anregung o<strong>der</strong> eine Anmerkung o<strong>der</strong> will die Zusammenfassung wahrscheinlich än<strong>der</strong>n.<br />

Augenblick, ich bin auch gleich soweit, und danach würden wir dann etwas eher in die<br />

Pause gehen, weil eben keine Fragen mehr gestellt werden. Wir würden aber auch etwas<br />

eher anfangen. Ich hoffe dann, dass die ganzen Referenten nachher schon da sind für den<br />

dritten Komplex. Es ist aber auch ganz günstig, weil wir ja nachher noch wesentlich mehr<br />

Referenten haben und es auch sich um einen Bereich handelt, wo das Interesse vielleicht<br />

doch noch etwas höher liegen könnte.<br />

Jetzt kommt Herr Abgeordneter Veit dran, bitte schön.<br />

Herr MdB Veit:<br />

Ich werde mich natürlich nicht anschicken, unserem Mo<strong>der</strong>ator und seiner bewährten Weise,<br />

Dinge zusammenzufassen, zu wi<strong>der</strong>sprechen. Ich wolle nur darauf aufmerksam machen,<br />

da wir ja den Komplex <strong>der</strong> sog. Sicherungsverwahrung o<strong>der</strong> <strong>des</strong> Sicherheitsgewahrsams<br />

heftig und intensiv <strong>im</strong> Vermittlungsverfahren zum Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz diskutiert haben,<br />

mit einem übrigens negativen Ergebnis in den Koalitionsverhandlungen, dass nach<br />

den Darlegungen von Herrn Kempfler – und das war ja einer <strong>der</strong> Gründe, warum ich da<br />

nachfrage o<strong>der</strong> nachgefragt habe – wir in <strong>der</strong> Tat von den 12 Fällen 2 in U-Haft, 2 abgehauen,<br />

5 bis 6 Personen freiwillig ausgereist, <strong>der</strong> Rest noch anhängig, also de facto von<br />

2 Personen reden, die ihm abgängig gewesen sind, da wäre wirklich die Frage zu stellen,<br />

ob man da nicht unter Umständen mit einer zugegebenermaßen vielleicht etwas extensiveren<br />

Auslegung <strong>der</strong> Möglichkeiten, die uns die Abschiebungshaft bietet, dieses Abhauen<br />

vielleicht auch noch hätte verhin<strong>der</strong>n können. Aber ich wollte nur noch mal fokussieren und<br />

sagen, wenn wir von diesem Phänomen überhaupt reden, reden wir, weil wir ja sonst in<br />

den Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n <strong>der</strong>gleichen nicht haben, wie wir eben gehört haben, von zwei Personen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herr Veit, vielen Dank. Ich habe von Ihnen selten gehört, dass Sie etwas extensiver auslegen<br />

wollen, das überrascht mich wirklich etwas. Gut. Aber herzlichen Dank.<br />

V. Themenkomplex Humanitäre Aufenthalte, Bleiberechtsregelungen, Asylverfahren und Illegalität<br />

1. Anmo<strong>der</strong>ation durch Herrn Dr. Lehnguth<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />

wir fangen jetzt etwas früher an mit dem dritten Panel, dann haben wir ein bisschen mehr<br />

Zeit für die Diskussionen.<br />

Ich führe kurz in den Bereich Humanitäre Aufenthalte, Bleiberechtsregelungen, Asylverfahren<br />

und Illegalität ein. Das ist ein riesiger Komplex. Dieser Themenkomplex bildete einen


357<br />

Schwerpunkt in den politischen Verhandlungen <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz, wie die meisten<br />

wissen.<br />

Wir haben damals folgende Neuregelungen eingeführt, die ich nur kurz aufzählen möchte:<br />

- die Gewährung <strong>des</strong> Flüchtlingsstatus auch bei nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer<br />

Verfolgung, § 60 Abs. 1 AufenthG,<br />

- die aufenthaltsrechtliche Gleichstellung von anerkannten GFK-Flüchtlingen mit Asylberechtigten,<br />

§ 25 Abs. 1 und 2 AufenthG,<br />

- die Statusverbesserung subsidiär Geschützter, § 25 Abs. 3 AufenthG,<br />

- zur Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse nach § 60 Abs. 7 ist<br />

eine obligatorische Beteiligung <strong>des</strong> BAMF eingeführt worden,<br />

- es ist mit § 23 a eine Härtefallregelung eingeführt worden, von <strong>der</strong> Gebrauch gemacht<br />

wird in fast allen Län<strong>der</strong>n und<br />

- die Duldung wurde beibehalten in § 60 a Abs. 2 AufenthG.<br />

Das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz enthält allerdings nach dem Willen <strong>des</strong> Gesetzgebers keine allgemeine<br />

Altfall- o<strong>der</strong> Bleiberechtsregelung für Auslän<strong>der</strong>, die schon lange Jahre hier in<br />

Deutschland leben. Es ist vorgesehen, zur Vermeidung von Kettenduldungen Aufenthaltserlaubnisse<br />

zu erteilen, wenn die Ausreise unmöglich und die Abschiebung seit 18 Monaten<br />

ausgesetzt ist. Durch diese Neuregelung sollte die Möglichkeit geschaffen werden, bisher<br />

unsichere aufenthaltsrechtliche Situationen zu klären. Dabei ist allerdings auch ausdrücklich<br />

differenziert worden zwischen Personen, die nicht zurückkehren können aus<br />

Gründen, die sie nicht zu vertreten haben und solchen, die sie zu vertreten haben. Das ist<br />

<strong>der</strong> Punkt, <strong>der</strong> auch in <strong>der</strong> politischen Diskussion <strong>im</strong>mer häufig angeführt wird.<br />

Wie Sie wissen hat sich die Konferenz <strong>der</strong> Innenminister <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> und <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> auf<br />

<strong>der</strong> letzten Tagung mit dem Thema „Bleiberechtsregelung“ befasst. Es ist eine Arbeitsgruppe<br />

auf Ministerebene eingerichtet worden. Diese Arbeitsgruppe hat noch nicht getagt.<br />

Die nächste IMK wird das Thema <strong>im</strong> Hinblick auf die heutige <strong>Evaluierung</strong>, auf den <strong>Evaluierung</strong>sbericht<br />

und auf den <strong>Evaluierung</strong>sprozess voraussichtlich noch einmal auf die Herbst-<br />

IMK schieben, um diese <strong>Evaluierung</strong> erst einmal auszuwerten.<br />

Ich würde jetzt vorschlagen, dass wir beginnen, und ich wollte ihnen gerne die Personen<br />

vorstellen, die jetzt hier auf dem Podium links und rechts sitzen.<br />

Wir würden ganz gerne beginnen mit:<br />

dem Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Sigmaringen, Herr Armbruster,<br />

<strong>der</strong> Leiterin <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde München, Frau Vollmer,<br />

dem Richter be<strong>im</strong> Verwaltungsgericht Darmstadt, Herrn Dr. Dienelt,<br />

dem Rechtsberater <strong>der</strong> UNHCR, Herrn Dr. Bank,<br />

dem Vorsitzenden <strong>der</strong> Härtefallkommission <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nordrhein-Westfalen, Herrn Weber,<br />

<strong>der</strong> neben mir sitzt,<br />

mit dem Abteilungspräsidenten, Herrn Sprung,<br />

dem Referatsleiter <strong>im</strong> Hessischen Ministerium, Herrn Schmäing,<br />

<strong>der</strong> juristischen Referentin <strong>der</strong> EKD, Frau Allenberg,<br />

<strong>der</strong> Ärztin von <strong>der</strong> Malteser-Migrantenmedizin, Frau Dr. Franz,<br />

und Herrn Rechtsanwalt Dr. Marx<br />

Das ist also eine lange Reihe von Referenten und wir haben aber heute Abend auch Zeit –<br />

das wissen Sie – bis 21:30 Uhr. Wir können auch noch länger hier bleiben, wenn Sie wollen.<br />

Also dann bitte ich erst einmal Herrn Armbruster mit seinem Vortrag zu beginnen. Bitte!<br />

2. Herr Armbruster:<br />

Also ich möchte mich nur mit zwei Dingen beschäftigen, nämlich einmal dem Problem <strong>der</strong><br />

§§ 25 und 60 a - das Stichwort war ja schon gefallen - „Kettenduldung“ und zum an<strong>der</strong>en


358<br />

vielleicht ganz kurz mit Auslän<strong>der</strong>behörde und BAMF, mit Kommunikation. Zum § 25, insbeson<strong>der</strong>e<br />

bei <strong>der</strong> Kettenduldung, stellt sich für die Rechtsprechung <strong>im</strong>mer das Problem<br />

und das setzt sich auch in <strong>der</strong> Praxis so fort, dass wir <strong>im</strong> Moment – was die Fallanzahlen<br />

betrifft – die meisten Fälle in diesem Bereich haben. Keine Probleme gibt es be<strong>im</strong> § 25<br />

Abs. 1 und 2, soweit ich das aus <strong>der</strong> Rechtsprechung sehe. Die Probleme beginnen, wobei<br />

sie ganz neu geschaffen wurden, be<strong>im</strong> § 25 Abs. 3, dort gibt es eine neuere Entscheidung<br />

<strong>des</strong> BVerwG, die aus dieser Sollvorschrift, wie sie <strong>im</strong> Gesetzgebungsverfahren geschaffen<br />

wurde, was Beson<strong>der</strong>es gemacht hat. Das Problem steckt nämlich darin: was passiert mit<br />

Leuten, bei denen zwar noch <strong>im</strong> Moment die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7<br />

festgestellt sind, wo aber ein Wi<strong>der</strong>rufsverfahren entwe<strong>der</strong> be<strong>im</strong> BAMF o<strong>der</strong> aber schon<br />

bei Gericht läuft?<br />

Da hat die neue Rechtsprechung aus meiner Sicht Bedarf geschaffen für eine Klarstellung/Präzisierung<br />

- wie man es auch <strong>im</strong>mer nennen will - in <strong>der</strong> Gesetzgebung. Denn in <strong>der</strong><br />

Praxis sehe ich, dass die Auslän<strong>der</strong>behörden diesem Problem nicht gewachsen sind. Das<br />

Bun<strong>des</strong>verwaltungsgericht geht davon aus, es handle sich um einen atypischen Fall in diesem<br />

Bereich. Gleichzeitig gibt es den Auslän<strong>der</strong>behörden dann aber an die Hand, eine<br />

Prognoseentscheidung zu treffen. Ich möchte mal ein Beispiel bringen: bei mir in <strong>der</strong><br />

Kammer hängt ein Fall zu § 25 Abs. 5, Wi<strong>der</strong>ruf § 60 Abs. 7 eines Jordaniers. In einer an<strong>der</strong>en<br />

Kammer <strong>des</strong> Gerichts hängt dieser Fall bezüglich <strong>des</strong> Wi<strong>der</strong>rufsverfahrens. Wie die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde da eine Prognose treffen soll, darüber machen Sie sich bitte selber Gedanken.<br />

Dass führt dann dazu, dass es liegen bleibt o<strong>der</strong> dass entschieden wird und nach<br />

einem halben Jahr wie<strong>der</strong> entschieden wird.<br />

Also zu diesem Bereich müsste <strong>der</strong> Gesetzgeber was machen. Mein Vorschlag wäre, dass<br />

man sich Gedanken darüber macht, ob man nicht in diesen Fällen einfach eine Zusatznorm<br />

mit rein n<strong>im</strong>mt, Satz 2, Satz 3, wie auch <strong>im</strong>mer, bei denen die Frist vorgegeben wird<br />

für eine zu erteilende Aufenthaltserlaubnis. Beispielsweise regelmäßig auf 6 Monate, dann<br />

hätte die Auslän<strong>der</strong>behörde das <strong>im</strong> Griff und, das gebe ich zu, man hätte das Bun<strong>des</strong>verwaltungsgericht<br />

allerdings auf <strong>der</strong> rechten o<strong>der</strong> linken Seite überholt.<br />

Bei § 25 Abs. 4, den ich persönlich und so jedenfalls <strong>im</strong> Süden, wie ich dort die Rechtsprechung<br />

verfolge, als Nachfolgevorschrift zu § 55 <strong>im</strong> Bereich Ermessensduldung sehe, sollte<br />

man sich überlegen, was sehr sinnvoll wäre, ob man nicht auch <strong>im</strong> Gesetzgebungsverfahren<br />

was tut. Nämlich ob man diesen Begriff vorübergehend durch Regelbeispiele etwas<br />

klarer macht, so dass die Auslän<strong>der</strong>behörden was an <strong>der</strong> Hand hätten und die Gerichte<br />

an<strong>der</strong>erseits auch.<br />

Zu § 25 Abs. 5, da taucht bei uns ständig das Stichwort „Kettenduldung“ auf, wobei ich<br />

ganz offen sage, die Rechtsanwaltsseite bringt <strong>im</strong>mer das Argument, die Kettenduldung ist<br />

abgeschafft und die Auslän<strong>der</strong>behörden bringen das Argument, <strong>im</strong> § 60 a steht doch die<br />

Duldung nach wie vor noch drin.<br />

Da sieht man schon an <strong>der</strong> dazu ergangenen Rechtsprechung, dass sich da erhebliche<br />

Probleme ergeben. Wenn man die Struktur <strong>der</strong> Vorschrift ansieht, dann muss man sagen,<br />

das Hauptproblem steckt eigentlich darin, dass sowohl die Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise als<br />

auch <strong>im</strong> Bereich tatsächliche und rechtliche Unmöglichkeit <strong>im</strong> § 25 Abs. 5 <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong><br />

Ausreise gebraucht wird und <strong>im</strong> § 60 a <strong>der</strong> Begriff Abschiebung. Aus meiner Sicht lässt<br />

sich das <strong>im</strong> Moment nicht richtig zur Deckung bringen <strong>im</strong> Bereich rechtliche Unmöglichkeit.<br />

Auch die Rechtsprechung zeigt da aber völlig durchgängig von Nord nach Süd, dass sie da<br />

erhebliche Schwierigkeiten hat. Das zeigen <strong>im</strong> Übrigen auch die Vorläufigen Anwendungshinweise<br />

<strong>des</strong> BMI, dass da Schwierigkeiten bestehen, nämlich das Problem <strong>der</strong> Zumutbarkeit.<br />

Ein weiteres Problem dürfte sicher noch das Verhältnis § 25 Abs. 5 <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong><br />

rechtlichen Unmöglichkeit zu § 25 Abs. 3 werden, nämlich die Frage, was Spezialvorschrift<br />

ist, ist es überhaupt Spezialvorschrift o<strong>der</strong> bleibt <strong>der</strong> § 25 Abs. 5 Auffangvorschrift?<br />

Und abschließend möchte ich noch was sagen zu einem ganz neuen, in <strong>der</strong> Rechtsprechung<br />

kreierten Thema - ich hoffe nicht, Herr Dr. Dienelt, dass ich ihnen alles weg nehme,<br />

weil aus Ihrer Kammer das auch kam -, das Sichtwort wäre „Verwurzelung“, Art. 8 EMRK,<br />

nämlich nicht unter dem Stichwort „Familienleben“, son<strong>der</strong>n unter dem Stichwort „Privatleben“,<br />

wo die Rechtsprechung seit 2 o<strong>der</strong> 3 Monaten in eine best<strong>im</strong>mte Richtung geht.<br />

Nämlich Altfälle zu lösen mit Kin<strong>der</strong>n, die schon sehr lange da sind und die dann über das<br />

Tatbestandsmerkmal „Privatleben“ unter ganz verschiedenen Gesichtspunkten <strong>der</strong> Integration<br />

- da geht’s dann ganz weit auseinan<strong>der</strong>, was das ist – gelöst werden sollen. Ich meine,<br />

<strong>der</strong> Gesetzgeber hat da gar keine Möglichkeit einzugreifen, was die Rechtsprechung betrifft,<br />

weil das letztendlich eine Frage ist, die national in <strong>der</strong> Rechtsprechung entschieden<br />

wird und dann auch irgendwann vom EGMR in Straßburg entschieden werden wird, weil


3. Frau Vollmer<br />

359<br />

da sicher auch mal Fälle vorgetragen werden. Man könnte dem – und das habe ich mit<br />

Wohlwollen vernommen – natürlich aus dem Wege gehen, indem man eine Bleiberechtsregelung<br />

mit klaren Kriterien schafft und vielleicht dann noch ergänzend was hinzu n<strong>im</strong>mt<br />

und sagt, das ist für uns die Regelung für die „Verwurzelungsfälle“, dann käme man aus<br />

dem Problem heraus, aber da müssten sich die Innenminister einig werden. Fazit, ich sehe<br />

sehr viel Präzisierungsbedarf <strong>im</strong> § 25 Abs. 5 und möchte auch gar nicht sagen, wie man<br />

das lösen soll, son<strong>der</strong>n, das ist Sache <strong>des</strong> Gesetzgebers. Aber man sollte klar machen, ob<br />

die Kettenduldung abgeschafft werden soll o<strong>der</strong> nicht. Und wenn man sich für eines <strong>der</strong><br />

beiden Dinge entscheidet, dann sollte man es <strong>im</strong> Gesetz auch so klar zum Ausdruck bringen,<br />

dass sowohl die Auslän<strong>der</strong>behörden als auch die Gerichte nachher die Möglichkeit<br />

haben, zu sagen, „…da fühle ich mich jetzt dran gebunden…“ und nicht selber irgendwelche<br />

Dinge erfinden müssen. Ich bedanke mich.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Armbruster für Ihre Ausführungen.<br />

Nun kommt die Leiterin <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde München, Frau Vollmer.<br />

Sehr geehrter Herr Dr. Lehnguth, meine sehr geehrten Damen und Herren,<br />

<strong>der</strong> fünfte Abschnitt <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes hat ja sehr hohe Erwartungen geweckt. Das<br />

war ja ein Schwerpunkt <strong>der</strong> Diskussion neben dem Thema „Integration“ und er hat Erwartungen<br />

geweckt, die die Auslän<strong>der</strong>behörden nicht erfüllen können. Wenn also in <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Diskussion heute festgestellt wird, dass sich eigentlich das AufenthG <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong><br />

humanitären Aufenthaltsrechte nicht allzu sehr geän<strong>der</strong>t habe, dann kann ich dem aus<br />

meiner Sicht nur zust<strong>im</strong>men. Ich möchte mich beschränken, wie schon Herr Armbruster auf<br />

das Thema § 25 AufenthG. Zum Thema „Bleiberecht“, dass ist ja ein eigener Punkt auch in<br />

<strong>der</strong> Einladung gewesen, und auf „Illegale“ komme ich dann auch noch später.<br />

Zunächst mal die frohen Botschaften, - Herr Armbruster hat es auch schon angesprochen -<br />

<strong>der</strong> Vollzug <strong>des</strong> § 25 Abs. 1 und 2 ist bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde relativ problemlos. Die<br />

Gleichstellung <strong>der</strong> Flüchtlinge mit dem kleinen Asyl ist Erleichterung nicht nur für die Betroffenen,<br />

son<strong>der</strong>n auch für die Auslän<strong>der</strong>behörde. Insbeson<strong>der</strong>e auch <strong>im</strong> Hinblick auf die<br />

Rechtsfolgen <strong>im</strong> Familiennachzug und bei <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit. Und weil wir jetzt hier auch<br />

keine Prüfungen mehr anstellen müssen, ob z.B. die Lebensgemeinschaft in einem Drittland<br />

hergestellt werden kann. Ein Thema, was Herr Dr. Lehnguth angesprochen hatte,<br />

nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung spielt bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

nach wie vor keine große Rolle. Gelegentlich wird die Gefahr <strong>der</strong> Beschneidung, neuerdings<br />

auch Zwangsehengefahr geltend gemacht. Das sind aber absolute Einzelfälle, die<br />

wir dann an das BAMF weiterleiten. Be<strong>im</strong> § 25 Abs. 3 beginnen die Probleme, obwohl wir<br />

nach Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes etwa 300 Anträge – das sind jetzt aber<br />

Schätzzahlen aufgrund einer Umfrage in unseren Sachgebieten – weitgehend positiv entschieden<br />

haben. Wir haben nur in ganz wenigen Einzelfällen Ablehnungen gehabt wegen<br />

gröblicher Verletzung <strong>der</strong> Mitwirkungspflichten, z.B. bei Vorlage einer gefälschten Geburtsurkunde<br />

in <strong>der</strong> Vergangenheit. Es gab auch den einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Fall, <strong>der</strong> dann über<br />

die AG BIRGIT lief, aber das waren aber nicht die Fälle, wo dann auch noch Anträge gestellt<br />

wurden auf eine Aufenthaltserlaubnis. Der neue § 72 Abs. 2, die Beteiligung <strong>des</strong><br />

BAMF bei zielstaatsbezogenen Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen, bei denen also vorgängig kein<br />

Asylverfahren durchgeführt wurde, läuft problemlos. Wir hatten sehr wenige Fälle bisher,<br />

was auch möglicherweise daran liegt, dass sich das bei unseren Mitarbeitern nicht sofort<br />

herumgesprochen hat und wir in Einzelfällen auch die Auslandsvertretung zu dem Thema<br />

nach wie vor eingeschaltet haben. Was uns in dem Zusammenhang momentan große<br />

Probleme bereitet - § 25 Abs. 3 – dass sind die Anträge von irakischen und afghanischen<br />

Staatsbürgern mit vom BAMF früher festgestellten Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen. Hier haben<br />

wir einen großen Rückstau an Entscheidungen, weil wir entsprechend den Vorgaben <strong>des</strong><br />

bayerischen Innenministeriums <strong>im</strong> Hinblick auf die be<strong>im</strong> BAMF laufenden und zum Teil von<br />

uns selbst anzustoßenden Wi<strong>der</strong>rufsverfahren in <strong>der</strong> Regel nur noch Duldungen bzw. bei<br />

anstehenden Verlängerungen auch Fiktionen erteilen. Die Weisungslage ist zwar <strong>im</strong> Hinblick<br />

auf die geän<strong>der</strong>ten Verhältnisse in den Herkunftslän<strong>der</strong>n nachvollziehbar, führt aber


360<br />

bei uns dazu, dass wir sehr lange Verfahrensdauern haben, bis über den Wi<strong>der</strong>ruf dann<br />

endlich rechtskräftig entschieden ist. Die Probleme beginnen be<strong>im</strong> § 25 Abs. 4. Diese Regelung<br />

hat eine Reihe von Fragen aufgeworfen, insbeson<strong>der</strong>e zum Verhältnis zwischen<br />

Satz 1 und 2, aber auch <strong>im</strong> Verhältnis zum Absatz 5. Der Anwendungsbereich erschließt<br />

sich ohne Lektüre <strong>der</strong> Anwendungshinweise nicht ohne weiteres und selbst danach ist man<br />

dann manchmal etwas ratlos, was man jetzt eigentlich mit dieser Vorschrift anfangen soll.<br />

Die Fragen beginnen schon damit, dass nach den Anwendungshinweisen, die wir vom BMI<br />

und auch vom Bayerischen Innenministerium bekommen haben, diese Regelung nicht bei<br />

vollziehbarer Ausreisepflicht anwendbar ist, was wir ursprünglich, kurz nach Inkrafttreten<br />

<strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes etwas an<strong>der</strong>s gesehen hatten. Die Begründung ist, dass dafür<br />

eben § 23 a - Härtefallregelungen - und § 25 Abs. 5 lex specialis seien.<br />

Das führt aber dazu, dass in unserer Vollzugspraxis <strong>der</strong> Anwendungsbereich dieser Vorschrift<br />

auf wenige Fallgruppen reduziert ist. In München insbeson<strong>der</strong>e wird diese Vorschrift<br />

als Rechtsgrundlage hergenommen für die längere Behandlung von mit Schengen-Visa<br />

eingereisten Krankenhauspatienten. Das sind meistens relativ gut betuchte Leute, nicht<br />

aus aller Herren Län<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n aus einem best<strong>im</strong>mten Gebiet dieser Erde, die man nicht<br />

unbedingt mit humanitären Notlagen in Verbindung bringt. Aber das ist jetzt keine Eigenwilligkeit<br />

von München, son<strong>der</strong>n durchaus abgest<strong>im</strong>mt und steht auch in unsern FAQ, das<br />

sind die frequently asked questions, die dann vom Innenministerium beantwortet werden.<br />

An<strong>der</strong>s sind demgegenüber die Zeugen o<strong>der</strong> Personen in Gerichts- und Ermittlungsverfahren,<br />

die eigentlich in <strong>der</strong> Begründung so <strong>der</strong> Standardanwendungsfall sein sollten. Die<br />

kommen jedoch nicht in den Genuss <strong>der</strong> Vorschrift, z. B. auch bei solchen Reizthemen wie<br />

Menschenhandel und Zwangsprostitution, weil sie in <strong>der</strong> Regel, insbeson<strong>der</strong>e wegen illegaler<br />

Einreise o<strong>der</strong> aus an<strong>der</strong>n Gründen, vollziehbar ausreisepflichtig sind. Im 2. Än<strong>der</strong>ungsgesetz,<br />

und da wird sich das Problem dann wohl lösen, ist ja ein neuer Absatz 4a <strong>im</strong><br />

§ 25 vorgesehen, also auch <strong>im</strong> Hinblick auf die Umsetzung <strong>der</strong> Opferschutzrichtlinie. Auch<br />

be<strong>im</strong> Abs. 4 Satz 2 haben wir also kaum Anwendungsbeispiele. Gelegentlich mal ein<br />

Gastarbeitnehmer, <strong>der</strong> ganz dringend noch irgendwelche persönlichen Dinge zu erledigen<br />

hat o<strong>der</strong>, wo wir es auch etwas strapaziert haben, bei <strong>der</strong> Verlängerung von nach altem<br />

Recht erteilten Aufenthaltsbefugnissen, <strong>der</strong>en Voraussetzungen eigentlich nicht mehr gegeben<br />

sind.<br />

Dann zum § 25 Abs. 5, Stichwort Kettenduldung. Wir hatten in München nach Inkrafttreten<br />

<strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes – auch wie<strong>der</strong> nur Schätzzahlen – ca. 500 Anträge, die wir<br />

überwiegend abgelehnt haben, bzw. die Betroffenen zur Rücknahme – wenn es überhaupt<br />

ein förmlicher Antrag war - bewogen haben. Wie Herr Armbruster schon gesagt hat, ist ja<br />

die Voraussetzung die tatsächliche und rechtliche Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise. Wir haben<br />

auch das Problem, dass häufiger die Abgrenzung zu den Abschiebungsverboten nach<br />

§ 60 Abs. 5 und 7 insbeson<strong>der</strong>e, und damit dann zum Anwendungsbereich <strong>des</strong> § 25 Abs. 3<br />

in <strong>der</strong> Vollzugspraxis nicht <strong>im</strong>mer ganz einfach ist. Z.B. bei schweren Erkrankungen o<strong>der</strong><br />

bei schützenswerten familiären Beziehungen. Ganz überwiegend ist aber die Unmöglichkeit<br />

<strong>der</strong> Ausreise durch die Passlosigkeit bedingt. Der Fall, <strong>der</strong> auch <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> genannt<br />

wird, keine Verkehrsverbindungen, das gibt es heute so gut wie nicht mehr. Da ist mir in<br />

den letzten Jahren kein einziger Fall bekannt geworden. Ausnahmsweise vielleicht früher,<br />

da war dieser Fall <strong>des</strong> Embargos auf dem Balkan, aber mittlerweile wie gesagt kaum noch<br />

Anwendungsfälle. Wir haben vor allen Dingen aus meiner Sicht mit zwei Problemkreisen<br />

zu tun, wo wir an unsere Grenzen stoßen. Die Erfahrung ist bei den Auslän<strong>der</strong>behörden,<br />

und da ist München kein Einzelfall, dass sich die Ausreisepflichtigen zu einem ganz überwiegenden<br />

Teil weigern, ihre Ausreiseverpflichtung nachzukommen und auch die zumutbaren<br />

Anstrengungen insbeson<strong>der</strong>e zur Beschaffung von Pässen o<strong>der</strong> Passersatzpapieren<br />

nur sehr mühsam erledigt werden. Wir müssen bei den Betroffenen <strong>im</strong> Regelfall sehr genau<br />

vorgeben - das ist jetzt auch Rechtsprechung in Bayern vom VGH -, was sie zu tun<br />

haben und dann muss das sehr eng überwacht werden und führt also in vielen Fällen nicht<br />

zu dem Erfolg, den wir uns vorstellen. Allerdings muss ich in dem Zusammenhang auch<br />

deutlich sagen, diese mangelnden Erfüllungen <strong>der</strong> Mitwirkungspflichten durch die Ausreisepflichtigen,<br />

die könnte es in dem Umfang überhaupt nicht geben, und das ist aus meiner<br />

Sicht <strong>der</strong> eigentliche Skandal, wenn nicht eine Mehrzahl <strong>der</strong> Auslandsvertretungen die<br />

mangelhafte Erfüllung <strong>der</strong> Mitwirkungspflichten – ich sag mal ganz vorsichtig – zumin<strong>des</strong>t<br />

dulden würde. Aus meiner Sicht stellt sich in diesen Fällen häufig die Frage, - also wir<br />

kommen da schon gelegentlich ins Grübeln – ob und wann dieser mangelnde Erfolg letzten<br />

En<strong>des</strong> von Vorsprachen o<strong>der</strong> Aktivitäten <strong>der</strong> Betroffenen dann - <strong>im</strong> Sinne eines Verschuldens,<br />

so wie es <strong>im</strong> § 25 Abs. 5 Satz 2 o<strong>der</strong> Satz 3 vorgesehen ist - den Betroffenen auch<br />

zugerechnet werden kann. Das grundsätzliche Misstrauen <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden in dem


361<br />

Zusammenhang wird aber genährt durch die vielen Fällen, in denen es dann doch zu einer<br />

Aufenthaltserlaubnis kommt. Also namentlich bei Eheschließungen o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Möglichkeit<br />

eines Aufenthaltsrechts aus an<strong>der</strong>en Gründen, wo dann auf einmal nicht nur Pässe<br />

vorgelegt werden, son<strong>der</strong>n auch Aufschluss über die tatsächlichen persönlichen Daten<br />

gemacht wird. Dann noch zu dem Problem <strong>der</strong> Zumutbarkeit. Herr Armbruster hatte es<br />

schon angesprochen. Das ist für mich auch ein ganz schwieriger Punkt. Es gibt in unserer<br />

Vollzugspraxis nicht wenige Fälle, in München sind es vielleicht von <strong>der</strong> Größenordnung 3<br />

bis 5 Dutzend, wo wir also auch <strong>der</strong> Meinung sind, da ist zwar die Ausreise möglich, wenn<br />

die Leute sich Pässe beschaffen würden o<strong>der</strong> manchmal gelingt es ja sogar Passersatzpapiere<br />

zu bekommen, wo wir uns aber auch die Frage stellen, ist das wirklich zumutbar<br />

für die Betroffenen. Das sind insbeson<strong>der</strong>e die Fallgruppen, die auch Herr Armbruster<br />

schon erwähnt hat, die Familien mit Kin<strong>der</strong>n, die hier geboren und aufgewachsen sind, die<br />

hier zur Schule gegangen sind, die zum Teil hervorragend deutsch sprechen. Es sind auch<br />

unbegleitete Jugendliche, min<strong>der</strong>jährige Flüchtlinge, die hier also nicht nur deutsch gelernt<br />

haben in rasanter Zeit, son<strong>der</strong>n auch Hauptschulabschlüsse hinlegen, die manchen Deutschen<br />

gefallen würden. Also ich bin auch <strong>der</strong> Meinung, dass wir diese Problemfälle irgendwie<br />

in den Griff bekommen müssen. Und selbst wenn es ärgerlich ist, dass, wenn die<br />

Eltern hier jahrelang die Verfahren verzögert haben durch <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> neue Folgeanträge<br />

o<strong>der</strong> durch Vorbringen von Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen wie Krankheiten, Traumatisierungen<br />

o<strong>der</strong> sonst irgend etwas, ist <strong>im</strong> Interesse <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> diese Auffassung, das Fehlverhalten<br />

<strong>der</strong> Eltern sei den Kin<strong>der</strong>n zuzurechnen, aus meiner Sicht nicht länger vertretbar.<br />

Hier bietet sich – wie auch schon von Herrn Armbruster gesagt – eine Altfallregelung an,<br />

das wäre eine Lösungsmöglichkeit. Diese hat den Vorteil einer einheitlichen Behandlung<br />

durch alle Auslän<strong>der</strong>behörden und klarer Vorgaben durch die Auslän<strong>der</strong>behörden, aber ich<br />

warne auch vor allzu großen Hoffnungen. Und zwar aus zwei Gründen. Einmal sind die Altfallregelungen<br />

<strong>der</strong> Vergangenheit <strong>im</strong>mer ein relativ unflexibles und starres Instrument gewesen,<br />

z. B. <strong>im</strong> Hinblick auf Stichtag o<strong>der</strong> Antragsfristen. Mir persönlich wäre lieber, wenn<br />

es statt regelmäßig wie<strong>der</strong>kehren<strong>der</strong> Bereinigungsaktionen eine Art gleitende Bleiberechte<br />

für gut integrierte Personen o<strong>der</strong> Personengruppen nach best<strong>im</strong>mten Aufenthaltszeiten<br />

gäbe, o<strong>der</strong> eben für hier geborene und aufgewachsene Kin<strong>der</strong>. Das könnte man auch,<br />

entwe<strong>der</strong> über ein Kriterium <strong>der</strong> Zumutbarkeit <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem § 25 Abs. 5 bewerkstelligen<br />

o<strong>der</strong> aber man könnte auch über einen allgemeinen Common, dass das <strong>im</strong><br />

<strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> § 23 a eben die Fälle sind, die dann zu Empfehlungen an die Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

führen, hier über das Gesetz hinaus Regelungen treffen. Ein weiteres Problem, was<br />

ich kurz ansprechen möchte, ist die Sicherung <strong>des</strong> Lebensunterhalts. Wenn man hier, wie<br />

es ja auch in <strong>der</strong> Diskussion insbeson<strong>der</strong>e auch von den Kommunen übrigens selber<br />

kommt, darauf besteht, dass die Sicherung <strong>des</strong> Lebensunterhalts grundsätzlich vollständig<br />

gesichert sein muss, dann werden nach unseren Erfahrungen kaum alle Problemfälle gelöst<br />

werden können. Nur ein geringer Teil <strong>der</strong> Betroffenen schafft es, hier die Sicherung<br />

<strong>des</strong> Lebensunterhalts, selbst wenn sie sich nachhaltig um Arbeit bemüht haben, hinzukriegen.<br />

Also wenn eine Bleiberechtsregelung, dann für Familien mit hier geborenen und aufgewachsenen<br />

Kin<strong>der</strong>n bei guter Integrationsprognose. Vielleicht für Kin<strong>der</strong> ab 12 o<strong>der</strong> 14<br />

Jahren und bei an<strong>der</strong>en hier gut integrierten kin<strong>der</strong>losen Ehepaaren o<strong>der</strong> Einzelpersonen<br />

nach Ablauf einer best<strong>im</strong>mten Zeit, ob das jetzt 8 o<strong>der</strong> 10 o<strong>der</strong> 12 Jahre sind. Aus meiner<br />

Sicht ist es nicht gerechtfertigt, wenn die Auslän<strong>der</strong>behörde, aus welchen Gründen auch<br />

<strong>im</strong>mer, es jahrelang nicht geschafft hat, den Aufenthalt zu beenden, dann weiterhin hier einen<br />

unnützen Verwaltungsaufwand zu betreiben. Aber damit habe ich möglicherweise eine<br />

Min<strong>der</strong>meinung, die nicht alle meine Kollegen teilen werden. Nachdem es vorhin <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

mit <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit angesprochen worden ist, möchte ich auch noch<br />

mal ganz kurz auf die Erwerbstätigkeit bei Gestattungs- und Duldungsinhabern eingehen.<br />

Die Ablehnungen werden ja zunehmend auch den Auslän<strong>der</strong>behörden zugerechnet. In<br />

München ist die Auslän<strong>der</strong>behörde für diese Ablehnungen <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit bzw. dann<br />

<strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnisse o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Duldung und Gestattung nicht verantwortlich, son<strong>der</strong>n<br />

es ist die Arbeitsagentur, die <strong>im</strong> Hinblick auf die Arbeitsmarktsituation hier verstärkt, selbst<br />

in München, wo wir relativ positive Verhältnisse haben am Arbeitsmarkt, die Erwerbstätigkeit<br />

ablehnt. Wenn die Betroffenen nicht mitwirken, führt das übrigens auch nicht <strong>im</strong>mer<br />

zwangsläufig zur Ablehnung <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit und zwar <strong>des</strong>wegen, weil <strong>der</strong> Maßstab<br />

unterschiedlich ist zwischen dem § 25 Abs. 5 und dem § 11 BeschVerfV. Dort wird nämlich<br />

auf eindeutige Täuschungshandlung abgestellt. Also <strong>der</strong> Maßstab hier Erwerbstätigkeiten<br />

abzulehnen, ist höher.


362<br />

Zum Thema Illegalität: Die Rechtslage ist nach Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes ja<br />

<strong>im</strong> Prinzip unverän<strong>der</strong>t. Der § 15 a AufenthG, also die Umverteilung von illegal Eingereisten<br />

spielt in diesem Zusammenhang in <strong>der</strong> Praxis keine Rolle, insbeson<strong>der</strong>e auch wegen<br />

<strong>des</strong> Stichtages. In München wurde ja auf <strong>der</strong> Grundlage eines Stadtratsbeschlusses eine<br />

Studie über die Situation <strong>der</strong> Menschen in <strong>der</strong> Illegalität erstellt. Schwerpunkte dieser Studie<br />

waren vor allen Dingen die soziale und rechtliche Lage <strong>der</strong> ohne Duldung in München<br />

lebenden Auslän<strong>der</strong> und Auslän<strong>der</strong>innen. Wir haben diese Studie sehr kritisch begleitet,<br />

haben dann aber letztendlich die Handlungsempfehlungen <strong>des</strong> Stadtrats mitgetragen. Mittlerweise<br />

beschäftigt sich auch eine Arbeitsgruppe <strong>des</strong> Deutschen Städtetages mit dem<br />

Thema und nach dem Stand <strong>der</strong> Diskussion ist zum Än<strong>der</strong>ungsbedarf aus meiner Sicht<br />

Folgen<strong>des</strong> festzustellen: erstens ist eine Gleichstellung illegal aufhältiger Menschen mit<br />

hier rechtmäßig lebenden Migranten und Migranntinnen aus meiner Sicht auslän<strong>der</strong>rechtlich<br />

nicht möglich. Ich sage das jetzt so ausdrücklich, auch wenn es sich eigentlich um eine<br />

Selbstverständlichkeit handelt, weil in <strong>der</strong> Diskussion o<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung, die dann an<br />

die Auslän<strong>der</strong>behörden gestellt wird, häufig <strong>der</strong> Eindruck geweckt wird, als ob man die Illegalen<br />

hier so stellen müsste wie hier rechtmäßig Lebende. Ebenso wenig kann es auch<br />

rechtsfreie Räume geben, wo die Polizei zum Beispiel nicht tätig wird und strafbare Verstöße<br />

toleriert werden. Nach meiner Erfahrung, und das ist was jetzt auch zunehmend<br />

kommt, weil wir den Beraterorganisationen ein Angebot gemacht haben, also häufig kann<br />

den unmittelbar Betroffenen, wenn sie denn auftauchen und solche Problemfälle auch an<br />

die Auslän<strong>der</strong>behörden herangetragen werden, in existenziellen Problemlagen bereits auf<br />

<strong>der</strong> Grundlage <strong>des</strong> geltenden Rechts geholfen werden, insbeson<strong>der</strong>e bei schweren Erkrankungen,<br />

bevorstehen<strong>der</strong> Geburt o<strong>der</strong> auch sehr häufig durch Aufenthaltserlaubnis bei<br />

bevorstehen<strong>der</strong> Heirat o<strong>der</strong> bei Eltern eines deutschen Kin<strong>des</strong>. Wo aber unbedingter Klärungs-<br />

und Regelungsbedarf besteht, das ist bezüglich <strong>der</strong> Mitteilungspflichten und einer<br />

Strafbarkeit von Ärzten, medizinischem und Verwaltungspersonal, Lehrern, Angehörigen<br />

von Sozialverwaltungen und Schulverwaltung, Kin<strong>der</strong>gärtnerinnen und auch von Beratern<br />

von karikativen Organisationen. Wo es dort Ansatzpunkte gibt das können wir vielleicht<br />

auch nachher in <strong>der</strong> Diskussion sagen. Insgesamt muss ich sagen – das ist aber vielleicht<br />

auch eine Min<strong>der</strong>meinung – wir sind als Auslän<strong>der</strong>behörde nicht angewiesen auf Hilfssheriffs<br />

in Schulen o<strong>der</strong> Krankenhäusern. Uns ist eigentlich eher daran gelegen, dass die Nähe<br />

<strong>der</strong> Lehrer, Ärzte, Berater zu diesen Illegalen genutzt wird, auch um den Leuten Wege<br />

aus <strong>der</strong> Illegalität aufzuzeigen und auch eben zu prüfen, ob es hier nicht möglich ist, in<br />

dem einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Fall diesen illegalen Zustand auch zu legalisieren. Damit möchte<br />

ich schließen und das Mikrofon dann weitergeben. Vielen Dank.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Frau Vollmer für ihre sehr klaren Worte und Ausführungen. Nun spricht<br />

<strong>der</strong> Richter be<strong>im</strong> Verwaltungsgericht in Darmstadt, Herr Dr. Dienelt.<br />

4. Herr Dr. Dienelt<br />

Vielen Dank, Herr Lehnguth, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ja, wenn man 10<br />

Minuten hat, die werde ich versuchen auch einzuhalten, dann muss man sich auf das Wesentliche<br />

beschränken und möchte auch gleich mit dem beginnen, was Herr Schäuble heute<br />

Mittag sagte: Das Phänomen <strong>der</strong> Kettenduldung besteht fort. Wenn wir die <strong>Evaluierung</strong><br />

<strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes in Blick nehmen und die Frage aufstellen, ob <strong>der</strong> Kampf um<br />

die humanitären Aufenthaltsrechte, <strong>der</strong> ja vehement tobte, wie man damals <strong>der</strong> Presse<br />

entnehmen konnte, zum Erfolg geführt hat, ist das Ergebnis klar. Man ist offenkundig gescheitert.<br />

Sieht man in die Gesetzesmaterialien erkennt man, dass neben dem Wunsch,<br />

die Kettenduldungen letztendlich abzuschaffen, zwei an<strong>der</strong>e Fragen <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Raume<br />

standen. Das eine war, dass man bei <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Legalisierung die Möglichkeit, dass<br />

Zumutbarkeitskriterien eine Rolle spielen sollen, schon in Blick nahm, um den Einstieg in<br />

den § 25 Abs. 5 zu ermöglichen. Das ist ja auch das, worauf <strong>der</strong> Kollege schon hinwies,<br />

das auch Eingang in die Anwendungshinweise <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>innenministeriums gefunden<br />

hat. Daneben lag und liegt natürlich die Situation hier geborener integrierter Kin<strong>der</strong> dem<br />

Gesetzgeber am Herzen. Auch das kann man den Gesetzesmaterialien unschwer entnehmen.<br />

Keines <strong>der</strong> Ziele ist so ohne weiteres erreicht und das erste was man nun sehen<br />

muss ist, warum nicht. Und wenn man erst einmal ein bisschen versucht, dass konturen-


363<br />

scharf hinzukriegen, muss man sich fragen: Muss man das Gesetz än<strong>der</strong>n, liegt es an <strong>der</strong><br />

Verwaltungspraxis, liegt es an <strong>der</strong> Rechtsprechung? Und dann kommt man zu <strong>der</strong> Empfehlung<br />

o<strong>der</strong> eben zu dem Ergebnis, dass man abwarten muss. Sehen wir uns die Gründe<br />

näher an. Bevor wir einsteigen können in die Gründe, müssen wir uns fragen, welches sind<br />

denn die Wege aus <strong>der</strong> Duldung in den rechtmäßigen Aufenthalt. Das Aufenthaltsgesetz<br />

sieht <strong>im</strong> Wesentlichen zwei Weichenstellungen vor. Und da bin eigentlich meiner Vorrednerin<br />

sehr dankbar, weil sie nämlich schon zeigt, wo das Problem <strong>der</strong> einen liegt, nämlich <strong>der</strong><br />

§ 25 Abs. 4 Satz 1 <strong>des</strong> AufenthG und <strong>der</strong> § 25 Abs. 5. Wenn man den § 25 Abs. 4 Satz 1<br />

anguckt, müsste man nur erstaunt aufrufen, wieso denn <strong>der</strong>, denn gerade haben wir gehört,<br />

dass in <strong>der</strong> Verwaltungspraxis diese Vorschrift überhaupt keine Anwendung findet für<br />

vollziehbare Ausreisepflichtige. Denn in den Anwendungshinweisen ist hinreichend klar<br />

festgelegt, dass <strong>der</strong> nur Anwendung finden soll auf Auslän<strong>der</strong>, die sich rechtmäßig <strong>im</strong><br />

Bun<strong>des</strong>gebiet aufhalten. Mit einem bemerkenswerten Ergebnis, auch das fand ich insofern<br />

doch schön, dass die skurrile Fallgruppe <strong>der</strong> nach SDÜ eingereisten potenziell ausreichend<br />

bestückten Auslän<strong>der</strong> die Möglichkeit haben, ihre Krankenhausbehandlung hier zu<br />

Ende zu führen. Ich glaube nicht unbedingt, dass das das Ziel <strong>des</strong> Gesetzgebungsverfahrens<br />

war. So dass man sich die Frage stellen muss, ist denn die Auslegung, die in den<br />

Anwendungshinweisen dokumentiert ist und in <strong>der</strong> Praxis natürlich auch entsprechende<br />

Auswirkungen hat, richtig? Da muss man feststellen, dass die Rechtsprechung überwiegend<br />

an<strong>der</strong>er Meinung ist und wenn jetzt das Innenministerium Nie<strong>der</strong>sachsen da wäre,<br />

dann würde man merken, dass dort die Verwaltungsvorschrift ausdrücklich gegen die Anwendungshinweise<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>innenministeriums die Auffassung vertritt, dass das falsch<br />

ist und das halte ich auch für falsch, weil, wenn man die Überlegung anknüpft, wo es denn<br />

herkommt, <strong>der</strong> § 25 Abs. 4 Satz 1, dann muss man doch sehen, das stammt aus <strong>der</strong> Phase,<br />

als man noch den hehren Gedanken hatte, auf die Duldung insgesamt verzichten zu<br />

können. Und da musste man sich auch Gedanken machen, was passiert denn jetzt mit den<br />

Tatbeständen, die früher zur Duldung führten. Und das war <strong>der</strong> § 55 Abs. 3 AuslG. Und da<br />

war natürlich nahe liegend, dass man diese Vorschrift n<strong>im</strong>mt und damit dann sagt, es muss<br />

natürlich ein Aufenthaltsrecht geben, wenn wir keine Duldung mehr haben. Und da kommt<br />

die Vorschrift her. Sie ist also vom Ursprung geradezu ausgerichtet gewesen auf Auslän<strong>der</strong>,<br />

die vollziehbar ausreisepflichtig gewesen sind und das führt also dazu, dass in <strong>der</strong><br />

Rechtsprechung, wenn man sie jetzt mal sondiert – das hab ich gemacht, können sie auch<br />

in dem Schreiben von mir nachlesen - man zum Ergebnis kommt, dass das auch wohl sich<br />

durchsetzen würde als Meinung. Dann könnte man sagen wun<strong>der</strong>bar. Dann haben wir ja<br />

mit <strong>der</strong> Vorschrift kein Problem, dann warten wir mal auf die Rechtsprechung, die das präzisiert.<br />

Ich sage, dass sollte man nicht. Denn es droht – darauf wollte ich an <strong>der</strong> Stelle gleich hinweisen<br />

– eine Gefährdung die auch die Rechtsprechung verän<strong>der</strong>n würde, durch die Neuregelung<br />

<strong>des</strong> bevorstehenden 2. ÄndG, denn wir sollen ja eine neue Vorschrift kriegen für<br />

die Opferschutzrichtlinie, den sog. § 25 Abs. 4a. Der § 25 Abs. 4 a ist <strong>des</strong>halb eine akute<br />

Bedrohung für meine Auslegung. Was beinhaltet diese Vorschrift? Zum Zwecke <strong>des</strong> Strafverfahrens<br />

sollen Auslän<strong>der</strong>, die sich illegal aufhalten, ein Aufenthaltsrecht bekommen, ein<br />

temporäres, befristetes Aufenthaltsrecht. Warum packt man das nicht in § 25 Abs. 4 Satz<br />

1? Selbst in <strong>der</strong> Begründung <strong>des</strong> Gesetzesentwurfs wird darauf hingewiesen – da passt es<br />

an sich wun<strong>der</strong>bar rein – aber lei<strong>der</strong> <strong>des</strong>wegen nicht, weil da ja nur rechtmäßig aufhältige<br />

Auslän<strong>der</strong> erfasst werden. Und <strong>des</strong>wegen brauchen wir eine neue Regelung. Ja wenn wir<br />

das aber machen, damit wird dann in <strong>der</strong> Systematik auch wirklich klar und für den Gesetzgeber<br />

verbindlich das Problem in <strong>der</strong> Rechtsanwendung. Dann kann man wohl, wenn<br />

man Absatz 4a kriegt, § 25 Abs. 4 Satz 1 nicht mehr so auslegen wie man es bisher macht.<br />

D.h., jedem muss klar sein, dass in dem Moment, in dem er die Vorschrift 4 a in das Gesetz<br />

an <strong>der</strong> Stelle reinschreibt, die Rechtsprechung diese Möglichkeit <strong>des</strong> Einstiegs <strong>der</strong><br />

Legalisierung Illegaler wahrscheinlich schließen wird, weil es aus systematischen Gründen<br />

nicht mehr an<strong>der</strong>s gehen wird. Gerade auch <strong>im</strong> Hinblick auf den zum Ausdruck kommenden<br />

gesetzgeberischen Willen. Daher schon an <strong>der</strong> Stelle meine Warnung, dass sollte man<br />

sich gut überlegen. An sich passt das besser in den § 25 Abs. 4 Satz 1, da gehört es systematisch<br />

hin. Das ist <strong>der</strong> eine Punkt, wo man merkt, diese Vorschrift findet in <strong>der</strong> Praxis<br />

keine Anwendung, weil die Erlasslage entgegensteht mit <strong>der</strong> Option, es droht möglicherweise<br />

auch ein Auslegungsproblem, dass die Rechtsprechung auch zum Umdenken<br />

zwingt.<br />

Kommen wir zu einer weiteren Vorschrift, die nun viel wichtiger scheint. Die Diskussion<br />

ringt geradezu um die Auslegung dieser Norm, dem § 25 Abs. 5. Warum hilft <strong>der</strong> nicht bei


364<br />

Kin<strong>der</strong>n, die hier geboren sind, sich 16 Jahre hier aufhalten und fließend deutsch sprechen,<br />

eine Ausbildung beginnen, natürlich auch einen guten Schulabschluss haben? Und<br />

trotzdem hilft er uns nicht. Diese Frage müssen wir uns stellen. Ich möchte sie nachher<br />

auch juristisch auch ein bisschen aufarbeiten mit <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Handlungsanweisungen.<br />

Vorab steht das Problem, dass wir eine Formulierung haben <strong>im</strong> § 25 Abs. 5, in dem etwas<br />

drin steht, das schon zwe<strong>im</strong>al erwähnt wurde, nämlich <strong>der</strong> Hinweis, dass die Vorschrift nur<br />

zur Anwendung gelangt, wenn die Ausreise aus tatsächlichen o<strong>der</strong> rechtlichen unmöglich<br />

ist. Nun ist es so, dass man sagen kann, machen wir es doch so, wie es <strong>der</strong> Gesetzgeber<br />

wollte. So steht es in den Gesetzmaterialien: „Zumutbarkeitskriterien müssen Berücksichtigung<br />

finden…“. So steht es auch in den Anwendungshinweisen. Da muss man nur nach<br />

Hessen gucken - Herr Schmäing sitzt hier am Tisch – und dann sieht man einen Erlass, in<br />

dem drin steht, Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte und Zumutbarkeitskriterien sind <strong>im</strong><br />

<strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> § 25 Abs. 5 nicht zu beachten. Und das prägt die Verwaltungspraxis. Dann<br />

guckt man in die Rechtsprechung und merkt, da tobt ein Kampf. Es gibt nun zwei Fraktionen.<br />

Mannhe<strong>im</strong>/Hessen hat sich für Zumutbarkeitskriterien entschieden. Lüneburg hat gesagt<br />

nein, nur rein objektiv. Sie können sich überlegen, ob sie das <strong>der</strong> Rechtsprechung überlassen<br />

wollen, das Rechtsprechungsziel. Ich würde es nicht tun, weil man nie weiß, was<br />

dabei heraus kommt. Man hat an <strong>der</strong> Stelle zwei Möglichkeiten. Man schreibt das Wort<br />

„zumutbar“ einfach dort mit rein. Dann hat man die Sache geklärt o<strong>der</strong> wenn man Angst<br />

hat, dass es einem zu weit ist, das könnte ja ein Problem sein, sollte man sich Gedanken<br />

machen, ob man nicht eine Formulierung wählt, die den Begriff <strong>der</strong> rechtlichen Unmöglichkeit<br />

konkretisiert, indem man den Grundsatz <strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit in irgendeiner Weise<br />

zum Ausdruck bringt und damit nämlich den Rechtsanwen<strong>der</strong> zwingt, in den Einzelfall einzusteigen<br />

und in eine Abwägung, bei dem seine eigenen Belange eine Rolle spielen. So<br />

wie ich gesehen habe, als ich mit Herrn Pfaff <strong>im</strong> Zugabteil saß, hat Herr Marx seinen entsprechenden<br />

Formulierungsvorschlag auch vorgesehen in seinem Skript, so dass ich auf<br />

den einfach verweisen möchte. Mein Rat an den Gesetzgeber ist: schaffen Sie Klarheit. Es<br />

ist eigentlich Ihre Aufgabe. Das Risiko, dass man die Kettenduldungen hinn<strong>im</strong>mt und nach<br />

fünf Jahren feststellt, dass die Rechtsprechung in die an<strong>der</strong>e Richtung gegangen ist und<br />

das Phänomen <strong>des</strong>halb nicht vom Tisch ist, ist einfach zu groß. Und jetzt kommen wir zu<br />

dem Spezialbereich, nämlich den Bereich <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>. Darüber diskutiert ja keiner, denn<br />

humanitär kann das eigentlich keiner verantworten. Interessanterweise liest man das auch<br />

in allen Stellungnahmen. Und hier muss man sehen, dass es eine Entwicklung gab. Die<br />

Entwicklung ist noch gar nicht so neu und unsere Kammer hat sich dort auch vorgewagt.<br />

Das sind die sog. Verwurzelungsfälle. Es geht jetzt hier nicht um den Auslän<strong>der</strong>, <strong>der</strong> seit<br />

10 Jahren mit allen Tricks versucht hat, seinen Aufenthalt hinzustrecken und den man jetzt<br />

nachträglich legalisieren will, mit <strong>der</strong> Folge, was Herr Schäuble ja auch sagte, dass das<br />

vielleicht auch ein Anreiz wäre, es möglichst lange zu versuchen. Es geht um die Kin<strong>der</strong>,<br />

die hier geboren sind, möglicherweise aus Bürgerkriegslän<strong>der</strong>n stammen, bei denen wir<br />

doch selbst festgestellt haben, die können wir nicht zurückschicken, weil die Lage es nicht<br />

erlaubt. Welchen Vorwurf wollen wir denen denn machen. Den einzigen Vorwurf den wir<br />

uns machen können, ist, dass wir diesen Aufenthalt dieser Familien nicht legalisiert haben.<br />

In einer Phase, in <strong>der</strong> wir doch feststellen mussten, dass wir aufgrund <strong>der</strong> uns bekannten<br />

Umstände, die wir auch akzeptiert haben, die Personen auf eine Duldung verwiesen haben,<br />

um jetzt praktisch festzustellen, dass sich die Situation etwas geän<strong>der</strong>t hat. Die Kin<strong>der</strong><br />

sind jetzt da und ich habe bisher drei Fallgruppen erlebt, die ich nur kurz anreißen möchte,<br />

um zu zeigen, wie plastisch es ist. Ein Kind ist hier geboren, 16 Jahre alt, toll integriert.<br />

Was sagt man, du bist ja erst 16 Jahre, bis 16 folgst du ohne weiteres dem Aufenthaltsrecht<br />

deiner Eltern, es spielt überhaupt keine Rolle, welche Rechte du hast, du gehst mit<br />

deinen Eltern zurück in das He<strong>im</strong>atland.<br />

Der nächste Fall: das Kind ist mit 5 Jahren gekommen und ist dann praktisch 12 Jahre hier<br />

gewesen. Da kann man ja sagen, jetzt ist es ja älter als 16 Jahre. Dann heißt es, du bist 5<br />

Jahr in deinem He<strong>im</strong>atland gewesen, da bist du ja vorgeprägt, du kannst dich ja wun<strong>der</strong>bar<br />

reintegrieren. Dann kommt die nächste Fallgruppe: das Kind ist hier geboren, war schon 18<br />

in <strong>der</strong> Ausbildung, da hat man gesagt, du hast Eltern, die werden dir helfen.<br />

Wer soll da denn noch drunter fallen. Das Problem ist, ich habe aufgrund <strong>der</strong> Rechtsprechung,<br />

die sich entwickelt hat und die man dokumentiert sehen kann vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof<br />

und vom VGH Mannhe<strong>im</strong>. Rheinland-Pfalz hat wie<strong>der</strong> einmal eine<br />

Ausreißerstellung. Ich habe wenig Hoffnung, dass diese Dinge über die Rechtsprechung<br />

gelöst werden können, zumal Grundprobleme <strong>der</strong> EMRK noch <strong>im</strong> Raum stehen, die <strong>der</strong><br />

Lösung noch harren, nämlich ob <strong>der</strong> Aufenthalt grundsätzlich rechtmäßig sein muss, um


5. Herr Dr. Bank<br />

365<br />

überhaupt in den Genuss <strong>des</strong> Schutzes <strong>des</strong> Privatlebens zu kommen. Das ist eine schwierige<br />

Frage. Der letzte Punkt, den ich jetzt anspreche ist, dass wir eine weitere Vorschrift,<br />

vielleicht bei dem Gesetzgebungsverfahren, berichtigen sollten, nämlich den § 10 Abs. 3.<br />

Diese Vorschrift ist <strong>des</strong>wegen so wichtig, weil sie nämlich den Eingang in das humanitäre<br />

Aufenthaltsrecht sperrt. Ich will Ihnen einfach ein kurzes Beispiel schil<strong>der</strong>n, dann können<br />

sie überlegen, ob das sinnvoll ist. Sie haben zwei Brü<strong>der</strong>, die praktisch <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland den<br />

Schwan o<strong>der</strong> die Ente <strong>des</strong> Bürgermeisters freveln. Nun ist <strong>der</strong> eine in <strong>der</strong> politischen Partei,<br />

die eine an<strong>der</strong>e ist als die <strong>des</strong> Bürgermeisters. Nun kommen beide und flüchten, weil<br />

sie <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland Ärger kriegen. Das Bun<strong>des</strong>amt prüft die beiden Fälle und stellt fest,<br />

wenn man eine Ente umbringt, dann kann man Ärger bekommen, das hat mit Asyl nichts<br />

zu tun. Deswegen wird man als offensichtlich unbegründet abgelehnt nach § 30 Abs. 1.<br />

Der an<strong>der</strong>e sagt: Bei dir ist es natürlich problematisch, du bist in einer an<strong>der</strong>en Partei, dass<br />

könnte Schwierigkeiten bringen. Deswegen lehne ich den Asylantrag nach § 30 Abs. 3 Nr.<br />

1 als in wesentlichen Punkten unbegründet ab. Mit demselben Ergebnis. Wissen Sie, was<br />

das Ergebnis auslän<strong>der</strong>rechtlich ist? Derjenige, bei dem gar nichts dran ist, hat unbeschränkt<br />

Zugang zum humanitären Aufenthaltsrecht. Derjenige, bei dem ein bisschen dran<br />

ist, dem schneiden wir es ab. Für eine Erklärung wäre ich dankbar. Es führt dazu, dass<br />

man sich die Fallgruppen dieser Ausschlussregelung noch einmal anschauen muss, weil<br />

diese Regelung, wie sie <strong>im</strong> Gesetz drin steht, nicht sinnhaft ist und zudem geeignet ist, die<br />

Verwaltungsgerichte neu zu belasten.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Dr. Dienelt. Ich hatte mir, während sie vortrugen über vollziehbar Ausreisepflichtige<br />

o<strong>der</strong> nicht, <strong>im</strong>mer überlegt, ob sie be<strong>im</strong> Gesetzgebungsverfahren überhaupt<br />

dabei waren. Ich war es jedenfalls. Es war nicht so, wie sie es gesagt haben, um es mal<br />

ganz deutlich zu sagen. Sie können es aber nicht wissen, meine ich. Das war ja nur ein<br />

kleiner Kreis von Leuten. Und bei <strong>der</strong> Opferschutzrichtlinie, das muss ich auch klarstellen,<br />

das können wir natürlich auch lösen mit dem 4a, o<strong>der</strong> wir können eine neue Vorschrift<br />

wählen. Wir wollen keinen Rückschluss auf diese an<strong>der</strong>e Vorschrift dort haben, um das<br />

mal deutlich zu machen.<br />

Herr Dr. Dienelt:<br />

Sie erlauben nur kurz, jetzt wi<strong>der</strong>spreche ich, denn dann müssen Sie die Gesetzesbegründung<br />

än<strong>der</strong>n. Das steht nämlich genau in <strong>der</strong> Gesetzesbegründung zum 2. ÄndG drin.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Welche Gesetzesbegründung meinen Sie jetzt?<br />

Herr Dr. Dienelt:<br />

Soll ich sie vorlesen? Ich kann Sie Ihnen gerne zitieren. (Herr Dr. Lehnguth verneint). Ich<br />

meine die zum 2. ÄndG.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Jetzt gehen wir zum Nächsten über. Herr Dr. Bank.<br />

Vielen Dank. Ich beginne mit ein paar Ausführungen zum materiellen Flüchtlingsrecht. Mit<br />

dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz hat auch ein Paradigmenwechsel stattgefunden, von dem wir<br />

uns eine verstärkte Orientierung an <strong>der</strong> Genfer Flüchtlingskonvention erwartet haben und<br />

<strong>des</strong>halb hat UNHCR <strong>im</strong> Gesetzgebungsverfahren die Neuausrichtung <strong>des</strong> § 60 Abs. 1 AufenthG<br />

auch als richtungweisen<strong>des</strong> Signal begrüßt. Die Praxis weist in <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong><br />

neuen Best<strong>im</strong>mungen in <strong>der</strong> Regel allerdings eine erhebliche Spannbreite auf. Einerseits<br />

hat die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Positionen <strong>des</strong> UNHCR und internationaler Praxis deutlich<br />

zugenommen. Sowohl in <strong>der</strong> Praxis <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes als auch in <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Gerichte.<br />

Jedoch geht damit nur zu einem Teil ein grundsätzlich neuer Ansatz bei <strong>der</strong> Prüfung <strong>der</strong><br />

Voraussetzungen <strong>der</strong> Flüchtlingseigenschaft einher. Zu einem an<strong>der</strong>en Teil wird auch weiterhin<br />

die weitgehende Identität <strong>der</strong> neuen Regelungen mit <strong>der</strong> früheren Regelung <strong>im</strong> sei-


366<br />

nerzeitigen Auslän<strong>der</strong>gesetz betont, was mitunter zu Entscheidungen führt, die weiterhin<br />

nicht vollständig in Einklang mit <strong>der</strong> GFK stehen.<br />

Zu den zentralen Punkten, in denen das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz eine Verbesserung <strong>des</strong><br />

Flüchtlingsschutzes vorsieht, gehören die Anerkennung <strong>der</strong> nichtstaatlichen Verfolgung<br />

und die Anknüpfung an das Geschlecht bei dem Verfolgungsgrund soziale Gruppe. In <strong>der</strong><br />

Praxis werden diese Konzepte mittlerweile aus unserer Sicht weitgehend sachgerecht aufgegriffen.<br />

Es gibt aber bei einigen Entscheidungsträgern noch eine gewisse Unsicherheit<br />

damit umzugehen, die zu falschen Entscheidungen führen kann. Das zeigt sich bspw. bei<br />

<strong>der</strong> nichtstaatlichen Verfolgung, wenn an Stelle <strong>des</strong> Flüchtlingsschutzes nur subsidiärer<br />

Schutz eingeräumt wird. O<strong>der</strong> wenn zusätzliche qualitative Anfor<strong>der</strong>ungen an den Verfolger<br />

gestellt werden, so dass etwa die Familie o<strong>der</strong> ein einzelnes Familienmitglied nicht als<br />

Verfolger qualifiziert wird, selbst wenn staatlicher Schutz gegen etwaige Verfolgungsgefahren<br />

nicht zu erhalten ist. Im Bereich <strong>der</strong> Anknüpfung allein an das Geschlecht als Verfolgungsgrund<br />

werden teilweise noch zusätzliche Kriterien zur Bildung einer best<strong>im</strong>mten sozialen<br />

Gruppe verlangt. Die gesetzlichen Neuerungen haben also wichtige Impulse für eine<br />

Angleichung <strong>des</strong> Flüchtlingsschutzes an die Vorgaben <strong>der</strong> GFK und an die internationale<br />

Praxis gebracht, allerdings mangelt es bisher noch an einer grundlegenden und durchgehenden<br />

Anpassung <strong>der</strong> deutschen Praxis an die internationalen Standards.<br />

Der zweite Punkt, den ich aufgreifen wollte, betrifft den Wi<strong>der</strong>ruf und die Wi<strong>der</strong>rufspraxis in<br />

Deutschland. Hier hatten wir die Hoffnung gehabt, dass aufgrund <strong>der</strong> Neuausrichtung eine<br />

Anpassung an die Vorgaben <strong>der</strong> GFK in <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>rufsvorschriften erfolgen<br />

würde. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Wi<strong>der</strong>rufe erfolgen nach wie vor in großer Zahl<br />

verfrüht. Zwar hat das Bun<strong>des</strong>verwaltungsgericht in seiner Entscheidung zu den Voraussetzungen<br />

<strong>des</strong> Wi<strong>der</strong>rufs vom 1. November 2005 nunmehr festgestellt, dass in die entsprechende<br />

Rechtsvorschrift <strong>des</strong> § 73 Abs. 1 AsylVfG <strong>der</strong> Auslegungsmaßstab <strong>der</strong> GFK<br />

hineinzulesen ist. Dieses positive Element <strong>des</strong> Urteils wird allerdings dadurch relativiert,<br />

dass die durch das Gericht vorgenommene Auslegung <strong>des</strong> Art. 1 C (5) GFK nach Auffassung<br />

<strong>des</strong> UNHCR den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> GFK nicht vollständig gerecht wird.<br />

Den Zielen <strong>des</strong> internationalen Flüchtlingsschutzes würde es entsprechen, wenn <strong>der</strong><br />

Schutz nur dann beendet würde, wenn <strong>der</strong> Flüchtling in Sicherheit und Würde zurückkehren<br />

kann o<strong>der</strong> sonst eine dauerhafte Lösung absehbar ist. Voraussetzungen sind demnach<br />

für eine Beendigung nach Art. 1 C (5) GFK,<br />

a) eine grundlegende und<br />

b) dauerhafte Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Situation sowie<br />

c) die Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>des</strong> effektiven Schutzes <strong>des</strong> He<strong>im</strong>atstaates.<br />

Das hat UNHCR vielfach betont. Die deutsche Praxis beschränkt sich weiterhin häufig auf<br />

die Feststellung, dass eine Verfolgung nicht mehr drohe, und betrachtet also den gesamten<br />

Komplex aus <strong>der</strong> Frage heraus, besteht noch eine Verfolgung o<strong>der</strong> nicht, und lässt außer<br />

Betracht, ob dem Flüchtling angesichts <strong>der</strong> Gesamtsituation eine Rückkehr auch tatsächlich<br />

zumutbar ist. In <strong>der</strong> Konsequenz wird Flüchtlingen häufig ihr Status und damit die<br />

grundlegenden Konventionsrechte verfrüht entzogen. Das Bun<strong>des</strong>amt hat <strong>im</strong> Laufe <strong>des</strong><br />

Jahres 2005 in insgesamt über 10.500 Fällen den Flüchtlingsstatus wi<strong>der</strong>rufen. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

Flüchtlinge aus dem Irak sind mit fast 7.000 Entscheidungen hiervon betroffen. Ein<br />

subsidiärer Schutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 wird hier in <strong>der</strong> Regel nicht gewährt.<br />

Der Verlust <strong>des</strong> Flüchtlingsstatus führt häufig dazu, dass ein Aufenthaltstitel <strong>der</strong> betroffenen<br />

Personen nicht verlängert o<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>rufen wird. Die hiervon betroffenen Personen<br />

verbleiben dann oft mit einer Duldung und somit mit einem äußerst schwachen Status in<br />

Deutschland. Aus juristischer Sicht sind die betroffenen Personen ausreisepflichtig, obwohl<br />

die Bedingungen in den Herkunftsstaaten eine Rückkehr häufig auf absehbare Zeit nicht<br />

zumutbar erscheinen lassen und vor diesem Hintergrund die Ausreisepflicht – wie zum<br />

Beispiel bei irakischen Flüchtlingen – auch nicht durchgesetzt wird. Das Flüchtlingsschicksal<br />

<strong>der</strong> betroffenen Personen hat damit in Wirklichkeit kein Ende gefunden.<br />

Um hier eine völkerrechtskonforme Anwendung <strong>der</strong> betreffenden Vorschriften zu gewährleisten<br />

und einen verfrühten Wi<strong>der</strong>ruf zu vermeiden, bedarf es einer Gesetzesän<strong>der</strong>ung, in<br />

<strong>der</strong> die Voraussetzungen für einen Wi<strong>der</strong>ruf spezifiziert werden.


367<br />

Zum subsidiären Schutz gemäß § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG: Hier hat sich die Rechtslage<br />

und Praxis so gestaltet, dass weiterhin nur ein lückenhafter Schutz gewährt wird. Und hier<br />

möchte ich zwei Punkte nennen. Zum einen wird weiterhin Abschiebungsschutz nach <strong>der</strong><br />

EMRK entgegen <strong>der</strong> expliziten Rechtsprechung <strong>des</strong> Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte<br />

nur in Fällen staatlicher Gefahrenquellen gewährt. Zum an<strong>der</strong>en haben Personen,<br />

die vor sog. generellen Gefahren geflohen sind, nur bei extremster Gefährdungslage<br />

eine Chance auf die Gewährung individuellen Abschiebungsschutzes.<br />

Auch wenn durch das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz wichtige Verbesserungen <strong>im</strong> Hinblick auf den<br />

Rechtsstatus subsidiär geschützter Personen eingeführt wurden, bleibt hier weiterhin erheblicher<br />

Verbesserungsbedarf. Der <strong>im</strong> Vergleich zu Flüchtlingen schwächere Rechtsstatus<br />

führt dazu, dass die betroffenen Personen zwar wie Flüchtlinge für sehr lange Zeiträume<br />

o<strong>der</strong> für <strong>im</strong>mer in Deutschland bleiben, ihnen jedoch nicht die gleichen Integrationschancen<br />

eingeräumt werden. Insbeson<strong>der</strong>e haben subsidiär geschützte Personen häufig<br />

nur geringe Chancen auf Familienzusammenführung und erhebliche Schwierigkeiten be<strong>im</strong><br />

Zugang zum Arbeitsmarkt. Nach Ansicht von UNHCR sollte diesem Personenkreis dagegen<br />

durch Gewährung eines flüchtlingsgleichen Status die Chance auf Selbstständigkeit<br />

und Unabhängigkeit von öffentlicher Hilfe eingeräumt werden.<br />

In den genannten Bereichen besteht also weiterhin gesetzlicher Anpassungsbedarf.<br />

Kurz zum Dublin-Verfahren, zur Feststellung <strong>der</strong> Zuständigkeit für die Untersuchung eines<br />

Asylantrages.<br />

In <strong>der</strong> praktischen Durchführung <strong>des</strong> Dublin-Verfahrens innerhalb <strong>des</strong> deutschen Asylsystems<br />

ist ein effektiver Rechtsschutz nicht <strong>im</strong>mer gewährleistet. In einem erheblichen Teil<br />

<strong>der</strong> Verfahren wird den betroffenen Personen durch die Anwendung <strong>des</strong> Konzeptes <strong>des</strong><br />

„sicheren Drittstaats“ die Möglichkeit einer Klage durch Zustellung <strong>der</strong> Entscheidung <strong>im</strong><br />

Dublin-Verfahren <strong>im</strong> direkten zeitlichen Zusammenhang mit <strong>der</strong> Überstellung in den für zuständig<br />

gehaltenen Staat praktisch genommen. Zudem besteht in solchen Fällen keine<br />

Möglichkeit die Anordnung <strong>der</strong> aufschiebenden Wirkung herzustellen. Hier erscheint es<br />

angesichts <strong>der</strong> humanitären Kriterien, wie sie in <strong>der</strong> Dublin-II-Verordnung entscheidend<br />

sind, beson<strong>der</strong>s problematisch. Diese Defizite sollten vom Gesetzgeber behoben werden.<br />

Ein weiteres zentrales Problem bei <strong>der</strong> Anwendung <strong>des</strong> Dublin-Verfahrens betrifft traumatisierte<br />

Personen. Die Dublin II-Verordnung enthält zwar keine zwingende Regelung, nach<br />

<strong>der</strong> aufgrund einer Traumatisierung <strong>der</strong> schutzsuchenden Person die Zuständigkeit<br />

Deutschlands o<strong>der</strong> eines best<strong>im</strong>mten Mitgliedsstaates vorliegen würde, bietet den Mitgliedsstaaten<br />

aber die Möglichkeit <strong>des</strong> freiwilligen Selbsteintritts. Selbst wenn <strong>der</strong> betreffende<br />

Mitgliedsstaat anhand <strong>der</strong> Dublin-Kritierien nicht zuständig wäre. Ein solcher Selbsteintritt<br />

würde es nach unserer Ansicht erlauben, <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Zuständigkeitsentscheidung<br />

den beson<strong>der</strong>en humanitären Bedürfnissen dieser Personengruppe gerecht zu werden.<br />

Dies geschieht in <strong>der</strong> Praxis nur sehr selten. Hier sollten die deutschen Behörden aus<br />

Sicht von UNHCR ihre Praxis än<strong>der</strong>n.<br />

Abschließend noch etwas zum Aufenthaltstitel für schutzbedürftige Personen, die keinen<br />

Status als Flüchtlinge o<strong>der</strong> subsidiär Schutzberechtigte erhalten haben, was die bisherige<br />

Diskussion o<strong>der</strong> Vorträge dominiert hat.<br />

Es geht um § 25 Abs. 5. Das Ziel dieser Regelung ist, die Zahl <strong>der</strong> Duldungen zu verringern<br />

und den betroffenen Personen eine gesicherte aufenthaltsrechtliche Stellung und damit<br />

eine tatsächliche Integrationsperspektive in Deutschland anzubieten. In <strong>der</strong> Praxis<br />

drängt sich <strong>der</strong> Eindruck auf, dass dieses Ziel nicht erreicht wird. Hauptgrund hierfür ist,<br />

dass die Frage weitgehend ausgeblendet bleibt, ob eine Rückkehr ins He<strong>im</strong>atland zumutbar<br />

wäre. Wegen <strong>der</strong> Annahme <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden, dass die Betroffenen je<strong>der</strong>zeit<br />

freiwillig in ihre Herkunftslän<strong>der</strong> zurückkehren könnten, kann die Mehrzahl dieser Personen<br />

vor dem Hintergrund <strong>der</strong> jetzigen gesetzlichen Regelungen und <strong>der</strong>en praktischer Anwendung<br />

nicht auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hoffen und wird daher – mit allen<br />

damit verbundenen Einschränkungen – weiterhin nur geduldet.<br />

Leidtragende dieser Situation sind oft Auslän<strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Aufenthalt in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik<br />

aufgrund <strong>der</strong> Situation in ihren He<strong>im</strong>atlän<strong>der</strong>n gerechtfertigt war o<strong>der</strong> noch <strong>im</strong>mer gerechtfertigt<br />

ist. Das sind insbeson<strong>der</strong>e Personengruppen:


6. Herr Weber<br />

368<br />

- die aufgrund von nichtstaatlicher Verfolgung in <strong>der</strong> Vergangenheit nicht anerkannt<br />

wurden<br />

- die Schutz vor Bürgerkriegssituationen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en gravierenden allgemeinen Sicherheitsrisiken<br />

suchen und <strong>des</strong>halb, weil es allgemeine Gefahren sind, keinen subsidiären<br />

Schutz bekommen können<br />

- <strong>der</strong>en Flüchtlingsanerkennung unanfechtbar wi<strong>der</strong>rufen wurde, obwohl sich die Lage<br />

in ihren Herkunftsstaaten noch nicht in ausreichendem Maße stabilisiert hat.<br />

Es sind also Personengruppen zu einem erheblichen Anteil unter diesen Duldungen, die<br />

aus UNHCR-Sicht weiterhin internationalen Schutz bedürfen.<br />

Viele dieser Personen leben seit vielen Jahren – manche sogar bereits in zweiter Generation<br />

– in Deutschland. Ein Wegfall <strong>der</strong> Rückkehrhin<strong>der</strong>nisse ist vielfach nicht abzusehen.<br />

Die Betroffenen sind zum Teil gut integriert. An<strong>der</strong>en ist trotz langjährigen Aufenthalts<br />

mangels eines gesicherten Aufenthaltsstatus eine nachhaltige Integration noch nicht gelungen.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> Zurückhaltung <strong>der</strong> Behörden bei <strong>der</strong> Anwendung von § 23 AufenthG wird die<br />

prekäre aufenthaltsrechtliche Situation in <strong>der</strong> Praxis auch nicht durch entsprechende allgemeine<br />

Anordnungen gelöst. Härtefallkommissionen i.S.d. § 23a AufenthG können zwar<br />

in beson<strong>der</strong>s gelagerten Einzelfällen Abhilfe schaffen, sind jedoch nicht geeignet für die<br />

Masse <strong>der</strong> Fälle.<br />

Eine Lösung <strong>des</strong> Problems kann nur durch eine Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> geltenden Rechtslage erreicht<br />

werden. In <strong>der</strong>en Mittelpunkt sollte die Berücksichtigung <strong>der</strong> Unzumutbarkeit <strong>der</strong><br />

He<strong>im</strong>kehr als ein zusätzliches, die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels rechtfertigen<strong>des</strong><br />

Ausreisehin<strong>der</strong>nis stehen. Es wird angeregt klarzustellen, dass hierbei insbeson<strong>der</strong>e die<br />

bisherige Dauer <strong>des</strong> Aufenthaltes, das Alter <strong>des</strong> Betroffenen, die soziale und familiäre sowie<br />

– unter Beachtung <strong>der</strong> spezifischen Verhältnisse in den jeweiligen Herkunftslän<strong>der</strong>n –<br />

die tatsächlichen Chancen einer Reintegration <strong>der</strong> Betroffenen <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland berücksichtigt<br />

werden müssen.<br />

Vielen Dank.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Bank für ihre Ausführungen als Rechtsberater <strong>des</strong> UNHCR. Sie haben<br />

zwar das Mandat etwas strapaziert, aber das habe ich Ihnen ja schon mal gesagt, als Sie<br />

mich besucht haben. Aber gut, drum sei es, wir nehmen es gerne hin. Jetzt kommt <strong>der</strong><br />

Vorsitzende <strong>der</strong> Härtefallkommission <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nordrhein-Westfalen, Herrn Weber, dran,<br />

bitte schön.<br />

Schönen Dank, Herr Dr. Lehnguth, meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />

für die Einladung und die Gelegenheit die Arbeit <strong>der</strong> Härtefallkommission mal in diesem<br />

Kreis darzustellen, möchte ich mich bedanken und mal versuchen eine erste Einschätzung<br />

dieser Tätigkeit abzugeben nach einem Jahr. Alle die Probleme, die meine Vorredner aufgezeigt<br />

haben, beeinflussten die Arbeit einer Härtefallkommission massiv. Denn all die Fälle,<br />

die ich woan<strong>der</strong>s nicht löse, landet hier in <strong>der</strong> Kommission und das macht sich in unserer<br />

Arbeit und Tagesgeschäft natürlich sehr stark bemerkbar. Die Härtefallkommission in<br />

Nordrhein-Westfalen feiert in diesem Jahr ihren 10-jährigen Geburtstag. Ich glaube vor 7<br />

Tagen war die erste Sitzung <strong>der</strong> Härtefallkommission, insofern ist das auch ein sehr schöner<br />

Anlass, das hier mal darzustellen. Aber sie musste sich natürlich <strong>im</strong> letzten Jahr neu<br />

konstituieren auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>des</strong> AufenthG und <strong>der</strong> Härtefallkommissionsverordnung,<br />

die die Lan<strong>des</strong>regierung erlassen hat. Das hat sie am 17.02.2005 gemacht. Nun kann sie<br />

aufgrund <strong>der</strong> Konstruktion die Nordrhein-Westfalen gewählt hat, ein Härtefallersuchen an<br />

die jeweils <strong>im</strong> Einzelfall zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde richten, und diese kann dann abweichend<br />

von den gesetzlich festgelegten Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen eine<br />

Aufenthaltserlaubnis erteilen. Diese Befugnis steht ausschließlich <strong>im</strong> öffentlichen Inte-


369<br />

resse und begründet keine eigenen einklagbaren Rechte <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>s. Darum wird die<br />

Kommission nur <strong>im</strong> Wege <strong>der</strong> Selbstbefassung tätig und entscheidet autonom, mit welchen<br />

Fällen sie sich beschäftigt. Neben dieser Tätigkeit Ersuchen auszusprechen, kann sie wie<br />

in <strong>der</strong> Vergangenheit auch Empfehlungen zur Anwendung <strong>des</strong> geltenden Auslän<strong>der</strong>rechts<br />

an die Auslän<strong>der</strong>behörde richten. Sie hat nach wie vor 9 Mitglie<strong>der</strong> und die sind <strong>im</strong> Wesentlichen<br />

in <strong>der</strong> Zusammensetzung auch gleich geblieben. Die Arbeit einer solchen Kommission<br />

bewegt sich in einem großen Spannungsfeld. Die einen sagen, das ist eine Einrichtung,<br />

die lehne ich erst einmal grundsätzlich ab, ich halte sie für rechtswidrig, ich halte<br />

sie für verfassungswidrig, und darum ist alles, was aus dieser Kommission kommt von Übel<br />

und es interessiert mich nicht. Und die an<strong>der</strong>e Seite sagt, jetzt habe ich eine tolle<br />

Kommission und jetzt kann ich auch jeden Fall lösen, <strong>der</strong> mir irgendwie am Herzen liegt.<br />

Das ist so das Spannungsfeld in seinen Extremen, in denen sich die Kommission bewegen<br />

muss. Aber trotz dieser sehr gegensätzlichen Erwartungen sind natürlich Kommissionen<br />

und Auslän<strong>der</strong>behörden aufgefor<strong>der</strong>t, ihre Entscheidungspraxis unter Berücksichtigung<br />

<strong>des</strong> rechtlichen <strong>Rahmen</strong>s, <strong>der</strong> natürlich etwas schwierig zu erkennen ist, zu entwickeln.<br />

Welche Personen nun von dieser neuen Ausnahmevorschrift profitieren sollen, lässt sich<br />

abstrakt kaum beantworten. Wäre es leichter zu beantworten, stünde es vielleicht <strong>im</strong> Gesetz<br />

und die Auslän<strong>der</strong>behörden könnten es anwenden. Aber diesen Weg hat man nicht<br />

finden können, vielleicht auch aus gutem Grund, und hat sich auch aus einer Überlegung<br />

zu diesem Konstrukt entschieden, weil man sagt, ansonsten erzeugen wir ein neues<br />

Rechtsschutzverfahren, einen neuen Instanzenzug und dann belasten wir die Gerichte und<br />

die Verwaltungsbehörden zusätzlich. Ob wir das wirklich erreicht haben, da komme ich<br />

später noch einmal drauf zu sprechen. Zu Beginn ihrer Arbeit hat sich die Kommission erst<br />

einmal auf Entscheidungseckpunkte verständigt. Das waren 6 Stück, die ich kurz vorstellen<br />

will:<br />

Erstens, die Situation in den Zielstaaten entzieht sich <strong>der</strong> Beurteilung durch die Härtefallkommission<br />

aufgrund <strong>der</strong> Bindung <strong>des</strong> Asylverfahrengesetzes. Die Frage <strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />

und sozialen Integration spielt bei <strong>der</strong> Beurteilung eine herausragende Rolle. Im Verfahren<br />

für min<strong>der</strong>jährig Eingereiste, diese Gruppe ist schon mehrfach angesprochen worden,<br />

kommt es bei <strong>der</strong> Beurteilung darauf an:<br />

• Wie weit ist die Integration?<br />

• Kann man den Schluss ziehen aufgrund von Leistung in Schule, Ausbildung o<strong>der</strong> Beruf,<br />

dass jemand eigenständig <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet leben kann?<br />

• An die Qualität ärztlicher Bescheinigungen legen wir, wie auch in <strong>der</strong> Vergangenheit,<br />

einen hohen Maßstab an (ein Facharzt für Psychiatrie sorgt dafür, dass wir nicht auf<br />

zu leichtfertige Atteste reinfallen).<br />

• Wir haben uns daran gebunden, uns mit einem Fall auch nur einmal zu beschäftigen,<br />

es sei denn, er hat sich entscheidungserheblich verän<strong>der</strong>t und wir haben uns geschworen,<br />

über die Diskussion <strong>im</strong> Einzelfall bewahren wir Stillschweigen, was <strong>im</strong> Wesentlichen<br />

auch gelingt.<br />

Entsprechend den Vorgaben aus <strong>der</strong> Härtefallkommissionsverordnung haben wir zwischenzeitlich<br />

Entscheidungsgrundsätze schriftlich aufgeschrieben und formuliert, das Einvernehmen<br />

mit dem Innenministerium hergestellt. Das war am 13.12. Diese Entscheidungsgrundsätze<br />

wurden zwischenzeitlich den Auslän<strong>der</strong>behörden bekannt gegeben und<br />

wir haben sie auch <strong>im</strong> Internet veröffentlicht. Ich habe sie auch zu den Unterlagen dazu<br />

gegeben. Dann kann man die nachlesen.<br />

Im letzten Jahr sind 1.064 Einzelfälle an die Kommission herangetragen worden. Davon<br />

sind 738 Fälle abgeschlossen und 668 Fälle von diesen abgeschlossenen wurden <strong>im</strong> Einzelfall<br />

beraten. Und in 92 Fällen <strong>der</strong> beratenen hat die Härtefallkommission ein Ersuchen<br />

an die zuständige Auslän<strong>der</strong>behörde gerichtet. Das sind 14 % <strong>der</strong> beratenen Fälle. In 74<br />

Fällen sind die Auslän<strong>der</strong>behörden dem Ersuchen dann auch gefolgt und haben eine Aufenthaltserlaubnis<br />

erteilt. In 14 Fällen haben sie das abgelehnt, diesen Ersuchen zu folgen,<br />

aus unterschiedlichen Gründen <strong>im</strong> Wesentlichen aus grundsätzlichen Erwägungen. Und in<br />

4 Fällen sind die abschließenden Entscheidungen noch nicht getroffen. Damit wurden <strong>im</strong><br />

letzten Jahr für ca. 300 Personen in Nordrhein-Westfalen eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund<br />

dieser neuen Norm erteilt. Ich habe eben schon einmal angesprochen die Tätigkeit<br />

<strong>der</strong> Härtefallkommission <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> von Empfehlungen zur Anwendung <strong>des</strong> geltenden<br />

Auslän<strong>der</strong>rechts. Diese Tätigkeit stand nicht <strong>im</strong> Fokus <strong>der</strong> Öffentlichkeit <strong>im</strong> letzten Jahr. Ich<br />

halte sie aber nach wie vor für ein wichtiges Instrument zur Weiterentwicklung <strong>der</strong> Ent-


370<br />

scheidungspraxis <strong>im</strong> Auslän<strong>der</strong>recht gerade <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong><br />

Vorschriften zur Erteilung von Aufenthaltsrechten aus humanitären Gründen. Die Arbeit <strong>der</strong><br />

Härtefallkommission hat hier in <strong>der</strong> Vergangenheit auch wesentlich zur Erhöhung <strong>der</strong> Akzeptanz<br />

zur Entscheidung <strong>der</strong> örtlichen Auslän<strong>der</strong>behörde beigetragen. Gleichzeitig sind<br />

durch diese Aufgabe die in <strong>der</strong> Kommission vertretenden Organisationen gezwungen, sich<br />

regelmäßig mit den Möglichkeiten und Grenzen <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>rechts auseinan<strong>der</strong>zusetzen.<br />

Aber die Möglichkeiten hier segensreich tätig zu werden, hängen natürlich auch vom<br />

rechtlichen <strong>Rahmen</strong>bedingungen ab, da kann ich mich nur dem anschließen, was ich eben<br />

schon gehört habe, die sind <strong>im</strong> Augenblick aus sicht <strong>der</strong> Kommission verbesserungsfähig<br />

und würdig. Ich möchte in diesem Zusammenhang aus einem Aufsatz zitieren, den Herr<br />

Richter am OVG Münster Benassi zu <strong>der</strong> Anwendung <strong>des</strong> § 25 Abs. 4 und 5 verfasst hat<br />

und <strong>im</strong> Fazit zu folgenden Ergebnis kommt: „Nach allem ist deutlich geworden, dass § 25<br />

Abs. 4 und 5 wesentlich zur Vermeidung und Reduzierung von Duldungen beitragen können.<br />

Die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 Satz 1 o<strong>der</strong> 2 kann selbst<br />

dann in Betracht kommen, wenn dem Auslän<strong>der</strong> zwar eine freiwillige Ausreise prinzipiell<br />

möglich, nicht jedoch zumutbar ist. Ein <strong>der</strong>artiges Gesetzesverständnis führt gleichzeitig zu<br />

einer Entlastung <strong>der</strong> Härtefallkommissionen, denen ohnehin möglichst nicht in den beson<strong>der</strong>s<br />

schwierig erscheinenden Verfahren in letzter Instanz die Entscheidung überlassen<br />

werden sollte. Angesichts <strong>der</strong> aufgezeichneten Problemlage dürfte es vielfach eine Willensfrage<br />

sein, ob die darin enthaltenen Regelungen dem Auslän<strong>der</strong> zugute kommen. Dieses<br />

for<strong>der</strong>t ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein bei allen Rechtsanwen<strong>der</strong>n“.<br />

Wenn wir jetzt hier zusammen sitzen, um über eine <strong>Evaluierung</strong> <strong>des</strong> AufenthG zu diskutieren,<br />

kann man diesen Appell auch an den Gesetzgeber richten und sagen, auch die<br />

Rechtsgestalter sind aufgefor<strong>der</strong>t, hier für Klarheit in <strong>der</strong> Vorschrift und in dem Willen <strong>des</strong><br />

Gesetzes zu sorgen. Durch das neue Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz ist die Einrichtung einer Härtefallkommission<br />

institutionalisiert worden. Ihre Handlungsmöglichkeiten sind materiell gestärkt,<br />

gleichzeitig sind die Erwartungen an die Arbeit und an die entscheidenden Behörden<br />

deutlich gewachsen. Die Erwartungshaltung, möglichst alle Fälle humanitär zu lösen,<br />

verkennt jedoch den rechtlichen <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> § 23 a sowie die Zweistufigkeit <strong>des</strong> Entscheidungsweges.<br />

Nur <strong>im</strong> Zusammenwirken und <strong>im</strong> Dialog mit den zuständigen Behörden<br />

ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis möglich. Das Institut <strong>der</strong> Aufenthaltsgewährung<br />

in Härtefällen wird sich in dieser Zusammenarbeit weiter entwickeln müssen. Mit <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Aufgaben ist die Belastung für die Mitglie<strong>der</strong> jedoch sehr stark gewachsen,<br />

so dass es schon eines sehr stark ausgeprägten Idealismus bedarf, sich dieser Aufgabe<br />

nebenberuflich zu stellen. Um einen Begriff zu geben, was zu lesen ist in einem Jahr pro<br />

Antrag mit 20 – 30 Seiten kommt ein Mitglied <strong>im</strong> Vorprüfungsausschuss auf 30.000 Seiten.<br />

Die müssen sie erst mal gelesen haben und bewertet haben. Das ist eine Sache, wo ich<br />

vor den Nebenberuflern einen sehr hohen Respekt habe. Mit <strong>der</strong> Vorschrift <strong>des</strong> § 23 a sind<br />

die Möglichkeiten <strong>der</strong> Aufenthaltsgewährung aus humanitären Gründen durch den Gesetzgeber<br />

bewusst erweitert worden. Die mit <strong>der</strong> Ausführung <strong>des</strong> Gesetzes Beauftragten haben<br />

die Möglichkeit erhalten, neben <strong>der</strong> Anwendung <strong>des</strong> umfangreichen auslän<strong>der</strong>rechtlichen<br />

Regelwerks <strong>im</strong> Einzelfall menschliche Aspekte zu berücksichtigen. Diese Möglichkeit<br />

sollte nach den Erfahrungen <strong>des</strong> ersten Jahres dringend erhalten werden. Über die Möglichkeiten<br />

und Grenzen einer solchen Norm kann und muss man streiten. Die Praxis <strong>des</strong><br />

ersten Jahres zeigt, dass die Anwen<strong>der</strong> die Möglichkeiten <strong>der</strong> Norm unterschiedlich betrachten<br />

und praktizieren. Das ist in Anbetracht <strong>der</strong> offenen Interpretationsmöglichkeiten<br />

jedoch auch nicht verwun<strong>der</strong>lich.<br />

Verstärkt wird dies durch eine breite rechtliche Bewertung <strong>der</strong> sonstigen Vorschriften für<br />

die Erteilung humanitärer Aufenthaltsrechte durch die Gerichte und die Innenminister.<br />

Im letzten Jahr haben mit Ausnahme <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> Bayern und Nie<strong>der</strong>sachsen alle Län<strong>der</strong><br />

von <strong>der</strong> Ermächtigungsgrundlage <strong>des</strong> § 23a AufenthG Gebrauch gemacht und eine Härtefallkommission<br />

eingerichtet. Aus diesen beiden Län<strong>der</strong>n gibt es erste, aus Nie<strong>der</strong>sachsen<br />

inzwischen sehr deutliche Anzeichen, dass dort auch eine Härtefallkommission eingerichtet<br />

werden könnte. Damit hat sich das Institut Härtefallkommission <strong>im</strong> ersten Jahr <strong>der</strong> Anwendung<br />

in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik etabliert.<br />

An <strong>der</strong> Einrichtung von Härtefallkommissionen sollte festgehalten werden. Sie gewährleisten<br />

die Einbindung nichtstaatlicher Organisationen in die schwierigen und gesellschaftlich<br />

umstrittenen auslän<strong>der</strong>rechtlichen Entscheidungen. Gleichzeitig institutionalisieren sie den


7. Herr Sprung<br />

371<br />

Dialog zwischen staatlichen und nicht staatlichen Stellen in <strong>der</strong> Umsetzung <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>rechtes.<br />

Es ist zu überlegen, welche Rolle diese Einrichtungen künftig übernehmen sollen.<br />

Aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Härtefallkommission NRW wäre es auch praktikabel, die Entscheidung<br />

über die Aufenthaltsgewährung in Härtefällen in den Katalog <strong>der</strong> Vorschriften zur Gewährung<br />

von Aufenthaltsrechten aus humanitären Gründen aufzunehmen. Den Härtefallkommissionen<br />

käme dann, wie in <strong>der</strong> Vergangenheit, empfehlende Kompetenzen zu.<br />

Inwieweit man sich hierzu <strong>im</strong> Hinblick auf dann nicht auszuschließende Rechtschutzverfahren<br />

verständigen kann, kann ich nicht einzuschätzen. Ich gebe aber zu bedenken, dass <strong>im</strong><br />

ersten Jahr <strong>der</strong> Anwendung <strong>des</strong> AufenthG die Rechtsstreitverfahren zu § 25 Abs. 5 AufenthG<br />

so deutlich zugenommen haben, dass eine rechtstechnische Verknüpfung <strong>der</strong> Anliegen<br />

aus den §§ 23 a und 25 Abs. 5 in einer justiziablen Norm die Zahl <strong>der</strong> Verwaltungsstreitverfahren<br />

wohl nicht spürbar erhöhen würde. Eine entsprechend normierte Härtefallklausel<br />

böte die Chance, dass sich aus dem Dialog von Verwaltung und nichtstaatlichen<br />

Organisationen sowie zu erwarten<strong>der</strong> Rechtsprechung praktikable und akzeptierte Kriterien<br />

zur Aufenthaltsgewährung aus humanitären Gründen entwickeln könnten. Mir ist bewusst,<br />

wie schwierig die Formulierung einer entsprechenden Vorschrift sein wird. Unter Berücksichtigung<br />

<strong>der</strong> sich in den letzten Monaten abzeichnenden Rechtsprechung zur Art. 8<br />

EMRK wird man sich dieser Aufgabe aber wohl über kurz o<strong>der</strong> lang nicht entziehen können.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Weber für ihre interessanten Ausführungen. Ich bitte den nächsten Redner,<br />

den Abteilungspräsidenten <strong>im</strong> BAMF, Herrn Sprung. Bitte schön.<br />

Ich fange auch gleich mit dem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG an. Wenn<br />

wir die Entscheidungsquote, die Zust<strong>im</strong>mung, die Schutzgewährung vergleichen vom Jahr<br />

2005 mit dem Jahr 2004, haben wir <strong>im</strong> Jahr 2004 1,8 % gehabt und <strong>im</strong> Jahr 2005 4,3 %.<br />

Von diesen 2.053 positiven Feststellungen – da muss ich gleich ein bisschen Wasser in<br />

den Wein schütten – ist es nicht die nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung,<br />

son<strong>der</strong>n es war mit 76 % <strong>der</strong> Familienabschiebungsschutz nach § 26 Abs. 4 AsylVfG, <strong>der</strong><br />

zu dieser Steigerung geführt hat. Im <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> geschlechtsspezifischen Verfolgung sind<br />

insgesamt 59 Personen geschützt worden und <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> nichtstaatlichen 65 Personen.<br />

Wenn Sie dieses jetzt bereinigen um die Familienschutzquote, dann erreichen Sie <strong>im</strong><br />

Jahr 2004 1,8 % und <strong>im</strong> letzten Jahr 0,9 %, also quasi eine Senkung. Das ist aber überwiegend<br />

bedingt durch die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Situation in den Herkunftslän<strong>der</strong>n. In <strong>der</strong> Diskussion,<br />

in <strong>der</strong> Auslegung, in <strong>der</strong> Umsetzung, in <strong>der</strong> Praxis gibt es weitgehend Übereinst<strong>im</strong>mung<br />

in <strong>der</strong> Rechtsprechung, bis auf ein Gericht, das <strong>im</strong>mer noch eine staatliche Zurechenbarkeit<br />

in ständiger Rechtsprechung versucht festzumachen. Bemerkenswert ist das<br />

OVG Schleswig, das eine Berufung zugelassen hat, um zu klären, ob eine Privatperson,<br />

eine Einzelperson auch nichtstaatliche Verfolgung ausüben kann.<br />

Zu § 72 Abs. 2, <strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden, ist zu bemerken, dass wir 2.292<br />

Anfragen <strong>im</strong> letzten Jahr hatten. Sie betrafen hauptsächlich die Herkunftslän<strong>der</strong> Serbien<br />

und Montenegro, Bosnien und Herzegowina. Vorgetragen werden hauptsächlich posttraumatische<br />

Belastungsstörungen, auch Lage <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heiten, Herzkreislauferkrankungen,<br />

Epilepsie. Das sind die Schwerpunktthemen gewesen, die dort zu bearbeiten waren. Zur<br />

Bearbeitungsdauer in diesem Zusammenhang. 39,5 % <strong>der</strong> Verfahren haben wir in einem<br />

Monat beantworten können, 63,5 % in drei Monaten und insgesamt in 6 Monaten sind 90,5<br />

% <strong>der</strong> Anfragen beantwortet worden. Als Anregung vielleicht für die Verwaltungsvorschriften<br />

wäre zu sagen, dass von Seiten <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden darauf geachtet werden sollte,<br />

dass die Sachverhaltsermittlung bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde liegt und dass wir <strong>im</strong> Grunde<br />

genommen die Sachverhalte bewerten. D.h., we<strong>der</strong> die totale Aktenübersendung noch nur<br />

ein Formanschreiben helfen uns da sehr weiter, vielleicht n<strong>im</strong>mt man das als Anregung<br />

dort auf. Es war in diesem Zusammenhang – Herr Dr. Lehnguth hat es schon erwähnt –<br />

<strong>der</strong> Aspekt <strong>der</strong> Verfahrensbeschleunigung, die mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz auch bezweckt<br />

wurde, wobei <strong>der</strong> Blick gerichtet werden sollte auf die Gesamtbearbeitungsdauer,


372<br />

d. h. Gericht plus Behörde. Zunächst mal bei uns <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>amt <strong>im</strong> Jahre 2004 hatten wir<br />

innerhalb eines Monats gut ein Drittel (34,4 %) erledigt. Das ist jetzt abgesunken auf 27,8<br />

% <strong>im</strong> Jahr 2005. Hintergrund sind die 14 a-Fälle, die Fälle, in den die Fiktion <strong>der</strong> Antragstellung<br />

für Kin<strong>der</strong> erfolgt. Dort muss rechtliches Gehör gewährt werden, das bedingt<br />

schon mal 4 Wochen und damit ist dieser Monat dann raus. Innerhalb von 3 Monaten haben<br />

wir etwas über 60 %, in 6 Monaten 82 % <strong>der</strong> Verfahren erledigt. Für die Gesamtdauer<br />

liegt mir lei<strong>der</strong> nur eine Zahl aus dem Jahre 2003 vor, da waren es durchschnittlich 23,7<br />

Monate (Gericht und Behörde). Da sind durchaus Opt<strong>im</strong>ierungsmöglichkeiten zu sehen.<br />

Das Bun<strong>des</strong>amt selbst versucht dort auch noch einen Beitrag zu leisten. Wir sehen, dass<br />

die reine Bearbeitungsdauer in <strong>der</strong> Behörde weitgehend ausgeschöpft ist. Aber dass wir<br />

darüber hinaus noch einen Beitrag leisten können, indem wir den neuen § 5 AsylVfG als<br />

eine Chance begreifen. Dort hieß es ja bisher, es entscheiden insoweit weisungsgebundene<br />

Einzelentschei<strong>der</strong> – jetzt steht da drin: Es entscheidet das Bun<strong>des</strong>amt – und dieses nutzen<br />

wir, indem wir in einem Pilotprojekt versucht haben, Verfahren von <strong>der</strong> Aufbau- und<br />

Ablauforganisation an<strong>der</strong>s zu gestalten. Wir sind zu guten Ergebnissen gekommen, so<br />

dass wir jetzt 3 Dinge einführen werden. Wir führen Schichten einmal durch die ganzheitliche<br />

Bearbeitung <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> elektronischen Akte. Aufgaben, die wir <strong>im</strong> gehobenen und<br />

höheren Dienst dadurch angesiedelt hatten, schichten wir ab und verlagern sie auf den<br />

mittleren Dienst. Dadurch kriegen wir Kapazitäten in den Laufbahnen frei. Wir sehen zu,<br />

dass wir einmal in <strong>der</strong> Woche Entscheidungskonferenzen machen. Da greifen wir das auf,<br />

was früher einmal durch die Ausschüsse gegeben war. Die Fallgestaltungen wurden – denken<br />

sie an die Rumänienfälle – relativ schlicht und einfach und <strong>des</strong>halb hat man gesagt,<br />

einen größeren Umsatz erreicht man durch einen Einzelrichter und den Einzelbediensteten<br />

<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>amt. Und jetzt müssen wir feststellen, dass eine zunehmende Komplizierung <strong>der</strong><br />

Fälle allein durch die medizinische Problematik eintritt, aber auch durch die Sicherheitsaspekte,<br />

die wir heute auch schon angesprochen haben. So dass wir auch <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong><br />

Qualitätssicherung feststellen mussten, dass die Umsetzung von rechtlichen Regelungen,<br />

Umsetzung von Dienstanweisungen auch beschleunigt und effizienter gestaltet werden<br />

kann und dieses werden wir <strong>der</strong>gestalt machen, indem wir einmal die Woche Entscheidungskonferenzen<br />

durchführen in den Außenstellen geführt, durch den höheren Dienst. Da<br />

werden Musterfälle besprochen, dort werden auch Än<strong>der</strong>ungen untersucht, es werden Typisierungen<br />

durchgeführt, um so Qualitätssteigerung und Beschleunigung zu erreichen.<br />

Das dritte ist, dass wir Teams aufbauen, indem wir die Prozesstätigkeit, Entscheidungstätigkeit<br />

mit gemischten Teams durchführen, die gegenseitige Befruchtungseffekte haben<br />

und auch <strong>im</strong> administrativen Bereich, Sekretariatsbereich die Ressourcen wechselseitig<br />

nutzen können, und keine Personalumsetzungsmaßnahmen durchführen müssen. Dies<br />

wird dann später ausgeweitet bis in den Integrationsbereich hinein, sodass wir dort schneller<br />

vorankommen. Diese Kapazitäten, die wir gewinnen, die wollen wir dann einführen in<br />

den Bereich <strong>der</strong> Prozessführung. Um dort eine höhere Präsenz vor Gericht zu erreichen<br />

und so eine Beschleunigung von unserer Seite zu erreichen.<br />

Jetzt zum § 14 a AsylVfG mit <strong>der</strong> Asylantragsfiktion. Von den 28.900 Asylanträgen <strong>des</strong><br />

Jahres 2005 waren 28 % alleine 14 a-Fälle. Das sind diese fingierten Anträge. Man muss<br />

feststellen, dass von dieser Antragsfiktion – einmal sind die Eltern meldepflichtig und die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden. Von auslän<strong>der</strong>behördlicher Seite erfolgten die Meldungen überwiegend.<br />

Dabei gab es ein sehr unterschiedliches Meldeverhalten, z.B. Nordrhein-Westfalen<br />

vorne an mit 2.500. Aber auch die östlichen Län<strong>der</strong> sind bisher sehr zurückhaltend in ihrer<br />

Meldetätigkeit. Die Frage, die rechtlich für Diskussionen gesorgt hat war, wie sieht die Wirkung<br />

aus für Kin<strong>der</strong> und Neugeborene aus dem Jahr 2004 und davor? Wir haben uns auf<br />

den Standpunkt gestellt, es ist entscheidend, wann <strong>der</strong> Antrag be<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>amt eingeht<br />

und das ist für uns das Antragsdatum. Wir haben unterschiedliche Rechtsprechung dazu<br />

und die Novellierung sieht ja vor, dass wir dort eine eindeutige Regelung haben. Das sollen<br />

wir auch präzisieren, dass wir genau wissen, dass es auf diesen Zeitpunkt ankommt. Aber<br />

das an<strong>der</strong>e ist ja keine richtige Rückwirkung, es ist einfach die Fiktion und Intention, die<br />

das Gesetz verfolgt, nämlich nicht ein gekettetes Verfahren, son<strong>der</strong>n in einem Zusammenhang<br />

zu entscheiden.<br />

Was auch noch zu erwägen gilt, ist, dass diese 14a-Fälle nach § 52 AsylVfG aus <strong>der</strong> Verteilung<br />

heraus fallen. Da müsste man überlegen, ob es Sinn macht dieses weiter auszubauen.


373<br />

Familienabschiebungsschutz hatte ich schon erwähnt, 76 %. In <strong>der</strong> Praxis hat dies keine<br />

beson<strong>der</strong>en Probleme bereitet, <strong>im</strong> Gerichtsverfahren haben wir gesehen, dass wir abhelfen.<br />

Die Wi<strong>der</strong>rufsverfahren sind jetzt umgestaltet in dieses 3-gestufte Verfahren und wir<br />

sind noch nicht dazu übergegangen, aufgrund <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes – erst nach 3<br />

Jahren wird dies für uns wirksam – die Wi<strong>der</strong>rufe durchzuführen. Wir führen sie jetzt auf<br />

Grund <strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ungen in den Herkunftslän<strong>der</strong>n durch.<br />

Lassen sie mich zum Schluss auch noch ein Wort sagen zur Illegalität. Was wir feststellen<br />

müssen – ich hatte es vorhin schon angekündigt – dass vielfach die Information nicht vorhanden<br />

ist, dass man eine Ermächtigungsgrundlage auch durch die Eurodac-Verordnung<br />

hat, erkennungsdienstliche Behandlung <strong>im</strong> Zusammenhang mit § 49 Abs. 7 <strong>des</strong> AufenthG<br />

durchzuführen. Wenn jemand nicht mitwirkt an <strong>der</strong> Identitätsfeststellung, indem er sich<br />

auch <strong>der</strong> Rückführung entzieht, gibt es die Möglichkeit per erkennungsdienstlicher Behandlung<br />

und Abgleich mit Eurodac die Identität zu ermitteln. Wir haben Polizeibehörden angesprochen<br />

und haben festgestellt, dass es weitgehend nicht bekannt ist, dass es diese Möglichkeit<br />

gibt und wir sind jetzt dazu übergegangen, zu diesen Themen Schulungen durchzuführen<br />

und seit dem steigen die Aufgriffe, die dann per Eurodac abgeglichen werden. Es ist<br />

nicht unerheblich, was da an Erkenntnissen zusammen kommt. Weil vielfach die illegalen<br />

Aufgriffe folgen von Personen, die in Nachbarlän<strong>der</strong>n noch Asylverfahren laufen haben o<strong>der</strong><br />

zuvor <strong>im</strong> Asylverfahren standen. Die Rückführung <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> von Dublin durch das<br />

Bun<strong>des</strong>amt gestaltet sich in <strong>der</strong> Regel problemlos. Deswegen die Anregung, dass man da<br />

vielleicht auch einen Hinweis aufn<strong>im</strong>mt. Wir versuchen es jedenfalls praktisch zu regeln.<br />

Zusammenfassend kann man sagen, dass das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz aus unserer Sicht <strong>im</strong><br />

Verhältnis zu den früheren Novellen sich durchaus bewährt hat. Dass aber auch ergänzend<br />

die administrative Zusammenarbeit zwischen den Behörden doch noch einen Akzent<br />

verdient und dass man auch noch weitere technische Prüfungen nach Innovationen vornehmen<br />

sollte, wo noch Beschleunigungspotenziale drin sind. Ich denke hier an das eine,<br />

was wir mit Nordrhein-Westfalen und dem OVG Münster und dem OVG Minden machen,<br />

aber auch mit Rheinland-Pfalz, nämlich elektronische Briefkästen bei <strong>der</strong> Verwaltungsgerichtsbarkeit,<br />

in dem wir elektronisch unsere Schriftsätze austauschen können o<strong>der</strong> auch<br />

Akten transportieren können. Das sind Potentiale, die durchaus noch zu heben sind. Vielen<br />

Dank.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Sprung. Dann kommt jetzt Herr Schmäing aus dem Hessischen Innenministerium<br />

dran. Bitte schön.<br />

8. Herr Schmäing<br />

Ich bedanke mich, ich werde Ihnen wahrscheinlich nicht viel Neues sagen aber ich hoffe,<br />

ich habe es an<strong>der</strong>s verpackt.<br />

Es ist aus meiner Sicht ganz wichtig, dass man <strong>im</strong> Zusammenhang mit § 25 Abs. 5 genau<br />

weiß, das ist ja die Norm, wo man <strong>im</strong> Grunde am meisten zur Zeit auch drüber streitet, über<br />

was man eigentlich redet. Und das ist aus meiner Sicht ganz entscheidend, dass es<br />

hierbei um 2 Personengruppen geht, nämlich Personen, die hier lange leben, <strong>im</strong> Grunde<br />

bei ihrem Aufenthalt nicht viel falsch gemacht haben, son<strong>der</strong>n es einfach zu einem langen<br />

Aufenthalt gekommen ist, Kin<strong>der</strong> gekommen sind, <strong>der</strong> Aufenthalt nicht beendet werden<br />

konnte. Und eine zweite Personengruppe, bei denen die betreffenden Personen nicht mitgewirkt<br />

haben, ihre Identität verschleiert haben und ähnliche Dinge. Bei dieser zweiten<br />

Personengruppe hat es <strong>der</strong> Gesetzgeber so angelegt, dass diesen Personen eben kein<br />

Aufenthaltsrecht eingeräumt werden kann und die Kettenduldung eben gerade nicht abgeschafft<br />

wurde. Das ist ganz wichtig festzustellen, dass es eine Personengruppe gibt, wo <strong>im</strong><br />

Gesetz angelegt ist, dass sie auf Dauer eine Duldung erhalten und diese Duldung auch<br />

nicht wegdiskutiert werden kann. Das ist eine ganz wichtige Sache, weil man nicht sagen<br />

kann, die Kettenduldungen sollten abgeschafft werden. Diese Formulierung ist viel zu platt<br />

und viel zu einfach. Wenn man es auch genau nachliest, damals in den Pressemeldungen<br />

hieß es, sie sollen vermieden werden. Also zur Vermeidung von Kettenduldungen und<br />

wenn man dann genau weiter gelesen hat, wurde diese Differenzierung dann auch gemacht.<br />

Nur in <strong>der</strong> öffentlichen Diskussion wird es vermutlich auch etwas verkürzt. Beschäftigen<br />

wir uns mit dieser Personengruppe, die einen langjährigen Aufenthalt hier in irgend-


374<br />

einer Form hat und die Auslän<strong>der</strong>behörde diesen Aufenthalt einfach nicht beendet, aus<br />

welchen Gründen auch <strong>im</strong>mer. Diese Personengruppe ist das schwierigste, mit dem man<br />

sich in diesem Zusammenhang überhaupt beschäftigen kann. Und jetzt gibt es eine Gruppe<br />

von Län<strong>der</strong>n und von Vertretern, die sagt, gut versuchen wir, dieses Problem zu lösen,<br />

indem wir das Gesetz so auslegen, wie es angeblich <strong>der</strong> Gesetzgeber gewollt hat und <strong>der</strong><br />

Gesetzgeber hat das so gewollt, dass also dieses Zumutbarkeitskriterium da hineininterpretiert<br />

werden soll. Nur eine Stütze <strong>im</strong> Gesetz findet das nicht. Ich kann es <strong>im</strong> Gesetz<br />

nicht nachlesen. An an<strong>der</strong>en Stellen - wie § 25 Abs. 3 - steht das mit <strong>der</strong> Zumutbarkeit drin.<br />

Es steht, ob jemand in ein an<strong>der</strong>es Land ausreisen kann und dies auch zumutbar ist, steht<br />

dort drin! Bei § 25 Abs. 5 kann ich das nicht entdecken. Das ist also <strong>der</strong> eine Punkt. Der<br />

zweite Punkt ist, diejenigen, die das so auslegen, sollten sich Gedanken darüber machen,<br />

ob die Frage, ob es jemanden zumutbar ist zurückzureisen o<strong>der</strong> nicht, in die Hand <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

legt. Der eine sagt, nach 5 Jahren ist nicht mehr zumutbar, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e nach<br />

10. Es gibt Erlasse, die sagen, 10 Jahre sind zu viel, er müsste nicht mehr zurück… Das<br />

kann meines Erachtens keine Art und Weise sein, das Auslän<strong>der</strong>gesetz auszulegen, und<br />

<strong>des</strong>halb gibt es eine an<strong>der</strong>e Erlasslage in Hessen und zu <strong>der</strong> stehen wir auch. Die Frage<br />

ist also, wie kann ich dieses Ganze lösen. Es gibt also unterschiedliche Ansätze. Eine <strong>der</strong><br />

Möglichkeiten, die <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> genannt wird, ist die Einrichtung einer Härtefallkommission,<br />

wo die Fälle auch entsprechend entschieden werden. Hessen hat eine Härtefallkommission<br />

eingerichtet, die eine beson<strong>der</strong>e Zusammensetzung hat, indem dort die Abgeordneten<br />

– ich darf jetzt nicht sagen <strong>des</strong> Petitionsausschusses -, es sind die Abgeordneten,<br />

die <strong>der</strong> Landtag dem Hessischen Ministerium vorgeschlagen hat, es sind bis zu 19 an <strong>der</strong><br />

Zahl, es sind auch zur Zeit 19 Abgeordnete und die werden dann vom Hessischen Ministerium<br />

benannt und bis auf eine Person sind es die Abgeordneten <strong>des</strong> Petitionsausschusses.<br />

Das war die Idee dieser Härtefallkommission, dass sozusagen diese Ausschussmitglie<strong>der</strong>,<br />

die sich ja mit diesen Fällen sowieso schon auskennen, dann auch in <strong>der</strong> Härtefallkommission<br />

eines nach den rechtlichen Möglichkeiten gegebenes Ersuchen an den Hessischen<br />

Innenminister wenden können und dann auch <strong>der</strong> Hessische Innenminister diesem Ersuchen<br />

stattgeben kann o<strong>der</strong> nicht. Die letzte Entscheidung liegt be<strong>im</strong> Innenministerium. Und<br />

er kann dann diesen Fällen nachkommen o<strong>der</strong> nicht. Es gibt noch einige Fälle, die sozusagen<br />

in <strong>der</strong> Pipeline sind, wo eine solche Entscheidung bisher noch nicht getroffen wurde<br />

und man darüber nachdenkt, ob dem Kommissionsersuchen nachgekommen werden<br />

kann. Die Härtefallkommission kann aber diese ganzen Fälle, die es in Hessen gibt, best<strong>im</strong>mt<br />

nicht erledigen. Bisher sind dort etwas über 50 Fälle behandelt worden. Die genauen<br />

Zahlen stehen in den Unterlagen. Das kann es bei einer Zahl von 15.000 Geduldeten<br />

nicht ganz sein, dass es sozusagen darüber dann zu entsprechenden Entscheidungen<br />

kommt. Da diese Lösungsmöglichkeit ebenfalls nicht besteht, hat <strong>der</strong> Hessische Innenminister<br />

in die Diskussion mit eingebracht, dass eine Bleiberechtsregelung – und über diese<br />

Bleiberechtsregelung wird, wie sie wissen, <strong>im</strong>mer noch diskutiert – das ist für Personen,<br />

die sich 6 Jahre in Deutschland aufhalten, die ihren Lebensunterhalt sichern, die hier integriert<br />

sind, die die deutsche Sprache zumin<strong>des</strong>t einigermaßen vernünftig beherrschen und<br />

denen man nichts vorwerfen kann. Das ist eine Lösung, die in den meisten Fällen, in denen<br />

man ein Bleiberecht einräumt, Rechnung trägt, aber sie werden sicher auch gleichzeitig<br />

merken, dass natürlich viele an<strong>der</strong>e Fälle dabei bleiben, die nicht unter die Bleiberechtsregelung<br />

fallen, und dabei kann man dann nur sagen, <strong>der</strong>en Aufenthalt muss konsequent<br />

beendet werden. Ich habe noch zwei Punkte, die ich ansprechen möchte. Das eine ist die<br />

Frage <strong>der</strong> Feststellung von Abschiebungsverboten durch Auslän<strong>der</strong>behörden. Wir haben<br />

davon schon gehört. Es ist eine ganz schwierige Situation. Wenn sie sehen, dass es unterschiedliche<br />

Entscheidungswege gibt, bei Asylverfahren ist für die Feststellung von Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen,<br />

soweit sie he<strong>im</strong>at- o<strong>der</strong> herkunftsbezogen sind das Bun<strong>des</strong>amt<br />

zuständig, in an<strong>der</strong>en Fällen ist es die Auslän<strong>der</strong>behörde. Die Auslän<strong>der</strong>behörde verfügt<br />

über keinerlei Kenntnisse in diesem Zusammenhang. Sie soll die Stellungnahme <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes<br />

dazu einholen. Ich bitte, darüber nachzudenken – so habe ich es auch in meinem<br />

Bericht genommen – ob diese Zuständigkeit nicht vollständig auf das Bun<strong>des</strong>amt übertragen<br />

werden kann. Ich weiß, dass es dazu eine Reihe von weiteren Folgeän<strong>der</strong>ungen<br />

gibt, aber ich halte das für eine sehr günstige Möglichkeit, wirklich zu einer einheitlichen<br />

Entscheidungspraxis in diesem Zusammenhang zu kommen. Der letzte Punkt, den ich ansprechen<br />

möchte, ist die Situation von Illegalen und da gestatte ich mir eine sehr deutliche<br />

Haltung einzunehmen. Ich halte überhaupt nichts davon, Personen mit illegalem Aufenthalt<br />

hier in irgendeiner Form die Hoffnung zu machen, dass sie ihren Aufenthalt hier legalisieren<br />

können. Das hat mehrere Gründe. Zum einen bin ich ziemlich überzeugt, dass dies zu<br />

einer Sogwirkung führt, zum an<strong>der</strong>en würden Sie Hoffnungen wecken, denen so meines


9. Frau Allenberg<br />

375<br />

Erachtens überhaupt nicht Rechnung getragen werden kann. Wenn, wie wir es eben gehört<br />

haben, auch noch über das Bleiberecht für Geduldete diskutiert wird, kann ich mir<br />

schlechterdings nicht vorstellen, dass wir zu einem Bleiberecht für Illegale kommen können.<br />

Die weitere Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist meines Erachtens<br />

<strong>im</strong>mer nur ein Randproblem. Man versucht, über dieses Randproblem die Frage <strong>der</strong> Illegalen<br />

zu diskutieren. Nämlich die Frage, macht sich jemand strafbar, wenn er einem Illegalen<br />

hilft. Gibt es Mitteilungspflichten, kann er die Schule besuchen, kann er zum Arzt gehen.<br />

Die Schule kann er zumeist besuchen, das ist nicht das große Problem. Es kommt aber zu<br />

Mitteilungspflichten durch die Behörden. Jemand, <strong>der</strong> in Deutschland illegal lebt, muss<br />

damit rechnen, dass, wenn eine Behörde von seinem Aufenthalt erfährt, er auch abgeschoben<br />

werden kann. Und daran sollte sich meines Erachtens nichts än<strong>der</strong>n. Da bin ich<br />

eigentlich ziemlich dezidierter Auffassung.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Schmäing. Ich habe sie erst nach vielen Jahren heute wie<strong>der</strong> getroffen<br />

und sie haben doch <strong>im</strong>mer noch die klare Diktion, die sie früher hatten. Jetzt kommt Frau<br />

Allenberg von <strong>der</strong> EKD, bitte schön.<br />

Sehr geehrter Herr Dr. Lehnguth, sehr geehrte Damen und Herren,<br />

ich mache es kurz und schmerzlos, denn es wurde schon fast alles gesagt. Ich wollte mich<br />

auf das Thema Humanitäre Aufenthalte konzentrieren, auf § 25 Abs. 4 und 5. Schon vor<br />

Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes hatten wir gemeinsam mit <strong>der</strong> Katholischen Kirche<br />

darauf hingewiesen, dass die Regelungen zum humanitären Aufenthalt wegen ihrer<br />

Ausgestaltung das Problem <strong>der</strong> Kettenduldung nicht befriedigend lösen können würde.<br />

Nicht erst die Aussagen auf diesem Podium zeigen, dass wir uns nicht getäuscht haben.<br />

Zu § 25 Abs. 4 Satz 1; Wir möchten uns dafür aussprechen, dass entwe<strong>der</strong> <strong>im</strong> Gesetzeswortlaut<br />

o<strong>der</strong> aber in den Anwendungshinweisen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern eine<br />

Klarstellung dahingehend aufgenommen wird, dass die Norm vollziehbar Ausreisepflichtige<br />

mit einbezieht. Für die Argumentation diesbezüglich verweise ich auf meine Ausführungen<br />

und auf die Aussagen von Herrn Dr. Dienelt, denen ich mich vollumfänglich anschließen<br />

möchte. Meiner Ansicht nach haben auch alle Gerichte, die sich damit auseinan<strong>der</strong> gesetzt<br />

haben, diese Auffassung bestätigt. Nämlich dass sowohl Systematik als auch Gesetzesbegründung<br />

gegen die Auslegungen sprechen, die vertreten werden, z.B. in den vorläufigen<br />

Anwendungshinweisen. Aber da können sie mich gern korrigieren, wenn dem nicht so sein<br />

sollte. Zur Kernregelung zur Vermeidung <strong>der</strong> Kettenduldungen ist § 25 Abs. 5 das Hauptproblem<br />

<strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Norm. Es stellt die Formulierung Tatbestand dar, das wurde auch<br />

schon gesagt, nämlich dass die Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis nicht auf die Unmöglichkeit<br />

<strong>der</strong> Abschiebung, son<strong>der</strong>n auf die Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise abstellt. Über diese<br />

Frage ist hier und auch in <strong>der</strong> Literatur und in <strong>der</strong> Rechtsprechung ausgiebig gestritten<br />

worden. Dabei wird vor allen Dingen die Berücksichtigung von objektiven Umständen bei<br />

<strong>der</strong> Beurteilung <strong>der</strong> Unmöglichkeit <strong>der</strong> Ausreise in den einzelnen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n unterschiedlich<br />

gehandhabt. Das ist nach Ansicht <strong>der</strong> Kirchen Dreh- und Angelpunkt in dieser<br />

Regelung. Nur in den Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n, in denen Zumutbarkeitserwägungen angestellt werden,<br />

wurden relevant viele Aufenthaltserlaubnisse an Duldungsinhaber erteilt. Das ist<br />

bspw. Rheinland-Pfalz, aber auch Schleswig-Holstein. In Län<strong>der</strong>n hingegen wie Baden-<br />

Württemberg o<strong>der</strong> Hessen, Nordrhein-Westfalen, in denen die Zumutbarkeit keine o<strong>der</strong> nur<br />

eine ganz eingeschränkte Rolle spielt, sind wenig Aufenthaltserlaubnisse erteilt worden.<br />

Kirchliche Beratungsstellen in Hessen berichten zum Beispiel, dass dort Aufenthaltserlaubnisse<br />

nach § 25 Abs. 5 nur an Familienmitglie<strong>der</strong> von Inhabern einer Aufenthaltserlaubnis<br />

nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt wurden. Und zur Demonstration, wie verfehlt Entscheidungen<br />

<strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> von § 25 Abs. 5 ausfallen, wenn die Zumutbarkeit nicht berücksichtigt<br />

wird, möchte ich Beispiele aus den Län<strong>der</strong>n Baden-Württemberg, Bremen, Nordrhein-Westfalen<br />

nennen. Dort werden zum Beispiel <strong>im</strong> Fall von Min<strong>der</strong>heitenangehörigen<br />

aus dem Kosovo, z.B. Roma entschieden, dass eine feiwillige Ausreise je<strong>der</strong>zeit möglich<br />

sei und das, obwohl UNMIK in den Verhandlungen mit dem Bun<strong>des</strong>ministerium <strong>des</strong> Innern<br />

um das Memorandum of Un<strong>der</strong>standing diese Gruppen wegen einer akuten Gefährdungssituation<br />

<strong>im</strong> Falle ihrer Rückkehr von zwangsweisen Rückführungen ausnehmen. In den


10. Frau Dr. Franz<br />

376<br />

Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n, in denen die restriktive Auslegung eine relevante Verbesserung für Duldungsinhaber<br />

verhin<strong>der</strong>t, tritt nun das ein, was auch die Kirchen vorausgesehen haben.<br />

Die Betroffenen wendeten und wenden sich an die Härtefallkommissionen, in denen sie die<br />

letzte Chance auf einen rechtmäßigen Aufenthalt sehen. Zur Illustration mögen einige Zahlen<br />

genannt werden: Nordrhein-Westfalen - die Zahlen wurden hier schon genannt – 1.046<br />

Anträge, davon unserer Ansicht nach 111 positive Voten o<strong>der</strong> Ersuchen nach § 23 a. Baden-Württemberg<br />

820 Anträge <strong>im</strong> gleichen Zeitraum. In Rheinland-Pfalz hingegen, die ja<br />

großzügiger mit dem § 25 Abs. 5 umgehen, lediglich 106 Anträge an die Kommission und<br />

ähnlich sieht es in Schleswig-Holstein aus, also <strong>im</strong>mer bis Ende <strong>des</strong> Jahres 2005, 188 Anträge,<br />

meines Wissens nach. An<strong>der</strong>s, als sie vorhin vorgeschlagen haben, Frau Vollmer,<br />

halte ich das Ausweichen auf die Härtefallkommission für keine Lösung. Denn Härtefallkommissionen<br />

sind we<strong>der</strong> ihrem Zweck und ihrem Sinn nach darauf ausgerichtet und auch<br />

nicht personell ausgerüstet – wie auch Herr Weber ausgeführt hat – dass große Gruppen<br />

von Menschen eine Aufenthaltserlaubnis über diese Regelung erhalten können. Sie sollen<br />

vielmehr prüfen, ob <strong>im</strong> Einzelfall für Menschen in beson<strong>der</strong>s schwierigen Lebenslagen,<br />

sog. Härtefällen, aus humanitären Erwägungen ein Aufenthaltsrecht gewährt werden kann.<br />

Nach Einschätzung <strong>der</strong> Kirchen liegen ausreichend Erkenntnisse über die nach wie vor<br />

andauernde unerträgliche Situation von Kettenduldungen vor. Wenn es auch bedauerlicherweise<br />

von Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n zum Teil versäumt wurde, Zahlen über Anträge <strong>im</strong> Bereich<br />

<strong>der</strong> humanitären Aufenthalte zu sammeln, ist doch ausreichend Datenmaterial über die<br />

bun<strong>des</strong>weite Anzahl von Duldungsinhabern vorhanden. Diese Anzahl hat sich auch nach<br />

einem Jahr Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz nur <strong>im</strong> geringen Maße verringert. Die Wi<strong>der</strong>rufspraxis -<br />

die Herr Bank ausgeführt hat – <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes wird, wenn es denn tatsächlich zur<br />

rechtskräftigen Erteilung <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>rufe und auch zum Verlust <strong>des</strong> auslän<strong>der</strong>rechtlichen<br />

Aufenthaltsstatus kommt, die Anzahl <strong>der</strong> Duldungsinhaber noch vergrößern. Die Kirchen<br />

for<strong>der</strong>n <strong>des</strong>halb die ursprüngliche Intention <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes umzusetzen und<br />

eine großzügige Bleiberechtsregelung zu schaffen. Wir Kirchen sprechen uns ausdrücklich<br />

dafür aus, dass Menschen, die sich in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik integriert haben und die Familien,<br />

<strong>der</strong>en Kin<strong>der</strong> hier aufgewachsen und zur Schule gegangen sind, eine Aufenthaltsperspektive<br />

in Deutschland erhalten sollen. Eine Bleiberechtsregelung kann allerdings nur das<br />

Problem <strong>der</strong> bisherigen Betroffenen <strong>der</strong> Kettenduldungen beheben, um nicht in absehbarer<br />

Zeit mit <strong>der</strong> gleichen Situation konfrontiert zu werden, ist es außerdem notwendig die Auslegung<br />

<strong>der</strong> Regelungen zum Humanitären Aufenthalt zu än<strong>der</strong>n.<br />

Danke schön.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Frau Allenberg, dann kommt als vorletzte dran Frau Dr. Franz und dann<br />

Rechtsanwalt Dr. Marx und dann habe ich mir überlegt, machen wir noch mal eine kurze<br />

Pause, weil wir uns bald den 2 Stunden nähern. Danach dann die Fragestunde.<br />

Sie haben das Wort Frau Dr. Franz, bitte schön.<br />

Ich möchte ganz kurz zu meiner Person sagen, ich leite die Malteser Migranten-Medizin.<br />

Das ist eine medizinische Praxis und Beratungsstelle, die nicht krankenversichert sind. Insofern<br />

ist mein Thema auch die medizinische Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherung<br />

und ich möchte über zwei Punkte sprechen, die mir in diesem Zusammenhang<br />

beson<strong>der</strong>s wichtig sind. Es gibt in unserem Land Menschen, die Angst haben, wenn<br />

sie krank sind, rechtzeitig medizinische Hilfe zu suchen. Die Angst haben vor <strong>der</strong> Entdeckung,<br />

dass sie kein sicheres Aufenthaltsrecht haben, die Angst haben vor Abschiebung<br />

und <strong>der</strong> damit verbundenen Haft. Sie haben Angst vor <strong>der</strong> gesetzlich festgelegten<br />

Meldepflicht öffentlicher Stellen gegenüber <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde. Nur so vor diesem<br />

Hintergrund kann ich mir die krasse Verschleppung von Krankheiten erklären, die ich in<br />

meiner Praxis jeden Tag sehe und die ich so sonst in <strong>der</strong> allgemeinen medizinischen Praxis in<br />

Berlin sonst nicht finde. Menschen mit Bauchschmerzen warten, ob die Beschwerden von<br />

allein verschwinden. Das tun sie aber nicht: <strong>der</strong> Blinddarm bricht durch und ebenso<br />

das Magengeschwür. Menschen geraten durch diese Verschleppung in große Gefahr,<br />

teilweise in Lebensgefahr. Ein Magengeschwür ist innerhalb von 10 Tagen mit Tabletten<br />

heilbar und <strong>der</strong> Krankenhausaufenthalt kann bei rechtzeitiger Behandlung vermie-


377<br />

den werden. Ein Krankenhausaufenthalt bei einer einfachen Blinddarmoperation dauert<br />

3 Tage, nach einem durchgebrochenen Blinddarm 2 Wochen, und es kann auch tödlich<br />

enden. Ich bin <strong>im</strong> Vorlauf gebeten worden, hier Fälle aus <strong>der</strong> Praxis zu erzählen. Und<br />

ich habe vor kurzem schon mal in einem viel kleineren <strong>Rahmen</strong> über einen sehr spektakulären<br />

Fall einer Frau mit fortgeschrittenem Brustkrebs erzählt. Bei dieser Frau hatte<br />

sich durch die Erkrankung eine faustgroße Höhle in <strong>der</strong> Brust gebildet. Diese Frau hat eine<br />

sehr schlechte Prognose, weil sie zu spät zum Arzt gegangen ist. Die Frau muss<br />

nicht nur operiert werden, sie braucht Strahlen- und Chemotherapie, sie hat bereits<br />

Metastasen. Das ist alles sehr teuer, sehr belastend für die Frau und es ist überhaupt<br />

noch nicht abzusehen, ob ihr Leben gerettet werden kann. Brustkrebs <strong>im</strong> Anfangsstadium<br />

ist in den meisten Fällen heilbar. Mir ist wichtig darauf hinzuweisen, dass es nicht wenige<br />

Menschen mit ansteckenden Krankheiten gibt, die hier <strong>im</strong> Land leben: mit Lungentuberkulose,<br />

Hepatitis, mit Geschlechtskrankheiten. Aber es sind alles spektakuläre Fälle. Krankheit<br />

und Medizin <strong>im</strong> Alltag ist sehr viel breiter. Die Menschen, von denen ich spreche, haben<br />

alle Krankheiten, von denen wir alle auch <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> befallen werden und die uns<br />

das Leben auch mit Krankenversicherung genügend Sorgen und Last bereiten.<br />

Ein junger Mann hat eine infizierte Stelle in <strong>der</strong> Gürtelgegend unterhalb <strong>der</strong> Haut, ein Eiterpickel<br />

könnte man sagen. Der Körper versucht zuerst eine Selbstheilung. Er kapselt die<br />

Stelle ab, ein Abszess bildet sich, Eiter bildet sich in dieser Höhle. Was man in <strong>der</strong> ersten<br />

Woche noch mit Salbe und Pflaster könnte, muss nach 3 Monaten chirurgisch aufgeschnitten<br />

und gereinigt werden und in weiteren 4-6 Wochen mit täglichem Verbandwechsel unter<br />

Bildung einer großen Narbe mühsam und langsam heilen. Ein ungeheurer Kostenfaktor,<br />

mitunter auch ein ästhetisches Problem.<br />

Ein 14-jähriger Diabetiker: Wenn er regelmäßig Insulin spritzen kann, geht es ihm gut. Da<br />

er nur unregelmäßig mit Insulin versorgt wird, wird <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> ohnmächtig, auch <strong>im</strong> öffentlichen<br />

Raum auf offener Straße, bekommt einen Zuckerschock. Schließlich entstehen<br />

Schäden am Auge und den Nieren. Er kann nicht mehr richtig sehen, in Kurze braucht er<br />

Dialyse.<br />

Eine junge Frau mit einer unbehandelten Mandelvereiterung. Hätte eigentlich 10 Tage lang<br />

mit einem Antibiotikum behandelt wenden müssen. Jetzt hat sie Schmerzen in den Nieren<br />

und in Gelenken.<br />

Ein 5-jähriges Kind mit verschleppter Bronchitis, Hustet seit 4 Wochen. Jetzt hat es eine<br />

Lungenentzündung und hohes Fieber und muss als Notfall ins Krankenhaus.<br />

Ein junger Mann mit einer dicken Backe hatte vor 3 Monaten war ein Loch <strong>im</strong> Z a h n .<br />

Jetzt hat er eine Wurzelvereiterung und heftige Schmerzen.<br />

Eine schwangere Frau erkrankt an Röteln. Das Kind wird mit einer schweren Behin<strong>der</strong>ung<br />

geboren. Würden alle Kin<strong>der</strong>, insbeson<strong>der</strong>e die in <strong>der</strong> Illegalität hier geborenen, konsequent<br />

nach den Richtlinien <strong>der</strong> Ständigen Impfkommission ge<strong>im</strong>pft, ließen sich solche<br />

Schicksale vermeiden.<br />

Schwangere Frauen, die sehr spät <strong>im</strong> letzten Drittel <strong>der</strong> Schwangerschaft zur Überwachung<br />

kommen, ich denke an eine Frau, die, erst nach dem errechneten Termin kam, als<br />

sie keine Kindsbewegungen mehr spürte und <strong>der</strong>en Kind nur noch tot geboren werden<br />

konnte. Zwar ist Schwangerschaft keine Krankheit, aber völlig unüberwacht birgt sie erhebliche<br />

Risiken für Mutter und Kind. Unter <strong>der</strong> Geburt kann viel passieren. Das Kind<br />

kann die Nabelschnur um den Hals haben, es kann ungünstig liegen, die Mutter kann eine<br />

Wehenschwäche bekommen, die Plazenta kann sich vorzeitig lösen, Mutter und Kind<br />

können bei <strong>der</strong> Geburt sterben. Risikoschwangere gehören auf jeden Fall ins Krankenhaus.<br />

Kein Kind sollte bei uns einen schlechten Start ins Leben haben, nur weil seine Mutter sich<br />

nicht getraut hat, rechtzeitig zum Arzt zu gehen. Daraus folgere ich, die Meldepflicht <strong>der</strong><br />

öffentlichen Stellen gegenüber <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde verhin<strong>der</strong>t, dass Menschen rechtzeitig<br />

medizinische Hilfe suchen und die Meldepflicht verhin<strong>der</strong>t – das ist noch ein an<strong>der</strong>es<br />

Thema – teilweise in manchen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n auch den Schulbesuch.


378<br />

Die Beendigung <strong>des</strong> Aufenthaltes und die Möglichkeit <strong>im</strong> Krankheitsfall medizinische<br />

Hilfe zu suchen, sind zwei Dinge, die man nicht miteinan<strong>der</strong> vermischen sollte. Die Meldepflicht<br />

darf nicht <strong>im</strong> Zusammenhang mit medizinischer Behandlung gelten.<br />

Ich frage: Entsteht dem Staat wirklich Schaden, wenn er in diesen Fällen auf die Meldepflicht<br />

verzichtet?<br />

Zum 2. Punkt. Obwohl es bisher keine Verurteilung eines Arztes wegen Beihilfe zum illegalen<br />

Aufenthalt gegeben hat, stellt es für einen Arzt, stellt es auch für mich als Arzt, eine ungeheure<br />

Kränkung dar, ärztliches Handeln in die Nähe von Kr<strong>im</strong>inalität zu rücken o<strong>der</strong> den<br />

Arzt mit einem Ermittlungsverfahren zu konfrontieren. Das ist ein sehr grundlegen<strong>der</strong> Unterschied<br />

zwischen ärztlichen Denken und juristischen Denken. Der Arzt muss einen<br />

Patienten behandeln, sonst macht er sich <strong>im</strong> Zweifel strafbar. Wenn alle Ermittlungsverfahren<br />

eingestellt werden, dann sollte für eine größere Rechtssicherheit <strong>der</strong> Betroffenen<br />

eine Klarstellung <strong>im</strong> Gesetz erfolgen.<br />

Und die soll heißen: z. B. „Jede medizinische Hilfe und alle damit zusammen hängenden<br />

Handlungen müssen von Strafandrohungen frei sein“.<br />

Manchmal reicht das reine medizinische Handeln nicht aus. Um wirksam eine Heilung zu erreichen<br />

o<strong>der</strong> auch aus Gründen <strong>der</strong> Menschlichkeit sind mitunter flankierende Maßnahmen<br />

erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Eine 18-Jährige kam mit einem 1 Tag alten Neugeborenen zu mir, dass nur mit einer Windel<br />

bekleidet in eine Decke gewickelt war. Kann es verboten sein, dieser Frau Kleidung, Nahrung<br />

und Windeln für das Kind zu geben? Muss ich bestraft werden, wenn ich Menschen zu<br />

essen gebe, die seit Tagen nichts o<strong>der</strong> kaum etwas zu essen hatten, <strong>der</strong>en Magenschmerzen<br />

durch Hunger bedingt sind? O<strong>der</strong> muss ich bestraft werden, wenn ich Menschen mit hohem<br />

Fieber o<strong>der</strong> nach Operationen unterbringe? Soll ich mich als Arzt vor Bestrafung fürchten,<br />

nur weil ich mehr tue als die reine medizinische Behandlung es erfor<strong>der</strong>t?<br />

Zusammenfassung:<br />

1. Die Meldeverpflichtung gegenüber <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde <strong>im</strong> Zusammenhang mit medizinischer<br />

Behandlung muss abgeschafft werden, weil sie verhin<strong>der</strong>t, dass kranke Menschen<br />

angstfrei und rechtzeitig zum Arzt gehen.<br />

2. Es muss klargestellt werden, dass die Strafandrohung <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz nicht für medizinische<br />

Hilfe und damit zusammenhängende Handlungen gilt.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Frau Dr. Franz. Nun spricht last but not least RA Dr. Marx<br />

11. Herr RA Dr. Marx<br />

Vielen Dank, Herr Dr. Lehnguth, zum Abschluss möchte ich vielleicht noch einmal den<br />

Kontext aufzeigen, über den wir diskutieren. Wir haben einen drastischen Rückgang <strong>der</strong><br />

Asylsuchendenzahlen. Die Problematik <strong>des</strong> materiellen Asylrechts ist von <strong>der</strong> Quantität her<br />

relativ gering. Und wir haben ein Riesenproblem von humanitären und an<strong>der</strong>en Fallgestaltungen,<br />

die nicht abgeschoben werden können. Darunter sind auch sehr viele aus dem ehemaligen<br />

Jugoslawien, die seit Anfang <strong>der</strong> 90er Jahre hier sind. Wo es auch in den bilateralen<br />

Rückübernahmeabkommen u.ä. Störungen gab. Dieses Problem ist, und das bestreite<br />

ich nicht, und das betrifft auch die Steuerungsfähigkeit <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik Deutschland<br />

<strong>im</strong> Auslän<strong>der</strong>recht, wir haben natürlich auch Leute hier, die sich weigern, <strong>der</strong> Passbeschaffungspflicht<br />

nachzukommen. Das darf man nicht bestreiten. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite haben<br />

wir aber viele humanitäre Fallgestaltungen, die alle in eine Schublade reingepackt werden.<br />

Und das ist die große Schwierigkeit in <strong>der</strong> Praxis. Aber lassen sie mich zunächst mit dem<br />

materiellen Recht beginnen. Das Bun<strong>des</strong>amt wendet ja die Qualifikationsrichtlinie noch<br />

nicht an, von daher kann man relativ wenig sagen, wie die nichtstaatliche Verfolgung, wie<br />

nichtstaatliche Verfolgungsakteure behandelt werden, wie geschlechtsspezifische Verfolgungen<br />

behandelt werden. In <strong>der</strong> Rechtsprechung gibt es erste Versuche – teilweise sagte<br />

Herr Dr. Bank auch schon – macht man auch einen hoheitlichen Vorhof um die nichtstaatlichen<br />

Akteure. Das hat sicherlich damit zu tun, dass <strong>der</strong> § 60 Abs. 1 die Qualifikationsrichtlinie<br />

diesen Bereich nicht systematisch umsetzt. Die Qualifikationsrichtlinie <strong>im</strong> Art. 6 die


379<br />

Verfolgungsakteure und <strong>im</strong> Art. 7 die Schutzakteure, diese Differenzierung ist <strong>im</strong> § 60 Abs.<br />

1 nicht aufgenommen und auch <strong>der</strong> Referentenentwurf, <strong>der</strong> jetzt vorliegt, den halte ich für<br />

sehr problematisch, weil er ein sehr geschlossenes Konzept <strong>des</strong> Begriffs <strong>des</strong> Flüchtlings<br />

von seiner tatbestandlichen Voraussetzung, wie es <strong>im</strong> Art. 4 bis 11 <strong>der</strong> Richtlinie enthalten<br />

ist, in einem Absatz mit ergänzenden Hinweisen auf die Qualifikationsrichtlinie umsetzen<br />

will. Das Bun<strong>des</strong>amt ist noch, meiner Meinung nach, von Spurenelementen <strong>der</strong> Zurechnungsdoktrin<br />

beherrscht. Ich kann Ihnen einen Fall einer Kosovarin schil<strong>der</strong>n, die es endlich<br />

nach 3,4 Jahren quälenden Misshandlungen durch ihren Ehemann – <strong>der</strong> Ehemann hat<br />

ihr mit einem Kabel den Hals zugedreht, er hat die Kin<strong>der</strong> misshandelt –geschafft hat und<br />

zur Polizei gegangen ist. Dann kam die Verurteilung <strong>des</strong> Ehemannes zu 2 ½ Jahren und<br />

dann kam <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>ruf und ihr Asylstatus wurde wi<strong>der</strong>rufen. Der Ehemann hat inzwischen<br />

neu geheiratet und hatte eine Aufenthaltserlaubnis. Er hat 9 Brü<strong>der</strong> <strong>im</strong> Kosovo. Ich habe<br />

das vorgetragen <strong>im</strong> Anhörungsverfahren, dass die Frau von dem Mann gefährdet wird <strong>im</strong><br />

Kosovo, auch durch seine Brü<strong>der</strong> und er hat Reisefreizügigkeit. Der Bescheid wurde trotzdem<br />

aufgehoben. Das was ich vorgetragen habe, wurde überhaupt nicht behandelt, weil<br />

noch die alten Spurenelemente nichtstaatlicher Verfolgung <strong>im</strong> Privatbereich, obwohl es hier<br />

nicht nur um nichtstaatliche Verfolgung, es geht auch um den § 60 Abs. 7, den das VG angewendet<br />

hatte.<br />

Der zweite Punkt, dass sagte Herr Dr. Bank auch schon, ist das Dublin-Verfahren. Das<br />

Bun<strong>des</strong>amt geht seit einigen Jahren dazu über, Dublinverfahren wie die Drittstaatenregelung<br />

zu behandeln. Das heißt Abschiebungsanordnung ohne vorläufigen Rechtsschutz.<br />

Das verstößt gegen den Rechtsanwendungsvorgang <strong>des</strong> Gemeinschaftsrechtes Art. 19<br />

Abs. 2 <strong>der</strong> Dublin-Verordnung sieht vor, dass es ein Eilrechtsschutzverfahren geben muss,<br />

wenigstens für die Fälle, die ein subjektiven Anspruch darauf haben. Familiäre Tatbestände,<br />

das Selbsteintrittsrecht <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik Deutschland nach 15, bei humanitären Fällen.<br />

Hier muss es ein Rechtsschutzverfahren geben und hier können die Fälle nicht so behandelt<br />

werden, wie bei <strong>der</strong> Drittstaatenregelung, aber <strong>der</strong> Referentenentwurf –wenn ich<br />

das richtig sehe- will die Praxis <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes zum Gesetz machen, d.h. das ganze<br />

Dublin-Verfahren als sicheres Drittstaatenverfahren ohne Rechtsschutz behandeln. Da hab<br />

ich meine Bedenken, ob das mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Ich meine, dass <strong>der</strong> §<br />

29 Abs. 3 Satz 2 gestrichen werden müsste, <strong>der</strong> das noch zulässt <strong>im</strong> AsylVfG.<br />

Zu § 25 Abs. 1 bis 5: Da ist vieles zu gesagt worden. Ich will mich <strong>des</strong>halb kurz fassen.<br />

Be<strong>im</strong> § 25 Abs. 3 haben wir die Praxis in Hessen, dass bei <strong>der</strong> Erteilung, Verlängerung und<br />

bei <strong>der</strong> Neuerteilung je<strong>des</strong> Mal eine Sicherheitsabfrage gestartet, die bis zu 8 Monate dauert.<br />

Dafür gibt es <strong>im</strong> Gesetz keine Grundlage. Im Gesetz gibt es nur den § 73 Abs. 2 Satz 3<br />

AufenthG vor <strong>der</strong> Erteilung einer Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis kann anlassbezogen eine Anfrage<br />

gestartet werden. In Hessen dauern die Verfahren bis zu 8 o<strong>der</strong> 9 Monate, bis die<br />

Leute dann ihren Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Zum § 25 Abs. 3 will<br />

ich nicht mehr sagen. § 25 Abs. 4 Satz 2, dass wurde schon gesagt, dass das ein eigenständiger<br />

Aufenthaltstitel ist, für Leute die einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel haben und<br />

bei denen es um die Verlängerung geht. Das OVG Nordrhein-Westfalen hat bei verwurzelten<br />

Fällen den § 25 Abs. 4 Satz 2 auch schon in <strong>der</strong> Vergangenheit angewendet.<br />

Zum § 25 Abs. 5, <strong>der</strong> ja verschiedentlich benannt worden ist. Ich will aus meiner Perspektive<br />

etwas dazu sagen. Der § 25 Abs. 5, ob <strong>der</strong> Begriff zumutbar reinkommt o<strong>der</strong> nicht, ist<br />

ein Streit um Worte. Es heißt rechtliches Ausreisehin<strong>der</strong>nis. Und be<strong>im</strong> rechtlichen Ausreisehin<strong>der</strong>nis<br />

kommen völkerrechtliche Normen und grundrechtliche Schutznormen, ein<br />

Recht auf Gesundheit, auf körperliche Unversehrtheit sowohl nach Art. 2 Abs. 2 wie auch<br />

Familienleben, Privatleben nach Art. 8 EMRK zum Tragen. Das sind unter Umständen<br />

rechtliche Ausreisehin<strong>der</strong>nisse und Schutznormen verkörpern einen Begriff einer gewissen<br />

Unzumutbarkeit. Was nach Schutznorm, nicht erlaubt ist, ist unzumutbar. Von daher ist<br />

dieser Streit, <strong>der</strong> jetzt auch in <strong>der</strong> Rechtsprechung und in <strong>der</strong> Verwaltungspraxis herrscht,<br />

den könnte man meiner Meinung nach pragmatisch dadurch beilegen, dass man auf <strong>der</strong><br />

einen Seite sagt, die Steuerungsfähigkeit <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsrecht die<br />

muss bewahrt bleiben, aber man muss diese krassen humanitären Fallgestaltungen, die<br />

man dann nur noch bei § 23 a bei <strong>der</strong> humanitären Härtefallkommission hätte, man muss<br />

dafür eine abstrakt generelle Regelung finden und das ist jetzt nicht aus meiner Fantasie<br />

erwachsen – wie Herr Dr. Dienelt sagte – son<strong>der</strong>n das kommt von Herrn Pfaff selbst. Herr<br />

Pfaff hat über den Deutschen Anwaltverein einen Vorschlag eingereicht, indem an den §<br />

25 Abs. 1 Satz 1 angehängt wird, rechtliche Unmöglichkeit ist auch anzunehmen, wenn eine<br />

Rechtsgüterabwägung <strong>im</strong> Einzelfall das staatliche Interesse an <strong>der</strong> Aufenthaltsbeen-


380<br />

digung als nachträglich erscheinen lässt. Das meine ich, wird sowohl völkerrechtlichen wie<br />

verfassungsrechtlichen Schutznormen gerecht, wird aber auch mit dem Hinweis auf Verhältnismäßigkeit<br />

den Interessen <strong>der</strong> Verwaltung gerecht und auch den Interessen <strong>der</strong><br />

Steuerungsfähigkeit. Derzeit gibt es einen neuen Diskurs in <strong>der</strong> Rechtsprechung <strong>der</strong> Obergerichte.<br />

Wir haben nur eine Hauptsachenentscheidung <strong>des</strong> VGH Württemberg. OVG<br />

Rheinland-Pfalz hat Eilrechtsentscheidung und <strong>der</strong> Hessische VGH hat auch eine Eilrechtsentscheidung<br />

getroffen. Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Man bemüht<br />

sich in diese Richtung zu gehen, aber es ist sehr schwierig. Der VGH sagt auch bei geduldeten<br />

Auslän<strong>der</strong>n kann es durchaus sein, dass Art. 8 Privatleben relevant wird. Der<br />

EGMR, <strong>der</strong> bisher den Art. 8 Privatleben in Ausweisungsfällen zum Schutze <strong>der</strong> zweiten<br />

Generation angewendet hat, geht in den letzten Jahren auch dazu über, in diesen verwurzelten<br />

Fällen, wo es eben nicht um Strafbarkeit geht, son<strong>der</strong>n um langjährigen Aufenthalt,<br />

insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>, das Privatleben aus Art. 8 relevant zu gestalten. Das übern<strong>im</strong>mt<br />

die Rechtsprechung aber sehr unterschiedlich. Das einzige Gericht ist das OVG Koblenz,<br />

das von den Kin<strong>der</strong>n ausgeht und das Verschulden <strong>der</strong> Eltern den Kin<strong>der</strong>n nicht zurechnet.<br />

Während die an<strong>der</strong>n beiden Gerichte von den Eltern ausgehen und dann das Verschulden<br />

<strong>der</strong> Eltern den Kin<strong>der</strong>n zurechnen. In diesem Zusammenhang würde ich auch einen Punkt<br />

sagen zu <strong>der</strong> Strafbarkeit von Duldungsinhabern. Das ist ja jetzt etwas scharf geregelt<br />

worden, durch diesen Mechanismus mit <strong>der</strong> Aufenthaltsverordnung, dass nur noch, wenn<br />

in <strong>der</strong> Duldungsbescheinigung das Wort Ausweisersatz o<strong>der</strong> die Norm 48 Abs. 2 erscheint,<br />

dass dann keine Strafbarkeit vorliegt. Und in <strong>der</strong> Verwaltungspraxis wird aber die Duldungsbescheinigung<br />

bei allen Duldungsfällen, egal ob sie zumutbar ihre Ausreisepflicht<br />

beseitigen können o<strong>der</strong> nicht angewendet mit <strong>der</strong> Folge, dass jeweils neue Strafverfahren<br />

entstehen. Jemand wird freigesprochen und es kann wie<strong>der</strong> ein neues Ermittlungsverfahren<br />

eingeleitet werden bei einem neuen Strafrichter, weil <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> ein neuer Straftatbestand<br />

entsteht. Da meine ich, sollte <strong>der</strong> Gesetzgeber o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verordnungsgeber noch<br />

mal überlegen, ob man da nicht schärfer differenzieren kann. Zur Sperrwirkung <strong>des</strong> § 10<br />

Abs. 3 <strong>des</strong> AufenthG zwei Bemerkungen. Soweit es um die Fälle nach § 25 Abs. 3 geht,<br />

um die subsidiär Schutzberechtigten nach <strong>der</strong> Qualifikationsrichtlinie ist die Sperrwirkung<br />

mit Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar. Wer subsidiär schutzberechtigt ist, hat nach Art.<br />

24 Abs. 2 Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Diese steht nicht unter dem<br />

Vorbehalt einer Sperrwirkung. Die steht auch nicht unter dem Vorbehalt einer zumutbaren<br />

und möglichen Ausreise in einen Drittstaat, wie dass bei uns <strong>im</strong> § 25 Abs. 3 Satz 2 erste<br />

Alternative geregelt ist. Ein zweiter Punkt bei <strong>der</strong> Sperrwirkung: Jemand, <strong>der</strong> nach 23 a<br />

über eine humanitäre Härtefallentscheidung eine Aufenthaltserlaubnis bekommt, den sperrt<br />

die Sperrwirkung nicht. Jemand <strong>der</strong> nach § 25 nach langen Jahren, wo alle einsehen, aus<br />

humanitären Gründen muss man eine Aufenthaltserlaubnis erteilen, eine Aufenthaltserlaubnis<br />

bekommt, bekommt keine, weil die Sperrwirkung dagegen steht. Nun gibt es aber<br />

eine Möglichkeit. Es heißt ja, Anspruch auf Erteilung und in Absatz 1 heißt es gesetzlicher<br />

Anspruch. Genauso ist es in § 5 Abs. 2 Satz 2. Dort steht auch Anspruch auf Erteilung,<br />

nicht gesetzlicher Anspruch und man kann, und die Rechtsprechung macht das zum § 5<br />

Abs. 2, wo es auch um ein Recht und um einen Anspruch auf Erteilung geht, dass man<br />

den Fall <strong>der</strong> Ermessensreduktion mit einbezieht. Die vorläufigen Anwendungshinweise<br />

machen das auch bei § 5 Abs. 2 aber nicht bei § 10 Abs. 3. Da sagen sie, ausdrücklich, da<br />

nicht. Bei § 5 Abs. 2, wo es dieselbe Problematik ist, <strong>der</strong>selbe Gesetzesbegriff, da sagen<br />

die vorläufigen Anwendungshinweise, hier nicht <strong>der</strong> Fall <strong>der</strong> Ermessensreduktion, das halte<br />

ich für ungere<strong>im</strong>t und halte ich für verbesserungswürdig. Man könnte dann in vielen humanitär<br />

gestalteten Fällen über die Sperrwirkung <strong>des</strong> § 10 Abs. 3 hinwegkommen. Ansonsten<br />

bleiben sie in <strong>der</strong> Kettenduldung.<br />

Letzter Punkt Verfestigungsregeln: Was mir nicht klar zu sein scheint bei <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis<br />

bei <strong>der</strong> akzessorischen nach § 26 Abs. 3 für Asylberechtigte und Flüchtlinge.<br />

Gesetzgeberisches Ziel ist, nach 3 Jahren, wenn dann keine Wi<strong>der</strong>rufs- und kein<br />

Rücknahmeverfahren erfolgt ist, dann soll das eine dauerhafte Perspektive sein. In <strong>der</strong><br />

Praxis ist es aber nicht so. Das Bun<strong>des</strong>amt hat nach wie vor die Möglichkeit, nach § 73<br />

Abs. 2a Satz 3 <strong>des</strong> Asylverfahrensgesetzes ein Wi<strong>der</strong>rufs- o<strong>der</strong> Rücknahmeverfahren einzuleiten.<br />

Die Auslän<strong>der</strong>behörde kann <strong>im</strong>mer noch auch die Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis wi<strong>der</strong>rufen<br />

nach § 52. Hier gibt es Verbesserungsbedarf. Was ist denn mit den Leuten, die jetzt<br />

nach § 26 Abs. 3 eine Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis erhalten haben. Man kann sie natürlich auf<br />

§ 26 Abs. 4 transportieren und sagen: „Du bist 7 Jahre hier. Du bekommst eine Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis,<br />

aber dann müssen Sie die allgemeinen Voraussetzungen erfüllen“. Das ist<br />

häufig schwierig für die Leute. Der letzte Punkt, dass ist eine ganz versteckte Vorschrift.


381<br />

Das ist <strong>der</strong> § 26 Abs. 4 Satz 4 AufenthG, für Jugendliche und für Kin<strong>der</strong>, die mit ihren Eltern<br />

eingereist sind und eine Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 beantragen. Die<br />

Norm verweist auf den § 35 Abs. 1 AufenthG. Es ist aber unklar, ob das eine Rechtsfolgenverweisung<br />

o<strong>der</strong> eine Tatbestandsverweisung ist. Da besteht Klärungsbedarf, denn<br />

nach meinem Verständnis ist es ja so, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen in §§ 26<br />

Abs. 4, 104 Abs. 2 Übergangsregelungen, 102 Abs. 2 an kumulative Anrechnung von Duldungen<br />

und Aufenthaltsbefugnissen geregelt ist und von daher macht die tatbestandliche<br />

Erörterung und Prüfung bei § 35 eigentlich keinen Sinn. Man könnte es auch einfacher<br />

machen, indem man eben sagt, bei den § 26 Abs. 4 Satz 4-Fällen die Voraussetzung nach<br />

§ 9 Abs. 2 entfallen. Dann brauch man diese Verweisungsnorm nicht. Letzter Punkt, was<br />

<strong>der</strong> Gesetzgeber übersehen hat bei <strong>der</strong> Option für langjährig hier lebende subsidiär<br />

Schutzberechtigte die Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach § 26 Abs. 4 sehr großzügig zu offerieren.<br />

Durch die Übergangsvorschriften § 104 Abs. 2. Da ist aber Voraussetzung, dass jemand<br />

zum 1. Januar 2005 eine Aufenthaltsbefugnis gehabt haben muss. Diejenigen, die<br />

an den Regelversagungsgründen gescheitert sind vor 2005, sind nicht befreit von <strong>der</strong> Altersvorsorge,<br />

die geduldeten Zeiten werden nicht mehr gerechnet. Das sind Leute, die<br />

subsidiär schutzberechtigt sind, einen Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 bekommen<br />

haben, über Jahre hier gelebt haben, aber zum Stichtag 1. Januar 2005 keine Aufenthaltserlaubnis<br />

hatten. Die haben keine Erleichterungen wie die Befreiung von <strong>der</strong> Altersvorsorge,<br />

das wichtigste, sie müssen 5 Jahre gearbeitet haben, das haben die häufig nicht. Da<br />

denke ich auch, dass <strong>der</strong> Grundsatz <strong>der</strong> Gleichhandlung es gebietet, hier mal nachzudenken,<br />

ob man diesen Leuten nicht doch helfen kann. Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Marx. War dieser Fall eben vom EGMR, war das dieser Sowjetbürger,<br />

<strong>der</strong> 30 Jahre in Litauen gelebt und dann die Staatsangehörigkeit verloren hatte durch Reg<strong>im</strong>ewechsel<br />

und keine Aufenthaltsrecht mehr hatte; den sie eben zitiert haben? War das<br />

<strong>der</strong> Fall?<br />

Dr. Marx:<br />

Der EGMR hat mehrere Fälle. Ich habe die Frage eben nicht verstanden. Meinen Sie den<br />

Kazarev, <strong>der</strong> in Finnland lebte und dort die Staatsangehörigkeit nicht bekam? Ich weiß es<br />

nicht. Vielleicht können wir es ja bilateral klären?<br />

- Pause -<br />

12. Diskussion<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Meine Damen und Herren,<br />

wir kommen jetzt zu <strong>der</strong> Fragestunde. Ich schlag vor, dass wir das in drei große Teile unterteilen.<br />

Nicht so wie vorhin, weil es etwas zu unübersichtlich wird. Ich würde mal vorschlagen,<br />

wir unterteilen es in<br />

1. § 25 insgesamt<br />

2. Härtefallkommission/Härtefallregelung<br />

3. Illegale<br />

Ich möchte mit dem ersten Bereich beginnen. Ich wäre Ihnen dankbar, auch in Anbetracht<br />

<strong>der</strong> Zeit, dass wir jetzt Fragen stellen und keine Postulate loslassen. Wir kennen die Postulate<br />

und wir kennen auch die Diskussion. Das ist ja auch ein insgesamt schwieriges Kapitel<br />

und von daher würde ich sie bitten, sich auf Fragen zu begrenzen.<br />

Wer möchte damit beginnen. Herr Veit hatte sich vorhin schon bei mir zu allen drei Themen<br />

gemeldet. Weitere Fragestellungen zu § 25?<br />

Herr Gärtner:<br />

Es ist ein bisschen schwierig, das zu differenzieren, da das Ganze ja sehr konsterniert zu<br />

betrachten ist, die ganze Regelung <strong>im</strong> humanitären Bereich. Ich möchte denjenigen, die


382<br />

das ganze sehr pess<strong>im</strong>istisch beurteilen - und in sofern ist das keine Frage, die ich jetzt<br />

stelle - zu bedenken geben, dass in einigen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n die Zahl <strong>der</strong> Geduldeten erheblich<br />

reduziert wurde <strong>im</strong> Jahr 2005. Das soll nicht so technisch klingen, wie es sich anhören<br />

mag. Personen mit Duldung in Deutschland und auch mit langfristigen Duldungen in<br />

Deutschland, das waren diejenigen, die <strong>im</strong> Blickpunkt gewesen sind. In Rheinland-Pfalz ist<br />

die Gesamtzahl geduldeter Personen um fast 30 % reduziert worden. In Schleswig-<br />

Holstein sind wir an die 20 % gekommen. Das sind wirklich erhebliche Bewegungen. Man<br />

kann nicht sagen, dass die Regelungen <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

nicht ausreichend sind o<strong>der</strong> vielleicht nicht ausreichend Handlungsmöglichkeiten eröffnet<br />

haben. Ganz <strong>im</strong> Gegenteil, sie haben erhebliche Handlungsmöglichkeiten eröffnet. Es<br />

kommt natürlich darauf an, dass man sie auch so anwendet, wie man sie anwenden kann.<br />

Es kommt darauf an, was man damit will. Das ist das Eine. Im Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

Härtefallregelung muss man, glaube ich, bedenken, dass die Härtefallregelung nicht als<br />

Remedur für Regelungslücken <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>der</strong> humanitären Aufnahmeregelung<br />

hergezogen werden kann. Die Härtefallregelung ist kein Rechtsinstitut, son<strong>der</strong>n ist ganz<br />

bewusst auch so formuliert, ein Institut außerhalb <strong>des</strong> Aufenthaltsrechts. Es steht drin, man<br />

kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilen unabhängig von den sonstigen Erteilungs- o<strong>der</strong><br />

Verlängerungsvoraussetzungen nach diesem Gesetz. Und sie ist eigentlich auch gedacht<br />

nur für eine ganz kleine Zahl von Fällen, in denen noch nicht mal ein Rechtsanspruch auf<br />

Überprüfung <strong>der</strong> Bewertung durch die Härtefallkommission eingeräumt wird. Herr Weber,<br />

sie haben das sehr schön und nachvollziehbar ausgeführt. Dazu kommt aber, dass in diesen<br />

Bereichen auch mit Begrifflichkeiten argumentiert wird und operiert wird, die einer<br />

rechtlichen Überprüfung nur sehr schwer zugänglich sind. Was ist denn ein dringen<strong>der</strong><br />

humanitärer o<strong>der</strong> persönlicher Grund. Wer will denn das treffend beurteilen bei <strong>der</strong> Vielzahl<br />

<strong>der</strong> Fälle und <strong>der</strong> unausdenkbaren Vielschichtigkeit <strong>der</strong> Lebensgeschichten, die uns da<br />

präsentiert werden. Ich glaube, Herr Dr. Dienelt, dass kann auch ein Richter nicht richtig in<br />

jedem Fall. Insofern bin ich sehr überzeugt von <strong>der</strong> Art und Weise, wie dass bei uns gelöst<br />

ist. Dass nämlich 10 Leute mit einem relativ breiten Erfahrungshintergrund in dem Thema<br />

Migration und Zuwan<strong>der</strong>ung an einem Tisch sitzen, einen Fall bewerten und in einem geschlossenen<br />

Raum mit 20 Augen darauf schauen und dann zu einem Ergebnis kommen <strong>im</strong><br />

Hinblick auf die Bewertung einer Lebenslage unter dem Aspekt dringen<strong>der</strong> humanitärer<br />

o<strong>der</strong> persönlicher Gründe. Und ähnlich ist es bei Ihnen in Nordrhein-Westfalen auch geregelt.<br />

Und da ist eine Menge Weisheit drin. Das muss auch gar nicht unbedingt gerichtlich<br />

überprüft werden. Aber, <strong>im</strong> Umkehrschluss darf man nun den § 23 a eben auch nicht herziehen<br />

und sagen, alles das, was <strong>im</strong> humanitären Bereich nicht richtig geregelt ist, kann<br />

man ja über 23 a glatt ziehen. Das muss man glaube ich voneinan<strong>der</strong> trennen. Und dann<br />

muss man schauen, ob wir <strong>im</strong> Bereich humanitäre Aufnahme insbeson<strong>der</strong>e § 25 Abs. 4<br />

und 5 normativ verän<strong>der</strong>n müssen. Man kann den sicherlich normativ verän<strong>der</strong>n und Dinge<br />

erreichen, die man vielleicht <strong>im</strong> Augenblick noch nicht so klar und insbeson<strong>der</strong>e nicht so<br />

verbindlich für alle Rechtsanwen<strong>der</strong> erreicht hat, wie man sich das vorstellen würde. Ob<br />

das gelingt, bleibt <strong>der</strong> Gesetzgebungs-Debatte vorbehalten. Tatsache ist aber, dass man<br />

den § 25 Abs. 4 <strong>der</strong>zeit anwenden kann auf vollziehbar ausreisepflichtige Auslän<strong>der</strong>. Und<br />

das machen wir auch entgegen den vorläufigen Anwendungshinweisen <strong>des</strong> BMI und insofern<br />

hoffe ich, dass wir noch lange diskutieren können über die Anwendungshinweise. Die<br />

werden sicherlich noch viel Gesprächsstoff bieten. Und den § 25 Abs. 5 kann man auch<br />

sehr spannend anwenden, wenn man nämlich <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Unmöglichkeit nicht nur betrachtet<br />

unter dem Aspekt eines Abschiebungshin<strong>der</strong>nisses, was sowieso gegeben sein<br />

muss, aber wenn ich ein Abschiebungshin<strong>der</strong>nis habe, rechtlich o<strong>der</strong> tatsächlich, dann<br />

kann ich eine Duldung erteilen. Wenn ich mehr erteilen möchte als eine Duldung, dann<br />

muss mehr da sein als ein rechtliches o<strong>der</strong> tatsächliches Abschiebungshin<strong>der</strong>nis, nämlich<br />

eine Unzumutbarkeit <strong>der</strong> freiwilligen Ausreise. Wie ich diese Unzumutbarkeit bewerte, und<br />

da, Herr Schmäing, haben sie natürlich Recht, steht nicht <strong>im</strong> Gesetz selbst drin, aber in <strong>der</strong><br />

Begründung zum ersten Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz ist da durchaus Einiges zu finden an Motivlage.<br />

Dann kann ich auch den § 25 Abs. 5 in diese Richtung anwenden. Und auch <strong>der</strong> § 25<br />

Abs. 5 ist in Schleswig-Holstein jedenfalls in vielen Fällen zur Anwendung gekommen und<br />

hat auch dazu beigetragen, die Zahl <strong>der</strong> geduldeten Personen erheblich zu reduzieren.<br />

Wobei das Wechseln, das müssen wir an dieser Stelle auch sehr deutlich machen, aus <strong>der</strong><br />

Duldung heraus natürlich auch mit einer Ausreise verbunden sein kann. Es geht also nicht<br />

nur Duldung, Aufenthaltserlaubnis, son<strong>der</strong>n es geht natürlich auch so, dass Leute, die vollziehbar<br />

ausreisepflichtig sind, aus <strong>der</strong> Duldung heraus die Ausreise antreten. Das als mein<br />

Kommentar.


383<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Sehr vielen Dank, Herr Gärtner. Das war ja nahezu ein Lob, das ich aber nicht so ganz hinnehmen<br />

kann, weil wir natürlich auch gern wie<strong>der</strong> eine einheitliche Handhabung <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet<br />

hätten und sie wissen ja auch, dass Verwaltungsvorschriften vorbereitet werden,<br />

die mit Zust<strong>im</strong>mung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>rates eines Tages auch in Deutschland gelten werden. Es<br />

ist für mich klar, dass wir eine einheitliche Handhabung machen müssen. Aber auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite möchte ich das doch noch mal zum Anlass nehmen, dass sie, weil sie mit einem<br />

Lob angefangen haben, ich auch ein bisschen mehr an Lob hätte erwartet, von den<br />

Leuten, die hier als Experten am Tisch sitzen, denn <strong>im</strong>merhin habe ich ja vorhin am Anfang<br />

dargestellt, dass wir eine Menge in dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz geän<strong>der</strong>t haben. Also da ist<br />

die Gewährung <strong>des</strong> Flüchtlingsstatus bei nichtstaatlicher geschlechtsspezifischer Verfolgung.<br />

Eine jahrelange For<strong>der</strong>ung von allen Verbänden, die umgesetzt worden ist, auch von<br />

UNHCR. Dann die Gleichstellung <strong>der</strong> anerkannten GFK-Flüchtlinge. Jahrelange For<strong>der</strong>ungen,<br />

die umgesetzt worden sind. Dann auch die Härtefallregelung, um mal drei große<br />

Punkte zu nennen. Das ist doch schon eine ganze Menge und von daher dachte ich mir,<br />

dass wir mal mit einem Lob hätten beginnen können. Das ist nicht so gekommen. Son<strong>der</strong>n<br />

ein riesiger For<strong>der</strong>ungskatalog, <strong>der</strong> in diesen Bereichen, weil es schwierige Themen sind,<br />

<strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> kommen. Aber das war nur ein Kommentar und würde ich jetzt gerne noch<br />

einmal Herrn Abgeordneten Veit zu § 25 bitten.<br />

Herr MdB Veit:<br />

Meine Wortmeldung hat etwas Spontanes, aber sie besteht nicht in <strong>der</strong> Überlegung die<br />

Frage beantworten zu wollen, haben Sie den zuständigen Abteilungsleiter heute schon gelobt.<br />

Ich möchte mal anknüpfen an die Beratungen <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes, an denen<br />

ich ja nun in allen Varianten und praktisch über sämtliche Stunden auch beteiligt war, und<br />

sagen, sowohl <strong>der</strong> Herr Dr. Dienelt als auch <strong>der</strong> Herr Gärtner haben mit ihren Beiträgen<br />

völlig recht. Wir haben uns zum Teil was an<strong>der</strong>es gedacht als dann in den die vorläufigen<br />

Anwendungshinweise geschrieben worden ist, um das ganz deutlich zu sagen. Die subjektive<br />

Komponente <strong>im</strong> Sinne auch von Zumutbarkeit, <strong>im</strong> Sinne auch von <strong>der</strong> Berücksichtigung<br />

von Verwurzelung und Integration in Deutschland hat uns bei Abfassung <strong>der</strong> Vorschrift<br />

<strong>des</strong> § 25, wie übrigens in <strong>der</strong> Tat die Lektüre <strong>der</strong> Begründung <strong>des</strong> ersten Gesetzentwurfes<br />

ausweist, nachhaltig bewegt. Und <strong>des</strong>wegen waren wir auch „Not amused“, will<br />

ich mal sagen, als <strong>im</strong> Dezember <strong>des</strong> Jahres 2004 die vorläufigen Anwendungshinweise ein<br />

gut Teil <strong>der</strong> bestanden habenden gesetzlichen Überlegungen, übrigens auch über die Parteigrenzen<br />

hinweg, damit wie<strong>der</strong> zunichte gemacht worden sind. Schon <strong>des</strong>wegen muss<br />

mein Lob lei<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Stelle etwas bescheiden ausfallen.<br />

Wir reden <strong>im</strong> Wesentlichen über einen Personenkreis und wir reden über unterschiedliche<br />

Instrumente. Bei dem Personenkreis handelt es sich um diejenigen, die mit einem geringeren<br />

Status eben max<strong>im</strong>al mit <strong>der</strong> Duldung versehen über lange Jahre hier bereits bei uns<br />

leben, aus den unterschiedlichsten Gründen. Einer <strong>der</strong> wichtigsten, gerade bei Familien ist<br />

<strong>der</strong>, dass über Jahre hinweg, erst für den Vater, dann für die Mutter, dann für das erste<br />

Kind, dann für das zweite, dritte, vierte usw. Kind eigenständige Verfahren durch alle Instanzen<br />

betrieben worden sind. Eine Situation, die <strong>der</strong> Gesetzgeber, also wir, geschaffen<br />

haben. Die wir erst korrigiert haben mit dem Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes, indem<br />

wir gesagt haben, wir wollen die Erstreckung <strong>der</strong> Entscheidungen auf die gesamte<br />

Familie. Deswegen bewegt mich neben den Fragen, welche Instrumente haben wir, auch<br />

<strong>im</strong>mer noch die Frage, wären wir als Gesetzgeber in so einer Situation, nicht auch - wenn<br />

wir merken, dass die Umsetzung so klemmt - gehalten, dann min<strong>des</strong>tens mal für diese<br />

Personengruppe, auch <strong>im</strong> Wege einer Übergangsregelung nicht eben einer gleitenden<br />

Bleiberechtsregelung, auch dass ist ein interessanter Gedanke, Frau Vollmer, aber min<strong>des</strong>tens<br />

jedenfalls jetzt erst mal in Form einer Übergangsregelung zu sagen, die Situation<br />

<strong>der</strong>jenigen Familien, die auf die Art und Weise über Jahre bis Jahrzehnte bei uns geblieben<br />

sind, die stellen wir auf einen Schlag glatt. Ich bin sehr angetan von den Berichten aus<br />

NRW von <strong>der</strong> Härtefallkommission, aber ich glaube wir st<strong>im</strong>men alle überein, dass das<br />

<strong>im</strong>mer nur eine Lösung seien kann für vielleicht einige Hun<strong>der</strong>t Fälle <strong>im</strong> Jahr, aber nicht für<br />

10.000 in <strong>der</strong> ganzen Bun<strong>des</strong>republik. Deswegen muss man dann eben zu den beiden<br />

Wegen kommen, entwe<strong>der</strong> vernünftige Bleiberechtsregelung o<strong>der</strong> aber eben eine Gesetzesän<strong>der</strong>ung,<br />

wo ich die subjektiven Komponenten <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> § 25 berücksichtige,<br />

bzw. eben in an<strong>der</strong>er Weise, wie ich das angedeutet habe, mit einer entsprechenden Übergangsregelung<br />

die Fälle glatt stelle. In dem Zusammenhang würde ich gerne noch mal<br />

auf eine Überlegung zurückkommen, die Herr Schmäing angestellt hat und über die wir


384<br />

auch kurz draußen gesprochen haben. Bei <strong>der</strong> Frage, welchen Personenkreis wenden wir<br />

uns denn pr<strong>im</strong>är zu, sind wir uns sicher alle einig, das können wir alle abhaken, wir wollen<br />

nicht die bösen Buben und Mädchen <strong>im</strong> Sinne von Terrorverdächtige und straffällig Gewordenen.<br />

Auch haben wir kein Mitleid mit denjenigen, die den Staat möglicherweise über<br />

Jahre und Jahrzehnte hinweg getäuscht haben, die ihre Identität verleugnet haben, die ihre<br />

Pässe weggeschmissen haben, mit einer Ausnahme, die Ausnahme bezieht sich logischerweise<br />

auf die Kin<strong>der</strong>, denen man das Verhalten - das ist völlig richtig gesagt worden<br />

– <strong>der</strong> Eltern nicht ohne weiteres zurechnen kann. Da müssen wir uns was an<strong>der</strong>es einfallen<br />

lassen. Wir reden vor allen Dingen über die hier bereits lange bei uns Lebenden, die<br />

möglicherweise auch berufstätig sind, ihren Unterhalt selbst verdienen können, aber selbst<br />

wenn nicht, die jedenfalls die Guten sind. Jetzt würde mich mal interessieren, von welchen<br />

Zahlenverhältnissen gehen wir dabei eigentlich aus. Nach meiner Wahrnehmung überwiegt<br />

ganz deutlich die Anzahl <strong>der</strong>jenigen Personen, die in Familienverbünden leben, die über<br />

Jahre hinweg sozusagen hier sesshaft geworden sind und wo die Jugendlichen und die<br />

Kin<strong>der</strong> hier geboren o<strong>der</strong> aufgewachsen sind. Und ich finde, für die müsste man in erster<br />

Linie was tun. Mich würde trotzdem Ihre Auffassung in <strong>der</strong> Praxis interessieren, wie groß<br />

denn die Personengruppe <strong>der</strong>jenigen wäre, die wir nach meinen Ausführungen eben hier<br />

nicht so gerne haben wollen, die wir nicht nachträglich noch begünstigen wollen und vielleicht<br />

auch nach Lösungsansätzen suchen, wie wir das Eine sinnvoll vom An<strong>der</strong>n unterscheiden.<br />

Das jedenfalls wäre erst einmal meine Bitte, dazu, egal, und zwar bei allem egal,<br />

zu welchen Instrument wir greifen. Ob zu einer Übergangsregelung, ob zu einer allgemeinen<br />

Bleiberechtsregelung auf Innenministerkonferenzbasis o<strong>der</strong> zu einer Än<strong>der</strong>ung <strong>des</strong><br />

Gesetzes, die dann ins Gesetz ausdrücklich das rein schreibt, und nicht nur die Begründung,<br />

was wir in den Verwaltungshinweisen, in den vorläufigen Anwendungshinweisen jedenfalls<br />

so nicht haben wollen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Sehr vielen Dank, Herr Veit. Wir haben uns ja schon oft darüber gestritten, weil ich mich<br />

manchmal auch ein bisschen darüber ärgere, dass uns <strong>im</strong>mer vorgeworfen wird, dass wir<br />

in den vorläufigen Anwendungshinweisen den gesetzgeberischen Willen verdreht hätten.<br />

Das muss ich jetzt aber wirklich noch einmal in aller Deutlichkeit hier klarstellen. Es gibt<br />

eben keine Begründung zu dem Gesetzestext. Das ist ja auch ganz klar. Wir haben vom<br />

aller ersten Gesetzentwurf eine Begründung geschrieben und <strong>der</strong> Gesetzestext ist nicht so<br />

geblieben, <strong>der</strong> hat sich geän<strong>der</strong>t <strong>im</strong> Laufe <strong>des</strong> Vermittlungsverfahrens. Sie waren auch in<br />

dieser Fünfer-Gruppierung nicht mehr dabei gewesen, als nachher die 5 + 5 miteinan<strong>der</strong><br />

gesprochen haben. Wir waren als Protokollanten dabei, so dass ich den Willen durchaus<br />

mitbekommen habe, was dort damals verhandelt worden ist. Der endgültige Gesetzestext<br />

besteht, und zu dem haben wir <strong>im</strong> BMI vorläufige Anwendungshinweise gemacht. Da mag<br />

man drüber rätseln, auch wie Sie, Herr Dr. Dienelt. Es ist einfach nicht so gewesen und<br />

von daher wollte ich das, Herr Veit, noch einmal klarstellen. Und selbstverständlich ist Ihre<br />

Frage vernünftig, da können wir gleich drauf eingehen.<br />

Herr MdB Veit wirft ein:<br />

Wollen Sie ernsthaft bestreiten, dass wir - über allen Parteigrenzen hinweg - nun wirklich<br />

gesagt haben, für die Personengruppe, von <strong>der</strong> ich auch eben geredet habe, wollen wir eine<br />

Perspektive bilden, für die wollen wir eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis haben<br />

und wir wollen den Kettenduldungen ein Ende setzen. Jetzt erfahren wir, dass vielleicht<br />

bestenfalls bis zu 5,10, o<strong>der</strong> Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein gerade mal 20 o<strong>der</strong><br />

30 % eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.<br />

Wie wollen Sie denn das bestreiten?<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Wir wollen das jetzt auch nicht vertiefen. Herr Schmäing, <strong>der</strong> gar nicht an den Verhandlungen<br />

teilgenommen hatte, hat das vorhin noch einmal ganz klar geäußert, wie ich es auch<br />

unterstreichen möchte. Da will das jetzt auch nicht weiter vertiefen. Das hat jetzt keinen<br />

Zweck. Wir wollen ja auch Fragen stellen und was Sie gesagt haben, dass man entwe<strong>der</strong><br />

am § 25 etwas än<strong>der</strong>n könnte o<strong>der</strong> eine Bleiberegelung macht, ist ja auch ein vernünftiger<br />

Ansatz und ich glaube, dass die Minister, Bun<strong>des</strong>innenminister und auch die Innenminister<br />

<strong>der</strong> Län<strong>der</strong> durchaus diesen Weg sehen. Mehr will ich jetzt gar nicht sagen.


385<br />

Herr Grindel hat noch eine Frage gestellt und Herr Bruhns, Sie wollten die Frage von Herrn<br />

Veit zum Teil beantworten.<br />

Herr MdB Grindel:<br />

Ich denke, dass wir <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> § 25 Abs. 4a Gelegenheit haben werden, klarzustellen,<br />

was <strong>der</strong> Gesetzgeber gemeint hat und dass dann auch kein Dittmarscher Lan<strong>des</strong>recht<br />

gesprochen werden muss, son<strong>der</strong>n das, was <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>gesetzgeber will, dann auch klar<br />

ist. Ich habe eine Frage an Herrn Dr. Dienelt, weil <strong>der</strong> auch gesagt hat, schaffen Sie Klarheit<br />

als Gesetzgeber. Dann haben Sie gesagt, es geht nicht um den Auslän<strong>der</strong>, <strong>der</strong> seit 10<br />

Jahren trickst, son<strong>der</strong>n es geht um die Kin<strong>der</strong>. Was sollen wir denn machen. Heißt das, ein<br />

abgeleitetes Aufenthaltsrecht o<strong>der</strong> heißt das ein eigenes Aufenthaltsrecht für die Kin<strong>der</strong>?<br />

Und was soll dann mit den Familien geschehen? Wenn die zufälligerweise also erfolgreiche<br />

Kin<strong>der</strong> haben, bekommen diese trotzdem, obwohl sie getäuscht und getrickst haben,<br />

ein Bleiberecht o<strong>der</strong> nicht. Und das ist für mich die entscheidende Frage auch an die Kirchenvertreter.<br />

Erwarten sie von uns ein Bleiberecht, das auch Personen einschließt, die<br />

seit Jahren tricksen, die Mitwirkungsmöglichkeiten o<strong>der</strong> –verpflichtungen nicht erfüllen, die<br />

dadurch auch Sozialhilfe bezogen haben, sollen die in eine Bleiberechtsregelung, darüber<br />

müssen wir uns ja offen unterhalten. Sollen die mit hinein fallen. Wenn ich Herrn Schmäing<br />

richtig verstanden habe, ist das von Hessen bei <strong>der</strong>en Bleiberechtsregelung nicht gemeint<br />

o<strong>der</strong> das würde ich gerne hören, denn sonst könnte man ja fast sagen, man kann es so<br />

machen wie die Spanier, die Illegale dann auch in eine Bleiberechtsregelung einbezogen<br />

haben, die haben wenigstens noch gearbeitet und <strong>der</strong> Arbeitgeber ist dann dort in <strong>der</strong><br />

Möglichkeit gewesen, sozusagen, per Dekret einzuräumen, dass er mehrere Jahre jemanden<br />

beschäftigt hat. Und wenn dann noch 12 Monate Sozialleistungen vorbezahlt werden,<br />

bekommt <strong>der</strong> auch ein Bleiberecht. Ich bin für so eine weitgehende Regelung nicht. Ich<br />

meine, dass in solchen Fällen allenfalls über § 23 a über eine Härtefallregelung etwas gemacht<br />

werden muss, dass eine Bleiberechtsregelung nur für einen Personenkreis gelten<br />

kann, <strong>der</strong> nicht getrickst und getäuscht hat. Das würde ich eben gerne wissen, wie ist die<br />

hessische Linie in dem Fall. Erwarten die Kirchen von uns eine Bleiberechtsregelung, die<br />

diesen Personenkreis mit einbezieht. Vielleicht kann auch die Frage beantwortet werden:<br />

„Dann ist uns aber klar, dass diejenigen, die getrickst haben, nicht einbezogen sind“. Dass<br />

wir uns dann über 80 -90 % unterhalten, für die wahrscheinlich ein solches Bleiberecht<br />

nicht gilt. Und dann möchte ich aber auch, dass wir uns verständigen, dass hier eine konsequente<br />

Rückführung stattfindet. Da ist die Frage zum Beispiel auch: „Sind die Kirchen<br />

und auch die an<strong>der</strong>en Experten, die sich dazu geäußert haben, bereit, das dann mitzutragen?“<br />

Weil auch Herr Veit eine Kategorie von Gut und Böse eingeführt hat. Die Guten bleiben<br />

dann so hier, aber bei den Bösen vereinbaren wir auch, dass dann ohne großartigen<br />

Streit eine Rückführung konsequent umgesetzt wird.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Grindel. Dann würde ich mal Herrn Bruhns bitten, zu <strong>der</strong> Hessen-<br />

Frage von Herrn Veit eine Ausführung zu machen.<br />

Herr Bruhns:<br />

Herr Veit, ich kann das ganz kurz machen. In Hamburg, von den etwa 7.000 Ausreisepflichtigen,<br />

die wir noch haben, Afghanen und die an<strong>der</strong>n abgezogen, können Sie davon<br />

ausgehen, dass etwa 90 % zu denen gehören, die bewusst und ganz absichtlich ihre Ausreise<br />

verhin<strong>der</strong>n. Das ist lei<strong>der</strong> so. Das ist <strong>der</strong> ganz große Anteil neben denjenigen, die<br />

nicht in den Bereich gehören, Afghanen, die z.B. tatsächlich wegen fehlen<strong>der</strong> Rückschiebemöglichkeiten<br />

wirklich nicht abgeschoben werden konnten, auch nicht ausreisen konnten.<br />

Das ist die absolute Mehrheit, die liegt bei gut 80 – 90 %. Also sie würden einen riesigen<br />

Bereich haben, den man in so eine Regelung eh nicht mit einbeziehen könnte. Davon<br />

müssen wir jetzt langsam die abziehen, die nun, weil sie sich so lange hier festgesetzt haben,<br />

mittlerweile eben Familien gegründet haben, wo Kin<strong>der</strong> da sind. Da sehe ich auch das<br />

große Problem und da kann ich auch sagen, glauben Sie bitte nicht, dass Mitarbeiter von<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden das nicht berührt. Das sind für uns nicht die Bösen, das sind nur die<br />

Fälle, die uns Sorgen machen und die uns Schwierigkeiten machen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank. Dann würde ich mal zu <strong>der</strong> Beantwortung <strong>der</strong> Frage von Herrn Abg.<br />

Grindel kommen. Da sollte erst einmal Herr Dr. Dienelt, <strong>der</strong> angesprochen worden ist, und<br />

Herr Armbruster, Herr Schmäing und die Vertreterinnen <strong>der</strong> Kirche sprechen.


386<br />

Herr Dr. Dienelt:<br />

Das ist natürlich ein großes Problem, das sich insbeson<strong>der</strong>e für die Politik stellt, nämlich<br />

die Frage, wen man begünstigen will. Ich möchte jetzt mal dem Gut und Böse ein Grau<br />

hinzufügen. Denn das Problem, vor dem wir hier stehen, ist, dass wir nicht nur Leute haben,<br />

die tricksen. Wir haben auch nicht nur die guten Familien, um die wir uns sorgen. Wir<br />

haben dazwischen eine große Bevölkerungsgruppe, die eben aus dem ehemaligen Jugoslawien<br />

stammt, bei <strong>der</strong> wir allerdings ja <strong>im</strong> vollen Einverständnis hier den Aufenthalt auch<br />

hingenommen haben. Die haben wir über Jahre geduldet, weil wir sagten, ihr könnt nicht<br />

zurück, weil es dort euer Leib und Leben bedroht. Diese ist jetzt we<strong>der</strong> gut noch böse nach<br />

den Kategorien, aber sicherlich auch eine, die man nicht aus <strong>der</strong> Altfallregelung, wenn man<br />

eine machen würde, ausschließen würde. Und wenn man jetzt die Kin<strong>der</strong> betrachtet, um<br />

da anzuknüpfen, da denke ich schon, da ist die Politik gefragt. Aber ich habe keine Bedenken,<br />

dass man den Kin<strong>der</strong>n das Recht zunächst mal als eigenes zubilligt. Also <strong>der</strong> Art. 8<br />

EMRK als Schutz <strong>des</strong> Privatlebens ist eine eigenständige Rechtsposition, die dem Kind<br />

zunächst gebührt. Was Probleme macht, denn man muss sich fragen, ab wann kann denn<br />

ein Kind das Recht ausüben, ab wann hat das Kind soviel erbracht, dass es sich auf den<br />

Schutz dieses Grundrechts <strong>der</strong> Menschenrechtskommission berufen kann. Wenn wir unterstellen,<br />

die Voraussetzungen liegen vor, dann stellt sich natürlich die Frage <strong>der</strong> akzessorischen<br />

Familienangehörigen und insbeson<strong>der</strong>e dann natürlich <strong>der</strong> Eltern. Dort hängt es<br />

natürlich, wenn man die Rechtsposition am Kind festmacht, sehr davon ab, wie alt das<br />

Kind ist, ob es <strong>der</strong> Hege und Pflege <strong>der</strong> Eltern bedarf. Denn wenn das <strong>der</strong> Fall ist, wird uns<br />

die Menschenrechtskommission letztendlich dazu zwingen, den Aufenthalt <strong>der</strong> Eltern hinzunehmen,<br />

wenn wir den Aufenthalt <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> legalisieren. Dann hat das automatisch einen<br />

Nachzugeffekt, den wir auch nicht verhin<strong>der</strong>n können. Ob man die Eltern abspalten<br />

kann von den Kin<strong>der</strong>n, das wäre, wenn man das jetzt unter den Gesichtspunkten <strong>der</strong> Menschenrechtskonvention<br />

sieht und Art. 8 und die „Guten“ rausfiltern würde, wäre das möglich.<br />

Ob das humanitär geboten ist, gewollt ist, da würde ich ein großes Fragezeichen machen,<br />

insbeson<strong>der</strong>e wenn ich die große Gruppe sehe. Nämlich auch Eltern, bei denen man<br />

sagt, wenn sie hier nur geduldet waren, dass sie sich hier natürlich nicht aufhielten als<br />

„Trickser“, son<strong>der</strong>n weil wir ihnen den Aufenthalt hier ermöglicht haben in Form einer<br />

Handreichung und <strong>des</strong>wegen natürlich auch für die Integrationsleistung dieser Familie insgesamt<br />

Verantwortung tragen. Ich sehe natürlich auch durchaus eine Gruppe, und das ist<br />

Manövriermasse, die hier die Politik klären muss. Einzelfälle, wenn Leute ihren Pass wegwerfen,<br />

wenn sie sich hier aufhalten um Biegen und Brechen, nach Bedarf schnell noch<br />

mal einen Asylantrag stellen und dann die 10 Jahre zusammen haben. Ob man die begünstigen<br />

will? Das ist eine Frage, die die Politik beantworten muss. Ich halte das für rechtlich<br />

nicht zwingend. Ich könnte auch in so einem Fall damit leben, dass diese Personengruppe<br />

nicht erfasst wird. Ich halte das natürlich auch unter den Gesichtspunkten, die natürlich<br />

<strong>im</strong> politischen Raum stehen, wahrscheinlich für eher konsensfähig. Ich würde aber<br />

auf keinen Fall dafür votieren, nur weil diese Gruppe auch da ist, insgesamt auf eine Regelung<br />

zu verzichten. Lieber eine Regelung, die einen Großteil erfasst, als eine, die gar keine<br />

erfasst. Die Frage <strong>der</strong> Klassifizierung <strong>der</strong> Gruppe macht natürlich schon Schwierigkeiten.<br />

Meine Erfahrung ist übrigens schon eine an<strong>der</strong>e aus meinem Dezernat. Ich habe überwiegend<br />

Familien. Davon sind ca. 80 % aus dem Kosovo. D.h., das sind eigentlich welche, die<br />

gehören zu den „Guten“. Die, die Sie angesprochen haben, da habe ich überhaupt nur ein<br />

o<strong>der</strong> zwei und ich gebe zu, da ist die Motivation, den Aufenthalt zu legalisieren, auch bei<br />

mir nicht unbedingt sehr ausgeprägt. Aber das ist eine Entscheidung, die dann die Politik<br />

treffen müsste. Ob man die mit reinpacken möchte? Für zwingend halte ich das nicht unbedingt.<br />

Denn wir haben, und das wurde von Herrn Schmäing auch dargestellt, in <strong>der</strong> Tat<br />

nicht die Abschaffung <strong>der</strong> Kettenduldung <strong>im</strong> Blick, so dass man natürlich aus sagen könnte,<br />

es mag ein Bereich verbleiben, für den die Duldung natürlich auch noch seine Berechtigung<br />

hat. Dann ist das halt <strong>der</strong> Restbereich. Nur auf 80 % komme ich bei mir nicht. Bei mir<br />

schlägt das um. Höchstens 20 % dieser Gruppe, würde ich mal sagen, die nicht erfasst<br />

würde.<br />

Einruf (Herr Bruhns): …die kommen doch gar nicht zu Ihnen. Die brauchen Ihren Schutz<br />

nicht. Die erzwingen den Aufenthalt an<strong>der</strong>s. …Die sind einfach da…<br />

Herr Dr. Dienelt:<br />

Die sind aber nicht das Problem. Wir haben das Problem <strong>der</strong> großen „An<strong>der</strong>en“ und da<br />

denke ich dann schon, sollte man die Familie dann insgesamt natürlich ins Boot nehmen.


387<br />

Die Abgrenzungskriterien, die müssten auch bei einer Altfallregelung festgelegt werden,<br />

wenn man sie machen wollte und es nicht <strong>im</strong> Gesetz verankern wollte. Das ist eine an<strong>der</strong>e<br />

Frage die man behandeln müsste. Die Angrenzungsfragen sind äußerst schwierig, weil<br />

man natürlich irgendwelche Kriterien festlegen muss und da kommt es dann auch auf den<br />

Sozialhilfebezug u.ä. an. Wenn wir den Kin<strong>der</strong>n Rechte zubilligen, können wir ihnen nicht<br />

vorwerfen, dass sie ihren Lebensunterhalt sichern müssen. Kin<strong>der</strong> können <strong>im</strong> Alter von 16<br />

Jahren regelmäßig nicht den Lebensunterhalt sichern. D.h., auch das Aufenthaltsgesetz<br />

müssten wir än<strong>der</strong>n und die Bleiberechtsregelung entsprechend ausrichten.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Nun kommt Herr Armbruster dran.<br />

Herr Armbruster:<br />

Ich möchte kurz noch einen Fall schil<strong>der</strong>n, <strong>der</strong> die Problematik vielleicht noch einmal deutlich<br />

macht, die Sie, Herr Grindel, geschil<strong>der</strong>t haben. Ich sehe in Baden-Württemberg bei<br />

einem best<strong>im</strong>mten Gericht <strong>im</strong> Moment die Tendenz, Verfahren abzutrennen von Familien.<br />

Die Kin<strong>der</strong> werden dann über Art. 8 Privatleben entschieden. Dann wird es rechtskräftig<br />

und dann entscheidet man über die Eltern, die strafbar geworden sind und die sich so verhalten,<br />

wie sie das gerade geschil<strong>der</strong>t haben, entsprechend Familienleben und sagt, jetzt<br />

müssen die Eltern auch dableiben. Da steckt sicher eine riesige Gefahr dahinter. Nur ob<br />

Sie das verhin<strong>der</strong>n können, da habe ich meine Zweifel. Denn wenn Sie nichts tun, und da<br />

gebe ich Herr Dr. Dienelt recht, wenn Sie nichts tun, dann läuft die Rechtsprechung in diese<br />

Richtung, jedenfalls in Teilbereichen und dann müssen Sie abwarten, was letztlich in<br />

Straßburg entschieden wird zu diesem Problem. Und das würde ich, wenn ich Politiker wäre,<br />

zu vermeiden versuchen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank. Herr Schmäing bitte.<br />

Herr Schmäing:<br />

Die Gerichte werden <strong>im</strong>mer entscheiden, wie Gerichte halt entscheiden. Das ist nie so<br />

ganz zu verhin<strong>der</strong>n. Aber <strong>der</strong> Art. 8 EMRK ist in Hessen etwas an<strong>der</strong>s entschieden worden<br />

als es gerade geschil<strong>der</strong>t worden ist. Es gibt eine Entscheidung <strong>des</strong> VGH, die sich dezidiert<br />

mit dem Art. 8 EMRK auseinan<strong>der</strong>setzt. In dieser Entscheidung spielen zwei Gesichtpunkte<br />

eine Rolle. Der eine Gesichtspunkt ist die Frage einer Integration in Deutschland,<br />

aber <strong>der</strong> zweite, für den VGH anscheinend wesentlich entscheiden<strong>der</strong>e Fall ist die Möglichkeit<br />

einer Reintegration <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland. Der Art. 8 EMRK ist nicht einfach so ausgelegt<br />

worden, dass man sagt, „die sind halt lange in Deutschland und dann können sie halt bleiben,<br />

weil sie hier integriert sind“, son<strong>der</strong>n weil es eben keinen Anspruch darauf gibt sich<br />

sein Land auszusuchen, in dem man leben kann. Das sagt nämlich <strong>der</strong> Art. 8 EMRK nicht,<br />

son<strong>der</strong>n weil es auch die Frage beinhaltet, „kann <strong>der</strong>jenige auch in sein He<strong>im</strong>atland zurückkehren?“,<br />

und dabei ist dezidiert entschieden worden, dass es nicht allein nur auf den<br />

Aufenthalt <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> ankommt, son<strong>der</strong>n es ist genau entschieden worden, dass es vor allen<br />

darauf ankommt, wie die Familie sich verhalten hat, wie das Aufenthaltsrecht <strong>der</strong> Familie<br />

war und wie in diesem Zusammenhang sozusagen dann die Entscheidungen ergangen<br />

sind. Es ist doch ein bisschen komplizierter, als einfach zu sagen, „wenn die Kin<strong>der</strong> hier<br />

sind, dann lassen wir die Eltern auch hier“, also in Hessen scheint das jedenfalls nicht die<br />

Rechtsprechung zu sein, die sich möglicherweise durchsetzt. Wir werden das abwarten<br />

müssen, weil es ja noch mehrere Entscheidungen gibt. Genauso ist zum § 25 Abs. 5 noch<br />

keine abschließende Entscheidung getroffen worden, son<strong>der</strong>n das VG Darmstadt, das in<br />

dieser Frage gesagt hat, „…die Familie kann allein daraus, dass sie lange hier lebt, einen<br />

Anspruch herleiten…“, bei dieser Entscheidung ist vom VGH die Berufung zugelassen wegen<br />

ernstlicher Zweifel an <strong>der</strong> Richtigkeit <strong>der</strong> Entscheidung. Und nun werden wir mal abwarten,<br />

was <strong>der</strong> VGH dazu entscheidet. Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob das wirklich alles<br />

nur durch rechtliche Auslegung geklärt werden kann. Deshalb gibt es ja diesen Vorschlag.<br />

Übrigens noch ein Hinweis. Der § 25 Abs. 5 wird in Schleswig-Holstein und Rheinland-<br />

Pfalz so ausgelegt. Vielleicht überlegt man mal, wie die an<strong>der</strong>n Län<strong>der</strong> das auslegen. Das<br />

ist nicht nur in Hessen so. Deshalb ist schon die Frage, ob das jetzt wirklich so die gängige<br />

Richtung ist, o<strong>der</strong> ob es da nicht auch an<strong>der</strong>e Richtungen gibt, die bisher durch Rechtsprechung<br />

entsprechend auch sozusagen gebilligt worden sind. Und um diese Dinge dann aber


388<br />

zu bereinigen, gibt es auch den Vorschlag für die Bleiberechtsregelung. Und diese Bleiberechtsregelung,<br />

um diese Frage zu beantworten, schließt die Leute auf jeden Fall aus, die<br />

nicht mitgewirkt haben. Sie gilt wirklich, wenn man es so platt sagen kann, für die „Guten“ –<br />

die, wenn sie entsprechend integriert sind und Arbeit haben, auch bleiben können mit einer<br />

kleinen Erweiterung. Diejenigen, die also aus Sicht <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Arbeitsverwaltung<br />

die Arbeitsaufnahme nicht erlaubt bekommen haben, die können noch einen<br />

Arbeitsplatz suchen und nachweisen und dadurch zu ihrer Integration beitragen. Das<br />

sind aber auch nur wie<strong>der</strong>um diejenigen, die bisher <strong>im</strong>mer mitgewirkt haben. Das ist die Situation.<br />

Zu Zahlen kann ich lei<strong>der</strong> nichts sagen. Das ist genau unser Problem. Wir haben<br />

mal geschätzt, wie viel Leute arbeiten. Das ist aber das Problem, wie viel von den Leuten,<br />

die geduldet werden, arbeiten und dann hier bleiben können und da ist man so in etwa auf<br />

10 – 20 % gekommen. Wenn sie jetzt die Zahlen hören, die Duldungen, die zurück gegangen<br />

sind, ob das alles nur durch die Erteilung nach § 25 Abs. 5 erfolgt ist, daran habe ich<br />

auch meine Zweifel, aber gut. Das kann ich nicht nachweisen. Ich kann auch nicht nachweisen,<br />

wie die Zahlen in Hessen zurzeit aussehen, weil wir eben keine Zahlen dazu haben.<br />

Da müssen wir mal warten, werden wir <strong>im</strong> Juli vielleicht haben und da muss man die<br />

Zahlen miteinan<strong>der</strong> vergleichen und gucken, wie das wirklich in <strong>der</strong> Praxis in den einzelnen<br />

Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n aussieht. Das Entscheidende scheint mir eher zu sein, dass man diese<br />

Bleiberechtsregelung auch aus meiner Sicht nicht allzu lange auf sich warten lässt, wenn<br />

ich das noch mal so sagen darf, weil es sowohl für die Beteiligten als auch für die Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

und alle an<strong>der</strong>en ein ziemlich großes Problem ist. Und ob man es jetzt gesetzlich<br />

regelt o<strong>der</strong> durch einen Innenministerkonferenzbeschluss, das ist eine Entscheidung,<br />

die ich nicht zu treffen habe. Aber wichtig scheint mir zu sein, dass man möglichst<br />

bald zu einer Entscheidung kommt, spätestens <strong>im</strong> Herbst dürfte die Entscheidung da sein.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank Herr Schmäing. Jetzt hatten sich noch Herr Abg. Veit, Herr Pfaff und Herr<br />

Grindel gemeldet. Natürlich zuerst auch noch die kirchliche Vertreterin.<br />

Frau Allenberg:<br />

Herr Grindel, die Gruppe, um die es Ihnen geht, sind Familien mit min<strong>der</strong>jährigen Kin<strong>der</strong>n.<br />

Da sprechen wir uns natürlich ganz klar gegen ein Abspalten von Kin<strong>der</strong>n und Eltern aus.<br />

Das ist natürlich unter dem Gesichtspunkt „Schutz <strong>der</strong> Familien“ für uns absolut wichtig,<br />

dass diese Familien hier bleiben können. Da nehmen wir auch in Kauf, dass die Eltern sich<br />

vielleicht über die Zeit nicht nur korrekt verhalten haben. Aber die EKD, Bischoff Hubert,<br />

betont <strong>im</strong>mer, dass wir uns nicht für alle Menschen einsetzen, die lange hier sind und integriert<br />

sind. Z.B. Straffälligkeit ist ein Argument gegen einen Daueraufenthalt hier. Wobei<br />

ich da noch anmerken möchte, dass ich mal in einem Gespräch mit einem FDP-<br />

Abgeordneten darauf hingewiesen worden bin, das fand ich sehr interessant, dass Menschen,<br />

die sich wegen schwerer Straffälligkeit lange Zeit hier <strong>im</strong> Strafvollzug befunden haben,<br />

durch die Resozialisierungsmaßnahmen beson<strong>der</strong>s gut in Deutschland integriert seien,<br />

und das solle man auch bedenken. Das finde ich einen interessanten Hinweis. Wie gesagt,<br />

Bischoff Huber hat sich da nicht für alle Menschen ausgesprochen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Frau Allenberg, unter Integration hatte ich mir ein bisschen was an<strong>der</strong>es vorgestellt. Aber<br />

herzlichen Dank.<br />

Frau Allenberg:<br />

Ich möchte auch darauf hinweisen, das war nicht meine Meinung.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herr Veit, bitte noch einmal.<br />

Herr MdB Veit:<br />

Also die Zahlen aus Hamburg verwun<strong>der</strong>n mich ein bisschen. Aus den Zeiten, wo ich für<br />

die Auslän<strong>der</strong>behörde 12 Jahre zuständig war, weiß ich und von dem Leiter, dass eher die<br />

Zahl bei 70 % liegt <strong>der</strong>jenigen, die vorzugsweise als sonst nicht weiter auffällig gewordene<br />

Familienverbünde – nach Personenzahl wohl gemerkt gerechnet – eben von einer <strong>der</strong>artigen<br />

Regelung hätten begünstigt werden können. Da gibt es offensichtlich dann wohl mas-


389<br />

sive regionale Unterschiede o<strong>der</strong> aber möglicherweise auch an<strong>der</strong>e Verfahrensstände,<br />

wenn Sie sagen, die sind einfach faktisch da. Na klar, die gibt es auch. Über die laufen keine<br />

Verfahren, da reden wir auch nicht über die Frage <strong>der</strong> Umwandlung in eine Aufenthaltserlaubnis,<br />

da haben wir ganz an<strong>der</strong>e Sorgen. Wenn es aber so ist, dass wir jetzt schon<br />

richtigerweise diskutieren, kann man denn, wenn wir die Familien begünstigen wollen, namentlich<br />

die Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen, und können wir die von ihren Eltern auch sinnvollerweise<br />

gar nicht abtrennen. Wenn wir, wie auch einer von Ihnen gesagt hat, auch gar<br />

nicht fadengrad <strong>im</strong>mer danach gehen können, ob nun wirklich <strong>der</strong> Lebensunterhalt <strong>der</strong><br />

ganzen Familie gesichert ist. Wenn wir vielleicht zwischen „schwarz“ und „weiß“ und „grau“<br />

und den „Schattierungen“ dazwischen und den Grenzen leichte Zweifel hab, gebe ich noch<br />

mal zu bedenken: wären wir dabei vielleicht nicht besser beraten, <strong>im</strong> Sinne einer generellen<br />

und meinetwegen einer etwas großzügiger bemessenen Übergangsregelung, die eben<br />

z.B. auch die Einführung <strong>des</strong> Familienflüchtlingsschutzes und <strong>des</strong> Familienasyls berücksichtigt,<br />

wären wir nicht mit einer solchen Übergangsregelung besser in <strong>der</strong> Lage, jetzt klare<br />

Voraussetzungen zu schaffen, auch für die betroffenen Familien? Ohne dass wir, das<br />

sage ich jetzt mal auch an die Adresse <strong>des</strong> Koalitionspartners bzw. <strong>der</strong>er, die sonst da<br />

Sorge habe, ohne dass wir dann nämlich, wenn wir das jetzt einmal machen würden, nämlich<br />

mit Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes, ob wir dann nicht in <strong>der</strong> Lage wären zu<br />

sagen, „…gut, dann haben wir wenigstens keinen Pull-Effekt…“.. Mit an<strong>der</strong>en Worten,<br />

wenn wir jetzt in <strong>der</strong> Frage gegenüber allen, die hier schon leben, meinetwegen durchaus<br />

etwas großzügiger sind in <strong>der</strong> Interpretation und in <strong>der</strong> Erstreckung <strong>des</strong> Personenkreises,<br />

meinetwegen auch auf die Eltern, meinetwegen auch auf solche, die nicht 100 % ihren Lebensunterhalt<br />

gesichert haben. Wäre das dann nicht eventuell die sinnvollere Lösung, bevor<br />

wir weiter über weitere Gesetzesän<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> Bleiberechtsregelungen nachdenken,<br />

über die es evtl. alsbald keine Einigung gibt - Herr Schmäing hatte recht, es muss bald was<br />

passieren - bevor wir da an diesen beiden Instrumenten weiter doktern, würde mich Ihre<br />

Meinung interessieren.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Dann hatte sich Herr Dr. Marx gemeldet.<br />

Herr Dr. Marx:<br />

Zum Art. 8 wollte ich doch noch was sagen, zur Rechtsprechung <strong>des</strong> EuGH, die ja wie<strong>der</strong>holt<br />

zitiert worden ist. Ich glaube, man sollte für eine gestalterische Politik, wo es darum<br />

geht, wie gehen wir mit humanitären Sachverhalten in <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungspolitik um, nicht<br />

nach Straßburg schauen, weil <strong>der</strong> Straßburger Gerichtshof <strong>im</strong>mer sehr zurückhaltend ist<br />

mit einem Eingriff in die Steuerungskompetenzen <strong>der</strong> Vertragsstaaten. Sie sehen das bei<br />

<strong>der</strong> ersten Entscheidung „Söring“, wo es um Auslieferung ging, Art. 3 To<strong>des</strong>strafe und damit<br />

<strong>im</strong> Zusammenhang stehende unmenschliche Behandlung, wo er <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> betont<br />

hat, und das hat er seit 15 Jahren gemacht, dass er nicht in die Handlungskompetenzen,<br />

die Steuerungskompetenzen <strong>der</strong> Vertragsstaaten eingreifen will. Und wenn wir auf Straßburg<br />

schauen, geht es <strong>im</strong>mer um Vertragsverletzungen. Politik ist ja nicht nur das Gestalten<br />

von Grenzfällen, son<strong>der</strong>n etwas weitergehend. Die Schutznorm fängt ja nicht erst bei<br />

den Grenzen an, son<strong>der</strong>n vorher. Von daher denke ich, ist also das Schauen nach Straßburg<br />

nur für die Extrembereiche sinnvoll. Ansonsten zum Art. 8: - und das ist auch die<br />

Rechtsprechung <strong>des</strong> Europäischen Gerichtshofes - die EMRK ist ein Vertrag zur kollektiven<br />

Durchsetzung <strong>der</strong> Menschenrechte, soll das Handeln <strong>der</strong> Staaten, auch das Verwaltungshandeln<br />

generell leiten. Noch ein letzter Punkt, aber da geht es wirklich um eine<br />

rechtliche Frage auch nach <strong>der</strong> Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR. Der VGH Baden-<br />

Württemberg sagt das sehr stark. Ich glaube, <strong>der</strong> Hessische VGH sagt das gar nicht so<br />

stark. Die schauen auf die Reintegration <strong>der</strong> Jugendlichen und Kin<strong>der</strong>. Hessen macht das<br />

auch, ja. Also sie sagen erst, die Integration in die hiesigen Verhältnisse ist gegeben. Gute<br />

Sprachkenntnisse, langjährige Schulausbildung, deutsche Freunde, an<strong>der</strong>e Freunde, jedenfalls<br />

von <strong>der</strong> Gesamtbreite <strong>der</strong> Aspekte eine Integration. Und dann schauen sie noch<br />

auf die Möglichkeit <strong>der</strong> Reintegration. Das ist mit <strong>der</strong> Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR, so wie<br />

ich sie verstehe, nicht vereinbar. Der EGMR hat diese Rechtsprechung entwickelt an dem<br />

Ausweisungsschutz von Angehörigen <strong>der</strong> zweiten Generation. Wo es gar nicht um die Frage<br />

ging, ob die jetzt eine Zulassung zum Vertragsgebiet haben o<strong>der</strong> nicht, die waren hier.<br />

Im Wege <strong>des</strong> Nachzugs. Und dann ging es um die Frage, „Kann ich bei Straftaten ohne<br />

weiteres ausweisen und abschieben?“. Und da hat <strong>der</strong> EGMR seine Rechtsprechung entwickelt<br />

und hat die Grenzen festgelegt. Und diese Rechtsprechung wird jetzt fruchtbar gemacht<br />

<strong>im</strong> Zusammenhang mit, bei uns § 25 Abs. 5, aber das Problem scheint ja in an<strong>der</strong>en


390<br />

Vertragsstaaten nicht an<strong>der</strong>s zu sein, denn wir haben ja in an<strong>der</strong>en Vertragsstaaten eine<br />

ähnliche Problematik, wo Flüchtlinge o<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>, Jugendliche von Flüchtlingsfamilien<br />

langjährig in dem jeweiligen Vertragsstaat waren und sind und wo sie nicht abgeschoben<br />

wurden. Und wo sich dann die Frage stellt, hat sich nicht eine Integration und damit ein<br />

Anspruch auf eine Herstellung eines rechtmäßigen Aufenthalts herausgebildet. Das ist eine<br />

ganz an<strong>der</strong>e Problematik als bei den Ausweisungsfällen. Und da ist <strong>der</strong> EGMR sehr zurückhaltend,<br />

da würde ich auch nicht allzu viel erwarten. Aber bei <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Frage <strong>der</strong><br />

Reintegration, da hat <strong>der</strong> EGMR klar gesagt: Entfremdung von den Verhältnissen <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland,<br />

und das ist eine sehr kasuistische Rechtsprechung, aber er hat nicht gesagt,<br />

kann <strong>der</strong> Betreffende sich wie<strong>der</strong> reintegrieren, wenn er hier ist und integriert ist. Man hat<br />

nur geschaut in <strong>der</strong> Vergangenheit, gibt es Anhaltspunkte, Besuchsreisen, Kontakte, gegenseitiger<br />

Besuchsverkehr und Bindungen an das He<strong>im</strong>atland. Das faktische Beherrschen<br />

<strong>der</strong> Sprache, nicht die potenzielle Möglichkeit, wie es <strong>der</strong> VGH Baden-Württemberg<br />

ausdrückt. Dass er möglicherweise die Sprache <strong>des</strong> He<strong>im</strong>atlan<strong>des</strong> beherrscht. Das ist ein<br />

Etwas, was über die Rechtsprechung <strong>des</strong> EGMR hinausgeht. Aber ich bin auch <strong>der</strong> Meinung,<br />

man sollte das mit einer generellen abstrakten Regelung machen, so wie in Hessen,<br />

und da bin ich durchaus <strong>der</strong> Meinung, dass das ein guter Vorschlag ist. Er geht ja sehr weit<br />

über Art. 8 hinaus. Wenn Sie das bei 5 bis 6 Jahren Aufenthalt anwenden, dann noch die<br />

Möglichkeit, dass nicht nur diejenigen, die <strong>im</strong> Besitz einer Arbeitsstelle sind, son<strong>der</strong>n die<br />

die in den Besitz einer Arbeitsstelle kommen können aufgrund von vernünftigen Anhaltspunkten.<br />

Dann hätten wir nicht diese ganze Diskussion, diese Diskussion haben wir nur<br />

aufgrund politischer Versäumnisse. In den letzten Jahren ist versäumt worden für die <strong>im</strong>mer<br />

größer werdende Gruppe von diesen Personen, von denen wir sprechen und von an<strong>der</strong>en<br />

Personen, für die keine Regelung getroffen worden ist.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Dr. Marx. Dann kommt jetzt <strong>der</strong> Herr Pfaff dran, <strong>der</strong> hatte sich schon seit<br />

geraumer Zeit gemeldet und danach noch einmal Herr Grindel. Ich selbst habe auch noch<br />

eine Frage.<br />

Herr Pfaff:<br />

Ich kann mich jetzt ganz kurz fassen nach dem Beitrag <strong>des</strong> Kollegen Dr. Marx. Der Art. 8<br />

Abs. 2 sagt ja Folgen<strong>des</strong>: wenn ein Eingriff in eines <strong>der</strong> Rechtsgüter <strong>des</strong> Abs. 1 vorliegt<br />

und in den Fällen, um die es uns geht ist es sicherlich ein Eingriff in das Privatleben. Das<br />

ist unstreitig. Dann kommt die nächste Frage und wie es <strong>im</strong> Art. 2 heißt, muss geprüft werden,<br />

ob dieser Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist. Und das ist die<br />

Frage, die sich die Rechtsprechung <strong>des</strong> VGH eben gerade nicht vorgelegt hat. Wir müssen<br />

uns fragen, ist es notwendig diese Familie mit drei Kin<strong>der</strong>n zurückzuschicken. Welche<br />

staatlichen Interessen zwingen uns, dieses so zu machen. Und da kommt jetzt das, was<br />

bei uns <strong>der</strong> Grundsatz <strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit ist und Art. 8 Abs. 2 ist nichts an<strong>der</strong>es als<br />

die europarechtliche Ausgestaltung <strong>des</strong> Grundsatzes <strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit. Es muss<br />

gegeneinan<strong>der</strong> abgewogen werden. Und welche staatlichen Interessen zwingen uns denn<br />

zu diesem Schritt. Brauchen wir denn keine integrierten Kin<strong>der</strong> mehr?<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herr Grindel Sie wollten nicht mehr. Dann wollte ich meine Frage an Herrn Sprung stellen.<br />

Herr Sprung, es wurde ja vom UNHCR-Vertreter, Herrn Dr. Bank, hier vehement dargelegt,<br />

dass Ihre Wi<strong>der</strong>rufspraxis gegen GFK verstößt. Das möchte ich jetzt doch noch einmal klar<br />

gestellt haben, dass das nicht <strong>der</strong> Fall ist. (Gelächter).<br />

Herr Sprung:<br />

Das Ziel ist vorgegeben. Das ist auch richtig so, dass wir nicht gegen die GFK verstoßen.<br />

Ich gebe ihnen eines zu, dass wir gegen Ihre Interpretation <strong>der</strong> GFK verstoßen, aber es ist<br />

schließlich nationale Sache, die GFK umzusetzen. Nach unserer Auffassung ist das korrekt<br />

geschehen und ich habe auch noch kein Gericht gesehen, das uns das abgesprochen hat.<br />

Herr Dr. Bank:<br />

Es gab schon zahlreiche Gerichte, die da von <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>amtslinie abgewichen sind. Allerdings<br />

waren es lei<strong>der</strong> nur erstinstanzliche Gerichte und das Bun<strong>des</strong>verwaltungsgericht ist<br />

jetzt Ihrer Linie gefolgt, das ist richtig. Trotzdem kommen wir aufgrund <strong>der</strong> Auslegung <strong>der</strong><br />

GFK zu einem an<strong>der</strong>en Ergebnis.


391<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank. Herr Mengel hatte sich noch gemeldet.<br />

Herr Mengel:<br />

Eine Anmerkung. Für uns ist dann doch eher das Bun<strong>des</strong>verwaltungsgericht maßgeblich.<br />

Da bitte ich um Verständnis. Das ist nun mal so. Aber dann hätte ich vielleicht noch eine<br />

Frage an den Herrn Sprung bei <strong>der</strong> Gelegenheit zu dem etwas an<strong>der</strong>en Thema „Nichtstaatliche<br />

Geschlechtsspezifische Verfolgung“. Und zwar hatten Sie gesagt, es sind relativ<br />

wenige Fälle. Wahrscheinlich ist es auch von Interesse zu sagen, was sind denn das für<br />

Fälle. Also die weibliche Genitalverstümmelung sicherlich, nur was haben Sie noch an Fällen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Danke sehr.<br />

Herr Sprung:<br />

Im Augenblick muss ich passen. Diese Fälle habe ich gerade nicht präsent. Also in einigen<br />

Staaten ist es so gewesen, dass man gesagt hat, die Gruppe <strong>der</strong> Frauen ist in jedem Fall<br />

in diesem Staate betroffen bei <strong>der</strong> Genitalverstümmelung und in an<strong>der</strong>en Bereichen hat<br />

man gesagt, Frauen, die beson<strong>der</strong>s westlich geprägt sind und allein stehend sind, dass<br />

das die zusätzlichen Kriterien sind, die die soziale Gruppe so definieren.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Sprung sonst können Sie Herrn Mengel morgen früh ein „Privatiss<strong>im</strong>um“<br />

geben, wenn Sie das recherchiert haben.<br />

Möchten Sie noch weitere Fragen stellen zum Bereich „Illegalität“? Haben wir an sich ja<br />

noch nicht so recht behandelt.<br />

Das ist nicht <strong>der</strong> Fall.<br />

Härtefallkommission war auch ein dritter Block. Gibt es da Fragen? Es gibt keine Fragen<br />

mehr. Auch wohl angesichts <strong>der</strong> fortgeschrittenen Zeit. Gut, dann würde ich das mal mit<br />

einem Fazit schließen wollen.<br />

Das Fazit ist naturgemäß nicht sehr detailliert.<br />

1. Nach unserem Eindruck ist es so, dass dieses Thema „Humanitäres“ <strong>der</strong> kontroverseste<br />

Themenblock - das wird Sie nicht überraschen – ist.<br />

Wie <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsverfahren, insbeson<strong>der</strong>e <strong>im</strong> Vermittlungsausschussverfahren<br />

zeigen sich hier unterschiedliche Sichtweisen entsprechend den unterschiedlichen politischen<br />

Sichtweisen <strong>im</strong> Gesetzgebungsverfahren. Es gibt eine unterschiedliche Anwendungs-<br />

und Rechtsprechungspraxis. Teilweise ist hier heute die Auffassung geäußert<br />

worden, dass § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG <strong>im</strong> Sinne einer Ausdehnung auf vollziehbar<br />

Ausreisepflichtige und auf Fälle <strong>der</strong> Unzumutbarkeit präzisiert werden sollten,<br />

weil dies dem Willen <strong>des</strong> Gesetzgebers entspreche. Teilweise ist hier genau das Gegenteil<br />

dargestellt worden von den Experten. Da <strong>der</strong> Gesetzgeber best<strong>im</strong>mte Gruppen<br />

von Kettenduldungen nicht abschaffen wollte.<br />

2. Insgesamt sollte bei § 25 Abs. 4 und 5 entwe<strong>der</strong> in dem einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Sinne<br />

Rechtsklarheit erzielt werden.<br />

3. Die Frage einer Bleiberechtsregelung ist auch von vielen Teilnehmern angesprochen<br />

worden und es bestand von vielen <strong>der</strong> Wunsch, dass es zu einer Bleiberechtsregelung<br />

kommt, ohne zu präzisieren, wie sie aussehen soll. Es ist auch diskutiert worden,<br />

allein Kin<strong>der</strong> zu begünstigen, wobei das dann wie<strong>der</strong> schwierig ist hinsichtlich ihrer Eltern,<br />

und ob sie getrennt werden könnten.<br />

4. Kritisch hat sich UNHCR zur Vereinbarkeit <strong>des</strong> neuen Rechts mit <strong>der</strong> GFK geäußert.<br />

Diese Kritik wird hier zur Kenntnis genommen von uns und wird vom BAMF, das haben<br />

Sie eben noch einmal gehört, in dieser Pauschalität nicht geteilt.<br />

5. Härtefallkommissionen werden weitestgehend positiv angesehen und man ist sich aber<br />

<strong>im</strong> Klaren, dass die Vielzahl <strong>der</strong> Fälle nicht über Härtefallkommissionen geklärt<br />

werden können. Ich glaube, da bestand hier wohl wirklich Einigkeit.


392<br />

6. Illegalität wird von einigen Experten als gesetzgeberischer Bedarf gesehen. Auf <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en Seite ist jegliche aufenthaltsrechtliche Besserstellung auch abgelehnt worden<br />

von einigen Experten. Sie wissen, dass es einen Koalitionsvertrag gibt, in dem dieser<br />

Punkt noch einmal als Prüfauftrag aufgenommen worden ist. Das ist heute nicht die<br />

Erledigung <strong>des</strong> Prüfauftrages. Der Themenkomplex wird uns weiterhin in <strong>der</strong> Diskussion<br />

bleiben. Das Thema ist noch nicht beendet und wir werden das weiter <strong>im</strong> Blick<br />

haben.<br />

Das wäre meine Zusammenfassung. Etwas pauschal wie be<strong>im</strong> letzten Mal hat Herr Veit<br />

das letzte Wort zur Zusammenfassung.<br />

Herr MdB Veit:<br />

Herr Abteilungsleiter, mir fällt noch ein letzteres Wort ein. Ich hatte mich zur Illegalität gemeldet,<br />

weil das nun völlig untergegangen ist und wollte zum Beitrag von Frau Dr. Franz<br />

sagen, bitte diskutieren Sie mit uns o<strong>der</strong> auch in Ihren Kreisen, ob alternativ zur Frage <strong>der</strong><br />

Gesetzesän<strong>der</strong>ung nicht möglicherweise be<strong>im</strong> Thema „Meldepflichten“ und „Strafbarkeit“<br />

auch eine entsprechende Klarstellung in den vorläufigen Anwendungshinweisen o<strong>der</strong> späteren<br />

Verwaltungsvorschriften ausreichend wäre. Als politischer Wille könnte das ja wenigstens<br />

dann den betroffenen Berufsgruppen ein entsprechen<strong>der</strong> Rückhalt sein. Und eine<br />

zweite Bemerkung zum Thema „Schulpflicht“. Lei<strong>der</strong> haben wir ja auch in unseren Debatten<br />

und Überprüfungen festgestellt, dass es einige Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> gibt, die Kin<strong>der</strong> von Illegalen<br />

ausdrücklich von <strong>der</strong> Schulpflicht ausnehmen. Mein He<strong>im</strong>atland Hessen gehört lei<strong>der</strong><br />

dazu. Damit diskutieren wir noch eine ganz an<strong>der</strong>e Qualität. Schließlich die letzte Bemerkung<br />

zu dem Thema. Da keine Ansprüche nach dem KJHG für die Kin<strong>der</strong> von Illegalen bestehen,<br />

haben wir ja diesen einen uns bisher bekannt gewordenen Fall <strong>der</strong> Veruntreuung<br />

öffentlicher Gel<strong>der</strong>. Das ist ein Thema, was wir auch diskutieren müssen. Also diese beiden<br />

Fragen: rechtliche Unzulässigkeit von Schulbesuch und die Frage <strong>der</strong> Veruntreuung<br />

öffentlicher Gel<strong>der</strong> müssen wir min<strong>des</strong>tens genauso diskutieren wie die Frage <strong>der</strong> Strafbarkeit<br />

und Mitteilungspflicht, um <strong>der</strong> betroffenen Bevölkerungsgruppe zu helfen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Ganz herzlichen Dank. Ich würde dann die Sitzung für heute schließen und morgen ist Beginn<br />

um 8:30 Uhr mit dem Thema „Rückführung“. Dann haben wir noch „Familiennachzug“,<br />

„Spätaussiedler“, „Integration und Gesellschaft“ und „Staatsangehörigkeit“. Ich wünsche<br />

Ihnen einen schönen Abend und wir sehen uns morgen pünktlich 8:30 Uhr.<br />

VI. Themenkomplex Rückführung<br />

1. Anmo<strong>der</strong>ation durch Herrn Dr. Lehnguth<br />

Guten Morgen meine Damen und Herren, wir wollen pünktlich den <strong>Praktiker</strong>-<br />

<strong>Erfahrungsaustausch</strong> fortsetzen. Ich sehe aber, dass die Reihen noch ein bisschen gelichtet<br />

sind. Es werden wahrscheinlich einige noch etwas später kommen. Also noch einmal:<br />

Seien Sie ganz herzlich begrüßt hier heute Morgen.<br />

Wir haben jetzt vor uns den 4. Themenkomplex: Rückführung. Das ist auch ein sehr sehr<br />

wichtiger Bereich für uns und auch für die Län<strong>der</strong>. Vorrangiges Ziel <strong>der</strong> Gestaltung einer<br />

konsequenten Auslän<strong>der</strong>politik ist eben auch die vorzugsweise freiwillige Rückkehr von vorübergehenden<br />

Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen, aber auch zusammenhängend damit<br />

die Durchsetzung <strong>der</strong> Ausreisepflichten von Auslän<strong>der</strong>n, die kein Recht haben, in Deutschland<br />

zu bleiben. Als ein wirksames Mittel haben wir eine Reihe von Rückübernahmeabkommen<br />

geschlossen, 28. an <strong>der</strong> Zahl; ich selbst habe nahezu 20 ausgehandelt. Ich kann<br />

mich noch gut erinnern, wie schwierig dieses Verfahren ist. Mit Vietnam (beispielsweise)<br />

haben wir zwei Jahre verhandelt. Ich meine schon, wenn ich da zurückblicke, dass sich<br />

das sehr gelohnt hat. Und gerade das Abkommen mit Vietnam läuft in den letzten Jahren<br />

nach anfänglichen großen Schwierigkeiten sehr gut. Trotzdem ist es natürlich so, dass letzten<br />

En<strong>des</strong> hier doch noch große Schwierigkeiten bestehen. Gestern ist ja hier schon mal<br />

die Zahl genannt worden. Wir haben 367.000 ausreisepflichtige Auslän<strong>der</strong>, die in Deutsch-


393<br />

land leben (Stichtag: 31. Dezember letzten Jahres). Vor einigen Jahren hatten wir noch<br />

500.000. Hier sind also schon sichtbare Erfolge zu verzeichnen, wenn ich das einmal sagen<br />

darf. Und hieran ist anzuknüpfen und daran zu erinnern, dass einige Herkunftslän<strong>der</strong><br />

nur unzureichend kooperieren, dass aber auch die Betroffenen sich häufig weigern, ihre<br />

Identität klären zu lassen. Zahlen <strong>des</strong> BAMF belegen, dass eine große Zahl von Asylantragstellern,<br />

aber auch sonstigen Auslän<strong>der</strong>n ihre Identität zu verschleiern versucht. Bei<br />

den Asylbewerbern sind das über 70 Prozent, wenn ich das recht erinnere und wir wollen<br />

uns hier jetzt mit diesem Thema befassen. Ich darf Ihnen erstmal den Leiter <strong>des</strong> Amtes für<br />

zentrale Auslän<strong>der</strong>angelegenheiten von <strong>der</strong> Clearingstelle Rheinland-Pfalz für Passersatzbeschaffung<br />

und Flugabschiebung bei <strong>der</strong> Stadt Trier; Herr Martini-Emden, vorstellen, <strong>der</strong><br />

neben mir sitzt. Er hat mich schon häufig begleitet bei Rückübernahmegesprächen. Nächste<br />

Woche, Montag und Dienstag, kommt beispielsweise eine chinesische Delegation nach<br />

Berlin, wo auch Herr Martini-Emden wie<strong>der</strong> teiln<strong>im</strong>mt, um die Chinesen zu bewegen, sog.<br />

Identifizierungs-Gespräche mit den Län<strong>der</strong>n wie<strong>der</strong> zu initiieren. Das wird uns auch gelingen,<br />

Herr Martini-Emden, meine ich. Dann haben wir zweitens den Leiter <strong>der</strong> zentralen<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde <strong>der</strong> Stadt Dortmund, Herrn Weller. Der ist insbeson<strong>der</strong>e mit türkischen<br />

Staatsangehörigen, wenn ich das hier recht lese, befasst, die sich unter falscher Identität<br />

nach Deutschland begeben haben, beispielsweise angebliche Libanesen sind. Links von<br />

mir sitzt Herr Lindemann, den kenne ich auch schon seit Jahren. Er ist Leiter <strong>der</strong> zentralen<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde <strong>der</strong> Stadt Düsseldorf. Das ist die zentrale Rückführungsstelle in Nordrhein-Westfalen.<br />

Und neben ihm sitzt die Referentin aus dem Nie<strong>der</strong>sächsischen Ministerium<br />

für Inneres und Sport, Frau Stellmacher, die wir gestern schon gehört haben, die auch<br />

zu diesem Bereich sprechen wird. Und ganz links sitzt Frau Hitz, die Sachgebietsleiterin für<br />

Grundsatzangelegenheiten <strong>der</strong> Rückführung in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>polizeidirektion Koblenz. Dann<br />

darf ich zunächst einmal Herrn Martini-Emden bitten, sein Beitrag zu leisten, bitte schön.<br />

2. Herr Martini-Emden<br />

Guten Morgen. Herr Dr. Lehnguth hat mich ja schon vorgestellt und meine Funktion. Wir<br />

beschäftigen uns <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Passbeschaffung und Flugabschiebung <strong>im</strong> Wesentlichen<br />

mit den Identitätsklärungsproblemen. Neben dem Problem <strong>der</strong> Nichtrückführbarkeit bei beson<strong>der</strong>en<br />

Herkunftsstaaten o<strong>der</strong> Regionen wegen <strong>der</strong> dort herrschenden Umstände (Irak,<br />

Afghanistan, Kosovo usw.) stellt die Nichtrückführbarkeit wegen Identitätsklärungsproblemen<br />

das quantitativ größte Rückführungsproblem dar.<br />

Bei den Identitätsklärungsproblemen sind zwei große Bereiche strukturell zu unterscheiden,<br />

nämlich das Mitwirkungsverhalten <strong>der</strong> ausreisepflichtigen Personen einerseits und<br />

das Kooperationsverhalten <strong>der</strong> potentiellen Herkunftsstaaten an<strong>der</strong>erseits. Im praktischen<br />

Verfahren kumulieren die beiden Problembereiche regelmäßig in unterschiedlicher Intensität,<br />

so dass die Problemkonstellation von Staat zu Staat und innerhalb <strong>der</strong> Staaten eben<br />

auch von Fall zu Fall durchaus unterschiedlich ausgestaltet ist. Vor diesem Hintergrund,<br />

denke ich, wird deutlich, dass es eigentlich keine „Patentrezepte“ geben kann und dass<br />

hier Problemlösungen nur in eingeschränktem Maße gesetzgeberischen Lösungen zugänglich<br />

sind. Die Komplexität <strong>der</strong> Problemstellungen erfor<strong>der</strong>t <strong>des</strong>halb nach Ansicht <strong>der</strong><br />

<strong>Praktiker</strong> ein „Drehen an allen Stellschrauben“, so weit es jeweils opportun und machbar<br />

ist.<br />

Das als Vorbemerkung; und dann möchte ich zu den ersten genannten beiden Problembereichen<br />

kommen, nämlich:<br />

das Kooperationsverhalten <strong>der</strong> Herkunftsstaaten<br />

Die völkergewohnheitsrechtliche Situation ist, dass <strong>der</strong> abgebende Staat dem aufnehmenden<br />

Staat gegenüber zum Nachweis verpflichtet ist, dass es sich um seinen Staatsangehörigen<br />

handelt und dass er <strong>des</strong>halb zur Rückübernahme verpflichtet ist. Da es zur Ausgestaltung<br />

dieses Beweisverfahrens keinerlei verbindliche Normen gibt, obliegt – außer eben<br />

in Fällen mit gültigen Nationalpässen – die Ausgestaltung dem jeweiligen Staat. Diese Situation<br />

wird von vielen Staaten in unterschiedlichster Form und Intensität angewendet und<br />

ausgenutzt, um ihre eigenen Vorstellungen über ein Bleiberecht für die Betroffenen durchsetzen<br />

zu können. Dies geschieht mehr o<strong>der</strong> weniger offen. Ein Staat wie Nigeria geht bei-


394<br />

spielsweise so weit, wenn einem einzelnen Nigerianer aus seiner Sicht „behördliches Unrecht“<br />

geschehen ist, die gesamte Kooperation mit den deutschen Behörden über Monate<br />

einzustellen, was man bei über 4.000 offenen Passbeschaffungsfällen für vermutlich nigerianische<br />

Staatsangehörige durchaus auch als Erpressung bezeichnen könnte, meine ich.<br />

Eine Reihe von Staaten setzen sich zudem über das Völkergewohnheitsrecht völlig hinweg,<br />

indem sie auch bei nachgewiesener Staatsangehörigkeit <strong>der</strong> betroffenen Personen<br />

direkt o<strong>der</strong> indirekt auf nachgewiesener Freiwilligkeit zur Ausreise durch den Betroffenen<br />

bestehen. Allein diese eindeutig völkerrechtswidrige Verfahrensweise wird aktuell von min<strong>des</strong>tens<br />

8 Staaten praktiziert und betreffen ca. 22.000 Ausreisepflichtige, die also ihre<br />

Freiwilligkeit gegenüber <strong>der</strong> Vertretung erklären müssen. Ansonsten gibt es keine Rückreisedokumente.<br />

Die von den Fachdienststellen für Fragen <strong>der</strong> Passbeschaffung erstellte<br />

sog. Problemstaatenliste, also die Liste <strong>der</strong> Staaten mit Rückführungsschwierigkeiten <strong>im</strong><br />

Bereich <strong>der</strong> Passersatzbeschaffung, umfasst <strong>der</strong>zeit 26 Staaten. Betroffen sind davon über<br />

60.000 offene Fälle, mit steigen<strong>der</strong> Tendenz. Es ist dazu aber eindeutig festzustellen, dass<br />

bei den meisten <strong>der</strong> aufgeführten Problemstaaten bei entsprechen<strong>der</strong> Mitwirkung <strong>der</strong> Ausreisepflichtigen<br />

auch Reisedokumente zu erhalten sind. Der Schluss, dass die Problemstaaten<br />

auch die willentliche Rückkehr ihrer Staatsangehörigen verhin<strong>der</strong>n, ist eigentlich<br />

fast <strong>im</strong>mer falsch.<br />

Mit nationalen Gesetzen ist natürlich das Kooperationsverhalten an<strong>der</strong>er souveräner Staaten<br />

nicht wirklich zu beeinflussen. Somit haben auch die Regelungen <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

hier keine echten Auswirkungen gezeigt, mit Ausnahme einer in Teilen verstärkten<br />

Reflektion auf humanitäre Aufenthaltsrechte für die eigenen Staatsangehörigen, insbeson<strong>der</strong>e<br />

zu Nachfragen nach Altfallregelungen und ähnliche Dinge.<br />

Bemühungen <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> und <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>, das Kooperationsverhalten einzelner Staaten<br />

o<strong>der</strong> ihrer Vertretungen positiv zu beeinflussen, sind in den Fällen, in denen entsprechende<br />

Druckmittel fehlen, völlig auf den guten Willen <strong>der</strong> Gegenseite angewiesen. Herr Dr. Lehnguth<br />

wird es bestätigen können und auch Herr Burkhardt: Wenn wir Botschaftereinbestellungen<br />

machen und wir nichts entgegen zu setzen haben, sind wir auf den „good will“ <strong>der</strong><br />

einzelnen Vertragspartner angewiesen. Aus Sicht <strong>der</strong> <strong>Praktiker</strong> wäre hier eine Kohärenz<br />

<strong>des</strong> staatlichen Handelns, insbeson<strong>der</strong>e <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> finanziellen Unterstützung und <strong>der</strong><br />

Visa-Erteilungspraxis, äußerst wünschenswert. Auch sollte meines Erachtens geprüft werden,<br />

inwieweit Mittel <strong>der</strong> Entwicklungshilfe herangezogen werden können, um die For<strong>der</strong>ung<br />

best<strong>im</strong>mter Staaten nach finanzieller Unterstützung ihrer He<strong>im</strong>kehrer zu entsprechen.<br />

Dabei gilt es natürlich, durch kreative Lösungen die Schaffung neuer Pull-Faktoren zu vermeiden.<br />

Eine beson<strong>der</strong>e Form <strong>der</strong> Rückführungsverhin<strong>der</strong>ung stellt die oft völlig unzureichende<br />

Personalausstattung in den zuständigen Konsularabteilungen dar, die zudem oft verbunden<br />

ist mit aufwendigen Anfor<strong>der</strong>ungen an das Verfahren (etwa <strong>der</strong> persönlichen Vorführung<br />

je<strong>der</strong> Person). Selbst bei gutem Kooperationswillen führt dieser „Flaschenhalseffekt“<br />

dazu, dass die Abarbeitung <strong>der</strong> vorhandenen Fälle – ohne die monatlich neu hinzukommenden<br />

Fälle – allein schon mehrere Jahre brauchen würde.<br />

Das war zu dem Bereich <strong>des</strong> Kooperationsverhaltens <strong>der</strong> Problemstaaten und jetzt komme<br />

ich zu dem zweiten Bereich, den ich genannt habe:<br />

die Identitätsverschleierung<br />

Der Nichtbesitz o<strong>der</strong> <strong>der</strong> vorgebliche Nichtbesitz von Identitätsunterlagen wird strategisch<br />

zur Rückführungsverhin<strong>der</strong>ung eingesetzt und gehört zur Standardinstruktion von Schleusern<br />

für die Geschleusten. Die Anzahl <strong>der</strong> Asylbewerber, die vorgeben, keinerlei Identitätsnachweise<br />

zu besitzen, liegt durchschnittlich zwischen 80 % und 90 % bei den Problemstaaten,<br />

bei einigen nahezu bei 100%.<br />

Ohne Identitätsnachweise sind die Angaben zur Person und Herkunft frei gestaltbar und<br />

entsprechend häufig auch falsch, so dass auch die Überprüfungsverfahren kooperationswilliger<br />

Staaten negativ verlaufen. Da viele Staaten als Rückübernahme-voraussetzung eine<br />

<strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland verifizierte Identität <strong>des</strong> Ausreisepflichtigen voraussetzen, ist die korrekte<br />

Beantwortung <strong>der</strong> <strong>im</strong> Passersatzantrag gefor<strong>der</strong>ten Angaben zwingend. Ein positives o<strong>der</strong><br />

negatives Überprüfungsergebnis liegt in diesen Fällen allein in <strong>der</strong> Hand <strong>des</strong> Ausreisepflichtigen.


3. Herr Weller<br />

395<br />

Die in diesem Zusammenhang neu eingeführten o<strong>der</strong> neu gestalteten Vorschriften <strong>des</strong><br />

Aufenthaltsgesetzes, insbeson<strong>der</strong>e <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>der</strong> Identitätsklärung, wie die<br />

Strafbarkeit falscher Angaben und die Sicherung von Unterlagen <strong>im</strong> Visumsverfahren und<br />

die Fundpapier-Datenbank, haben das auslän<strong>der</strong>rechtliche Instrumentarium erweitert. Die<br />

Fundpapier-Datenbank und vor allem die Unterlagen aus den Visaverfahren werden bei<br />

<strong>der</strong> Identitätsklärung hilfreiche Dienste leisten können, wenn sie erst einmal in einem praxisrelevanten<br />

Maße eingesetzt werden können. Voraussetzung ist allerdings, dass sie<br />

auch konsequent umgesetzt und genutzt werden. Und ein äußerst wichtiger Lückenschluss<br />

wäre ein adäquates Verfahren zur Identitätsbeweissicherung <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Schengen-<br />

Visa.<br />

Da bei fehlenden Beweisen ohne wahre Angaben durch die Betroffenen eine Rückführung<br />

dauerhaft verhin<strong>der</strong>t ist, muss zudem aus <strong>Praktiker</strong>sicht die Rückkehrmotivation durch geeignete<br />

Maßnahmen in allen Bereichen, auch <strong>im</strong> Repressiven, geför<strong>der</strong>t werden.<br />

Dazu könnte aus <strong>Praktiker</strong>sicht gehören: Ein zwingen<strong>des</strong> Sachleistungsgebot bei Personen,<br />

die nachweislich falsche o<strong>der</strong> unvollständige Angaben zu ihrer Identität machen o<strong>der</strong><br />

auf sonstige Weise an ihrer Identitätsklärung nicht angemessen mitwirken. Dann die Strafbarkeit<br />

<strong>der</strong> Nichterfüllung zumutbare Anfor<strong>der</strong>ungen bei <strong>der</strong> Identitätsklärung, die Erweiterung<br />

<strong>der</strong> Angabenpflichten in § 49 Abs. 1 Satz 1 AufenthG auf alle zur Identitätsfeststellung<br />

notwendigen Angaben, die explizite Aufnahme eines Abschiebungshaftgrun<strong>des</strong> nach § 62<br />

Abs. 2 AufenthG bei <strong>der</strong> Weigerung, zumutbarer Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>im</strong> Identitätsverfahren zu<br />

erfüllen, und die Ermöglichung <strong>des</strong> automatischen Bildabgleichs mit <strong>der</strong> Visadatei.<br />

Die D<strong>im</strong>ension und die Komplexität <strong>des</strong> Phänomens <strong>der</strong> Identitätsverschleierung verlangt<br />

<strong>der</strong> Praxis vieles ab und die Praxis ist insoweit für jede Verbesserung ihres rechtlichen und<br />

tatsächlichen Instrumentariums dankbar.<br />

Danke schön.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Martini-Emden. Sie haben – wie <strong>im</strong>mer – sehr konkrete Vorschläge gemacht,<br />

über die ich mich natürlich auch persönlich freue. Herzlichen Dank. Jetzt kommt <strong>der</strong><br />

Leiter <strong>der</strong> zentralen Auslän<strong>der</strong>behörde, Herr Weller, dran, bitte schön.<br />

Guten Morgen Herr Dr. Lehnguth, guten Morgen meine Damen und Herren. Herr Dr. Lehnguth<br />

hat mich hier ja schon vorgestellt als Leiter <strong>der</strong> zentralen Auslän<strong>der</strong>behörde in Dortmund.<br />

Wir sind eine <strong>der</strong> zentralen Auslän<strong>der</strong>behörden von vieren, die zentral zuständig<br />

sind für die Beschaffung von Passersatzpapieren für alle ausreisepflichtigen Auslän<strong>der</strong> und<br />

auch zuständig sind für das Rückführungsmanagement. Schwerpunktmäßig sind wir in<br />

Dortmund zuständig für den Bereich <strong>der</strong> Türkei und die Unterstützung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

<strong>im</strong> sog. „Lip-Türk-Bereich“. Mein Statement soll sich in Abgrenzung, weil wir uns<br />

nicht abst<strong>im</strong>men konnten, auf die Beseitigung von Rückführungshin<strong>der</strong>nissen am Beispiel<br />

<strong>der</strong> Rückführung türkischer Staatsbürger beziehen.<br />

Die Rückführung türkischer Staatsbürger in die Türkei ist einer <strong>der</strong> Schwerpunkte <strong>der</strong><br />

Rückführungstätigkeit in Nordrhein-Westfalen. Die türkischen Migranten stellen die größte<br />

Gruppe <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>er in Nordrhein-Westfalen dar. Bei <strong>der</strong> Identifikation und Beschaffung<br />

von Personaldokumenten sind die türkischen Auslandsvertretungen, <strong>im</strong> Vergleich zu an<strong>der</strong>en<br />

außereuropäischen Vertretungen, zum einen zunächst recht kooperativ und zum an<strong>der</strong>en<br />

in <strong>der</strong> Lage, auf ein straff organisiertes Registersystem zurückzugreifen.<br />

Im Umgang mit den türkischen Behörden zeigt sich jedoch, dass man dort <strong>im</strong> Normalfall<br />

nicht glücklich darüber ist, erhebliche Zeit für die Identifikation von Straftätern, illegalen<br />

Einwan<strong>der</strong>ern o<strong>der</strong> ehemaligen Asylbewerbern aufwenden zu müssen. Darüber hinaus<br />

scheint es keine Abst<strong>im</strong>mung zwischen den hiesigen Auslandsvertretungen und den Einreisebehörden<br />

in <strong>der</strong> Türkei zu geben.


396<br />

• Verfahren zur Passausstellung dauern oft sehr lange, da die erhobenen Daten regelmäßig<br />

zur Prüfung in die Türkei gegeben werden, dies auch dann, wenn die jeweilige<br />

Auslandsvertretung selbst schon Dokumente für die betroffene Person ausgestellt o<strong>der</strong><br />

verlängert hat.<br />

• Die türkischen Behörden ziehen die Passverfahren oft <strong>im</strong> Interesse ihrer Staatsbürger in<br />

die Länge. In <strong>der</strong> – sicherlich verständlichen – Absicht, türkischen Staatsbürgern einen<br />

möglichst umfassenden Rechtsschutz in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik zu verschaffen, werden<br />

Reisedokumente nur dann ausgestellt, wenn alle Verwaltungsverfahren nach Möglichkeit<br />

abgeschlossen sind. Personen, die bereits vollziehbar zur Ausreise verpflichtet<br />

sind, aber noch ein laufen<strong>des</strong> Klage-, Härtefall- o<strong>der</strong> Petitionsverfahren hier verfolgen,<br />

werden auf diese Weise begünstigt.<br />

• Die türkische Praxis, wegen <strong>der</strong> Nichtableistung von Wehrdienst auszubürgern, führt oft<br />

zu einer Verzögerung <strong>der</strong> beabsichtigten Rückführung, da erst <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland intensiv<br />

geprüft werden muss. In vielen Fällen gibt es dann auch nach Überprüfung Ablehnungen,<br />

so dass die ausgebürgerte Person und ggf. ihre Familien in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik<br />

verbleiben müssen.<br />

• Wenn letztlich ein Passersatzdokument ausgestellt wird, erfolgt bei <strong>der</strong> Einreise in die<br />

Türkei eine weitere Prüfung <strong>der</strong> Identität <strong>des</strong> Betroffenen, als ob die umständliche Prüfung<br />

<strong>der</strong> Auslandvertretung nicht stattgefunden hätte.<br />

Eine große Gruppe von Migranten aus <strong>der</strong> Türkei, <strong>der</strong>en Rückführung ebenfalls große<br />

Probleme bereitet, sind arabischsprachige Kurden aus <strong>der</strong> Gegend um Mardin, <strong>im</strong> Südosten<br />

<strong>der</strong> Türkei, nahe <strong>der</strong> syrischen Grenze.<br />

In den Jahren (nur zur Historie) von 1986 bis 1992 reisten u.a. über den Flughafen Frankfurt<br />

am Main mehrere tausend Personen mit echten türkischen Personaldokumenten (Nüfus,<br />

türkischer Reisepass) in die Bun<strong>des</strong>republik Deutschland ein. Dieser Personenkreis<br />

stellte seinerzeit be<strong>im</strong> Grenzschutzamt Frankfurt einen Asylerstantrag. Dabei wurden die<br />

türkischen Reisedokumente einbehalten und die Antragstellung seinerzeit zur Fortführung<br />

<strong>des</strong> Asylverfahrens an verschiedene Auslän<strong>der</strong>behörden weiter verwiesen.<br />

Unter Missachtung dieser Zuweisung und Umgehung einer erkennungsdienstlichen Behandlung,<br />

weil es die damals noch nicht gab, begaben sich die Antragsteller zu einer an<strong>der</strong>en<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet und stellten dort, ohne entsprechende Dokumente<br />

vorlegen zu können, einen zweiten Asylantrag als Staatenlose / ungeklärte Staatsangehörige<br />

aus dem Libanon. Das bereits anhängige Asylverfahren unter <strong>der</strong> türkischen Identität<br />

wurde mit Vorsatz verschwiegen. Da aus dem Erstantragsverfahren keine Fingerabdrücke<br />

vorlagen und die Personen überwiegend arabisch sprechen konnten, wurde die Doppelantragstellung<br />

über Jahre hinweg nicht bemerkt.<br />

In Deutschland leben diese Familien insbeson<strong>der</strong>e unter folgenden Alias-Personalien: „EL<br />

ZEIN“, „OMEIRAT“, „SAADO“, „MIRI“, „REMMO“ und „FARIS“. Verschiedene Schreibweisen<br />

dieser Namen sind auf unterschiedliche Transkriptionen zurückzuführen. Nie<strong>der</strong>lassungsschwerpunkte<br />

dieser Familien waren u.a. Nordrhein-Westfalen, Nie<strong>der</strong>sachsen,<br />

Bremen und auch <strong>im</strong> großen Maße Berlin. Genaue Größenordnungen sind nicht verifizierbar;<br />

es sollen aber bis zu 30.000 Personen sein aus diesem Personenkreis.<br />

Bei dem beschriebenen Personenkreis handelt es sich um kurdische Volkszugehörige mit<br />

türkischer Staatsangehörigkeit, die sich <strong>im</strong> Zuge <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ungsbewegung auch zu großen<br />

Teilen als Gastarbeiter <strong>im</strong> Libanon aufgehalten haben und dort zum Teil geboren wurden.<br />

Die Familien beherrschen daher sowohl die türkische als auch die arabische Sprache.<br />

Die einzelnen Familien sind häufig, bedingt durch Heirat <strong>der</strong> einzelnen Mitglie<strong>der</strong> untereinan<strong>der</strong>,<br />

eng miteinan<strong>der</strong> verbunden.<br />

Die Identifikation dieser Familien bereitet den türkischen Behörden erhebliche Probleme,<br />

da diese Personen <strong>im</strong> Regelfall angeben, nicht die türkische Sprache zu sprechen. Erst<br />

durch umfangreiche Ermittlungen in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik Deutschland, durch deutsche Behörden,<br />

die durch ein loses Netzwerk persönlicher Kontakte untereinan<strong>der</strong> verbunden sind,


397<br />

konnte eine Vielzahl von Personen mit ihrer in <strong>der</strong> Türkei erfolgten Registrierung in Verbindung<br />

gebracht und identifiziert werden.<br />

Allein durch die Zentrale Auslän<strong>der</strong>behörde Dortmund konnten seit 2001 über 500 Personen<br />

aus diesem Personenkreis in die Türkei zurückgeführt werden. Zu diesem Zweck wurde<br />

bei <strong>der</strong> Zentralen Auslän<strong>der</strong>behörde ein Informationsarchiv aufgebaut, das die Möglichkeiten<br />

<strong>der</strong> Identifikation und <strong>der</strong> Rückführung beschreibt und die notwendigen Hintergrundinformationen<br />

zusammenfasst. Dieses Archiv steht auch in kompakter, elektronischer Form<br />

zur Verfügung.<br />

Ein Beispiel: Aus unserem Kreise Soest, Regierungsbezirk Arnsberg, wurde durch die konsequente<br />

Umsetzung <strong>des</strong> gesetzlichen Rückführungsauftrages allein aus diesem Personenkreis<br />

jährlich 1,1 Millionen Euro an Sozialleistungen eingespart.<br />

Durch die bereits dargestellte, fehlende Zusammenarbeit <strong>der</strong> türkischen Behörden untereinan<strong>der</strong><br />

war es in diesen Fällen jedoch erfor<strong>der</strong>lich, die Rückführungen dieses Personenkreises<br />

aus dem „Liptürk-Bereich“, wenn sie identifiziert waren, durch Mitarbeiter <strong>der</strong> Zentralen<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde Dortmund begleiten zu lassen. Die Begleitung ist erfor<strong>der</strong>lich, um<br />

bei <strong>der</strong> Einreise in die Türkei nochmals „Überzeugungsarbeit“ zu leisten und unsere Beweismittel<br />

und Falldokumentationen den Einreisebehörden vor Ort vorzulegen. Die regelmäßigen<br />

Kontakte vor Ort haben darüber hinaus zur Vertrauensbildung beigetragen und<br />

führten eben auch zum positiven Ergebnis, dass wir über 500 Personen rückgeführt haben.<br />

Zum Abschluss meiner Ausführungen noch einige praxisorientierte Anmerkungen allgemeiner<br />

Art. Wie <strong>der</strong> Kollege Martini-Emden schon sagte, ist speziell <strong>der</strong> Bereich <strong>der</strong> Rückführung<br />

kein Bereich, <strong>der</strong> durch nationale Gesetzgebung zu beeinflussen ist. Denn <strong>im</strong> Wesentlichen<br />

liegt es an <strong>der</strong> mangelnden Kooperation auch <strong>der</strong> Herkunftsstaaten. Aber, das<br />

ist für uns wichtig, die bekannte Problematik <strong>der</strong> Verschleierung <strong>der</strong> persönlichen und nationalen<br />

Identitäten durch ausreisepflichtige Personen hat gezeigt, dass es notwendig ist,<br />

die Betroffenen in stärkerem Maße zur Mitwirkung zu verpflichten. Gerade die Vorschriften<br />

<strong>des</strong> § 82 AufenthG werden von uns regelmäßig benötigt, um Personen durch Vorführungen<br />

zu identifizieren. Wichtig ist, dass man das zwangsweise durchsetzen kann und entsprechend<br />

auch verwaltungsmäßig begleiten kann. Ein praktisches Problem existiert bei<br />

uns neuerdings <strong>im</strong> Hinblick auf die zunehmende Praxis <strong>der</strong> Einladung ausländischer Delegationen<br />

zur Feststellung <strong>der</strong> Herkunft ausreisepflichtiger Staatsangehöriger bei deutschen<br />

Behörden. Es wäre sinnvoll, eine Klarstellung in § 82 Abs. 4 AufenthG dahingehend vorzunehmen,<br />

dass sich das bisher vorgesehene persönliche Erscheinen nicht nur auf die Vertretungen<br />

<strong>des</strong> Staates bezieht, <strong>der</strong>en Staatsangehörigkeit vermutet wird, son<strong>der</strong>n auch auf<br />

offiziell eingeladene und autorisierte Vertreter dieser Staaten. Denn wir haben tagesaktuell<br />

in Dortmund das Problem, dass wir eine guineische Delegation eingeladen haben, die in<br />

unseren Räumen identifiziert und dass es da Probleme gibt, weil angezweifelt wird, dass<br />

das rechtmäßig ist, dass die Betroffenen sich auch in unseren Diensträumen den Vertretern<br />

stellen müssen.<br />

Die mögliche Errichtung sog. Ausreiseeinrichtungen auf Län<strong>der</strong>ebene nach § 62 AufenthG<br />

sollte verstärkt geprüft und möglichst mit allen Län<strong>der</strong>n einheitlich abgest<strong>im</strong>mt werden, um<br />

Passbeschaffungen und daraus folgende Rückführungen konsequenter umsetzen zu können.<br />

Darüber hinaus wäre es für die Rückführungspraxis überaus sinnvoll, verstärkt auf zwischenstaatliche<br />

Rückübernahmeabkommen zu setzen und diesbezügliche Verhandlungen<br />

mit den Hauptherkunftslän<strong>der</strong>n zu intensivieren. Auch für die Türkei fehlt bisher ein solches<br />

Abkommen.<br />

Die mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien<br />

<strong>der</strong> Europäischen Union in Bezug auf die Rückführungs- und Identifizierungsverfahren<br />

vorgesehenen Än<strong>der</strong>ungen sind zu begrüßen, so z. B.:<br />

• die ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die vorläufige Festnahme von Auslän<strong>der</strong>n<br />

zum Zwecke <strong>der</strong> Abschiebung in § 62 AufenthG,<br />

• die Übermittlungsermächtigungsnorm für die Auslandsvertretungen an die Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

nach § 87 Abs. 2 AufenthG,


398<br />

• <strong>der</strong> halbjährliche Datenabgleich zwischen Auslän<strong>der</strong>- und Meldebehörden nach § 90a<br />

AufenthG sowie<br />

• die Speicherung von Lichtbil<strong>der</strong>n <strong>im</strong> allgemeinen Datenbestand <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>zentralregisters.<br />

Abschließend noch <strong>der</strong> Hinweis: Da alle europäischen Staaten mit den gleichen Rückführungsproblemen<br />

konfrontiert sind, wäre eine verstärkte Zusammenarbeit überaus sinnvoll.<br />

Mit <strong>der</strong> Einführung von Eurodac ist bereits ein positiver Anfang gemacht worden.<br />

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Weller, für Ihre Ausführungen. Zur Türkei wollte ich nochmal ergänzend<br />

bemerken, dass wir seit längerem mit <strong>der</strong> türkischen Regierung versuchen ein Abkommen<br />

abzuschließen über Personen, die aus <strong>der</strong> Staatsangehörigkeit entlassen worden<br />

sind, weil sie ihren Wehrdienst nicht geleistet haben. Das war erst ein relativ kleiner Kreis<br />

von Personen, aber das n<strong>im</strong>mt jetzt doch eine größere Form an und in <strong>der</strong> Woche vor Ostern<br />

kommt eine türkische Delegation zu mir. Wir haben ihnen ein Memorandum of Un<strong>der</strong>standing<br />

übermittelt. Es wird gewiss einige Zeit dauern, eh wir die Türken jetzt dahin<br />

kriegen, sich mit diesem Memorandum einverstanden zu erklären. Sie beabsichtigen allerdings,<br />

innertürkisch ihr Recht zu än<strong>der</strong>n und die Entlassung aus <strong>der</strong> Staatsangehörigkeit<br />

nicht mehr als Folge <strong>des</strong> nicht abgeleisteten Wehrdienstes zu postulieren. Aber das sagen<br />

sie seit längerer Zeit, das ist richtig. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite haben wir natürlich die Altfälle.<br />

Diese Altfälle müssen wir auf jeden Fall auch mit zurücknehmen und ich habe mit den Türken<br />

noch mehrere weitere Punkte zu besprechen, aber dieser Punkt ist eben auch sehr<br />

wichtig. Das wäre das erste. Das zweite ist, dass seit geraumer Zeit die Europäische<br />

Kommission versucht, mit <strong>der</strong> Türkei ein Rückübernahmeabkommen abzuschließen. Und<br />

auch hier muss <strong>der</strong> Druck etwas verstärkt werden nach meiner Meinung, denn <strong>im</strong>merhin ist<br />

das ja ein Kandidatenstaat und von daher ist es eine selbstverständliche Pflicht <strong>der</strong> Türkei,<br />

finde ich, sich zum Abschluss eines Rückübernahmeabkommens bereit zu erklären, einem<br />

ganz normalen völkerrechtlichen Rückübernahmeabkommen. Einige Punkte sind dort von<br />

den Türken bislang als beson<strong>der</strong>s schwierig angesehen worden, eben auch die Rückübernahme<br />

von Drittstaatsangehörigen, die aus <strong>der</strong> Türkei in die Europäische Union eingereist<br />

sind. Das ist aber <strong>der</strong> normale Standard, dass solche Personenkreise eben auch mit zurückgenommen<br />

werden, weil diese ja vorher in <strong>der</strong> Türkei gelebt haben. Das noch mal zur<br />

Ergänzung.<br />

Dann kommen wir bitte zu dem nächsten Referenten. Das ist Herr Lindemann, auch aus<br />

Nordrhein-Westfalen, aus <strong>der</strong> Stadt Düsseldorf, <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> zentralen Auslän<strong>der</strong>behörde.<br />

Bitte schön.<br />

4. Herr Lindemann<br />

Guten Morgen, Herr Dr. Lehnguth, guten Morgen meine Damen und Herren. Ich möchte<br />

aus <strong>der</strong> zentralen Sicht <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Düsseldorf zu den Problemen <strong>der</strong> Passersatzbeschaffung<br />

und Rückführung Stellung nehmen.<br />

Ich kann meine Einleitung etwas verkürzen, da Herr Weller schon das Wesentliche und<br />

Herr Martini-Emden das Wesentliche zu <strong>der</strong> allgemeinen Problematik gesagt hat. Ich<br />

möchte mich <strong>des</strong>halb auf die Passersatzbeschaffung allgemein, aber <strong>im</strong> speziellen auf die<br />

Passersatzbeschaffung für das Gebiet <strong>des</strong> Balkans mit Ausnahme von Bosnien-<br />

Herzegowina beschränken.<br />

Herr Martini-Emden hat schon ausgeführt, dass 85 bis 90 Prozent aller Asylsuchenden<br />

bzw. illegal Eingereisten behaupten, be<strong>im</strong> ersten Kontakt mit einer Behörde nicht <strong>im</strong> Besitz<br />

von Reisedokumenten zu sein und es bedeutet für uns eine enorme Belastung und beson<strong>der</strong>e<br />

Schwierigkeiten, diese Personen zur Identifizierung einer Botschaft zuführen zu können.<br />

Vielfach wird behauptet, eine Nationalität zu besitzen, von <strong>der</strong> man weiß, dass die<br />

Passersatzbeschaffung schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist. Und <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> von Vorführungen<br />

bei den Auslandsvertretungen wird dann festgestellt, dass diese Person in kei-


399<br />

nem Falle aus diesem Staat kommen kann. Wir sind dann gehalten, neue Versuche bei<br />

an<strong>der</strong>en Auslandsvertretungen durchzuführen. Im Jahr 2005 hat die zentrale Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

Düsseldorf von den kommunalen Auslän<strong>der</strong>behörden 2.068 Anträge zur Passersatzbeschaffung<br />

erhalten. Darin sind nicht Anträge auf Rückführung nach Serbien-<br />

Montenegro und Kosovo enthalten. Von diesen Anträgen wurden lediglich in 31 %, sprich<br />

659 Fällen, Passersatzpapiere von den Auslandsvertretungen bereitgestellt. In 18 % <strong>der</strong><br />

Fälle wurde die Ausstellung <strong>der</strong> Passersatzanträge abgelehnt. Das heißt, über 50 % aller<br />

Anträge, die wir bei den Auslandsvertretungen gestellt haben, sind noch nicht bearbeitet<br />

und bedürfen noch weiterer Nacharbeitung bzw. Überprüfungen <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland, bevor mit<br />

einer Entscheidung <strong>der</strong> Auslandsvertretungen zu rechnen ist.<br />

Daneben sind eine Vielzahl von Passersatzbeschaffungsverfahren aus den Vorjahren noch<br />

anhängig.<br />

Diese Statistik dokumentiert deutlich, dass die geschil<strong>der</strong>ten Probleme in <strong>der</strong> Passersatzbeschaffung<br />

nur in einem Drittel aller Fälle positiv enden.<br />

Zusätzlich war festzustellen, dass die Zahl <strong>der</strong> Personen, die <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Passersatzbeschaffung<br />

bei den Vertretungen ihrer He<strong>im</strong>atlän<strong>der</strong> vorgeführt werden müssen, stark ansteigt.<br />

Die zentrale Auslän<strong>der</strong>behörde Düsseldorf hat <strong>im</strong> Jahr 2005 182 Sammelvorführungen<br />

durchgeführt. Dabei wurden 962 Personen den Auslandsvertretungen vorgestellt.<br />

Dies ist nicht zuletzt auf den Umstand zurückzuführen, dass <strong>im</strong>mer mehr Staaten die persönliche<br />

Vorführung <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> verlangen. Diese Vorführungen sind mit einem enormen<br />

zeitlichen Aufwand verbunden, da bei den Auslandsvertretungen nur sehr schwer<br />

Vorstellungstermine zu bekommen sind und auch die Zahl <strong>der</strong> Vorführungen an den Vorstellungsterminen<br />

eingeschränkt wird.<br />

Die Aufgabenwahrnehmung in diesem Bereich erfor<strong>der</strong>t von den Mitarbeitern ein großes<br />

Maß an Spezialkenntnissen sowie persönliche Kontakte, die mühsam mit den Auslandsvertretungen<br />

aufgebaut werden müssen. Dabei kommt hinzu, dass die Mitarbeiter in den<br />

Auslandsvertretungen <strong>im</strong> Regelfall alle drei Jahre wechseln und dann wie<strong>der</strong>um neue Kontakte<br />

aufgebaut werden müssen.<br />

Mittlerweile ist feststellbar, dass Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>, die den Bereich <strong>der</strong> Passersatzbeschaffung<br />

noch nicht zentralisiert haben, dazu übergangen sind, vergleichbare zentrale Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

wie in NRW aufbauen bzw. neu einrichten.<br />

Für das Jahr 2006 ist zu erwarten, dass die Zahl <strong>der</strong> Passersatzbeschaffungsanträge bzw.<br />

<strong>der</strong> Vorführungen bei den Auslandsvertretungen enorm ansteigen wird.<br />

Mit <strong>der</strong> Zentralisierung <strong>der</strong> Passbeschaffung wird den For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Auslandsvertretungen<br />

nachgekommen, die Zahl <strong>der</strong> Ansprechpartner zu verringern. Wenn Sie berücksichtigen,<br />

dass in Nordrhein-Westfalen 98 Auslän<strong>der</strong>behörden zu Auslandsvertretungen fahren,<br />

um Termine zu bekommen, ist vorstellbar, wann eine Auslän<strong>der</strong>behörde mal mit einem<br />

Vorstellungstermin rechnen kann. Deshalb ist die Zentralisierung ein wesentlicher Schritt<br />

zur Vereinfachung und zur besseren Zusammenarbeit mit den Auslandsvertretungen.<br />

Als absolutes Negativbeispiel in <strong>der</strong> Passersatzbeschaffung stellt sich die Zusammenarbeit<br />

mit den Staaten Iran und Russische Fö<strong>der</strong>ation dar, da die Einleitung eines Verfahrens<br />

dort u.a. nur dann möglich ist, wenn <strong>der</strong> Betroffene selbst in sein He<strong>im</strong>atland zurück möchte<br />

und gegenüber <strong>der</strong> Auslandsvertretung erklärt, dass er mit <strong>der</strong> Passersatzausstellung<br />

zur Abschiebung einverstanden ist. Deshalb scheitern sehr viele Vorführungen, insbeson<strong>der</strong>e<br />

bei den russischen Staaten schon damit, dass <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Befragung, ob<br />

er mit <strong>der</strong> Ausstellung <strong>des</strong> Passersatzpapieres einverstanden ist, erklären kann, ob wir<br />

zum Erfolg kommen o<strong>der</strong> nicht.


400<br />

Hier kann meines Erachtens nur <strong>der</strong> Abschluss von weiteren Rückübernahmeabkommen<br />

Abhilfe schaffen.<br />

Die Problematik bei <strong>der</strong> Rückführung ist <strong>im</strong> Wesentlichen auf folgende Punkte zurückzuführen<br />

– das wurde auch von Herrn Martini-Emden schon ausgeführt –:<br />

• die Verschleierung <strong>der</strong> persönlichen und nationalen Identität;<br />

• die fehlende Bereitschaft vieler Auslandsvertretungen, ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen<br />

<strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Rücknahme ihrer Staatsangehörigen nachzukommen,<br />

und die sich daraus resultierenden erheblichen Probleme bei <strong>der</strong> Passersatzbeschaffung;<br />

• die Zurückweisung durch Piloten <strong>der</strong> Fluggesellschaften, abzuschiebende Auslän<strong>der</strong><br />

in <strong>der</strong> Maschine zu transportieren, selbst wenn Sicherheitsbegleitungen <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>polizei<br />

zur Verfügung stehen und als letztes<br />

• die Vorlage von ärztlichen Attesten unmittelbar vor einer Abschiebung, um eine Reiseunfähigkeit<br />

zu dokumentieren.<br />

Diese fortschreitende Entwicklung <strong>der</strong>, ich will es mal so nennen, „böswilligen“ Schaffung<br />

faktischer Abschiebehin<strong>der</strong>nisse führte 2005 zu einem erheblichen Rückgang <strong>der</strong> Abschiebungen.<br />

Dennoch wurden aus Nordrhein-Westfalen 3.119 Personen auf dem Luftwege abgeschoben.<br />

2063 Personen, die abgeschoben werden konnten, befanden sich in Abschiebungshaft.<br />

Die Problematik <strong>der</strong> Passersatzbeschaffung lässt sich, wie bereits erwähnt, durch den Abschluss<br />

von Rückübernahmeabkommen reduzieren.<br />

Als positives Beispiel möchte ich hier das Rückübernahmeabkommen mit Serbien-<br />

Montenegro hervorheben.<br />

Im Jahr 2005 wurden 1.691 Ersuchen auf Rückübernahme von <strong>der</strong> zentralen Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

Düsseldorf an die Innenministerien in Belgrad und Podgorica vorgelegt. Davon<br />

den 1.217 Zust<strong>im</strong>mungen erteilt. Das sind 72 Prozent <strong>der</strong> eingereichten Anträge <strong>im</strong> Gegensatz<br />

zu knapp 32 Prozent <strong>der</strong> positiven Bescheide bei den übrigen Staaten. 30 Prozent<br />

konnten nach Ausstellung <strong>der</strong> Reisedokumente und <strong>der</strong> Zust<strong>im</strong>mung zur Rückübernahme<br />

tatsächlich abgeschoben werden. So wenig. Dass es nur 30 Prozent waren, die abgeschoben<br />

wurden, liegt daran, dass eine Vielzahl von Personen unmittelbar vor <strong>der</strong> Abschiebung<br />

Asylfolgeanträge stellen, am Tag <strong>der</strong> Abschiebung untertauchen, o<strong>der</strong> aber daran, dass Atteste<br />

vorgelegt werden, die eine angebliche Reiseunfähigkeit bescheinigen. Die Rückflüge<br />

in die Staaten Jugoslawien, Serbien-Montenegro und Kosovo sind regelmäßig Chartermaschinen,<br />

die von <strong>der</strong> Bezirksregierung Düsseldorf gechartert wurden. Die Flugtermine sind<br />

vielfach <strong>im</strong> Internet bei den Flüchtlingsräten nachlesbar. Von daher ist es für die Familien,<br />

<strong>der</strong>en Duldungen zum Abschiebetermin kurzfristig verlängert wurden, einfach, am Tag <strong>der</strong><br />

Abschiebung nicht in <strong>der</strong> Wohnung zu sein, um so vorübergehend unterzutauchen. Am<br />

nächsten Tag nach dem Abschiebungsversuch melden sie sich wie<strong>der</strong> bei den Behörden<br />

und lassen die Aufenthaltserlaubnis bzw. Duldung verlängern.<br />

Es besteht in diesen Fällen bei Familien, oft nur die Möglichkeit, den Familienvorstand in<br />

Haft zu nehmen und dann einen neuen Abschiebetermin zu buchen.<br />

Als Negativ-Beispiel <strong>im</strong> Vergleich zu Serbien-Montenegro ist das Problem <strong>der</strong> Rückführung<br />

in den Kosovo. Obwohl es eine Vereinbarung von 1999 mit dem Son<strong>der</strong>repräsentanten <strong>der</strong><br />

Vereinten Nationen, <strong>der</strong> UNMIK, die für die Rückführung <strong>im</strong> Kosovo <strong>der</strong> verantwortliche<br />

Ansprechpartner ist, gibt, ist diese nicht bereit, die getroffenen Vereinbarungen in vollem<br />

Umfange zu akzeptieren. Die UNMIK unterscheidet nach Volkszugehörigkeiten, wobei Albaner,<br />

Gorani-Gorbesch-Türken problemloser abgeschoben werden können als Ashkali,<br />

Ägypter und Roma. Die Rückführung <strong>der</strong> Roma ist erstmals <strong>im</strong> Mai 2005 begonnen worden.<br />

Da hat sich die UNMIK bereit erklärt, pro Monat 40 Personen bun<strong>des</strong>weit zu einer<br />

Überprüfung zuzulassen. Voraussetzung für diesen Personenkreis ist allerdings eine strafrechtliche<br />

Verurteilung von min<strong>des</strong>tens zwei Jahren, wobei diese Strafe auch nicht zur Bewährung<br />

ausgesetzt sein darf. Diese Quote von 40 pro Monat wird bun<strong>des</strong>weit nicht erreicht.<br />

An<strong>der</strong>s sieht es aus bei Ägyptern und Ashkali, die hier in Deutschland einen Großteil<br />

<strong>der</strong> Geduldeten noch ausmachen. In Nordrhein-Westfalen leben ca. 22.000 Personen


401<br />

aus dem Balkan, die geduldet werden und vollziehbar ausreisepflichtig sind. Davon sind<br />

etwa 8.000 <strong>der</strong> Volksgruppe <strong>der</strong> Ashkali zuzuordnen. Diese Volksgruppe wird von <strong>der</strong><br />

UNMIK in einem beson<strong>der</strong>en Prüfverfahren vor <strong>der</strong> Abschiebung o<strong>der</strong> vor <strong>der</strong> vorgesehenen<br />

Abschiebung <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland überprüft und das Prüfergebnis sieht so aus, dass bun<strong>des</strong>weit<br />

ein Ablehnungsdurchschnitt <strong>im</strong> letzten Jahr von 53,5 Prozent erreicht wurde. Im<br />

Einzelfall sieht es aber so aus, dass in den letzten Monaten 2005 die Ablehnungsquote bei<br />

teilweise über 80 Prozent lag. Hauptablehnungsgrund ist das Nichtvorhandensein von<br />

Wohnraum, die zerstörten Häuser o<strong>der</strong> aber eine Erkrankung <strong>der</strong> rückzuführenden Person,<br />

wobei bei <strong>der</strong> Erkrankung einer Person automatisch die Rückübernahme <strong>der</strong> gesamten<br />

Familie abgelehnt wird.<br />

Die UNMIK erklärt <strong>im</strong> Gegensatz zu den Berichten <strong>des</strong> Auswärtigen Amtes, dass für Personen,<br />

die an posttraumatischen Belastungsstörungen erkrankt sind o<strong>der</strong> sonst irgendwie<br />

an psychischen Erkrankungen leiden, selbst bei Personen, die leichte Depressionen haben,<br />

generell eine Rückübernahme abgelehnt wird, auch wenn Atteste vorgelegt werden,<br />

dass sie nur medikamentös behandelt werden müssen und Medikamente in ausreichen<strong>der</strong><br />

Form bereitgestellt werden. Nachdem die Ablehnungsquote <strong>im</strong> letzten Jahr die 80 Prozent-<br />

Grenze überschritten hatte, haben weitere Gespräche stattgefunden und man hat sich darauf<br />

verständigt, das Anmeldeverfahren zu verän<strong>der</strong>n und nicht mehr – wie es in <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

war – die Anmeldung zur Überprüfung <strong>der</strong> Rückführungsmöglichkeiten mit einem<br />

Flug zu verbinden, son<strong>der</strong>n die Quote monatsbezogen einzureichen. Das wird wahrscheinlich<br />

dazu führen, dass es bei <strong>der</strong> Rückführung selbst zu einem Abbau von erheblichen<br />

Spannungen kommt, die in den letzten Monaten doch extrem zu beobachten waren.<br />

UNMIK hat nach den Vereinbarungen die Beanstandung <strong>der</strong> angemeldeten Personen erst<br />

sieben Tage vor dem Flug bekannt gegeben, wobei sie eine son<strong>der</strong>bare Rechnung haben,<br />

dass sie die Beanstandungslisten abends gegen 23 Uhr geschickt haben, am siebenten<br />

Tag vor <strong>der</strong> vorgesehenen Abschiebung, mit dem Hinweis, es sei nicht Problem <strong>der</strong> UN-<br />

MIK, wenn deutsche Behörden um diese Zeit nicht mehr arbeiten. Basierend auf dieser<br />

Ausführung vertritt UNMIK auch den Standpunkt, dass Personen, die keine Wohnung haben,<br />

nicht zurückgeführt werden können. Es werden keine Vorschläge gemacht, wie man<br />

diesen Problemkreis durchbrechen kann. Es sind keine Aufbauprogramme <strong>im</strong> Kosovo vorhanden,<br />

die die zerstörten Häuser wie<strong>der</strong> herrichten, und UNMIK lässt auch nicht zu, dass<br />

einzelne Familienmitglie<strong>der</strong> vorab in die Türkei reisen, um die Wohnungen wie<strong>der</strong> aufzubauen<br />

o<strong>der</strong> zumin<strong>des</strong>t teilweise so herzurichten, dass die Familie zurückreisen kann. Es<br />

kommen <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> die For<strong>der</strong>ungen, eine Rückführung dieses Personenkreises sei nur<br />

dann möglich – o<strong>der</strong> über diese Möglichkeit könnte nachgedacht werden –, wenn die deutschen<br />

Behörden bereit seien, Ersatzwohnungen anzumieten und für einen gewissen Zeitraum<br />

Mietkosten zu übernehmen o<strong>der</strong> Kosten für den Aufbau <strong>der</strong> zerstörten Häuser mitzutragen.<br />

Das Verhalten <strong>der</strong> UNMIK <strong>im</strong> Hinblick auf die Rückführung in den Kosovo ist nach<br />

Auffassung vieler Beteiligten völkerrechtlich nicht vereinbar, wobei UNMIK allerdings auch<br />

die folgende Auffassung vertritt und dabei einen sehr son<strong>der</strong>baren Standpunkt einn<strong>im</strong>mt:<br />

Sie sagt, die Aussagen <strong>der</strong> deutschen Gerichte o<strong>der</strong> auch die deutsche Rechtsprechung<br />

<strong>im</strong> Hinblick auf zielstaatsbezogene Abschiebehin<strong>der</strong>nisse sei für sie ohne Bedeutung und<br />

werde nicht berücksichtigt. Sie allein entscheide, wer in den Kosovo zurückkomme und wer<br />

nicht. In den Fällen, in denen wir – man muss sagen: ausnahmsweise – von <strong>der</strong> UNMIK<br />

eine Zust<strong>im</strong>mung zur Rückführung erhalten, wird die Rückführung nur schwer umsetzbar<br />

sein, weil viele Personen, die bisher behaupteten, albanische Volkszugehörige zu sein,<br />

unmittelbar vor <strong>der</strong> Abschiebung dann zum Teil Asylfolgeanträge stellen mit <strong>der</strong> Begründung,<br />

sie seien Ashkali o<strong>der</strong> aber wenn, sie Ashkali waren, jetzt behaupten, Roma zu sein,<br />

weil dann die Voraussetzungen für eine Rückführung nicht mehr gegeben sind.<br />

Das größte Problem, das alle Beteiligten unmittelbar vor <strong>der</strong> Abschiebung beson<strong>der</strong>s belastet,<br />

ist die Tatsache, dass über Organisationen, aber auch über Anwälte am Tage <strong>der</strong><br />

Abschiebung UNMIK per Fax Atteste zugespielt werden. Atteste, in denen behauptet wird,<br />

dass diese Personen sind, selbstmordgefährdet o<strong>der</strong> auch sonst in irgendeiner Weise nicht<br />

reisefähig sind und UNMIK lehnt dann noch am Tag <strong>der</strong> Abschiebung die Rückführung<br />

dieses Personenkreises ab.<br />

Als Fazit meiner Ausführungen möchte ich darauf hinweisen, dass die Belastungen <strong>der</strong><br />

Mitarbeiter, mit denen sie konfrontiert werden, enorm stark sind und zu vielfachen Problemen<br />

führen. Dennoch darf mit Blick auf die Passersatzpapierbeschaffung nicht unerwähnt<br />

bleiben, dass die überwiegende Zahl <strong>der</strong> Staaten ihren Verpflichtungen <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong>


402<br />

Rücknahme nachkommt. Deshalb halten wir es für sehr wichtig, dass die Bemühungen um<br />

den weiteren Abschluss von Rückübernahmeabkommen fortgeführt werden. Das Problem<br />

Kosovo wird uns weiterhin beschäftigen und es bleibt abzuwarten, wie die Status-<br />

Verhandlungen dort verlaufen und ob es in absehbarer Zeit zu einer an<strong>der</strong>en Regelung mit<br />

dem Kosovo kommen kann.<br />

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Lindemann, für Ihre wirklich eindrucksvollen Ausführungen. Ich weiß<br />

um das Problem <strong>des</strong> Kosovo sehr gut, weil wir auch schon eine Reihe von Gesprächen<br />

hatten, und Herr Minister Schäuble hat jetzt auch jüngst <strong>im</strong> Februar mit dem Hohen Repräsentanten<br />

Jessen-Peterson ein ernstes Gespräch geführt und da sind natürlich auch diese<br />

ganzen Punkte aufgeführt worden, die sie hier erwähnt haben: dass sie eben keine Häuser<br />

haben, dass sie keine Arbeit haben, dass es eine Arbeitslosenquote von 80 Prozent gibt.<br />

Und wir haben vereinbart, das haben sie auch hervorgehoben, dass das Verfahren geän<strong>der</strong>t<br />

wird, so dass UNMIK nicht noch ein zweites Mal mögliche Abschiebungshin<strong>der</strong>nisse<br />

prüfen kann, und wir haben auch – und das finde ich beson<strong>der</strong>s positiv –, eben auch zwei<br />

Mitarbeiter <strong>des</strong> BAMF jetzt bei <strong>der</strong> UNMIK-Gruppe installiert, die dort mitarbeiten. Seit dem<br />

1. März ist das umgesetzt worden. Wir meinen, dass dadurch jetzt Verbesserungen eintreten<br />

müssten. Ich hoffe es jedenfalls, sonst müssen wir eben noch mal weitere politische<br />

Gespräche führen. Es hängt ein wenig auch mit den handelnden Personen, die bei UNMIK<br />

arbeiten, zusammen. Es sind sogar deutsche Staatsangehörige, die dort ewig die Bremse<br />

bis oben hin angezogen haben, um das ganz deutlich zu sagen. Es ist von daher schon<br />

<strong>im</strong>mer mit großen sensiblen Schwierigkeiten die ganzen Jahre in diesem Bereich gearbeitet<br />

worden. Wenn man einmal die Zahlen hochrechnet, – das haben wir schon mal vor <strong>der</strong><br />

IMK getan –, dann ist man erst in 100 Jahren mit den Rückführungen fertig. Es muss hier<br />

wirklich was passieren. Das möchte ich noch einmal deutlich unterstreichen. Herzlichen<br />

Dank. Dann würden wir als nächstes Frau Stellmacher aus dem Nie<strong>der</strong>sächsischen Innenministerium<br />

für Inneres und Sport hören. Bitte schön.<br />

5. Frau Stellmacher<br />

Danke schön, Herr Dr. Lehnguth.<br />

Als ich die Nachricht erhielt, hier ein Statement abzugeben, waren zunächst zu diesem<br />

Themenkreis „Rückführung“ zwei weitere Begriffe <strong>im</strong> Gespräch, und zwar „Identitätsklärung“<br />

und „Passersatzpapierbeschaffung“. Darüber haben sich jetzt schon meine Vorredner<br />

ausgiebig ausgelassen. Ich werde auch noch das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e dazu sagen, aber<br />

ich will sie auch nicht langweilen. Sie können in meinem schriftlichen Statement darüber<br />

auch was nachlesen, was ich dazu zu sagen hätte.<br />

Ich möchte das Thema etwas erweitern. Und zwar möchte ich anknüpfen an das, was gestern<br />

Abend in <strong>der</strong> Diskussion gesagt worden ist. Wir haben uns ja gestern darüber unterhalten,<br />

welche Defizite es <strong>im</strong> humanitären Aufenthaltsrecht geben kann und wie man diese<br />

Defizite beseitigen kann. Ob es möglich ist, mit einer Bleiberechtsregelung auch den langjährig<br />

hier lebenden Menschen ein Aufenthaltsrecht zu geben und wie man diese Bleiberechtsregelung<br />

ausgestalten könnte. Und ich möchte jetzt diesen Bogen von gestern für<br />

heute spannen und möchte mal ganz provozierend in den Raum stellen: Rückführungsprobleme<br />

sind auch zum Teil ein Stück weit hausgemachte Probleme. Es kam ja gestern<br />

hier eine Fülle von Ausgestaltungsvorschlägen zu dem Thema „Bleiberecht“ und, weil es ja<br />

auch nicht möglich ist, alle Facetten hier anzusprechen, möchte ich hier nur einige wenige<br />

herausgreifen.<br />

Es wird die Notwendigkeit gesehen, die Fälle zu lösen, in denen die Menschen bereits seit<br />

Beginn <strong>der</strong> 90er Jahre hier in Deutschland geduldet leben o<strong>der</strong> jedenfalls jetzt kein Aufenthaltsrecht<br />

haben. Ich möchte hier nur mal anknüpfen an all das, was einer meiner Vorredner<br />

gesagt hat, auch Libatürks leben hier schon seit Ende <strong>der</strong> 80er Jahre o<strong>der</strong> seit Mitte<br />

<strong>der</strong> 80er Jahre und sie leben inzwischen hier schon in <strong>der</strong> zweiten o<strong>der</strong> möglicherweise<br />

sogar in <strong>der</strong> dritten Generation. Ich möchte daran erinnern, dass viele dieser Menschen,


403<br />

um die es hier geht, schon einmal Gelegenheit hatten, an einer Bleiberechtsregelung teilzunehmen,<br />

und zwar an <strong>der</strong> so genannten „Altfallregelung 1999“. Für die Libertürks gab es<br />

ja sogar auch noch mal eine spezielle Bleiberechtsregelung. Diese Menschen waren bereits<br />

vor 1999 lange Zeit ausreisepflichtig. Mit ihrer Integration hat es offensichtlich damals<br />

nicht so gut gestanden, denn sonst hätten sie ja bereits ein Bleiberecht bekommen. Sie<br />

hatten also spätestens mit dem Ablehnungsbescheid zu ihrem Antrag auf ein Bleiberecht<br />

ein deutliches Signal erhalten, nämlich das Signal: Für mich gibt es hier in Deutschland<br />

keine Zukunft, ich muss ausreisen. Dieses Signal wurde ignoriert und ich finde in diesem<br />

Zusammenhang auch einen Aspekt sehr wichtig, den ich auch gerne hier nochmal hervorheben<br />

möchte. Entscheidungen von einer solchen Tragweite für die weitere Lebensführung<br />

eines Menschen werden naturgemäß nicht einfach so hingenommen, son<strong>der</strong>n sie werden<br />

üblicherweise gerichtlich überprüft. In unserem rechtsstaatlichen System kommt <strong>der</strong> Befriedungsfunktion<br />

von gerichtlichen Entscheidungen eine hohe Bedeutung zu. Im Zusammenhang<br />

mit aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen vermisse ich allerdings diese befriedigende<br />

Wirkung. Sie tritt nur ein, wenn die Gerichte eine Entscheidung zugunsten <strong>der</strong> Antragsteller<br />

treffen. Bei negativem Ausgang werden weitere Mittel und Wege gesucht und<br />

<strong>der</strong> Streit hört nicht etwa dann auf, wenn auch eine Härtefallkommission nicht dazu gekommen<br />

ist, ein Aufenthaltsrecht zuzusprechen. Diese Entwicklung bedingt, dass es<br />

zwangsweise zu Rückführungsproblemen kommen muss, denn – sie haben das an den<br />

Ausführungen meiner Vorredner auch schon gesehen –, diese gesamten Entwicklungen<br />

nehmen natürlich viele Jahre in Anspruch und Menschen bleiben dann eben lange hier. Ich<br />

möchte <strong>des</strong>halb noch mal auf die Signalwirkung zu sprechen kommen, die durch Bleiberechtsregelungen<br />

an Menschen gerichtet wird. Mit je<strong>der</strong> Bleiberechtsregelung wird auch<br />

das Signal ausgesandt, es lohnt sich, hartnäckig zu sein und mit Phantasie alle Möglichkeiten<br />

<strong>der</strong> Aufenthaltsverlängerung zu betreiben. Irgendwann ist <strong>der</strong> politische Druck dann so<br />

groß, dass es wie<strong>der</strong> zu einer Bleiberechtsregelung kommen muss. Und ich wage mal zu<br />

prognostizieren, dass eine Bleiberechtsregelung, wie sie jetzt <strong>im</strong> Raum steht, nicht die letzte<br />

sein wird.<br />

Es gibt noch ein weiteres Signal, dass dadurch ausgesandt wird: Wenn man freiwillig ausreist,<br />

ist man <strong>der</strong> Dumme. Man hat sich zwar rechtstreu verhalten, sitzt aber jetzt wie<strong>der</strong> in<br />

<strong>der</strong> ärmlichen Hütte, aus <strong>der</strong> man eines Tages ausgereist war. Und die Wirkungen für die<br />

Abschiebungen sind dann fatal. Diese funktionieren nur noch bei denen, die die Wahrheit<br />

über ihre Identität gesagt haben, die ihren Pass nicht weggeworfen haben, die an<strong>der</strong>weitig<br />

eine Schwäche <strong>im</strong> Verfahren gezeigt haben. Und Sie können aus dem, was meine Vorredner<br />

gesagt haben, entnehmen: Diese Schwächen werden <strong>im</strong>mer weniger.<br />

Mit welchen Rückführungsproblemen haben wir zu kämpfen? Das haben meine Vorredner<br />

schon hinreichend ausgeführt. Es hat ja bereits <strong>im</strong> Jahr 2000 eine von <strong>der</strong> IMK eingesetzte<br />

Arbeitsgruppe auf Staatssekretärsebene einen Bericht zur Beseitigung von Rückführungsschwierigkeiten<br />

vorgelegt und die dort festgestellten Gründe sind nach wie vor aktuell. Dieser<br />

Bericht listet eine Reihe von Verhaltensmustern auf. Ich will es nur noch einmal wie<strong>der</strong>holen:<br />

Da wäre z.B. die aktive Vereitelung von Abschiebungen, die darin besteht, dass<br />

man selbst o<strong>der</strong> dass Unterstützer auf dem Weg zum Flugzeug o<strong>der</strong> <strong>im</strong> Flugzeug durch<br />

Wi<strong>der</strong>standshandlungen den Flugkapitän dazu bringt, die Person nicht mitzunehmen. Viele<br />

von den Verhaltensweisen lassen sich auch unter dem Oberbegriff „Verschleierung <strong>der</strong> Identität“<br />

zusammenfassen. Es ist auch schon gesagt worden, was alles dazugehört: Vernichten,<br />

Verstecken, Vorenthalten <strong>der</strong> Ausweispapiere, Führung mehrerer „Alias-<br />

Personalien“ zur Verschleierung <strong>der</strong> wahren Identität und Staatsangehörigkeit o<strong>der</strong> die Behauptung,<br />

Staatsangehöriger eines Lan<strong>des</strong> zu sein, von dem bekannt ist, dass dorthin aus<br />

rechtlichen o<strong>der</strong> tatsächlichen Gründen keine Abschiebung erfolgt, o<strong>der</strong> mangelnde o<strong>der</strong><br />

fehlende Mitwirkung bei <strong>der</strong> Klärung <strong>der</strong> Identität und Staatsangehörigkeit sowie <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen<br />

Passersatzpapierbeschaffung durch Falschangaben o<strong>der</strong> Verweigerung wesentlicher<br />

Angaben. Meine Vorredner haben auch darüber gesprochen, wie schwierig es mit<br />

einigen Staaten ist, wobei die Probleme natürlich nicht nur auf Seiten <strong>der</strong> Ausreisepflichtigen<br />

zu finden sind, son<strong>der</strong>n auch in <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit den Herkunftsstaaten. Und<br />

Herr Lindemann hat auch noch ein weiteres Problem bei Rückführungsschwierigkeiten angesprochen,<br />

das <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> größere Bedeutung erhält, das ist das Problem <strong>der</strong> Erkrankung,<br />

<strong>der</strong> Reisefähigkeit. Immer wie<strong>der</strong> kommt es zunehmend auch dazu, dass Abschiebungen<br />

fehlschlagen, weil gesundheitliche Beeinträchtigungen geltend gemacht werden<br />

und dies oftmals mit sehr dürftigen Attesten. Ich kann Ihnen nur ein Beispiel aus <strong>der</strong> Praxis<br />

nennen. Ich habe das Attest eines Arztes gelesen, das einer Frau eine posttraumatische<br />

Belastungsstörung bescheinigt hat mit <strong>der</strong> Begründung, sie sei traumatisiert worden, durch


6. Frau Hitz<br />

404<br />

die Kriegsereignisse in Mazedonien. Nun wissen die Eingeweihten, dass es in Mazedonien<br />

keine Kriegsereignisse gegeben hat. Ja, es wird akribisch - das haben meine Vorredner<br />

auch gesagt - daran gearbeitet, diese ganzen Rückführungsschwierigkeiten zu beseitigen.<br />

Auch in Nie<strong>der</strong>sachsen ist man natürlich bestrebt, dies zu unternehmen, gerade auch in<br />

Verbindung mit <strong>der</strong> Identitätsklärung. Es gibt in Nie<strong>der</strong>sachsen zwei Ausreiseeinrichtungen,<br />

in denen die Möglichkeit besteht, bei jeweils 25 Personen, die langjährig ihre Identität<br />

verschleiert haben, beson<strong>der</strong>e Untersuchungs- und Aufklärungsmaßnahmen durchzuführen,<br />

um hier doch noch zu einer Identitätsklärung zu kommen. Und ich kann auch sagen,<br />

allein die Tatsache, dass die Gefahr droht, in so eine Ausreiseeinrichtung kommen zu<br />

müssen, hat schon dazu geführt, dass Menschen ihre Identität preisgegeben haben. Aber<br />

das sind alles kr<strong>im</strong>inalistische Kleinarbeiten, die da angelegt werden. Und bei einer Kapazität<br />

von jeweils 25 Plätzen bei langwierigen Ermittlungen können Sie sich vorstellen, wie<br />

groß dann eben auch die Erfolge sind. Einen Punkt, den ich in diesem Zusammenhang<br />

noch einmal anführen möchte: Es wird deutlich, dass diese kr<strong>im</strong>inalistische Kleinarbeit<br />

nicht allein ausschlaggebend o<strong>der</strong> allein zielführend sein kann, schon gar nicht, wenn man<br />

bedenkt, dass solche Dinge – wie Ausreiseeinrichtung und Identitätsklärung – oftmals am<br />

Ende eines Aufenthalts angestrengt werden. Und <strong>des</strong>halb möchte ich mich dafür stark machen,<br />

dass versucht wird, eine Identitätsklärung noch zu einem Zeitpunkt vorzunehmen, zu<br />

dem die Betroffenen noch nicht so lange hier in Deutschland sind. Wenn sie erst eine gewisse<br />

Zeit hier gewesen sind, wird es kaum noch Möglichkeiten geben, Beweise für die<br />

Herkunft zu finden. Wichtiger ist es <strong>des</strong>halb, dass man zu Beginn <strong>des</strong> Aufenthalts alle<br />

Möglichkeiten ausschöpft, die Identität zu klären. Und da ja viele Auslän<strong>der</strong>innen und Auslän<strong>der</strong><br />

zu Beginn ihres Aufenthalts ein Asylverfahren durchführen und damit das Bun<strong>des</strong>amt<br />

für Migration und Flüchtlinge dieses Verfahren für die Person durchführt, wäre es aus<br />

meiner Sicht sehr hilfreich, wenn bereits zu diesem frühen Zeitpunkt alle Möglichkeiten genutzt<br />

würden, auch eine Identitätsklärung herbeizuführen.<br />

Ja, es ist auch schon von meinen Vorrednern darauf hingewiesen worden, dass natürlich<br />

auch Gespräche geführt werden mit den Herkunftsstaaten, um diese Rückführungsschwierigkeiten,<br />

die sich auf dieser Ebene stellen, zu beseitigen. Herr Lindemann hat sehr ausführlich<br />

über die Schwierigkeiten gesprochen, die in Verbindung mit <strong>der</strong> Rückführung in<br />

das Kosovo bestehen und ich möchte auch hier nur ein Beispiel aus <strong>der</strong> Praxis noch zum<br />

Besten geben. Es gibt in Nie<strong>der</strong>sachsen eine Familie, die hat einen neunjährigen Jungen.<br />

Und ein Arzt, ein Kin<strong>der</strong>psychologe, hat diesem neunjährigen Jungen eine Lese/Rechtschreibschwäche<br />

attestiert und diese Lese/Rechtsschreibschwäche hat dazu geführt,<br />

dass eine sechsköpfige Familie nicht zurückgeführt werden konnte, weil UNMIK diese<br />

Familie abgelehnt hat.<br />

Meine Damen und Herren, ich denke, meine Vorredner haben es deutlich gemacht: Rückführungsschwierigkeiten<br />

sind Schwierigkeiten, die sich nicht zu sehr in Verbindung mit Gesetzgebung<br />

und mit einer Verän<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Aufenthaltsrechts beseitigen lassen, aber ich<br />

denke, mit meinem provokativem Ansatz, gut zu überlegen, ob man eine Bleiberechtsregelung<br />

macht und welche Personen man in eine Bleiberechtsregelung einbezieht, kann man<br />

auch Signale aussenden, die es den Behörden dann eines Tages auch nicht mehr ganz so<br />

schwer machen, eine Rückführung durchzuführen. Danke schön.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Besten Dank, Frau Stellmacher. Dann kommt jetzt Frau Hitz von <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>polizeidirektion<br />

an die Reihe. Bitte schön.<br />

Meine Damen und Herren, ich möchte die Gelegenheit nutzen, aus Sicht <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>polizeidirektion<br />

das fortzuführen, was meine Vorredner schon gesagt haben. Ausgehend von<br />

dem Ziel, dass die Rückführung unter Umständen auch zwangsweise durchgeführt werden<br />

muss, hat man bei <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>polizeidirektion eine sog. „Koordinierungsstelle für Rückführungsangelegenheiten“<br />

etabliert. Diese Koordinierungsstelle beschäftigt sich einmal mit <strong>der</strong><br />

Beschaffung von He<strong>im</strong>reisedokumenten. Ausgehend von den Statements meiner Vorred-


405<br />

ner dürfte klar geworden sein, dass die Beschaffung von He<strong>im</strong>reisedokumenten schwierig<br />

und langwierig ist. Deshalb hat man sich vor einigen Jahren entschlossen, für einige Staaten<br />

eine zentrale Stelle zu schaffen, die sich mit <strong>der</strong> Beschaffung von Pässen und Passersatzpapieren<br />

beschäftigt. Es ist nunmehr auch <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz geregelt, dass die<br />

Bun<strong>des</strong>polizeidirektion diese Aufgabe <strong>im</strong> Wege <strong>der</strong> Amtshilfe für die Län<strong>der</strong> wahrn<strong>im</strong>mt,<br />

und zwar <strong>der</strong>zeit für 13 afrikanische Staaten und für Vietnam. Bei den afrikanischen Staaten<br />

sind einige <strong>der</strong> bereits genannten Problemstaaten dabei, etwa Guinea-Bissau, Mali o<strong>der</strong><br />

Nigeria. Das Ziel war, durch diese Zentralisierung zu erreichen, dass die Botschaften<br />

die gewünschten wenigen Ansprechpartner haben, dass man sich untereinan<strong>der</strong> aufeinan<strong>der</strong><br />

einstellen kann, dass man die Geflogenheiten kennenlernt und so zu einer Verbesserung<br />

kommt. Dies ist teilweise auch gelungen. Man muss aber ganz klar sagen, dass die<br />

von uns betreuten Staaten oftmals durch eine sehr geringe Kooperationsbereitschaft sich<br />

ausweisen. Nicht nur, dass die Staatsangehörigen selbst sich weigern, bei Identifizierungsmaßnahmen<br />

mitzuwirken, auch die Auslandsvertretungen dieser Staaten sind in vielen<br />

Fällen nicht gewillt, bei diesen Maßnahmen mitzuwirken.<br />

Es ist aus <strong>der</strong> täglichen Arbeit exemplarisch auf folgende Problempunkte hinzuweisen:<br />

Einmal eine sehr schleppende Bearbeitung von Anträgen. Einige Botschaften sehen sich<br />

auch nicht in <strong>der</strong> Lage in einem Monat 10 Anträge zu bearbeiten. Es werden Bearbeitungen<br />

einfach für Monate aufgrund eines einzelnen Vorfalls ausgesetzt. Die Ausstellung von<br />

Pässen o<strong>der</strong> Passersatzpapieren wird damit verknüpft, dass an<strong>der</strong>e For<strong>der</strong>ungen erfüllt<br />

werden, finanzieller o<strong>der</strong> sonstiger Art. Es werden trotz erfolgreicher Identifizierung einfach<br />

keine Pässe ausgestellt. Wenn Pässe o<strong>der</strong> Passersatzpapiere ausgestellt werden, geschieht<br />

das oft sehr kurzfristig, so dass geplante Rückführungsmaßnahmen nicht durchgeführt<br />

werden können, weil einfach die Zeit zu knapp wird, als dass man damit erreichen<br />

könnte, diese Person noch auf einen Flug zu bekommen. Diese Papiere haben manchmal<br />

eine sehr kurze Gültigkeit, so dass man, wenn dann noch eine Erkrankung, ein Untertauchen<br />

o<strong>der</strong> eine sonstige Aktion dazwischenkommt, das Passersatzpapier selbstverständlich<br />

kostenpflichtig verlängern muss. Manchmal ist auch nur eine einmalige Verlängerung<br />

möglich, so dass dann eine noch teurere Neuausstellung erfor<strong>der</strong>lich ist. Auch werden zum<br />

Teil sehr hohe Gebühren verlangt, höher als beispielsweise in an<strong>der</strong>en europäischen Län<strong>der</strong>n,<br />

ohne eine Rechtsgrundlage etwa für eine plötzliche Gebührenerhöhung nennen zu<br />

können.<br />

Insoweit kann ich mich meinen Vorrednern nur anschließen, dass die gesetzlichen Grundlagen<br />

an sich ausreichend sind, es aber in <strong>der</strong> Praxis weiterer Anstrengungen bedarf, um<br />

da zu einer Verbesserung zu kommen. Eine Möglichkeit wäre das Einladen von ausländischen<br />

Expertengruppen, um beispielsweise darüber hinwegzukommen, dass die Botschaft<br />

diejenige ist, die sich verweigert. Dies hat sich beispielsweise bei Vietnam bewährt. Man<br />

könnte es auch mit an<strong>der</strong>en Staaten überlegen. Aktuell haben wir überlegt, so etwas mit<br />

Mali durchzuführen. Dort hat sich die Botschaft jahrelang einfach überhaupt nicht gerührt.<br />

Jetzt konnten wir zumin<strong>des</strong>t ein Gespräch bei <strong>der</strong> Botschaft Malis erreichen, um dort den<br />

Vorschlag zu machen, eine Expertengruppe einzuladen. Wie das Land darauf reagieren<br />

wird, ist noch unklar, aber zumin<strong>des</strong>t gab es einen Termin in <strong>der</strong> Botschaft, um diesen Vorschlag<br />

anbringen zu können.<br />

Eine Überlegung, die wir haben, ist, ob man auf europäischer Ebene bei <strong>der</strong> Passersatzbeschaffung<br />

zusammenarbeiten kann. Wir haben uns mit <strong>der</strong> Schweiz <strong>im</strong> letzten Jahr getroffen,<br />

um abzust<strong>im</strong>men, ob man da Gemeinsamkeiten sehen kann, gemeinsame Aktionen<br />

durchführen kann. Solche gemeinsamen Aktionen haben sich schon bewährt, etwa bei<br />

<strong>der</strong> konkreten Durchführung von Rückführungen. Dort hat sich gezeigt, dass europäische<br />

Gemeinschaftsflüge sinnvoll sind und auch eine gewisse Erleichterung bringen können,<br />

was die Zahl <strong>der</strong> Rückzuführenden angeht. Insoweit ist hier jetzt auch <strong>der</strong> nächste Punkt,<br />

<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>polizeidirektion behandelt wird, nämlich die konkrete operative Durchführung<br />

von Rückführungsmaßnahmen. Auch dort muss angesprochen werden, dass die<br />

gesetzlichen Grundlagen ausreichend sind. Es ist die Praxis, die die Probleme bringt. Bei<br />

Län<strong>der</strong>n wie etwa Nigeria, wo wir sehr hohe Zahlen haben, was die Identifizierungen angeht,<br />

auch was die Ausstellung von Passersatzpapieren betrifft, stellt sich das Problem,<br />

dass wir eine Beschränkung haben, dass wir nur etwa fünf Personen pro Flug nach Nigeria<br />

zurückbringen können. D.h., sie können sich vorstellen, die mühsam erlangten Passersatzpapiere<br />

nützen nichts, wenn ich die Personen dann tatsächlich nur in solch kleinen<br />

Mengen zurückführen kann. Auch hier wäre in Zusammenarbeit mit den europäischen<br />

Län<strong>der</strong>n zu prüfen, ob man dort gemeinsame Aktionen einbringen kann, um Verbesserun-


406<br />

gen zu erreichen. Was Nigeria betrifft, hatten <strong>im</strong> Übrigen an<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong> ganz an<strong>der</strong>e Zahlen,<br />

die sie zurückführen können, da sie entsprechende Vereinbarungen geschlossen haben.<br />

Das zeigt, dass die hier schon genannten Vereinbarungen, Rückübernahmeabkommen,<br />

sinnvoll sind, je nachdem, wie sie ausgestaltet sind. Da stellt sich für uns auch das<br />

Problem, dass einige Län<strong>der</strong> Standards setzen, die wir nicht mittragen müssen o<strong>der</strong> auch<br />

wollen, weil die Rückübernahme mit finanziellen Zugeständnissen verbunden ist. Da wäre<br />

zu überlegen, gemeinsame Abkommen zu schließen, damit die Län<strong>der</strong> nicht untereinan<strong>der</strong><br />

ausgespielt werden. Ein weiterer Punkt bei <strong>der</strong> konkreten Rückführung ist auch schon genannt<br />

worden, und zwar das Problem <strong>der</strong> Atteste. Da die Bun<strong>des</strong>polizeidirektion zuständig<br />

ist für die Begleitung von Rückführungsmaßnahmen, haben wir natürlich auch ein hohes<br />

Interesse daran, dass die Flugreisetauglichkeit feststeht und zwar konkret und nicht irgendwie<br />

fiktiv bescheinigt wird. Die entsprechende Regelung <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes hat<br />

sich aus unserer Sicht bewährt und wir möchten auch nicht davon abrücken, denn sollte<br />

man dazu kommen, eine fiktive Flugreisetauglichkeit zu bescheinigen, wäre das Risiko<br />

wie<strong>der</strong> abgewälzt auf diejenigen Beamten, die konkret begleiten müssen, und das ist aus<br />

unserer Sicht auch nicht zumutbar.<br />

Ein letzter Punkt, den ich erwähnen möchte, ist die Kostenregelung. Dort hat sich, was die<br />

begleitete Rückführung angeht, aktuell ein Problem durch eine Entscheidung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verwaltungsgerichts<br />

ergeben. Es werden ja Rückführungen nicht nur begleitet von Bun<strong>des</strong>polizeibeamten<br />

durchgeführt, son<strong>der</strong>n auch von an<strong>der</strong>en staatlichen Begleitern o<strong>der</strong><br />

privaten Sicherheitsbegleitern. Diese Kosten wurden bislang als Kosten <strong>der</strong> amtlichen Begleitung<br />

angesehen. Dies hat sich jetzt geän<strong>der</strong>t. Es sollen sonstige Verwaltungsauslagen<br />

sein. Da es aber in <strong>der</strong> Verwaltungspraxis so ist, dass die Kosten <strong>der</strong> amtlichen Begleitung<br />

nach § 67 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG und die sonstigen Kosten nach § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG<br />

von unterschiedlichen Kostenträgern zunächst übernommen werden, hat sich da zur<br />

Zeit eine gewisse Unsicherheit breit gemacht, die meines Erachtens auch nur durch eine<br />

Klarstellung <strong>im</strong> Gesetz beseitigt werden kann. Bevor man dazu aber noch weitere konkrete<br />

Angaben machen kann, müssten zunächst erstmal die Urteilsgründe abgewartet werden.<br />

Zusammenfassend ist aus meiner Sicht zu sagen, dass sich die gesetzlichen Regelungen<br />

bewährt haben. Ich kann nur an das anschließen, was meine Vorredner gesagt haben: In<br />

<strong>der</strong> Praxis müsste es noch einige Verbesserungen geben. Danke.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Frau Hitz, für ihren Vortrag. Ich wollte zu Nigeria nur noch anfügen, dass<br />

wir da seit geraumer Zeit auch schon an einem Rückübernahmeabkommen arbeiten. Entwürfe<br />

hat die nigerianische Regierung erhalten. Das hängt manchmal auch ein bisschen<br />

mit <strong>der</strong> Historie zusammen, mit Kolonialzeiten und so, welcher Staat vielleicht etwas stärkeren<br />

Einfluss dort hat. Bei dem Staat fällt mir ein, dass wir da vor vielen Jahren noch unter<br />

Innenminister Kanther ein Expertengespräch hatten und wir waren damals in Nigeria.<br />

Wir hatten auch einen Kr<strong>im</strong>inalkommissar aus dem Bun<strong>des</strong>kr<strong>im</strong>inalamt mitgenommen,<br />

Herr Kallis. Der hat damals in Nigeria einige Tests gemacht. Der hat in Verhandlungen mit<br />

dem stellvertretenden Rektor <strong>der</strong> Universität von Lagos für 50 Dollar erreicht - wenn ich<br />

das recht erinnere – für sich eine Promotionsurkunde ausstellen zu lassen. Er wollte mal<br />

gern Doktor <strong>der</strong> Jurisprudenz werden. Und zweitens hat er zu allem Überdruss sich dann<br />

auch noch <strong>der</strong> Bigamie schuldig gemacht. Es ist nämlich ein Exper<strong>im</strong>ent gemacht worden<br />

mit einem befreundeten Rechtsanwalt <strong>der</strong> Botschaft. Mit <strong>des</strong>sen Gattin ist er zum Stan<strong>des</strong>beamten<br />

nach Lagos gegangen und hat dort dann just eben geheiratet. Man hat ihn gefragt:<br />

Hast du Papiere? Nein, habe ich nicht, sagte er. Und mit 100 Dollar ist es ihm dann<br />

gelungen halt, eine echte, nach außen echte Urkunde zu erhalten. Auch die Promotionsurkunde<br />

hat er dann vorgezeigt. Also wir haben auch zusätzlich – wollte ich nur kommentieren<br />

– solche Probleme noch, wo wir Urkunden vorgewiesen erhalten, die inhaltlich falsch<br />

sind, aber nach außen eben echt sind. Das sind dann auch beson<strong>der</strong>s schwierige Punkte<br />

hinsichtlich einer Reihe von afrikanischen Staaten. Das wollte ich hier einmal anmerken.<br />

Dann möchte ich ganz gern die Diskussion eröffnen und gebe Gelegenheit, Fragen zu stellen.<br />

Bitte schön, Herr Muth.


7. Diskussion<br />

407<br />

Herr Muth:<br />

Wir haben übereinst<strong>im</strong>mend gehört, dass die rechtlichen <strong>Rahmen</strong>bedingungen als in Ordnung<br />

angesehen werden, während es Vollzugsprobleme gibt. Wir haben in Rheinland-Pfalz<br />

zwei sehr unterschiedliche Methoden, mit denen wir probieren, die Rückführungsquote zu<br />

erhöhen. Das ist einmal <strong>der</strong> Modellversuch „Identitätsfeststellung“ noch während <strong>des</strong> laufenden<br />

Identitätsverfahrens. Herr Dr. Lehnguth, wenn Sie das gestatten, könnte Herr Martini-Emden,<br />

<strong>der</strong> das fe<strong>der</strong>führend betreut, das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Wort dazu sagen. Das an<strong>der</strong>e<br />

ist eine Fragestellung von mir an die Experten. Also wir probieren jetzt einmal, mit <strong>der</strong><br />

För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> freiwilligen Ausreise die Rückführungsquote zu erhöhen, insbeson<strong>der</strong>e<br />

dann, wo auch sozusagen zwangsweise überhaupt nichts mehr läuft, wo es sich um die<br />

Totalverweigerer handelt. Das ist ja teilweise auch sehr ambivalent, wird sehr unterschiedlich<br />

beurteilt. Wir haben erste Erfahrungen, dass das eigentlich ganz gut ist und dass die<br />

Rückführungsquote sich erhöht hat und dass wir Einsparungen be<strong>im</strong> Sozialleistungsbezug<br />

haben, aber da hätte ich auch gerne einmal von den <strong>Praktiker</strong>n gewusst, wie das bewertet<br />

wird.<br />

Zwischenkommentar von Herr Dr. Lehnguth:<br />

Dann kommt Herr Martini-Emden dran. Ich wollte sie aber noch einmal fragen Herr Muth,<br />

weil Sie ja mal durch die Zeitung gejagt worden waren mit sehr großzügigen Zahlungen für<br />

freiwillige Rückkehre; vielleicht können Sie dazu noch mal was sagen. Ich weiß, dass Ihr<br />

Minister in <strong>der</strong> Zeitung sich dazu geäußert hatte, aber ich wollte nur wissen, was da eigentlich<br />

so dran war und welche Erfolge Sie damit hatten. Herr Martini-Emden erstmal.<br />

Antwort Herr Martini-Emden:<br />

Ja, es gibt in Rheinland-Pfalz ein Projekt, dass Identitätsklärung <strong>im</strong> frühen Stadium heißt,<br />

das heißt, ausgehend von den Überlegungen, die auch schon Frau Stellmacher angesprochen<br />

hatte, dass es wesentlich schwieriger ist, in einem späten Zeitpunkt <strong>des</strong> Verfahrens,<br />

also nach längerer Aufenthaltszeit, wo sich entsprechende Identitätsverschleierungsmaßnahmen<br />

und –strukturen festgeschrieben haben, an die Leute noch heranzukommen, um<br />

verwertbare Indizien über ihre Identität und Herkunft zu bekommen. Das kann man zu einem<br />

frühen Zeitpunkt kurz nach <strong>der</strong> Einreise wesentlich leichter erreichen und wir hatten<br />

letztes Jahr, nein <strong>im</strong> Jahr davor, eine halbjährige Modellphase angefangen und führen seit<br />

diesem Jahr, seit dem 1. Januar an, das in einer Kontinuität bei allen Asylbewerbern, denen<br />

Identitätsdokumente fehlen und bei denen Rückführungsschwierigkeiten zu erwarten<br />

sind, durch, indem wir sie intensiv zum Reiseweg, zur Herkunft, zur Plausibilität ihrer Angaben<br />

befragen, um so zu Angaben zu kommen, die für das spätere Passbeschaffungsverfahren<br />

verwertbar sind. Und die Ergebnisse sind sehr ermutigend, muss man sagen, wobei<br />

es natürlich auch kein Allerheilmittel ist. Es geht halt nur bei Personen, die sich tatsächlich<br />

in einer gewissen Weise noch in dem Sinne beeinflussen lassen. Aber es ist festzustellen,<br />

dass es tatsächlich zu einem früheren Zeitpunkt einfacher ist. Es gibt bei uns noch die Situation,<br />

dass wir es erst nach <strong>der</strong> Anhörung durch das Bun<strong>des</strong>amt durchführen. In an<strong>der</strong>en<br />

Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n, wo es gemacht wird, liegt <strong>der</strong> Zeitpunkt schon unmittelbar nach <strong>der</strong> Einreise<br />

und es wäre interessant, da einen Vergleich zu ziehen, ob das tatsächliche Auswirkungen<br />

hat, weil es zum Teil dann eben schon 14 Tage bis 3 Wochen her ist, in denen sich die<br />

Leute dann in Aufnahmeeinrichtungen schon aufhalten. Der Vorteil, den ich sehen würde,<br />

wenn man es vor dem Asylverfahren bereits machen würde, wäre, dass die Erkenntnisse,<br />

die wir gewinnen, dann bereits in die Bewertung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes einfließen, z.B. auch<br />

das, was jetzt die Herkunft anbetrifft, wenn man erkennen kann, dass die Angaben <strong>der</strong><br />

Person zu ihrem Herkunftsland so unplausibel sind, so oberflächlich, und gewisse Detailkenntnisse,<br />

die man einfach haben muss, wenn man aus dem Land herkommen will, nicht<br />

beantwortet werden können. Dann hat man schon einen klaren Hinweis darauf, dass das<br />

Asylverfahren unter dieser angegebenen Nationalität, diesem potentiellen Verfolgerstaat,<br />

überhaupt keinen realen Hintergrund haben kann und wir bekommen natürlich auch differenziertes<br />

Bild über das Mitwirkungsverhalten <strong>der</strong> Person. Wenn man erkennen kann, dass<br />

einfache Fragen nicht beantwortet werden o<strong>der</strong> in einer Form beantwortet werden, die man<br />

nur als pauschale Angabe bewerten kann, dann haben wir schon entsprechende Ansätze,


408<br />

die später mal <strong>im</strong> aufenthaltsrechtlichen Verfahren eine wesentliche Rolle spielen können<br />

und die auch <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Strafbarkeit eine Rolle spielen können, weil sich ja <strong>der</strong> Straftatbestand,<br />

wenn man dazu kommt, worum ich ja gebeten habe, sich nicht nur auf Angaben<br />

zur Identität, zur Herkunft und zum Alter beschränken soll, son<strong>der</strong>n auf alle wesentlichen<br />

Angaben zur Identifizierung erstrecken soll, dann hätte man hier ein wesentliches<br />

breiteres Instrumentarium, um entsprechenden Druck auszuüben. Und das ist das, was wir<br />

uns in <strong>der</strong> Praxis wünschen, <strong>des</strong>wegen vielleicht auch gerade noch eine Aussage zur Frage<br />

<strong>der</strong> freiwilligen Rückkehr, die in Rheinland-Pfalz ja auch so praktiziert wird. Wir sehen<br />

das in <strong>der</strong> Praxis so, dass man das komplette Instrumentarium an sich haben muss. Entscheidend<br />

ist aber, dass es ein entsprechen<strong>des</strong> Druckpotential geben muss, weil das die<br />

Erkenntnis ist, die alle Praxis <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> zeigt: Ohne Druckpotential gibt es auch keine<br />

Freiwilligkeit. Ohne Abschiebung, keine freiwilligen Ausreisen und ohne entsprechen<strong>des</strong><br />

Druckpotential <strong>im</strong> restriktiven Bereich auch kein Interesse an einer För<strong>der</strong>ung finanzieller<br />

Art, es sei denn, es sind Mitnahmeeffekte o<strong>der</strong> es müssen wirklich Summen aufgewandt<br />

werden, hier eine neue Ausreisemotivation zu schaffen.<br />

Herr Dr. Lehnguth<br />

Vielen herzlichen Dank, Herr Martini-Emden. Dann kommt Herr Muth dran. Und Herr Abgeordneter<br />

Veit hatte dann noch eine Rückfrage zu Herrn Martini-Emden.<br />

Herr Muth:<br />

Ja, unsere Rückführungsinitiative hatte ein gewisses Presseecho gefunden. Was war <strong>der</strong><br />

Ausgangspunkt? Wir haben in Rheinland-Pfalz eine Unendlicherstattung gehabt nach dem<br />

Asylbewerberleistungsgesetz für ausreisepflichtige Personen. Das ist in zweierlei Richtung<br />

unglücklich: die Kommunen haben kein unbedingt gesteigertes Interesse, die Aufenthaltsbeendigung<br />

dieser Personen zu vollziehen, weil sie <strong>im</strong> Grunde genommen eine volle Kostenerstattung<br />

haben, was eigentlich schlecht für den Vollzug ist. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite haben<br />

sie auch kein Interesse, ein Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen zu erteilen,<br />

weil, wenn mal wie<strong>der</strong> Sozialleistungsbezug eintreten würde, sie dann jemanden haben,<br />

<strong>der</strong> bezahlt. Also das ist eine sehr ambivalente Sache. Wir haben daher gesagt, dass es so<br />

nicht weitergehen kann und die überwiegenden Län<strong>der</strong> erstatten ja auch nicht unendlich in<br />

diesen Fällen bei abgelehnten Asylbewerbern, so dass gesagt worden ist, nach drei Jahren<br />

ist Schluss. Da haben die Kommunen gesagt, na gut wir haben aber Personen, die wir gar<br />

nicht rückführen können, zwangsweise (Stichwort: Kosovo). Wir haben sehr viele Min<strong>der</strong>heiten<br />

aus dem Kosovo. Da haben wir gesagt, das adäquate Mittel in diesem Zusammenhang,<br />

die freiwillige Ausreise, ist möglich. Wir geben ganz einfach einen gewissen För<strong>der</strong>anreiz,<br />

dass wir sagen, mit diesen Leuten muss gesprochen werden, und haben pauschal<br />

5 Mio. Euro zur Verfügung gestellt. Die Verwendung ist relativ frei. Es gibt zwei Bindungen:<br />

Es gibt Abrechnungen, aber wir haben jetzt zunächst mal keine Höchstsätze festgelegt und<br />

wir haben auch gesagt, diese Mittel können zur Beseitigung von Abschiebungshin<strong>der</strong>nissen<br />

auch eingesetzt werden. Die Mittel können auch eingesetzt werden, um eine Ausreiseberatung<br />

zu machen und Personal dafür speziell einzusetzen o<strong>der</strong> um dieses auch zu<br />

tun. Beispielsweise gibt es einen ganz interessanten Ansatz: die Stadtverwaltung Mainz<br />

und die Kreisverwaltung Mainz/Bingen haben den Malteser Hilfsdienst mit dieser Aufgabe<br />

betraut und jetzt <strong>der</strong> dortige Migrationsreferent auf einmal die Ausreiseberatung. Die Evangelische<br />

Kirche ist als Projektbegleiter mit <strong>im</strong> Boot. Die Diakonie berät. Eigentlich eine Situation,<br />

die sich auf einmal so darstellt, dass auch die kirchliche Seite sagt, jawohl, wir sagen<br />

Rückführung, wir sind nicht gegen Rückführung, son<strong>der</strong>n wir begrüßen einen Ansatz,<br />

freiwillige Rückführung zu machen. Also ein richtiger Keil, <strong>der</strong> in die humanitäre Lage eingeschlagen<br />

ist, dass auf einmal die Evangelische Kirche sagt, ja wir begrüßen die Rückführungsbemühungen.<br />

Wir sind in die Kritik o<strong>der</strong> relativ unberechtigte Kritik gekommen,<br />

weil in <strong>der</strong> Süddeutschen Zeitung ein Artikel stand, eine Auslän<strong>der</strong>behörde hätte einem<br />

Asylbewerber 5.000 Euro für die freiwillige Ausreise angeboten. Das ist nachweislich<br />

falsch. Ich habe alle Oberbürgermeister in Rheinland-Pfalz angeschrieben und um definitive<br />

Aussage und Klärung gebeten und alle haben mir hoch und heilig versichert, das Angebot<br />

hätte es niemals gegeben. Ich kann also ganz konkrete Zahlen nennen. Das Programm<br />

läuft noch nicht so arg lang. Wir haben geför<strong>der</strong>t über die Lan<strong>des</strong>initiative 172 Ausreisen<br />

geför<strong>der</strong>t. Und die finanziellen Mittel, die dafür aufgewandt wurden, belaufen sich auf<br />

179.000 Euro, also pro Person knapp über 1.000 Euro. Die Höchstsumme pro Einzelperson<br />

war 5.000 Euro, das war eine 75-jährige Frau, alleinstehend aus dem Kosovo, die eingereist<br />

ist und die hätte in ein Pflegehe<strong>im</strong> gemusst und dann hat die Auslän<strong>der</strong>behörde


409<br />

gesagt, wenn wir das so arrangieren, dass wir <strong>im</strong> Bekanntenbereich dort Geld hinterlassen<br />

in Höhe von 5.000 Euro und dann eine Pflege davon bezahlt wird, dann wäre die nie rückzuführen<br />

gewesen. Wir haben auch einmal eine Berechnung angestellt, in welchem Umfang<br />

durch die Person, die freiwillig zurückgekehrt sind, Sozialleistungen eingespart worden<br />

sind. Das ist natürlich erheblich; das ist schon ein Vielfaches. Entscheidend ist, da<br />

st<strong>im</strong>me ich Herr Martini-Emden zu, dass die Auslän<strong>der</strong>behörden natürlich sozusagen auf<br />

<strong>der</strong> einen Seite Druck machen und auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite die freiwillige Ausreise und die<br />

För<strong>der</strong>ung als Angebot setzen; die haben auch die größten Erfolge, etwa zwei Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

mit jeweils 30 freiwilligen Ausreisen von Personen, die durchweg Sozialleistungen<br />

bezogen. Wo wir die Libanon-Türken aufgedeckt haben, sind diese teilweise auch<br />

ausgereist. Ausreisen kann man auch in Län<strong>der</strong>, wo man eigentlich <strong>im</strong> Moment gar nicht<br />

ohne weiteres abschieben kann, also Ausreisen in den Irak, nach Togo, was auch problematisch<br />

ist, in den Iran, nach China, in die Russische Fö<strong>der</strong>ation und es sind doch einige<br />

Fälle dabei, wo eine Passbeschaffung o<strong>der</strong> eine zwangsweise Rückführung niemals möglich<br />

gewesen wäre.<br />

Herr Dr. Lehnguth<br />

Gut. Herzlichen Dank Herr Muth. Ich habe jetzt auf <strong>der</strong> Rednerliste erstmal den Herrn Abgeordneten<br />

Veit. Frau Stellmacher wollte sich dann gerne noch mal zu Herrn Martini-<br />

Emden äußern und Herrn Burkhardt vom Auswärtigen Amt. Bitte schön, Herr Veit.<br />

Herr MdB Veit:<br />

Herr Martini-Emden, sehen Sie da gesetzgeberischen Handlungsbedarf o<strong>der</strong> habe ich Sie<br />

richtig verstanden, dass das in einzelnen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n, auch unabhängig von <strong>der</strong> Frage,<br />

wie es be<strong>im</strong> BAMF läuft, bereits geschieht?<br />

Herr Martini-Emden:<br />

Wie gesagt, auf <strong>der</strong> einen Seite steht die intensive Befragung, aber die Befragung scheitert<br />

natürlich auch in diesen Fällen oft an dem Mitwirkungsverhalten <strong>der</strong> betroffenen Personen.<br />

Und es wird in diesen Befragungen schon sehr schnell sehr deutlich, ob die Menschen<br />

wahre Angaben machen o<strong>der</strong> nicht, die hinterher verwertbar sind o<strong>der</strong> nicht. Da fehlt uns<br />

aktuell noch eine umfassende – aus unserer Sicht –gesetzliche Konsequenz, einmal <strong>im</strong><br />

Straftatbestand, <strong>der</strong> eben diese Angaben, nicht allein auf Alter, Identität und Staatsangehörigkeit<br />

beschränken darf, wobei die Identität durch Verwaltungsvorschrift auch noch den<br />

Wohnort umfasst; denn es gibt an<strong>der</strong>e Dinge, wie Eheschließung, Zeit <strong>der</strong> Eheschließung,<br />

Ort <strong>der</strong> Eheschließung und viele Dinge mehr, die nach dem Identifizierungsverfahren wichtig<br />

sind. Wenn wir mit diesen Angaben an die Botschaft herangehen und sagen können,<br />

hier hat er angegeben, da und da geheiratet zu haben beispielsweise o<strong>der</strong> da und da Militärdienst<br />

geleistet zu haben und das sind Dinge, die überprüft werden können, über die<br />

Botschaft o<strong>der</strong> über Vertrauensanwälte o<strong>der</strong> die deutsche Botschaft vor Ort, und die sich<br />

dann eben als falsche Angaben nachher herausstellen, dann kann man das sanktionieren<br />

und auch entsprechen<strong>des</strong> Potential dazu aufbauen. Das wäre eine von uns gefor<strong>der</strong>te gesetzgeberische<br />

Maßnahme. Weitere Konsequenzen, wie ich sie hervorgehoben habe, das<br />

zwingende Sachleistungsprinzip bei Personen, wo man erkennen kann, dass hier die absolute<br />

Mitwirkung fehlt, die uns von A bis Z belügen, um dann eben nicht hinterher dahingehend<br />

handeln zu müssen, dass sie neben ihrer Wohnung auch noch Geld bekommen,<br />

son<strong>der</strong>n wirklich zwingend, weil es die Kommunen ja nach wie vor ungern machen, will ich<br />

mal sagen, gesetzlich zwingend das dann über das Sachleistungsprinzip abwickeln müssen.<br />

Das würde sicherlich die Motivation zu wahren Angaben zumin<strong>des</strong>t för<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> aber<br />

eben zumin<strong>des</strong>t Sanktionen ermöglichen, die in Verbindung mit Falschangaben zu treffen<br />

wären.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Vielen Dank, Herr Martini-Emden. Dann mal Frau Stellmacher bitte noch dazu.<br />

Frau Stellmacher:


410<br />

Ja, ich wollte noch etwas zu <strong>der</strong> Frage sagen, die Herr Muth aufgeworfen hat: Wie sieht es<br />

in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n mit freiwilliger Rückkehr aus? Wir haben in Nie<strong>der</strong>sachsen seit einiger<br />

Zeit auch noch mal verstärkt auf freiwillige Rückkehr gesetzt. Bei uns ist es so, dass bedingt<br />

auch durch die geringeren Zugangszahlen relativ wenige Menschen auf Gemeinden<br />

verteilt werden. Sie bleiben eben in <strong>der</strong> Regel in den Gemeinschaftsunterkünften und wir<br />

haben in <strong>der</strong> Gemeinschaftsunterkunft in Bramsche ein beson<strong>der</strong>es Zentrum eingerichtet,<br />

in dem speziell auf freiwillige Rückkehr hingearbeitet wird. In den an<strong>der</strong>en zwei zwar auch,<br />

aber dort eben speziell. Und wir haben dort als Konzept vorgesehen, dass die Menschen<br />

beson<strong>der</strong>e Qualifizierungsmaßnahmen erfahren können und dass es vor allem auch darum<br />

geht, auch mit geringen finanziellen Mitteln natürlich, man muss ja <strong>im</strong>mer sehr vorsichtig<br />

sein, Ausreiseschwierigkeiten zu beheben. Es ist ja oftmals so, dass vorgetragen wird,<br />

dass Medikamente nicht bezahlt werden können <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland. Da gibt es eben auch Überlegungen,<br />

inwieweit man den Menschen dann eben entgegenkommen kann, um dieses<br />

Ausreisehin<strong>der</strong>nis zu beseitigen. Alles in allem ist seit dieser Zeit, seit dem wir eben verstärkt<br />

darauf geachtet haben, dass auch auf freiwillige Rückkehr hingewirkt wird, auch ein<br />

an<strong>der</strong>er o<strong>der</strong> weiterer Aspekt in unserem Fadenkreuz. Wir versuchen, die Menschen frühzeitig<br />

auch auf die freiwillige Ausreise wie<strong>der</strong> hinzuweisen. Das heißt, es soll eben gar<br />

nicht erst noch lange Zeit ins Land gehen. Man kann sich ausrechnen, wenn man die Zahlen<br />

sieht, die Zahlen <strong>der</strong> Anerkennung, wie groß die Chance ist, eine Anerkennung zu bekommen<br />

und das wird auch deutlich so gesagt. Und es wird auch deutlich frühzeitig darauf<br />

hingewiesen, dass die Menschen sich mit dem Gedanken vertraut machen müssen, auch<br />

wie<strong>der</strong> zurückzugehen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Frau Stellmacher. Dann Herr Burkhardt vom Auswärtigen Amt. Bitte schön.<br />

Herr Burkhardt:<br />

Ich wollte ursprünglich eine Bemerkung zu <strong>der</strong> Rückführung ins Kosovo machen. Sie haben<br />

ja auch schon, Herr Dr. Lehnguth, auf die Gespräche mit Herrn Jesse Petersen und<br />

den UNMIK-Vertretern <strong>im</strong> Februar hingewiesen. Die Herren waren auch <strong>im</strong> Auswärtigen<br />

Amt. Wir hoffen, dass sich das Verfahren jetzt verän<strong>der</strong>t und verbessert. Ich persönlich habe<br />

auch – muss ich sagen – relativ wenig Verständnis für die Positionen <strong>der</strong> angesprochenen<br />

Herrn bei <strong>der</strong> UNMIK. Ich muss allerdings, würde gerne eine kurze Bemerkung dazu<br />

machen aus unserer Sicht, die wir ja dann <strong>im</strong>mer mit unserer Vertretung ins Spiel kommen,<br />

wenn dann wie<strong>der</strong> Schwierigkeiten dort auftreten. Aus unserer Sicht ist es auch nicht sehr<br />

hilfreich, wenn einzelne Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> versuchen, Leute doch wie<strong>der</strong> – ich sag’s mal salopp<br />

– auf’n Flieger zu schmuggeln, die von UNMIK bereits abgelehnt worden sind. Das<br />

schafft unnötige Probleme. Ich glaube nicht, dass das geeignet ist, die Zusammenarbeit<br />

erheblich zu verbessern.<br />

Ich wollte auch eine generelle Bemerkung machen zur Frage <strong>der</strong> Kooperationsbereitschaft<br />

mit den Botschaften hier. Ich hab ja das Vergnügen o<strong>der</strong> die Ehre, gemeinsam mit Herrn<br />

Martini-Emden bzw. <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>polizei und natürlich dem Innenministerium die Gespräche<br />

mit den Botschaftern <strong>der</strong> Staaten zu führen, die hier häufig beson<strong>der</strong>s unkooperativ sind.<br />

Ich möchte zum einen versichern, dass wir natürlich bereit sind, dieses weiterhin zu tun<br />

und, falls notwendig, zu intensivieren. Ich möchte aber auch meinen persönlichen Eindruck<br />

festhalten aus diesen Gesprächen. Man kommt sich manchmal etwas fruchtlos vor, weil<br />

man merkt, dass wir einfach zu wenig Hebel haben, um da auch irgendwo ein bisschen<br />

Druck auszuüben. Ich denke, die „carrots and sticks“ müssten nicht nur hinsichtlich <strong>der</strong> individuellen<br />

Ausreisepflichtigen etwas verstärkt werden, son<strong>der</strong>n vielleicht auch gegenüber<br />

den Gastlän<strong>der</strong>n bzw. ihren Vertretungen. Wir sind <strong>im</strong> Moment dabei, hier erste Überlegungen<br />

anzustellen, wie man vielleicht auch zu etwas mehr Druck kommen könnte, und<br />

werden in Kürze unsere Amtsleitung auch mit diesen ersten Überlegungen befassen.<br />

Dann würde ich gerne noch eine Frage stellen und zwar zu dem an<strong>der</strong>en Teil, nämlich <strong>der</strong><br />

Identitätsverschleierung. Wir werden ja hoffentlich in etwa zwei Jahren, zweieinhalb Jahren,<br />

dann weltweit die Biometrie eingeführt haben <strong>im</strong> Visumsverfahren. Ich denke, dass<br />

man damit einen, ja und das ist dann die Frage, erheblichen Teil zu Identitätsfeststellungen<br />

beitragen kann, denn die Leute, die mit einem Visum eingereist sind, sind dann durch die<br />

10-Finger-flach-Abdrücke, die digital erfasst sind, in Kombination mit <strong>der</strong> Gesichtsvermes-


411<br />

sung praktisch zu 99 Prozent wirklich identifizierbar, auch wenn sie den Pass wegwerfen<br />

usw. Meine Frage wäre: Wie groß ist denn <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Ausreisepflichtigen, die ursprünglich<br />

mit einem Visum eingereist sind, <strong>im</strong> Vergleich zu denen, die irgendwo schwarz über<br />

die grüne Grenze o<strong>der</strong> <strong>im</strong> Schiffscontainer gekommen sind. Das heißt mit an<strong>der</strong>n Worten:<br />

Inwieweit wird uns die Biometrie be<strong>im</strong> Visumsverfahren helfen, diese Identitäten dann eindeutig<br />

zu klären? Es würde mich interessieren, wenn es dazu Erkenntnisse gäbe. Dank<br />

schön.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Herr Burkhardt, vielen Dank. Ich wollte nur mal wegen <strong>des</strong> VIS anmerken, dass mich<br />

diese Zahl etwas bestürzt. Wir wollen ja nun ab 2007 schon damit beginnen, wie Sie wissen.<br />

Ich meine, es ist so, dass da die Fingerabdrücke abgenommen werden. Natürlich wird<br />

das nicht sofort gleich weltweit wirken, son<strong>der</strong>n es wird dann erstmal mit Problemstaaten<br />

begonnen, also praktisch Fingerabdrücke plus Gesichts-Scanning, so dass wir da schon<br />

mal ganz gut mit vorankommen. Und dann hätte ich eine Anregung, eine persönliche, zur<br />

Effektivität dieser Botschafter-Gespräche, die Sie führen. Ich weiß davon, weil meine Leute<br />

<strong>im</strong>mer da zugegen sind. Ich hätte gelegentlich den Wunsch, dass das ein Staatssekretär<br />

macht, meine ich. Ich habe den früheren Staatssekretär von Plötze, <strong>der</strong> ein sehr effektiver<br />

Mann war, noch in Erinnerung, <strong>der</strong> das mit einer guten, einer sehr starken Art gemacht und<br />

doch die jeweiligen Botschafter durchaus sehr beeindruckt hat. Gelegentlich kommt es ja<br />

bei den Botschaftern etwas stärker an, wenn es von <strong>der</strong> Hierarchie etwas höher bei ihnen<br />

gesetzt wird. Nichts gegen Sie persönlich, Herr Burkhardt, das hat damit nichts zu tun. Aber<br />

das wird von den Botschaftern halt auch etwas wichtiger angesehen, wenn es dann <strong>der</strong><br />

Staatssekretär selbst macht. Und das hätte ich mir manchmal gewünscht o<strong>der</strong> würde es<br />

mir wünschen, dass Sie das dann vielleicht noch mal mit ins Auswärtige Amt mitnehmen.<br />

Dann mal zu Ihren Fragen. Könnten sich hier die Herren bitte hintereinan<strong>der</strong> zu Wort melden?<br />

Herr Weller fängt erstmal an.<br />

Herr Weller:<br />

Speziell zu <strong>der</strong> Frage, wie hoch <strong>der</strong> Prozentsatz <strong>der</strong> Einreisen mit Visa ist. Da muss ich also<br />

ganz klar und eindeutig sagen, wir in Nordhrein-Westfalen haben darüber keine statistischen<br />

Erkenntnisse vorliegen. Ich würde aber eher aus <strong>der</strong> Praxiserfahrung sagen, dass<br />

aufgrund <strong>der</strong> Erfahrungen <strong>der</strong> Personenkreis, <strong>der</strong> hier ist und <strong>der</strong> teilweise auch schon<br />

länger hier ist, denn diese Verschleierungsgründe liegen ja auch schon länger zurück, dass<br />

das also eher weniger Fälle sind, die offiziell mit einem Visum eingereist sind.<br />

Herr Martini-Emden:<br />

Das liegt natürlich in <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> Sache, dass es hier keine Zahlen geben kann, weil eben<br />

die Personen und ihre möglichen Visa-Unterlagen mit den jetzigen technischen Möglichkeiten<br />

noch nicht zusammengeführt werden können. Deswegen sind wir auf Schätzungen<br />

angewiesen. Wir wissen aus vielen Fällen, dass Leute durchaus mit Visa eingereist<br />

sind. Es gibt natürlich auch viele Fälle, die es zunächst nur versucht haben, abgelehnt<br />

worden sind und dann eben auf Schlepper-Wegen eingereist sind. Die einzige Zahl, die es<br />

insoweit meines Wissens gibt, ist ein Modellversuch, den man bei <strong>der</strong> Auslandsvertretung<br />

in Nigeria gemacht hat, und da waren, glaube ich, 40 Prozent, wenn ich mich recht erinnere,<br />

<strong>der</strong> Antragsteller schon einmal abgelehnt worden, die über Fingerabdrücke dann reidentifiziert<br />

worden sind und das ist ja schon eine erhebliche Menge. Von daher erwarten<br />

wir von <strong>der</strong> Praxis mit diesen Verfahren, zumin<strong>des</strong>t in einer Phase von einigen Jahren, einen<br />

erheblichen Zuwachs an Beweismitteln für das Identifizierungsverfahren. Die Frage ist,<br />

wie lange wird es halten, bis man eben weiß, dass man darüber letztendlich identifiziert<br />

wird und dann nur noch den Weg ohne vorherigen Versuch über die Botschaft bestreiten<br />

wird.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Vielen Dank, Herr Martini-Emden. Also die Zahl war 38 Prozent, aber das betraf halt<br />

nicht nur Visumantragsteller, son<strong>der</strong>n auch in sonstigen deutschen Registern befindliche<br />

Personen, das ist also nicht völlig identisch. Jedenfalls waren die schon mal in Deutschland<br />

gewesen und waren auch auffällig gewesen und waren gespeichert worden. Also eine


412<br />

sehr hohe Zahl, nahezu 40 Prozent. Jetzt kommt erstmal Herr Lindemann dran und dann<br />

möchte ich dem Herrn Abgeordneten Grindel die Gelegenheit geben, Fragen zu stellen.<br />

Herr Lindemann:<br />

Wir hatten aktuell in Düsseldorf einen Fall mit einem ghanaischen Staatsangehörigen, <strong>der</strong><br />

aber zur Passbeschaffungsmitwirkung bereit war und von sich aus erklärt hatte, dass er<br />

unter an<strong>der</strong>en Personalien in Ghana ein Visum beantragt hatte. Wir haben dann über Kopien<br />

<strong>des</strong> Visa-Antrages und auch Kopien <strong>des</strong> Passes seine Identität feststellen können und<br />

bei <strong>der</strong> Botschaft Papiere beantragt. Allgemein gibt es darüber – wie schon ausgeführt –<br />

keine Erfahrungen. Ich denke aber, die Einführung biometrischer Daten wird nur dann zum<br />

Erfolg führen, wenn sich auch alle Schengen-Staaten daran beteiligen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Lindemann. Dann Herr Abgeordneter Grindel, bitte.<br />

Herr MdB Grindel:<br />

Um mit dem Letzten anzufangen, das ist grundsätzlich richtig. Nur wird ja auch auf europäischer<br />

Ebene – und das Problem Visa-Informationssystem ist eins, das in <strong>der</strong> Mitentscheidung<br />

ist –, <strong>im</strong> Europaparlament schon sehr lange verhandelt. Die Verhandlung dort, insbeson<strong>der</strong>e<br />

mit den Schattenberichterstattern, gestalten sich ausgesprochen schwierig und<br />

<strong>des</strong>wegen müssen wir – denke ich – zur Not hier über einen deutschen Son<strong>der</strong>weg nachdenken,<br />

<strong>der</strong> dann zumin<strong>des</strong>t dazu führt, dass es hier Verlagerungen gibt, was ja vielleicht<br />

auch heilsam auf an<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong> wirkt, sich gemeinsam einem Schengen-Verbund hier anzuschließen.<br />

Ich weiß aus meiner Arbeit aus dem Visa-Untersuchungsausschuss, dass<br />

man sich wun<strong>der</strong>t, wie viele tatsächlich mit Touristenvisum einreisen, wie hoch dort die<br />

Zahlen sind. Und Nigeria haben wir uns sehr genau angeschaut. Da ist in <strong>der</strong> Tat die Zahl,<br />

so wie von Herrn Dr. Lehnguth beschrieben, und das kann man durchaus auf an<strong>der</strong>e Problemstaaten,<br />

die hier auch benannt worden sind, übertragen. Insofern wäre das sicherlich<br />

hilfreich. Ich hab zwei Fragen. Einmal, anknüpfend an Kollegen Veit, <strong>der</strong> gesagt hat, gerade<br />

bei <strong>der</strong> frühzeitigen Ermittlung von Angaben, was können wir gesetzgeberisch dort tun?<br />

Ich habe irgendwo gelesen, in § 43b Asylverfahrensgesetz gab es früher mal eine sehr<br />

frühzeitige Beschaffung von Passersatzpapieren und so etwas sei abgeschafft worden.<br />

Dazu würde ich gerne mal was fragen. Ich hab das nun nicht so genau vor Augen, was das<br />

war. Jedenfalls gab es die For<strong>der</strong>ung, so eine Vorschrift wie<strong>der</strong> einzuführen. Das ist das<br />

erste, was ich gerne wissen würde. Das zweite ist die Frage nach <strong>der</strong> Flugreisetauglichkeitsbescheinigung<br />

<strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>polizei. Da ist meine Frage, Frau Hitz: Ist das nicht ein<br />

selbstgemachtes Abschiebehin<strong>der</strong>nis? Wir haben doch an allen Flughäfen Ärzte. Wenn<br />

dort Probleme plötzlich auftauchen, sind die doch durch die Ärzte vor Ort zu ermitteln, aber<br />

wenn wir diese Bescheinigung verlangen, laden wir ja geradezu dazu ein, das zu machen,<br />

was wir kennen. Da wäre wirklich meine Frage: Ist das aus Ihrer Sicht zwingend notwendig<br />

o<strong>der</strong>, um das dann vielleicht auf die an<strong>der</strong>en in <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Rückführung tätigen Experten<br />

zu übertragen, ist es nicht doch ein selbst gemachtes Abschiebehin<strong>der</strong>nis, das auf den<br />

Prüfstand gehört, weil die Effektivität mit dem, was wir uns an Problemen eigentlich selber<br />

schaffen, in keinem Verhältnis steht?<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Danke schön, Herr Grindel. Dann kommt erstmal zu § 43b Asylverfahrensgesetz, Herr<br />

Martini-Emden zu Wort. Wir haben den hier gerade noch mal aufgeschlagen in <strong>der</strong> alten<br />

Form. Da hieß es, für Auslän<strong>der</strong>, die in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen verpflichtet<br />

sind, hat das BMI o<strong>der</strong> die von ihm best<strong>im</strong>mte Stelle für die Beschaffung <strong>der</strong> He<strong>im</strong>reisedokumente<br />

<strong>im</strong> Wege <strong>der</strong> Amtshilfe Sorge zu tragen. Die erfor<strong>der</strong>lichen Maßnahmen sind zum<br />

frühestmöglichen Zeitpunkt zu treffen. Das war also die frühere Rechtslage, die Sie angesprochen<br />

haben.<br />

Ich habe mich eben mit Herrn Maaßen kurz geschlossen. Herr Sprung, Sie können da vielleicht<br />

auch noch was zu sagen. Offenbar ist es so gewesen, dass das nicht als effektiv angesehen<br />

worden ist. Herr Schmäing, Sie waren bei den Zuwan<strong>der</strong>ungsdebatten <strong>im</strong>mer dabei.<br />

Herr Schmäing:


413<br />

Nein, das ist ja länger her. Das waren Austauschgeschäfte. Es ging um die Frage <strong>des</strong> Personals<br />

auch, dass dafür zur Verfügung gestellt worden ist, und es ist so, dass diese Passbeschaffungsmaßnahmen<br />

dann sozusagen zentralisiert werden. Sie wurden nur für einen<br />

ganz kleinen Zeitraum gemacht und dann anschließend hat <strong>der</strong> Bund <strong>im</strong> Grunde genommen<br />

keine Zuständigkeiten mehr gehabt. Dann wurde diskutiert darüber, ob das eigentlich<br />

sinnvoll ist, dass es nur für einen kurzen Zeitraum, ist und dann kam es <strong>im</strong> Grunde genommen<br />

dazu, dass man gesagt hat, ja irgendwie macht das keinen Sinn mehr und wir<br />

haben uns darauf geeinigt, dass es eine Zusammenarbeit gibt, die aber nicht ausdrücklich<br />

<strong>im</strong> Gesetz steht.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Herzlichen Dank. Dann können Sie eben noch mal ergänzen, Herr Martini-Emden.<br />

Herr Martini-Emden:<br />

Zur Erläuterung: Diese Best<strong>im</strong>mung war in <strong>der</strong> Praxis schon lange leer gelaufen. Das einzige,<br />

was noch übrig blieb, nach <strong>der</strong> Vorgeschichte, die Herr Schmäing ja schon erklärt<br />

hat, war, dass be<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>amt die Passersatzanträge aufgenommen worden sind. Das<br />

geschieht jetzt in <strong>der</strong> Regel durch die Auslän<strong>der</strong>behörden, eben wenn sie diese Befragungsaktionen<br />

machen, und das ist deutlich effektiver, weil einfach hier sowohl die Motivation<br />

als auch <strong>der</strong> Sachverstand für diese spätere Identitätsklärung wesentlich größer ist.<br />

Und diese Regelung ist damals in <strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaft Rückführung mehr o<strong>der</strong> weniger,<br />

sage ich mal, für die Praxis aufgehoben worden dadurch, dass man sich geeinigt hat,<br />

dass <strong>der</strong> Bund für einen best<strong>im</strong>mten Teil von Staaten, die sog. teilzentralisierten Staaten,<br />

bei <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>polizeidirektion die Passbeschaffung betreibt und für die an<strong>der</strong>en Staaten<br />

die Län<strong>der</strong> eigenverantwortlich sind, weil <strong>im</strong> Prinzip eine komplette Passbeschaffung durch<br />

Bun<strong>des</strong>behörden nicht günstig wäre, weil es sowohl ein viel zu großer Aufwand wäre –<br />

man würde eine Mammut-Stelle dafür schaffen müssen – als auch das Problem nicht unberücksichtigt<br />

bleiben darf, wenn die notwendige Zusammenarbeit, <strong>der</strong> persönliche Kontakt,<br />

zur Botschaft gestört wird, und man hat nur eine Stelle, die es macht, dann ist die Sache<br />

komplett am Boden liegend und so ist es halt durch die Zentralstellen in den Län<strong>der</strong>n<br />

deutlich effektiver.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Herzlichen Dank. Dann würde ich zur zweiten Frage kommen und würde gerne Frau<br />

Hitz bitten, das Wort zu ergreifen, und zwar zur Frage nach den Flugtauglichkeitsbescheinigungen.<br />

Frau Hitz:<br />

Ja, also aus meiner Sicht ist das kein selbst geschaffenes Abschiebehin<strong>der</strong>nis, son<strong>der</strong>n eine<br />

Notwendigkeit, die auch dem Schutz <strong>der</strong> Rückzuführenden dient. Es wäre in diesem<br />

Punkt zu unterscheiden zwischen <strong>der</strong> generellen Frage, ob wegen einer Erkrankung<br />

grundsätzlich die Abschiebung nicht möglich ist o<strong>der</strong> ob aufgrund einer akuten Erkrankung<br />

o<strong>der</strong> sonstigen Belastung z. B. eine ärztliche Begleitung vorgesehen werden muss. Also<br />

unsere Intention ist es, für die konkrete Durchführung <strong>der</strong> Maßnahme eine Bestätigung zu<br />

haben, dass die ohne ärztliche Begleitung durchgeführt werden kann, o<strong>der</strong> ein Hintergrundwissen<br />

dahingehend zu haben, auf was sich die Begleitbeamten einstellen müssten.<br />

Wenn es um psychische Probleme o<strong>der</strong> Suizidgefahr geht, werden sie an diese Rückführung<br />

an<strong>der</strong>s herangehen als wenn überhaupt keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen<br />

bekannt sind. Sie müssten auch wissen, ob beispielsweise best<strong>im</strong>mte Medikamente eingenommen<br />

werden müssen etc., so dass das eine Frage ist, wie ich die Maßnahme konkret<br />

vollziehe. Dass ich eine ärztliche Bescheinigung habe, ist daher meines Erachtens unabdingbar.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank. Dann hatten Sie, Frau Stellmacher, sich noch mal gemeldet und Herr<br />

Schmäing. Dann wollte ich selbst noch eine Frage stellen und dann müssten wir bei aller<br />

Fairness langsam zum Schluss kommen.<br />

Frau Stellmacher:<br />

Frau Hitz, aus Sicht <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> sieht das natürlich ganz an<strong>der</strong>s aus bzgl. <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong><br />

Reisefähigkeit und <strong>der</strong> Notwendigkeit <strong>der</strong> Reisefähigkeitsbescheinigung. Also für uns stellt


414<br />

es sich so dar, dass die Reisefähigkeitsbescheinigung durchaus ein Hin<strong>der</strong>nis, und zwar<br />

ein massives Hin<strong>der</strong>nis bei Rückführungen darstellt. In vielen Fällen werden psychische<br />

Erkrankungen vorgetragen und unterstützt durch Ärzte, die sich auch nicht gerne dann<br />

zum Vollzieher von Abschiebungen machen lassen wollen. Dann werden dann eben Reisefähigkeitsbescheinigungen<br />

mit dem Inhalt ausgestellt, dass es den Leuten nicht zuzumuten<br />

ist, bei best<strong>im</strong>mten psychischen Symptomen <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland zu leben, weil sie dort nicht<br />

behandelt werden können o<strong>der</strong> weil es eben an<strong>der</strong>weitig nicht zumutbar ist. Das Problem,<br />

was wir dann <strong>im</strong>mer haben, ist, dass die Ärzte sich eben nicht darauf beschränken, eine<br />

reine Transportfähigkeit festzustellen, son<strong>der</strong>n dass sie eben auch Dinge <strong>des</strong> He<strong>im</strong>atlan<strong>des</strong><br />

berücksichtigen, ungeachtet <strong>des</strong>sen, ob das vielleicht auch be<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>amt schon<br />

geprüft wurde und auch gerichtlich bestätigt wurde, so dass wir, und Nie<strong>der</strong>sachsen hat<br />

sich da speziell schon lange dafür ausgesprochen, durchaus <strong>der</strong> Auffassung sind, dass<br />

man diese Praxis mit <strong>der</strong> Reisefähigkeitsbescheinigung doch wie<strong>der</strong> zurücknehmen sollte.<br />

Wie man gesundheitliche Probleme in den Griff bekommen könnte, hat, denke ich, Herr<br />

Abgeordneter Grindel angedeutet. Man könnte es ja so machen, dass man dann eben vor<br />

dem Abflug noch die Person untersucht und damit dann sicherstellt, dass die Transportfähigkeit<br />

gegeben ist.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank. Dann Herr Schmäing. Dann hätte ich selbst noch eine Frage. Und zwar<br />

haben wir ja auch <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz, die Ausreiseeinrichtungen eingeführt und da ist<br />

damals eine ganze Zeit darüber diskutiert worden. Einige Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> wie Nie<strong>der</strong>sachsen,<br />

Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt haben diese Möglichkeit <strong>der</strong> Schaffung von Ausreiseeinrichtungen,<br />

die ja dazu dienen sollten, schon eine sog. „Rückindikation“ vorzubereiten,<br />

eingerichtet o<strong>der</strong> hatten die schon eingerichtet und gute Erfahrungen damit gemacht.<br />

Schleswig-Holstein wird ab dem 1. April eine vergleichbare Einrichtung – wenn ich das hier<br />

richtig höre – auch betreiben. Ich wollte an sich die Frage stellen, wie sich diese bewährt<br />

haben und warum die an<strong>der</strong>en Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>, es sind ja hier Vertreter von einigen <strong>im</strong> Saal,<br />

nicht auch solche Erfahrungen machen mögen. Danke schön. Vielleicht dazu mal ganz<br />

kurz Frau Stellmacher.<br />

Frau Stellmacher:<br />

Ja ich hatte bei meinem Beitrag kurz angerissen, es gibt in Nie<strong>der</strong>sachsen zwei Ausreiseeinrichtungen.<br />

Wir sind <strong>der</strong> Auffassung, dass es durchaus auch möglich sein muss, noch<br />

mal bei ganz hartnäckigen Identitätsverschleierern den Ort zu wechseln. Die Ausreiseeinrichtungen<br />

sind bei unsern ZAB´en angesiedelt, in Braunschweig und in Oldenburg. Dort<br />

gibt es auch Gemeinschaftsunterkünfte und das ist dann eben ein räumlich getrennter Bereich.<br />

Es ist nach dem Konzept vorgesehen, dass alleinstehende Identitätsverschleierer,<br />

wenn sie hartnäckig ihre Identität verschleiern, zurückkommen sollen in die Ausreiseeinrichtung<br />

und dort dann eben beson<strong>der</strong>en Interviews unterzogen werden, um dann noch<br />

mal etwas zur Identitätsklärung zu machen. Ich habe das ja auch schon vorhin bei meinem<br />

Beitrag gesagt. Es ist sogar so, man glaubt es ja nicht, auch solche hartnäckigen Leute<br />

werden manches Mal weich; allein die Tatsache, dass so eine Ausreiseeinrichtung, also<br />

ein Umzug ansteht, trägt auch schon mal dazu bei, dass die Identität preisgegeben wird.<br />

Ich möchte das jetzt hier nicht als Erfolg verkaufen, aber es ist natürlich auch häufig so,<br />

dass wenn solche Umzüge anstehen, die Personen untertauchen; es kommt aber auch<br />

dazu, dass eben dort vor Ort Identitäten geklärt werden. Ich denke, ich habe es schon gesagt:<br />

Es ist ein mühseliges Geschäft und die Zahlen sind alles in allem marginal und das,<br />

könnte ich mir vorstellen, mag auch <strong>der</strong> Grund einiger Län<strong>der</strong> sein, so etwas nicht vorzuhalten.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank. Wer möchte sich von den Län<strong>der</strong>n, die das nicht eingeführt haben, freiwillig<br />

melden? Sonst nehme ich mal Frau Beneicke aus Mecklenburg-Vorpommern, die ich<br />

ja auch kenne, dran, die noch nichts gesagt hat.<br />

Frau Beneicke:<br />

Wir gehören tatsächlich zu den Län<strong>der</strong>n. Seit es allerdings diese neue Norm gibt, war es<br />

bei uns aus politischen Gründen <strong>im</strong> Land klar, dass wir keine Ausreiseeinrichtungen bekommen.<br />

Wir haben einen Teil <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>amtes für Asyl und Migrationsangelegenheiten


415<br />

bei uns vor kurzem zu einer Lan<strong>des</strong>gemeinschaftsunterkunft deklariert. In dem Zuge wurde<br />

erneut überlegt, ob da auch ein Ausreisezentrum <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> § 62 AufenthG eingerichtet<br />

werden soll. Das ist schon <strong>im</strong> Vorfeld so gescheitert, also allein die Lan<strong>des</strong>gemeinschaftsunterkunft<br />

wurde sofort als Ausreisezentrum und Abschiebezentrum – so wird es ja kolportiert<br />

in <strong>der</strong> Presse – deklariert, dass wir das gar nicht weiter verfolgt haben.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Herzlichen Dank, Herr Schmäing, Sie hatten sich dazu noch gemeldet.<br />

Herr Schmäing:<br />

Hessen ist ja best<strong>im</strong>mt nicht als ein Land bekannt, das Rückführungen ganz beson<strong>der</strong>s<br />

z<strong>im</strong>perlich betreibt, aber für ein Ausreisezentrum haben wir keinen Anlass gesehen. Das<br />

hat also keine politischen Gründe, son<strong>der</strong>n die Verhältnisse in Hessen sind halt einfach so,<br />

dass Ausreise vor Ort betrieben wird, dass die Abschiebungen durchgeführt werden, dass<br />

die Kommunen unterstützt werden <strong>im</strong> Bereich von abgelehnten Asylbewerbern durch zentrale<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden, das sind die Regierungspräsidien. Das sind Maßnahmen, die aus<br />

unserer Sicht zurzeit ausreichen. Es ist über diese Frage <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> diskutiert worden.<br />

Aber es hat zu keiner positiven Entscheidung geführt und dafür waren keine politischen<br />

Gründe ausschlaggebend. Nur um das klar zu stellen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank. Sie hatten sich noch gemeldet, Herr Schulze-Zumkley.<br />

Herr Schulze-Zumkley, Referent <strong>im</strong> AA:<br />

Ich würde gerne einmal den Blick vielleicht auf die wirtschaftlichen Probleme richten, die<br />

mit dem Rückführungskomplex verbunden sind. Wir können davon ausgehen, dass nach<br />

ganz groben Schätzungen 2 Mrd. Euro an Sozialleistungen für Ausreisepflichtige fließen.<br />

Mit <strong>der</strong> Zahl arbeiten wir jedenfalls, auch <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> AG Rück. Das ist Geld, das eben<br />

wenig effektiv <strong>im</strong> Hinblick auf das Ziel, die Leute zurückzubringen, eingesetzt wird. Es gibt,<br />

um die wirtschaftliche Motivation zu erhöhen, von <strong>der</strong> Schweiz ein Programm mit Mikrokrediten<br />

an die Personen, die dort sind, <strong>im</strong> Bereich von dem, was <strong>der</strong> Kollege aus Rheinland-Pfalz<br />

gesagt hat, in etwa 5.000 Euro pro Person. Vielleicht kann man einfach da mal<br />

überlegen, ob man das Geld in die Hand n<strong>im</strong>mt, wenn man von 2 Milliarden redet, und da<br />

versucht, von einem Teil ein ähnliches Programm aufzulegen. Das wäre nur ein Punkt, weil<br />

das Problem offensichtlich ja auch wirtschaftlicher Natur ist und nicht mit reinen Repressionsmaßnahmen<br />

zu lösen ist.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Herzlichen Dank, Herr Schulze-Zumkley. Ich meine, dann kommen wir langsam, nein<br />

ich nehme Sie noch dran, zum Ende. Bitte, Sie kriegen noch Gelegenheit.<br />

Frau Ebersohl-Hofmann:<br />

Mein Name ist Ebersohl-Hofmann. Ich komme aus dem Saarland und möchte anknüpfen<br />

an die Frage, die Sie eben gestellt haben bezüglich <strong>der</strong> Ausreisezentren. Wir haben die<br />

Sache auch evaluiert <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> großen Fragebogen-Aktion und ich möchte grundsätzlich<br />

sagen, dass bei uns die Unterbringungskonzeption etwas an<strong>der</strong>s ist als in an<strong>der</strong>en<br />

Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n. Wir haben seit 1994 <strong>im</strong> Wesentlichen alle Asylbewerber in <strong>der</strong> lan<strong>des</strong>eigenen<br />

Gemeinschaftsunterkunft, einer Zentraleinrichtung, untergebracht und verteilen sie<br />

nicht auf die Kommunen. In dieser Lan<strong>des</strong>unterkunft wird das Sachleistungsprinzip sehr rigide<br />

umgesetzt. Da legen wir großen Wert drauf und wir haben <strong>des</strong>halb aus diesem Grund<br />

noch keinen Anlass dafür gesehen, ein Ausreisezentrum spezieller Art einzurichten.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank. Ich würde dann das folgende Fazit ziehen aus diesen zwei Stunden ziehen<br />

wollen. Mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz und dem ersten Än<strong>der</strong>ungsgesetz sind neue Instrumente<br />

zur Erleichterung von Rückführungsmaßnahmen geschaffen worden, die sich<br />

grundsätzlich bewährt haben. Die <strong>im</strong> 2. Än<strong>der</strong>ungsgesetz vorgeschlagenen Verbesserungen<br />

sind hier teilweise begrüßt worden. Es gibt erhebliche Probleme bei Rückführungen<br />

von Ausreisepflichtigen, die allerdings, so hat es die Mehrheit <strong>der</strong> Experten gesagt hat, nur


416<br />

in geringem Maße durch gesetzgeberische Maßnahmen gelöst werden können. Allerdings<br />

sind einige gesetzgeberische Maßnahmen durchaus als sinnvoll angesehen worden. Lösungsansätze<br />

sind hier vorgeschlagen worden. Einmal grundsätzlich Bemühungen um weitere<br />

Rückübernahmeabkommen, Druck auf Problemstaaten erhöhen, also Politik aus einem<br />

Guss, Druck auf UNMIK zu erhöhen, aber eben auch <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Identifizierungsaktionen<br />

weiter fortzufahren, wie wir es jetzt schon mit Vietnam und China machen, aber<br />

auch dort eben eine gesetzliche Klarstellung in dem § 82 Abs. 4 AufenthG einzufügen,<br />

dass eben eine Vorführung nicht nur bei <strong>der</strong> Botschaft erfolgen darf, son<strong>der</strong>n auch bei von<br />

den jeweiligen Län<strong>der</strong>n entsandten Gremien. Dann hier auch ein Vorschlag, den Abschiebungshaftgrund<br />

in 62 Abs. 3 AufenthG neu einzufügen, dass bei einer Weigerung, an <strong>der</strong><br />

Identifizierung mitzuwirken, eben auch eine Abschiebungshaft beantragt werden kann. Das<br />

ist ein etwas dickerer Punkt, Herr Martini-Emden, und dass man auch die Identifizierung<br />

doch etwas umfassen<strong>der</strong> auf weitere Daten wie Eheschließungsort, Militärzeit usw. ausdehnen<br />

sollte. Und dann ist aber auch noch gesagt worden, dass es zu bedenken ist, ob<br />

Altfall- und Bleiberechtsregelungen nicht kontraproduktiv sein können dadurch, dass Anreize<br />

gegeben werden, sich <strong>der</strong> Abschiebung jahrelang zu entziehen. Ein altes Problem, was<br />

wir alle hier <strong>im</strong> Saal kennen.<br />

Ganz herzlichen Dank für Ihre Mitwirkung. Wir machen jetzt erstmal eine Pause. Danke<br />

schön.<br />

VII. Themenkomplex Familiennachzug<br />

1. Anmo<strong>der</strong>ation durch Herrn Dr. Lehnguth<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir kommen jetzt zum fünften Panel und zwar<br />

Familiennachzug und Spätaussiedler. Das sind zwei etwas unterschiedliche Bereiche.<br />

Be<strong>im</strong> Familiennachzug würde ich nur kurz darauf hinweisen, dass wir be<strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

ja lange über den Kin<strong>der</strong>nachzug, über das Alter diskutiert haben. Es war ja<br />

längere Zeit <strong>im</strong> Gespräch, eine Altersbegrenzung auf 12 Jahre einzuführen. Wir haben<br />

auch entsprechend in <strong>der</strong> Familiennachzugs-Richtlinie <strong>der</strong> Europäischen Kommission eine<br />

Möglichkeit eingeräumt erhalten. Es ist dann aber <strong>im</strong> Vermittlungsverfahren an <strong>der</strong> bisherigen<br />

Altersbegrenzung festgehalten worden, an <strong>der</strong> Altersgrenze von 16 Jahren. Es ist so,<br />

dass natürlich auch eine Reihe von Kin<strong>der</strong>n ein Nachzugsanspruch bis zum 18. Lebensjahr<br />

hat, das sind die Kin<strong>der</strong> von asylberechtigten Flüchtlingen und es sind einige neue Voraussetzungen<br />

eingeführt worden. Wir wollen uns heute allerdings auch unterhalten über missbräuchliche<br />

Vaterschaftsanerkennungen. Das habe ich gestern schon bei <strong>der</strong> Einführung<br />

gesagt. Es gibt jedoch eine Reihe von Fällen, die Schwierigkeiten bereiten. Einen Fall will<br />

ich gerne mal hier schil<strong>der</strong>n. Da ist ein deutscher Mann, <strong>der</strong> nicht biologischer Vater ist, <strong>der</strong><br />

missbräuchlich die Vaterschaft für das Kind einer unverheirateten Auslän<strong>der</strong>in anerkennt.<br />

Als Kind eines deutschen Staatsangehörigen erwirbt das Kind mit <strong>der</strong> missbräuchlichen<br />

aber bis zu einer Anfechtung wirksamen Vaterschaftsanerkennung die deutsche Staatsangehörigkeit.<br />

Zur Ausübung <strong>der</strong> Personensorge für das Kind ist <strong>der</strong> ausländischen Mutter<br />

nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Das ist so ein typischer<br />

Fall, <strong>der</strong> doch in <strong>der</strong> letzten Zeit etwas häufiger mal vorkommt. Dazu wird nachher<br />

Herr Botzet vom Auswärtigen Amt Einiges sagen.<br />

Wir haben dann auch einen zweiten Teil. Das ist <strong>der</strong> Bereich Spätaussiedler. Das ist so,<br />

dass wir hier auch ganz gern Erfahrungen haben wollten. Einmal haben wir <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

die gesetzlichen Regelungen <strong>der</strong> Zuständigkeiten be<strong>im</strong> Aufnahme- und Bescheinigungsverfahren<br />

geän<strong>der</strong>t, und zwar auf das Bun<strong>des</strong>verwaltungsamt konzentriert.<br />

Dazu habe ich Herrn Maßolle eingeladen. Wir haben aber auch die Neufassung <strong>des</strong> Instituts<br />

<strong>der</strong> Einbeziehung geän<strong>der</strong>t, das heißt, die Einbeziehung <strong>der</strong> nichtdeutschen Ehegatten<br />

o<strong>der</strong> Abkömmlinge von Spätaussiedlerbewerbern in den Aufnahmebescheid ist nur noch<br />

möglich, wenn die Angehörigen Grundkenntnisse <strong>der</strong> deutschen Sprache besitzen, das<br />

heißt, sie werden in den Bescheid nur aufgenommen, wenn sie die Prüfung bestehen, dass<br />

sie Grundkenntnisse haben. Auch hierüber ist <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsstreit, will ich einmal sagen,<br />

lange diskutiert worden und es ist dann zunächst von ausreichenden Sprachkenntnissen<br />

ausgegangen worden. Wir haben uns dann aber schließlich in den Vermittlungsverfahren<br />

geeinigt, auf Grundkenntnisse und das führt aber dahin, dass doch nach den ersten


417<br />

Mitteilungen, die wir jetzt so erhalten, doch eine große Zahl von Einbezogenen bisher diese<br />

Prüfungen nicht bestehen, so dass sich <strong>der</strong> Aussiedlerzuzug sehr stark reduziert hat.<br />

Dazu wollten wir uns auch unterhalten. Und ich würde zunächst einmal jetzt Herrn Botzet -<br />

die Reihenfolge habe ich hier etwas geän<strong>der</strong>t - Herrn Botzet vom Auswärtigen Amt, <strong>der</strong><br />

hier ganz rechts außen sitzt, das Wort erteilen und würde danach dann Frau Vollmer drannehmen,<br />

als drittes Frau Stöcker-Zafari und als vierten Herr Maßolle.<br />

Und ich bitte jetzt mal Herrn Botzet seine Ausführungen zu beginnen.<br />

Bitte sehr.<br />

2. Herr Botzet<br />

Herr Lehnguth, sehr herzlichen Dank, sehr geehrte Damen und Herren, mein Name ist<br />

Klaus Botzet. Ich leite das Referat für Visumrechteinzelfälle seit Juli 2003. Bin gebeten<br />

worden, zum Bereich Familiennachzug, illegale Migration und Spätaussiedler ein paar<br />

Schlaglichter auf den Einreisebereich zu werfen.<br />

Sprechen wir über Ehegattennachzug und illegale Migration, kommt man natürlich an dem<br />

Thema Scheinehe nicht vorbei. Wir orientieren uns in unserer Praxis an <strong>der</strong> Definition <strong>des</strong><br />

Oberverwaltungsgerichts Berlin, wonach eine schutzwürdige eheliche Lebensgemeinschaft<br />

<strong>im</strong> Sinne von Artikel 6 vorliegt, wenn eine auf Dauer und auf gegenseitigen Schutz- und<br />

Beistand angelegte Lebensgemeinschaft angestrebt wird und diese von beiden Ehepartnern<br />

als solche gewollt wird. In <strong>der</strong> Praxis existiert das Scheineheproblem durchaus. Wir<br />

hatten jetzt <strong>im</strong> letzten Jahr ca. 2.500 Klagen auf Visumerteilung, die überwiegende Mehrzahl<br />

ca. 70 % davon drehen sich um die Scheineheproblematik. Das zeigt so ungefähr die<br />

zahlenmäßige D<strong>im</strong>ension <strong>des</strong> Problems, mit dem wir zutun haben. Selbst wenn sie eine<br />

best<strong>im</strong>mte Dunkelziffer einrechnen, fast alle Fälle, in denen <strong>der</strong> Ehegattennachzug angestrebt<br />

aber abgelehnt wird, gehen in die Klage. Die Scheinehe ist schwierig zu erkennen.<br />

Es gibt erhebliche praktische Probleme hinsichtlich <strong>der</strong> Erkennbarkeit und <strong>des</strong> Nachweises.<br />

Sie ist von einer zulässigen Zweckehe abzugrenzen und beson<strong>der</strong>e Schwierigkeit bereitet<br />

uns natürlich die einseitige Scheinehe. Durch die Einführung <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes<br />

haben wir <strong>im</strong> Grunde keine wesentlichen Än<strong>der</strong>ungen erfahren. Wir haben aber natürlich<br />

eine sehr umfangreiche Kasuistik in <strong>der</strong> Rechtsprechung. Eine spezielle Problematik<br />

taucht auf, wenn in die Ehe hinein, <strong>der</strong>en Schutzwürdigkeit zweifelhaft ist, ein Kind geboren<br />

wird und die Abstammung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> wird von dem ausländischen Vater von Gesetzes<br />

wegen unterstellt. Auch wenn die Prüfung ergeben hat, dass keine Schutzwürdigkeit <strong>der</strong><br />

Ehe vorliegt, entsteht hier grundsätzlich ein Nachzugsanspruch gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 3<br />

Aufenthaltsgesetz, obwohl ein Scheinvater naturgemäß die soziale Vaterschaft für das<br />

Kind ebenso wenig anstrebt wie eine eheliche Lebensgemeinschaft. Die Rechtsprechung<br />

hat in Einzelfällen die Durchführung eines Abst<strong>im</strong>mungstestes zum Nachweis <strong>der</strong> biologischen<br />

Vaterschaft als Indiz für das Bestehen einer schutzwürdigen Ehe zugelassen. Wenn<br />

natürlich so ein Test ergibt, dass <strong>der</strong> ausländische Ehemann auch <strong>der</strong> biologische Vater<br />

<strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> ist, sind damit die Zweifel hinsichtlich <strong>der</strong> Ehe natürlich ausgeräumt. Allerdings<br />

gibt es hierzu keine gefestigte Rechtsprechung. Einzelne Kammern <strong>des</strong> Verwaltungsgerichts<br />

Berlin haben es auch abgelehnt, das noch zur Klärung eben <strong>der</strong> Bedenken ein solcher<br />

Test durchgeführt wird.<br />

Kommen wir zur Lebensunterhaltproblematik. Daran machen sich jetzt sehr viele Fragen<br />

fest. Eine Problematik ist die fehlende Sicherung <strong>des</strong> Lebensunterhalts auch be<strong>im</strong> Familiennachzug<br />

zu einem Deutschen. Hier ist oft umstritten, ob dies ein Ablehnungsgrund darstellen<br />

kann. Die Vorläufigen Anwendungshinweise zu § 27 Abs. 3 und § 28 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz<br />

legen dies nahe. An<strong>der</strong>erseits besteht sowohl ein Wi<strong>der</strong>spruch zum Wortlaut<br />

<strong>des</strong> § 28 Abs. 1 AufenthG wie auch zum Grundsatz, dass einem Deutschen nicht zugemutet<br />

werden kann, die familiäre Lebensgemeinschaft <strong>im</strong> Ausland zu führen. Es gibt mittlerweile<br />

eine ganze Reihe gerichtlicher Auseinan<strong>der</strong>setzungen zu dieser Frage. Wir würden<br />

empfehlen, dass man in <strong>der</strong> Verwaltungsvorschrift insoweit nach <strong>der</strong> Maßgabe <strong>der</strong> jetzt zu<br />

erwartenden Rechtsprechung Klarstellungen vorn<strong>im</strong>mt.<br />

Überhaupt zur Lebensunterhaltsproblematik ist die genaue Definition, was darunter zu verstehen<br />

ist, recht umstritten. Ich nenne einige Beispiele.


418<br />

- Sollen die für Erwerbstätige geltenden Freibeträge <strong>im</strong> Sozialhilferecht vom Nettoeinkommen<br />

abgezogen werden? Die Rechtsprechung ist bisher hierzu völlig uneinheitlich.<br />

- Zweiter Themenkreis: Wie viel Nachhaltigkeit <strong>der</strong> Einkommenserzielung kann verlangt<br />

werden? O<strong>der</strong> Drittens<br />

- Nach § 27 Abs. 3 AufenthG verlangen manche Auslän<strong>der</strong>behörden die Vorlage von<br />

Verpflichtungsermächtigungen von weiteren Familienangehörigen zur Absicherung<br />

<strong>des</strong> Lebensunterhaltes. Sind hierbei z. B. Pfändungsfreigrenzen zu berücksichtigen,<br />

wie eine Auslän<strong>der</strong>behörde meint? Was die Grenze sehr weit oben ansetzen würde.<br />

Nun zu einem Thema, was <strong>der</strong>zeit in <strong>der</strong> Öffentlichkeit ja viel diskutiert wird. Ehegattennachzug<br />

und Zwangsehen. Aus <strong>der</strong> Praxis heraus zunächst mal in <strong>der</strong> Auslandsvertretung<br />

muss man sagen, dass die jungen Frauen, in <strong>der</strong> Regel handelt es sich ja um junge Frauen,<br />

in <strong>der</strong> Regel nicht bereit sind, erkennen zu lassen und festhalten zu lassen, dass sie<br />

unter Zwang heiraten o<strong>der</strong> wenn sie es zu erkennen geben, dann sind sie jedenfalls nicht<br />

bereit, vor Gericht dann entsprechend auszusagen. Der Druck, <strong>der</strong> aus den Familien<br />

kommt, ist recht hoch. Es werden <strong>der</strong>zeit ja zwei Maßnahmen öffentlich diskutiert. Einmal<br />

<strong>der</strong> Nachweis ausreichende deutsche Sprachkenntnisse als Voraussetzung für Familiennachzugsanspruch<br />

zu verlangen und an<strong>der</strong>erseits das Nachzugsalter auf 21 Jahre heraufzusetzen.<br />

Einwand von Herr Dr. Lehnguth:<br />

einfache nicht ausreichende Sprachkenntnisse, ausreichende wäre viel mehr……<br />

weiter Herr Botzet:<br />

… einfache. Gut.<br />

Vor allem die <strong>Praktiker</strong> bei <strong>der</strong> Visumerteilung wollen vor allen Dingen den Nachweis einfacher<br />

deutscher Sprachkenntnisse. Dies ist sehr begrüßen, denn es führt zur Durchbrechung<br />

<strong>der</strong> Isolation <strong>der</strong> Frauen in Deutschland und würde auch bei <strong>der</strong> Vermittlung kultureller<br />

Inhalte und bei <strong>der</strong> Aufklärung über Rechte helfen und würde auch die Zwangsverheiratung<br />

für Eltern wie Ehepartner unattraktiver machen und es würde auch langfristig<br />

wirken. Die gemeinsame Schwierigkeit bei<strong>der</strong> Vorschläge sowohl <strong>der</strong> Sprachkenntnisse<br />

wie auch Heraufsetzung <strong>des</strong> Nachzugsalters ist natürlich eine verfassungsrechtliche vertretbare<br />

Ausgestaltung <strong>im</strong> Hinblick auf Artikel 3 und Artikel 6 Grundgesetz. Hier sehen wir<br />

bei <strong>der</strong> Heraufsetzung <strong>des</strong> Nachzugsalters eine beson<strong>der</strong>e Problematik, weil man natürlich,<br />

wenn man das macht, auch unter Umständen an<strong>der</strong>e Einzelfallungerechtigkeiten mit<br />

in Kauf n<strong>im</strong>mt. Insgesamt bleibt natürlich diese Frage <strong>der</strong> politischen Entscheidung vorbehalten.<br />

Kommen wir zum Kin<strong>der</strong>nachzug. Hier haben wir eine spezielle Problematik, die bei <strong>der</strong><br />

Abfassung <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes wohl nicht erkannt wurde. In § 32 AufenthG wird einfach<br />

vorausgesetzt, dass Sorgerechtsentscheidungen möglich sind. Nach einer ganzen<br />

Reihe ausländischen Rechtsordnungen ist es aber nicht so einfach, jedenfalls kennen zahlreiche<br />

ausländische Rechtsordnungen keine dem deutschen Institut vergleichbare Entscheidung,<br />

zum Beispiel Mazedonien, zum Beispiel auch China, zum Beispiel auch einige<br />

lateinamerikanische Rechtsordnungen wie Peru, Kuba, Ecuador o<strong>der</strong> auch afrikanische<br />

Rechtsordnungen. In <strong>der</strong> Praxis entstehen ja <strong>des</strong>halb erhebliche Schwierigkeiten, obwohl<br />

eine Kin<strong>des</strong>wohlprüfung oft nahe legt die fehlende Sorgerechtsentscheidung zu ersetzen,<br />

ist es dem Gesetzeswortlaut nach nicht möglich, die Korrektur, so verstehe ich das, soll<br />

jetzt über die Neufassung <strong>der</strong> Verwaltungsschrift erfolgen. Aber es kann trotzdem sein,<br />

dass hier noch gesetzgeberischer Handlungsbedarf entsteht.<br />

Zum Fortfall <strong>der</strong> Kin<strong>des</strong>wohlprüfung unter 16 Jahren erkennen wir eine Problematik in best<strong>im</strong>mten<br />

Fällen, die man vielleicht auch nicht erwartet hat, als man das Recht hier geän<strong>der</strong>t<br />

hat. Es gibt tatsächlich Fälle, wo es mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> offenkundig ist, dass das Kin<strong>des</strong>wohl<br />

dem Kin<strong>der</strong>nachzug entgegensteht, weil die ausländische Sorgerechtsübertragung<br />

das Kin<strong>des</strong>wohl nicht in Betracht zieht. Wir hatten zum Beispiel den Fall <strong>des</strong> Nachzuges<br />

eines 15-jährigen Mädchens aus <strong>der</strong> Osttürkei, sie war genauer gesagt 15 ½ Jahre,<br />

ohne jegliche Deutschkenntnisse zu dem allein lebenden, voll berufstätigen Vater in<br />

Deutschland. Die Mutter, die bis dahin das Sorgerecht und die Personensorge faktisch


419<br />

ausübte, verbleibt in <strong>der</strong> Türkei. Und in Deutschland war niemand, <strong>der</strong> sich um das Kind<br />

hätte kümmern können. Hier besteht jetzt von Gesetzes wegen eben ein unbedingter<br />

Nachzugsanspruch. Wir meinen, man sollte prüfen, ob nicht de lege ferenda ausnahmsweise,<br />

jedenfalls dann, Kin<strong>des</strong>wohlerwägungen vom Gesetz her vorzusehen sind, wenn es<br />

eben offenkundig ist, dass das Kin<strong>des</strong>wohl dem Nachzug entgegensteht.<br />

Nächster Aspekt - missbräuchliche Anerkennung <strong>der</strong> Vaterschaft zur Erlangung eines Aufenthaltsrechts.<br />

In <strong>der</strong> Tat, diese Fälle gibt es und wir erleben sie auch in <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Visumerteilung.<br />

Wir orientieren uns von Seiten <strong>der</strong> Auslandsvertretungen <strong>des</strong> Auswärtigen<br />

Amtes an <strong>der</strong> Entscheidung <strong>des</strong> VGH Baden-Württemberg, wonach sich auslän<strong>der</strong>rechtliche<br />

Ansprüche in Fällen <strong>der</strong> missbräuchlichen Anerkennung <strong>der</strong> Vaterschaft nicht ableiten<br />

lassen. Das Verwaltungsgericht Berlin ist dieser Rechtsprechung bisher auch gefolgt. Allerdings<br />

gibt es jetzt auch schon wie<strong>der</strong> erste Unsicherheiten und Meinungsunterschiede in<br />

<strong>der</strong> Rechtsprechung. Es soll jetzt eine neue Entscheidung aus Sachsen-Anhalt geben, die<br />

ich auch noch nicht kenne. Insofern ist die gesetzgeberische Klarstellung durch Einführung<br />

<strong>des</strong> behördlichen Anfechtungsrechts, wie sie jetzt vorgesehen ist, aus Sicht <strong>der</strong> Praxis sehr<br />

zu begrüßen.<br />

Jetzt hätte ich noch, wenn Sie erlauben, noch zwei den Folien zu den Spätaussiedlern, die<br />

vielleicht auch für Sie von Interesse sind. Die Einführung <strong>der</strong> <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz vorgesehenen<br />

Sprachstandstests für Ehegatten und Abkömmlingen von Spätaussiedlern war<br />

problemlos. Wir bedanken uns hier für eine gute Zusammenarbeit be<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>verwaltungsamt<br />

und auch dem Goethe-Institut. Von rund 1.500 in 2005 zu einem Sprachstandstest<br />

eingeladenen Personen sind knapp 60 % zum Test erschienen. Davon haben knapp<br />

25 % den Test auch bestanden. Vermutlich hat aber ein nicht unerheblicher Teil <strong>der</strong> Personen<br />

mit nicht ausreichenden Sprachkenntnissen <strong>im</strong> Wege <strong>der</strong> Familienzusammenführung<br />

nach dem AufenthG Aussichten, nach Deutschland einzureisen. Ein Problem erkennen<br />

wir allerdings. Ungeklärt ist <strong>der</strong>zeit, ob und ggf. welche Familienangehörigen zusammen<br />

mit dem Spätaussiedler ausreisen dürfen o<strong>der</strong> ob sie mit einer geson<strong>der</strong>ten Zust<strong>im</strong>mung<br />

<strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde nachreisen müssen. Hier wäre eine rechtliche Klärung, ggf.<br />

durch einen entsprechenden Beschluss <strong>der</strong> Innenministerkonferenz wünschenswert, um<br />

diese Rechtsunsicherheit baldmöglichst zu beenden.<br />

Gut. damit bedanke ich mich.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank Herr Botzet für Ihre Ausführungen. Dann kommen wir zu dem zweiten Referenten.<br />

Das ist die Frau Vollmer. Bitte schön. Sie ist Leiterin <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde in<br />

München. Sie war ja gestern schon hier am referieren.<br />

3. Frau Vollmer<br />

Ja vielen Dank Herr Dr. Lehnguth, meine Damen und Herren.<br />

Die <strong>im</strong> 6. Abschnitt <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes neu aufgenommenen Anspruchsregelungen<br />

haben in <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde München, jedenfalls dort, zu einer Reduzierung <strong>des</strong> Prüfungsaufwands<br />

für Ermessensentscheidungen geführt. Dies ist aus unserer Sicht angesichts<br />

<strong>des</strong> durch an<strong>der</strong>e Neuregelungen verursachten Mehraufwands auch grundsätzlich<br />

zu begrüßen.<br />

Beispiele hierfür sind zum Beispiel <strong>der</strong> Wegfall von Ermessensprüfungen be<strong>im</strong> Ehegattennachzug<br />

bei 5-jährigem Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, nach EU-Recht sogar schon<br />

nach 2-jährigem Besitz o<strong>der</strong> aber etwa be<strong>im</strong> „kleinen Asyl“ sowie be<strong>im</strong> Kin<strong>der</strong>nachzug zu<br />

einem allein sorgeberechtigten Elternteil. Dies ist die eine Seite <strong>der</strong> Medaille. Für unsere<br />

Leute ist es klarer und übersichtlicher geworden. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite aber kann Missbräuchen<br />

zum Beispiel durch Umgehung <strong>der</strong> Visaverfahren und an<strong>der</strong>e Tatbestände, auf<br />

die ich also noch eingehe, kaum noch entgegengetreten werden. Man muss sich allerdings<br />

darüber in Klaren sein, dass die Spielräume für an<strong>der</strong>e Regelungen, sei es jetzt <strong>im</strong> Gesetz,<br />

sei es in den Anwendungshinweisen o<strong>der</strong> künftigen Verwaltungsvorschriften, dass diese<br />

Spielräume <strong>im</strong> Hinblick auf Vorgaben <strong>des</strong> EU-Rechts doch recht begrenzt sind.


420<br />

Zu den einzelnen Vorschriften. Zunächst einmal zum Familiennachzug zu Deutschen, § 28<br />

Aufenthaltsgesetz. Hier ist die Rechtslage nach dem Aufenthaltsgesetz grundsätzlich unverän<strong>der</strong>t,<br />

<strong>der</strong> Vollzug für uns ist auch wie gesagt eigentlich unproblematisch. Wo wir <strong>im</strong>mer<br />

wie<strong>der</strong> mal ein Problem haben, das ist <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem gesicherten Lebensunterhalt<br />

und auch mit dem ausreichenden Wohnraum. Aus unser Sicht sollte geprüft<br />

werden, ob nicht bei selbst verschuldetem Sozialhilfebezug, also wir haben zum Beispiel<br />

Fälle auch aus dem Obdachlosenmilieu, wo wir also auch Scheinehen nicht nachweisen<br />

können, dass hier also Zuzüge da sind und dass wir dann keine Ablehnung <strong>im</strong> Ermessen<br />

sehen.<br />

Be<strong>im</strong> Familiennachzug zu Deutschen, aber auch be<strong>im</strong> Nachzug zu Auslän<strong>der</strong>n mit gesichertem<br />

Aufenthaltsstatus kommt es <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> zu missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen.<br />

Das Phänomen haben wir auch.<br />

Die Auslän<strong>der</strong>behörde München hat schon bisher in Fällen, bei denen die Vaterschaft für<br />

ein nichteheliches Kind bereits vor <strong>der</strong> Geburt anerkannt wird, dem Vater o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Mutter<br />

in <strong>der</strong> Regel bis zur Geburt eine Duldung erteilt und danach eine Aufenthaltserlaubnis,<br />

wenn <strong>der</strong> Vater sich an <strong>der</strong> Erziehung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> beteiligt hat, keine Zweifel aufgrund <strong>der</strong><br />

ganzen Lebensumstände vorliegen und vor allen Dingen die Voraussetzungen einer sog.<br />

„Beistandsgemeinschaft“ vorlagen. Wir haben auch relativ gute Erfahrungen in dem Zusammenhang<br />

gemacht und wir würden auch vorschlagen, dass das <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Mitwirkungspflicht,<br />

sei es gesetzlich, sei es in Verwaltungsvorschriften, verankert wird. Wir<br />

haben also in <strong>der</strong> Regel einen DNA-Test als Vaterschaftsnachweis verlangt <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong><br />

<strong>der</strong> Mitwirkungspflicht nach § 82, wenn eben aufgrund <strong>der</strong> Einzelfallumstände eben hier<br />

Zweifel bestanden. Unabhängig davon würden wir natürlich die Möglichkeit <strong>der</strong> Anfechtung<br />

<strong>der</strong> Vaterschaft auch begrüßen, aber wie gesagt ein vorgeschalteter Test wäre aus unserer<br />

Sicht durchaus sinnvoll, bevor man dieses doch sehr aufwändige Verfahren dann auch einleitet.<br />

Wir haben uns übrigens auch in <strong>der</strong> Vergangenheit, weil es Herr Botzet gerade erwähnt<br />

hat, auf die Rechtsprechung <strong>des</strong> VGH Baden-Württemberg gestützt, sehen jetzt allerdings<br />

etwas Probleme <strong>im</strong> Hinblick auch auf eine entgegenstehende Rechtsprechung aus<br />

Hessen, die also die Vaterschaftsanerkennung als letzthin unumstößlich ansieht und das<br />

auch festlegt, dass das auch dann <strong>im</strong> Auslän<strong>der</strong>recht zu entsprechenden Konsequenzen<br />

führt.<br />

Be<strong>im</strong> Familiennachzug zu Auslän<strong>der</strong>n haben wir nach neuerer Rechtslage vor allen Dingen<br />

durch die Neufassung <strong>des</strong> § 2 Absatz 3 Satz 3 das Problem, dass ja auch <strong>der</strong> zuziehende<br />

Ehegatte zur Sicherung <strong>des</strong> Lebensunterhalts beitragen kann. Wir haben da insofern <strong>im</strong>mer<br />

wie<strong>der</strong> ein Problem mit unserer anzustellenden Prognose zur Sicherung <strong>des</strong> Lebensunterhalts,<br />

dass hier Verträge zu künftigen Arbeitsverhältnissen vorgelegt werden, die sich<br />

nach Einreise in kurzer Zeit als obsolet erweisen.<br />

Zum ausreichenden Wohnraum hätten wir auch noch einen Wunsch, <strong>der</strong> vielleicht in den<br />

Anwendungshinweisen, also wo man in den Anwendungshinweisen vielleicht was machen<br />

könnte, die dort genannte Min<strong>des</strong>tgröße für den ausreichenden Wohnraum (12 qm pro<br />

Person, Kin<strong>der</strong> unter 6 Jahren 10 qm und dann ein 10 %-Abzug bei abgeschlossener<br />

Wohnung) führt dazu, das zum Beispiel bei einer 65 qm großen 3-Z<strong>im</strong>mer-Wohnung, in <strong>der</strong><br />

fünf Personen leben, <strong>der</strong> Nachzug einer sechsten Person noch zugelassen werden muss.<br />

Wir haben in München auch <strong>im</strong> Hinblick natürlich auf die Wohnlage dort <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> das<br />

Problem, dass hier dann weitere Wohnungsnotstände geschaffen und zugelassen werden<br />

müssen, die dann sofort auch noch Anspruch auf Vormerkung in <strong>der</strong> höchsten Dringlichkeitsstufe<br />

für eine Sozialwohnung zur Folge haben. Dass ist insbeson<strong>der</strong>e dann in den Fällen<br />

relevant, bei denen <strong>der</strong> hier lebende Ehegatte eines nachziehenden Auslän<strong>der</strong>s noch<br />

bei seinen Eltern lebt, was also relativ häufig vorkommt und das dort dann auch noch weitere<br />

Geschwister leben. Was für uns <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Familiennachzug zu Auslän<strong>der</strong>n<br />

und mit <strong>der</strong> Erwerbstätigkeit von nachziehenden Ehegatten nicht ganz nachvollziehbar<br />

ist, das sind die Konsequenzen <strong>des</strong> Abs. 5. Hier hat <strong>der</strong> nachgezogene Ehegatte<br />

eines hier lebenden Auslän<strong>der</strong>s, <strong>des</strong>sen Aufenthalt also begrenzt ist und zwar <strong>im</strong> Hinblick<br />

auf eine best<strong>im</strong>mte Erwerbstätigkeit, zum Beispiel ein IT-Spezialist. Hier erhält <strong>der</strong> nachgezogene<br />

Ehegatte nach 2-jährigem Aufenthalt nicht nur einen vollen Arbeitsmarktzugang,<br />

son<strong>der</strong>n er darf jetzt dann auch selbständig erwerbstätig sein, während <strong>der</strong> Ehemann nur<br />

als IT-Spezialist arbeiten darf und erst nach fünf Jahren den vollen Arbeitsmarktzugang erhält.


421<br />

Dann, be<strong>im</strong> Ehegattennachzug zu Auslän<strong>der</strong>n, § 30, haben wir ein Problem mit <strong>der</strong> Neuregelung<br />

in Abs. 1 Nr. 3. Der Ehegatte eines hier lebenden Auslän<strong>der</strong>s hat einen Anspruch<br />

auf Aufenthaltserlaubnis, wenn dieser seit 5 Jahren bzw. nach EU-Recht jetzt nach 2 Jahren<br />

eine Aufenthaltserlaubnis besitzt. Das gilt jetzt nach neuem Recht dann, auch wenn<br />

<strong>der</strong> hier lebende Ehegatte trotz seines langjährigen Aufenthaltes über keine ausreichenden<br />

Sprachkenntnisse verfügt o<strong>der</strong> wenn er noch nicht volljährig ist. Nach alter Rechtslage - bei<br />

<strong>der</strong> zweiten Generation - musste <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong> früher volljährig sein. Grundsätzlich begrüßten<br />

wir auch die geplante Einführung eines Min<strong>des</strong>talters für beide Ehepartner sowie<br />

das Erfor<strong>der</strong>nis von einfachen Sprachkenntnissen bereits vor <strong>der</strong> Einreise. Aus unserer<br />

Sicht ist es nicht nur zur Vermeidung von Zwangsehen, womit wir jetzt bisher in unserer<br />

Praxis relativ wenig Probleme haben, weil sie nämlich nie geltend gemacht wird und auch<br />

auf Nachfrage hier kaum irgendwelche Informationen o<strong>der</strong> Angaben von den jungen Frauen,<br />

sind es ja meistens, zu bekommen sind. Also nicht nur zur Vermeidung von<br />

Zwangsehen, son<strong>der</strong>n auch zur besseren Integration ist das aus unserer Sicht grundsätzlich<br />

ein richtiger Ansatz. Wir sehen allerdings große Probleme und Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />

auf uns zukommen, dann <strong>im</strong> konkreten Einzelfall.<br />

Im Zusammenhang mit dem erleichterten Ehegattennachzug ist auch auf den, aus unserer<br />

Sicht, zunehmenden Missbrauch <strong>des</strong> § 31 hinzuweisen, also <strong>im</strong> Zusammenhang mit dem<br />

Erwerb eines eigenständiges Aufenthaltsrechts für den nachgezogenen Ehegatten bei<br />

Aufhebung <strong>der</strong> ehelichen Lebensgemeinschaft.<br />

In vielen Fällen sehen wir, dass die Trennung vom Ehepartner auffallend kurze Zeit nach<br />

Ablauf von zwei Jahren, oft sogar schon wenige Tage o<strong>der</strong> Wochen danach, erfolgt. Nicht<br />

selten wird dann <strong>der</strong> früher geschiedene Ehepartner erneut geheiratet, <strong>der</strong> dann zusammen<br />

mit gemeinsamen Kin<strong>der</strong>n <strong>im</strong> Familiennachzug einreist. Dies muss auch dann zugelassen<br />

werden, das muss dann auch zugelassen werden, da in allen Fällen ein Rechtsanspruch<br />

zum Familiennachzug besteht und selbst dann wenn <strong>der</strong> Verdacht besteht, dass<br />

die das Aufenthaltsrecht <strong>des</strong> hier lebenden Auslän<strong>der</strong>s begründende Ehe in Wirklichkeit<br />

eine Scheinehe war.<br />

Die Feststellung <strong>des</strong> Trennungszeitpunkts macht in vielen Fällen Probleme, oft werden<br />

diesbezüglich von den getrennten Ehegatten verschiedene Zeitpunkte genannt. Das ist,<br />

glaube ich ein Problem, was alle Auslän<strong>der</strong>behörden haben. Dies führt dann in gerichtlichen<br />

Verfahren <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> zu mühevollen Beweisaufnahmen mit langwierigen Anhörungen<br />

und Zeugenaussagen. Aus unserer Sicht wäre zu überlegen, ob man nicht bei <strong>der</strong><br />

Berechnung <strong>des</strong> maßgeblichen Zeitpunkts ebenso wie <strong>im</strong> neuen EU-Recht auf das Datum<br />

<strong>des</strong> Scheidungsantrages bzw. den <strong>im</strong> Scheidungsantrag angegebenen Trennungszeitpunkt<br />

abgestellt werden sollte. Das führt zwar in vielen Einzelfällen auch dazu, dass dann<br />

ein eigenständiges Aufenthaltsrecht auch schon begründet ist, was unter Umständen bei<br />

Beweisaufnahme dann wi<strong>der</strong>legt werden könnte, aber es würde Klarheit schaffen und weniger<br />

zeitraubende Auseinan<strong>der</strong>setzungen vor Gericht verursachen.<br />

Zum Thema Scheinehe könnte ich auch anschließen, das ist in meinem Statement jetzt<br />

nicht drin, auch mal ein paar Zahlen sagen. Wenn Sie das interessiert. Komme ich vielleicht<br />

zum Schluss noch mal drauf zurück.<br />

Be<strong>im</strong> Kin<strong>der</strong>nachzug ist es auch so, dass er sich durch die Neuregelung, die schon Herr<br />

Botzet erwähnt hat, also <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>nachzug zu einem allein sorgeberechtigten Elternteil, in<br />

<strong>der</strong> Praxis als außerordentlich problematisch erweist. Wir haben den Eindruck, dass in<br />

sehr vielen Fällen das Sorgerecht von ausländischen Gerichten offensichtlich allein <strong>des</strong>wegen<br />

auf den in Deutschland lebenden Elternteil umgeschrieben wird, um dem Kind einen<br />

Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen. Häufig kommen die Kin<strong>der</strong> nach Abschluss<br />

ihrer Schulausbildung kurz vor Vollendung <strong>des</strong> 16. Lebensjahres ohne jegliche Sprachkenntnisse<br />

nach Deutschland. Nach unserer Auffassung waren sachgerechtere Entscheidungen<br />

waren nach altem Recht möglich, als <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>nachzug in diesen Fällen bei<br />

schlechter Integrationsprognose <strong>im</strong> Ermessen abgelehnt werden konnte.<br />

Ein Problem, das ich schon am Anfang erwähnt habe, dass ist die Umgehung <strong>der</strong> Visaverfahren,<br />

<strong>der</strong>en Möglichkeiten eben vor allen Dingen durch die neuen Anspruchsregelungen<br />

auch erweitert worden sind. Wenn ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis<br />

besteht, kann ja von <strong>der</strong> Einholung eines an sich erfor<strong>der</strong>lichen Visums abgesehen werden


422<br />

und die Aufenthaltserlaubnis <strong>im</strong> Inland erteilt werden. Diese Möglichkeit gab es auch schon<br />

nach altem Recht. Nur eben durch die zusätzlichen Anspruchsregelungen wird das jetzt<br />

halt auch öfter ins Feld geführt. Hinzu kommt auch noch, dass die früher in § 9 <strong>der</strong> Durchführungsverordnung<br />

zum Auslän<strong>der</strong>gesetz enthaltene Einschränkung auf gesetzliche Anspruchstatbestände<br />

weggefallen ist und Ausnahmen auch bei Ermessensreduzierung auf<br />

Null möglich sind. Und das wird jetzt auch verstärkt geltend gemacht von den Anwälten.<br />

Der Visumszwang ist be<strong>im</strong> Nachzug von Kin<strong>der</strong>n, die mit einem Besuchsvisum einreisen<br />

und dann erst <strong>im</strong> Inland einen Antrag stellen, kaum durchsetzbar. Also, da ist das Visumsverfahren<br />

aus unserer Sicht, wenn es die Leute darauf anlegen und das ist zunehmend<br />

festzustellen, kaum durchsetzbar. Be<strong>im</strong> Ehegattennachzug ist es <strong>im</strong> günstigsten Fall so,<br />

dass die Erteilungsvoraussetzungen (z.B. Sicherung <strong>des</strong> Lebensunterhalts o<strong>der</strong> ausreichen<strong>der</strong><br />

Wohnraum) erst <strong>im</strong> Laufe längerer gerichtlicher Auseinan<strong>der</strong>setzungen geschaffen<br />

werden o<strong>der</strong> letzten En<strong>des</strong> dann die Nichterfüllung <strong>im</strong> Laufe <strong>der</strong> Zeit dann auch hinzunehmen<br />

ist, insbeson<strong>der</strong>e wenn dann auch Kin<strong>der</strong> da sind.<br />

Ja, das sind die Anmerkungen, die mir meine Sachgebietsleiter aufgeschrieben haben, die<br />

mit diesen Fällen auch tagtäglich zu tun haben. Vielleicht noch ein paar Zahlen zu dem<br />

Thema Scheinehen, wie sie sich aus unserer Praxis darstellen. Wir haben <strong>im</strong> Jahr ungefähr<br />

10.000 Visaverfahren, jetzt nicht nur mit Familiennachzug, son<strong>der</strong>n auch natürlich<br />

Studenten usw. Also ich denke, dass etwa die Hälfte <strong>im</strong> Zusammenhang mit Familiennachzug<br />

stehen. Was Scheinehen angeht, so sind ja die Rechtsgrundlagen grundsätzlich<br />

unverän<strong>der</strong>t. Wir haben <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Visaverfahren je<strong>des</strong> Jahr etwa 400 Zweifelsfälle,<br />

also das sind Schätzungen aus meinen Sachgebieten. Also 400 Zweifelsfälle pro Jahr, wo<br />

wir also Prüfungen anstellen. Das Ergebnis ist dann meistens etwas mager, insofern als<br />

wir zwar den Verdacht haben, aber wenig belastbare Anhaltspunkte. Immerhin führt es in<br />

den Visaverfahren pro Jahr zu etwa 80 Ablehnungen, wo wir also nicht zust<strong>im</strong>men. Wir haben<br />

für hier lebende Auslän<strong>der</strong> und Auslän<strong>der</strong>innen bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde München<br />

eine spezialisierte Gruppe, die auch noch an<strong>der</strong>e Sachen macht, aber die speziell also<br />

auch diese Scheinehenfälle von hier lebenden Auslän<strong>der</strong>n und Auslän<strong>der</strong>innen prüft und<br />

die haben <strong>der</strong>zeit etwa 500 Fälle in Bearbeitung. Wir haben etwa 80 bis 100 Anzeigen pro<br />

Jahr, übrigens sehr oft anonym, ebenso wie bei den Illegalen, also daraus erzielen wir eigentlich<br />

unsere meisten Erkenntnisse, oft anonym o<strong>der</strong> Selbstanzeigen und das führt in<br />

etwa 50 bis 60 Fällen zur Aufenthaltsbeendigung pro Jahr. Insgesamt ist ein hoher Prüfungsaufwand<br />

erfor<strong>der</strong>lich. Wir haben Probleme mit Personalengpässen nicht bei uns.<br />

München ist eine relativ gut ausgestattete Auslän<strong>der</strong>behörde, <strong>des</strong>wegen haben wir auch<br />

viele Probleme nicht, die an<strong>der</strong>e hier berichtet haben bei <strong>der</strong> <strong>Evaluierung</strong>. Wir haben insbeson<strong>der</strong>e<br />

Probleme mit Personalengpässen bzw. Fluktuation bei Polizei und Staatsanwaltschaften.<br />

Wir haben in den letzten Jahren eine Schwerpunktsetzung machen müssen,<br />

weil auch bei uns Personal abgezogen worden ist. Das hat sich aber als sehr wirkungsvoll<br />

erwiesen, diese Schwerpunktsetzung bei „organisierter Kr<strong>im</strong>inalität und Netzwerken, ganzen<br />

Netzwerken“ von Scheinehen, wo auch viel Geld fließt.<br />

Ja. vielleicht noch auch wenn es von Interesse ist, weil es in dem Fragebogen zur <strong>Evaluierung</strong><br />

auch auftauchte, <strong>der</strong> Prozentsatz <strong>der</strong> Familiennachzugsfälle, bei denen einer <strong>der</strong> Ehegatten<br />

min<strong>der</strong>jährig war und welches Alter. Also min<strong>der</strong>jährig ist nach Mitteilung meiner<br />

Sachgebietsleiter, also so Schätzungen, etwa 10 % <strong>der</strong> Ehegatten. Die überwiegende Zahl<br />

<strong>der</strong> Ehepartner sind zwischen 18 und 21, die Jüngsten, was allerdings ganz seltene Einzelfälle<br />

sind, 14 und 15.<br />

Ja. Zwangsehen, das habe ich vorhin schon mal gesagt, spielen in unserer Vollzugspraxis<br />

so gut wie keine Rolle. Einzelfälle sind in letzter Zeit mal zunehmend, allerdings in ganz<br />

unterschiedlichen Zusammenhängen vorgetragen worden, zum Teil auch um eine Ausreisepflicht<br />

zu verhin<strong>der</strong>n, sag ich jetzt mal ganz vorsichtig.<br />

Ja, das wars.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank Frau Vollmer, dann kommt jetzt Frau Stöcker-Zafari vom Verband binationaler<br />

Familien und Partnerschaften e. V.<br />

Bitte sehr.


4. Frau Stöcker-Zafari<br />

423<br />

Danke schön, Herr Lehnguth, schönen guten Tag sehr geehrte Damen und Herren,<br />

ich selber komme aus Frankfurt am Main, bin Mitarbeiterin <strong>des</strong> Verban<strong>des</strong> binationaler<br />

Familien und Partnerschaften iaf e. V., bin eine Mitarbeiterin <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>geschäftsstelle<br />

und dort zuständig für den Bereich Beratung.<br />

Wir beschäftigen uns als Verband seit ca. 34 Jahren mit Belangen eingewan<strong>der</strong>ter Paare<br />

und Familien und unsere Kenntnisse basieren so zu sagen auf diesem Hintergrund. Wir<br />

erhalten jährlich ca. 16.000 Anfragen, ein Großteil davon, ca. 60%, sind dem Bereich Einreisevisum<br />

von Familienangehörigen, Einreise zur Eheschließung, Ehegatten- sowie Kin<strong>der</strong>nachzug<br />

zuzuordnen. Das ist also die Basis, auf <strong>der</strong> ich berichten werde, wobei meine<br />

Erfahrung o<strong>der</strong> unsere Erfahrungen zum Teil schon auch etwas an<strong>der</strong>s sein werden, als<br />

die von meinen Vorrednern, aber das liegt in <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> Sache, das werden wir jetzt<br />

merken.<br />

Ich möchte erste kurze Ausführungen geben zum Besuchervisum geben für Familienangehörige.<br />

Um eingewan<strong>der</strong>ten Familien in Deutschland ein Familienleben zu ermöglichen, können<br />

Familienangehörige, die in einem Drittstaat leben, ein Besuchervisum für Deutschland erhalten.<br />

Hierfür sprechen, das kennen wir alle, Angehörige, die <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet leben, eine<br />

Einladung aus, erklären sich bereit, die Kosten für den Aufenthalt <strong>des</strong> Besuchs zu übernehmen<br />

und bei <strong>der</strong> abzugebenden Verpflichtungserklärung prüft die kommunale Behörde<br />

die Bonität <strong>des</strong> in Deutschland lebenden Einla<strong>der</strong>s. Die Prüfung <strong>der</strong> Bonität erfolgt kommunal<br />

verschieden. In vielen Kommunen wird das pfändungsfreie Einkommen zugrunde<br />

gelegt.<br />

Wir machen die Erfahrung insbeson<strong>der</strong>e seit letztem Jahr, seit <strong>der</strong> so genannten „Visaaffäre“,<br />

dass Besuchervisa von Familienangehörigen aus Drittstaaten noch restriktiver als zuvor<br />

erteilt werden. Selbst Familienangehörige, die bisher mehrfach in Deutschland zu Besuch<br />

waren, erhielten kein Visum mehr, obgleich sie die gleichen Unterlagen wie gewohnt<br />

vorlegten. Dies führt natürlich zu einer großen Irritation bei den Familienangehörigen, da<br />

sich die gesetzlichen Best<strong>im</strong>mungen in <strong>der</strong> Zwischenzeit ja nicht geän<strong>der</strong>t haben, und es<br />

für die Antragstellerinnen nicht nachvollziehbar war und ist, warum einem Antrag nun nicht<br />

mehr entsprochen wird, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Vergangenheit regelmäßig zur Bewilligung führte. Folglich<br />

wird die Ablehnung <strong>des</strong> Einreisevisums von den Antragstellerinnen als Willkür <strong>der</strong> Behörde<br />

o<strong>der</strong> das gesamte Proze<strong>der</strong>e als ein kostspieliges Glücksspiel wahrgenommen.<br />

Verstärkt wird diese Empfindung einmal durch eine umgehende schriftliche Ablehnung,<br />

während in <strong>der</strong> Vergangenheit für den gleichen Bearbeitungsvorgang mehrere Wochen<br />

Zeit beansprucht wurde o<strong>der</strong> durch das Hinhalten <strong>der</strong> Antragstellerinnen, die erst nach einigen<br />

Tagen um weitere Angaben gebeten werden.<br />

Ich habe in meinen Ausführungen auch einige Beispiele dazu aufgeführt. Also beispielsweise:<br />

• Frau M., die zu ihrem Bru<strong>der</strong> zum Weihnachtsfest nach Deutschland eingeladen<br />

wurde, da hatten die Schwiegereltern auch noch eine zusätzliche Bürgschaft sozusagen<br />

ausgesprochen gegenüber <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde. Der Antrag wurde von<br />

<strong>der</strong> Botschaft in Israel innerhalb 10 Tagen abgelehnt. Die Kosten, die dem Bru<strong>der</strong><br />

entstanden sind, belaufen sich auf insgesamt 225 € und eine Begründung für die<br />

Ablehnung wurde, wie wir alle wissen, nicht gegeben.<br />

• An<strong>der</strong>es Beispiel: eine Schwester eines Algeriers, <strong>der</strong> ebenfalls seit Jahren in<br />

Deutschland lebt, erhielt auch kein Visum für den Familienbesuch. Sie besuchte<br />

bereits mehrfach in <strong>der</strong> Vergangenheit ihren Bru<strong>der</strong>, nahm auch diesmal den beschwerlichen<br />

Weg von 1000 km mit dem Bus zur Botschaft nach Algier in Kauf, um<br />

dort vorzusprechen, den Antrag persönlich abzugeben. Der Antrag wurde abgelehnt,<br />

weil die Rückkehrbereitschaft nicht als gegeben angesehen wurde. Zitat:


424<br />

„Dies ergibt sich“, also die fehlende Rückkehrbereitschaft „Dies ergibt sich insbeson<strong>der</strong>e<br />

aus <strong>der</strong> Tatsache, dass Sie we<strong>der</strong> über ausreichende familiäre noch wirtschaftliche<br />

Bindungen an Ihr He<strong>im</strong>atland verfügen. Sie sind nicht eigenständig familiär<br />

verwurzelt, da Sie noch keine eigene Familie haben, Sie sind ledig.“ Dies ist<br />

ein Zitat aus dem Antwortschreiben <strong>der</strong> Botschaft auf die Remonstration <strong>der</strong> Antragstellerin.<br />

• O<strong>der</strong> eine Oma aus dem Senegal, die in <strong>der</strong> Vergangenheit auch mehrfach in<br />

Deutschland war, zum Besuch ihrer Tochter, die deutsch verheiratet ist, stellte einen<br />

Antrag in 2005 und die Verpflichtungserklärung sowohl Krankenversicherung<br />

usw. lag alles vor. Die Oma wollte <strong>des</strong>halb doch nach Deutschland, weil die Tochter<br />

Zwillinge bekommen hat, und beantragt an einem Montag das Touristenvisum<br />

bei <strong>der</strong> Deutschen Botschaft in Dakar. Es wird ihr gesagt, sie solle am Dienstag<br />

wie<strong>der</strong>kommen. Am Dienstag hieß es, sie solle am Mittwoch wie<strong>der</strong>kommen. Am<br />

Mittwoch wurde ihr gesagt, sie solle am Donnerstag wie<strong>der</strong>kommen. Am Donnerstag<br />

wird sie befragt, wovon sie <strong>im</strong> Senegal ihren Lebensunterhalt bestreite und sie<br />

erwi<strong>der</strong>t, dass sie verheiratet sei und vom Einkommen ihres Mannes lebe. Der Antrag<br />

wurde kommentarlos abgelehnt. Der Familie ist unbegreiflich, welche Kriterien<br />

zu dieser Ablehnung führten.<br />

• An<strong>der</strong>es Beispiel: eine Frau, die seit 1984 deutsche Staatsbürgerin ist, seit ca. 20<br />

Jahren regelmäßig Besuch von ihren Eltern aus Belarus bekommen hatte, die bisher<br />

ohne Probleme auch <strong>im</strong>mer das Visum erhalten haben. Die Eltern reisten halt<br />

auch <strong>im</strong>mer fristgemäß wie<strong>der</strong> nach Hause. Sie wussten ja <strong>im</strong> Prinzip auch, dass<br />

sie wie<strong>der</strong>kommen konnten. Im März 2005 beantragten sie wie gewohnt das Besuchervisum<br />

und erhielten nach zwei Tagen eine Ablehnung ohne Begründung.<br />

Das einfach nur mal so als kleine Beispiele.<br />

Seit mehreren Monaten erhalten wir verstärkt Anfragen von Menschen, die keinen Besuch<br />

mehr aus dem Ausland empfangen können, da ihre Bonität als Einla<strong>der</strong> in Frage gestellt<br />

wird. Da hebe ich darauf ab, was Herr Botzet eingangs auch schon mal kurz erwähnt hatte,<br />

dass nämlich das pfändungsfreie Einkommen zugrunde gelegt wird, was die Latte ziemlich<br />

hoch hängt, so dass in meinem Beispiel, das will ich jetzt nicht weiter ausführen, zum Beispiel<br />

halt auch ein Familienvater, <strong>der</strong> einen sozialversicherungspflichtigen Bruttoverdienst<br />

von 3.800 Euro pro Monat hat, insofern oberhalb <strong>der</strong> Pflichtversicherungsgrenze in <strong>der</strong> gesetzlichen<br />

Krankenversicherung verdient, nach ein paar Minuten aus <strong>der</strong> Behörde wie<strong>der</strong><br />

draußen war, weil er ein Papier in <strong>der</strong> Hand hielt, in dem bescheinigt wurde: Bonität nicht<br />

gegeben.<br />

Das Verwaltungsverfahren sollte nach unserer Meinung durch entsprechende Vorgaben<br />

<strong>des</strong> Gesetzgebers bun<strong>des</strong>einheitlich und transparent organisiert werden. Hierzu sind die<br />

Kriterien zur Erreichung eines Besuchervisums darzulegen und die Gründe aufzuführen,<br />

die zu einer Ablehnung führen.<br />

Weiterhin sollte die Verwaltung aufgefor<strong>der</strong>t werden, Familien über die Möglichkeiten einer<br />

Beantragung <strong>des</strong> längerfristigen Visums zur mehrmaligen Einreise nach § 6 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz<br />

zu beraten. Das heißt, diese Möglichkeit sieht <strong>im</strong> Prinzip das Aufenthaltsgesetz<br />

vor. In <strong>der</strong> Praxis erleben wir das <strong>im</strong> Prinzip nicht, dass das angeraten wird.<br />

Bei <strong>der</strong> Prüfung <strong>der</strong> Bonität sollte die reale Lebenssituation berücksichtigt werden. Beispielsweise<br />

wie ist das mit <strong>der</strong> Anrechnung <strong>des</strong> Kin<strong>der</strong>gel<strong>des</strong>, was ja in an<strong>der</strong>en Zusammenhängen<br />

durchaus auch als Einkommen gilt. Abgesehen davon wird bei <strong>der</strong> Prüfung <strong>der</strong><br />

Bonität das Kind ja auch als zu unterhaltende Personen voll berücksichtigt. Es könnte ebenso<br />

zu <strong>der</strong> realen Lebenssituation berücksichtigt werden, wie finanzielle Rücklagen <strong>der</strong><br />

Familie. Und ebenso ist es ja oft auch eine reale Lebenssituation, dass Menschen, die hier<br />

Familienangehörige besuchen wollen, nicht nur in einer Stadt Familienangehörige haben,<br />

son<strong>der</strong>n in mehreren, so dass sich Familien ja durchaus zusammentun.<br />

Familienbesuche sollten aus unserer Sicht regelmäßig gestattet werden, damit ihnen auch<br />

über Grenzen hinweg einfach ein gemeinsames Leben möglich ist. Familienbesuche sind<br />

nach an<strong>der</strong>en Maßstäben zu beurteilen als ein touristisches Sightseeing.


425<br />

Die Befürchtung, dass nach einer Einreise nicht mehr ausgereist wird, können wir für die<br />

meisten Familien nicht teilen. Vielmehr ist die Bereitschaft auszureisen extrem hoch, wenn<br />

man die Gewissheit hat, wie<strong>der</strong> kommen zu können.<br />

Mein zweiter Punkt betrifft den Aufenthalt zur Vorbereitung <strong>der</strong> Eheschließung.<br />

Aus Erfahrung, aber auch aus unseren Beratungen wissen wir, dass für die Vorbereitung<br />

einer Eheschließung mit Auslandsberührung eine längere Zeit eingeplant werden muss,<br />

um die erfor<strong>der</strong>lichen Dokumente und Urkunden in <strong>der</strong> gefor<strong>der</strong>ten Form dem Stan<strong>des</strong>amt<br />

vorlegen zu können.<br />

Für Partner und Partnerinnen von Frauen bzw. Männern mit deutscher Staatsbürgerschaft<br />

o<strong>der</strong> die mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland leben, ist keine rechtliche<br />

Regelung <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz für die Zeit <strong>der</strong> Ehevorbereitung bzw. für die Eingehung einer<br />

Lebenspartnerschaft vorgesehen. Erst wenn die Eheschließung unmittelbar bevorsteht,<br />

können gesetzliche Best<strong>im</strong>mungen greifen.<br />

Unseres Erachtens sollte diese Best<strong>im</strong>mung ausgeweitet werden, um einem Paar die Möglichkeit<br />

zu geben, noch fehlende Urkunden bzw. Beglaubigungen beizubringen. Dabei sollte<br />

<strong>im</strong> Einzelfall berücksichtigt werden, aus welchem Land die Dokumente zu erbringen<br />

sind, welche Beglaubigungswege die Urkunden durchlaufen müssen und außerdem sollte<br />

die bestehende Partnerschaft sowie die Lebensumstände <strong>des</strong> <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet lebenden<br />

Partners gebührend einbezogen werden.<br />

Hält sich <strong>der</strong> Partner o<strong>der</strong> die Partnerin noch <strong>im</strong> Ausland auf und betreibt von dort die Einreise<br />

zur Eheschließung, so sollte diese zukünftig frühzeitig erlaubt werden, damit die Vorbereitungen<br />

eben gemeinsam halt <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet vorgenommen werden können. Und<br />

ebenso sollte bei homosexuellen Paaren berücksichtigt werden, dass ihre Lebenspartnerschaft<br />

in <strong>der</strong> Regel nicht <strong>im</strong> Ausland eingegangen werden kann. Sie sind in beson<strong>der</strong>em<br />

Maß an einer frühzeitigen Einreise interessiert und <strong>im</strong> Prinzip auch darauf angewiesen.<br />

Der dritte Punkt bezieht sich auf den Aufenthalt von Familienangehörigen Deutscher.<br />

Zuerst möchten wir grundsätzlich kritisieren, dass deutsch verheiratete Familien gegenüber<br />

Unionsbürgerinnen in Deutschland benachteiligt sind, denn Familienangehörige von Deutschen<br />

unterliegen den gesetzlichen Regelungen <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes. Dabei wird auf<br />

die Staatsangehörigkeit <strong>des</strong> Ehegatten bzw. <strong>der</strong> Ehegattin abgestellt und nicht die grundgesetzlich<br />

garantierten Rechte <strong>des</strong> Deutschen in den alleinigen Vor<strong>der</strong>grund gestellt. Zu<br />

dem Aufenthalt nach <strong>der</strong> Eheschließung begrüßen wir die eindeutige Regelung in § 28<br />

Aufenthaltsgesetz, in dem erstmalig <strong>der</strong> Rechtsanspruch auf Aufenthalt für den Ehegatten<br />

unabhängig <strong>des</strong> finanziellen Nachweises <strong>des</strong> Lebensunterhalts klar gesetzlich normiert ist.<br />

Wir erfahren allerdings <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> von den Paaren, dass sich Auslän<strong>der</strong>behörden nicht<br />

exakt an diese Normierung halten, son<strong>der</strong>n entsprechende finanzielle Nachweise <strong>des</strong><br />

deutschen Partners bzw. <strong>der</strong> deutschen Partnerin for<strong>der</strong>n. Diese For<strong>der</strong>ung wird be<strong>im</strong> Ehegattennachzug<br />

aus dem Ausland in Form einer Verpflichtungserklärung oftmals verlangt.<br />

Paare erleben diese Situationen als <strong>im</strong>mens große Verunsicherung, da ihnen suggeriert<br />

wird, dass sie nur dann mit ihrem Ehepartner in Deutschland zusammen leben können,<br />

wenn sie über ausreichende finanzielle Mittel verfügen.<br />

Weiterhin wird uns berichtet von Paaren, die außerhalb <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>gebietes geheiratet<br />

haben, dass die Auslän<strong>der</strong>behörde die Ersterteilung <strong>der</strong> befristeten Aufenthaltserlaubnis<br />

an die Vorlage eines Familienbuches knüpft. Nach Beantragung <strong>des</strong> Familienbuches be<strong>im</strong><br />

Stan<strong>des</strong>amt wartet das Paar meist Monate auf die Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis, da<br />

Dokumente und Urkunden in <strong>der</strong> gefor<strong>der</strong>ten Form meist nicht zeitnah zu erbringen sind. In<br />

<strong>der</strong> Zwischenzeit muss das Paar die damit verbundenen Nachteile beispielsweise auf dem<br />

Arbeitsmarkt in Kauf nehmen, da potentielle Arbeitgeber die erteilte Fiktionsbescheinigung<br />

als Unsicherheitsfaktor ansehen und zudem sind auch Reisen ins benachbarte Ausland<br />

usw. nicht möglich.<br />

In diesem Zusammenhang erachten wir die Ausführungen <strong>der</strong> vorläufigen Anwendungshinweise<br />

<strong>des</strong> BMI in 28.1.2 für nicht hilfreich. Da steht. Ich zitiere „Bei Anwendung <strong>des</strong> Absatzes<br />

1 Nr. 1 kommt es nicht darauf an, ob die Ehe in Deutschland o<strong>der</strong> <strong>im</strong> Ausland geschlossen<br />

wurde. Bei je<strong>der</strong> Eheschließung muss die Ortsform beachtet worden sein, also<br />

die am Ort <strong>der</strong> Eheschließung vorgegebene Form einschließlich <strong>der</strong> zwingenden Eheschließungsvoraussetzungen,<br />

wie sie am Eheschließungsort gelten.“ Wir betrachten die-


426<br />

sen Hinweis als wi<strong>der</strong>sprüchlich. Es wird zum einen ausgeführt, dass für die Anwendung<br />

dieses Paragraphen <strong>der</strong> Eheschließungsort unerheblich ist und zum an<strong>der</strong>en gilt es aber<br />

die Ortsform zu beachten.<br />

Ein Mitarbeiter o<strong>der</strong> eine Mitarbeiterin in <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde wird sich durch diese Hinweise<br />

veranlasst fühlen, die Ortsform <strong>der</strong> Eheschließung zu berücksichtigen. Da er o<strong>der</strong><br />

sie die Ortsform ja nicht überprüfen und feststellen kann, wird folglich <strong>der</strong> ausländische<br />

Ehegatte an das Stan<strong>des</strong>amt mit dem Hinweis verwiesen, ein Familienbuch anzulegen,<br />

denn nur, wenn für Deutschland eine rechtswirksame Eheschließung zustande gekommen<br />

ist, könne anschließend die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden.<br />

So die mündlichen Ausführungen gegenüber den Paaren. Deshalb wünschen wir uns, dass<br />

in den noch zu erlassenden Verwaltungsvorschriften eindeutig zum einen <strong>der</strong> Verzicht <strong>des</strong><br />

Nachweises <strong>des</strong> Lebensunterhalts formulieren wird und die noch ausstehenden Verwaltungsvorschriften<br />

sollten den Rechtsanspruch auf Aufenthalt nicht aus dem Auge verlieren<br />

und insofern halt auch von solchen <strong>im</strong>aginären Voraussetzungen, wie jetzt das Familienbuch,<br />

was ich eben ausgeführt habe, als Voraussetzung für die Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis<br />

absehen.<br />

Zur Verfestigung <strong>des</strong> Aufenthaltsstatus ist die Erteilung <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis nach<br />

§ 28 Abs. 2 maßgebend und in <strong>der</strong> Verwaltungspraxis wird an die Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis<br />

<strong>der</strong> Nachweis geknüpft, dass <strong>der</strong> Lebensunterhalt aus eigener Erwerbstätigkeit, eigenem<br />

Vermögen o<strong>der</strong> sonstigen eigenen Mitteln bestritten wird. Wird dieser Nachweis nicht erbracht,<br />

so wird keine Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis erteilt, son<strong>der</strong>n weiterhin eine befristete<br />

Aufenthaltserlaubnis.<br />

Aus unserer Sicht basiert diese Praxis nicht auf einer eindeutig normierten gesetzlichen<br />

Regelung. Also laut § 28 Abs. 2 darf zwar kein Ausweisungsgrund vorliegen, jedoch ist<br />

keine Vorschrift zu finden, dass <strong>der</strong> Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln gesichert sein<br />

muss. Wir haben natürlich bei Juristen unterschiedlicher Couleur nachrecherchiert und wir<br />

finden ebenso viele, die für die Berücksichtigung <strong>des</strong> beispielsweise § 5 Abs. 1 Nr. 1 in §<br />

28 Abs. 2 sprechen, aber ebenso viele, die sich dagegen aussprechen. Insofern wünschen<br />

wir uns da eine eindeutige Regelung. Die … Wir erleben das so, dass Familien nicht realisieren,<br />

dass ihnen das Grundgesetz in Artikel 6 einen staatlichen Schutz garantiert. Sie erleben<br />

dies in <strong>der</strong> Verwaltungspraxis nicht, sie sehen vielmehr den befristeten Aufenthaltstitel,<br />

den sie regelmäßig neu beantragen müssen und dabei haben sie <strong>im</strong> Prinzip stets vor<br />

Augen, dass ein Antrag auch angelehnt werden kann. Deshalb erreichen uns besorgte<br />

Nachfragen, in denen die Befürchtung ausgedrückt wird, ob denn <strong>der</strong> Ehemann bzw. die<br />

Ehefrau wegen fehlen<strong>der</strong> eigener finanzieller Mittel aus Deutschland ausgewiesen werden<br />

kann.<br />

Deshalb bitten wir den Gesetzgeber an dieser Stelle einfach eine klare Regelung zu erlassen.<br />

Aus <strong>der</strong> Lebensrealität wissen wir, wie wichtig die Verfestigung <strong>des</strong> Aufenthalts für<br />

das Sicherheitsbedürfnis von Familie ist. Planungen lassen sich nur sehr schwer vornehmen,<br />

wenn ihnen durch die Befristung <strong>des</strong> Aufenthaltstitels Grenzen gesetzt werden. Familien<br />

benötigen jedoch für die Gestaltung ihres Lebens sichere rechtliche <strong>Rahmen</strong>bedingungen.<br />

Und daher plädieren wir für die Klarstellung in § 28 Abs. 2 und für den Verzicht auf<br />

den Nachweis <strong>des</strong> gesicherten Lebensunterhaltes, meinen, dass <strong>der</strong> Grundgesetzartikel 6<br />

diese Deutlichkeit halt auch gebietet.<br />

Zum Ehegattennachzug und Kin<strong>der</strong>nachzug möchten wir grundsätzlich anmerken, dass<br />

sich die Ausführungen in dem gesamten Abschnitt 6 „Aufenthalt aus familiären Gründen“<br />

an einem klassischen Familienbegriff orientieren und dabei <strong>der</strong> gesellschaftlichen Realität,<br />

die durch plurale Lebensformen gekennzeichnet ist, nicht gerecht wird.<br />

Es fehlen beispielsweise Regelungen, die einem ausländischen Elternteil eines Kin<strong>des</strong>,<br />

das in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, ein Aufenthaltsrecht einräumt.<br />

Weiterhin bedingt durch die weltweite Mobilität kommt es nicht selten vor, dass Paare und<br />

Familien nach einem Auslandsaufenthalt wie<strong>der</strong> ihren Wohnsitz ins Bun<strong>des</strong>gebiet verlegen<br />

wollen. Dies ist nach den bestehenden Regelungen gemeinsam nicht möglich denn die<br />

Vorgaben gehen davon aus, dass halt ein Teil erstmal hier ist, arbeitet, zumin<strong>des</strong>t Wohnung<br />

bezogen hat und diese Vorgehensweise aus unserer Erfahrung und aus unseren Er-


427<br />

kenntnisstand heraus lebensfremd ist und <strong>im</strong> Prinzip nur zu Trennungszeiten führt, die we<strong>der</strong><br />

beabsichtigt und auch unnötig sind.<br />

Weiterhin ist <strong>der</strong> Nachzug von weiteren Familienangehörigen, für die Sorge und Verantwortung<br />

übernommen wird, beispielsweise Großeltern o<strong>der</strong> Geschwister, also Großeltern<br />

aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Enkelkin<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Geschwister, halt nach § 36 Aufenthaltsgesetz nur zur<br />

Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte möglich. In <strong>der</strong> Praxis kommt folglich ein<br />

Nachzug so gut wie gar nicht vor. Diese Regelung schränkt Familienleben ein und kann<br />

dadurch halt auch nicht, also die Familienangehörigen können sich dadurch halt auch nicht<br />

gegenseitig Hilfe geben, auch wenn dies nur vorübergehen<strong>der</strong> Art ist, was ja so das Prinzip<br />

Familie <strong>im</strong>pliziert. Weiterhin sind zudem Eingewan<strong>der</strong>te durch solche Regelungen halt<br />

auch behin<strong>der</strong>t, sich sehr stark auf ihren Lebensmittelpunkt Deutschland zu konzentrieren,<br />

weil sie einfach in <strong>der</strong> Sorge sind, um die <strong>im</strong> Herkunftsland verbliebenen unversorgten Angehörigen.<br />

Zum Kin<strong>der</strong>nachzug: Wir begrüßen den gesetzlich normierten Anspruch auf Nachzug von<br />

Kin<strong>der</strong>n zu ihren Eltern bzw. sorgeberechtigten Elternteilen. Wir kritisieren jedoch, dass<br />

das Kindschaftsrechtsreformgesetz nicht gebührend berücksichtigt wurde.<br />

Wir erleben in <strong>der</strong> Praxis <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong>, dass die alleinige Sorge in vielen Län<strong>der</strong>n nicht<br />

gerichtlich beurkundet wird, denn nicht alle Län<strong>der</strong> kennen diese spezielle Form. Hatten wir<br />

vorhin auch schon mal kurz gehabt. Unter <strong>der</strong> Berücksichtigung <strong>des</strong> aktuellen deutschen<br />

Kindschaftsrechts, in dem die gemeinsame Sorge die Regel darstellt und die alleinige eine<br />

Abweichung in begründeten Einzelfällen, sowie das Umgangsrecht als gleichrangig bedeutend<br />

für das Kin<strong>des</strong>wohl angesehen wird, sollte auch das Aufenthaltsgesetz entsprechend<br />

nachgebessert werden.<br />

Es sollte den Nachzug eines Kin<strong>des</strong> zu seinem umgangsberechtigten Elternteil ebenso als<br />

Anspruch vorsehen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Eltern ihre gemeinsame Sorge<br />

nicht auch grenzüberschreitend ausüben dürfen.<br />

Als extrem schwierig erleben wir doch in <strong>der</strong> Praxis unserer Beratungsarbeit die Verfahrensregelung<br />

<strong>des</strong> Nachzugs. Diese ist weitestgehend vergleichbar mit dem Ehegattennachzug<br />

und das werde ich jetzt anschließend tun, nicht extra.<br />

Jetzt komme ich zum Ehegattennachzug.<br />

Einwand Herr Dr. Lehnguth: ………?..kommen Sie dann allmählich...<br />

Frau Stöcker-Zafari: ... dann bin ich fertig …<br />

Frau Stöcker-Zafari:<br />

Das Aufenthaltsgesetz normiert ja Rechtsansprüche auf Einreise und Aufenthalt und diese<br />

Normierung begrüßen wir sehr, war sie doch in <strong>der</strong> Vergangenheit keine Selbstverständlichkeit.<br />

Die Schwierigkeiten, wie ich eben sagte, sind halt in dem Verwaltungshandeln zu<br />

sehen.<br />

Die Bearbeitung <strong>des</strong> Visums zum Familiennachzug erfor<strong>der</strong>t eine sorgfältige Prüfung <strong>des</strong><br />

Antrages durch die deutsche Auslandsvertretung. Dabei ist die inländische Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

einzubeziehen, in <strong>des</strong>sen Gebiet <strong>der</strong> Nachzug erfolgen soll. Dieses äußerst komplexe<br />

Zusammenspiel ist für die antragstellenden Paaren und Familien nicht überschaubar.<br />

Die Verfahren sind zeit- und kostenintensiv. Geraten sie ins Stocken, so ist die Ursache<br />

hierfür meist nicht nachvollziehbar. Handelt es sich um ein Einreisevisum zur Eheschließung,<br />

so ist zusätzlich ein örtliches Stan<strong>des</strong>amt involviert, wodurch die Abst<strong>im</strong>mung sowie<br />

die Zusammenarbeit <strong>der</strong> Behörden nicht vereinfacht wird.<br />

In vielen Län<strong>der</strong>n greift zudem die deutsche Auslandsvertretung auf örtliche Anwälte, auf<br />

so genannte Vertrauensanwälte, zurück, die die Angaben <strong>der</strong> Antragstellerinnen auf Verlangen<br />

<strong>der</strong> deutschen Auslandsvertretung jedoch auf Kosten <strong>der</strong> Antragsteller überprüfen.<br />

Ihre Recherchen werden bei <strong>der</strong> Entscheidung über das Einreisevisum berücksichtigt. Die<br />

Berichte dürfen meistens nicht eingesehen werden. Selbst Anwälte berichten, dass ihnen<br />

diese Berichte vorenthalten werden. Und es erreichten uns doch zudem viele Klagen über<br />

die Seriosität dieser Anwälte.<br />

Ich belasse es damit, weil ich eben schon aufgefor<strong>der</strong>t bin, das ….<br />

Einwand Herr Dr. Lehnguth: … ja je<strong>der</strong> hat 10 Minuten


428<br />

Antwort Frau Stöcker-Zafari: ja ist o. k.<br />

Ein ganz großer Punkt liegt noch mal darin, dass die Schwierigkeiten bei dem Nachzug<br />

darin bestehen, dass oftmals angezweifelt wird, dass das Paar ernsthaft eine Lebensgemeinschaft<br />

begründen will. Wir halten dieses Vorgehen, in dem Paare getrennt befragt<br />

werden, in dem ermittelt wird, in dem zum Teil auch Wohnungen aufgesucht werden, für<br />

nicht haltbar. Solch ein Vorgehen liegt mangels objektiver Kriterien, das haben wir auch<br />

eben ja schon gehört, dass es schwierig ist, so etwas nachzuweisen, <strong>im</strong> Ermessen <strong>des</strong> jeweiligen<br />

Mitarbeiters <strong>der</strong> Behörde und ist sofern abhängig auch von seinen individuellen<br />

Kenntnissen und Erfahrungen. Gemeinsames Familienleben ist grundgesetzlich geschützt<br />

und kann <strong>des</strong>halb nicht in das Ermessen eines Behördenmitarbeiters gestellt werden.<br />

Ich will es damit erstmal belassen und noch mal deutlich machen, dass die Rechtsansprüche,<br />

die <strong>im</strong> Laufe <strong>der</strong> Jahre geschaffen worden sind <strong>im</strong> Gesetz, sehr zu begrüßen sind,<br />

aber durch Vorgaben und Anwendungshinweise, also sprich durch Verwaltungshandeln<br />

aus unserer Sicht Stück für Stück und systematisch unterlaufen werden, und insofern halten<br />

wir halt auch die Ideen, die Überprüfungspraxis, die bisher auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Verwaltung<br />

war, in den Gesetzesnormen zu hiefen, indem halt <strong>der</strong> § 27 einen neuen Absatz bekommen<br />

soll, für nicht haltbar und sollte auch noch mal überprüft werden. Bei alldem bitte<br />

ich den Gesetzgeber auch noch mal dahingehend nachzudenken, inwieweit die Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

zukünftig auch noch so was wie eine Beratungspflicht erhalten sollen, weil<br />

dieses komplexe Gebilde <strong>der</strong> Gesetzesstruktur <strong>im</strong> Prinzip unüberschaubar ist und auch<br />

nicht verlangt werden kann, dass Einwan<strong>der</strong>er und Einwan<strong>der</strong>innen dies überblicken können<br />

und insofern auch angemessene Anträge stellen können.<br />

Vielen Dank erstmal für Ihre Aufmerksamkeit und Geduld.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Frau Stöcker-Zafari. Ich wollte noch mal an die 10 Minuten erinnern, weil wir<br />

diese Langform natürlich ohnehin jedem, habe ich gestern gesagt, Sie waren nicht da gewesen,<br />

hier Teilnehmer zur Verfügung stellen können und auch werden und insofern bitte<br />

ich darum, <strong>im</strong> Interesse <strong>des</strong> gesamten Ablaufs etwas sich zu konzentrieren.<br />

Herr Maßolle, Sie sind jetzt dran.<br />

5. Herr Maßolle<br />

Ja. Nach <strong>der</strong> Vorgabe werde ich mich bemühen, schneller zu sein.<br />

Ja, meine Damen und Herren, bevor ich für die Gruppe <strong>der</strong> Spätaussiedler zu den praktischen<br />

Erfahrungen <strong>im</strong> Umgang mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz komme, lassen Sie mich einige,<br />

aber wenige Vorbemerkungen zu diesem beson<strong>der</strong>en Teil <strong>der</strong> Migration machen.<br />

Wir - das BVA - sind für die Aufnahme <strong>der</strong> Spätaussiedler und ihrer Familienangehörigen<br />

aus dem ehemaligen Ostblock zuständig. Nach den Verän<strong>der</strong>ungen in Osteuropa sind seit<br />

1988 <strong>im</strong>merhin mehr als 3,9 Mio. Aussiedler und ihre Angehörigen zu uns gekommen. Wir<br />

unterscheiden dabei heute den Spätaussiedler einerseits, seine nichtdeutschen Ehegatten<br />

und Abkömmlinge und die sonstigen Familienangehörigen.<br />

Im Unterschied zu vielen an<strong>der</strong>en Zuwan<strong>der</strong>ergruppen werden die Spätaussiedler, die <strong>im</strong><br />

Wege <strong>des</strong> Aufnahmeverfahrens einreisen, Deutsche <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> Artikels 116 <strong>des</strong> Grundgesetzes.<br />

Dafür sind best<strong>im</strong>mte Voraussetzungen zu erfüllen, die ich nur kurz nennen will.<br />

- Abstammung von einem Deutschen als erstes,<br />

- zweites ein einfaches Gespräch in deutscher Sprache und<br />

- drittens sich in ihrem Herkunftsland durchgängig als Deutsche bekannt haben.<br />

Zum Nachweis <strong>der</strong> Aussiedlereigenschaft erteilt das BVA eine Bescheinigung, den früheren<br />

Vertriebenenausweis, mittlerweile <strong>im</strong> § 15 BVFG geregelt.<br />

Auch die zweite Gruppe, nämlich die nichtdeutschen Ehegatten und Abkömmlinge <strong>der</strong><br />

Spätaussiedler haben grundsätzlich die Möglichkeit mit <strong>der</strong> Aufnahme <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet <strong>im</strong>


429<br />

Verfahren eine vergleichbare Bescheinigung zu bekommen, mit <strong>der</strong> sie ebenfalls deutsche<br />

Staatsangehörige werden.<br />

Die Einreise und gegebenenfalls Einbürgerung von den sonstigen Familienangehörigen,<br />

die nicht diesem Personenkreis unterfallen, richtet sich dagegen nach allgemeinem Auslän<strong>der</strong>recht.<br />

Zu den wesentlichen Antragsvoraussetzungen ermittelt das BVA unmittelbar in den Herkunftsgebieten,<br />

das heißt vor Ort. So können die Bewerber um die Aufnahme als Spätaussiedler<br />

den schon seit 1996 für den eigentlichen Spätaussiedler obligatorischen Nachweis<br />

ihrer Sprachkenntnisse an allen Orten <strong>im</strong> Herkunftsgebiet erbringen, die über eine deutsche<br />

Auslandsvertretung verfügen.<br />

Meine Damen und Herren,<br />

ich komme nunmehr zu den <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> dieser Veranstaltung zu evaluierenden Verän<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>im</strong> Zusammenhang mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz und möchte mich dabei auf die<br />

drei wichtigsten Themenkomplexe beschränken:<br />

1. die Straffung <strong>des</strong> mehrstufigen Aussiedleraufnahmeverfahrens und Konzentration <strong>der</strong><br />

Entscheidung be<strong>im</strong> BVA<br />

2. den Nachweis von Grundkenntnissen <strong>der</strong> deutschen Sprache für die nichtdeutschen<br />

Ehegatten und Abkömmlinge und<br />

3. das ist auch vom Kollegen <strong>des</strong> Auswärtigen Amtes schon erwähnt worden, die Erschwerung<br />

einer gemeinsamen Einreise aller Familienmitglie<strong>der</strong>, je nach dem, ob sie<br />

vertriebenenrechtlich o<strong>der</strong> auslän<strong>der</strong>rechtliche einen Nachzugsanspruch haben.<br />

Ich habe eingangs den „Vertriebenenausweis“, früher so genannt, erwähnt und seine u. a.<br />

staatsangehörigkeitsrechtliche Bedeutung für die Aufnahmebewerber erwähnt. Auch für die<br />

Ausstellung dieser Bescheinigung sind wir seit dem 1.1.2005, also seit Inkrafttreten <strong>des</strong><br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes, zuständig. Früher wurde dieses eigenständige Verwaltungsverfahren<br />

von den Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n, auf welche die Personen nach ihrer Einreise von uns verteilt<br />

werden, durchgeführt. Die Län<strong>der</strong> hatten dann sämtliche Anspruchsvoraussetzungen,<br />

die bereits Grundlage für die Erteilung <strong>des</strong> Beschei<strong>des</strong> durch uns, durch das BVA <strong>im</strong> Aufnahmeverfahren,<br />

waren erneut <strong>im</strong> eigenen Verfahren, nämlich dem so genannten Bescheinigungsverfahren<br />

wie<strong>der</strong>holt zu prüfen. Dies war nach alter Verfahrenspraxis auch<br />

durchaus sinnvoll, denn bis Mitte 1996 hat das BVA bei <strong>der</strong> Bearbeitung <strong>des</strong> Aufnahmeantrages<br />

auf die Angaben <strong>des</strong> Antragstellers zu seinen Sprachkenntnissen vertraut. Erwiesen<br />

sich diese Angaben nach <strong>der</strong> Einreise als unzutreffend, so musste es – neben Rücknahme<br />

– auch ein weiteres Korrektiv geben. Das war das so genannte Bescheinigungsverfahren,<br />

in <strong>des</strong>sen <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Antragsteller persönlich den Fragen <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>bediensteten vor<br />

Ort noch mal Rede und Antwort stehen mussten.<br />

Ich habe aber bereits erwähnt, dass das BVA seit 1996, also seit knapp 10 Jahren, eigenständige<br />

Ermittlungen unmittelbar <strong>im</strong> Herkunftsgebiet durchführt, so dass diese Fälle in aller<br />

Regel nicht mehr vorkommen können. Ich sage in aller Regel, weil das BVA dann, wenn<br />

für den Antragsteller eine Anreise zum Sprachtest nicht zumutbar ist aus gesundheitlichen<br />

Gründen beispielsweise, aus humanitären Gründen dann auf diese Anhörung verzichtet,<br />

so dass es dann in <strong>der</strong> Folge noch in dem zweiten Verfahrenteil auch zu einem so genannten<br />

Sprachtest kommen kann. Konsequenterweise sieht das BVFG in <strong>der</strong> Gestalt <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

<strong>des</strong>halb jetzt vor, dass ein Sprachtest <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> Bescheinigungsverfahrens<br />

nur noch dann durchgeführt werden darf, wenn er nicht bereits <strong>im</strong> Aufnahmeverfahren,<br />

also <strong>im</strong> Herkunftsgebiet durchgeführt worden ist. Diese Regelung begrüße<br />

ich sehr, denn sie führt zu einer deutlichen Risikomin<strong>im</strong>ierung für den Bewerber: Wer <strong>im</strong><br />

Herkunftsgebiet seine Sprachkenntnisse bereits nachgewiesen hat, muss nicht mehr damit<br />

rechnen, dass sie nach <strong>der</strong> Ausreise durch die abweichende Auslegung <strong>des</strong> gesetzlichen<br />

Begriffs „einfaches Gespräch“ in Frage gestellt werden.<br />

Aber auch die Zuständigkeitskonzentration für beide Verfahren be<strong>im</strong> BVA hat sich bewährt:<br />

Die Aufnahmebewerber erhalten <strong>der</strong>zeit ca. eineinhalb Monate nach ihrer Einreise ihren<br />

Vertriebenenausweis, die Bescheinigung nach § 15, von unserer Außenstelle in Friedland.<br />

Zuvor müssen sie ihren Willen, tatsächlich in Deutschland den Wohnsitz zu nehmen, durch<br />

Vorlage einer Meldebescheinigung nachweisen. Somit führt dieses Verfahren so zu sagen<br />

aus einer Hand nicht nur zu einer deutlichen zeitlichen Straffung, was eine rasche Integra-


430<br />

tion begünstigen dürfte, son<strong>der</strong>n auch zu weniger Bürokratie für die <strong>im</strong> deutschen Alltag<br />

doch sehr unerfahrenen Aufnahmebewerber.<br />

Meine Damen und Herren, ich komme zum zweiten wesentlichen Än<strong>der</strong>ungspunkt. Der betrifft<br />

den Anspruch <strong>der</strong> Ehegatten und Abkömmlinge auf Aufnahme. An verschiedenen Stellen<br />

meiner Ausführungen habe ich bereits die Bedeutung <strong>der</strong> deutschen Sprache erwähnt.<br />

Bis zum Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes war es ausreichend, wenn <strong>der</strong> Spätaussiedler<br />

selbst in <strong>der</strong> Lage war, ein einfaches Gespräch, das ist <strong>der</strong> Terminus, auf Deutsch<br />

zu führen. Die Ehegatten und Abkömmlinge mussten lediglich ihr Personenstandsverhältnis<br />

zur Bezugsperson nachweisen. Wenn man sich auch vor Augen führt, dass von den in<br />

Deutschland eintreffenden Personen vor Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes vier<br />

Fünftel, vier Fünftel, 80 %, Angehörige <strong>der</strong> Aussiedler waren, die in <strong>der</strong> Regel über keinerlei<br />

Deutschkenntnisse verfügten, so wird deutlich, dass dies ihrer raschen Integration nicht<br />

unbedingt zuträglich war. Vielleicht hier mal eingeschoben. Diese Entwicklung hat sich innerhalb<br />

von 10 Jahren genau umgekehrt, denn vorher waren es nur 20 %.<br />

Denn nach <strong>der</strong> Intention <strong>des</strong> Gesetzgebers soll die Möglichkeit <strong>der</strong> Einbeziehung von Familienangehörigen<br />

zum Spätaussiedler die rasche Einglie<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Spätaussiedlers<br />

selbst erleichtern. Konsequenterweise entscheidet dieser nach <strong>der</strong> jetzigen Neuregelung<br />

<strong>des</strong>halb auch allein über die Frage, wer in seinen Aufnahmebescheid einbezogen werden<br />

soll. Nach altem Recht hatten die Ehegatten und Abkömmlinge ein eigenes Antragsrecht.<br />

Kernstück <strong>der</strong> Neuregelung <strong>der</strong> Familienaufnahme ist <strong>des</strong>halb die Anfor<strong>der</strong>ung, dass nur<br />

<strong>der</strong>jenige Abkömmling o<strong>der</strong> Ehegatte Aufnahme findet und damit privilegiert Deutscher<br />

wird, ich habe es am Anfang erwähnt, <strong>der</strong> über Grundkenntnisse <strong>der</strong> deutschen Sprache<br />

verfügt.<br />

Der Gesetzgeber hat diesen unbest<strong>im</strong>mten Rechtsbegriff <strong>der</strong>gestalt konkretisiert, dass die<br />

Voraussetzungen vorliegen, wenn die Kompetenzstufe A 1 <strong>des</strong> Gemeinsamen europäischen<br />

Referenzrahmens erfüllt ist. Bei dem Sprachniveau A 1 handelt es sich um die unterste<br />

Stufe elementarer Sprachkenntnisse.<br />

Im Gegensatz zum Spätaussiedler, <strong>der</strong> lediglich über mündliches Sprachvermögen verfügen<br />

muss, setzt „A 1“ jedoch die Fähigkeit voraus, einfache Texte in lateinischer, ich erinnere<br />

an die Herkunftsgebiete, also nicht kyrillischer, in lateinischer Schrift zu lesen und zu<br />

verstehen. Ebenso muss die einzubeziehende Person, in <strong>der</strong> Lage sein, sich über grundlegende<br />

Dinge in einfachen Sätzen zu unterhalten, aber auch einfache Texte schreiben zu<br />

können. Damit wird die Integrationsfähigkeit zusätzlich zur Sprachkompetenz über ein Zurechtfinden<br />

in <strong>der</strong> lateinischen Buchstabenwelt deutlich geför<strong>der</strong>t. Diese Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

sind auch vom OVG in Münster bestätigt worden.<br />

Die Überprüfung dieser Sprachkenntnisse, also für die Familienangehörigen, nahen Angehörigen,<br />

erfolgt ebenfalls in den Herkunftsgebieten, also weitestgehend in den Nachfolgestaaten<br />

<strong>der</strong> Sowjetunion. Während die Deutschkenntnisse <strong>der</strong> Spätaussiedler allerdings<br />

von speziell geschulten Mitarbeitern <strong>des</strong> BVA, also unseren Mitarbeitern, überprüft werden,<br />

bedient sich das BVA bei den Tests für die Familienangehörigen - Terminus bei uns –: den<br />

so genannten Sprachstandstests -, <strong>im</strong> Unterschied zu den Sprachtests für die eigentlichen<br />

Spätaussiedler, <strong>des</strong> Goethe-Institutes. Dies hat folgenden Grund: Be<strong>im</strong> Spätaussiedler ist<br />

die Frage aufzuklären, ob er seine Sprachkenntnisse <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> einer deutsch geprägten<br />

Erziehung durch Verwandte vermittelt bekommen hat. Somit handelt es sich technisch um<br />

eine Anhörung <strong>im</strong> verwaltungsrechtlichen Sinne. Be<strong>im</strong> Sprachstandstest für die Angehörigen<br />

handelt es sich um eine echte Fremdsprachenprüfung, die demgemäß auch beliebig<br />

oft wie<strong>der</strong>holt werden kann. Das ist be<strong>im</strong> Spätaussiedler selbst nicht <strong>der</strong> Fall. Sie wird anhand<br />

<strong>des</strong> standardisierten, also <strong>der</strong> Sprachstandstest wird anhand <strong>des</strong> standardisierten<br />

weltweiten Testformates „Start Deutsch 1“ abgenommen. Der Prüfer muss daher unverzichtbar<br />

über linguistischen Sachverstand verfügen.<br />

Prüfung ablegen müssen Personen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben.<br />

Für den Nachweis von Grundkenntnissen <strong>der</strong> deutschen Sprache stehen dem Bewerber<br />

zwei gleichwertige Möglichkeiten zur Verfügung:<br />

Der Kandidat hat entwe<strong>der</strong> die Möglichkeit, <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> einer Anhörung an einer deutschen<br />

Auslandsvertretung, Herr Botzet hat es erwähnt, den beschriebenen Sprachstandstest abzulegen.<br />

Er wird, nachdem er von <strong>der</strong> Bezugsperson, also von seinem Spätaussiedler, angemeldet<br />

wurde, von uns, vom BVA zu einem solchen Termin geladen. Der Test ist in diesem<br />

Fall kostenlos.<br />

Alternativ können Grundkenntnisse <strong>der</strong> deutschen Sprache aber auch durch Vorlage <strong>des</strong><br />

Zertifikats Start Deutsch 1 o<strong>der</strong> eines höherwertigen Zertifikats <strong>des</strong> Goethe-Instituts nach-


431<br />

gewiesen werden. Es besteht die Möglichkeit, dieses Zertifikat direkt be<strong>im</strong> Goethe-Institut<br />

o<strong>der</strong> einer Partnerorganisation <strong>des</strong> Goethe-Instituts mittels Prüfung zu erlangen.<br />

Insgesamt wurden bislang, da kann ich die Zahlen von Herrn Botzet noch ein bisschen erweitern,<br />

bislang 2127 Personen zu unserem Sprachstandstest, also zu dem BVA-eigenen<br />

Test, eingeladen, 1254 Personen sind erschienen, von den Erschienenen haben 315 den<br />

Test bestanden.<br />

Die Tatsache, dass bislang verhältnismäßig wenige Personen zum Sprachstandstest gemeldet<br />

wurden und <strong>der</strong> Umstand, dass von den Angemeldeten, die ja durch ihre Anmeldung<br />

zum Ausdruck bringen, dass sie meinen über die erfor<strong>der</strong>lichen Sprachkenntnisse zu<br />

verfügen, nahezu die Hälfte nicht erscheint und von den Erschienenen nur ein Viertel den<br />

Test besteht, machen deutlich, dass die Einschätzung <strong>der</strong> sprachlichen Situation durch<br />

den Gesetzgeber zutreffend ist. Die Notwendigkeit <strong>der</strong> gesetzlichen Regelung liegt unseres<br />

Erachtens auf <strong>der</strong> Hand.<br />

Die Umstellung <strong>des</strong> Verfahrens selbst verlief problemlos. Insbeson<strong>der</strong>e hat sich die Zusammenarbeit<br />

mit dem Auswärtigen Amt und auch mit dem Goethe-Institut bewährt. Keine<br />

Probleme bekannt.<br />

Meine Damen und Herren, Herrn Lehnguth wird es freuen, ich komme zum Schluss. Noch<br />

einen Punkt.<br />

Im Zusammenhang mit den Angehörigen darf ich aber abschließend auf eine Problematik<br />

hinweisen, die dem BVA ein beson<strong>der</strong>es Anliegen ist:<br />

Wie ich eingangs erwähnte, richtet sich die Einreise von Familienangehörigen, die nicht in<br />

den Aufnahmebescheid <strong>des</strong> Spätaussiedlers einbezogen werden, also zum Beispiel<br />

Schwiegerkin<strong>der</strong>, Stiefkin<strong>der</strong>, nach allgemeinem Auslän<strong>der</strong>aufenthaltsrecht. Im Gegensatz<br />

zu den Schwieger- und Stiefkin<strong>der</strong>n werden die Spätaussiedler und <strong>der</strong>en nahe Angehörige<br />

nach Vertriebenenrecht in Deutschland aufgenommen. Das bedeutet, dass sie bei Vorliegen<br />

<strong>der</strong> Voraussetzungen nach § 7 Staatsangehörigkeitsgesetz die deutsche Staatsangehörigkeit<br />

erwerben. Eine dieser Voraussetzungen für die nahen Angehörigen ist seit Inkrafttreten<br />

nunmehr <strong>der</strong> Nachweis von Sprachkenntnissen. Ich habe es genannt. Liegen<br />

diese nicht vor für die nahen Angehörigen, können sie allerdings nicht nach Vertriebenenrecht,<br />

aber ebenso wie die Schwieger- und Stiefkin<strong>der</strong> nach Auslän<strong>der</strong>recht einreisen. Das<br />

heißt, sie erhalten nicht die deutsche Staatsangehörigkeit, son<strong>der</strong>n müssen für eine etwaige<br />

spätere Einbürgerung die Voraussetzungen nach Aufenthaltsrecht erfüllen.<br />

Mit Inkrafttreten <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes entstand also eine neue Fallgruppe, nämlich<br />

die <strong>der</strong> nahen Angehörigen, die mangels nachgewiesener Sprachkenntnisse, die also nicht<br />

durch den Test kommen, die kein Zertifikat vorlegen o<strong>der</strong> sich erst gar nicht darum bemühen,<br />

keinen vertriebenenrechtlichen Anspruch auf Aufnahme und Einbürgerung, wohl aber<br />

einen auslän<strong>der</strong>rechtlichen Anspruch auf einen Familiennachzug haben.<br />

Bis zum Inkrafttreten Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz, etwas länger sogar noch, hatte das BVA die<br />

Möglichkeit, auf <strong>der</strong> Grundlage eines IMK-Beschlusses die Möglichkeit, diejenigen Personen,<br />

die ohnehin ein solches Nachzugsrecht hatten, in den Aufnahmebescheid als sonstige<br />

Familienangehörige einzutragen. Dies hatte zur Folge, dass die deutsche Auslandsvertretung<br />

<strong>der</strong> gesamten Familie zum Zweck <strong>der</strong> gemeinsamen Aussiedlung ein Visum ausstellen<br />

konnte. Derzeit besteht diese Möglichkeit nicht mehr, so dass <strong>der</strong> Spätaussiedler gegebenenfalls<br />

allein ausreisen muss. Ob dies angesichts <strong>des</strong> traditionell starken Familienzusammenhaltes<br />

realistisch ist, wird zu beobachten sein. Positive Auswirkungen auf die Integration<br />

würde ich davon eher nicht zu erwarten. Gerechnet werden muss aber wohl zumin<strong>des</strong>t<br />

mit einer Verunsicherung unter den Spätaussiedlern und das zu einem Zeitpunkt,<br />

an dem <strong>der</strong> Zuzug von Spätaussiedlern und ihren Familien ohnehin drastisch zurückgegangen<br />

ist. Wir haben <strong>im</strong> letzten Jahr einen Zuzug von 35 Personen von <strong>im</strong> Vorjahr weit<br />

über 50.000 gehabt, also das ist deutlich zurückgegangen. Im Interesse <strong>der</strong> betroffenen<br />

Menschen scheint eine Regelung, die zumin<strong>des</strong>t hinsichtlich <strong>der</strong> Einreise eine einheitliche<br />

Behandlung <strong>der</strong> Familien gewährleisten, dringend geboten.<br />

Vielen Dank. Ich denke, das wir kurz genug.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Maßolle.<br />

Herr Dr. Lehnguth:


432<br />

So. Wir kommen dann zu <strong>der</strong> Fragestunde und ich habe auch vor, dass wir bis um 01:00<br />

Uhr fertig werden, danach ist Mittagspause.<br />

Ich bitte um Fragestellungen.<br />

6. Diskussion<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Ja, dann fange ich mal selbst an. Ich würde ganz gern mal die Scheinvaterschaften ansprechen<br />

und würde die Frage stellen, welche Behörde eigentlich anfechtungsberechtigt<br />

sein soll. Wir haben hier gewisse Diskussionen zurzeit mit dem Justizministerium und es<br />

kommt ja in Betracht die Auslän<strong>der</strong>behörde, Frau Vollmer, auf <strong>der</strong> einen Seite und auf <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en Seite natürlich auch das Stan<strong>des</strong>amt und <strong>des</strong>wegen würde meine Frage sich mal<br />

an Sie direkt jetzt richten, was Sie dazu sagen könnten.<br />

Bitte sehr.<br />

Frau Vollmer:<br />

Ja, also wir sind <strong>der</strong> Meinung, dass die Auslän<strong>der</strong>behörde so ein Anfechtungsrecht haben<br />

sollte. Mit unseren Kollegen vom Stan<strong>des</strong>amt haben wir da noch nicht geredet, aber ich<br />

glaube, die Frage würde auch in die Richtung beantwortet werden. Also was wir jedenfalls<br />

nicht für sinnvoll hielten o<strong>der</strong> sagen wir mal, das ist die Tendenz und auch so aus dem<br />

Bauch raus, also wenn man das auf das Jugendamt zum Beispiel verlagern würde, weil wir<br />

in den Fällen sehr häufig Konflikte auch mit dem Jugendamt haben.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Herzlichen Dank.<br />

Dann haben die Abgeordneten Veit und Grindel in <strong>der</strong> Reihenfolge erstmal das Wort, dann<br />

noch Herr Bürsch. Die drei erstmal bitte.<br />

Einwurf ….. geht aber jetzt zum Thema Spätaussiedler<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Antwort: Ist mir völlig egal.<br />

Herr MdB Veit:<br />

Mir ist am Beitrag von Herrn Botzet nicht hun<strong>der</strong>tprozentig klar geworden, ob sie bei <strong>der</strong><br />

aufgeworfenen Frage Rechtsunsicherheit bei denjenigen, die zuziehen, bei den nahen<br />

Familienangehörigen, die gleiche Gruppe meinen, wie Herr Maßolle, die also den Sprachtest<br />

nicht bestanden haben und die aber nach aufenthaltsrechtlichen Gesichtspunkten als<br />

Familienangehörige nachziehen könnten und verstehe dann aber auch nicht, und das ist<br />

dann <strong>der</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Nachfrage, warum das eine Rechtsunsicherheit ist, denn <strong>im</strong><br />

Prinzip ist ja die Konsequenz durchaus gewollt worden, dass die nahen Angehörigen, die<br />

den Sprachtest eben nicht bestehen, wegen <strong>der</strong> sonst bestehenden Integrationsproblematik<br />

gerade nicht mit einreisen können, son<strong>der</strong>n eben dann nach Aufenthaltsrecht gegebenenfalls<br />

später. Insofern bitte ich Sie mal zu erklären, wo Sie da eine Rechtsunsicherheit<br />

o<strong>der</strong> Klärungs- o<strong>der</strong> Handlungsbedarf sehen.<br />

Herr MdB Grindel:<br />

Herr Maßolle, Sie wissen, dass wir mit dem Zweiten Än<strong>der</strong>ungsgesetz zum Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

beabsichtigen, be<strong>im</strong> Familiennachzug Sprachkenntnisse generell, einfache<br />

Sprachkenntnisse, aus integrationspolitischen Gesichtspunkten und zwangsverheiratet ist<br />

ein weiterer Punkt, einzuführen. Verstehe ich das richtig, dass sich dieses dann natürlich<br />

auch auf die Gruppe <strong>der</strong> Spätaussiedler auswirken würde, d. h. die Anmerkungen, die Sie<br />

dann gemacht haben, dort hinfällig werden, und sind sie nicht vor dem Hintergrund <strong>der</strong><br />

massiven Integrationsprobleme, die zum Teil, wenn ich mal von meinem Bun<strong>des</strong>land Nie<strong>der</strong>sachsen<br />

ausgehe, in einigen Regionen sich in stärkerem Maße bei Aussiedlern als bei<br />

Auslän<strong>der</strong>n stellen. Dafür, dass man aus integrationspolitischen Gesichtspunkten das auch<br />

für richtig hält, dass die, bevor sie zu uns kommen, also unabhängig von <strong>der</strong> Frage gemeinsame<br />

Einreise wirklich zumin<strong>des</strong>t einfache Deutschkenntnisse haben müssen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:


433<br />

Danke schön. Dann Herr Bürsch. Bitte sehr.<br />

Herr MdB Bürsch:<br />

Betrifft auch die Frage Spätaussiedler. Zum einen, Herr Maßolle: Wie sind Ihre Prognosen,<br />

was in den nächsten Jahren noch auf uns zukommt angesichts <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung, die Sie ja<br />

auch geschil<strong>der</strong>t haben, die die Sprachtests jetzt bewirkt haben, also wovon gehen Sie<br />

jetzt realistisch für die nächsten Jahre aus?<br />

Zum Zweiten: Haben Sie irgendwelche statistischen Angaben darüber, wer zurückgekehrt<br />

ist? Mir und an<strong>der</strong>en werden <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> Fälle berichtet von Kin<strong>der</strong>n, die mitgenommen<br />

worden sind, die dann aber, wenn sie 18 sind und die Möglichkeit haben wie<strong>der</strong> zurückkehren.<br />

Und drittens würde mich interessieren, ob es irgendwelche Erkenntnisse gibt o<strong>der</strong> das Interesse<br />

an Erkenntnissen, was passiert mit den Vielen, die ohne Sprachkenntnisse hergekommen<br />

sind in den letzten 10 und wie viel Jahren, die inzwischen 80 % ausmachen. Wird<br />

das in irgendeiner Weise mal biografisch nachverfolgt? Für mich ist es, wie von Herrn<br />

Grindel auch geschil<strong>der</strong>t, eine hochproblematische Gruppe und ein sozialer Sprengstoff,<br />

<strong>der</strong> in den nächsten Jahren droht hochzugehen und insofern wäre schon wichtig zu wissen,<br />

was wird mit den Sprachkenntnissen, was wird mit den Ausbildungs- und beruflichen<br />

Möglichkeiten. Gibt es darüber Erkenntnisse, wenn nicht, kann das BVA das nicht mal in<br />

einer Studie erforschen und dann auch mit Handlungsempfehlungen, was können wir machen<br />

bei dieser gewaltigen Gruppe, die gekommen ist.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Herzlichen Dank Herr Bürsch.<br />

So die erste Frage ging an Herrn Botzet von Herrn Veit.<br />

Bitte sehr.<br />

Herr Botzet:<br />

Ja. Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Wir meinen die gleiche Fallgruppe von Personen, wie<br />

Herr Maßolle. Inhaltlich würde ich die Frage gerne weitergeben an meinen Kollegen Reinhard<br />

Lassig vom Fachreferat. Willst Du man übernehmen?<br />

Einwurf von Herr Dr. Lehnguth:<br />

Wo ist <strong>der</strong> denn. Ach da.<br />

Einwurf von Herrn Maßolle:<br />

Da steht er.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Ja. Bitte sehr.<br />

Herr Lassig:<br />

Ja, es gab ja, es gab o<strong>der</strong> gibt ein IMK-Beschluss von 1997, wonach eben die sonstigen<br />

Familienangehörigen eine Pauschale Vorabzust<strong>im</strong>mung zum Familiennachzug erhalten<br />

haben, und es entstand mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz und <strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong> neuen Fallgruppe<br />

die Unsicherheit, ob <strong>der</strong> nun auch auf nahe Familienangehörige mit nicht hinreichenden<br />

Sprachkenntnissen anwendbar ist, wobei das Innenministerium <strong>der</strong> Meinung war,<br />

müsste eigentlich ja, jetzt aber insbeson<strong>der</strong>e das Land Nie<strong>der</strong>sachsen <strong>der</strong> Meinung ist,<br />

nein. Der IMK-Beschluss sei obsolet geworden. Ich will mich da als Angehöriger <strong>des</strong> Auswärtigen<br />

Amtes nicht positionieren, aber unsere Auslandsvertretungen in den Herkunftsgebieten<br />

haben natürlich jetzt die Schwierigkeiten, die betroffenen Personen entsprechend zu<br />

beraten. Das BVA sieht sich seit dem Rückzug Nie<strong>der</strong>sachsens nicht mehr in <strong>der</strong> Lage, die<br />

sonstigen Familienangehörigen in die Anlage zum Aufnahmebescheid einzutragen, das<br />

heißt faktisch ist damit diese - ja dieser Meinungsstreit - und das haben wir mit Rechtsunsicherheit<br />

gemeint, <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Nie<strong>der</strong>sachsens entschieden, indem eben Familienangehörige<br />

sowohl nahe als auch sonstige fernere nicht mehr gemeinsam mit dem<br />

Spätaussiedler ausreisen dürfen. Unser Petitum wäre an die Län<strong>der</strong> einen neuen IMK-<br />

Beschluss möglichst bald zu fassen in die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Richtung, aber damit wie<strong>der</strong><br />

Klarheit insofern herrscht.<br />

Danke.


434<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Herzlichen Dank.<br />

Dann kommt die zweite Frage an Herrn Maßolle von Herrn Grindel. Bitte sehr.<br />

Einwurf MdB Grindel:<br />

Ich würde gerne noch mal nachfragen, wozu ist denn eigentlich <strong>der</strong> Effekt, den wir versucht<br />

haben über die Einführung von Sprachtest und den Vorerwerb von Sprachkenntnissen <strong>im</strong><br />

Herkunftsland? Wozu wäre das dann noch gut?<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Das ist vielleicht darf ich das selbst noch mal eine Erläuterung zu sagen.<br />

Das eine ist ja, ob ich jetzt in den Spätaussiedlerbescheid mit aufgenommen werde und<br />

auch die Vorzüge und Vorteile eines Spätaussiedlers erfahre, dafür haben wir eingeführt<br />

den Sprachtest grundlegende Kenntnisse <strong>der</strong> deutschen Sprache. Das ist das eine. Das<br />

an<strong>der</strong>e. Es gab seit 1995/1997 gab es IMK-Beschlüsse, die weiter entferntere Verwandte<br />

mit einbezogen haben, das ist eben schon erklärt worden vom Auswärtigen Amt. Selbstverständlich<br />

waren die nahen Angehörigen da nicht drin, weil die ja ohnehin ohne Sprachkenntnis<br />

vor dem 1. Januar 2005 mit einbezogen waren. Jetzt ging halt <strong>der</strong> Streit darum,<br />

ob diese IMK-Beschlüsse erweitert werden sollten, denn es machte ja denn keinen Sinn,<br />

wenn entferntere Verwandte zugleich mit reisen konnten und die nahen nicht. Einige Län<strong>der</strong><br />

waren allerdings <strong>der</strong> Meinung, dass diese IMK-Beschlüsse automatisch nicht mehr gelten<br />

sollten ab dem 1. Januar 2005. Das Bun<strong>des</strong>innenministerium ist nicht dieser Auffassung.<br />

Diese IMK-Beschlüsse sind nie aufgehoben worden. Insofern gibt es <strong>im</strong>merhin einen<br />

Bedarf zu einer Klarstellung in die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Richtung. Entwe<strong>der</strong> erweitert man diese<br />

IMK-Beschlüsse, wie wir es vorhaben, wie<strong>der</strong> auch auf die nahen Verwandten, so dass<br />

sie zu einer gemeinsamen Einreise dann nach Deutschland kommen können o<strong>der</strong> man<br />

hebt diese IMK-Beschlüsse auf und dann würde es dahin kommen, dass praktisch keine<br />

gemeinsame Ausreise mehr stattfindet, stattfinden könnte. Dann würde aber auch, und das<br />

wäre auch <strong>der</strong> Effekt, eben <strong>der</strong> Aussiedlerzuzug nach Deutschland nahezu zum Erliegen<br />

kommen, dass muss man dabei wirklich bedenken. Jetzt ist er schon zum Erliegen gekommen,<br />

dadurch dass, gleich Herr Klußmann, ist er schon zum Erliegen gekommen, dadurch<br />

das Nie<strong>der</strong>sachsen eben von sich aus gesagt hat, sie würden jetzt hier keinen mehr<br />

aufnehmen. Denn ist es ja so, dass verteilt wird nicht in best<strong>im</strong>mte Län<strong>der</strong> und da Nie<strong>der</strong>sachen<br />

diesen Beschluss nicht mehr anerkennt von 1995/1997, kann <strong>der</strong>zeit keine Verteilung<br />

stattfinden. Das ist jetzt die Rechtslage. Wir haben das zwe<strong>im</strong>al in <strong>der</strong> Innenministerkonferenz<br />

gehabt und es ist eine Arbeitsgruppe gebildet worden auf Ministerebene, von<br />

Minister Schüneman, <strong>der</strong> hat bisher diese Arbeitsgruppe noch nicht einberufen. Er beabsichtigt<br />

aber nach einem Besuch in Kasachstan, wie ich das gehört habe von nie<strong>der</strong>sächsischen<br />

Vertretern, diese Arbeitsgruppe <strong>im</strong> April noch zu ihrer ersten Sitzung einzuberufen<br />

und dann wird darüber befunden, ob diese früheren IMK-Beschlüsse entwe<strong>der</strong> aufgehoben<br />

werden o<strong>der</strong> noch mal zu neuem Leben erweckt werden. Das würde ich hier noch mal<br />

ganz gern erläutern und sagen.<br />

Jetzt hatte Frau Stellmacher aus Nie<strong>der</strong>sachsen, die ist ja Nie<strong>der</strong>sächsin, wo sind Sie<br />

denn, sich gemeldet. Sie können da gerne was zu sagen, bin ich sehr froh drüber. Danke<br />

schön. Und Herr Klußmann. Sie hatten sich auch aus Hamburg direkt gemeldet.<br />

Frau Stellmacher:<br />

Weil Nie<strong>der</strong>sachsen direkt angesprochen ist, möchte ich das noch mal deutlich machen,<br />

die nie<strong>der</strong>sächsische Position.<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen steht auf dem Standpunkt, dass die Geschäftsgrundlage mit <strong>der</strong> Gesetzesän<strong>der</strong>ung<br />

weggefallen ist und <strong>des</strong>halb also erstmal natürlich diese IMK-Beschlüsse dann<br />

keine Anwendung mehr finden und es <strong>des</strong>halb aus unserer Sicht auch nicht richtig ist, zu<br />

sagen, dann müssten wir eben praktisch die IMK-Beschlüsse jetzt erweitert auslegen und<br />

nicht nur die weiter entfernten Angehörigen mit einbeziehen, son<strong>der</strong>n auch die näher liegenden<br />

Angehörigen. Und ich denke es ist schon so, wie Sie sagen Herr Veit. Durch die<br />

Gesetzesän<strong>der</strong>ung wurde deutlich gemacht, dass es darauf ankommt, dass die Familienangehörigen<br />

die deutschen Sprachkenntnisse grundlegend beherrschen und man kann<br />

eben nicht dann über diese alten IMK-Beschlüsse die ganze Sache wie<strong>der</strong> aushebeln,<br />

dass ist jedenfalls so <strong>der</strong> Standpunkt Nie<strong>der</strong>sachsens. Vielleicht auch noch so als Information.<br />

Herr Minister Schünemann befindet sich zurzeit in Kasachstan und es ist geplant, diese<br />

Arbeitsgruppe am 12. April dann einzuberufen und danach werden wir weiter sehen.


435<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Frau Stellmacher. Das ist ja mal eine gute Message am 12. April, da<br />

kann sich Herr Herzog das Datum direkt aufschreiben.<br />

Dann haben wir noch Herrn Klußmann dazu, weil ich dann in <strong>der</strong> normalen Reihenfolge<br />

fortfahren wollte. Danke schön.<br />

Herr Klußmann:<br />

Ja ich wollte dazu nur auch klarstellen, es geht ja nicht darum, dass man für diesen Personenkreis<br />

die gemeinsame Ausreise mit dem Spätaussiedler unterbinden will, son<strong>der</strong>n es<br />

geht darum, dass man dort genau so wie be<strong>im</strong> Spätaussiedler und den möglicherweise da<br />

einzubeziehenden Familienangehörigen jedenfalls grundlegende Deutschkenntnisse mit<br />

voraussetzt und dass man das, was man für Vertriebene rechtlich jetzt <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

erreicht hat, jetzt nicht über den auslän<strong>der</strong>rechtlichen Zuzug aushebelt und wir sind<br />

ja auch gerade dabei, jetzt mit diesem Zweiten Än<strong>der</strong>ungsgesetz auch für den auslän<strong>der</strong>rechtlichen<br />

Familiennachzug jedenfalls einfache Deutschkenntnisse mit vorauszusetzen.<br />

Vor diesem Hintergrund macht es aus meiner Sicht auch überhaupt keinen Sinn, wenn wir<br />

jetzt für so eine kurze Zeitspanne, wie ich hoffe, bis das Zweite Än<strong>der</strong>ungsgesetz in Kraft<br />

tritt, jetzt irgendwelche IMK-Beschlüsse herbeiführen, wie das ja zum Teil bei <strong>der</strong> letzten<br />

IMK angestrebt worden ist, die diesen auslän<strong>der</strong>rechtlichen Zuzug noch zulassen, wenn<br />

wir schon absehbar in wenigen Monaten möglicherweise ein Gesetz in Kraft treten lassen,<br />

wo auch dieser Weg abgeschnitten ist.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Fragt sich, Herr Klußmann, ob man für die Spätaussiedler dann eine etwas an<strong>der</strong>e Regelung<br />

macht. Das würde jetzt nicht für einen kleinen Zeitraum gelten, aber ich will jetzt nicht<br />

... Wir evaluieren ja das bisherige Gesetz und nicht das jetzt neue Zweite.<br />

Einwurf:<br />

Aber konsequent ist die Haltung von Nie<strong>der</strong>sachen, jetzt verstehe ich, warum <strong>der</strong> Schünemann<br />

auch mal gesagt hat, er wolle an den Sprachkenntnissen festhalten.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Ich sag jetzt nichts gegen die Konsequenz dieser Haltung. Man muss natürlich die politischen<br />

Folgen bedenken. Das ist jetzt eine politische Entscheidung. Ich habe die Haltung<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>innenministeriums eben dargelegt. Es ging auch nicht darum, dass wir diesen<br />

IMK-Beschluss, Frau Stellmacher, irgendwie interpretieren, son<strong>der</strong>n das Bun<strong>des</strong>innenministerium<br />

und auch an<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong>, es gibt ja auch nicht nur Nie<strong>der</strong>sachsen und Bayern,<br />

son<strong>der</strong>n auch an<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong>, die wollten eben einen neuen IMK-Beschluss herbeiführen,<br />

diesen von 1995/1997 eben erweitern, um jetzt eine Klarheit zu schaffen. Gut, damit können<br />

wir das erstmal jetzt für erledigt erklären.<br />

Dann Herr Maßolle. Sie hatten noch zwei Fragen von Herrn Abgeordneten Grindel zu beantworten.<br />

Herr Maßolle:<br />

Ja, die bezogen sich in <strong>der</strong> Tat auf die Frage de lega lata de referenda, das ist <strong>der</strong> Themenkomplex,<br />

<strong>der</strong> gerade diskutiert worden ist. Da würde ich mich, sagen wir mal, <strong>der</strong> BMI-<br />

Position zunächst mal nur anschließen, dass es da insbeson<strong>der</strong>e vom Beauftragten <strong>der</strong><br />

Bun<strong>des</strong>regierung für die Aussiedlerfragen durchaus eine an<strong>der</strong>e Einschätzung gibt, was<br />

den IMK-Beschluss angeht. Konsequent wäre es, um das direkt auf die Frage noch mal zu<br />

sagen.<br />

Einwurf Herr MdB Grindel:<br />

Meine Frage war, <strong>im</strong> Zweiten Än<strong>der</strong>ungsgesetz wäre doch diese Diskussion hinfällig?<br />

Herr Maßolle:<br />

wenn es nicht zu Son<strong>der</strong>regelungen käme, ja.<br />

Herr Dr. Lehnguth:


436<br />

Herr Maßolle, dann hatten Sie noch Fragen zu den Zahlen, da können Sie noch mal was<br />

zu sagen.<br />

Herr Maßolle:<br />

Herr Dr. Bürsch hatte noch gefragt, also Prognose, Zugangsprognose nehme ich an, ist<br />

damit gemeint. Wie viele Spätaussiedler kommen zu uns? Das ist ein Geschäft, was mit<br />

hohen Unsicherheiten behaftet ist, <strong>des</strong>halb werden Sie es mir nachsehen, dass ich keine<br />

konkrete Prognose geben kann. Ich kann nur mal sagen, wir haben in den letzten Jahren,<br />

seit 2002 eigentlich, pro Jahr etwa 20.000 Spätaussiedler weniger gehabt. Das waren<br />

91.000, 72.000 und 59.000 und <strong>im</strong> letzten Jahr 35.000 und ich will mal so sagen, ich denke,<br />

dass sich diese Tendenz fortsetzen wird. Also es wird ein deutlich geringeren Zuzug<br />

geben. Die genaue Größenordnung, die ist wirklich schwer zu prognostizieren, weil es<br />

auch noch viele Altbescheide gibt, die halt noch auch vor dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz in <strong>der</strong><br />

Welt waren, so dass man das nicht wirklich herausfinden kann. Aber eine klare Aussage,<br />

die Thematik wird <strong>im</strong>mer weniger relevant. Wenn Sie sich erinnern, dass wir ja in Spitzenzeiten<br />

Zugänge von über 400.000 Menschen hatten, ist das, glaube ich, eine relativ klare<br />

Linie, die man damit ziehen kann.<br />

Die zweite Frage ging in die Richtung Statistik zur Rückkehr. Da muss ich sagen, da gibt<br />

es bei uns keine Statistiken dazu und würde das gleich auch noch mal verbinden mit <strong>der</strong><br />

dritten Frage, die ich ein bisschen so verstanden habe, Nachverfolgung <strong>der</strong> Integrationsprobleme<br />

- in <strong>der</strong> Tat <strong>der</strong> Integrationsprobleme in <strong>der</strong> Regel <strong>der</strong> Angehörigen -, <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

und Ähnliches. Da hat es ja durch das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz, muss ich sagen,<br />

da hat es <strong>im</strong> Zuge <strong>des</strong>sen auch eine Zuständigkeitsverlagerung gegeben. Das ist mittlerweile<br />

vom Bun<strong>des</strong>amt für Migration und Flüchtlinge zu betreuen, so dass die Kollegen <strong>des</strong><br />

BAMF sich dann dazu äußern müssten. Wir, als BVA, machen nur noch die Aufnahme, das<br />

Aufnahmeverfahren und das Bescheinigungsverfahren. Ich kann insofern nicht aus eigener<br />

Kompetenz was sagen.<br />

Einwurf Warum reden Sie nicht miteinan<strong>der</strong> ?<br />

Herr Maßolle:<br />

Wir reden ständig miteinan<strong>der</strong>. Wir sind befreundete Behörden <strong>im</strong> gleichen Geschäftsbereich.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Ja ist gut Herr Maßolle, dann kann Herr Griesbeck, <strong>der</strong> ist hier anwesend, <strong>der</strong> sitzt da hinten,<br />

kann direkt dazu was noch sagen.<br />

Bitte schön Herr Griesbeck.<br />

Herr Griesbeck:<br />

Es ist in <strong>der</strong> Tat richtig, dass das Integrationsbedürfnis bei dieser Gruppe zugenommen<br />

hat, die ist ja jetzt 80/20 zu 20/80 wurde schon ausgeführt und dem wird <strong>im</strong> Moment insbeson<strong>der</strong>e<br />

für diejenigen, die schon da sind, dadurch begegnet, dass man hier vor Ort in Projekten<br />

sehr sehr stark einwirkt. Das heißt wir haben natürlich auch solche, die schon etwas<br />

länger hier sind in den Integrationskursen drinnen, das ist auch bei den Spätaussiedlern<br />

so, dass einige schon noch reingekommen sind, die vor 2005 angekommen sind aber insbeson<strong>der</strong>e<br />

greifen hier an<strong>der</strong>e Maßnahmen. Das sind in <strong>der</strong> Tat Integrationsprojekte, die<br />

auch einen Sprachanteil haben, und es ist nach wie vor möglich, Sprachkompetenz zu erwerben<br />

in an<strong>der</strong>en Maßnahmen als den Integrationskursen auch für diese Zielgruppe zur<br />

Verfügung zu stellen und das geschieht auch und wir sind <strong>im</strong> Moment dabei, hier sehr sehr<br />

stark, ich werde es heute Nachmittag erläutern, mit Verbundprojekten zu arbeiten, dass die<br />

Leute, die noch keine Sprachkompetenz haben, auch in einen Sprachkurs hineinkommen.<br />

Es wurde auch schon erwähnt, beispielsweise in Ausbildungsplätze o<strong>der</strong> in Ausbildungsplatz<br />

vorbereitende Maßnahmen. Ich sage dazu ausführlich heute Nachmittag was dazu.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Ja. Vielen Dank, Herr Griesbeck<br />

Gibt es weitere Fragen?<br />

Herr Grindel bitte sehr.


437<br />

Herr MdB Grindel:<br />

Ich würde gerne noch mal eine klarstellende Frage sozusagen an Herrn Klußmann stellen.<br />

Habe ich sie richtig verstanden, wenn Sie <strong>im</strong> Grunde genommen sagen, sollte vor Inkrafttreten<br />

<strong>des</strong> Zweiten Än<strong>der</strong>ungsgesetzes mit einer Regelung wie sie <strong>im</strong> Referentenentwurf<br />

<strong>im</strong> Augenblick vorgesehen ist, ein IMK-Beschluss gefasst werden, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>s wäre, als die<br />

jetzige Lage, also an<strong>der</strong>s als das, was Nie<strong>der</strong>sachsen mit seiner Haltung jetzt bewirkt hat.<br />

Das man dann natürlich auch einen gewissen Pulleffekt für die Zwischenzeit befürchten<br />

muss.<br />

Herr Klußmann:<br />

Also, ich denke mal, die Zwischenzeit, hoffen wir, glaube ich alle, wird nicht allzu lang sein.<br />

Ich kann mir das eigentlich auch nicht vorstellen, so wie jetzt die Terminlage ist also, Herr<br />

Minister Schünemann wird jetzt erst in Kürze zu dieser Arbeitsgruppe einladen, ob dann<br />

bis nächsten IMK die Arbeitsgruppe schon soweit sein wird, dass sie einen beschlussfähigen<br />

Vorschlag da unterbreiten kann, das wird man mal abwarten. In jedem Fall, denke ich<br />

mal, kann es nur um einen kurzen Zeitraum gehen. Worauf es mir ankam war eigentlich<br />

festzustellen, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, dass es wirklich Sinn macht, für einen<br />

so kurzen Zeitraum überhaupt noch eine Son<strong>der</strong>regelung zu treffen, wenn wir dann spätestens<br />

mit Inkrafttreten dieses Zweiten Än<strong>der</strong>ungsgesetzes dahin kommen, dass da eine<br />

Harmonisierung be<strong>im</strong> Spätaussiedlernachzug und dem aufenthaltsrechtlichen Nachzug<br />

dann stattgefunden hat in <strong>der</strong> Weise, dass in jedem Falle zumin<strong>des</strong>t einfache Deutschkenntnisse<br />

vorausgesetzt werden. Das war die Überlegung.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Klußmann.<br />

Ich hätte selbst noch mal eine Frage auch an Frau Vollmer.<br />

Wir haben ja in <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsdebatte sehr lange um den Nachzug, um das Nachzugsalter<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> gerungen, ich hatte ja vorhin schon gesagt, erst 12 Jahre, dann 16<br />

Jahre. Ich wollte mal gerne wissen, treten eigentlich häufig Fälle auf, dass eben Kin<strong>der</strong><br />

doch erst vor Vollendung <strong>des</strong> 16. Lebensjahres nachreisen? Auch die Frage an Herrn Botzet<br />

noch mal erweitert. Sie hatten es vorhin mal gestreift, meine ich. Das wäre ja mal ganz<br />

interessant zu erfahren.<br />

Vielen Dank.<br />

Frau Vollmer:<br />

Ja, also wir waren, muss ich dazu sagen, nicht so ganz glücklich über diese Neuregelung.<br />

Wir haben früher bei <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde München <strong>im</strong> Ermessen in <strong>der</strong> Regel, sage ich<br />

jetzt mal, Zuzüge über 12 Jahren abgelehnt. Und wir machen eben definitiv die Erfahrung,<br />

dass sehr häufig Familiennachzug kurz vor dem 16. Lebensjahr erfolgt, unmittelbar nach<br />

Abschluss <strong>der</strong> Schulausbildung, und dann halt mit deutschen Sprachkenntnissen gleich<br />

Null, also und aus unserer Sicht eben <strong>des</strong>wegen auch mit relativ bescheidener Integrationsprognose<br />

und wir haben mit den Kin<strong>der</strong>n später schon Probleme.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Frau Vollmer.<br />

Herr Botzet, wenn Sie noch mal das komplettieren könnten.<br />

Herr Botzet:<br />

Ja, dem kann ich mich voll umfänglich anschließen. Es entspricht auch unserer Erfahrung,<br />

dass die Nachzugsanträge eben erst kurz vor Vollendung <strong>des</strong> 16. Lebensjahres gestellt<br />

werden und ganz offensichtlich auch keine Integrationsbemühungen wie Sprachkurse o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong>gleichen vorher angestellt werden. Insofern Kin<strong>des</strong>wohlprüfung o<strong>der</strong> ein jüngeres<br />

Nachzugsalter wären da sicher hilfreich.<br />

Herr Dr. Lehnguth:


438<br />

Herzlichen Dank. Weitere Fragen.<br />

Bitte schön. Wie heißt Sie noch mal. Frau Allenberg.<br />

Frau Allenberg:<br />

Danke. Herr Botzet, ich habe eine Frage zur Zwangsverheiratung. Sie meinten, relativ wenige<br />

Frauen offenbaren sich den Mitarbeitern <strong>der</strong> Auslandsvertretung. Könnten Sie kurz<br />

darlegen, unter welchen Voraussetzungen denn die Mitarbeiter vermuten, dass<br />

Zwangsehen vorliegen? In welchen Län<strong>der</strong>n es vermehrt vorkommt? Und. Ob es Einschätzungen<br />

gibt, bei wie viel Prozent <strong>der</strong> Nachzugswilligen Hinweise sozusagen darauf Vorliegen,<br />

dass Zwangsehen vorliegen.<br />

Herr Botzet:<br />

Ja, vielen Dank. Lei<strong>der</strong> haben wir dazu keine Statistiken. Ich habe nur Eindrücke aus Einzelfallberichten,<br />

wo Kollegen aus den Visastellen darlegen, dass Antragstellerinnen <strong>im</strong> Einzelfall<br />

mal zu erkennen gegeben haben, sie wollten diesen Mann eigentlich nicht heiraten,<br />

son<strong>der</strong>n es sei <strong>der</strong> Wunsch ihrer Familie. Aber spätestens <strong>im</strong> Gerichtsverfahren stehen sie<br />

dann nicht zu ihrer Aussage o<strong>der</strong> schon wenn es um die Nie<strong>der</strong>schrift eben <strong>der</strong> persönlichen<br />

Vorsprache geht.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Von daher hatte ich Sie doch vorhin recht verstanden, Herr Botzet, wenn ich das noch mal<br />

wie<strong>der</strong>holen darf, dass Sie die Erhöhung <strong>des</strong> Alters auf 21 Jahre für vernünftig erachten<br />

und auch die einfachen Sprachkenntnisse.<br />

Herr Botzet:<br />

Vor allen Dingen die Einführung <strong>der</strong> Sprachkenntnisse scheint uns eine sehr vernünftige<br />

Maßnahme. Bei <strong>der</strong> Erhöhung <strong>des</strong> Alters, sage ich Ihnen ganz offen, sprechen sich viele<br />

<strong>Praktiker</strong> bei uns dafür aus, das zu machen. Ich sehe selbst und einige an<strong>der</strong>e sehen<br />

auch, rechtliche Schwierigkeiten, die damit verbunden sind.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Da brauchen Sie sich nicht, glaube ich, so große Sorgen zu machen.<br />

Wir haben das auch selbstverständlich sehr sorgfältig geprüft, will ich an dieser Stelle bemerken,<br />

wir haben und das nicht nur hausintern geprüft. Wir haben auch einen berühmten<br />

Verfassungsrechtler aus Bonn eingeschaltet, es ist nun nicht so, dass wir das nur auf eigenen<br />

Schultern tragen, will ich an dieser Stelle mal ganz kurz einwerfen. Wir evaluieren ja<br />

nicht zukünftiges Recht, son<strong>der</strong>n nur das bisherige. Aber es ist vielleicht nicht uninteressant,<br />

was ich eben gerade gesagt habe.<br />

Frau Vollmer. Bitte schön.<br />

Frau Vollmer:<br />

Also dieses höhere Lebensalter für den Nachzug ist auch nach EU-Recht möglich. Es ist<br />

also eine Möglichkeit, von <strong>der</strong> die Bun<strong>des</strong>republik bisher keinen Gebrauch gemacht hat.<br />

Wir sehen das durchaus auch mit sehr gemischten Gefühlen. Auf <strong>der</strong> einen Seite halten<br />

wir es für sinnvoll. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite wissen wir aber, dass, und es sind ja auch Ausnahmen<br />

vorgesehen, insbeson<strong>der</strong>e wenn dann ein Kind kommt, wir sehen einfach, dass<br />

da also einfach eine Vielzahl von Auseinan<strong>der</strong>setzungen auf uns zukommen. Es wird mehr<br />

Arbeit machen und es wird durchlöchert werden, also so ist es halt. Aber als Signal und als<br />

Botschaft finde ich es eigentlich nicht schlecht.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Die Arbeit werden Sie nicht scheuen, Frau Vollmer, wie ich Sie kenne. Es ist so, dass<br />

[Einwurf Frau Vollmer: Wir haben ja Personal.] Sie auf EU-Recht zu Recht hinweisen, meine<br />

ich. Das entspricht <strong>der</strong> Familiennachzugsrichtlinie. Zwei Län<strong>der</strong> haben davon bereits<br />

Gebrauch gemacht, um das deutlich zu sagen, und zwar die Län<strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande und Dänemark<br />

und beide Län<strong>der</strong>, Dänemark sogar bis zum 24. Lebensjahr, also wir gehen weit<br />

davon zurück, muss ich einmal sagen. Wir haben nur 21 und insofern. Diese beiden Län-


439<br />

<strong>der</strong> haben gute Erfahrungen damit gemacht, um das deutlich zu sagen. Wir haben mit den<br />

Innenministerien in Den Haag und Kopenhagen mehrere Gespräche gehabt und die sind<br />

alle sehr positiv verlaufen.<br />

Ich hätte jetzt selbst noch mal eine Frage. Frau Stöcker-Zafari hatte vorhin beklagt, dass<br />

die Visumpraxis bei Besuchsreisen doch sehr nach dem Visumuntersuchungsausschuss<br />

sich sehr einschränkend verhalten habe und das wollte ich jetzt mal Herrn Botzet weitergeben,<br />

<strong>der</strong> ja <strong>im</strong> Auswärtigen Amt dafür die Verantwortung trägt.<br />

Bitte sehr.<br />

Herr Botzet:<br />

Ja, vielen Dank, Herr Dr. Lehnguth. Zu den Besuchsvisa muss ich doch darauf hinweisen,<br />

dass neben den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen, wir ja eben nach dem Schengenrecht<br />

drei Voraussetzungen haben, die speziell geprüft werden müssen, ist die Rückkehrbereitschaft,<br />

ist <strong>der</strong> legale Aufenthaltszweck und die Finanzierung <strong>des</strong> Aufenthalts. Und<br />

meine dringende Bitte ist, über einen Einzelfall nicht zu urteilen, bevor man nicht den<br />

Sachverhalt wirklich genau kennt und beide Seiten befragt hat. Bei <strong>der</strong> Rückkehrbereitschaft<br />

handelt es sich um eine ganz schwierige Prognoseentscheidung <strong>der</strong> Auslandsvertretung.<br />

Eine glaubwürdige Rückkehrperspektive kann die Botschaft nur aus den Lebensumständen<br />

<strong>des</strong> Antragsstellers o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Antragsstellerin selbst herleiten. Dazu gibt es keine<br />

Garantien, auch die Verpflichtungserklärung kann dafür nicht herangezogen werden,<br />

son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Regel zählen die wirtschaftliche o<strong>der</strong> die familiäre Verwurzelung <strong>im</strong> He<strong>im</strong>atland.<br />

Das ist natürlich ein dynamischer Prozess. Das Leben entwickelt sich weiter. Jemand,<br />

<strong>der</strong> noch früher öfter gereist ist, gerade bei älteren Leuten stellen wir dann fest, da<br />

verstirbt zum Beispiel <strong>der</strong> Ehepartner, dann leben die meisten Kin<strong>der</strong> <strong>im</strong> Ausland, dann<br />

kann eben die Botschaft später in einem höheren Alter unter Umständen eben nicht mehr<br />

davon ausgehen, trotz <strong>der</strong> Vorreisen, dass die Rückkehrbereitschaft noch vorliegt. O<strong>der</strong><br />

die Botschaft stellt fest, ja es gibt Vorreisen, aber merkwürdig, <strong>der</strong> Betreffende besucht entfernte<br />

Verwandte in Deutschland, am liebsten <strong>im</strong>mer für drei Monate pro halbes Jahr. Dass<br />

dann <strong>der</strong> Aufenthaltszweck womöglich eher nahe liegen<strong>der</strong> Weise darin besteht, illegal einer<br />

Erwerbstätigkeit nachzugehen als eben ein Familienbesuch zu machen, das muss die<br />

Botschaft dann eben auch berücksichtigen. Die Begründung <strong>der</strong> Visumentscheidung, also<br />

das deutsche Recht orientiert sich da zunächst mal an <strong>der</strong> internationalen Praxis, dass<br />

Erstentscheidungen über Besuchsvisa nicht begründet werden. Wenn aber, und da ist<br />

Deutschland durchaus vorbildlich, schriftlich gegen die Ablehnung remonstriert wird, wird<br />

selbstverständlich eine ausführliche Begründung über die Ablehnungsgründe gegeben.<br />

Dieser Remonstrationsbescheid ist dann auch rechtsmittelfähig, also das ist ja bei Ihnen <strong>im</strong><br />

Verband auch bekannt, da wird durchaus Transparenz hergestellt.<br />

Letzter Punkt, <strong>der</strong> mir wichtig war, die Recherchen durch die Vertrauensanwälte an Plätzen<br />

wo die Legalisierung öffentlicher Dokumente eingestellt wurde, werden musste, weil eben<br />

das öffentliche Urkundswesen so unsicher ist. Herr Dr. Lehnguth hat da einige Beispiele<br />

aus Nigeria genannt. Diese Recherchen durch Vertrauensanwälte sind <strong>im</strong> Grunde das einzige<br />

Instrument, das festzustellen, was das deutsche Recht for<strong>der</strong>t, nämlich, dass die Identität<br />

<strong>des</strong> Antragstellers einwandfrei festgestellt wird und dass für den Familiennachzug die<br />

gesetzlichen Voraussetzungen festgestellt werden können, nämlich zum Beispiel, dass keine<br />

Vorehen bestehen und relativ oft führen diese Überprüfungen natürlich dann eben zur<br />

Erkenntnis und es besteht noch eine Vorehe, die auch noch gelebt wird o<strong>der</strong> die Identität<br />

muss eigentlich den Lebensumständen nach eine an<strong>der</strong>e sein. Das Ergebnis dieser vertrauensanwaltlichen<br />

Überprüfung teilt die Botschaft dann <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde mit und<br />

dann kann selbstverständlich auch <strong>der</strong> Rechtsvertreter, <strong>der</strong> Rechtsanwalt dieses Ergebnis<br />

einsehen <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> Akteneinsicht, aber die Identität <strong>des</strong> Vertrauensanwalts selbst<br />

können wir natürlich nicht aufdecken, denn an<strong>der</strong>enfalls käme er in fast allen diesen Län<strong>der</strong>n<br />

o<strong>der</strong> eigentlich in allen unter größte persönliche Schwierigkeiten, wahrscheinlich sogar<br />

unter Androhung von Gewalt für Leib und Leben. Das ist einfach ein Instrument, auf<br />

das wir <strong>der</strong>zeit, solange die Urkundssituation in diesen Län<strong>der</strong>n so ist wie sie ist, nicht verzichten<br />

können.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Danke, Herr Botzet. Frau Stöcker-Zafari sie wollten selbst dazu was fragen.<br />

Bitte sehr.<br />

Frau Stöcker-Zafari:


440<br />

Ja, ich würde gerne nur ganz kurz zwei Sätze dazu sagen. Zum einen, Herr Botzet, zu den<br />

Besuchervisa. Ich glaube Ihnen Ihre Bespiele gerne, glauben Sie uns auch gerne unsere.<br />

Ich denke, es gibt von allem etwas und, da denke ich, wäre es vielleicht auch wirklich angebracht,<br />

sich da auch noch mal, vielleicht auch zusammen zu setzen und da auch noch<br />

mal zu schauen, wo hängt es, dann haben wir auch viel mehr Zeit, auch die Beispiele stärker<br />

auszuführen. Das ist das eine.<br />

Zu den Vertrauensanwälten möchte ich schon noch mal anmerken, dass es nicht nur Einzelfälle<br />

sind, son<strong>der</strong>n wirklich <strong>des</strong> Öfteren an uns herangetragen wird, dass Vertrauensanwälte<br />

ja nicht, ihre Identität ist nicht unbekannt den Familienangehörigen, die dort überprüft<br />

werden o<strong>der</strong> den Urkundeninhabern selber, die Seriosität dieser Vertrauensanwälte wird<br />

allen angezweifelt. Und natürlich haben wir auch in <strong>der</strong> Praxis durchaus Situationen, dass<br />

halt Herausgabe von Akten nicht in diesem Maße erfolgt, wie es rechtlich vorgesehen ist.<br />

Ich habe vorhin sehr deutlich auch noch mal unterstrichen, dass auch wenn Rechtsansprüche<br />

bestehen in <strong>der</strong> Verwaltung, dass oftmals nicht so umgesetzt wird, wie wir es gerne<br />

vielleicht auch hätten. Das möchte ich noch mal sehr betonen und ich berichte von <strong>der</strong><br />

Praxis.<br />

Danke schön.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut, ohne ein Zwiegespräch hier herbeizuführen, sie werden sich ja sonst vielleicht gelegentlich<br />

treffen, Herr Botzet noch mal.<br />

Herr Botzet:<br />

Ja, wir sind natürlich gerne je<strong>der</strong> Zeit zum Gespräch bereit und bitte, wenn Sie da entsprechende<br />

Hinweise haben, gehen wir dem auch gerne nach.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Dann mal Herr Maor.<br />

Herr Dr. Maor:<br />

Ja, Frau Vollmer, guten Tag. Ich habe einmal eine Nachfrage zu einem interessanten<br />

Punkt, den Sie angesprochen hatten, und zwar sagten Sie, dass das Visumverfahren wegen<br />

<strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ungen auch <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz, und ich denke auch in <strong>der</strong> Aufenthaltsverordnung,<br />

umgangen wird, wie Sie hier es angesprochen hatten. Es ist ja nun so, dass gerade<br />

auch auf Wunsch <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>, ich erinnere mich da an die Gespräche über die Aufenthaltsverordnung,<br />

eine gewisse Liberalisierung eingetreten ist und vorgesehen wurde. In<br />

den Fällen, wo früher Auslän<strong>der</strong> nach Hause in ihren Herkunftsstaat geschickt wurden o<strong>der</strong><br />

mit Einzelzust<strong>im</strong>mung <strong>des</strong> Auswärtigen Amtes an eine grenznahe Auslandsvertretung,<br />

damit die in klaren Anspruchsfällen bei legalem Voraufenthalt nur dieses Visumverfahren<br />

erfüllen, diese formale Anfor<strong>der</strong>ung, die dann wirklich also die Qualität, nachdem was mir<br />

geschil<strong>der</strong>t wurde und uns geschil<strong>der</strong>t wurde, die Qualität eines Geßlerhutes teilweise hatte,<br />

dass sollte ja nun beseitigt werden und die Aufenthaltsverordnung ist ja dann auch noch<br />

mal ergänzt worden um die Punkte, wo nicht nur von dem Visumerfor<strong>der</strong>nis abgesehen<br />

werden kann, son<strong>der</strong>n sogar davon abzusehen ist. Nun habe ich Ihren Ausführungen entnommen,<br />

dass Personen mit einem Schengen Besuchervisum einreisen, dann einen Familiennachzugstatbestand<br />

in Deutschland erfüllen während <strong>des</strong> Aufenthaltes und dann den<br />

Aufenthaltstitel auf dieser Grundlage beantragen. In den Fällen, und da geht mir jetzt meine<br />

Frage hin, in den Fällen, wo es klar ist, dass schon bei <strong>der</strong> Beantragung <strong>des</strong> Besuchervisums<br />

diese Personen zum Beispiel beabsichtigt hatten zu heiraten, da braucht man ja<br />

nur noch einige Vorbereitungen und das weiß man ja nun, wenn man einreist und das Visum<br />

beantragt, aber angegeben hatten Familienbesuch o<strong>der</strong> touristischer Aufenthalt, in<br />

den Fällen liegt ja nach wie vor auch eine Falschangabe <strong>im</strong> Visumverfahren vor. Genügt<br />

da <strong>der</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>der</strong> gesetzlichen Handlungsmöglichkeiten <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde, um einen<br />

solchen Fall, und <strong>der</strong> ist ja durch die Ausnahmebest<strong>im</strong>mung gerade nicht gemeint gewesen,<br />

um einen solchen Fall begegnen zu können.<br />

Vielen Dank.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Bitte sehr Frau Vollmer.<br />

Frau Vollmer:


441<br />

Ja, Herr Dr. Maor, also dass die Möglichkeit besteht, von diesen früher eben sehr formalistischen<br />

Weg eben ein Visum dann <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> also einer grenznahen Botschaft zu beantragen<br />

o<strong>der</strong> so was o<strong>der</strong> eine Ausreise damit auf Biegen und Brechen durchzusetzen, dass<br />

davon abgesehen wird, also diese Möglichkeit begrüßen wir schon auch. Ich habe also vor<br />

allem auf die Probleme hingewiesen, die einfach durch die zunehmenden Anspruchstatbestände<br />

eben auch bei <strong>der</strong> Durchsetzung <strong>des</strong> Visumszwangs dann entstehen. Was Sie jetzt<br />

ansprechen, dass ist ja die Möglichkeit, dass wir in den Fällen dann <strong>im</strong> Hinblick auf die falschen<br />

Angaben bei <strong>der</strong> Botschaft die Erteilung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis ablehnen können.<br />

Unsere Probleme sind, wie gesagt, vor allen Dingen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>nachzug, <strong>der</strong> Ehegattennachzug,<br />

da ist es halt sehr schwierig, nachzuweisen auch auf welche also wenn die dann<br />

hier heiraten, was ihr Beispielsfall ja war, welche Absichten da <strong>im</strong> Zeitpunkt <strong>der</strong> Antragstellung<br />

da waren, also wir versuchen das schon hin und wie<strong>der</strong> mal, nur wird dann natürlich<br />

Stein und Bein geschworen, wir haben uns hier erst dazu entschlossen und kennen gelernt<br />

o<strong>der</strong> lieben o<strong>der</strong> sonst irgendwas. Also das hilft auch nicht in vielen Fällen. Also die Möglichkeit<br />

ist uns schon bewusst, nur wie gesagt, das Problem eben, dass durch vermehrte<br />

Anspruchsfälle und auch eben durch die Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Rechtslage wie sie früher war,<br />

eben dass damals in <strong>der</strong> Durchführungsverordnung auf den gesetzlichen Anspruch abgestellt<br />

wurde und jetzt eben auch eben auf Entscheidungen <strong>im</strong> Ermessen, so ist es mir gesagt<br />

worden von meinen Sachgebietsleitern. Also dadurch kriegen wir zunehmend einfach<br />

Probleme insofern, als wir dann in Diskussion und Auseinan<strong>der</strong>setzungen halt mit den Anwälten<br />

kommen. Das zieht sich dann ewig hin und irgendwann knickt man doch halt ein.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank. Weitere Fragen. Ich hätte selbst noch eine Bitte, erst mal Sie, können Sie<br />

sich noch mal vorstellen.<br />

Frau MdB Dagdelen:<br />

Dagdelen mein Name, Mitglied <strong>der</strong> Fraktion die Linke. Ich hab eine Frage bezüglich <strong>des</strong><br />

Nachzugsalters. Die Heraufsetzung auf 21, ist ja interessant, dass keine Datenlage vorhanden<br />

ist und keine Statistiken da sind, aber dennoch <strong>der</strong> Bedarf weitestgehend gesehen<br />

wird. Teilen Sie die Ansicht, die auch zahlreiche Sprachforscher, Herr Wotzek und auch<br />

sehr viele Migrationsforscher auch gemacht haben, dass mit DVDs und auch mit Handys<br />

Sprache nicht erlernbar ist in den Herkunftslän<strong>der</strong>n und dass Sprache letztendlich <strong>im</strong> Alltag<br />

erlernt werden muss, damit man die Sprache auch erwerben kann. Teilen Sie auch die Ansicht,<br />

dass eine Durchbrechung <strong>der</strong> Isolation, was ja hier auch vorgegeben wurde, als Hilfe<br />

für Frauen, wenn Sie Deutschkenntnisse <strong>im</strong> Herkunftsland erwerben, eine Durchbrechung<br />

<strong>der</strong> Isolation aber auch davon abhängig ist, inwieweit Zwangsverhältnisse <strong>im</strong> Sinne von,<br />

wenn jemand <strong>im</strong> Herkunftsland zwangsverheiratet worden ist und unter diesen Verhältnissen<br />

dann eventuell leben muss, also unter <strong>der</strong> Familie <strong>des</strong> Ehegatten o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ehegattin,<br />

sind ja nicht nur Frauen betroffen von Zwangsheirat, son<strong>der</strong>n auch Männer meines Wissens,<br />

und ist es dann nicht wahrscheinlicher das die Frauen o<strong>der</strong> auch die Männer die von<br />

Zwangsheirat betroffen sind, in ihren Herkunftslän<strong>der</strong>n eher die Schwierigkeiten haben,<br />

eben ihre Isolation zu brechen und Hilfe vielleicht anzunehmen, wenn sie doch jetzt mit 21<br />

sozusagen warten müssen. Wenn sie mit 16 schon verheiratet werden o<strong>der</strong> mit 18, dann<br />

müssen ja mehrere Jahre unter dieser Zwangssituation noch leben. Und teilen Sie die Ansicht,<br />

dass die Durchbrechung <strong>der</strong> Isolation auch in Deutschland letztendlich auch mit einem<br />

eigenständigen Aufenthalt eher wahrscheinlich ist, und einem eigenständigen Aufenthalt,<br />

das natürlich auch das Selbstbewusstsein stärken würde und eine Unabhängigkeit<br />

auch garantieren würde.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank Frau Abgeordnete Dagdelen. Jetzt kommt Herr Botzet dran.<br />

Herr Botzet:<br />

Ja, vielen Dank. In meiner Antwort möchte ich mich gerne auf den Einreisebereich beschränken,<br />

denn das ist <strong>der</strong>, den ich eben aus meiner Tätigkeit her am besten beurteilen<br />

kann. Natürlich ist es wichtig, dass die Sprachkenntnisse <strong>im</strong> Ausland auch erworben werden<br />

können. Wir haben ja erste Erfahrungen jetzt gesammelt, z. B. mit <strong>der</strong> Verpflichtung<br />

für die Au Pairs, die jetzt nach einem entsprechenden Run<strong>der</strong>lass eben Grundkenntnisse<br />

<strong>der</strong> deutschen Sprache nachweisen können. Und es hat sich gezeigt, dass das eigentlich<br />

in den Hauptherkunftslän<strong>der</strong>n sehr gut möglich ist, es entsprechende Sprachinstitute be-


442<br />

stehen und beziehungsweise dass mit zunehmen<strong>der</strong> Nachfrage sich auch solche Institute<br />

entwickeln und die Möglichkeit besteht. Das geht nicht nur um DVDs und Tonbän<strong>der</strong>. Da<br />

hat Deutschland mit <strong>der</strong> deutschen Sprache sicherlich auch einen Vorteil gegenüber kleinen<br />

Län<strong>der</strong>n, wie den Nie<strong>der</strong>landen o<strong>der</strong> Dänemark, <strong>der</strong>en Sprachinstitute eben nicht so<br />

verbreitet sind. Durchbrechung <strong>der</strong> Isolation ist in Deutschland natürlich wahrscheinlich<br />

leichter möglich als <strong>im</strong> Ausland. Aber wie gesagt, da verlasse ich so langsam den Boden<br />

meines Erfahrungs- und Zuständigkeitsbereichs. Insofern würde ich die Frage dann eher<br />

weitergeben wollen. Danke.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Botzet. Weitere Fragen? Ja ich hätte noch eine Schlussfrage dann<br />

mal an Frau Vollmer. Aber ja. Bitte.<br />

Frau Vollmer:<br />

Ich hatte in meinen Ausführungen bewusst nichts zu den Deutschkenntnissen und auch<br />

nicht zu dem Nachzugsalter gesagt, weil das <strong>im</strong> Prinzip bisher nicht <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz<br />

o<strong>der</strong> <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz zu finden war. Ich sehe mich jetzt aber genötigt, schon noch<br />

mal so zwei Punkte dazu zu sagen. Zum einen zum Nachzugsalter. Das kommt uns eher<br />

vor wie eine Scheindiskussion. Wir glauben in keiner Weise, dass dadurch Zwangsverheiratungen<br />

o<strong>der</strong> ähnliches zu verhin<strong>der</strong>n ist. Zwangsverheiratungen hat aus unserer Sicht<br />

sehr viel mehr mit patriarchischen Strukturen zu tun, statt mit einem Alter. Und insofern finden<br />

wir es unbrauchbar. Abgesehen davon halten wir das erst einmal für sinnvoll dieses<br />

Phänomen Zwangsverheiratung, genauer zu untersuchen. Was genau ist darunter zu verstehen?<br />

Verstehen wir alle hier das Gemeinsame allein hier in dem Saal? Inwieweit sind<br />

Männer davon betroffen? Vielleicht ist es auch ein Paar, was beide zwangsverheiratet<br />

wurden. Wie gehe ich denn damit um? Also es gibt sehr sehr viele Punkte, die eigentlich<br />

erst einmal untersucht werden müssten, bevor man zu einer, also den Weg geht, eine gesetzliche<br />

Regelung dazu zu finden. Also ich kann, ich muss ja erst analysieren, bevor ich<br />

sage, das und das würde greifen. Zu den Deutschkenntnissen, ach ja und dann auch noch<br />

mal klar die EU-Familienzusammenführungsrichtlinie sieht das als eine Möglichkeit vor.<br />

Deutschland muss aber davon <strong>im</strong> Prinzip keinen Gebrauch machen. An<strong>der</strong>s sehen wir das<br />

mit den Deutschkenntnissen. Das halten wir auch für verfassungsmäßig nicht gegeben.<br />

Die EU-Familienzusammenführungsrichtlinie sagt ganz eindeutig, es müssen Integrationsmaßnahmen<br />

ergriffen werden, <strong>im</strong> Artikel 7, aber redet nicht davon, dass Deutschkenntnisse<br />

<strong>im</strong> Vorfeld erworben werden müssen. Auch da denken wir nicht, dass es integrationsför<strong>der</strong>nd<br />

ist, die Deutschkenntnisse vorher zu erlernen. Abgesehen von all den Schwierigkeiten,<br />

die einfach tatsächlich in vielen Län<strong>der</strong>n bestehen, sich diese Kenntnisse wirklich<br />

nachhaltig zu erwerben. Und den Nachzug daran zu binden, z. B. <strong>der</strong> Nachzug zu Deutschen,<br />

ist aus unserer Sicht ein Verfassungsverstoß. Und insofern auch nicht, müsste das<br />

eigentlich noch einmal genauer überprüft werden. Ich hab zwar schon von Ihnen gehört, da<br />

brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, aber uns kommt es eigentlich eher vor, dass<br />

eher dahinter steckt, man will, o<strong>der</strong> <strong>der</strong> politische Wille geht in die Richtung, doch nachhaltiger<br />

Zuzug zu verhin<strong>der</strong>n, auch Zuzug zu Familienangehörigen hier <strong>im</strong> Land. Und dann<br />

finde ich, sollte man diese Diskussion führen, aber sie nicht mit irgendwelchen an<strong>der</strong>en<br />

Begründungen untermauern. Danke schön.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank. Ja, ich hatte vorhin zurecht auf ein Gutachten verwiesen, das wir uns haben<br />

erstellen lassen. Und wir haben es sehr sorgfältig geprüft. Und was Sie eben meinten<br />

mit <strong>der</strong> Familiennachzugsrichtlinie, das sind ja gerade die einfachen Deutschkenntnisse,<br />

das fällt gerade unter den Gesichtspunkt Integrationsleistungen nach Artikel 7 Abs. 2 dieser<br />

Richtlinie. Das sind gerade diese Punkte, die wir jetzt umsetzen. Und ich hatte ja schon<br />

gesagt, zwei Län<strong>der</strong> machen es. Gut, da können wir jetzt trefflich lange Zeit drüber streiten.<br />

Wir lassen es jetzt. Und ich hätte noch eine letzte Frage, und zwar an Frau Vollmer. Frau<br />

Vollmer, das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht hatte ja den geltenden § 33, Geburt eines Kin<strong>des</strong><br />

<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>gebiet, für verfassungswidrig erklärt, weil dort nur Bezug genommen wird auf die<br />

Aufenthaltserlaubnis <strong>der</strong> Mutter, und zwar für nichtig erklärt. Ich wollte Sie mal fragen, ob<br />

das jetzt schon Auswirkungen hat, wir än<strong>der</strong>n das ja <strong>im</strong> 2. Än<strong>der</strong>ungsgesetz und fügen dort<br />

auch den Vater mit ein, in dem § 33. Das müsste jetzt ja bereits umgesetzt werden, weil<br />

das Gesetz noch nicht gilt. Und ich wollt Sie mal fragen, ob Sie schon Fälle haben, wo davon<br />

Gebrauch gemacht wird, von diesem § 33. Bitte schön.


443<br />

Frau Vollmer:<br />

Also, wir haben uns auch schon den Kopf zerbrochen, wie wir darauf reagieren sollen. Also<br />

wir gehen auch davon aus, dass wir mit dem Problem umgehen müssen. Ich habe jetzt das<br />

Ergebnis <strong>der</strong> Diskussion nicht mehr 100 %ig <strong>im</strong> Kopf. Also insofern, also welche Rechtsgrundlagen<br />

dafür jetzt in Betracht kommen. Wir gehen aber davon aus, und wir haben in<br />

<strong>der</strong> Vergangenheit auch schon Wege gefunden, weil wir grundsätzlich auch <strong>der</strong> Meinung<br />

waren, schon früher, dass hier eigentlich eine Gleichbehandlung angesagt gewesen wäre.<br />

Hatten aber eben auch von <strong>der</strong> Aufsicht den Hinweis bekommen, dass es also jedenfalls<br />

nicht geltende Rechtslage ist. Wir neigen dazu, dass wir jetzt in <strong>der</strong> Übergangszeit auf alle<br />

Fälle mal Duldungen erteilen. Und unter Umständen also auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>des</strong> § 25 Abs.<br />

4 o<strong>der</strong> Abs. 5 tätig werden. Aber wie gesagt, das sind jetzt alles nur vorläufige Überlegungen.<br />

Wir haben dazu auch was vorbereitet, was wir dem Innenministerium schicken wollen.<br />

Und es ist jetzt nicht so, dass das also massenhaft Fälle sind. Eine Hand voll Fälle, die da<br />

jetzt zur Entscheidung anstehen. Und wo wir uns <strong>im</strong> Moment durchlavieren. Aber wir gehen<br />

davon aus, dass wir hier eben auch Aufenthaltsrechte erteilen müssen. Im Moment,<br />

wie gesagt, ist etwas unklar, auf welcher Rechtsgrundlage und da kommen mehrere in Betracht.<br />

Und das müssen wir noch klären.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Frau Vollmer. Wenn keine weiteren Fragen sind, dann fasse ich mal die<br />

Diskussion für dieses Thema wie folgt zusammen:<br />

1. Hinsichtlich <strong>der</strong> Regelung über Familiennachzug wird insgesamt noch gesetzgeberischer<br />

Handlungsbedarf gesehen. Hervorgehoben wurde, dass die geltende Rechtslage<br />

den Missbrauch <strong>des</strong> Familiennachzugs nicht <strong>im</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Umfang ausschließt.<br />

Handlungsbedarf wurde insbeson<strong>der</strong>e gesehen in den Bereichen Bekämpfung von<br />

Scheinehen be<strong>im</strong> Familiennachzug, wenn ich das recht sehe.<br />

2. Anfechtung bei Scheinvaterschaften, hier war es etwas unklar welcher Behörde man<br />

ein solches Anfechtungsrecht gibt. Es wurde sich zum Teil dafür ausgesprochen, dass<br />

die Auslän<strong>der</strong>behörden ein solches Anfechtungsrecht erhalten sollten.<br />

3. Maßnahmen gegen Zwangsehen. Anhebung <strong>des</strong> Ehegattennachzugsalters wurde<br />

kontrovers diskutiert. Allerdings haben sich Frau Vollmer und Herr Botzet dafür ausgesprochen.<br />

Auch unter Hinweis auf die Familiennachzugsrichtlinie <strong>der</strong> Europäischen<br />

Union. Frau Vollmer hat geltend gemacht, dass Sie die Anhebung <strong>der</strong> Min<strong>des</strong>tgröße<br />

bei <strong>der</strong> Feststellung <strong>des</strong> ausreichenden Wohnraumes for<strong>der</strong>t. Ein weiterer Punkt sind<br />

Kin<strong>des</strong>wohlerwägung, sollten be<strong>im</strong> Nachzug von Kin<strong>der</strong>n unter 16 Jahren berücksichtigt<br />

werden. Es wurde auch diskutiert, die Möglichkeit generell zu schaffen, dass die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden einen DNA-Test be<strong>im</strong> Familiennachzug durchführen können.<br />

Teilweise darf ich darauf hinweisen, ist das BMI dabei, hier bereits Handlungsbedarf<br />

umzusetzen. Es wurde auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite eine zu restriktive Visumerteilungspraxis<br />

und insbeson<strong>der</strong>e bei Familienbesuchen beanstandet. Hier zeigt sich, das Spannungsverhältnis<br />

aus meiner Sicht zwischen Weltoffenheit einerseits und Sicherheit<br />

an<strong>der</strong>erseits, das ja auch bekanntlich zum Visumuntersuchungsausschuss geführt<br />

hat.<br />

4. Zu den Neuregelungen zum Vertriebenenrecht, die wurden insgesamt als vernünftig<br />

angesehen. Es wurde längere Zeit diskutiert über die IMK-Beschlusslage und die noch<br />

von Nie<strong>der</strong>sachsen einzuberufende Arbeitsgruppe, zu <strong>der</strong> wir jetzt auch von den nie<strong>der</strong>sächsischen<br />

Vertretern, herzlichen Dank dafür, ein Datum erhalten haben.<br />

Und ja, das wäre jetzt mal meine Zusammenfassung, die ich jetzt hier wie bei den an<strong>der</strong>en<br />

Panels auch gegeben habe. Ich darf mich herzlich bedanken. Wir würden jetzt eine Mittagspause<br />

machen, weil wir etwas in <strong>der</strong> Zeit voraus sind und meine Leute hier auch die<br />

Sommerzeit irrtümlich bei <strong>der</strong> Planung in einem Panel eingebaut haben, möchte ich gleichwohl<br />

erst um 14:30 Uhr die Diskussion fortsetzen, weil mehrere Berliner Vertreter nachher<br />

hier erscheinen, und wir hatten an sich ursprünglich 14:45 Uhr vorgesehen. Ich kann jetzt<br />

nicht einfach noch eher anfangen. Und Frau John beispielsweise, Herr Kolat sind aus Berlin.<br />

Sie sind nicht unbedingt eher da, so dass ich jetzt eine etwas längere Mittagspause<br />

einbauen möchte. Ich bedanke mich.


444<br />

VIII. Themenkomplex Integration und Gesellschaft<br />

1. Anmo<strong>der</strong>ation durch Herrn Dr. Lehnguth<br />

2. Herr Griesbeck<br />

So meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />

es geht jetzt weiter. Es fehlt noch Frau Professor John, aber wir warten jetzt nicht länger.<br />

Ich wollte Sie ganz herzlich begrüßen zum <strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> zu Integration<br />

und Gesellschaft und begrüße in dem Zusammenhang auch noch beson<strong>der</strong>s den Innenausschussvorsitzenden<br />

Herrn Edathy. Ganz herzlich willkommen. Wir wollen uns heute unterhalten<br />

über Integration und Gesellschaft. Integration ist nach dem Koalitionsvertrag ja<br />

eine <strong>der</strong> Schwerpunktaufgaben <strong>der</strong> neuen Bun<strong>des</strong>regierung.<br />

Es ist auch die Rolle <strong>des</strong> Dialogs mit den großen christlichen Kirchen, mit Juden und Musl<strong>im</strong>en<br />

hervorzuheben. Ich wollte auch noch mal in Erinnerung bringen, gestern habe ich<br />

das auch schon einmal getan, dass wir <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz natürlich zum ersten Mal<br />

Best<strong>im</strong>mungen und Vorschriften über Integration haben. Das ist ein wesentlicher Fortschritt,<br />

auf den ich noch mal hinweisen möchte. Wir haben ab 1. Januar eingeführt die Integrationskurse,<br />

600 Stunden Sprachkurse, 30 Stunden Orientierungskurse, und ich meine,<br />

dass das schon mal sehr gut angelaufen ist nach unserer Meinung vom Bun<strong>des</strong>innenministerium.<br />

Aber wir haben Sie ja <strong>des</strong>wegen eingeladen, um hier etwas mehr zu hören.<br />

Und wir möchten hierbei insbeson<strong>der</strong>e den Schwerpunkt richten in diesen zwei Stunden<br />

auf die sprachliche Integration, auch auf die Erfahrung mit den Verpflichtungsregelungen<br />

durch Auslän<strong>der</strong>behörden, Jobagenturen.<br />

Wir möchten aber auch etwas hören über Integration <strong>im</strong> Arbeitsmarkt, über Schnittstellenproblematik<br />

<strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes zu den Best<strong>im</strong>mungen <strong>des</strong> SGB II und SGB III,<br />

und wir wollen auch diskutieren über das vom BAMF als Kompetenzzentrum zu erstellende<br />

und mit uns abzust<strong>im</strong>mende bun<strong>des</strong>weite Integrationsprogramm. Das ist uns sehr wichtig.<br />

Und auch über die Integrationsleistungen <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>, gesetzliche Aufgaben, etwas hören.<br />

Und ich möchte vorstellen, in diesem Kreise, nach dem Plan, Herrn Dr. Griesbeck, <strong>der</strong> sitzt<br />

links neben Herrn Maaßen, <strong>der</strong> ist Abteilungspräsident <strong>im</strong> BAMF und für den Bereich Integration<br />

zuständig. Dann wollte ich ganz gern Herrn Huber vorstellen, <strong>der</strong> links neben Herrn<br />

Griesbeck sitzt. Das ist <strong>der</strong> stellvertretende Referatsleiter <strong>im</strong> Bayrischen Staatsministerium<br />

für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen. Und dann ganz links ist Herr Stöcken.<br />

Das ist <strong>der</strong> Geschäftsführer <strong>des</strong> Jobcenters in Kiel und auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite Herrn Hempel.<br />

Herr Hempel ist <strong>der</strong> Geschäftsführer <strong>der</strong> Interkulturellen Bildung Hamburg e.V.<br />

Daneben Herrn Kolat. Dem brauche ich ihm Grunde gar nicht vorzustellen. Das ist <strong>der</strong><br />

Bun<strong>des</strong>vorsitzende <strong>der</strong> türkischen Gemeinde in Deutschland. Auch herzlich willkommen,<br />

Herr Kolat, <strong>im</strong> beson<strong>der</strong>en Maße und Frau Rudolph. Sie ist Abteilungsleiterin <strong>im</strong> Einwohner-<br />

und Integrationsamt <strong>der</strong> Stadt Wiesbaden. Also noch einmal herzlich willkommen. Das<br />

ist ein sehr großer Kreis und das zeigt auch schon die Bedeutung und Wichtigkeit dieses<br />

Themas. I<br />

ch würde jetzt vorschlagen, dass zunächst einmal Dr. Griesbeck einen kleinen Überblick<br />

gibt. Und ich darf noch mal erinnern, angesichts <strong>der</strong> Zeit, ich habe das heute morgen auch<br />

schon mal gesagt, sind an sich angeraten zehn Minuten zu referieren. Wir haben hier ihre<br />

schriftlichen Ausführungen, die auch je<strong>der</strong> Teilnehmer <strong>im</strong> Saal erhalten wird und von daher<br />

bitte Konzentration.<br />

Also Herr Griesbeck, Sie haben das Wort.<br />

Vielen Dank, Herrn Lehnguth.<br />

Ich werde mich konzentrieren auf die drei Materien, die <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz beson<strong>der</strong>s<br />

erwähnt sind. Das sind Integrationskurse, das ist die Migrationserstberatung und das<br />

ist das Integrationsprogramm.<br />

Bei den Integrationskursen sind die <strong>Rahmen</strong>vorgaben bekannt. Es handelt sich um ein<br />

Grundangebot <strong>des</strong> Staates, das als Angebot und Verpflichtung ausgestaltet ist. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

für Erstzuwan<strong>der</strong>er, aber auch, das wird aus dem Gesetz ganz deutlich, auch für<br />

schon länger in Deutschland lebende Auslän<strong>der</strong>. Auch die Verpflichtungsmöglichkeit für


445<br />

schon länger in Deutschland lebende Auslän<strong>der</strong> zeigt, dass es hier auch Integrationsbedarf<br />

gibt, <strong>der</strong> auch erkannt wurde. Beispielsweise bei ALG II-Empfängern, die beson<strong>der</strong>s erwähnt<br />

sind, o<strong>der</strong>, das möchte ich an <strong>der</strong> Stelle auch hervorheben, bei Personen mit beson<strong>der</strong>em<br />

Integrationsbedarf, und dies wird beispielsweise in <strong>der</strong> Integrationsverordnung<br />

dann noch mal spezifiziert, dass das dann vorliegt beispielsweise bei Inhabern <strong>der</strong> Personenfürsorge<br />

für min<strong>der</strong>jährige Kin<strong>der</strong>, auch diese können verpflichtet werden. Verpflichtungsmöglichkeiten<br />

für Neuzuwan<strong>der</strong>er sieht das Gesetz auch vor. Die Folgen sind bekannt.<br />

Das Gesetz sieht Sanktionsmöglichkeiten in 44 a Absatz 3 vor, auch die Auswirkungen auf<br />

die Aufenthaltserlaubnis, positive Sanktionen in Hinblick auf die Einbürgerung, das ist die<br />

Verkürzung <strong>der</strong> Einbürgerungsfrist.<br />

Wichtig ist es mir, noch zu unterstreichen, dass es sich um ein einheitliches Angebot handelt,<br />

Kursangebot für Einwan<strong>der</strong>er und Spätaussiedler. Das war früher nicht so. Da gab es<br />

getrennte Kurssysteme, die sind eben hier zusammengeführt worden.<br />

Vielleicht noch zu den Planzahlen für 2005. Man ist hier rangegangen mit den Vorstellungen<br />

von 98.000 Neuzuwan<strong>der</strong>ern, 56.000 schon länger in Deutschland lebenden Auslän<strong>der</strong>n<br />

und 40.000 Spätaussiedlern. Das wären 194.000 gewesen, wobei man jetzt, und das<br />

ist das erste, was das erste Jahr in <strong>der</strong> Bilanz auch erbracht hat, wobei man sehen muss,<br />

wir haben mehr als diese Zahl an Berechtigungen. Es sind nämlich über 215.000 Berechtigungen<br />

ausgegeben worden. In den Kursen waren über 150.000 Teilnehmer.<br />

Bei den Berechtigungen ist ganz interessant zu sehen, dass wir hier Neuzuwan<strong>der</strong>er haben<br />

ohne Verpflichtungen 18.481, mit Verpflichtungen 42.000, dass aber die Bestandsauslän<strong>der</strong>,<br />

also diejenigen, die schon länger hier leben, mit über 103.000 den höchsten Anteil<br />

stellen. Spätaussiedler hatten wir ausgegebene Berechtigungen über 33.000. Bei den Teilnehmern<br />

ist festzustellen, dass auch hier die größte Gruppe <strong>der</strong> bereits in Deutschland<br />

länger Lebenden ist. Das heißt, dieses System hat sich <strong>im</strong> ersten Jahr schon daraufhin<br />

gewandelt, dass die ursprüngliche Überlegung, dass 2/3 <strong>der</strong> Teilnehmer und <strong>der</strong> Berechtigten<br />

Neuzuwan<strong>der</strong>er sein werden und nur ca. 1/3 solche, die schon länger hier leben.<br />

Dass sich dieses Verhältnis umgekehrt hat. Wir hatten 8.196 Kurse, davon 7.400 allgemeine<br />

Kurse und weniger Zielgruppen spezifische Kurse. Wir hatten Jugendkurse 113, Alphabetisierungskurse<br />

227. Es steht aber auch alles in <strong>der</strong> Bilanz drinnen. Ich erwähne nur die<br />

Zahlen kurz. Und Eltern- und Frauenkurse 456. Es wurde von <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>betreuung,<br />

die gesetzlich vorgesehen ist für Spätaussiedler, Gebrauch gemacht. Allerdings<br />

nur weniger. Wir hatten 1.276 betreute Kin<strong>der</strong> <strong>im</strong> letzten Jahr. Fahrtkostenzuschüsse wurden<br />

für verpflichtete Auslän<strong>der</strong>, die schon länger hier leben, gewährt und auch für Jugendliche<br />

die in Integrationskursen sind. Mittlerweile ist vorgesehen eine Fahrtkostenzuschussregelung<br />

auch für Spätaussiedler. Wir haben aufgebaut <strong>im</strong> letzten Jahr in unseren dezentralen<br />

System von 23 Außenstellen ein System von Regionalkoordinatoren, also über 200<br />

Mitarbeiter <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes stehen als Ansprechpartner und Koordinatoren vor Ort zur<br />

Verfügung.<br />

Was sind die Erkenntnisse <strong>des</strong> ersten Jahres, die herausstechen? Ich habe schon gesagt,<br />

wir haben einen sehr hohen Anteil von schon länger in Deutschland lebenden Auslän<strong>der</strong>n.<br />

Das sind nämlich 56,3 % <strong>der</strong> Berechtigten und sogar 59,7 % <strong>der</strong> Teilnehmer. Wir haben,<br />

was uns hier freut, einen sehr hohen Anteil von Frauen. 63 % <strong>der</strong> Kursteilnehmer waren<br />

Frauen, und es ist ein wichtiges Ergebnis, weil Frauen für die Bildungskarriere <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong><br />

eine wichtige Bedeutung haben. Wir haben viele Verpflichtungen von Neuzuwan<strong>der</strong>ern,<br />

aber wir haben wenig Verpflichtungen von schon länger hier lebenden Auslän<strong>der</strong>n. Da<br />

stellt sich die Frage, wieso wird von dieser Möglichkeit nicht so stark Gebrauch gemacht?<br />

Wir sind dieser Frage nachgegangen, und es scheint <strong>im</strong> ersten Jahr so zu sein, dass es<br />

wenige Meldungen durch ALG II-Behörden gab. Das ganze System musste ja insgesamt<br />

erst anlaufen, und dass es auch wenig Meldungen von Jugend- und Schulbehörden, von<br />

beson<strong>der</strong>s integrationsbedürftigen an die Auslän<strong>der</strong>behörden gab. Teilweise waren sich<br />

die Behörden zumin<strong>des</strong>t zu Beginn <strong>des</strong> Jahres wohl auch noch nicht <strong>des</strong> neuen Systems<br />

und <strong>der</strong> Möglichkeiten so bewusst. Und die Zusammenarbeit gestaltet sich unterschiedlich,<br />

also auch regional völlig unterschiedlich. Wir haben 1. sehr gute Zusammenarbeit und sehr<br />

viele Verpflichtungen von ALG II-Empfängern. Durch die ABH beispielsweise in Hamburg.<br />

Da waren die Zahlen sehr hoch. Und in an<strong>der</strong>en Städten ist die Kommunikation zwischen<br />

den Argen und den Auslän<strong>der</strong>behörden nicht so stark. Vielleicht eines noch: Es kann auch<br />

sein, das sage ich jetzt, das können wir auch in <strong>der</strong> Diskussion vertiefen, es kann auch<br />

sein, dass viele arbeitslose, schon länger in Deutschland lebende Auslän<strong>der</strong> direkt von ihren<br />

Case-Managern zum Bun<strong>des</strong>amt geschickt wurden. Das Bun<strong>des</strong>amt kann ja für solche,<br />

die sich freiwillig melden, auch direkt die Berechtigungen ausgeben. Möglicherweise


446<br />

gehen best<strong>im</strong>mte Arbeitsämter nicht den Weg über die ABH und regen dort die Verpflichtung<br />

an, son<strong>der</strong>n geben die Anregung, selber als freiwilliger Teilnehmer in einen Integrationskurs<br />

zu gehen.<br />

Zur Trägerlandschaft, zur Entwicklung <strong>der</strong> Trägerlandschaft, kann man vielleicht Folgen<strong>des</strong><br />

sagen. Man kann, ich kann jetzt nur gegenüberstellen, die Zahlen die es an Trägern gegeben<br />

hat bei den durch das Bun<strong>des</strong>amt geför<strong>der</strong>ten Trägern vor 2005, da waren es 913,<br />

und die Anzahl <strong>der</strong> Träger nach diesen früheren SGB III-Kursen und nach den Garantiefondskursen<br />

ist mir nicht bekannt. Wir haben jetzt eine Trägerstruktur, dass wir 2005 2.043<br />

Träger an 6.063 Kursorten hatten. Das ist jetzt wie<strong>der</strong> etwas weniger geworden. Möglichweise<br />

spielen hier auch Qualitätsgesichtpunkte eine Rolle. Wir haben 1.719 Träger an<br />

5.183 Kursorten. Wir haben beispielsweise an Volkshochschulen einen starken Anstieg. Allerdings<br />

auch bei Bildungswerken und Sprach- und Fachschulen, bei denen auch viele Private<br />

vertreten sind. Man kann zum Trägersystem feststellen, dass es ein flächendecken<strong>des</strong><br />

Kurssystem gibt. Dass es aber, nach dem was uns gesagt wird, in Ballungsgebieten<br />

auch eine starke Konkurrenz gibt, das heißt, es gibt viele Träger die darauf warten, dass<br />

die Immigranten mit Berechtigungsschein zu ihnen kommen und dass es aber <strong>im</strong> ländlichen<br />

Raum länger dauern kann bis zum Zustandekommen eines Kurses. Hier spielt die<br />

Fahrtkostenerstattungsmöglichkeit, die ich vorhin schon angesprochen habe, sicherlich eine<br />

beson<strong>der</strong>s große Rolle. Die Fahrtkostenerstattung ist bislang nur vorgesehen für verpflichtete<br />

Auslän<strong>der</strong> und für verpflichtete Auslän<strong>der</strong>, die schon länger hier leben, und wir<br />

haben es eben auch möglich gemacht jetzt für Jugendliche. Vorgesehen ist es auch für<br />

Spätaussiedler.<br />

Vielleicht erst die Ergebnisse zu den durchgeführten Tests: Von den 28.898 Teilnehmern,<br />

die den Kurs in 2005 abgeschlossen hatten, haben 17.482 an <strong>der</strong> freiwilligen Abschlussprüfung<br />

teilgenommen. Davon haben knapp 70 % die Prüfung mit Erfolg abgeschlossen.<br />

Davon wie<strong>der</strong>um 41 % mit sehr gut o<strong>der</strong> gut. Das System <strong>der</strong> Regionalkoordinatoren wird<br />

sehr gut angenommen. Sie sind begehrte und kompetente Ansprechpartner für Kommunen<br />

und Sprachkursträger sowie auch Träger <strong>der</strong> freien Wohlfahrt, und es kommt an. Ich werde<br />

das später noch ausführen. Es kommt an, dass es hier auch von allen Beteiligten gesehen<br />

wird, dass es eine Verzahnungs- und Koordinierungsfunktion geben muss. Die dezentrale<br />

Struktur <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes mit 23 Außenstellen und einer Zentrale in Nürnberg macht es<br />

uns möglich, direkt in den Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n selber vor Ort vertreten zu sein. Wir haben in jedem<br />

Bun<strong>des</strong>land min<strong>des</strong>tens eine Außenstelle. In diesen Außenstellen sind Mitarbeiter<br />

eingesetzt, inzwischen jetzt über 200, die auch zu den Trägern vor Ort fahren, die den<br />

Kontakt mit den Kommunen aufnehmen, die auch vor Ort Prüfungen, bevor ein Träger zugelassen<br />

wird, übernehmen, die dort sind, <strong>im</strong> Übrigen auch Projekte überprüfen. Das heißt,<br />

wir haben hier eine starke regionale Verankerung von Mitarbeitern <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes, die<br />

sich auch in <strong>der</strong> Zentrale <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> Schulungen unterziehen. Wir haben da sehr, sehr<br />

viel an Schulungen, um die dann auch <strong>im</strong>mer stärker mit den Herausfor<strong>der</strong>ungen vertraut<br />

zu machen.<br />

Was haben wir <strong>im</strong> letzten Jahr auch vorangebracht? Wir haben nach Gesprächen mit <strong>Praktiker</strong>n<br />

bereits <strong>im</strong> Juni 2007 uns dem Problem <strong>der</strong> Endbürokratisierung gewidmet. Der<br />

Verschlankung <strong>des</strong> Aufwands. Wir haben Formulare zusammengestrichen und wir haben<br />

eine Verwaltungspauschale eingeführt. Es war sichtbar und das ist es <strong>im</strong>mer noch, das<br />

wird hier sicher noch Thema sein, es ist <strong>im</strong>mer noch sichtbar, dass das neue System das<br />

teilnehmerorientiert ist und eben nicht kursorientiert ist, dass dieses zu einem höheren<br />

Verwaltungsaufwand führt als das bisherige System <strong>der</strong> Ausschreibung von Kursen. Es ist<br />

so, dass wir unser System in Modulen abrechnen, dass also hier für 100 Stunden <strong>im</strong> Grunde<br />

genommen <strong>im</strong>mer ein eigener Abrechnungsvorgang vorzunehmen ist. Das bedeutet<br />

Aufwand für den Träger, das bedeutet Aufwand für uns natürlich auch. Und es ist so, dass<br />

wir durch das teilnehmerbezogene System eben nicht pro Block 25 Leute, son<strong>der</strong>n jeden<br />

Einzelnen formularmäßig dann auch abrechnen müssen. Das ist für die Träger nicht gut,<br />

da sind in <strong>der</strong> Verordnung auch sehr sehr viele Meldepflichten drin, und das ist etwas, was<br />

von den Trägern <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> dargestellt wird, was für sie eine sehr große Erschwernis<br />

ist.<br />

Wir haben uns auch mehrfach mit Dozenten unterhalten, weil gesagt wird, dadurch, dass<br />

das Honorar festgelegt ist, nicht das Honorar, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Stundensatz auf 2 Euro 5 Cent<br />

würden auch die Dozentenhonorare weniger sein als in <strong>der</strong> Vergangenheit. Es ist so, dass<br />

hier die Verträge natürlich mit den Trägern geschlossen werden, dass wir aber schon darauf<br />

achten, dass die Dozentenhonorare so sind, dass auch die Qualität gewährleistet ist.<br />

Wir sind schon <strong>der</strong> Ansicht, dass eine Verbindung zwischen Dozentenhonorar und Kursqualität<br />

besteht. Also, wir haben gehört von Trägerhonoraren, die <strong>im</strong> Bereich 13/14 Euro


447<br />

liegen aber auch bis gut 20 Euro. Es wechselt. Es ist jedenfalls so, früher, wurde uns gesagt,<br />

gab es größere, stärkere Honorare, und da kann uns <strong>der</strong> Trägervertreter etwas zur<br />

Entwicklung dann sagen. Es wird jetzt wesentlich mehr mit Honorarkräften gearbeitet, aber<br />

auch das werden Sie darstellen, Herr Hempel, als das früher <strong>der</strong> Fall war. Unsere Aufgabe<br />

wird darin bestehen, dass wir die Qualität gewährleisten und, wenn das nötig macht, hier<br />

auch sich da noch mal Gedanken zu machen, uns Wege überlegen, wie man dem gerecht<br />

werden kann. Gespräche mit den großen Kommunen haben <strong>im</strong> Februar 2006 ergeben,<br />

dass hier gerade auch die Kommunen großen Wert auf eine Verzahnung legen, wohlgemerkt<br />

auch auf eine Verzahnung <strong>der</strong> Träger untereinan<strong>der</strong>. Das, was <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> gesagt<br />

wird, ist, dass die Träger auf ihren Schützlingen sitzen bleiben und warten, bis sie einen<br />

Kurs voll bekommen anstatt, dass man sich in Trägernetzwerken austauscht und sagt, hier<br />

könnte man einen Jugendkurs beginnen, wenn sich mehrere zusammentun, hier könnte<br />

man einen Alphabetisierungskurs beginnen. Da sehen wir jetzt auch eine stärkere Initiative<br />

von unseren Regionalkoordinatoren, darauf hin zu wirken, dass diese runden Tische <strong>der</strong><br />

Träger zusammenkommen. Wir haben, das habe ich auch schon gesagt, die Fahrtkosten<br />

auch für Teilnehmer in Jugendkursen ausgezahlt, die Fahrtkostenerstattung, damit diese<br />

dann auch zustande kommen können. Wir haben Vorschläge zur Opt<strong>im</strong>ierung <strong>des</strong> Verfahrens<br />

und zur Verschlankung <strong>der</strong> Bürokratie <strong>des</strong> Aufwands auch. Ich komme zum Schluss<br />

dieses Punkts Integrationskurse. Wir haben die Zahl <strong>der</strong> Regionalkoordinatoren ausgeweitet.<br />

Die <strong>Evaluierung</strong> gemäß § 43 hat bereits begonnen. Es ist ja <strong>im</strong> Gesetz vorgesehen eine<br />

<strong>Evaluierung</strong>. Wir stehen auf dem Standpunkt, dass wir <strong>im</strong> Moment alles sammeln, was<br />

an Hinweisen aus <strong>der</strong> Praxis kommt, und man sich dann überlegt, wann und zu welchem<br />

Zeitpunkt man hier in eine Opt<strong>im</strong>ierung eintreten kann. Der nächste Punkt ist, wird aber<br />

auch noch vertieft werden, Integration in den Arbeitsmarkt. Da sage ich nur soviel, dass wir<br />

durch Verbundprojekte schauen, dass Leute, eben auch nach dem Integrationskurs sich<br />

weiterentwickeln können, dass hier nicht nach dem Integrationskurs alles zu Ende ist und<br />

die erworbene Sprachkompetenz dann wie<strong>der</strong> verloren geht, son<strong>der</strong>n dass wir schauen,<br />

dass wir hineinführen können in an<strong>der</strong>e Maßnahmen, die beispielsweise in den Beruf hineinführen.<br />

Da gibt es von <strong>der</strong> BA sehr gute Sachen, wo man sagt aus dem Integrationskurs<br />

dann weiter in Fachsprachenkurse beispielsweise. Da gibt es auch ein sehr gutes Modell<br />

aus Bayern, wo Jugendliche aus einem Jugendintegrationskurs hineingeführt werden in eine<br />

Maßnahme, die auch aus europäischen Sozialfondsmitteln geför<strong>der</strong>t ist, die dann zum<br />

Hauptschulabschluss führt. Also das, was heute Vormittag angesprochen wurde, dass man<br />

sich auch um diejenigen kümmert, die eine Maßnahme gehabt haben und dann schaut,<br />

dass diese weiter vorankommen. Das kann man über diese Verbundprojekte auch machen.<br />

Für die Spätaussiedler gibt es ganz beson<strong>der</strong>e Maßnahmen, die in 9 Absatz 4 vorgesehen<br />

sind. Das sind Spezialkurse, die auch Module für Bewerbungstrainings beinhalten und wo<br />

wir auch hoffen, dass die dann etwas mehr dazu beitragen, in eine berufliche Integration<br />

hineinzuführen. Schon während <strong>des</strong> Integrationskurses ist es möglich, <strong>Praktiker</strong> zu besuchen.<br />

Das ist in <strong>der</strong> Integrationskursverordnung vorgesehen, und zu den Schnittstellen gibt<br />

es auch regelmäßige Gespräche mit <strong>der</strong> BA und mit dem Arbeitsministerium. Ganz kurz<br />

zur Migrationserstberatung: Da ist die Auslän<strong>der</strong>sozialberatung, die Aussiedlersozialberatung<br />

zusammengelegt worden in 2005 und in die Zuständigkeit <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amts gekommen.<br />

Weiterhin gibt es in getrennter Zuständigkeit die Jugendmigrationsdienste. Auch hier<br />

gibt es gute und enge Zusammenarbeit. Frau von Heinz ist hier vertreten, und wir st<strong>im</strong>men<br />

uns da auch <strong>im</strong>mer ab, dass die Anfor<strong>der</strong>ung dieselben sind.<br />

Die MEB ist ein System, wo Erwachsene zu selbstständigem Handeln in allen Angelegenheiten<br />

<strong>des</strong> täglichen Lebens befähigt werden sollen. Wir haben 2005 2,9 Millionen Euro<br />

aufgewendet und haben 545 Stellen in 660 Einrichtung geför<strong>der</strong>t. Hier kann man vielleicht<br />

sagen, was weiterentwickelt werden könnte, ist, man muss auf jeden Fall schauen, dass<br />

<strong>der</strong> Zugang sichergestellt ist, auch die bayerischen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass<br />

die Auslän<strong>der</strong> nicht so schnell von <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde zu den MEBs kommen, wie sie<br />

das eigentlich sollten, und auch hier wollen wir eine stärkere Verzahnung. Ich mache hier<br />

einfach mal einen Punkt, den aktuellen Stand <strong>des</strong> Integrationsprogramms können wir dann<br />

in <strong>der</strong> Diskussionsrunde noch behandeln.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Griesbeck für Ihre Ausführungen. Ich hatte ja vorhin schon gesagt, Ihr<br />

Gesamtstatement, das ist halt sehr viele Seiten lang. Das kann man dann auch noch nachlesen,<br />

und die Diskussion soll dann auch noch was bringen. Ich wollte <strong>im</strong> Gegensatz zu


3. Herr Kolat<br />

448<br />

<strong>der</strong> Reihenfolge ganz gern Herrn Kolat erst einmal das Wort erteilen, dem Bun<strong>des</strong>vorsitzenden<br />

<strong>der</strong> türkischen Gemeinde in Deutschland, weil <strong>der</strong> noch zu einem Interview muss.<br />

Herr Kolat, Sie haben jetzt erstmal das Wort, bitte schön.<br />

Danke schön. Vielen Dank für die Einladung. Vorab möchte ich vorausschicken, was ich<br />

sage, bekommen Sie dann auch schriftlich. Aber ich fange mal mit dem Thema, das Thema<br />

ist ja Integration und Gesellschaft, und um auch dort noch mal zu betonen, was für uns<br />

Integration heißt, und was vielleicht bis jetzt noch nicht geschehen ist in diesem Gesamtintegrationsprogramm.<br />

Das sollte ja entwickelt werden. Vielleicht kann ich dazu beitragen, weil das für viele jetzt<br />

nicht so richtig klar ist. Für uns heißt Integration, <strong>der</strong> Begriff Integration ist hier ein falscher<br />

Begriff, denke ich mal. Wir sprechen eher von Partizipation, also von Beteiligung. Insofern<br />

Beteiligungschancen steigern, heißt Einglie<strong>der</strong>ungschancen auch steigern. Für uns wird<br />

die Einglie<strong>der</strong>ung, die Partizipation erst dann gelingen, wenn die ethnische, soziale o<strong>der</strong><br />

kulturelle Zugehörigkeit für den Zugang zu den zentralen Gütern <strong>der</strong> Gesellschaft nicht<br />

mehr eine entscheidende Rolle spielt. Erst dann wird eine Integration nach unserer Meinung<br />

gelingen. Dass die Diskussion über Integration in den letzten Wochen und Monaten<br />

nur noch auf die Sprachkenntnisse reduziert worden ist, überrascht uns umso mehr, weil<br />

wir dort natürlich sehr vorangekommen waren. Ich will ganz kurz ein paar Integrationsfaktoren<br />

aufzählen, da werden Sie mir auch zust<strong>im</strong>men.<br />

Natürlich spielen an erster Stelle Bildung und Arbeitsmarkt eine große Rolle. Wenn man<br />

sich die Entwicklungssituation <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen anguckt, dann stellen wir fest,<br />

dass dort eine Stagnation da ist, also wir stellen fest, dass Kin<strong>der</strong>, jugendliche Schüler und<br />

Schülerinnen nicht deutscher Herkunftssprache, wie das <strong>im</strong> Fachjargon heißt, Abschlüsse<br />

machen, die schlechtere Abschlüsse sind als die <strong>der</strong> Deutschen. Wir haben bei <strong>der</strong> nicht<br />

deutschen Schülerschaft 2/3 nicht deutscher Herkunftssprache, die keine Abschlüsse, erweiterte<br />

o<strong>der</strong> Hauptschulabschlüsse haben, wobei dieser Anteil bei <strong>der</strong> deutschen Schülerschaft<br />

bei 25 % liegt. Auch dort ist das sehr hoch. Das zeigt auch, dass das deutsche<br />

Bildungssystem diese Frage <strong>im</strong>mer noch nicht gelöst hat. Das ist aber heute auch nicht<br />

das Hauptthema. Aber ich denke, wenn man dann diese Frage nach Schichten anguckt,<br />

wo wir das als sehr wichtig erachten, wir sprechen <strong>des</strong>halb von einem kumulierten Unterschichtsystem.<br />

Wir haben dabei insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> türkischen, arabischen und ähnlich<br />

auch bei den Italienern, muss man auch hinzufügen, haben wir es mit einer sehr hohen<br />

Unterschicht zu tun, wo dieser Anteil bei 80 / 90% liegt. Insofern sprechen wir hier nicht<br />

von einem ethnischen Problem, son<strong>der</strong>n von einem sozialen Problem und das, denke ich<br />

mal, müsste, sollte in einem Gesamtprogramm drin sein. Wir müssen wegkommen von<br />

Ethnisierungstendenzen <strong>der</strong> Problematik, son<strong>der</strong>n zu einer Sozialisierung <strong>des</strong> Problems.<br />

Natürlich hat das ethnische, kulturelle Züge, aber ich denke, das ist sehr wichtig. Sie Arbeitslosenquote<br />

brauche ich auch nicht zu sagen. Das ist auch bekannt. Bei Migranten und<br />

Migrantinnen liegt sie bei 25 % <strong>im</strong> Allgemeinen doppelt so hoch sozusagen. Wir haben eine<br />

sehr hohe Quote insbeson<strong>der</strong>e bei den Arbeitslosenhilfeempfängern bzw. jetzt ALG II-<br />

Empfängern. Die Langzeitarbeitslosigkeit bei den Migrantinnen und Migranten ist sehr<br />

hoch, und die Qualifizierung dieser Menschen ist auch ein ganz großes Problem, und hier<br />

kommt gleich die Diskussion Integrationskurs und dann die Zusammenarbeit mit den Jobcentern<br />

o<strong>der</strong> -agenturen. Hier stellen wir fest, dass es durchaus gute Modelle gibt in <strong>der</strong><br />

Bun<strong>des</strong>republik. Ich kann auch einige aus Berlin sagen, weil ich hier näher dran bin. Aber,<br />

ich denke, die Kommunikation erfolgt noch nicht so, wie wir uns das vorstellen. Das heißt,<br />

es gibt Integrationskurse, es gibt natürlich auch Zuweisungen durch die Jobcenter o<strong>der</strong> -<br />

agenturen, aber es gibt dann für diese Personen keine weiterführenden koordinierten<br />

Maßnahmen. Wir erleben eine Maßnahmenkarriere von Jugendlichen, die von einer Maßnahme<br />

zu <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Maßnahme geschickt werden. Insofern sollte man gucken, ob man<br />

dort noch intensiver zusammen arbeitet. Also wir haben ja eine Zusammenarbeit bereits<br />

mit den Kommunen und Agenturen geschaffen. Es müsste jetzt noch eine Zusammenarbeit<br />

mit den Jugendämtern, insbeson<strong>der</strong>e weil die Jugendlichen sehr wichtig sind, geschaffen<br />

werden. Dazu gibt es in Berlin ein gutes Beispiel wo wir bei vielen Jobcentern in Berlin<br />

und auch in einigen an<strong>der</strong>en Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n Migrationsbeauftragte installiert haben. Es<br />

gibt also bei den Jobcentern Migrationsbeauftrage. Wir wollen nicht alles an die Beauftragten<br />

abgeben, aber da gibt es jemanden, <strong>der</strong> darauf guckt, ob die Maßnahmen dann richtig<br />

angepasst werden. Das finde ich eine <strong>der</strong> wichtigsten Entwicklungen, die wir da for<strong>der</strong>n.


449<br />

Wenn ich schon mal bei den Integrationskursen bin, was an<strong>der</strong>e Kolleginnen und Kollegen<br />

dann auch machen werden. Trotzdem möchte ich sagen, dass es insbeson<strong>der</strong>e bei uns<br />

viele Nachfragen gibt, das ist be<strong>im</strong> BAMF wahrscheinlich auch <strong>der</strong> Fall, dass es bei bereits<br />

eingebürgerten türkisch stämmigen o<strong>der</strong> nicht deutsch stämmigen Menschen auch großes<br />

Interesse sieht und Bedarf da ist für die nachholende Integration, ob mann/frau dort noch<br />

mal darüber nachdenken kann, für diese Gruppe auch Integrationskurse o<strong>der</strong> Deutschkurse<br />

anzubieten, auch wenn sie den Anspruch natürlich nicht haben o<strong>der</strong> nicht mehr haben<br />

in dieser Form. Es wären auch Differenzierungen notwendig, das werden aber auch an<strong>der</strong>e<br />

Kollegen noch machen. Ich denke, das ist, dass <strong>der</strong> bürokratische Aufwand und so, das<br />

wird alles noch gesagt, denke ich mal. Für mich ist wichtig, zu den Integrationsindikatoren<br />

bei Arbeit und Bildung gibt es weitere Indikatoren und die auch sehr wichtig sind für mich.<br />

Was in <strong>der</strong> Diskussion sehr wenig vorkommt. Die Freizeitkontakte zum Beispiel <strong>der</strong> Menschen<br />

mit Migrationshintergrund mit Deutschen und nicht Deutschen. Auch das ist ein sehr<br />

wichtiger Indikator. Dort haben wir in den letzten Jahren, letzte Untersuchungen zeigen<br />

auch, dass es keine großen Verän<strong>der</strong>ungen gibt. Auch die Ehen zwischen Deutschen und<br />

nicht Deutschen sind ein weiterer Indikator, und dort stellen wir auch fest, dass doch bei<br />

türkischen Männern und Frauen eine sehr steigende Anteil (Verdreifachung in den letzten<br />

zehn Jahren) existieren, dass die dann deutsche o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Nationalitäten heiraten. Auch<br />

das ist ein wichtiger Indikator für die so genannte Integration. Das Wichtigste ist, denke ich<br />

mal, die subjektiv empfundene Zugehörigkeit zur Aufnahmegesellschaft. Hier gibt es in den<br />

letzten Wochen und Monaten eine negative Tendenz, und ich denke, da sollten wir alle<br />

gemeinsam dran arbeiten. Natürlich hat das vielleicht nicht direkt mit dem Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

zu tun, aber es hat natürlich indirekt damit zu tun. Beispiel: Sanktionen. Eine Nichtteilnahme<br />

an den Kursen soll bei <strong>der</strong> Verlängerung <strong>der</strong> Aufenthaltserlaubnis berücksichtigt<br />

werden. Je<strong>der</strong> weiß, dass es bei assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen<br />

nicht gehen wird und nicht gehen kann. Es bleiben also ziemlich wenige. Bei den EU-<br />

Staatsangehörigen ist das auch nicht <strong>der</strong> Fall, bei Asylberechtigten ist das auch nicht <strong>der</strong><br />

Fall, bei Deutschverheirateten ist das auch nicht <strong>der</strong> Fall. Also es bleibt wirklich eine sehr<br />

kleine Gruppe. Ich würde dort anstelle Sanktionsdenkens ein Anreizmodell schaffen. Wer<br />

an den Kursen zum Beispiel erfolgreich teiln<strong>im</strong>mt, sollte nicht nach fünf Jahren, son<strong>der</strong>n<br />

z.B. nach drei Jahren eine Nie<strong>der</strong>lassungserlaubnis bekommen und nicht nach sieben Jahren,<br />

son<strong>der</strong>n dann nach fünf Jahren eingebürgert werden. Das wären wirklich positive Signale,<br />

wo wir dann von Seiten <strong>der</strong> Migranten, von Seiten <strong>der</strong> Min<strong>der</strong>heitenbevölkerung auch<br />

mal von uns aus an diese Menschen heran treten können.<br />

Aber <strong>im</strong> Grunde genommen ist es von uns aus zu begrüßen, dass zum ersten Mal Integration<br />

als staatliche Aufgabe in ein Gesetz übernommen worden ist. Das wird von uns grundsätzlich<br />

positiv bewertet. Dass wir aber ganz genau wissen, dass mit 600 Stunden<br />

Deutschkurs die Stufe Eins nicht erreicht werden kann, bei denjenigen die geringe Vorkenntnisse<br />

haben, ist das auch bekannt. Ich denke, da sollte man sich dann nicht in die eigene<br />

Tasche lügen, son<strong>der</strong>n wir sollten darüber nachdenken. Gerade wenn es um Einbürgerungsdiskussionen<br />

geht, wäre es sinnvoll, dass, wenn man die Anfor<strong>der</strong>ungen aus Hessen<br />

so hört mit 100 Fragen, ich habe 80 % beantworten können, aber bei <strong>der</strong> Kultur habe<br />

ich es das dann nicht geschafft, das ist sehr verdächtig genau. Ich denke, wenn man so<br />

viele Anfor<strong>der</strong>ungen stellt, dann reichen 30 Stunden Orientierungskurs natürlich nicht aus,<br />

weil es ja die Diskussion gibt, ob man dann die Einbürgerungskurse bun<strong>des</strong>weit einführt.<br />

Wir hatten das damals auch schon gesagt, dass Zeit ziemlich kurz ist, und ich denke, da<br />

sollte man gucken. Wenn ich mir den Inhalt <strong>der</strong> Einbürgerungskurse angucke und dann die<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen, die an die Träger gestellt werden. Ich weiß nicht ob man so die ganze freiheitliche,<br />

demokratische Grundordnung, deutsche Geschichte, europäische Geschichte, alle<br />

an<strong>der</strong>en Sachen, Gleichheit von Mann und Frau in 30 Stunden machen könnte. Darüber<br />

sollte wirklich nachgedacht werden.<br />

Es gibt einen Bereich, wo es dann eine direkte Verbindung gibt, die an<strong>der</strong>en haben es<br />

auch, aber hier ganz direkt bei <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lassungserlaubniserteilung. Dort haben wir jetzt<br />

ein Problem, insbeson<strong>der</strong>e bei denjenigen, die neu in das Land aufgrund <strong>der</strong> Familienzusammenführung<br />

zum Beispiel kommen. Aufgrund <strong>der</strong> Zuheirat o<strong>der</strong> aber von denjenigen,<br />

die schon lange hier leben. Damit eine Familienzusammenführung stattfinden kann, muss<br />

<strong>der</strong> hiesige Ehepartner sozusagen für den Lebensunterhalt sorgen, wenn er o<strong>der</strong> sie nicht<br />

deutscher Staatsbürger ist. Aber wenn er nicht deutscher Staatsbürger ist, ich habe ja<br />

schon anfangs gesagt, dass die Arbeitslosigkeit ziemlich hoch ist, ist sozusagen eine Verfestigung<br />

<strong>des</strong> Aufenthaltstitels kaum mehr möglich, weil die Arbeitslosigkeit so hoch ist.<br />

Das war auch früher so. Das hat sich nicht direkt verän<strong>der</strong>t. Aber wenn ich jetzt den neuen<br />

Gesetzestextentwurf o<strong>der</strong> Referentenentwurf lese, da wird noch mal eine Verschärfung


450<br />

vorgenommen, sodass wir jetzt in diesem Bereich ein Problem haben werden. Wir werden<br />

Familienzusammenführungen haben. Die Menschen werden hierher kommen. Die werden<br />

aber große Probleme haben. Um in einen festeren Aufenthaltsstatus zu gelangen, wird es<br />

sehr große Probleme geben. Aufgrund <strong>der</strong> hohen Arbeitslosigkeit. Also es ist sehr wichtig,<br />

bei <strong>der</strong> Evaluation auch be<strong>im</strong> § 9 darüber nachzudenken. Es ist auch wichtig zu diesem<br />

Punkt, das hatten wir damals auch beanstandet, und in dem Sinne ist das auch geän<strong>der</strong>t<br />

worden, § 37, Rückkehroption insbeson<strong>der</strong>e für die Rentnerinnen und Rentner. Auch hier<br />

gibt es, wenn jemand eine Rente bezieht von einem Träger in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik. In <strong>der</strong><br />

Praxis werden diese nicht <strong>im</strong>mer als gleichwertige Renten gesehen. Zum Beispiel eine Witwenrente<br />

wird nicht als eine Rente in dem Sinne, <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> Gesetzes angesehen. In<br />

einigen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n. Nicht überall, auch das ist sehr interessant, und ich denke, darüber<br />

sollten wir auch nachdenken, ob wir in diesem Paragraphen einiges än<strong>der</strong>n könnten.<br />

Die letzten zwei Punkte. § 16: Studierende. Das hat <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>innenminister gestern in<br />

seiner Rede auch gelobt eigentlich, aber ich denke, da gibt es auch einen Kritikpunkt, weil<br />

<strong>der</strong> erste Entwurf § 16 war ja, dass die Studierenden nach ihrem Studium sozusagen zu allen<br />

Bereichen einen Zugang haben sollten, eine, wie das früher hieß, als Arbeitsberechtigung<br />

also, uneingeschränkten Arbeitszugang. Das ist sozusagen <strong>im</strong> Gesetzesverfahren<br />

dann geän<strong>der</strong>t worden, und es ist eine nachrangige Arbeiterlaubnisregelung für Studierende<br />

eingeführt worden, was kontraproduktiv ist. Ich habe einige Fälle sogar in meiner Beratung<br />

gehabt, dass die Studierenden hier studiert haben und <strong>im</strong> Anschluss sogar von den<br />

Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern eingestellt werden sollten, aber die Prozedur kennen<br />

Sie, weil es ja ein nachrangiger Arbeitsmarktzugang ist, muss ja erstmal abgefragt werden<br />

in Berlin, <strong>im</strong> Bund eventuell, EU weit, ausgeschrieben werden.<br />

Also auch dort gibt es, denke ich mal, Problembereiche für die Integration dieser Menschen,<br />

weil sie ja fest davon ausgehen, dass sie in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik leben und arbeiten<br />

wollen und die wir ja auch selber mit unseren Steuermitteln finanziert haben. Die gehen<br />

dann woan<strong>der</strong>s hin. Das ist absurd, denke ich mal, für unser Land. Insofern denke ich, dort<br />

brauchen wir eine Regelung. Letzter Punkt: Die Rolle <strong>der</strong> Migrantenverbände. Natürlich ist<br />

das <strong>im</strong> Gesetz nicht vorgesehen. Das kann auch nicht vorgesehen sein. Aber ich denke, es<br />

ist wichtig. Insbeson<strong>der</strong>e stellen wir fest, bei <strong>der</strong> Migrationserstberatung wäre es sinnvoll,<br />

eine Verknüpfung dieser Dienste auch unbedingt vorzusehen in Zusammenarbeit mit Verbänden,<br />

weil die Verbände den direkten Zugang haben, und ich kann Ihnen sagen, unsere<br />

Lan<strong>des</strong>verbände und Bun<strong>des</strong>verbände haben starken Zulauf von den Erstberatung suchenden<br />

Menschen. Die Leute kommen zu uns. Wir schicken sie zu den Migrationserstberatungstellen.<br />

Eigentlich wäre es sinnvoll, dass man dort eine Kombination, eine Koordination<br />

schafft. Das wäre sehr sehr sinnvoll, weil die Gel<strong>der</strong>, was auch verständlich ist, <strong>im</strong>mer<br />

knapper werden. Also dort sind wir auch bereit, an dieser Konzeption, an dem gesamten<br />

Integrationsprogramm mitzuwirken. Vielen Dank.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Kolat, für Ihre Ausführungen. Ich begrüße zwischendurch noch die<br />

Abgeordnete Frau Köhler ganz herzlich in diesem Kreis, und jetzt ist als nächstes Frau<br />

Professor John dran. Die kenne ich auch schon viele Jahre. Frau John, Sie waren ja auch<br />

Auslän<strong>der</strong>beauftrage in Berlin. Wir haben uns eben gerade ausgetauscht. 22 Jahre lang<br />

von 1981 bis 2003. Also eine wirklich lange Zeit, und ich darf Sie bitten, das Wort zu ergreifen.<br />

4. Frau Prof. John<br />

Herzlichen Dank.<br />

Ich möchte mich konzentrieren, Sie haben schon so unendlich viel gehört, auf die Neuerungen<br />

<strong>im</strong> Gesetz bis auf eine Ausnahme und zwar, das sind die Integrationskurse, die<br />

Aufnahme von Hochqualifizierten und die Aufnahme aus humanitären Gründen und ein<br />

letzter Punkt, Familiennachzug von Deutschen. Ich fange mit den Integrationskursen an.<br />

Das ist aus meiner Sicht wirklich ein Quantensprung, und die Nutzung dieser Integrationskurse<br />

zeigt auch, dass sie angenommen werden. Beson<strong>der</strong>s von denjenigen, die bereits<br />

hier sind. Allerdings auch <strong>des</strong>halb, weil sie für die meisten kostenlos sind. Das ist eine<br />

Verbesserung gegenüber <strong>der</strong> bisherigen Situation in vielen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n, wo Gebühren


451<br />

bezahlt werden mussten. Denn die vielen, die daran teilnehmen mussten, nicht alle, aber<br />

fast alle, leben von Transfermitteln und unter diesen Bedingungen werden Gebühren nicht<br />

erhoben. Das muss man auch einfach wissen.<br />

Ich halte es allerdings für einen Nachteil, den ich für zu korrigieren halte, dass die Neuankommenden,<br />

die verpflichtet sind, die an<strong>der</strong>en sind ja berechtigt, dass sie zwei Jahre Zeit<br />

haben, um sich anzumelden.<br />

Wir sehen, dass nur 1/3 <strong>der</strong>jenigen, die neu ins Land kommen, gleich in diese Kurse geht.<br />

Wir alle wissen, beson<strong>der</strong>s diejenigen, die sich mit didaktischen, also mit Lernerwerbsfragen<br />

befassen, dass es schwer ist, wenn man erstmal zum fließenden Falschsprecher geworden<br />

ist, sich das wie<strong>der</strong> abzutrainieren. Insofern empfehle ich hier eine sehr viel kürzere<br />

Zeit. Hier würde auch ein halbes Jahr ausreichen. Ich komme zur Aufnahme von Hochqualifizierten.<br />

Nun haben viele, die sich in <strong>der</strong> Materie auskennen gesagt: Endlich kriegen<br />

wir auch mal Zuwan<strong>der</strong>er, die qualifizierte Arbeitsplätze o<strong>der</strong> auch unqualifizierte Schaffen<br />

können und nicht nur welche brauchen, die wir <strong>im</strong> Moment gar nicht haben. Aber die Zahlen<br />

sprechen doch eine ganz an<strong>der</strong>e Sprache. Herr Kolat hat das eben schon genannt. Ich<br />

will nur mal sagen, wir befinden uns in diesem Feld, Anwerbung von Hochqualifizierten, in<br />

einer internationalen Wettbewerbssituation, denn viele Län<strong>der</strong> wollen Hochqualifizierte aus<br />

an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n anwerben. Beson<strong>der</strong>s aus solchen Län<strong>der</strong>n, die einen Überschuss an<br />

Qualifizierten haben. Dazu gehört übrigens auch ein Land wie Marokko, ob man es glaubt<br />

o<strong>der</strong> nicht, auch dort werden mehr Absolventen ausgebildet, auf diesem engen Arbeitsmarkt<br />

mit dem geringen Kapital Aufnahme finden.<br />

Und ich hätte gern mal gewusst, sie werden das nicht parat haben, wie viel Studenten<br />

nach abgeschlossenem Studium denn hier nach dieser Kann-Regelung, also § 16, eine<br />

Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis bekommen haben. Ich weiß nur von vielen, die mich<br />

auch angesprochen haben: „Wir gehen hin und kriegen keine Arbeitserlaubnis aufgrund<br />

<strong>der</strong> so genannten Nachrangigkeit.“ § 19, die Anwerbung von Hochqualifizierten mit einem<br />

doppelten, also mit dem doppelten Einkommen <strong>des</strong> sozialversicherungspflichtigen Einkommens,<br />

das sind, glaube ich, <strong>im</strong> Moment 84.000 Euro. Da sind, glaube ich, 900 <strong>im</strong> Jahr<br />

05 eingetroffen. Das ist eine, na dann 2.000, eine Verdoppelung, na wun<strong>der</strong>bar. Aber auch<br />

das ist für ein Land, das Exportweltmeister ist und nun Beziehungen in alle an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong><br />

hat und haben muss, eine viel zu geringe Zahl. Also auch hier würde ich dringend Än<strong>der</strong>ungen<br />

empfehlen. Nämlich mehr Offenheit und vielleicht auch eine Senkung dieses Min<strong>des</strong>tgehaltes,<br />

weil ich glaube, wir müssen diese Pipeline, zu Hochqualifizierten, wir müssen<br />

den Querschnitt erweitern. Wir haben eine Tradition <strong>der</strong> Aufnahme von Menschen aus bildungsfernen<br />

Milieus. Die kommen auch <strong>im</strong>mer noch, wenn auch in geringer Zahl, aber das<br />

sind nach wie vor unsere großen Zuwan<strong>der</strong>ergruppen, während wir die Zuwan<strong>der</strong>ung von<br />

Menschen aus an<strong>der</strong>en Milieus eben nicht haben wie die klassischen Einwan<strong>der</strong>ungslän<strong>der</strong>,<br />

die längst diese Zugangstür breit offen haben, und wenn wir die Pipeline nicht in den<br />

nächsten Jahren wirklich öffnen, stellt sich hier keine Tradition ein. Wan<strong>der</strong>ung hängt mit<br />

Netzwerken zusammen, und unsere Zuwan<strong>der</strong>er haben Netzwerke in ihren Milieus, aber<br />

die Hochqualifizierten haben wir gar nicht da, also gibt es da keine Netzwerke <strong>der</strong> He<strong>im</strong>atlän<strong>der</strong>.<br />

Ich empfehle dringend darüber nachzudenken, um hier mehr Öffnung zu erzielen.<br />

Aufenthalt aus humanitären Gründen, § 25 Absatz 5, wissen Sie, kann erteilt werden, wenn<br />

eine Rückreise aus technischen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Gründen nicht möglich ist. Das ist zu begrüßen.<br />

Das war vorher in dieser Form nicht allgemein verbindlich neben <strong>der</strong> Härtefallregelung, die<br />

ich auch sehr begrüße. Aber es gibt auch hier eine Barriere, über die man nachdenken<br />

muss, und zwar wird bei <strong>der</strong> Erteilung in <strong>der</strong> Regel nach den Ausführungsvorschriften eine<br />

Lebensunterhalssicherung zugrunde gelegt, das sind, glaube ich, die doppelten Hartzsätze<br />

o<strong>der</strong> die Hartzsätze plus Wohnungsmiete. Wenn das nicht vorhanden ist, das steht nicht <strong>im</strong><br />

Gesetz, aber so ist die Praxis, wenn dieses Einkommen nicht vorhanden ist, dann bleiben<br />

die Menschen, die nicht ausreisen können, die man auch nicht abschieben kann, in diesem<br />

Status <strong>der</strong> ihnen keinen Zugang, in <strong>der</strong> Regel, zum Arbeitsmarkt und den Kin<strong>der</strong>n zur Integration<br />

ermöglicht. Was gewinnen wir damit? Wir gewinnen nicht, dass sie gehen, son<strong>der</strong>n<br />

sie bleiben ohne Integrationschance und das ist eine schlechte Alternative. Also ich<br />

empfehle in diesem Punkt, dass man sich durchaus eine Negativbescheinigung <strong>des</strong> Sozialamtes<br />

vorlegen lässt. Das haben wir in manchen Fällen in Berlin gemacht, und dass sie<br />

auch mit einem geringeren Verdienst, mit dem ja viele auch existieren können, hier eine<br />

Aufenthaltserlaubnis bekommen. Man kann sich auch an<strong>der</strong>e Regeln ausdenken. Vielleicht<br />

gibt’s auch mal einen Kombilohn, dann wäre das auch eine Möglichkeit. Aber auf eine best<strong>im</strong>mte<br />

Lohnhöhe zu bestehen, die festgelegt ist und die von den Behörden auch in dieser<br />

Form fast <strong>im</strong>mer durchgesetzt wird, bringt gar nichts. Son<strong>der</strong>n alle sind Verlierer, diejeni-


5. Herr Stöcken<br />

452<br />

gen, die das beantragen, und Deutschland, die deutsche Gesellschaft, <strong>der</strong> deutsche Steuerzahler<br />

ist Verlierer, weil er genau diesen Familien Transfermittel beschert, denn sie erfüllen<br />

nicht diese hohe, relativ hohe, Einkommensgrenze. Sie können sie nicht erfüllen, weil<br />

sie in <strong>der</strong> Regel nicht produktiv genug sind, unqualifiziert, keine Sprachkenntnisse o<strong>der</strong> zu<br />

wenig Sprachkenntnisse vorhanden sind. Also man sollte hier diese Art von Hürden geringer<br />

machen und da pragmatisch rangehen.<br />

Ein letzter Punkt: Familiennachzug zu Deutschen, § 28. Ausländische Ehepartner zu Deutschen<br />

brauchen, also <strong>der</strong> Deutsche, <strong>der</strong> hier nachziehen lässt, egal, ob das jetzt ein Deutscher<br />

ist, <strong>der</strong> eine Philippina heiratet o<strong>der</strong> ob das ein eingebürgerter Türke ist, <strong>der</strong> seine<br />

Frau aus <strong>der</strong> Nähe von Ismir holt, die brauchen nicht nachweisen, dass <strong>der</strong> Lebensunterhalt<br />

gesichert ist. Das halte ich für falsch. Es gibt ja jetzt auch wie<strong>der</strong> 300 Seiten Än<strong>der</strong>ungen<br />

zum Auslän<strong>der</strong>gesetz, Anpassung an europäische Richtlinien, obwohl das da vorgeschlagen<br />

ist. Ich halte es für wichtig, dass wir eine Gleichbehandlung haben. Dass <strong>der</strong> Ehegatte<br />

be<strong>im</strong> Nachzug von Auslän<strong>der</strong>n gleich behandelt wird in dem Punkt Lebensunterhaltssicherung<br />

und zwar aus integrationspolitischen Gründen. Wie wollen Sie denn einen<br />

Anreiz, also Anreiz ist auch <strong>im</strong>mer ein Druck, wie wollen sie denn einen Anreiz aufrechterhalten,<br />

sich um Qualifikation zu bemühen, sich um Arbeit zu bemühen, findig zu sein, sich<br />

ausbilden zu lassen, wenn ich mit 16 schon Deutscher werden kann, gar keine Perspektive<br />

habe. Ich bin dann Deutscher und hole meine Ehefrau aus dem Ausland. Es ist ja alles geregelt.<br />

Es ist ja klar, <strong>der</strong> Sozialstaat ist für diese Menschen verantwortlich. Das halte ich<br />

nicht für eine kluge Integrationspolitik, weil sie keine Motivation haben, sich in die an<strong>der</strong>e<br />

Richtung entwickeln. Wir haben bei je<strong>der</strong> Art von For<strong>der</strong>ung gespürt, dass die gestellte<br />

For<strong>der</strong>ung auch zu einer höheren Motivation führt. Ich will nur ein Beispiel nennen: Als nun<br />

endlich <strong>im</strong> Jahr 2000 Deutschkenntnisse für die Einbürgerung erfor<strong>der</strong>lich waren, waren<br />

schlagartig in <strong>der</strong> Stadt sämtliche Deutschkurse ausgebucht. Also es gab nicht etwa die<br />

Empörung, um Gottes Willen, jetzt werde ist Deutscher und muss auch noch Deutschkenntnisse<br />

nachweisen, son<strong>der</strong>n es war für die Leute eine Selbstverständlichkeit und sie<br />

haben gesagt: Ich bemühe mich. Ich gehe da hin. Also auch diese Gleichstellung, Auslän<strong>der</strong><br />

ziehen nach, egal ob man eine deutsche Staatsbürgerschaft hat o<strong>der</strong> noch Auslän<strong>der</strong><br />

ist. Der Lebensunterhalt sollte gesichert sein. Ja, vielen Dank fürs Zuhören.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Frau John. Dann hören wir jetzt den Herrn Stöcken, den Geschäftsführer<br />

<strong>des</strong> Jobcenters aus Kiel. Bitte Herrn Stöcken. Sie haben jetzt das Wort.<br />

Ja, vielen Dank. „Mit letzter Kraft über die Startlinie“ war glaube ich die Titelzeile letztes<br />

Jahr in <strong>der</strong> Zeit, mit <strong>der</strong> wir <strong>im</strong> SGB II gestartet sind, weil wir noch eine Menge Vorbereitungen<br />

machen mussten, und das ist dann vielleicht auch schon ein Teil <strong>der</strong> Begründung<br />

dafür, warum an vielen Stellen in <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit dem Integrationsamt und den<br />

Regionalkoordinatoren die ein o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Kommune o<strong>der</strong> das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Jobcenter<br />

noch etwas hinten dran ist. Erntehelfer, langzeitarbeitslose Jugendliche, langzeitarbeitslose<br />

ältere Arbeitslose, Ältere über 58. Was hatten wir noch: A2LL, alles Themen, die Sie<br />

vielleicht noch wahrnehmen können, die es den Jobcentern nicht sehr leicht gemacht haben.<br />

Wir hatten in Kiel anfangs ähnlich vor zusagen, da tauchen wir mal bei den Integrationsfragen<br />

ab, und warten, bis da ein bisschen mehr Ruhe eingekehrt ist. Wir haben aber relativ<br />

schnell festgestellt, dass das so nicht funktioniert, weil die erste Sichtung unserer Arbeitlosen<br />

in Kiel ergeben hat, so, wie es schon ausgedrückt wurde, überproportional große Anteile<br />

von Menschen mit Migrationshintergrund, die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen<br />

sind und innerhalb dieser Gruppe relativ große Integrationsprobleme o<strong>der</strong> Kumulation von<br />

Integrationshemmnissen, die nicht einfach so beiseite gestellt werden können. Wie arbeiten<br />

wir <strong>im</strong> SGB II? Im SGB II arbeiten wir neben <strong>der</strong> Grundsicherung o<strong>der</strong> neben <strong>der</strong> Sicherung<br />

<strong>des</strong> Lebensunterhaltes mit dem Instrument <strong>der</strong> Einglie<strong>der</strong>ungsvereinbarung, in <strong>der</strong><br />

wir uns zunächst einmal ein umfassen<strong>des</strong> Bild verschaffen. Auch da haben Sie eine Vorstellung,<br />

wie lange das braucht, ist man einmal den Bestand durchprofilt hat, sozusagen.<br />

Das ist, glaube ich, <strong>der</strong> neue deutsche Begriff dafür. Wir kümmern uns um Ressourcen und<br />

Defizite, die soziale Situation, wie wohnt jemand, wie sind sozialräumliche Zusammenhänge,<br />

wirtschaftliche Lage, Überschuldung spielt eine Rolle. Ein Großteil <strong>der</strong> ehemaligen Sozialhilfeempfänger<br />

gilt als überschuldet, das heißt, sie haben nie eine Chance, wie<strong>der</strong> von


453<br />

diesen Schulden runter zu kommen. Suchtprobleme, beson<strong>der</strong>e Problemlagen, Erziehungsprobleme<br />

in Familien und so weiter und so weiter.<br />

Bei Menschen mit Migrationshintergrund kümmern wir uns dann noch darum: Gibt es<br />

Sprachprobleme? Hier haben Sie, wenn Sie sich vorstellen, um was sich die Kollegen, ehemalige<br />

Sozialamts- und Arbeitsamtsmitarbeiter kümmern sollen. Mit einmal die Frage,<br />

wie stelle ich das fest? Was ist denn A, B, C? Wie kriege ich das raus? Kann ich das <strong>im</strong><br />

Gespräch feststellen? Wie kommen wir dort eigentlich zusammen? Dann geht es darum,<br />

aufgrund dieser Einschätzung erreichbare Ziele zu formulieren. Insofern könnte es sein,<br />

dass ein erreichbares Ziel bei Menschen mit Migrationshintergrund ist, verbessere deine<br />

sprachlichen Möglichkeiten und dass über diesen Weg auch Leute gemeldet sind. Ich gebe<br />

aber Herrn Falk Recht, <strong>der</strong> glaube ich, dazwischen gerufen hat und gesagt hat: „Glaube ich<br />

nicht.“ Ich glaube das nicht, weil es viel einfacher ist, jemanden zuzuweisen. Wenn man<br />

weiß, dass jemand daran arbeiten soll, ist es ganz einfach o<strong>der</strong> viel einfacher, die Teilnahme<br />

anzuregen als ihn sich selbst kümmern zu lassen. Da hat man nur einen Weg<br />

mehr, auf dem möglicherweise <strong>der</strong> eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong> verloren geht, was nicht selten<br />

ist. Wir haben dann festgestellt, dass wir viele Dinge gar nicht können, dass die interkulturelle<br />

Kompetenz <strong>im</strong> Umgang mit den Menschen fehlt und wir gar nicht wissen, wie fangen<br />

wir denn diese Themen insgesamt auf, und haben uns dann doch entschieden, nachdem<br />

wir erst versucht haben abzutauchen, <strong>im</strong> Februar <strong>des</strong> Jahres 2005 einen runden Tisch einzurichten,<br />

indem wir die Träger von Integrationskursen, den Regionalkoordinator <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes<br />

für Migration und Flüchtlinge, die Auslän<strong>der</strong>behörde, unser Referat für Migration<br />

in <strong>der</strong> Stadt Kiel und das Arbeitsamt, alle möglichen Leute zusammengeholt haben, um zu<br />

sehen, wie vernetzen wir eigentlich die Integrationskurse mit unseren Aktivitäten. Hintergrund<br />

war folgende Einschätzung: Die Menschen, die wir bis dahin gesehen hatten, hatten<br />

die Nase voll von Maßnahmen. Die waren schon in <strong>der</strong> Maßnahme und in jener Maßnahme<br />

und es gab nie einen Anknüpfungspunkt. Wie geht’s dann weiter? Gibt es einen<br />

Weg auf den Arbeitsmarkt?<br />

Zweiter Hintergrund ist: Durch das SGB II konkurrieren Langzeitarbeitslose, deutsche Arbeitslose<br />

mit erheblichen Integrationshemmnissen um die Beschäftigungsmöglichkeiten <strong>im</strong><br />

Bereich <strong>der</strong> Geringqualifizierten und verdrängen auch die Migrantinnen und Migranten, die<br />

bisher in diesem Bereich auch gerne mal Angebote wahrgenommen haben. Nun mit einem<br />

Mal gibt es eine ernstzunehmende Konkurrenz, weil wir ja doch erheblichen Druck machen.<br />

Dass Leute Arbeit aufnehmen sollen eben auch in diesem Bereich. Mehr Arbeitplätze<br />

für unser Klientel entstehen nicht, sodass wir dort eine ernsthafte neue Konkurrenzlage<br />

haben. Wir haben uns darüber verständigt, wann es Sinn macht, in Integrationskurse zuzuweisen,<br />

wann es möglicherweise auch Sinn macht, zunächst mal die Familiensituation<br />

so aufzubereiten, dass man dann auch sinnig in ein Integrationskurs zuweisen kann, und<br />

haben zum Beispiel auch auf Anregung dieses runden Tisches bei beson<strong>der</strong>en Problemlagen<br />

Familienmaßnahmen angeboten, die wir zunächst mal mit den Menschen die Familiesituation,<br />

die Situation <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>, ihre Bildungschancen bewegt haben, um dann die Eltern<br />

davon zu überzeugen, dass es jetzt sinnvoll ist, Deutsch zu lernen, damit sie ihre Kin<strong>der</strong><br />

wenigstens verstehen können, wenn sie <strong>im</strong> deutschen Sprachbuch o<strong>der</strong> <strong>im</strong> Lesebuch was<br />

vorlesen sollen o<strong>der</strong> dass sie wenigstens verstehen können, wenn <strong>der</strong> Lehrer/ die Lehrerin<br />

eine Anmerkung macht. Wir haben darüber hinaus, weil wir eben diese Einsichten hatten,<br />

geguckt, kriegen wir es gemeinsam hin, eine Einschätzung über die Lage <strong>des</strong> Arbeitsmarktes<br />

hinzubekommen? Wie kann man eigentlich vermitteln? Was können Dozenten eines Integrationskurses<br />

auch schlüssig den Leuten anbieten? Zu sagen, wie geht es weiter. Wir<br />

haben versucht, Indikatoren für Erfolg und Misserfolg für die Integration am Arbeitsmarkt<br />

auch den Weg zu bringen, sodass auch dort gewusst wird, was wird denn am Arbeitsmarkt<br />

gebraucht, auch <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Geringqualifizierten, und wir haben darum gebeten, dass in<br />

den Integrationskursen auch ein beson<strong>der</strong>er Blick auf bisher erworbene berufliche Qualifikationen<br />

gelegt wird. Denn häufig ist es so, dass berufliche Qualifikationen da sind, von<br />

uns aber nicht richtig eingeschätzt werden, weil sie hier nicht anerkannt werden. Mit diesen<br />

Möglichkeiten, die wir dann aus den Integrationskursen bekommen, können wir weiterarbeiten,<br />

sodass nicht Maßnahmenkarrieren entstehen. Den einen interessiert es nicht, was<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e schon vorgearbeitet hat, und dass wir hier Übergangspunkte organisieren. Wir<br />

wollten auch sicherstellen, dass hier Hinweise über beson<strong>der</strong>e Belastungssituationen bekommen.<br />

Uns ist bekannt aus unserer sozialräumlichen Betrachtung, dass wir an best<strong>im</strong>mten<br />

Orten, und Herr Bürsch hatte das angesprochen in <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Runde, dass wir<br />

<strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>ung, also <strong>der</strong> Bestandsauslän<strong>der</strong> o<strong>der</strong> auch <strong>der</strong> Bestandsspätaussiedler<br />

erhebliche Probleme bekommen. Nämlich überall dort, wo eine Integration dauerhaft<br />

nicht funktioniert und die Kin<strong>der</strong> einfach sagen: Da machen wir nicht mehr mit. Heute


454<br />

war es in <strong>der</strong> Zeitung zu lesen. In irgendeiner Berliner Schule haben sich die Kin<strong>der</strong> entschieden,<br />

nicht mehr mitzumachen. Die Lehrer haben die Segel gestrichen, und solche Situationen<br />

werden wir häufiger wie<strong>der</strong> kriegen. Ich will nicht sagen, dass es wird wie in<br />

Frankreich, aber ich glaube, dass dort ein Grundproblem noch schlummert. 20 Jahre mangeln<strong>des</strong><br />

Kümmern um anständige Integration wird sicherlich nicht innerhalb von 2, 3 Jahren<br />

mit den beiden Instrumenten, Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz und SGB II, zu überwinden sein.<br />

Diese beson<strong>der</strong>en Belastungssituationen waren uns wichtig, weil wir das SGB II nicht nur<br />

als Arbeitsmarktintegration betrachten, son<strong>der</strong>n ähnlich wie es <strong>der</strong> Vorsitzende <strong>der</strong> türkischen<br />

Gemeinde dargestellt hat, als auch ein Gesetz zur Sicherung von Teilhabe und Teilnahme<br />

in dieser Gesellschaft sehen, und auch soziale Integration ist eine Grundvoraussetzung<br />

für eine erfolgreiche Integration am Arbeitsmarkt. Zusammenarbeit bei <strong>der</strong> Verpflichtung<br />

zur Teilnahme an dem Integrationskurs nach § 44a. Hier ist uns was ganz Erstaunliches<br />

passiert. Wir haben von den Frauenverbänden in <strong>der</strong> Stadt den Hinweis bekommen,<br />

zu sagen: „Sprecht doch mal insbeson<strong>der</strong>e die Migrantinnen an“. Und die Frauen haben<br />

das sehr dankbar angenommen. Wir haben denen, die es nicht richtig verstanden haben,<br />

noch mal eine Chance gegeben, in Vorbereitung auf die Verpflichtung, noch mal zu hören,<br />

wozu das gut sein kann, und es war für mich ganz erstaunlich, dass viele Frauen diese<br />

Zuweisung o<strong>der</strong> die Verpflichtung durch die Auslän<strong>der</strong>behörde nutzen, um auch zu Hause<br />

Druck zu machen. Zu sagen: „So jetzt will ich auch, und jetzt mache ich auch mit“. Und,<br />

wenn das dann gar nicht geht, wird auch bei uns das Instrumentarium <strong>der</strong> Kürzung um 10<br />

%, so wie es, jetzt weiß ich es nicht ganz genau, den Absatz, aber verzeihen Sie mir jetzt,<br />

kürzen wir auch schon mal, obwohl wir an <strong>der</strong> Stelle Durchführungen von Sanktionen <strong>im</strong>mer<br />

zur Kenntnis nehmen müssen, dass die, die eigentlich zu treffen sind, nämlich die, die<br />

es verhin<strong>der</strong>n wollen, in <strong>der</strong> Regel diese Kürzung bei ihren Kin<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> ihren Frauen ausgleichen<br />

und die Kürzung sozusagen nahtlos an ihre Familienmitglie<strong>der</strong> weitergeben.<br />

Deswegen ist das Sanktionsinstrumentarium nicht <strong>im</strong>mer eins zu eins anzuwenden, son<strong>der</strong>n<br />

eher dafür zu wer Den o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Wege zu finden, die Menschen mit sanftem Druck<br />

dahin zu kriegen. Weitere Schnittstellen bei <strong>der</strong> Integration sind uns dann aufgefallen. Wir<br />

haben uns auseinan<strong>der</strong>gesetzt, wie kriegen wir es eigentlich hin, dass wir unterstützende,<br />

berufsbezogene Sprachkurse einrichten und nahtlos die Leute abholen. Dann auch an best<strong>im</strong>mten<br />

Stellen weiter arbeiten, möglicherweise auch helfen, dass Leute, die die Qualifikationen<br />

schon erworben haben auf deutsche Verhältnisse anpassen, gucken, was können<br />

sie hier mit diesen Qualifikationen erwarten, hier anfangen und möglicherweise auch die<br />

Bildungsbereitschaft zu erhöhen. Wir wollen gemeinsam mit den Trägern vor Ort die angemessene<br />

Berücksichtigung <strong>der</strong> Mirgantinnen und Migranten bei den Arbeitsmarktmaßnahmen<br />

erreichen, denn das gelingt bun<strong>des</strong>weit nicht <strong>im</strong> ausreichendem Maße, und wir<br />

wollen verbindliche Kooperationsformen hinbekommen. Wichtig erscheint uns, darauf hinzuweisen,<br />

dass wir <strong>im</strong> Moment in einer gesellschaftlichen Entwicklung sind, wo nicht alle,<br />

aber doch Teile, ich sage mal beson<strong>der</strong>n benachteiligter Deutscher, aber auch Migranten,<br />

Nebengesellschaften bilden, indem sie sich sozusagen einlassen auf die Unterstützung<br />

<strong>des</strong> Staates, aber nicht mehr teilnehmen wollen. Und alles unternehmen, um sich sozusagen<br />

aus den Angeboten und Maßnahmen, die wir haben, rauszustehlen. Wir finden, dass<br />

an dieser Stelle erheblicher Bedarf ist, mit sanften Druck auch die ganzen Kooperationspartner<br />

vor Ort, Schulen, Sozialdienste, Jugendämter mit ins Boot zu bekommen, weil es<br />

keine Aufgabe ist, die allein <strong>im</strong> Bereich <strong>der</strong> Migrationssozialberatung und <strong>des</strong> SGB II o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Regionalkoordinatoren erledigt werden kann. Son<strong>der</strong>n wir müssen das auch, und insbeson<strong>der</strong>e<br />

mit Schulen und an<strong>der</strong>en gesellschaftlichen Gruppen hinbekommen. Ich habe<br />

noch ein paar Anfor<strong>der</strong>ungen an die zukünftige Gestaltung <strong>der</strong> Schnittstellen. Ob das gesetzlich<br />

relevant ist, weiß ich nicht. Das müssen Sie sehen. Für uns ist ein wichtiger Punkt,<br />

dass wir Jugendliche, bevor wir sie in<br />

Schulsystemen geben, zunächst mal fit machen, überhaupt den Schulbetrieb folgen zu<br />

können. Die Frustrationstoleranz dieser Menschen ist dann so gering, dass sie teilweise<br />

überhaupt nicht ankommen in diesem Schulsystem und sich sofort heraushalten aus dem<br />

ganzen Unterrichtsgeschehen und wir sie dann als langzeitarbeitslose, junge Menschen<br />

unter 25 erneut ins Arbeitslosengeld II bekommen. Wie <strong>im</strong>mer man das organisieren kann,<br />

halte ich es für erfor<strong>der</strong>lich, dass die jungen Leute eine reelle Startchance in <strong>der</strong> deutschen<br />

Schule haben. Integrationskurse sollten aus unserer Sicht, wenn <strong>im</strong> Einzelfall erfor<strong>der</strong>lich,<br />

individuell angepasst werden können. Es macht keinen Sinn, alle mit 300 Stunden zu versorgen.<br />

Den einen kann man auch mal früher abholen und sagen: Hier können wir mit berufsbezogenen<br />

Sprachkursen weiter machen. An<strong>der</strong>e brauchen es deutlich länger. Ich<br />

weiß auch nicht, wie man das lösen kann <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> eines vorgeschriebenen Budgets<br />

aber hier halte ich diese starre Einschätzung, also 300 Stunden und das ist es, das ma-


6. Herr Huber<br />

455<br />

chen alle, für nicht angemessen. Zwei Mal 300, Entschuldigung. Das Bildungspotenzial<br />

sollte auch besser als bisher erfasst werden. Wir machen die Erfahrung, dass wir Leute in<br />

Maßnahmen o<strong>der</strong> dass Leute in vergangenen Maßnahmen einfach aufgerieben wurden<br />

und dass sie nicht mehr bereit sind, erneut an einer Maßnahme teilzunehmen, ohne dass<br />

sich eine schlüssige Perspektive für sie ergibt. Ich denke, dass wir an <strong>der</strong> Stelle eine<br />

Chance haben, das Bildungspotenzial besser zu erfassen und in <strong>der</strong> Kooperationsform<br />

auch so aufzubringen, dass sich wirklich schlüssige Perspektiven für eine Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Einglie<strong>der</strong>ungschance ergeben. Allerdings muss dazu noch die Wirtschaft anspringen<br />

und diese Leute auch wie<strong>der</strong> aufnehmen. Das ist <strong>im</strong>mer die Voraussetzung. Denn <strong>im</strong> Moment<br />

vermittle ich jemanden und dränge jemand an<strong>der</strong>en raus. Das ist die Wirklichkeit.<br />

Das kann uns auf Dauer auch nicht weiterhelfen. Soweit vielleicht zur Einführung und wenn<br />

ich jetzt irgendwas vergessen habe, beantworte ich anschließend die Fragen. Danke.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Stöcken und dann hören wir jetzt Herrn Huber aus dem bayerischen<br />

Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen. Bitte Herr Huber, Sie<br />

haben das Wort.<br />

Vielen Dank, Herr Dr. Lehnguth. Meine Damen und Herren. Meine Ausführungen zu diesem<br />

Themenkomplex Integration und Gesellschaft <strong>im</strong> Zusammenhang mit <strong>der</strong> <strong>Evaluierung</strong><br />

<strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes wollen wir Ihre Aufmerksamkeit auf die Sicht eines Bun<strong>des</strong>lan<strong>des</strong><br />

lenken. Hier Bayern. Mein ausführliches schriftliches Statement liegt Ihnen vor, sodass ich<br />

mich auf die wesentlichen Punkte in meinem mündlichen Vortrag konzentriere und zwar<br />

hinsichtlich Verän<strong>der</strong>ungsnotwendigkeiten, so wie wir sie sehen in <strong>der</strong> Integrationskursverordnung<br />

und in dem Aufenthaltsgesetz. Ich beginne mit <strong>der</strong> Integrationskursverordnung.<br />

Ersten: Angemessenheit <strong>des</strong> Stundenumfangs. Ich denke und ich glaube fast, dass mir<br />

viele, insbeson<strong>der</strong>e von Trägerseite viele zust<strong>im</strong>men werden, dass wir mit den 600 Stunden<br />

kaum das hohe Ziel B 1 bei einer großen Zahl von Teilnehmern erreichen werden. Ich<br />

möchte <strong>des</strong>halb plädieren für eine Erhöhung auf 900 Stunden und zwar zumin<strong>des</strong>t für einige<br />

<strong>der</strong> uns vor allem wichtigen Zielgruppen, nämlich Jugendliche, junge Menschen… Das<br />

ist ja das schöne an diesem Referat heute, dass ja <strong>im</strong> Gesetz festgelegt ist, dass <strong>der</strong> Bund<br />

die Kosten zahlt, insofern kann ich diese For<strong>der</strong>ungen natürlich sehr gut erheben, aber sie<br />

wird nicht erhoben, um sie nur als For<strong>der</strong>ung raus zu geben, son<strong>der</strong>n weil sie sicher für die<br />

Qualität <strong>der</strong> Maßnahme notwendig ist. Und ich denke, dass wir das neben den Jugendlichen<br />

auch für die Teilnehmer, die Alphabetisierungsbedarf haben, dingend brauchen. Das<br />

führt mich zum zweiten Punkt: Diese Stundenausweitung, sollte sie kommen, müsste für<br />

die Fachsprache genutzt werden, um eben diese bessere Verzahnung Sprache und berufliche<br />

Bildung und Einstieg in die Arbeitswelt zu erreichen.<br />

Herr Dr. Griesbeck sprach ein Modell an, das wir mit Bildungsträgern in Bayern durchführen.<br />

Hier koppeln wir von Anfang an einen Integrationskurs mit einer Berufsbildungsmaßnahme,<br />

das heißt, wir machen von vorn herein eine Maßnahme mit etwa 900 o<strong>der</strong> 1.000<br />

Stunden. Davon entfallen 600 Stunden, wie gehabt, auf den Integrationskurs, ich spare mir<br />

jetzt die 30 Stunden Orientierungskurs. Das gehört dazu, weiß ich. Und die restlichen<br />

Stunden mit den berufsbildenden Elementen werden dann aus ISF- Mitteln finanziert, die<br />

wir vom Freistaat zur Verfügung stellen. Das gibt gute Chancen für diese jungen Menschen,<br />

in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte,<br />

ist die teilnehmerbezogene För<strong>der</strong>ung. Diese teilnehmerbezogene För<strong>der</strong>ung, auch hier<br />

hat es Dr. Griesbeck angesprochen, führt dazu, dass <strong>der</strong> Träger umso eine höhere Kostenerstattung<br />

erhält, je mehr Teilnehmer er <strong>im</strong> Kurs hat, nämlich bis zu 25, und das ist eigentlich<br />

erklärlich, dass man mit 25 Teilnehmern kaum eine hohe Qualität erreichen kann.<br />

Also auch hier, natürlich hat das kostenmäßige Auswirkungen, auch hier das Plädoyer, die<br />

in <strong>der</strong> Integrationskursverordnung festgelegte Teilnehmerhöchstzahl von 25 deutlich zu<br />

senken, auf unter 20 auf alle Fälle. Der nächste Bereich betrifft natürlich die Kostenerstattung<br />

und den Verwaltungsaufwand. Hier möchte ich keine Ausführungen machen. Da fehlen<br />

mir die eigenen Erkenntnisse. Es ist natürlich klar, wenn man diese For<strong>der</strong>ungen insbeson<strong>der</strong>e<br />

auch hinsichtlich <strong>der</strong> teilnehmerbezogenen För<strong>der</strong>ung umsetzt, dass das dann<br />

diese Frage nach <strong>der</strong> Kostenerstattung erneut belebt, und wir haben von Trägern gerade in<br />

den Ballungsgebieten mit den hohen Lebenshaltungskosten <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> die Klagen auf<br />

die zu geringen Kostenerstattung von 2,05 Euro. Folgen sind auch die von mir beklagten


456<br />

Teilnehmerzahlen, und trotzdem wird auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite das Sinken <strong>der</strong> Honorare bei<br />

den Lehrkräften beklagt. Bei<strong>des</strong> führt sicher nicht zu einer Qualitätssteigerung. Ein weiterer<br />

Punkt, <strong>der</strong> die Integrationskursverordnung betrifft, ist das Abschlusszertifikat. Zertifikat<br />

Deutsch, Stufe B 1. Ich halte diese B 1-Stufe als Ziel für richtig. Aber wir sollten hier mehr<br />

Flexibilität zulassen. Wir sollten, wenn <strong>der</strong> Träger am Ende <strong>des</strong> 600-stündigen Kurses feststellt,<br />

<strong>der</strong> Teilnehmer erreicht B 1 nicht aber A 2., wir sollten A 2 zulassen, damit <strong>der</strong> Teilnehmer<br />

einen Erfolg sieht, ein Zertifikat erhält, motiviert wird, weiterzulernen, als dass er<br />

zu B 1 vorgestellt wird, wenn er überhaupt dann hin geht. Wir haben auch Zahlen gelesen<br />

o<strong>der</strong> gehört. Es ist ja ein relativ geringer Teil bisher zu dem Abschlusstest überhaupt erschienen.<br />

Dass man hier die Leute überhaupt nicht zum Test bekommt o<strong>der</strong> aber die<br />

Durchfallquote erhöht. Wir meinen, die Motivation wurde gestärkt, wenn man A 2 zuließe.<br />

Ich möchte hier nicht falsch verstanden werden. Das sind keine ausreichenden Sprachkenntnisse<br />

<strong>im</strong> Sinne gesetzlicher Vorschriften. Das bleibt bei B 1. Aber <strong>der</strong> Erfolg sollte<br />

den Teilnehmern dokumentiert werden. Die Unterschiedlichkeit <strong>der</strong> Trägerlandschaft, auch<br />

das Problem mit <strong>der</strong> Vielzahl von Trägern in größeren Städten mit Konkurrenzkampf und<br />

mit Problemen in ländlichen Gebieten, wo vielleicht keine Struktur von Trägern vorhanden<br />

ist, haben wir gehört, da müsste man sich auch bei <strong>der</strong> Trägerzulassung möglicherweise<br />

Gedanken machen, wie man das verän<strong>der</strong>n kann. Vielleicht auch an <strong>der</strong> Erfolgsquote von<br />

Trägern ausrichten, aber da kann ich eigentlich keine Lösung anbieten.<br />

Lassen Sie mich zum Aufenthaltsgesetz kommen. Im Aufenthaltsgesetz ist ja die Verpflichtung<br />

<strong>der</strong> Teilnehmer angesprochen. Wir haben das auch <strong>des</strong> Öfteren schon gehört. Wir<br />

haben zwei Verpflichtungsmöglichkeiten. Das eine ist bei den hier bereits Lebenden. Das<br />

eine sind die Verpflichtungen <strong>im</strong> Falle beson<strong>der</strong>er Integrationsbedürftigkeit. Auch in Ordnung.<br />

Hört sich wun<strong>der</strong>bar an. Nur es ist wahnsinnig schwer zu vollziehen, ich bin zwar<br />

nicht <strong>im</strong> Auslän<strong>der</strong>amt, aber ich habe ja die Erkenntnisse von unserem Bayerischen Innenministerium,<br />

das sich ja diese Zahlen geben lässt. Von allen Verpflichtungsfällen bayerischer<br />

Auslän<strong>der</strong>behörden waren nur 4 %, wo eine Verpflichtung aus wegen beson<strong>der</strong>er<br />

Integrationsbedürftigkeit erfolgt ist. Das liegt einfach daran, dass die Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

selbst kaum Erkenntnisse haben. Auslän<strong>der</strong> brauchen ja nicht zum Auslän<strong>der</strong>amt zu gehen,<br />

wenn sie ihre Aufenthaltsgenehmigung verlängern lassen. Das kann auch durch Anwälte,<br />

durch Verwandte geschehen. Soziale Einrichtungen melden nicht, wenn sie von Integrationsbedürftigkeit<br />

erfahren. Im Gegenteil. Die sehen ja die Auslän<strong>der</strong>behörden als natürlichen<br />

Feind ihrer Bemühungen, und dementsprechend findet hier keine Kooperation<br />

statt. Man müsste also, nach meinem Dafürhalten, schon darüber nachdenken. Wenn man<br />

diese Verpflichtung für integrationsbedürftige Auslän<strong>der</strong> will, ob man nicht dann auch datenschutzrechtliche<br />

Vorschriften verän<strong>der</strong>n müsste, um Sozialbehörden zu verpflichten,<br />

wenn sie von sprachunkundigen Auslän<strong>der</strong>n erfahren, dass sie die dann auch an das Auslän<strong>der</strong>amt<br />

melden. Ich darf Ihnen für das Lan<strong>des</strong>recht Folgen<strong>des</strong> sagen: Wir haben natürlich<br />

das Problem auch <strong>im</strong> Schulbereich. Wir werden in Kürze das bayerische Erziehungs-<br />

und Unterrichtsgesetz än<strong>der</strong>n und den Schulen erlauben, wenn sie bei Schülern feststellen,<br />

dass die Schüler schlecht deutsch sprechen und man daraus schließen kann, dass<br />

dies vielleicht aufs Elternhaus zurückgeht, dass die Schulen das das Auslän<strong>der</strong>amt zu<br />

melden haben, damit das Auslän<strong>der</strong>amt an die Eltern herantreten kann und sagen kann:<br />

„Kommt mal zu mir, ich möchte mal schauen, wie ihr Deutsch sprecht.“ Sodass wir dann<br />

über diesen Fall, ist aber nur lan<strong>des</strong>rechtlich geregelt, was die Schule betrifft, einen besseren<br />

Ansatzpunkt haben, Verpflichtungen auszusprechen. Die weitere Verpflichtungsmöglichkeit<br />

betrifft die SGB II- Leistungsempfänger. Das haben wir vom Kollegen Stöcken gehört.<br />

Auch hier haben wir in Bayern noch keine allzu guten Erfahrungen mit den Anregungen<br />

<strong>der</strong> Argen, insbeson<strong>der</strong>e in den Großstädten passiert das nicht zu sehr. Das kann aber<br />

auch damit zusammenhängen, was Sie sagten, Herr Griesbeck, dass man zunächst<br />

auf die freiwillige Schiene geht o<strong>der</strong> mit Einglie<strong>der</strong>ungsvereinbarungen über SGB II und<br />

dann von <strong>der</strong> Verpflichtung Auslän<strong>der</strong>recht absieht, aber die Verpflichtung über die SBG II-<br />

Schiene fährt. Jedenfalls sollte man nicht die schlechte Auslastung <strong>der</strong> den Län<strong>der</strong>n zur<br />

Verfügung gestellten Kontingente, für Bayern weiß ich es zumin<strong>des</strong>t so, dass es schlecht<br />

ausgelastet worden ist, zur Last legen und dann quasi einen geringeren Bedarf an Plätzen<br />

den Län<strong>der</strong>n zuweisen. Der Bedarf für Verpflichtungsfälle, für an<strong>der</strong>e Kontingente ist weiterhin<br />

gegeben. Nachzudenken wäre natürlich auch, ob es außerhalb <strong>des</strong> SGB II-Bereichs<br />

natürlich auch bei den SGB III-Leistungsempfängern, Arbeitslosengeldempfängern, schon<br />

frühzeitig eine Hinführung auf den Integrationskurs geben sollte. Damit man einfach die<br />

Zeit <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit, wo keine Vermittlung möglich ist, zum Spracherwerb nützt. Ich<br />

weiß natürlich das SGB III eine an<strong>der</strong>e Leistung ist wie SGB II. Aber dennoch sollte man


457<br />

eigentlich die Zeit nutzen, um eben die Zeit <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit für einen Spracherwerb<br />

herzunehmen.<br />

Thema Fahrtkostenerstattung ist auch ein wichtiger Punkt, <strong>der</strong> mir aufgefallen ist und als<br />

Problem insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Vielzahl <strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaften, die SGB II vollziehen, aufgetreten<br />

ist. Wir wollten eine Regelung erreichen, dass man über die SGB II-Träger die<br />

Fahrtkosten erstattet. Das wird vom zuständigen Bun<strong>des</strong>wirtschafts- und Arbeitsministerium<br />

noch abgelehnt, weil man sagt, <strong>der</strong> Regelsatz <strong>der</strong> SGB II-Leistungen enthält ja schon<br />

Fahrtkosten. Das ist zwar <strong>im</strong> Grunde genommen schon richtig, aber <strong>der</strong> Lebensunterhalt<br />

eines SGB II-Leistungsempfängers ist natürlich nicht darauf abgestellt, dass er tagtäglich<br />

zu einer Kursstätte fahren muss, son<strong>der</strong>n dass <strong>der</strong> Lebensbedarf, wenn er halt einmal in<br />

<strong>der</strong> Woche in die Stadt fährt, und die Kosten <strong>des</strong> öffentlichen Personennahverkehrs sind<br />

halt enorm, sodass man hier eine Regelung auch innerorts braucht und nicht nur die Regelungen,<br />

nach <strong>der</strong> Integrationskursverordnung für die Erstattung durch das Bun<strong>des</strong>amt für<br />

entferntere Kursorte ausreichend ist. Hier bräuchte man zumin<strong>des</strong>t eine einheitliche Empfehlung<br />

an die Argen, dass so etwas zulässig ist, Fahrtkosten zu erstatten, weil es ja auch<br />

in <strong>der</strong>en Interesse liegt, wenn ihr Klientel in einen für sie kostenlosen Sprachkurs geht. Also<br />

das ist wirklich ein schwieriges Terrain, das wir da haben.<br />

Abschließend möchte ich noch einige bayerische Überlegungen zur Än<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes<br />

vortragen, die die Integration betreffen. Wir sind <strong>der</strong> Meinung, dass das <strong>im</strong>mer<br />

wie<strong>der</strong> bekundete För<strong>der</strong>n-und-For<strong>der</strong>n-Prinzip <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz eigentlich noch<br />

zu wenig Beachtung findet. Wir würden dafür eintreten, ins Aufenthaltsgesetz eine Integrationsverpflichtung<br />

für Auslän<strong>der</strong> hineinzuformulieren. Wir würden auch aufenthaltsrechtliche<br />

Sanktionen bei schuldhaftem Nichterreichen <strong>des</strong> Ziels <strong>des</strong> Integrationskurses bzw. bei<br />

Nichtteilnahme anregen, und wir würden eine Angleichung <strong>der</strong> Regelungen <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz<br />

an die <strong>des</strong> SGB II hinsichtlich <strong>der</strong> Kürzung von SGB II-Leistungen anregen,<br />

weil wir auf <strong>der</strong> einen Seite 10 % und auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite bis 30 % gehen können. Das<br />

ist eigentlich auch nicht aufeinan<strong>der</strong> abgest<strong>im</strong>mt. Wir unterstützen nachdrücklich die aus<br />

dem Bun<strong>des</strong>innenministerium mit dem Zweiten Än<strong>der</strong>ungsgesetz zum Aufenthaltsgesetz<br />

beabsichtigten Regelungen Deutsch vor Zuzug, Ehegattennachzug, auch be<strong>im</strong> Ehegattennachzug<br />

von Deutschen. Das betrifft dann die Spätaussiedler, um das Thema von heute<br />

Vormittag ganz kurz noch zu streifen. Wir sind <strong>der</strong> Meinung, dass man die Regelungen <strong>des</strong><br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes nicht dadurch aushebeln kann, dass man sagt: Ja, wenn ein Spätaussiedler<br />

und seine Familienangehörigen nicht Grundkenntnisse in Deutsch haben, dann<br />

können sie über die auslän<strong>der</strong>rechtliche Schiene gleich einreisen, als wenn nichts gewesen<br />

wäre. Wir sind hier <strong>der</strong> Meinung, man müsste Deutsch vor Zuzug for<strong>der</strong>n, auch <strong>im</strong> Interesse<br />

<strong>der</strong> Integration und gerade <strong>im</strong> Interesse <strong>der</strong> Integration. Ich habe sehr positiv aufgenommen,<br />

was Frau John sagte, dass man die allgemeinen Nachzugsvoraussetzungen<br />

nun überdenken sollte. Auch das habe ich in meinem Statement geschrieben. Auch be<strong>im</strong><br />

Familiennachzug von Auslän<strong>der</strong>n zum Deutschen sollte die Lebensunterhaltssicherung <strong>der</strong><br />

Familie aus eigenem Einkommen und eine ausreichende Wohnung zur Voraussetzung<br />

gemacht werden, damit wir nicht von vornherein die Zuwan<strong>der</strong>ung in soziale Systeme haben.<br />

Das betrifft natürlich auch, da müssen wir uns klar sein, die Spätaussiedler, aber das<br />

muss man eigentlich als Vorausleistung nehmen.<br />

Ein letzter Punkt: Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Migrationsberatung. Wir haben neben dem<br />

Grundangebot <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> ja eine eigene Lan<strong>des</strong>för<strong>der</strong>ung für die Migrationsberatung. Wir<br />

haben ein <strong>Rahmen</strong>konzept mit den Wohlfahrtsverbänden erarbeitet, wo die Grundlagen<br />

<strong>der</strong> Migrationsbegleitung erwähnt sind. Lei<strong>der</strong> geht’s halt nicht so schnell mit <strong>der</strong> Umstellung<br />

<strong>der</strong> bisherigen Auslän<strong>der</strong>sozialberatungen und <strong>der</strong> Spätaussiedlerbetreuung in dieses<br />

neue System <strong>der</strong> Migrationsberatung. Das ist keine Angelegenheit <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes.<br />

Das müssen wir selber regeln. Wünschenswert wäre aber, auch das wurde angesprochen,<br />

die frühzeitige Hinführung an die Migrationsberatung und <strong>des</strong>halb sollte man auch<br />

mal darüber nachdenken, ob verpflichtete Auslän<strong>der</strong> hier nicht von den Auslän<strong>der</strong>behörden<br />

an die Migrationsberatung gemeldet werden dürfen, o<strong>der</strong> wenn möglich, auch sollen, damit<br />

frühzeitig <strong>der</strong> Kontakt zur Migrationsberatung hergestellt wird und die Migrationsberatung<br />

frühzeitig ihre Aufgabe <strong>der</strong> Integrationsbegleitung wahrnehmen kann.<br />

Jetzt komme ich zum allerletzten Punkt: Integrationsprogramm. Das Bun<strong>des</strong>amt hat die<br />

Län<strong>der</strong> vor kurzen zu einem ersten Gespräch eingeladen. Wir wirken auch mit an dem jetzigen<br />

Erhebungsbogen, über den, was die Län<strong>der</strong> ergänzend zu den Angeboten <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong><br />

an Sprachför<strong>der</strong>maßnahmen machen. Ich möchte aber aus bayerischer Sicht vor einer<br />

überzogenen Erwartungshaltung warnen, die mit dem Begriff „Programm“ in aller Regel<br />

verbunden sind. Wenn man von „Programm“ redet, dann meint man natürlich, <strong>der</strong> <strong>der</strong> das<br />

Programm aufstellt, zahlt natürlich alles. Ich denke, das kann kein Programm in dem Sinne


7. Frau Rudolph<br />

458<br />

sein, das allein For<strong>der</strong>ungen an den Staat und seine Organe gestellt werden. Nach unserer<br />

Auffassung geht es vielmehr darum, die vielfältigen Angebote, die Bund, Län<strong>der</strong>, Gemeinden<br />

und sonstige Träger zur Verfügung stellen bekannt zu machen und ihnen zum Erfolg<br />

zu verhelfen. Und notwendig ist aus unserer Sicht, dass die Zuwan<strong>der</strong>er selbst diese Angebote<br />

annehmen, sich selbst zur Integration bekennen und eigene Anstrengungen unternehmen,<br />

auch <strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> Spracherwerbs und <strong>der</strong> Integration. Integration ist eben <strong>der</strong><br />

gegenseitige Prozess. Da kann man nicht darauf warten, dass <strong>der</strong> Staat alles tut und <strong>der</strong><br />

Konsument alles n<strong>im</strong>mt.<br />

Soweit meine Ausführungen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Huber, für Ihre Ausführungen. Ich begrüße jetzt noch mal zwischendurch<br />

ganz herzlich den innenpolitischen Sprecher <strong>der</strong> CDU/CSU, Herrn Uhl. Und wir fahren<br />

in <strong>der</strong> Rednerliste fort mit Frau Rudolph, <strong>der</strong> Abteilungsleiterin <strong>im</strong> Einwohner- und Integrationsamt<br />

<strong>der</strong> Stadt Wiesbaden. Frau Rudolph, Sie haben das Wort.<br />

Vielen Dank, Herr Dr. Lehnguth. Meine Damen und Herren. Fast wie bestellt erreichte mich<br />

vor ein paar Tagen ein Anruf einer Sprachkursleiterin mit dem Inhalt: Eine Teilnehmerin<br />

habe sich so sehr über die Verpflichtung gefreut. Jahrelang wollte sie Deutsch lernen und<br />

durfte es nicht. Auch das gibt es. Und ich denke, dieses eine Beispiel belegt sehr anschaulich,<br />

dass mit <strong>der</strong> Verknüpfung <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes mit Vorschriften zur Integrationsför<strong>der</strong>ung<br />

und hier insbeson<strong>der</strong>e mit den Möglichkeiten zur Verpflichtung ein ganz<br />

wichtiger Schritt in die richtige Richtung gelungen ist. Ich möchte <strong>im</strong> Folgenden einiges allerdings<br />

zu <strong>Rahmen</strong>bedingungen sagen, die unserer Meinung nach notwendig sind, um die<br />

Intentionen, die mit diesen Verpflichtungen und diesen Regelungen verbunden sind, auch<br />

zu erreichen. Mein Stichwort ist hier Verzahnung. Es ist heute schon mehrfach genannt<br />

worden, von Herrn Dr. Griesbeck gleich zu Beginn. Ja, wie sehen die <strong>Rahmen</strong>bedingungen<br />

in Wiesbaden aus? Wir haben seit 2001 ein so genanntes Einwohner- und Integrationsamt<br />

eingerichtet und damit eine, vielleicht etwas neuartige o<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>e Organisationsform<br />

in Wiesbaden etabliert. Mit diesem Einwohner- und Integrationsamt wurde einerseits <strong>der</strong><br />

kommunalpolitische Schwerpunkt <strong>der</strong> Integrationsför<strong>der</strong>ung umgesetzt. Es gibt ein gesamtstädtisches<br />

Integrationskonzept. An<strong>der</strong>erseits war aber diese Konzeption dieses Amtes<br />

von Beginn an auch eine Konzeption zur kommunalen Umsetzung <strong>des</strong> auch damals<br />

schon zu erwartenden Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes. Ich möchte daher <strong>im</strong> Folgenden die Konstruktion<br />

dieses Amtes Ihnen kurz darstellen und vor allem erläutern, wie wir die Umsetzung<br />

<strong>der</strong> Integrationskursverordnung in Wiesbaden organisiert haben. Ich habe Ihnen dazu<br />

ein paar Bil<strong>der</strong> mitgebracht. Wir haben also unter dem Dach <strong>des</strong> Einwohner- und Integrationsamtes<br />

neben an<strong>der</strong>en Abteilungen, die in dem Zusammenhang jetzt nicht so wichtig<br />

sind, die Abteilung „Einwohnerwesen“ und „Staatsangehörigkeit“, die Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

und eine neu geschaffene Integrationsabteilung unter einem Dach zusammen geführt.<br />

Darüber hinaus haben wir die Geschäftsstelle <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>beirates in die Integrationsabteilung<br />

integriert. Die Abteilungsleitung, also ich in diesem Fall, nehme in Personalunion<br />

auch die Geschäftsführung <strong>des</strong> Auslän<strong>der</strong>beirates wahr. Eine weitere Beson<strong>der</strong>heit ist die<br />

enge Einbindung <strong>der</strong> Migrationserstberatung. Wir haben die drei freien Träger, Caritasverband<br />

und Arbeiterwohlfahrt und den Jugendmigrationsdienst IB in das Amt integriert, insofern<br />

als dass die Kommune hier Räume und Infrastruktur stellen. Damit ist gerade die sehr<br />

frühzeitige Heranführung, die gerade eben von meinem Vorredner auch angesprochen<br />

worden ist, gegeben, ohne dass wir das jetzt datenmäßig zwar weitergeben, aber da die<br />

räumliche Nähe da ist, läuft die Zusammenarbeit dort sehr gut.<br />

Ich möchte jetzt noch <strong>im</strong> Beson<strong>der</strong>en auf die Aufgaben <strong>der</strong> Integrationsabteilung eingehen.<br />

Nicht auf alle, aber auf die, die hier heute relevant sind. Die Integrationsabteilung n<strong>im</strong>mt<br />

zum einen die allgemeine Beratung zu Sprach- und Integrationskursen wahr. Wir helfen<br />

auch bei <strong>der</strong> Antragsstellung auf Zulassung von Bestandsauslän<strong>der</strong>n. Wir führen in Absprache<br />

mit allen Sprachkursträgern Wiesbadens zentral die Sprachstandstests durch.<br />

Wenn Personen bei uns vorsprechen, um anschließend eine gute Beratung abgeben zu<br />

können und die künftigen Sprachkursteilnehmer direkt in Sprachkurse, in adäquate<br />

Sprachkurse zu vermitteln. Wir arbeiten, kooperieren eben sehr eng mit <strong>der</strong> Migrationserstberatung<br />

bei uns <strong>im</strong> Hause zusammen, ganz klar und eine weitere wichtige Aufgabe<br />

ist die Geschäftsführung eines Netzwerks aller Sprachkursträger. Das wird die folgende


459<br />

Folie sein. Das ist in dem Zusammenhang hier eine ganz zentrale Aufgabe. Und zwar sind<br />

wir <strong>der</strong> Meinung, wenn man zu Sprachkursen verpflichtet, muss es auch möglich sein, dieser<br />

Verpflichtung nachkommen zu können. Adäquate, differenzierte Kursangebote vorfinden<br />

zu können. Wir haben also, wie schon gesagt, jetzt drei Jahre lang, bevor es die Integrationskursverordnung<br />

gab, dieses Netzwerk etabliert mit <strong>der</strong> Zielsetzung, das Sprachkursangebot<br />

in Wiesbaden zu koordinieren, über gemeinsame Standards sich auszutauschen<br />

und sehr am Bedarf orientiert die Sprachkurse zu konstruieren. Das funktioniert erstaunlich<br />

gut. Es ist natürlich eine freiwillige Sache so ein Netzwerk, ganz klar. Es ist <strong>im</strong>mer<br />

ein Geben und Nehmen. Wir übernehmen von kommunaler Seite die Bereitstellung<br />

vieler Informationen, die für die Träger natürlich sehr wichtig sind, um Planungssicherheit<br />

zu haben. Das heißt, Zahlen von Neuzuwan<strong>der</strong>ern, Zahlen von Verpflichteten, Berechtigten<br />

und so weiter. Wir haben darüber hinaus ein aktuelles Informationssystem entwickelt,<br />

in dem uns die Träger alle 14 Tage melden, welche Kurse wo angeboten werden, wo in<br />

Planung sind, sodass wir in unserer Sprachkursberatung <strong>im</strong>mer sehr aktuell die Kursträger<br />

auch bedienen können. Allerdings, als Kommune natürlich neutral, wir sprechen keine<br />

konkreten Empfehlungen aus für einzelne Träger, son<strong>der</strong>n beraten am Bedarf <strong>der</strong> Teilnehmer<br />

orientiert. Also liegt ein Träger <strong>im</strong> Stadtgebiet vor, beispielsweise gibt es Kin<strong>der</strong>betreuung<br />

und so weiter. Wir übernehmen darüber hinaus die Öffentlichkeitsarbeit für das<br />

ganze Thema. Wir haben einen Wegweiser erstellt. Wo gibt es Sprachkurse in Wiesbaden<br />

und so weiter? Sodass wir natürlich ein Stück auf die Träger zugehen, damit das alles so<br />

gut funktioniert. Weitere Mitspieler in diesem Netzwerk: Immer vertreten die Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

natürlich, die Regionalkoordinatoren <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amtes, die Migrationserstberatung,<br />

wie Sie sehen, und die kommunale Arbeitsvermittlung, sodass uns dort <strong>im</strong>mer sehr zeitnah<br />

möglich ist, Schnittstellenprobleme anzusprechen, zu diskutieren und Informationen auszutauschen<br />

und so weiter. Das war in kurzen Zügen die Konstruktion in Wiesbaden, wo ich<br />

als Fazit ziehen kann, dass sich die organisatorische und räumliche Zusammenführung aller<br />

Akteure und auch die zentrale Steuerung <strong>des</strong> Sprachkursangebots durch die neutrale<br />

Instanz <strong>der</strong> Kommune sehr bewährt hat und auch von Seiten <strong>der</strong> Träger anerkannt und<br />

geschätzt wird. Wir haben also ziemlich von Beginn an <strong>des</strong> letzten Jahres ein recht gutes<br />

und ausdifferenziertes Kursangebot sicherstellen können in Wiesbaden und viele <strong>der</strong> Probleme<br />

zumin<strong>des</strong>t mil<strong>der</strong>n können, die auch schon hier vielfach angesprochen worden sind,<br />

wie Konkurrenz unter den Trägern und so weiter. Noch mal zusammenfassend die<br />

Schlussfolgerungen: Wir sind <strong>der</strong> Meinung, dass sich Integrationsför<strong>der</strong>ung eben nicht rein<br />

ordnungsrechtlich umsetzen lässt, dass die Auslän<strong>der</strong>behörden alleine, die auch Adressaten<br />

<strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes in erster Linie sind, mit ihrem ordnungsrechtlichen Aufgabenspektrum,<br />

mit den ihnen zugewiesenen Aufgaben <strong>der</strong> Integrationsför<strong>der</strong>ung, zumin<strong>des</strong>t<br />

möchte ich das für Wiesbaden sagen, hinsichtlich <strong>der</strong> personellen Ausstattung, auch hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Qualifikation <strong>der</strong> Mitarbeiter, eher überfor<strong>der</strong>t sind. Die Verpflichtungen halten<br />

wir, wie eingangs schon erwähnt, für wichtig. Aber auch das ist heute schon gesagt worden.<br />

Die Kontrolle über die wirkliche Teilnahme an einem Integrationskurs von Verpflichteten<br />

ist aufgrund auch einiger aufenthaltsrechtlicher Best<strong>im</strong>mungen für die Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

nicht in allen Fällen zu leisten. Ja noch mal, ich denke, das ist deutlich geworden, dass<br />

wir glauben, eine Verpflichtung setzt auch die Möglichkeit, sie wahr zu nehmen, ihr nachzugehen,<br />

voraus. Also ein hohes Maß an Vernetzung, Steuerung und Beratung ist notwendig,<br />

und wir denken, dass es hierzu zu Organisationsformen kommen muss, die die Grenzen<br />

eben <strong>der</strong> Ordnungsverwaltung auch überschreiten.<br />

Es gibt noch Punkte, die <strong>im</strong> Grunde genommen schon erwähnt worden sind. Zulassungskriterien<br />

für Sprachkursträger stehen Steuerungs- und Vernetzungsbemühungen oft entgegen.<br />

Also es ist am Anfang sehr stark die Tendenz gewesen, viel zu vieler Träger. Es werden<br />

neue zugelassen und eine Differenzierung von Kursen ist dann schwer möglich, wenn<br />

alle um Teilnehmer ringen. Ein zielgruppenorientiertes Sprachkursangebot ist notwendig,<br />

auch das ist schon angesprochen worden, und <strong>der</strong> Begriff fließende Falschsprecher ist<br />

schon gefallen, auch das ist uns aufgefallen, dass viele SGB II-Empfänger langjährig und<br />

systematisch erworbene Sprachkenntnisse haben und diese Personen zusammen zu tun<br />

in Sprachkurse mit Sprachkursteilnehmern, die von null anfangen, scheint nicht sehr sinnvoll<br />

zu sein.<br />

An <strong>der</strong> Stelle möchte ich schließen. Es würde sich wie<strong>der</strong>holen. Es sind viele Details genannt<br />

worden zu den Sprachkursbest<strong>im</strong>mungen <strong>im</strong> Einzelnen. Vielen Dank.<br />

Herr Dr. Lehnguth:


8. Herr Hempel<br />

460<br />

Herzlichen Dank, Frau Rudolph. Ich fand das eindrucksvoll, wie Sie das in Wiesbaden gestalten.<br />

Dann kommt als letzter Herr Hempel dran, <strong>der</strong> Geschäftsführer <strong>der</strong> interkulturellen<br />

Bildung Hamburg e. V. Bitte sehr.<br />

Herr Lehnguth, recht herzlichen Dank. Ich darf kurz sagen, was wir machen: Wir sind <strong>der</strong><br />

Bildungsträger, <strong>der</strong> einmal für die Otto-Benecke-Stiftung <strong>im</strong> Bereich Garantiefonds Hochschule<br />

die Sprachkurse durchführt und zwar für den Einzugsbereich Norddeutschlands,<br />

das heißt, diejenigen die nach Nie<strong>der</strong>sachsen kommen, nach Schleswig-Holstein, nach<br />

Bremen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern, kommen dann zu uns in die Einrichtung<br />

und werden von dem B 1- Niveau, was ja die Zielrichtung ist, weiter qualifiziert auf das so<br />

genannte C 1- Niveau. Das heißt, unsere Aufgabe ist es, den Universitäten dann die besser<br />

Qualifizierten zuzuführen, sodass sie dort auch die Chance haben, entwe<strong>der</strong> ihr Abitur<br />

nachzumachen, eines Studienkollegs, weil das in Deutschland nicht anerkannt wird, o<strong>der</strong><br />

aber die Möglichkeit haben, mit Erfolg dann zu studieren, auch hier sind die Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

erheblich gestiegen. Ein Thema was sicherlich auch wert wäre, untersucht zu werden, was<br />

die Frage <strong>der</strong> Höherqualifizierten und <strong>der</strong> Weiterqualifikation von besser Qualifizierten aus<br />

den Zuwan<strong>der</strong>erkreisen anbelangt. Das Zweite ist, dass wir BAMF- Kurse durchführen unter<br />

an<strong>der</strong>em jetzt auch den ersten Jugendkurs in Hamburg, und dass wir darüber hinaus<br />

dann auch früher den Garantiefond „Schule und Berufsbildung“ in <strong>der</strong> Freien Hansestadt<br />

Hamburg durchgeführt haben und dass daraus ableitend auch meine Bewertung heute<br />

jetzt hier kommen. Genauer bin ich Sprecher Pro-Integration, das heißt wir haben heute<br />

versucht, trotz aller Konkurrenzen die sie hier aufgeschrieben haben, bun<strong>des</strong>weit die Träger<br />

zusammenzuführen und einfach die gemeinsamen Interessen <strong>der</strong> Sprecher zusammenzufassen,<br />

die es natürlich auch gibt und wir haben in einem Verbund die überwiegende<br />

Zahl <strong>der</strong> Träger, die die Sprachkurse bun<strong>des</strong>weit anbieten mit ihrem Kursorten versammelt.<br />

In dem Zusammenhang möchte ich natürlich, das dient ja auch, dass man zum<br />

Anfang, bevor man zur Kritik kommt, sagen, dass natürlich dieses Gesetz auch erhebliche<br />

Vorteile hat und zwar gerade <strong>im</strong> Hinblick darauf, dass es verschiedene Systeme wie es<br />

früher in Garantiefond Schule und Berufsbildung, SGB III- Kurse und Sprachverbandkurse<br />

gab, zusammenzuführen. Entscheidend dabei ist aber, dass man aber auch Auslän<strong>der</strong> und<br />

Aussiedler zusammen führt und damit durch diese heterogene Teilnehmergruppe eine hohe<br />

Motivation bekommt, dann auch tatsächlich Deutsch zu lernen. Wir haben das jetzt festgestellt,<br />

be<strong>im</strong> ersten Anreisen, wo wir in das Hochschulsystem die BAMF- Kursabgänger<br />

aufgenommen haben, die Neigung zu Sprechen überproportional groß ist. Die Angst vor<br />

Fehlern besteht da nicht. Man redet, und dies hat man in den früheren Systemen, wo gleiche<br />

Gruppen waren, die aus gleichen Regionen kamen, also zum Beispiel russischsprachige<br />

Gruppen, in diesem Sinne nicht gehabt. Dass es einheitliche Prüfungsstandards gibt,<br />

ist begrüßungswert. Darüber hinaus ist die Zusammenarbeit, ich mache das hier stichprobenartig,<br />

damit ich als Letzter den Druck nicht zu sehr verspüre, dass die Außenstellenzusammenarbeit,<br />

auch in Hamburg jedenfalls, sehr gut ist. Was wir heute erwarten ist, dass<br />

die Evaluation in Teilen, das hat ja Herr. Dr. Lehnguth zum Anfang zum Ausdruck gebracht,<br />

jetzt vorgenommen wird und dass dann ab Mitte nächsten Jahres die Konsequenzen<br />

daraus gezogen werden sollten. Wer das Haushaltsrecht kennt, weiß, dass es dann<br />

doch ein halbes Jahr später sein dürfte, bevor die konkreten Entscheidungen gefällt werden.<br />

Wir meinen, dass die Zeit reif ist, und es notwendig ist, umgehend best<strong>im</strong>mte Beschlüsse<br />

sofort zu fassen. Vieles ist hier auch schon angesprochen worden. Das Eine ist<br />

die Frage <strong>des</strong> Umfangs <strong>der</strong> 600 Unterrichtsstunden. Wenn sie die Statistik <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>amts,<br />

die sie ja jetzt hier bekommen, freundlicherweise mal durchlesen, werden sie feststellen,<br />

dass nur eine kleine Min<strong>der</strong>heit von circa 15 % den Abschluss B 1 schafft. Dies,<br />

selbst wenn es 20 % wären, muss uns allen Sorge machen. Erstmal fand ich es mutig,<br />

dass <strong>der</strong> Gesetzgeber beziehungsweise <strong>der</strong> Integrationsverordnungsgeber B 1 als Ziel<br />

festgelegt hat. B 1 ist so, dass Sie einfache Standards, Wie<strong>der</strong>holen <strong>der</strong> Sätze, beantworten<br />

und verstehen können. Für Bun<strong>des</strong>tagsabgeordnete <strong>der</strong> Zwischenruf „Hört, Hört“ wäre<br />

gut zu verstehen. Aber wenn natürlich komplexere Sachverhalte da sind, wie Reden jetzt<br />

hier, müssten sie auf das C 1- Niveau kommen, dass heißt, sie müssten schon Sprachstrukturen<br />

erlernen, die weit aus anstrengen<strong>der</strong> sind. Und sie dürfen sich die Treppe A 1, A<br />

2, B 1, B 2, C1, C 2, C2 sind sie alle, natürlich nicht vorstellen als gleiche Treppenstufen,<br />

son<strong>der</strong>n die Treppenstufen sind sehr, sehr unterschiedlich. Also A 1, A 2 gehen sie bei<br />

Goethe be<strong>im</strong> goldenen Schnitt sehr schnell die Treppenstufen hoch. Bei B 1 müssen Sie


461<br />

schon stemmen, und B 1 heißt <strong>im</strong>merhin wenn sie das bestehen, dass sie nur 60 % <strong>der</strong><br />

Fragen richtig beantworten müssen dieses Tests. Bei B 2 und C 1 geht es noch ganz<br />

schön ab in die Höhe mit best<strong>im</strong>mten Strukturen <strong>der</strong> Grammatik, die Sie bei B 1 zum Beispiel<br />

nicht haben. Bei B 1 schreiben sie einen einfachen Brief. Nur das Sie das wissen,<br />

Grammatik wird in <strong>der</strong> Regel gar nicht abgefragt. Das heißt, die Leute sind sprechfähig,<br />

aber wenn sie jetzt ein Schriftstück verfassen sollten, können sie einfachste Briefe und<br />

Sachverhalte darstellen, aber nicht mehr. Ich sage das <strong>des</strong>wegen, damit wir mal realistische<br />

Ziele bekommen, über das was wirklich Ist. Ich weiß auch, dass es Parlamentarier<br />

gibt, die Tagträumen nachjagen und in öffentlichen Veranstaltungen erklären, sie würden C<br />

1 also in 600 Stunden auf jeden Fall schaffen. Große Bewun<strong>der</strong>ung für diese Persönlichkeiten.<br />

Es hat ganz Wenige gegeben, sonst in <strong>der</strong> Geschichte schon, die das geschafft haben.<br />

Aber ich weiß natürlich, dass das Parlament nicht nur repräsentativ son<strong>der</strong>n auch überdurchschnittlich<br />

ist, wenn Sie es schaffen. Wir würden es das in <strong>der</strong> Regel selbst als<br />

Sprachforscher nicht schaffen, also bitte lassen Sie uns einfach sehen, was wirklich realistisch<br />

und was möglich ist. B 1 ist also von dem größten Teil <strong>der</strong> bisher Betroffenen nicht<br />

geschafft worden. Es ist also dieser Einstieg, den wir eigentlich brauchen, und wenn sie<br />

jetzt eine Sprachausbildung machen wollen, also Sie wollen eine weitergehende Ausbildung,<br />

dann brauchen sie Min<strong>im</strong>um B 2, damit sie überhaupt das verstehen, was <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

sagt. Sonst haben sie Situationen, dass <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e zwar nickt, sie meinen er hat Sie<br />

verstanden, er wird strategisch <strong>im</strong>mer „Ja“ sagen. Bei „Nein“ kommt <strong>im</strong>mer die Frage „Warum<br />

nicht?“. Mit „Ja“ sagt man, er hat es ja verstanden, und damit kommt man aus <strong>der</strong> Situation<br />

heraus. Je<strong>der</strong> von Ihnen <strong>der</strong> mal <strong>im</strong> Ausland war und <strong>der</strong> seine Englischkenntnis<br />

überprüft, weiß, dass das gar nicht so eine schlechte Strategie ist. Die Grundlagen <strong>der</strong><br />

Deutschen, also die Lernungewohnten müssen min<strong>des</strong>tens 900 Stunden haben in <strong>der</strong><br />

Richtung. Das ist Min<strong>im</strong>um. Und das haben wir vorher auch schon gesagt. Es tut mir <strong>im</strong>mer<br />

so leid, wenn man <strong>im</strong>mer so viel Anhörverfahren hat, die aber <strong>im</strong>mer so folgenlos sind.<br />

Schon weit vorher ist dies erklärt worden und wir sehen jetzt, dass das Ergebnis gerechtfertigt<br />

ist. Lei<strong>der</strong>. Bedauern tue ich in dem Zusammenhang außerordentlich, dass die so<br />

genannten Jugendkurse zwar Garantiefonds, Hochschule, die 1.200 Stunden hatten, übertragen<br />

worden sind, ich glaube mit fast 23 Millionen Euro und nun zum Bun<strong>des</strong>amt, dass<br />

es ganz wenige Jugendkurse gibt, die aber auch nicht spezifisch sind, auch sonst nur 600<br />

Stunden beinhalten, weil gerade für Jugendliche <strong>der</strong> Einstieg um so notwendiger ist, damit<br />

sie überhaupt dann alle ihre Pläne, die sie theoretisch jetzt hier überhaupt entwickeln wollen,<br />

überhaupt hier auch realistisch gestalten können. Deswegen halte ich dies für einen<br />

außerordentlichen Mangel und die Statistik weist das ja aus, dass es erstens gar keinen<br />

spezifischen Jugendkurs gibt, die zum Beispiel fachsprachlich vorbereiten. Zum Beispiel<br />

sieht das konkret aus. Ich soll ja aus <strong>der</strong> Praxis berichten. Kaufmännische o<strong>der</strong> gewerbliche<br />

o<strong>der</strong> zum Beispiel auch soziale Berufe. Den Wortschatz können Sie gleich mit aufnehmen.<br />

Die Grammatikstrukturen können Sie auch damit vermitteln, aber Sie können<br />

gleichzeitig spezifiziert gleich die Gruppen vorbereiten. Das setzt aber voraus, dass sie überhaupt<br />

eine große Anzahl haben, damit sie spezifiziert die Differenzierung vornehmen<br />

können. Wenn sie natürlich sagen, entscheiden<strong>des</strong> Kriterium ist <strong>der</strong> Sprachkurs um die<br />

Ecke ist. Ich gehe nicht weit und, das entspricht auch <strong>der</strong> Mentalität von höchstqualifizierten<br />

aus osteuropäischen Län<strong>der</strong>n, selbst Ärzten und An<strong>der</strong>en. Dann werden sie solche<br />

Strukturen nicht durchführen können. Denn die Teilnehmer werden einfach einen undifferenzierten<br />

Kurs vornehmen den ja schon Social Consult vor 2 Legislaturperioden, ich spreche<br />

extra ein bisschen parlamentarisch, schon kritisiert hat und gesagt hat: Das müsste<br />

sich eigentlich verän<strong>der</strong>n. Verän<strong>der</strong>t hat dieses Gesetz jedenfalls diesen Bereich lei<strong>der</strong><br />

nicht.<br />

Das Zweite: Die Grundlagen <strong>der</strong> deutschen Gesellschaftsthemen Rechtsordnung, Kultur,<br />

Geschichte, Werte <strong>des</strong> demokratischen Staatswesens und so weiter, ich brauche das nicht<br />

zu wie<strong>der</strong>holen, soll <strong>der</strong> Orientierungskurs schaffen. Überlegen sie mal, auf diesem<br />

Sprachniveau. Was kommen da für Vorschläge? Sie sollen dann auch noch gleichzeitig die<br />

Frage <strong>der</strong> Gewaltenteilung vermitteln. Sie haben es zum Teil mit Personen zu tun, die das<br />

parlamentarische System ihres He<strong>im</strong>atlan<strong>des</strong> nicht mal verstanden haben, geschweige<br />

denn <strong>des</strong> Fremden. Was heißt Gewaltenteilung? Ich mache seit über 20 Jahren politische<br />

Bildung auch für Lehrer und auch für An<strong>der</strong>e. Ich kann ihnen sagen, selbst da gibt es<br />

manchmal Schwierigkeiten. Es sollte Parlamentarier geben, die das Haushaltsrecht noch<br />

nicht richtig verstanden haben, was es eigentlich heißt, welche Ermächtigung, verstehen<br />

Sie? Das ist einfach realistisch, und Sie erwarten hier Dinge, die <strong>der</strong> Einzelne gar nicht<br />

schaffen kann. Das heißt, ich bin <strong>der</strong> Auffassung, dass in vielen Lehrwerken, sie werden<br />

das ja in meiner Stellungnahme auch sehen, schon viele <strong>der</strong> Wortschatzelemente drin


462<br />

sind, die wir dann auch vorbereitend vornehmen können, dass auch <strong>der</strong> Orientierungskurs<br />

<strong>des</strong>wegen bei den Sprachkursträgern bleiben sollte, damit das entsprechend vorbereitet<br />

werden kann während <strong>der</strong> gesamten Kursphase, von <strong>der</strong> ich ausgehe, dass die verlängert<br />

werden muss.<br />

Das Zweite. Kurzbemerkung. Vorhin gab es die Diskussion über die Aussiedler. Ich denke<br />

mir, Sie müssen und können nicht tausend Systeme schaffen, nur weil Bund und Län<strong>der</strong><br />

und Gemeinden und die Einen und die An<strong>der</strong>en sich nicht verständigen, wer die Finanzierung<br />

übern<strong>im</strong>mt. Das war ja <strong>der</strong> große Schritt, dass <strong>der</strong> Bund jetzt gesagt hat: Wir nehmen<br />

jetzt allein das Geld in die Hand und werden die 600 Stunden durchführen. Im Gegensatz<br />

zu <strong>der</strong> Vordiskussion, die ich fast unwürdig fand gegenüber dem Klientel <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>er<br />

insgesamt. Sie werden aber <strong>des</strong>wegen, auch wenn Systeme schon funktionieren, auch<br />

wegen <strong>der</strong> zurückgehenden Zahl, auch an<strong>der</strong>e Personenkreise wie jetzt Aussiedler in dieses<br />

System, die vielleicht schon längere Zeit hier sind, aber nicht berechtigt sind, mit aufnehmen<br />

müssen. Ich weiß um die Schwierigkeiten <strong>der</strong> Erstattung. Die Schwierigkeiten sind<br />

leicht zu beschreiben. Ich sage Ihnen aber die Alternativen wären, dass diese Systeme<br />

<strong>im</strong>mer mehr ausdünnen, die Zahlen haben wir heute morgen gehört und man in <strong>der</strong> Regel<br />

dann effektiv auch differenziertere Bildungsangebote nicht vornehmen kann. Die Sprachkenntnisse<br />

und Lernbiographien sollten in Zukunft eher bezahlt werden, dafür dass die Beratungen<br />

<strong>der</strong> Träger <strong>im</strong>mens sind. Da komm ich jetzt auf das, was Sie sicherlich von mir<br />

erwarten, dass ich auch über das Geld rede, aber dies ist nicht <strong>der</strong> Vorrang, son<strong>der</strong>n die<br />

Beratung <strong>der</strong> Teilnehmer ist, auch schon wenn sie kommen, so intensiv , nicht nur <strong>der</strong><br />

Test, dass eine halbe Stunde nichts ist. Und die Auslän<strong>der</strong>behörden haben selbst gesagt,<br />

sie brauchen zum Teil 1 bis 2 Stunden um mit den Teilnehmern überhaupt zu kommunizieren.<br />

Meinen Sie be<strong>im</strong> Sprachkursträger können sie auf einmal besser Deutsch, das sie<br />

vorher gar nicht können? Nein, das können sie nicht. Und hier werden die meisten Anträge<br />

auch gestellt. Hier werden sie weitergegeben. Die Träger haben natürlich ein existenzielles<br />

Interesse, das zu tun. Warum? Weil sie einfach Angst um ihren Arbeitsplatz haben. Verstehen<br />

Sie? Deswegen müssen sie sich bewegen. Sie müssen versuchen, diese Leute<br />

dann auch zu halten, um dann einfach diese Kurse entsprechend durchführen zu können.<br />

Das heißt, auch die Größe <strong>der</strong> Lerngruppe ist angesprochen worden. Herr Huber, ich<br />

möchte Sie in Pro-Integration mit in ihrem Ministerium aufnehmen. Ich kann Ihnen nur folgen<br />

mit Ihren Formulierungen, dass die Größe so, wie sie jetzt ist, einfach zu groß ist.<br />

Das Nächste ist die sozialpädagogische Beratung und Betreuung. Man muss den Kopf frei<br />

haben, um zu lernen. Früher haben wir halbe Stellen noch be<strong>im</strong> Garantiefond, auch bei<br />

den SGB II-Kursen Min<strong>im</strong>um gehabt an Sozialpädagogen, auch gerade bei Jüngeren. Damit<br />

Probleme, die die Teilnehmer ja, wenn sie zeitnah kommen, haben. Sie haben ja kein<br />

Verständnis, was wirklich kommt. Sie bekommen Briefe, von denen sie gar nicht wissen,<br />

was für Folgen das hat. Verstehen Sie ihre eigenen Briefe manchmal bürokratisch? Ich sehe<br />

Sie fragend an. Ich habe ja vorhin zu gehört heute Morgen. Ich war ja in einer an<strong>der</strong>en<br />

Welt. Paragraph sowieso, Paragraph sowieso. Müssen sie eben verstehen, sind ja jetzt in<br />

Deutschland. Die Deutschen verstehen es ja selber nicht mal. Wie Helmut Schmidt, den<br />

darf ich jetzt zitieren in diesem Hause, hat ja als Bun<strong>des</strong>kanzler damals gesagt: „Ich verstehe<br />

meine eigene Stromrechnung nicht.“ Sie verstehen das. Sehen Sie, es gibt auch<br />

<strong>im</strong>mer Ausnahmen die tragende Säulen sind. Der Bürokratieabbau ist das Wichtigere und<br />

die Bun<strong>des</strong>regierung hat gesagt, sie möchte Bürokratie abbauen. Ein wesentlicher Punkt.<br />

Hier können Sie gleich beginnen. Wir können gleich auf Nachfrage sagen, wo. Ich kenne<br />

kein Sprachkurssystem, was so bürokratisch überfrachtet ist wie dieses. Über 600 Seiten<br />

Kopien müssen erstellt werden, damit man das macht, und wir haben, wenn man das sieht,<br />

bei 100 Stunden Unterricht min<strong>des</strong>tens für 20 Teilnehmer 15 Stunden Beratung und Verwaltungsaufwand.<br />

Ein Unding. Wir bekommen aber für die Gesamtzeit die exorbitante<br />

Summe, bitte halten Sie sich jetzt fest und nicht abheben, 7 Euro für die 630 Stunden. 7<br />

Euro als Verwaltungsaufwand. Und hier komme ich jetzt auf den Preis: 2,05 Euro. Da gibt<br />

es ja kühnste Thesen. Da wurde mir mal gesagt: Mensch, die verdienen sich ja tot und irre.<br />

Dann lade ich Sie ein, übernehmen Sie gleich die Kurse und machen Sie mit.<br />

Es ist so, dass <strong>der</strong> Aufwand für Lehrkräfte, Räume, Ausstattung, Reinigung, Kopien und so<br />

weiter von diesem gesamten System, die Werbung und an<strong>der</strong>es auch bezahlt werden<br />

muss. Und wenn Sie ein ernstzunehmen<strong>der</strong> Träger sind, dann machen Sie das nämlich<br />

nicht so, dass Sie sagen: Jetzt sind mir zu wenig Leute da, ich breche den Kurs ab. Denn<br />

Sie stehen in <strong>der</strong> Verantwortung gegenüber denjenigen, die bereit sind von Anfang bis Ende<br />

diesen Kurs durchzuführen. Sie werden und das hab ich auch schon mal gemacht, zulassen,<br />

dass manchmal 13 Leute da sind. Dass sie nämlich sagen: Ich möchte nicht, dass<br />

junge Leute abbrechen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e nicht zu Ende kommen, weil ein paar Leute fehlen.


9. Diskussion<br />

463<br />

Was ist das auch für ein System? Wenn auf <strong>der</strong> Nordseeinsel zwei Schüler weg ziehen,<br />

sagen Sie ja auch nicht: Der Unterricht muss wie<strong>der</strong> warten, bis zwei weitere dazu kommen.<br />

Das ist auch keine Struktur. Wenn Sie den Bereich ernst nehmen, wenn Sie wirklich<br />

das ernst nehmen und die Vorfälle hier in Berlin zeigen, dass wir manches ernster nehmen<br />

sollten, als wir es bisher getan haben. Dann müssen Sie das so ausstatten, dass man, was<br />

man beginnt, auch beendet. Damit man vom För<strong>der</strong>n und For<strong>der</strong>n auch reden kann.<br />

Und das Letzte: Frage Personalkosten. Das ist natürlich verheerend, was da passiert ist.<br />

Wir haben vor Einführung <strong>der</strong> Richtlinien, ich sag auch vor dem Bun<strong>des</strong>innenministerium<br />

wie auch <strong>der</strong> nachgeordneten Behörde o<strong>der</strong> besser <strong>der</strong> nachgeordneten Behörde, wie<br />

auch dem Bun<strong>des</strong>innenministerium, gesagt, dass das zu verheerende Konsequenzen für<br />

das Personal führen wird, weil es gar nicht an<strong>der</strong>s finanzierbar ist. Wir hatten vorher, fest<br />

Beschäftigte, und ich rede nicht über an<strong>der</strong>e, ich kann auch bei mir nur reden, wir können<br />

den Leuten jetzt noch 18 Euro geben in diesen Bereich und sind schon eigentlich <strong>im</strong>mer<br />

am Null-Null-Punkt gegeben. Obwohl wir auch schon günstige Räume haben. Es gibt aber<br />

Träger, große Träger, <strong>der</strong>en Namen ich hier nicht nennen will, die haben Tarifverträge über<br />

11,50 Euro. Für qualifiziertes Personal mit Studien plus Zusatzausbildung Deutsch für Auslän<strong>der</strong>.<br />

Es ist bei uns, bei denen zum Teil nicht. Sie können heute nämlich auch durch die<br />

Lücken, will ich mal sagen, o<strong>der</strong> Öffnung, können Sie positiver formulieren, Leute mit aufnehmen<br />

in diesen Bereich, die überhaupt nichts mit Sprache zu tun hatten und dann durch<br />

eine Weiterqualifikation bis 2009 140 Stunden machen müssen und, dann haben sie das<br />

gleiche Recht wie an<strong>der</strong>e auch, die eine hohe und gute Ausbildung haben. Damit sichern<br />

sie auf Dauer keine Qualität. Und das Überangebot, statistisch kommen 2005 auf einen<br />

Träger 55 Schüler, kann ja gar keine Differenzierung sichern. Sie müssen sich was auflegen.<br />

Ich will das hier nicht ausführen an <strong>der</strong> Stelle. Dies soll untersucht werden. Nur die<br />

Daten sind nicht <strong>im</strong> Bereich <strong>des</strong> Untersuchten, die Fakten stehen jetzt schon fest. Wir<br />

müssen nicht die Untersuchung haben. Der Jugendkurs und an<strong>der</strong>es wurde ja schon avisiert,<br />

wird bald kommen. Und als wir gefragt haben, wurde gesagt, wir werden das zu Beginn<br />

auch gleich einführen. Die Tatsachen sind an<strong>der</strong>e. Wir haben keine spezifischen Jugendkurse.<br />

Wir haben auch dies in dem Zusammenhang nicht. Ich denke mir, dass das<br />

vielleicht Ansatz gibt hier, das System auch unter an<strong>der</strong>em Blickwinkel zu sehen und ich<br />

bedanke mich für den Langmut.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Hempel. Der Langmut ist natürlich auch mal zu Ende. Also ich wollte<br />

darauf hinweisen, was Frau John eben gesagt hat, dass wir das auch noch akribisch untersuchen<br />

durch eine Firma Ramboll Management. Das werden Sie wahrscheinlich schon<br />

gehört haben.<br />

Herr Hempel:<br />

Das hab ich auch gesagt!<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Und die untersuchen das akribisch. Die werden mit jedem Träger sprechen und auch die<br />

Preise, das Preisleistungsverhältnis, sodass wir da noch ganz genaue Zahlen kriegen. Wir<br />

haben natürlich auch mit vielen an<strong>der</strong>en Trägern gesprochen. Ich will nur darauf hinweisen.<br />

Ich will jetzt aber auch keine Bewertung abgeben, son<strong>der</strong>n wir kommen jetzt in die<br />

Fragestunde und es können jetzt Fragen gestellt werden. Ich bitte um Fragestellung, bitte<br />

schön!<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herr Griesbeck wollte was richtig stellen?<br />

Herr Griesbeck:<br />

Ich wollte kurz ergänzen, weil das ist ja das Thema, was uns seit vier Jahren schon beschäftigt,<br />

ich wollte doch noch einiges dazu sagen, weil das Vorbringen sich eigentlich<br />

nicht geän<strong>der</strong>t hat seit vor vier Jahren. Sie haben auch auf Social Consult und auf die ganzen<br />

Gutachten hingewiesen. Wir haben jetzt ein Jahr hinter uns, und man sollte dann doch<br />

die Probleme o<strong>der</strong> auch die Opt<strong>im</strong>ierungsbedarfe differenziert betrachten. Es ist nicht alles<br />

so eingetreten, wie es vor 4 Jahren gesagt wurde, und es gibt natürlich nach wie vor Opti-


464<br />

mierungsbedarfe. Es ist allerdings, und da macht sich fest o<strong>der</strong> das ist die erste Bemerkung,<br />

es ist eben nicht so, dass nur 10 o<strong>der</strong> 15 % B 1 schaffen. Son<strong>der</strong>n wir haben natürlich<br />

nur 115.000, wir haben 115.000 Teilnehmer in den Kursen gehabt und wir haben Abschlüsse<br />

gehabt von 17.000. Aber nicht diese beiden Zahlen sind in Relation zu setzen,<br />

son<strong>der</strong>n eben die Zahl <strong>der</strong>jenigen, die zum Jahreswechsel bereits den Kurs hinter sich hatten<br />

und das waren 28.898. Das heißt, es sind 17.482 angetreten von 28.000 und davon…<br />

Name unbekannt:<br />

10 % werden aber gar nicht gemeldet.<br />

Herr Griesbeck:<br />

Nein, wenn 28.000 abgeschlossen haben und 17.000 haben sich den Test unterzogen,<br />

dann werden in <strong>der</strong> Tat 9.000 nicht gemeldet, weil diese erst abwarten wollen, bis sie ihre<br />

eigene Sprachkompetenz so weit haben, dass sie in einen kostenlosen Test reingehen<br />

können. Man kann sich drüber unterhalten, ob 50 % viel o<strong>der</strong> wenig sind. In <strong>der</strong> Tat ist es<br />

allerdings so, und wir sagen ja auch, es handelt sich um ein Grundangebot. Es kann Leute<br />

geben, die nicht B 1 schaffen. Und da ist es unser gemeinsames Anliegen, und es ist auf<br />

dieser Seite <strong>des</strong> Tisches mit Sicherheit deutlich geworden, dass wir die Angebote, die es<br />

staatlicherseits gibt, mit einan<strong>der</strong> verknüpfen, dass man auch den Jugendlichen beispielsweise<br />

die Möglichkeit gibt, wenn sie nicht mit B 1 rauskommen, dass sie <strong>im</strong> Zuge dieser<br />

Maßnahmen, die gefor<strong>der</strong>t sind, dass sie da auch auf einen guten Sprachkompetenzstand<br />

kommen. Gleiches gilt für solche, die man identifiziert hat. Da kann man auch noch weiterkommen<br />

mit berufspezifischen Sprachkursen. Wir ziehen ja alle am selben Strang. Was<br />

gefor<strong>der</strong>t ist, ist die Kreativität, was man koppeln kann. Bei den Jugendkursen, um das<br />

noch mal als Anknüpfungspunkt zu nehmen, ist es so, dass wir uns <strong>im</strong> ersten Jahr konzentriert<br />

haben auf die Implementierung <strong>der</strong> allgemeinen Kurse und dass es gleichwohl,<br />

wenn auch nicht so hohem Maße, zielgruppenspezifische Kurse gegeben hat. Da werden<br />

jetzt ganz beson<strong>der</strong>e Konzepte entwickelt. Aber natürlich hat ein je<strong>der</strong> Träger, <strong>der</strong> gesagt<br />

hat, ich biete Jugendkurse an, sich auch zulassen können für Jugendintegrationskurse und<br />

die auch anbieten können. Wir haben allerdings gemerkt, bei den über 22-jährigen ist das<br />

Interesse gar nicht so groß. Also, man wird sehr stark, da sind wir mit den Trägern <strong>im</strong> Gespräch,<br />

auf die Zielgruppe 16 bis 22 gehen müssen. Aber soviel vielleicht.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Danke Herr Griesbeck. Herr Grindel bitte.<br />

Herr Grindel:<br />

Ich habe eine Frage an Herrn Griesbeck. Ich glaube, dass das, was wir hier aus Wiesbaden<br />

gehört haben, war wirklich eindrucksvoll, weil doch eine ganze Reihe von Problemen,<br />

die mir so begegnet sind, bei Gesprächen mit Kursträgern da gelöst scheinen. Nämlich<br />

insbeson<strong>der</strong>e die Frage: Warum haben wir so viele, die berechtigt sind, Kurse anzufangen,<br />

aber dann so relativ wenige, die das dann tatsächlich auch machen? Das heißt, <strong>der</strong> Zwischenraum<br />

bis ein Kurs beginnt, ist hier, wenn sie so eng verzahnt sind, die Verzahnung ist<br />

ja hier mehrfach gefragt worden, natürlich gelöst, das Problem.<br />

Meine Frage wäre an Sie: Solche Netzwerke wie wir sie da in Wiesbaden haben, gibt es da<br />

Hinweise an den Gesetzgeber, wie wir das verpflichtend machen können und umgekehrt?<br />

Herr Hempel, müssten nicht die Kursträger in <strong>der</strong> Tat dieses aus finanziellen Gründen verständliche<br />

Verhalten, erstmal wie so eine Glucke auf ihren Teilnehmer, die sich da gemeldet<br />

haben, zu sitzen. Aber mit <strong>der</strong> Konsequenz, dass ist eben einige Wochen dauert bis da<br />

ein Kurs anfängt, während nebenan, ein paar Straßen weiter, nur noch Drei fehlen für einen<br />

Kurs. Also die Bereitschaft, auch Leute abzugeben und hier, wie gesagt, zu einer Verzahnung<br />

so zu kommen, dass wir eben auch schnellere Phasen haben, wo Kurse beginnen<br />

und man zusammenarbeitet. Müsste das nicht von den Kursträgern auch geleistet<br />

werden? Das wäre die Frage: Gibt es vielleicht sogar an den Gesetzgeber den Hinweis,<br />

dass wir das verordnen, und mich würde, Herrn Stöcken, interessieren, auch aus Gesprächen<br />

mit Kollegen von Ihnen, was tut die Arbeitsverwaltung, um präziser zu informieren, ihre<br />

Klientel und selber informiert zu sein über die Angebote von Kursträgern? Ich höre <strong>im</strong>mer<br />

wie<strong>der</strong> aus den Arbeitsverwaltungen, dass sie einfach zu wenig wissen, wo Kurse<br />

stattfinden, zu welchem Zeitpunkt sie stattfinden, ob es spezialisierte Kurse sind mit Angeboten<br />

<strong>im</strong> Bereich Alphabetisierung o<strong>der</strong> Jugendkurse und so etwas. Was tut die Arbeitsverwaltung<br />

dafür, einfach den Kenntnisstand zu verbessern und hier auch besser beraten<br />

zu können?


465<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank, Herr Grindel. Dann Herr Veit, Sie hatten sich gemeldet. Ich will erstmal drei<br />

Fragen sammeln. Wie <strong>im</strong>mer. Frau von Heinz, Sie kommen auch gleich dran.<br />

Herr MdB Veit:<br />

Frau Prof John, ich möchte zunächst Sie etwas fragen. Ich sehe einen Wi<strong>der</strong>spruch in Ihrer<br />

Einschätzung, die ich in soweit teilen würde. Das war in dem Bereich 25 Absatz 5 bei <strong>der</strong><br />

Definition Lebensunterhaltssicherung ein wenig großzügiger sein sollte und auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite zu sagen, bei die denjenigen bei Familiennachzug, Ehegattennachzug zu Deutschen,<br />

so habe ich es verstanden, bin ich eher bereit willens in <strong>der</strong> Lage, mehr zu for<strong>der</strong>n.<br />

Das ist die eine Frage. Dann habe ich zwei Fragen an Herrn Dr. Griesbeck. Und zwar auch<br />

anhand Ihres Papiers. Dort führen Sie auf Seite 2, das ist auch die Zahl, die mir bisher geläufig<br />

war aus, dass von den so genannten Bestandsauslän<strong>der</strong>n 18.330 verpflichtet worden<br />

sind, wohingegen es dann auf Seite 8 heißt, es seien nur 7.945 gewesen. Die Zahlendifferenz,<br />

o<strong>der</strong> wie sich das erklärt, können Sie mir vielleicht noch sagen. Und die zweite<br />

Frage an Sie geht dahin o<strong>der</strong> vielleicht auch an an<strong>der</strong>e, soweit sie Erfahrung haben. Wir<br />

sind ja mal bei <strong>der</strong> Einführung <strong>der</strong> Sprachkurse und <strong>des</strong> Orientierungskurses davon ausgegangen,<br />

wir als Bund zahlen dieses. Aber die Kin<strong>der</strong>betreuung und sozialpädagogische<br />

Betreuung, die daneben notwendig ist, das übernehmen die Län<strong>der</strong>. Sie haben in Ihren Bericht,<br />

Herr Dr. Griesbeck, geschrieben, dass das insgesamt bei 1.276 Kin<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Fall war<br />

in 2005. Ich wüsste gerne, von allen, die direkt etwas damit zu tun haben, klappt das einigermaßen<br />

reibungslos? Reicht das aus? O<strong>der</strong> muss nicht Kin<strong>der</strong>betreuung zum Beispiel<br />

auch über die Kurse hinaus angeboten werden, die sich nur an die Mütter richten?<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank. Ich meine, dass waren jetzt soviel Unterfragen das wir erst mal zur Beantwortung<br />

kommen. Herr Griesbeck ich gebe Ihnen jetzt erst mal das Wort. Sie können<br />

die Fragen, die Herr Grindel gestellt hat und die Herr Veit gestellt hat, gleich mal in einem<br />

Aufwasch beantworten.<br />

Herr Griesbeck:<br />

O.k., Danke schön. Zu den unterschiedlichen Zahlen. Seite zwei sind die Berechtigten-<br />

Zahlen und Seite acht sind die Zahlen <strong>der</strong> tatsächlichen Teilnehmer. Das heißt, wir haben<br />

Verpflichtete 18.330 und von diesen haben tatsächlich teilgenommen 7.945. Und das ist<br />

genau das, was vorhin auch schon zwischen den Zeilen durchklang. Wir haben unterschiedliche<br />

Fristen und wir haben aber bei Verpflichteten eigentlich den Terminus unverzüglich<br />

<strong>im</strong> Gesetz stehen. Wir haben also unterschiedliche Prozentzahlen, wie schnell diejenigen,<br />

die ihren Berechtigungsschein in den Händen halten, dann tatsächlich in den Kurs<br />

gehen. Und bei den Verpflichteten müsste das eigentlich <strong>der</strong> höchste Wert sein. Ist es aber<br />

nicht. Wir haben den höchsten Wert bei den Spätaussiedlern. Die scheinen sehr schnell in<br />

die Kurse zu gehen. Und das ist die eine Frage. Da wird man sich in <strong>der</strong> Tat noch mal, so<br />

wie es auch angeregt wurde, mit <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Fristen befassen müssen. Also, wir haben<br />

von den Neuzuwan<strong>der</strong>ern - allerdings jetzt nicht unterschieden nach Verpflichteten und solchen,<br />

die nur das Angebot ohne Verpflichtung wahrgenommen haben -, ein Verhältnis<br />

Teilnehmer und Berechtigungen von etwa 50 %. Wir haben bei den Spätaussiedlern über<br />

70% und wir haben, was mich beson<strong>der</strong>s freute, von den zugelassenen Bestandsauslän<strong>der</strong>n,<br />

also von den schon länger hier Lebenden, Quoten von über 60%. Die scheinen auch<br />

relativ schnell in die Kurse reinzugehen, wenn sie den Berechtigungsschein haben. Die<br />

Frage ist ganz einfach: Finden die keinen Träger? Fangen die Kurse nicht an, jetzt sind wir<br />

bei dem Thema Ballungsräume - o<strong>der</strong> sind hier keine Kursträger erreichbar - dann wären<br />

wir be<strong>im</strong> Thema Fahrtkostenerstattung. Jetzt will ich noch kurz was sagen, weil wir gerade<br />

über die Ballungsräume gesprochen haben. Der Herr Grindel hat es angesprochen. Es gibt<br />

den Vorschlag von großen Kommunen, das war bei unserem <strong>Praktiker</strong>treffen <strong>der</strong> großen<br />

Kommunen <strong>der</strong> Fall. Die haben gesagt, man sollte zum Zulassungskriterium machen, dass<br />

sich ein Träger in einer Großstadt bereit erklärt, auch mit An<strong>der</strong>en dann tatsächlich die<br />

Leute auszutauschen, um eine gute Zielgruppe zusammenzubringen. Das kann man relativ<br />

einfach, es ist jetzt noch kein Zulassungskriterium. Wir haben eine ganze Latte in den §§<br />

18 ff. drinnen in <strong>der</strong> Integrationskursverordnung. Aber das ist ein Vorschlag gewesen, weil<br />

dieses Problem natürlich den Kommunen auch bekannt ist. Im Moment kann man es auch,<br />

wie es die Frau Rudolph gesagt hat, wirklich nur so machen, dass man die alle an einen<br />

Runden Tisch zusammenholt, so wie es auch in Kiel geschieht o<strong>der</strong> in vielen Kommunen.


466<br />

Aber man kann an den good will appellieren und <strong>im</strong> Grunde genommen könnte man hier<br />

auch darüber nachdenken, dieses zum Zulassungskriterium zu machen.<br />

Letzter Punkt: Die Kin<strong>der</strong>betreuung. Es ist so, dass das etwas langsamer angelaufen ist.<br />

Das wir hier, ich habe die Summe auch genannt in meinem Papier, also wir haben hier <strong>im</strong><br />

letzten Jahr 3.337 Euro für 1.276 betreute Kin<strong>der</strong> ausgegeben. Allein <strong>im</strong> Januar und Februar<br />

ist eine sehr, sehr große Summe abgeflossen. Wir haben in den Haushalt auch mehr<br />

eingestellt. Das heißt, es wird jetzt mehr diese Kin<strong>der</strong>betreuung angenommen, aber, das<br />

muss ich auch sagen, da auch sich aus <strong>der</strong> bisherigen Diskussion schon herausgestellt<br />

hat, dass Mütter eine ganz, ganz wichtige Zielgruppe sind, kann man in die Überlegung<br />

eintreten, ob die Kin<strong>der</strong>betreuung nicht nur für best<strong>im</strong>mte Kurse vorzusehen ist, son<strong>der</strong>n<br />

hier die Zielgruppe Mütter eben hier anbelangen soll.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Griesbeck. So, dann noch die Frage von Herrn Veit an Frau John.<br />

Frau John bitte!<br />

Frau Prof. John:<br />

Ja, Herr Abgeordneter Veit, ich will eine ganz kurze Vorbemerkung machen, was die Zulassungskriterien<br />

angeht. Also so wie Schulen ja mehrzügig sein müssen, um überhaupt<br />

weiter bestehen zu können, damit man eben auch mal austauschen kann, so könnte man<br />

sich auch vorstellen, dass Sprachkursträger mehrzügig sein müssen, damit man nach<br />

Sprachniveaus differenzieren kann, aber auch nach Altersgruppen o<strong>der</strong> Geschlechtsgruppen.<br />

Das hielte ich für einen überdenkenswerten Ansatz. Jetzt zu Ihrer eigentlichen Frage,<br />

ob da ein Wi<strong>der</strong>spruch ist. Wenn es so scheinen sollte, hätte ich mich missverständlich<br />

ausgedrückt. Aber ich sehe <strong>im</strong> Gegenteil, nichts was einen Wi<strong>der</strong>spruch ausmacht, son<strong>der</strong>n<br />

es ist dasselbe Grundprinzip, das ich hier vertrete, dass Migranten nicht abhängig<br />

werden sollten durch falsche Anreize vom Staat, son<strong>der</strong>n, dass Arbeit einglie<strong>der</strong>t. Also es<br />

gibt <strong>im</strong> Amerikanischen dieses schöne ABC, A-Job, A steht für Job, B steht für better Job,<br />

weil ich mich hocharbeite, und C steht für Career, und so ist es. Aber wenn ich gar nicht<br />

einsteige in “A“ kann, ich auch nicht bei <strong>der</strong> Karriere landen. Und wir sind großzügig mit<br />

den Transfermitteln, mit <strong>der</strong> Sozialhilfe, mit an<strong>der</strong>en Mitteln und wir sind <strong>im</strong>mer knickerig<br />

gewesen mit <strong>der</strong> Arbeitserlaubnis. Jetzt gibt es eher eine Arbeitserlaubnis, aber das bedeutet<br />

ja nicht, dass niedrig Qualifizierte nun mit dieser Arbeitserlaubnis etwas anfangen.<br />

Und wenn ich gesagt habe, dass für diejenigen, die hier bleiben, die sowieso hier bleiben,<br />

wir weg müssen von <strong>der</strong> Alles- o<strong>der</strong> Nichtslösung: Wenn du nicht diesen Verdienst hast,<br />

dann bleibst du in <strong>der</strong> Sozialhilfe. Was bringt uns das? Dann ist es doch besser zu sagen:<br />

Du kannst weniger verdienen und bekommst den festen Aufenthaltsstatus. Ist ja auch eine<br />

Chance, vielleicht eine bessere Arbeit zu bekommen, weil aufenthaltsrechtliche Sicherheit<br />

herrscht, und du bringst mir aber eine Negativbescheinigung. Das wäre eine Möglichkeit.<br />

Und das An<strong>der</strong>e ist, das habe ich ja ausführlich erläutert, <strong>der</strong> Familiennachzug zu Deutschen.<br />

Wir hatten aus <strong>der</strong> Türkei <strong>im</strong> vorigen Jahr, ich glaube 14.800 o<strong>der</strong> 900 Familienangehörige,<br />

die nachgewan<strong>der</strong>t sind. Die Hälfte zu hier lebenden Deutschen, natürlich in <strong>der</strong><br />

Regel zu eingebürgerten. Entschuldigung, ich habe mich versprochen. Es sind nach <strong>der</strong><br />

Aktenlage <strong>des</strong> Auswärtigen Amtes 14.800 aus Ismir, aus Ankara und Istanbul. Also die<br />

Hälfte davon nicht ganz zu Deutschen und da ja auch geworben wird für die frühe Einbürgerung,<br />

bevor die Leute überhaupt in Arbeit kommen können, und bevor An<strong>der</strong>es passiert<br />

und weil wir <strong>im</strong>mer mehr auch binationale Ehen haben, finde ich, sollte man diesen Anreiz,<br />

erwerbstätig zu werden, den sollte man nicht dadurch verschenken, dass man die Familienzusammenführung<br />

zu Deutschen so ungleich macht zu <strong>der</strong> Familienzusammenführung<br />

von Auslän<strong>der</strong>n. Also das Erwerbseinkommen muss vorliegen. Wie hoch das sein muss,<br />

das ist sicher eine Sache, die man verhandeln muss. Aber ich denke nicht, dass wir länger<br />

diese Unterschiede machen sollten, die es übrigens in an<strong>der</strong>en europäischen Län<strong>der</strong>n<br />

schon lange nicht mehr gibt. Aus den bekannten Gründen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Frau John. Dann hat Herr Grindel auch noch seine Fragen erweitert an<br />

Herrn Hempel, <strong>der</strong> sich eben hier schon gemeldet hat und an Herrn Stöcken. Bitte kurz.<br />

Herr Hempel:


467<br />

[Nicht verständlich] Kin<strong>der</strong>betreuung vorweg. In Hamburg ist das so, dass wir dadurch Lan<strong>des</strong>regelungen<br />

verhältnismäßig gut kooperieren können mit Trägern, die die Kin<strong>der</strong>betreuung<br />

ergänzend zu den Sprachkursen übernehmen können. Wir hoffen, dass das weiter so<br />

reibungslos bleibt. Es kann höchstens das Problem geben, dass ja <strong>der</strong> Bund in Teilen finanzieren<br />

müsste, dass das Land sagt, wir wollen das vielleicht erstattet haben. Aber das<br />

ist nicht die Sache <strong>der</strong> Träger. Also dieses Problem stellt sich für uns so nicht.<br />

Das Zweite: Der Runde Tisch. Ich selber habe versucht, den Runden Tisch in Hamburg<br />

einzurichten. Wir sind auch über 24 Träger, es sind aber viel mehr Träger in Hamburg, die<br />

insgesamt dabei waren. Wir wissen manchmal nicht, welche Träger weggehen? Wer<br />

macht überhaupt noch einen Kurs richtig? Wer ist nicht nur lizenziert? Welche kommen<br />

neu dazu? Wenn wir die alle einladen sollten, und manche sind auch nur zwei Leute, verstehen<br />

sie, dass sind zwei Leute, die da diesen ganzen Sprachkurs machen. Diese Art <strong>der</strong><br />

Kooperation und dann <strong>der</strong> Abst<strong>im</strong>mung. Wer soll dann wissen wer welcher Träger zu welchem<br />

Zeitpunkt was beginnt? Das ist einfach praktisch außerordentlich schwierig. Ich teile<br />

das. Es wäre wünschenswert. Im Jugendbereich haben wir das gemacht. Wir haben mit<br />

Ach und Krach und Hin- und Hergeschiebe einen einzigen Jugendkurs nach dem jetzigen<br />

Verfahren in Hamburg zustande gebracht und zwar durchaus durch Kooperation. Das ist<br />

nicht so, auch mit den Jugend<strong>im</strong>migrationsdiensten. Wir waren alle bemüht, das zu tun. Es<br />

gibt praktische Schwierigkeiten, die das einfach nicht ermöglichen. Im Prinzip ist das fast<br />

vorbildhaft, was Wiesbaden macht. Es geht auch über die Kräfte. Sie müssen sehen, dass<br />

es über die Kräfte <strong>der</strong> Träger geht, wenn sie zu all diesen Koordinationssitzungen gehen<br />

sollen, um das dann auch sicherzustellen. Vielleicht wird durch Marktbereinigung, wie das<br />

so schön heißt, das Problem geklärt.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Hempel. Dann hatte <strong>der</strong> Herr Kolat sich gemeldet. Danach habe ich<br />

Fragen von Frau von Heinz, Herrn Bürsch und Frau Forbeck. Herrn Stöcken habe ich vergessen.<br />

Entschuldigung, Herr Stöcken.<br />

Herr Stöcken:<br />

Ich warte ja, bis mir das Wort erteilt wird. Mir ist das nicht bekannt, dass es irgendwo in <strong>der</strong><br />

Arbeitsverwaltung, also nehme ich jetzt mal BA o<strong>der</strong> in den Arbeitsgemeinschaften ein organisiertes<br />

Informationsangebot gibt zu diesen Fragen. Eine Anregung habe ich noch. Ich<br />

habe gerade mal ins SGB XII geguckt, dort gibt es <strong>im</strong> § 4 eine Formulierung, die so etwas<br />

absichern könnte, wie in Wiesbaden gemacht wird. Nämlich die Bildung von Arbeitsgemeinschaften<br />

wenn es einen Bedarf gibt. Ähnliches gibt es auch <strong>im</strong> SGB VIII <strong>im</strong> § 78. Vielleicht<br />

macht es einen Sinn, da mal zu gucken, ob man da nicht etwas abschreiben kann.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Stöcken, dann Herr Kolat bitte.<br />

Herr Kolat:<br />

Ja, ganz kurz. Was Frau John eben gerade gesagt hat zum Familiennachzug zu Deutschen.<br />

Ich denke, da sollte man, wahrscheinlich hat sie es nicht so gemeint. Aber als Beispiel<br />

haben Sie, Frau John, gleich die Türken genannt, und wenn wir jetzt die Familienzusammenführungsdiskussion<br />

angucken, dann geht das wirklich nur an die Türken. Und das<br />

Nachzugsalter auf 21 Jahre zu erhöhen und so weiter, diese Diskussion. Ja, also wir haben<br />

in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik 70.000 Familiennachzüge. Davon 25.000 aus <strong>der</strong> Türkei und<br />

davon sind wie<strong>der</strong>um 9.000 Kin<strong>der</strong> und es bleiben dann sehr wenige. Da muss man wirklich<br />

auf die Zahlen gucken. Und wenn man sich die nachgezogenen Ehegatten anguckt,<br />

dann stellt man auch fest, dass sich in den letzten Jahren die Situation viel verän<strong>der</strong>t hat.<br />

Es kommen sehr viele gebildetere Menschen als Familiennachzug. Insofern muss man<br />

vorsichtig sein, dass man jetzt nicht wie<strong>der</strong> mit einer konterproduktiven Maßnahme „die<br />

Türken wollen wir nicht –Botschaften“ aussendet. Da muss man sehr vorsichtig sein mit<br />

dieser For<strong>der</strong>ung, also da warne ich schon davor, dass wir wie<strong>der</strong> mal eine an<strong>der</strong>e Situation<br />

hier in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik schaffen. Ich denke, man sollte sich darüber klar werden, wie<br />

schaffen wir überhaupt Arbeitsplätze in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik? Das ist viel wichtiger, als den<br />

Familiennachzug weiter zu verhin<strong>der</strong>n.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Danke, Herr Kolat. Jetzt werden mal Fragen gestellt. Frau von Heinz, Herr Abgeordneter<br />

Bürsch und Frau Feldgen,


468<br />

Frau von Heinz:<br />

Herr Stöcken, Sie haben vorhin die Bedeutung <strong>der</strong> Zusammenarbeit <strong>der</strong> Jobcenter in <strong>der</strong><br />

Kommune mit allen Akteuren <strong>der</strong> Integration betont und haben ja auch daraufhin Ihren<br />

Runden Tisch eingerichtet. Die Jugendmigrationsdienste haben Sie dabei nicht genannt.<br />

Ich denke, dass die ein ganz wesentlicher Partner für Ihre Arbeit in den Jobcentern sind.<br />

Wir haben gemeinsam mit dem Arbeitsministerium Handlungsempfehlungen für die<br />

Schnittstellen <strong>der</strong> arbeitsfindenden Jugendmigrationsdiensten und den Trägern <strong>der</strong> SGB II<br />

und III veröffentlicht. Sind ihnen die bekannt?<br />

Herr Stöcken:<br />

Das habe ich vergessen zu erwähnen.<br />

Frau von Heinz:<br />

Also sie sind in dieser Richtung bereits tätig.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut, dann hat sich das ja geklärt. Herr Abgeordneter Bürsch.<br />

Herr MdB Bürsch:<br />

Ja, dann kann ich an Herrn Stöcken eine Frage anschließen. Das ist ja erfreulich, dass wir<br />

hier ein paar Fälle von best practice vorgeführt bekommen haben. Also Wiesbaden hat<br />

mich auch beeindruckt. Kiel natürlich auch. Nicht nur, weil es mein Nachbar ist. Ist das<br />

denn, was Sie vortragen eher das Prinzip Gallisches Dorf. Da gibt es vielleicht irgendwo in<br />

<strong>der</strong> Republik ein paar Agenturen, die das ähnlich machen. Sie sagen, Sie haben auch<br />

erstmal zunächst weggeguckt, um das Problem vielleicht dadurch ein bisschen zu verschieben.<br />

An<strong>der</strong>s gefragt. Liegt es nicht nahe, auch mit Ihren Erfahrungen, die Verzahnung<br />

von Sprache und beruflicher Bildung, das was Sie jetzt unternommen haben, wirklich als<br />

Modell über die Bun<strong>des</strong>agentur auch über die Republik zu verbreiten? Denn ich glaube<br />

wirklich, dass wir unbedingt eine Vernetzung brauchen. Dass die Systeme nicht nebeneinan<strong>der</strong><br />

herlaufen können, und wenn das einer aus eigener Überzeugung macht o<strong>der</strong> eine<br />

Agentur, dann wäre es aus meiner Sicht schön, wenn das tatsächlich eine ansteckende<br />

Bewegung würde und die Agentur sich vielleicht insgesamt dazu entschließt. Aber eine<br />

weitere Frage, und die hat grundsätzlichen Charakter, an Herrn Griesbeck. Vielleicht eine<br />

rhetorische Frage. Glauben Sie nicht auch, dass die Entscheidung zu einem bun<strong>des</strong>weit<br />

einheitlichen Integrationskurskonzept falsch war? Nach dem, was auch heute vorgetragen<br />

worden ist, und da sind einige Fälle, einige Beispiele, einige Fel<strong>der</strong> ja genannt worden. Ich<br />

habe es heute, vorher auch schon genannt und sage es auch noch mal. Spätaussiedler,<br />

die jetzt gleichbehandelt werden, halte ich wirklich für einen Fehler. Die hatten früher, ich<br />

glaube die Jugendlichen bis zu 1.900 Stunden, und das ist eine Riesenproblemgruppe, die<br />

in den letzten 10, 12 wie viel Jahren mitgekommen sind und die enorme Schwierigkeiten<br />

haben, schulische und berufliche Schwierigkeiten, die die Sprache nicht können. Die Zahl<br />

von Auslän<strong>der</strong>n, die keinen Schulabschluss haben, ist nach meiner Kenntnis um die 20 %,<br />

wo sie bei Deutschen unter 10 % liegt und da werden die Deutsch-Russen zum Beispiel<br />

und die Spätaussiedler lei<strong>der</strong> eine bedeutende Rolle spielen. Das heißt, ich könnte mir o<strong>der</strong><br />

ich möchte mir vorstellen, dass wir für diese Gruppe zum Beispiel spezielle Programme<br />

entwickeln, die diese Jugendlichen, die jetzt schon hier sind und die wirklich <strong>der</strong> soziale<br />

Sprengstoff <strong>der</strong> nächsten Jahre sein werden, dass wir für diese extra Programme entwickeln<br />

und sie wirklich auf den Weg in eine berufliche Chance, ganz an<strong>der</strong>s als das bisher<br />

möglich ist, begleiten. Eine zweite Problemgruppe sind die Analphabeten. Dafür würde ich<br />

mir gerne ein extra Programm vorstellen. Die werden jetzt auch in die 600 Stunden aufgenommen.<br />

Das ist, harsch gesagt, ein Treppenwitz. Dass mit diesen 600 Stunden ein Analphabet<br />

überhaupt schreiben lernen soll, dass kann wohl nicht sein. Dafür braucht man,<br />

meine ich schon, extra Kurse. Genauso wie ich den Hinweis gut fand, dass manche, die<br />

hier herkommen aus ganz an<strong>der</strong>en Kulturen, wirklich überhaupt erst schultauglich gemacht<br />

werden müssen. Ich weiß nicht wie <strong>der</strong> Kurs aussehen soll, aber dafür müssen wir auch<br />

beson<strong>der</strong>e Antworten finden. Das heißt, dieses einheitliche Integrationskurskonzept halte<br />

ich wirklich inzwischen für falsch. Wir brauchen Differenzierungen, und vielleicht ist das<br />

auch ein Grund dafür, dass von den 206 o<strong>der</strong> 207 Millionen, die wir dafür großzügig zu<br />

Verfügung gestellt haben vom Bund, nur weniger als 100 Millionen ausgenutzt worden<br />

sind. Sodass wir jetzt ein Problem haben, dass wir die Haushaltsmittel tatsächlich retten.<br />

Und dafür brauchen wir zum Beispiel auch zusätzliche Ideen, nicht, um unbedingt Geld


469<br />

auszuschöpfen, son<strong>der</strong>n, weil das aus meiner Sicht politisch wirklich dringend nötig ist.<br />

Und an <strong>der</strong> Stelle wünsche ich mir auch das was hier gesagt worden ist, dass eine stärkere<br />

Vernetzung und das Stichwort von Herr Kolat, das leuchtet mir auch aus psychologischen<br />

Gründen sehr ein. Menschen denen Sanktionen drohen, werden zu Eskapisten. Das wissen<br />

die Psychologen. Die neigen dazu Wege zu finden, wie sie die Sanktionen vermeiden.<br />

Aber das ist keine fröhliche Bejahung <strong>des</strong>sen, was da angeboten ist. Das heißt, Herr Kolat<br />

hat, glaube ich, völlig recht. Wir müssen in Anreizsystemen denken. Welchen Anreiz können<br />

wir damit schaffen, dass wir diese Sprachkurse anbieten? Also, ich halte das zum Beispiel<br />

auch für völlig richtig Ich habe diese Kurse selber besucht ein par Tage lang. Da sitzt<br />

eben <strong>der</strong> Schafshirt aus dem Kasachstan neben <strong>der</strong> Diplomingenieurin und An<strong>der</strong>en mit<br />

völlig an<strong>der</strong>er Vorbildung. Ich weiß, Herr Grindel hat die Kurse auch besucht in Hamburg.<br />

Wir sprechen aus demselben Erfahrungshintergrund inzwischen. Also, da muss eine an<strong>der</strong>e<br />

Differenzierung möglich sein. Aber es muss auch eine Anerkennung für die geben, die A<br />

2 machen. Und dann kann man vielleicht sagen, B 1 ist jedenfalls das, was wir für die Einbürgerung<br />

verlangen. Da bin ich bei Ihnen. Aber das muss nicht <strong>der</strong> Abschluss dieses einen<br />

Kurses von 600 Stunden sein. Und das letzte Wort, wir werden mit dem Ganzen, was<br />

wir staatlich anbieten, das Problem <strong>im</strong> Leben nicht lösen können. Das heißt, wir brauchen<br />

an<strong>der</strong>e Mitstreiter. Und da wünsche ich mir zum Beispiel, Stichwort Bayern, dass die Unternehmen<br />

angesprochen werden. Das ist doch bitte schön in ihrem Interesse. Die Unternehmen<br />

brauchen doch selber Menschen die in die Ausbildung kommen, die fähig sind Berufe<br />

auszuüben. Das heißt, es muss <strong>im</strong> ureigenen Interesse von deutschen Unternehmen<br />

liegen, dass zum Beispiel die Jugendlichen, die aus dem Ausland kommen, auch in die<br />

Lage versetzt werden, Teil zu haben. Das wird in Kanada und an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n wirklich<br />

auch von Unternehmen in viel größerem Umfang geför<strong>der</strong>t und gefor<strong>der</strong>t. Und das ist nicht<br />

nur eine staatliche Angelegenheit. Das heißt, wir müssen daraus einen größeren Pakt machen,<br />

<strong>der</strong> weit über die staatliche Seite hinausgeht, glaube ich.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank für diesen Plenumsbeitrag. Dann kommt Frau Feldgen noch mal dran und<br />

dann werden die Fragen beantwortet.<br />

Frau Feldgen:<br />

… vom Bun<strong>des</strong>ministerium für Arbeit und Soziales, wie es jetzt wie<strong>der</strong> heißt. Ich habe eine<br />

Anmerkung und vier Fragen. Also auch einen ergänzenden Beitrag vielleicht, weil es auch<br />

hier angesprochen wurde. Berufspezifische Sprachkurse, Herr Griesbeck, hatte, glaube<br />

ich, schon so eine Andeutung in die Zukunft gemacht. Wir haben seit September 2004 laufen<br />

das ESF BA Sprachprogramm, wo wir SGB III- Empfängern berufsspezifische Sprachkurse<br />

anbieten konnten bisher. Da sind einige 10.000 Teilnehmer durchgegangen. Wir planen,<br />

ich sage das <strong>des</strong>halb “planen“, weil es ist noch nicht ganz in trockenen Tüchern, das<br />

Programm fortzusetzen und auszuweiten. In <strong>der</strong> zweiten ESF-För<strong>der</strong>periode ab dem<br />

1.1.2007 bis 2013 und zwar diesmal in Zusammenarbeit mit dem BAMF, sodass wir uns<br />

auch erhoffen, dass die von einigen Teilnehmern angesprochenen möglichen Synergieeffekte<br />

und Aufbaumaßnahmen da besser aufeinan<strong>der</strong> abgest<strong>im</strong>mt werden können. Wir planen<br />

aber auch, es so zu gestalten, dass vor allem <strong>der</strong> SGB II- Bereich einbezogen werden<br />

kann. Das ging aufgrund <strong>der</strong> bisherigen För<strong>der</strong>voraussetzungen nicht. Und das wäre aus<br />

unserer Sicht eine erhebliche Ausweitung <strong>der</strong> Teilnehmergruppen aufgrund <strong>der</strong> Notwendigkeit<br />

in <strong>der</strong> Praxis. So das als Ergänzung. Meine ersten beiden Fragen gehen an Herrn<br />

Stöcken o<strong>der</strong> vielleicht Herrn Griesbeck, vielleicht auch an Frau Rudolph.<br />

Ich habe aus <strong>der</strong> vorgelegten Bilanz <strong>der</strong> Zahlen, die Sie, Herr Griesbeck, vorgelegt haben,<br />

gelernt anhand <strong>der</strong> verschiedenen Interpretationen, dass das für das Jahr 2005 noch nicht<br />

vielleicht so ganz <strong>der</strong> Regeldurchschnitt ist, weil das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz ist gestartet,<br />

dass SGB II ist gestartet und es hat eine Zeit lang gedauert, bis sich die Dinge eingespielt<br />

haben. Deshalb meine Frage nicht so sehr nach exakten Zahlen, son<strong>der</strong>n wenn Sie Ihren<br />

Eindruck vielleicht noch mal präzisieren könnten, den Sie haben. Vor allem <strong>im</strong> Hinblick auf<br />

die Verpflichtungen von SGB II- Empfängern. Also, wie viel Personen aus <strong>der</strong> Klientel SGB<br />

II, die Migrationshintergrund haben, dass heißt, da brauchen wir ja nicht so sehr zu unterscheiden,<br />

welche das genau sind, sind eigentlich bedürftig, um an Sprachkursen teilzunehmen?<br />

Gibt es da irgendeine Größenordnung, die sie vielleicht nennen können? Also<br />

insbeson<strong>der</strong>e aus <strong>der</strong> Praxis. Zweite Frage dazu. Wie verhält es sich da mit den Sanktionen?<br />

Herr Stöcken hat gesagt, na ja ab und zu wird mal jemand auch, da greifen wir dann<br />

mal mit den Sanktionen ein. Gibt es da auch irgendeine Größenordnung, die Sie nennen<br />

können o<strong>der</strong> ist das so eine quantité negliable. Da die Zusatzfrage auch noch mal zu. Gibt


470<br />

es Probleme o<strong>der</strong> wie kommen Sie mit diesem zweigleisigen Sanktionensystem zurecht?<br />

Wir haben sowohl die Möglichkeit nach dem Aufenthaltsgesetz bei Auslän<strong>der</strong>n 10% Leistungen<br />

zu kürzen unter best<strong>im</strong>mten Bedingungen, dass haben sie eben erwähnt. Es gibt<br />

aber auch die Möglichkeit <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> <strong>des</strong> SGB II, wenn eine Einglie<strong>der</strong>ungsvereinbarung<br />

abgeschlossen wurde, 30% o<strong>der</strong> dann sogar noch mehr Prozent zu kürzen, und diese<br />

Möglichkeit gibt es dann natürlich sowohl für Auslän<strong>der</strong> als auch für Aussiedler. Wir haben<br />

uns <strong>im</strong>mer schon gedacht, dass es Probleme geben müsste mit diesem doppelten System.<br />

Nur die Frage: Wie geht die Praxis tatsächlich damit um? Gibt es da irgendwelche Erkenntnisse?<br />

Das waren die ersten beiden Fragen. Die beiden weiteren Fragen richten sich eigentlich<br />

nur an Herrn Stöcken, weil es ein bisschen SGB II- spezifisch ist. Für die Klientel, die Sie<br />

haben mit Migrationshintergrund. Halten Sie da die Maßnahmen die das SGB II bietet, zur<br />

arbeitsmarktlichen Integration für ausreichend o<strong>der</strong> glauben sie, dass da noch Weiteres erfor<strong>der</strong>lich<br />

ist. Wir hatten ja auch hier schon gehört, dass es da unterschiedliche Herangehensweisen<br />

gibt, Maßnahme, karrieren und so weiter. Bieten wir da eigentlich genügend<br />

als Gesetzgeber? O<strong>der</strong> sind da Zusatzmaßnahmen erfor<strong>der</strong>lich?<br />

Und die letzte Frage <strong>im</strong> Hinblick auf Ihre Andeutungen aus <strong>der</strong> Praxis, dass sehr viel Wert<br />

drauf gelegt wird o<strong>der</strong> auch häufig darauf abgestellt wird, dass es Unterstützung <strong>der</strong> Fallmanager<br />

aber auch <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörden durch Netzwerke, durch Runde Tische und so<br />

weiter, gibt. Halten sie es da für erfor<strong>der</strong>lich, dass es so eine dauerhafte migrationsspezifische<br />

Beratung, die es also etwas außerhalb <strong>der</strong> Regelinstitutionen gibt, erfor<strong>der</strong>lich ist, o<strong>der</strong><br />

denken sie das das so ein Übergangsding sein wird, was Ihnen <strong>im</strong> Moment den Start<br />

ermöglicht?<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Griesbeck jetzt erst einmal.<br />

Herr Griesbeck:<br />

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Bürsch. Ich st<strong>im</strong>me Ihnen <strong>im</strong> Großen und Ganzen zu, bis<br />

auf den ersten Satz. Also ich glaube nicht, dass die Entscheidung für ein bun<strong>des</strong>einheitliches<br />

System falsch war, und zwar <strong>des</strong>wegen, weil wir ja <strong>im</strong> Moment die Erfahrungen umsetzen<br />

können in eine Weiterentwicklung. Es ist auch nie so gewesen, dass wir hier nicht<br />

an eine Ausdifferenzierung gedacht hätten. Wir haben nur dadurch, dass das Ganze erst<br />

anlaufen muss, die Ausdifferenzierung erst für das letzte Quartal o<strong>der</strong> für das 2. Halbjahr in<br />

Angriff genommen, sodass sich dieses erst jetzt hier zeigen wird. Es ist sogar vorgesehen<br />

<strong>im</strong> Konzept, und die Entscheidung war <strong>des</strong>wegen gut, weil es jetzt eben Standards und<br />

Ziele und weil wir heterogene Kurse haben. Das haben wir alles vorher nicht gehabt. Es ist<br />

sogar vorgesehen, dass wir drei unterschiedliche Lerntempi haben. Und eines, das für die<br />

langsam Lernenden, das sieht vor A 2 und sieht eben nicht vor B 1. Das Entscheidende,<br />

das wir in <strong>der</strong> Praxis festgestellt haben, ist, dass keine Differenzierung stattfindet. Wahrscheinlich<br />

aus guten Gründen, weil zu Wenige da sind, weil man unbedingt anfangen will.<br />

Und da werden unterschiedliche Leute mit unterschiedlichen Lernprogressionen und unterschiedlichen<br />

Voraussetzungen in einen Kurs geworfen, bis hin zum Analphabeten, was<br />

überhaupt nicht sein soll. Es ist <strong>im</strong> letzten Jahr, auch wenn die Konzepte noch nicht fertig<br />

gestellt sind, die dann tatsächlich bindend sind, war es jedem Träger möglich, eigene Jugendkurse,<br />

eigene Alphabetisierungskurse, eigene Frauenkurse aufzulegen und diese<br />

dann auch durchzuführen unter dem Mantel „Integrationskurse“. Also, wir kommen jetzt in<br />

diese Differenzierung rein, und wir würden uns von den Trägern wünschen, dass sie auch<br />

in <strong>der</strong> Vergangenheit schon stärker differenziert hätten. Die Probleme <strong>der</strong> Praxis sind bekannt.<br />

Wo Wenige da sind, wird erstmal angefangen. Das vielleicht dazu.<br />

Dann zu <strong>der</strong> Frage von Frau Feldgen. Also, für uns sind die Erfahrungen <strong>des</strong> letzten Quartals<br />

maßgeblich, weil da das System richtig angelaufen ist. Sowohl hinsichtlich <strong>der</strong> Kurse<br />

als auch hinsichtlich <strong>der</strong> Teilnehmer. Wir haben festgestellt, dass auch die Argen und die<br />

Jobcenter stärker mitgemacht haben als am Anfang, und wir sind <strong>der</strong> Ansicht, dass sich<br />

sehr viele SGB II- Empfänger unter denjenigen Bestandsauslän<strong>der</strong>n, die sich direkt bei uns<br />

gemeldet haben, finden. Wir entnehmen dies einer Quote von ungefähr 40 %, die insgesamt<br />

von <strong>der</strong> Kostentragungspflicht befreit wurden, und bei den Bestandsauslän<strong>der</strong>n sind<br />

es nahezu 60 %. Das heißt, die kommen möglicherweise direkt vom Arbeitsamt.<br />

Zu den Sanktionen kann ich nur sagen, da müssten Sie die ABH´s - respektive die Jobcenter<br />

- fragen, wie das gehandhabt wird, und damit habe ich die Frage, soweit sie mich damit<br />

betrifft, eigentlich beantwortet.


471<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herr Abgeordneter Uhl, Sie hatten dazu, glaube ich, noch eine Frage direkt.<br />

Herr MdB Uhl:<br />

Ich entnehme Ihrem Papier: Das vergangene Jahr gut 215.000 berechtigte Personen,<br />

115.000 Teilnehmer, also 100.000 weniger als Berechtigte. Stellt sich also die Frage, was<br />

machen die 100.000, die berechtigt sind aber nicht teilnehmen? Und dann noch mal<br />

100.000 weniger, nämlich 17.000 Prüfungsteilnehmer. Fragt sich, was machen die zweiten<br />

100.000, die teilgenommen haben, aber nicht an <strong>der</strong> Prüfung? Vieles, lässt sich erklären<br />

mit dem Zeitfaktor. („Es ist ein halbes Jahr“) Das heißt, in wenigen Monaten müsste man<br />

dann mehr Klarheit haben. Sie sind eben noch nicht fertig, obwohl 600 Stunden relativ<br />

schnell abzuwickeln wären. Gut, das heißt, in wenigen Monaten müssten wir dann mehr<br />

Klarheit haben. Wie wir es schaffen, dass es mehr werden als 17.000 bei <strong>der</strong> großen<br />

Stückzahl am Anfang. 215.000 Berechtigte, ist aber eine an<strong>der</strong>e Frage. Ich habe versucht<br />

in München, bei <strong>der</strong> dortigen Sozialbehörde, zu erfahren: Wer weiß was über Sanktionen?<br />

Die Antwort war: Niemand. Und zwar unter An<strong>der</strong>em <strong>des</strong>wegen, weil die Software dieser<br />

Hartz IV-Maschinerie so kompliziert sei, dass man alles Mögliche erfahren könnte, aber<br />

nicht dieses. Das natürlich genau dieses für uns vom beson<strong>der</strong>en Interesse ist, nämlich die<br />

Frage: wenn wir in Berlin Gesetze machen, dass <strong>der</strong> Leistungsempfänger ein Deutschkursangebot<br />

bekommt. Er sagt: Interessiert mich nicht. Aber die Leistung nehme ich trotzdem<br />

mit, und wir dann sagen: Für solche Fälle haben wir Sanktionen und jetzt wissen wollen:<br />

Greifen die Sanktionen? Macht die Verwaltung mit? Sanktioniert sie o<strong>der</strong> nicht? Und<br />

dann heißt es genau, diese Frage weiß keiner. Können Sie da eine Antwort geben?<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank dazu. Herr Stöcken kann erst einmal noch etwas sagen. Er soll ja auch<br />

noch Fragen von Frau Feldgen beantworten, <strong>des</strong>wegen wird erstmal Herr Stöcken etwas<br />

sagen.<br />

Herr Stöcken:<br />

Vielleicht sind wir ein gallisches Dorf, glaube ich aber nicht. Hier ist <strong>der</strong> Begriff dafür nicht<br />

richtig geeignet. Ich glaube, dass die Frage <strong>der</strong> Zusammenarbeit und wie man das organisiert,<br />

wachsen muss. Die Arbeitsgemeinschaften haben unterschiedliche Probleme. Hier<br />

steht in Kiel möglicherweise <strong>im</strong> hohen Auslän<strong>der</strong>anteil das Problem auch deutlicher <strong>im</strong> Mittelpunkt.<br />

Woan<strong>der</strong>s ist das kleiner. Man sollte das beobachten und sehen, ob man über die<br />

nächsten 1, 2 Jahre überall irgendwie verlässliche Zusammenarbeitsformen entwickelt und<br />

erst dann irgendwie gucken, ob man da was regeln will.<br />

Zur Frage <strong>der</strong> Sanktionen: Das ist eine ganz gute Geschichte. Ich könnte Ihnen das auch<br />

nicht beantworten, weil wir insgesamt mit dieser Hartz IV-Maschinerie, wie Sie das so<br />

schön ausgedrückt haben, folgen<strong>des</strong> Problem haben. Wir müssen eine Sanktion als Einkommen<br />

ausweisen, damit wir es überhaupt kürzen können, weil die Maschinerie das<br />

sonst nicht kann. Und <strong>des</strong>wegen können wir alle Einkommensanrechnungen auswerten<br />

und schätzen, wie viel davon wohl als Sanktionen getarnt sind. Das ist sozusagen ein<br />

technisches Problem, das in dieser Gesamtsituation A 2 LL ist. Was es auch den Kollegen<br />

sehr schwer macht, wenn sie eine Sanktion schlüssig begründen wollen. Zu sagen: Du bist<br />

da nicht hingegangen, obwohl wir dies verabredet haben, dann ist es schwer Ihm zu sagen:<br />

Und jetzt kriegst du weniger Geld, weil du Einkommen hattest. Das versteht gar kein<br />

Mensch mehr. Also wenn ich Ihnen das so darlegen muss, weil die Maschinerie das nicht<br />

an<strong>der</strong>s hergibt. Aber so ist das mit dieser bun<strong>des</strong>einheitlichen Software. Das wird noch 2<br />

Jahre dauern, habe ich gehört, bis das gelöst ist. Von daher kann man das nur frei schätzen.<br />

Zwischenfrage unbekannt: Wie viele Jahre?<br />

Herr Stöcken:<br />

2 Jahre. Doch es gibt Sanktionen, weiß ich ganz genau, weil ich muss auch schon mal sagen:<br />

Nun mal gemach, gemach. Also als Geschäftsführer auch mal sagen gemach, gemach,<br />

weil man <strong>im</strong>mer sehen muss, was eine Sanktion auslöst. Bewirkt sie das, was Sie<br />

bewirken wollen? Nämlich, dass er dahin geht und sich entwickelt. O<strong>der</strong> bewirkt sie genau<br />

das Gegenteil, dass er nämlich irgendwie ausweicht und so weiter. Aber es werden Sanktionen<br />

verhängt, nur man kann es nicht schlüssig auswerten. Man kann es erfühlen. Aber<br />

das nützt uns hier <strong>im</strong> Moment nicht weiter.<br />

Herr MdB Uhl:<br />

Also wenn ich eine Sozialbehörde wäre und meine Software-Leute sagen mir: Es geht<br />

nicht. So wie Sie es grad erklärt haben. Ich glaube Ihnen das sogar. Dann sage ich, es gibt


472<br />

Sanktionen, sagen die aber… Wie viele, das ist eine Stückzahl. Eine überschaubare<br />

Stückzahl. Da sage ich „Aktensturz“. Also die 20 Sanktionen in meiner Behörde, die möchte<br />

ich erfahren. „Aktensturz“ sage ich zu meinem Sachgebietsleiter, zu meinem Abteilungsleiter,<br />

„holen Sie mir die Akten raus, ich möchte es händisch erfahren. Software hin, Software<br />

her, wie viel Fälle, – 15 Fälle, 17 Fälle, 33 Fälle – Sanktionen haben Sie verhängt?“<br />

Es muss möglich sein, verdammt noch mal.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank. Herr Griesbeck, sie wollten noch mal was, glaube ich sagen. Eine kurze<br />

Anführung.<br />

Herr Griesbeck:<br />

Ich wollte nur den Hinweis geben, dass die Frage <strong>der</strong> Verpflichtungen und <strong>der</strong> Sanktionen<br />

bei den Auslän<strong>der</strong>behörden zu erfragen ist und das Land Bayern hat das meines Wissens<br />

gemacht. Da gab es <strong>im</strong> letzten Jahr eine Übersicht, ob da überhaupt schon Sanktionen in<br />

Rede standen, weil das ist vom Oktober, das kann ich nicht sagen. Müsste man wahrscheinlich<br />

neu aufnehmen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Na dann nehme ich doch direkt den Herrn Steiner, den ich da hinten hier sitzen sehe, dran.<br />

Herr Steiner, was sagen Sie dazu?<br />

Herr Steiner:<br />

Ich habe die Statistik nicht dabei, wir haben es weitergeleitet. Wir sind auch nicht das zuständige<br />

Ministerium. Es gab einige Sanktionen natürlich, ich kann Ihnen aber die Statistik<br />

zuleiten.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Dann bitte den Leiter <strong>der</strong> hamburgischen Auslän<strong>der</strong>behörde, den wir gestern hatten.<br />

Herr Bruhns:<br />

Sanktionen, einmal die, die die Auslän<strong>der</strong>behörde ergreift, einmal die, die SGB II-<br />

Verwaltung macht. Die auslän<strong>der</strong>behördlichen greifen alle noch nicht, weil nämlich dieser<br />

2-jährige Zeitraum noch besteht, bis man überhaupt anfangen muss. Ich finde den Vorschlag<br />

von Frau Prof. John pr<strong>im</strong>a. Ein halbes Jahr müsste reichen. Dann könnte auch die<br />

Auslän<strong>der</strong>behörde schon mal zu einer Sanktion greifen. Das SGB hat am 1.1.2005 begonnen,<br />

bevor die ersten Verstöße bewertbar sind, haben den 1.1. o<strong>der</strong> den 31.12.2006. Bis<br />

dahin können wir noch gar nicht.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Vielen Dank. Das war eine gute Erklärung. Jetzt kommt Herr Klußmann dran. Sie können<br />

das noch mal anfügen aus Hamburg ebenfalls.<br />

Herr Klußmann:<br />

Ja, richtig. Also zu dieser Parallelität <strong>der</strong> leistungsrechtlichen Sanktionierung. Die haben<br />

wir ja auch noch zu <strong>der</strong> Parallelität auslän<strong>der</strong>rechtliche Sanktionierung. Ich halte das in <strong>der</strong><br />

Tat für wenig glücklich. Einmal diese 10 % <strong>im</strong> Aufenthaltsgesetz und dann <strong>im</strong> SGB II. Wir<br />

sind natürlich auch <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> gefragt worden: Wie ist das mit <strong>der</strong> Sanktionierung? Und<br />

haben dann bei unserer Arge nachgefragt. Ich habe dort <strong>im</strong>mer die Antwort erhalten, dass<br />

sanktioniert wird über den Mechanismus <strong>des</strong> SGB II. Das heißt über Verstöße, Einglie<strong>der</strong>ungsvereinbarungen.<br />

Das scheint dort die jedenfalls vorrangige Praxis zu sein und ich<br />

würde es auch begrüßen, wenn man das wie<strong>der</strong> irgendwie zusammenführt. Wobei ich es<br />

insgesamt für besser hielte, wenn das nicht über die Bande Auslän<strong>der</strong>behörde gespielt<br />

wird, son<strong>der</strong>n die leistungsgewährende Stelle, so unsere Vorstellung, möglichst auch<br />

gleich die Verpflichtung macht, nicht nur eine Anregung, und die Auslän<strong>der</strong>behörde macht<br />

dann die Verpflichtung, son<strong>der</strong>n ich meine, es sprechen gute Gründe dafür, dass die leistungsgewährende<br />

Stelle auch gleich die Verpflichtung macht und dann eben auch unmittelbar<br />

die Sanktionierung und nicht über Mitteilungen, die über Bande Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

dann wie<strong>der</strong> zurückgespielt werden. Das Gleiche, denke ich, würde sich anbieten auch bei<br />

den leistungsgewährenden Stellen nach SGB XII mal zu überlegen. Bis jetzt haben wir das<br />

nur <strong>im</strong> SGB II- Bereich so geregelt. Vorhin war mal angesprochen worden, in <strong>der</strong> Tat, die<br />

Problematik <strong>der</strong> ansonsten integrationsbedürftigten Personen, die dann in <strong>der</strong> Regel SGB<br />

XII- Leistungen erhalten. Auch da wäre vorstellbar, dass da die leistungsgewährenden<br />

Stellen unmittelbar auch verpflichten können. Und dann unmittelbar auch sanktionieren<br />

können.


473<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Klußmann. Ich selbst hätte noch eine Frage wegen <strong>der</strong> Verpflichtungen<br />

wegen beson<strong>der</strong>er Integrationsbedürftigkeit an Herrn Huber. Der hatte mir vorhin<br />

aus <strong>der</strong> Seele gesprochen. Ich sehe gelegentlich mal so Entschuldigungen von ausländischen<br />

Müttern, die meine Frau, die ist Lehrerin hier in Berlin, mitbringen, die sind so grässlich<br />

geschrieben, dass man denkt, die müssten sofort einem Deutschkurs zugeführt werden.<br />

Und ich wollte Sie mal fragen Herr Huber, was muss da eigentlich nach Ihrer Meinung<br />

gemacht werden, um diese Mitteilungen etwas zu erhöhen, denn an sich könnten ja die<br />

Schulen Mitteilungen doch machen. O<strong>der</strong> sehen Sie da noch einen Rechtsbedarf, Mitteilungspflichten,<br />

um hier aus datenrechtlichen Gründen einzufügen?<br />

Herr Huber:<br />

Ich sprach ja an, dass wir in Bayern das bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz än<strong>der</strong>n.<br />

Das ist eine rein lan<strong>des</strong>rechtliche Regelung, weil das jetzt geltende Recht, Lan<strong>des</strong>recht,<br />

ausdrücklich ausschließt, dass Schulen Erkenntnisse, die also nicht unmittelbar mit<br />

dem Unterricht zu tun haben und mit dem Unterrichtserfolg <strong>der</strong> Schüler, natürlich nicht gemeldet<br />

werden dürfen, nirgends hingemeldet werden dürfen. Aber diesen Datenschutz<br />

werden wir laut Kabinettsbeschluss vom Dezember 2005 lockern. Und das Kultusministerium<br />

hat bereits eine Än<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes eingeleitet.<br />

Das betrifft aber eben nur die Schulen. Es betrifft nicht die Jugendbehörden, weil<br />

das ja SGB VIII dann wie<strong>der</strong> ist. Es betrifft nicht Kin<strong>der</strong>garten. Wir haben zwar ein bayerisches<br />

Kin<strong>der</strong>bildungs- und Erziehungsgesetz. Aber das n<strong>im</strong>mt natürlich wie<strong>der</strong> Bezug auf<br />

SGB VIII. Sodass wir sofort wie<strong>der</strong> <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>recht sind, und darum sprach ich ja, bei meinen<br />

Ausführungen zu diesen Problemkreis auch an, die Überlegung, ob man eben nicht<br />

die Datenschutzbest<strong>im</strong>mungen verän<strong>der</strong>n müsste. Ich möchte auf die letzte Wortmeldung<br />

ganz kurz eingehen, SGB XII auch einzubeziehen. Ich denke, dass wir doch relativ knappe<br />

Mittel haben, und die Teilnehmer o<strong>der</strong> die Bezieher von SGB XII sind ja nicht erwerbsfähige<br />

Personen. Ich denke, dass wir diesem Personenkreis eine nachrangige Priorität bei <strong>der</strong><br />

Sprachför<strong>der</strong>ung zuerkennen sollten. Solange wir nicht die SGB II Fälle o<strong>der</strong> die an<strong>der</strong>en<br />

Fälle zufrieden stellend gelöst haben, sollten wir, glaube ich, nicht neue Zielgruppen auch<br />

noch dann verpflichten wollen. Also SGB XII Leute scheinen mir nicht die vorrangige Zielgruppe<br />

zu sein. Das sind alte gebrechliche, sonstige nicht Erwerbstätige. Also ich denke,<br />

das man die nicht unbedingt nehmen sollte.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut, herzlichen Dank, Herr Huber. Dann hatte sich da hinten noch gemeldet Herr Bruhns,<br />

Leiter <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde Hamburg. Bitte schön.<br />

Herr Bruhns:<br />

Ja, ich würde gerne eine Anmerkung machen, eine kritische. Ich glaube, wenn Sie erwarten,<br />

dass Schulen, Lehrer und Leute aus den Sozialbereichen gegenüber <strong>der</strong> Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

auch nur eine Mitteilung über einen Auslän<strong>der</strong> machen, dann, denke ich, kennen<br />

sie die Mentalität dieser Leute nicht. Die empfinden die Auslän<strong>der</strong>behörden tatsächlich in<br />

Grunde genommen als ausgesprochen bedrohlich. Und die werden <strong>im</strong>mer die Befürchtung<br />

haben, wenn wir über irgend einen Auslän<strong>der</strong> einer Auslän<strong>der</strong>behörde etwas mitteilen,<br />

dann ist <strong>der</strong> am nächsten Tag auf einem Flieger. Das ist <strong>im</strong>mer noch diese Vorstellung. Die<br />

ist zwar nicht richtig. Aber die kriegt man ganz schwer raus. Eine zweite Anmerkung nur,<br />

auch zu den Schülern. Ein Problem ergibt sich aus <strong>der</strong> Tatsache, dass bis 16-Jährige einreisen<br />

können. Wenn die dann zur Schule gehen, dann sind sie nicht mehr verpflichtet und<br />

haben keinen Anspruch auf die Teilnahme. Die sind aber in <strong>der</strong> Regel aber eben sprachlich<br />

gar nicht so kompetent. Dann passiert das, und die Anmerkung von Herrn Stöcken<br />

fand ich sehr richtig, dann setzt dieses Frustrationspotenzial ein. Die müssen nicht teilnehmen.<br />

In <strong>der</strong> Schule haben sie aber auch keine Chance. Und da müsste man sich tatsächlich<br />

auch <strong>im</strong> Hinblick auf die Diskussion heut morgen überlegen, ob nicht ein Nachzugsalter,<br />

das geringer ist, doch Erfolg versprechen<strong>der</strong> ist, weil da noch eine Chance besteht<br />

einer vernünftigen Integration. Wenn man bis 16 kommen kann, fallen die zwischen<br />

alle Stühle, und eigentlich sind allen Chancen vertan.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut, herzlichen Dank, Herrn Bruhns. Ich bin nicht so blauäugig, wie Sie vielleicht eben<br />

dachten. Ich weiß schon, wie die Schulverwaltungen denken, und auch, wie die Sozialverwaltungen<br />

denken, also keine Bange. Ich wollte nur, dass die Anregung von Herrn Huber<br />

vorhin mal etwas mehr vertiefen. So jetzt hatte sich da hinten <strong>der</strong> Herr neben Frau von<br />

Heinz gemeldet. Wenn Sie Ihren Namen mal sagen.


474<br />

Herr Brandstädter:<br />

Brandstädter ist mein Name vom Diakonischen Werk, <strong>der</strong> EKD. Ein paar Worte noch zur<br />

Migrationserstberatung. Herr Dr. Griesbeck hat ja vorhin die Migrationserstberatung vorgestellt.<br />

Kurz. Ich denke mal, man kann schon sagen, dass es eine Erfolgsgeschichte ist.<br />

Trotz allem hat eine starke Umstrukturierung statt gefunden, nicht nur neue Zielgruppen<br />

o<strong>der</strong> die Zusammenlegung von Zielgruppen, son<strong>der</strong>n auch neue Inhalte <strong>der</strong> Beratung und<br />

das läuft soweit ganz gut, denke ich. Ein ganz wichtiges Moment bei <strong>der</strong> Migrationserstberatung<br />

ist ja auch, dass sie dazu beiträgt, sozialen Sprengstoff, <strong>der</strong> Entwicklung von sozialem<br />

Sprengstoff in unserem Lande mit entgegen zu wirken. Aber zwei Fragen, denke ich,<br />

sollte man trotzdem noch einmal berücksichtigen bei dieser Sache. Das eine ist, wir beobachten<br />

eine starke Verunsicherung bei einer großen Zahl von Erstberatungsstellen hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Kontinuität dieser Dienste und damals hatten wir schon gesagt, vorgeschlagen,<br />

ob man nicht eine gesetzliche Verankerung dieses Integrationsinstrumentes o<strong>der</strong> eine<br />

noch bessere gesetzliche Verankerung för<strong>der</strong>n kann. Es ist auch eine Frage an die hier<br />

anwesenden Abgeordneten und zum an<strong>der</strong>en ist die Frage bei <strong>der</strong> <strong>Evaluierung</strong>, und das<br />

denke ich, müsste man auch nach verschiedenen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n machen. Die Situationen<br />

sind da sehr verschieden. In einigen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n gibt es komplementäre Instrumente,<br />

und an<strong>der</strong>e Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> haben die Instrumente gestrichen. Und es ist die Frage auch<br />

von hier aus, von diesem Kreis und von <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>ebene aus, wie da zu mehr einheitlichen<br />

o<strong>der</strong> ausgeglicheneren Situationen wie man da hinkommen kann. Vor allem auch natürlich<br />

östlichere Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> haben da einfach auch wahrscheinlich weniger Möglichkeiten.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Brandtstädter. Es war ein Appell. Ich weiß, ich kenne die For<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> evangelischen Kirche bei <strong>der</strong> Migrationserstberatung eine gesetzliche Verankerung<br />

vorzunehmen. Das ist jetzt nicht ganz neu, aber eben auch nachdenkenswert. Gibt es<br />

weitere Fragen? Eine Frage Frau Feldgen, genau. Achso, Sie hatten ein kompliziertes<br />

Netzwerk von Fragen gestellt. Deswegen ist es wahrscheinlich auch durchgefallen. Von<br />

wem wollten Sie noch eine Antwort haben?<br />

Frau Feldgen:<br />

Das habe ich hier benannt mit drei und vier. Das eine war an Herrn Stöcken, ob die Instrumente<br />

<strong>des</strong> SGB II ausreichen. Und die vierte Frage war wegen migrationsspezifischer<br />

Beratung, Netzwerken und so weiter außerhalb <strong>der</strong> Regelangebote.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Gut, dann kriegt Herr Stöcken noch mal das Wort und dann Herr Huber und dann kommen<br />

wir allmählich zum Ende.<br />

Herr Stöcken:<br />

Die Maßnahmenmöglichkeiten <strong>im</strong> SGB II sind kreativ genug. Man muss sie nur anwenden,<br />

und hier muss man irgendwie einen Ausgleich zwischen Ausschreibungsverpflichtungen<br />

und schnellen Lösungen finden. Best<strong>im</strong>mte Dinge, die man aus dem Beratungsprozess<br />

braucht, dann auszuschreiben, macht große Probleme. Aber das sind Dinge, die man weiter<br />

regeln muss. Und migrationsspezifische Beratung, ich nehme an für die Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter, dass sie den Bedürfnissen und Bedarf <strong>der</strong> Leute entsprechen können,<br />

glaube ich, das ist meine persönliche Einschätzung, wird man brauchen, solange man<br />

Menschen berät. So fit kann keiner sein, sodass er all diese Dinge ständig parat hat.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Stöcken. Und dann noch mal Herr Huber bitte schön.<br />

Herr Huber:<br />

Eine ganz kurze Bemerkung zu <strong>der</strong> Wortmeldung von Herrn Brandtstädter. In Bayern werden<br />

die Migrationsberatungsstellen auch neben dem Bund geför<strong>der</strong>t. Wir haben, glaube ich<br />

einen, von <strong>der</strong> Zahl her für Bayern, gutes Netz von etwa 150 Beratern. Wir haben aber das<br />

große Problem, dass wir den Bedarf für die Beratungen nur sehr, sehr schwer feststellen<br />

können. Die vorrangige Aufgabe, die nach <strong>der</strong> Konzeption <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>, aber auch nach<br />

unseren <strong>Rahmen</strong>vorstellungen, die ich auch erwähnt habe in meinem Statement, vorgegeben<br />

haben. Nämlich die Integrationsbegleitung vor und während <strong>des</strong> Integrationskurses<br />

und danach wird noch sehr, sehr wenig wahrgenommen. Die Verbände sehen auch an<strong>der</strong>e<br />

Bedarfe, also das heißt, mit dem Schlagwort migrationsspezifische Beratung ist eigentlich


475<br />

viel mehr verbunden. Bevor man sich diesem Thema nähert, müsste man wirklich die Bedarfe<br />

noch genauer festlegen und tiefer gehende Diskussionen führen.<br />

Herr Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Huber. Ich wollte dann hier zum Ende kommen. Und wie je<strong>des</strong> Mal<br />

werde ich auch hier, obwohl beson<strong>der</strong>s schwierig ist, eine Zusammenfassung versuchen.<br />

In diesmal fünf Punkten.<br />

Der erste Punkt Von den <strong>Praktiker</strong>n ist festgestellt worden, dass die Integrationsregelungen<br />

<strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz ein richtiger und wichtiger Schritt waren. Dann Frau Prof.<br />

John, die hier neben mir sitzt, wies darauf hin, dass es ein Quantensprung gegenüber <strong>der</strong><br />

früheren Situation war. Erfreulich ist und war, dass die Integrationskurse auch von einer<br />

großen Zahl von Bestandsauslän<strong>der</strong>n in Anspruch genommen werden.<br />

Zweitens: Allerdings zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass doch über eine Reihe von<br />

weiteren Verbesserungen nachgedacht werden sollte und nachgedacht werden muss.<br />

Einmal 600 Stunden ist von einer Reihe von Experten als zu wenig angesehen worden und<br />

es ist hier die Frage gestellt worden o<strong>der</strong> die For<strong>der</strong>ung gestellt worden, dass man vielleicht<br />

die Stundenzahl erhöht. 900 Stunden waren da <strong>im</strong> Gespräch. Der zweite Punkt, Herabsetzung<br />

<strong>der</strong> Zahlen <strong>der</strong> Kursteilnehmer, ist angesprochen worden und von vielen gefor<strong>der</strong>t<br />

worden.<br />

Dann drittens: Die Frist zur Teilnahme am Sprachkurs sollte von zwei Jahren herabgesetzt<br />

werden. Sechs Monate waren da <strong>im</strong> Gespräch.<br />

Der nächste Punkt: Integrationskurse sind auch gefor<strong>der</strong>t worden für integrationsbedürftige<br />

eingebürgerte Deutsche. Auch ein wichtiger Punkt. Dann ist angesprochen worden ein<br />

besserer Informationsaustausch zwischen Behörden, um die Integrationsverpflichtung in<br />

besserem Maße auszusprechen.<br />

Als nächster Punkt: Es ist darauf hingewiesen worden, dass bei Familienangehörigen von<br />

Spätaussiedlern aus integrationspolitischer Sicht die For<strong>der</strong>ung von einfachen Deutschkenntnissen<br />

vor <strong>der</strong> Einreise wichtig ist.<br />

Dann <strong>der</strong> nächste Punkt: Es ist kritisch hinterfragt worden, ob die Verpflichtungsregelung,<br />

ich habe es eben schon mal erwähnt, als ganz wichtiger Schritt angesehen werden, ausreichend<br />

sind, wie wir es jetzt gemacht haben. Dabei ist auch darauf hingewiesen worden,<br />

dass hier ein stärkerer Informationsaustausch eben doch vorgenommen werden sollte zwischen<br />

Sozialbehörden, Schulen. Wir haben es eben gerade erörtert.<br />

Dann als letzter Punkt: Hinsichtlich <strong>der</strong> Migrationserstberatung ist gefor<strong>der</strong>t worden, dass<br />

hier eine gesetzliche Verankerung stattfindet, weil doch eine Reihe von Län<strong>der</strong>n diese<br />

Migrationserstberatung eben vor einigen Jahren eingestellt haben.<br />

Das wäre jetzt meine Zusammenfassung, die gewiss nicht in Anspruch n<strong>im</strong>mt, dass sämtliche<br />

Punkte, die wir in diesem zwei Stunden erörtert haben o<strong>der</strong> zweieinhalb Stunden waren<br />

es, umfassen sollte. Ich bedanke mich ganz herzlich und wir machen jetzt erstmal eine<br />

Pause. Die könnte eine viertel Stunde sein und dann fangen wir kurz nach halb an mit <strong>der</strong><br />

Staatsangehörigkeit. Danke schön.<br />

IX. Themenkomplex Staatsangehörigkeit<br />

1. Anmo<strong>der</strong>ation durch Herrn Dr. Lehnguth<br />

So, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Reihen haben sich etwas gelichtet. So<br />

wir kommen jetzt zum 7. Themenkomplex, das Staatsangehörigkeitsrecht. Das ist auch <strong>der</strong><br />

letzte Komplex, den wir auf dieser <strong>Praktiker</strong>-Tagung, <strong>Praktiker</strong>-<strong>Erfahrungsaustausch</strong> ansprechen<br />

wollen. Wir wollen, ich will auch nur kurz einführen, die verän<strong>der</strong>te sicherheitspolitische<br />

Lage hat auch nicht nur Auswirkungen auf den Bereich be<strong>im</strong> Themenkomplex „Innere<br />

Sicherheit“ gehabt, son<strong>der</strong>n hat eben auch Auswirkungen auf Verfassungsschutzbehörden,<br />

auch aber auf die Frage <strong>des</strong> Staatsangehörigkeitsrechts und die Regelanfrage haben<br />

wir mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz eingeführt. Wir wollen einmal darüber etwas<br />

hören, aber vielleicht auch etwas über größere Zusammenhänge und über die Zusammenarbeit<br />

von Einbürgerungsbehörden auf <strong>der</strong> einen Seite Auslän<strong>der</strong>behörden und<br />

Sicherheitsbehörden, welche Auswirkungen dies auf das Einbürgerungsverfahren hat. Und<br />

ich möchte Ihnen erstmal vorstellen, Herrn Jungnickel, Dezernatsleiter <strong>im</strong> Regierungspräsidium<br />

Darmstadt, <strong>der</strong> als erstes gleich mal das Wort ergreifen kann und dann Referatsleiter<br />

und Sachgebietsleiter für Staatsangehörigkeitsrecht <strong>der</strong> Senatsverwaltung für Inneres


476<br />

Berlin, Herrn Stichaner, <strong>der</strong> rechts neben mir sitzt. Dann werde ich erstmal Herrn Jungnickel<br />

das Wort geben. Bitte schön.<br />

2. Herr Jungnickel<br />

Vielen Dank. Zu Recht ist das Thema „Staatsangehörigkeitsrecht“ ans Ende dieser zweitägigen<br />

Sitzung gesetzt worden, denn mit einer Novellierung <strong>des</strong> Staatsangehörigkeitsrechts<br />

hat <strong>der</strong> fünfte Artikel <strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes nichts zu tun o<strong>der</strong> nur in ganz wenigen<br />

Marginalien, auf die ich eingehen werde. Es handelte sich letztlich um eine redaktionelle<br />

Zusammenführung, die einfach stattfinden musste, weil ja das Auslän<strong>der</strong>gesetz weggefallen<br />

ist und die Regeln <strong>des</strong> Staatsangehörigkeitsrechts zum Einbürgerungsrecht, die sich<br />

darin befanden, die mussten ja übergeführt werden in das Staatsangehörigkeitsgesetz.<br />

Wenn es sich auch dabei mehr um eine Novellierung bei Gelegenheit gehandelt hat, so erfüllt<br />

es doch eine lange For<strong>der</strong>ung aus <strong>der</strong> Praxis, jedenfalls zum Teil, die heillos zersplitterte<br />

und historisch begründet heillos zersplitterte Rechtsmaterie <strong>des</strong> Einbürgerungs- und<br />

Staatsangehörigkeitsgesetzes zusammenzuführen und die <strong>Praktiker</strong> haben die Hoffnung,<br />

dass das dann auch endgültig gelingt. Denn es gibt nach wie vor – das ist nur Insi<strong>der</strong>n bekannt<br />

– noch auf dem ein o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>n Rechtsgebiet weitere Einbürgerungsregeln, die einfach<br />

verschwinden müssen und in einem einheitlichen Staatsangehörigkeitsgesetz hineingehören.<br />

Bei dieser Gelegenheit ist auch evident geworden, dass es – ich sag mal – vielleicht<br />

nicht mehr zeitgemäß ist, dass zwei Einbürgerungsthemen parallel und gleichberechtigt<br />

gegenüber stehen. Das ist zum einen die Ansprucheinbürgerung und zum an<strong>der</strong>n die<br />

Ermessenseinbürgerung. Zu einer Zeit, als es noch unterschiedliche Regeln, was das gab.<br />

Als wir die noch hatten, nämlich als die Anspruchseinbürgerung 15 Jahre Aufenthalt voraussetzte<br />

und die Ermessenseinbürgerung nur 10, hatte diese gleichberechtigte Bedeutung<br />

schon seinen Sinn. Jetzt sind wir auf dem gleichen Level von 8 Jahren und dann stellt<br />

sich doch die Frage, ob man nicht eine Hierarchie bildet, das heißt die Anspruchseinbürgerung,<br />

§ 10 heißt es ja jetzt, steht an erster Stelle und nur ganz ausnahmsweise gibt es eine<br />

Ermessenseinbürgerung. Dass das nach wie vor gleichberechtigt nebeneinan<strong>der</strong> steht, ist<br />

meines Erachtens nicht mehr berechtigt und führt auch in <strong>der</strong> Praxis insofern zu Mehrarbeit<br />

als je<strong>der</strong> Ablehnungsbescheid auf min<strong>des</strong>tens zwei Tatbestände gestützt werden muss,<br />

vergesse ich die Ermessenseinbürgerung, das ist kein Gehe<strong>im</strong>nis dann ist mein Bescheid<br />

zunächst einmal neu zu machen und aufzuheben. Ich möchte auch auf das eingehen, was<br />

es neu gegeben hat, allerdings neu nur <strong>im</strong> Gesetz, in <strong>der</strong> Praxis nicht.<br />

Der § 37 <strong>des</strong> Staatsangehörigkeitsgesetzes hat die Regelanfrage be<strong>im</strong> Verfassungsschutz<br />

verbindlich vorgeschrieben. In den meisten Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n hat’s das bereits gegeben, in<br />

Hessen auch. Insofern hat dieser Artikel, dieser Paragraph letztlich das festgeschrieben,<br />

was wir in <strong>der</strong> Praxis schon hatten. Gleichwohl eine wichtige Regelung, weil kein Land, aus<br />

welchen Gründen auch <strong>im</strong>mer, nunmehr ausscheren kann und insofern auch richtig und<br />

wichtig. Ich darf vielleicht kurz schil<strong>der</strong>n, wie das in Hessen stattfindet, wobei wir insofern<br />

eine kleine – ich sag mal – Beson<strong>der</strong>heit in <strong>der</strong> Form haben, dass wir organisatorisch nur<br />

aus drei Einbürgerungsbehörden bestehen, nämlich aus den drei Regierungspräsidien.<br />

Das hat natürlich in schwierigen Fällen und in Fällen <strong>der</strong> Gleichbehandlung seinen Vorteil<br />

und auch in <strong>der</strong> Zusammenarbeit mit den Verfassungsschutzbehörden. Es sind halt sehr –<br />

wir hatten das in einem an<strong>der</strong>en Zusammenhang auch gehört – sehr kurze Wege und sehr<br />

schnelle Abst<strong>im</strong>mungen möglich, das heißt die Behörde macht in jedem Fall eine so genannte<br />

Regelanfrage. Wir können das mittlerweile sogar elektronisch machen, das heißt<br />

da geht eine Anfrage raus und die wird in 99 Prozent <strong>der</strong> Fälle auch negativ beantwortet,<br />

auch auf elektronischem Wege und schon kann <strong>der</strong> Einbürgerungsantrag, jedenfalls was<br />

das angeht, weiter bearbeitet werden ohne auf den Ausschlussgrund eingehen zu müssen.<br />

Gibt es Erkenntnisse, dann werden die uns auf schriftlichem Wege dann mitgeteilt, wobei<br />

dann die Einbürgerungsbehörde weitere Ermittlungen anstellt, etwa über die Auslän<strong>der</strong>behörde,<br />

etwa über die Auswertung <strong>der</strong> Asylakte, weil auch dort schon, wenn es z.B. um Unterstützung<br />

von mittlerweile hier verbotenen Vereinen geht, dort schon eventuelle Bezüge<br />

vorhanden sein können. Aber die Arbeit <strong>der</strong> Einbürgerungsbehörde befasst sich auch mit<br />

Auswertung von Strafakten z.B. einer Einstellung nach § 153 StPO, die ja zu keiner Verfolgung<br />

führt, aber zumin<strong>des</strong>t aussagt, da war was gewesen. Gibt natürlich auch Erkenntnisse<br />

<strong>im</strong> Sinne <strong>des</strong> Ausschlussgrun<strong>des</strong> <strong>der</strong> verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Also kurzes<br />

Fazit: § 37 StAG als einheitliche Regelung <strong>der</strong> Regelanfrage, den kann man nur be-


477<br />

grüßen, weil er etwas klarstellt, was in <strong>der</strong> Vergangenheit jedenfalls unter den einzelnen<br />

Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n durchaus strittig war, ob das eben gemacht werden sollte o<strong>der</strong> eben nicht.<br />

Zweiter Punkt. Es gibt eine kleine § 8 Abs. 2 <strong>des</strong> Staatsangehörigkeitsgesetzes, eine kleine<br />

Einfallsklausel in <strong>der</strong> Ermessenseinbürgerung. Die hatten wir früher nicht. Wer früher<br />

Bezieher öffentlicher Leistungen war, war von <strong>der</strong> Ermessenseinbürgerung grundsätzlich<br />

ausgeschlossen. Nunmehr kann man bei beson<strong>der</strong>er Härte trotzdem weiter machen. Die<br />

praktische Bedeutung dieses § 8 Abs. 2 ist gemessen an <strong>der</strong> Fallzahl, die wir zu bearbeiten<br />

haben marginal. Das schon genannte Verkürzungsjahr bei einem Integrationskurs kann<br />

aus Zeitgründen noch keine Rolle spielen, das wird uns erst in Zukunft vorgelegt werden<br />

können, das spielt für uns keine Rolle.<br />

Das war’s <strong>im</strong> Wesentlichen schon, was das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz gebracht hat, wie gesagt,<br />

eine redaktionelle Zusammenführung. Weil aber – ich sag’s jetzt mal so – das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz<br />

die eigentliche Zäsur <strong>des</strong> Einbürgerungsrechts, nämlich die zum Jahre<br />

2000 fortgeschrieben hat, denke ich, ist es hier auch <strong>der</strong> Ort, wo man auf das ein o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

jedenfalls aus praktischer Erfahrung nicht aus politischen Dingen, was Eid- und Fragenkataloge<br />

angeht, aus praktischer Sicht zu sagen wäre. Da ist zum einen, es hat sich<br />

gezeigt bei den wichtigen und spannenden Themen, dass eine unterschiedliche Praxis <strong>der</strong><br />

Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong> wirklich eklatant eingetreten ist. Zum einen bei <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> ausreichenden<br />

Deutschkenntnisse, was sind ausreichende Deutschkenntnisse, welche Nachweise lasse<br />

ich mir da geben. Zum an<strong>der</strong>en bei <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Mehrstaatigkeit, insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> so<br />

genannten Gegenseitigkeit EU ist es zu einer unterschiedlichen Praxis gekommen, die lei<strong>der</strong><br />

– muss man hier so sagen – auch durch Bun<strong>des</strong>verwaltungsgerichtsentscheidungen,<br />

wir hatten zum Deutschtest <strong>im</strong> Oktober eine Entscheidung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verwaltungsgerichts<br />

und wir hatten zu <strong>der</strong> Frage Gegenseitigkeit EU ein Jahr zuvor am 20. April eine Entscheidung,<br />

gleichwohl nicht zu einer, jedenfalls ist das meine Beobachtung, einheitlichen Praxis<br />

geführt hat. Wenn Sie mich fragen, wie man das än<strong>der</strong>n kann, man kann es nur än<strong>der</strong>n,<br />

indem man eine Legaldefinition ins Gesetz hineinbekommt, wobei es kein großes Problem<br />

wäre, die Leitsätze von Bun<strong>des</strong>verwaltungsgerichtsentscheidungen umzumünzen, wenn<br />

man das möchte.<br />

Zweite Beobachtung neben <strong>der</strong> unterschiedlichen Praxis ist, dass jetzt <strong>im</strong>mer stärker werdende,<br />

was ich Wertewi<strong>der</strong>spruch nennen möchte. Auf <strong>der</strong> einen Seite – ich hatte es kurz<br />

geschil<strong>der</strong>t – wir schließen zu Recht Menschen von <strong>der</strong> Einbürgerung aus, denen wir sagen,<br />

du stehst nicht auf dem Boden <strong>des</strong> Grundgesetzes. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite bürgern wir<br />

und zwar <strong>im</strong> Anspruch Menschen ein, die schon lange bewiesen haben, dass sie mit <strong>der</strong><br />

Rechtsordnung in Konflikt stehen, nämlich Mehrfachstraftäter. Wir haben eine Regelung<br />

nach wie vor fortgeschrieben <strong>im</strong> Gesetz, die sagt, als Bagatelle <strong>im</strong> Einbürgerungsrecht sind<br />

6 Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung. Wer sich in dem Metier auskennt, ich denke das<br />

sind die Meisten, weiß da muss man schon ganz schön was anstellen, um 6 Monate Freiheitsstrafe<br />

auf Bewährung zu bekommen und jetzt kommt noch hinzu, und wenn ich das<br />

mehrfach <strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>zentralregister habe, ist das auch nicht schädlich, weil diese Vorstrafen<br />

nicht kumuliert werden dürfen, weil - das ist mittlerweile auch längst entschieden – <strong>der</strong><br />

Wortlaut <strong>des</strong> Gesetzes das nicht zulässt. Das heißt, auf <strong>der</strong> einen Seite <strong>im</strong> Vorfeld <strong>des</strong><br />

Strafrechts, ich sag noch mal zurecht, schließen wir Menschen von <strong>der</strong> Einbürgerung aus,<br />

wo Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie nicht auf dem Boden <strong>des</strong> Grundgesetzes stehen.<br />

Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite haben wir eine Messlatte nach wie vor, die diesen Gedanken,<br />

den wir da zum Ausdruck bringen, eigentlich nicht entspricht.<br />

Ein weiterer Punkt: Rücknahme von Einbürgerungen. Rücknahme von Einbürgerungen<br />

wird <strong>des</strong>halb verstärkt zum Thema, weil eben die Dinge, die wir eben Ausschlussgrund<br />

nennen, mitunter auch erst nachträglich bekannt werden. Das liegt in <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> Sache,<br />

dass auch erst nachträglich festgestellt wird, <strong>der</strong> Mensch war – ich sag’s jetzt mal – für die<br />

verbotene PKK tätig. Wir kriegen das erst nachher mit. Wir sind bislang nur auf das Verwaltungsverfahrensgesetz<br />

verwiesen über die Rücknahme nach § 48 <strong>des</strong> Verwaltungsverfahrensgesetzes.<br />

Das ist schwierig. Das ist für die Gerichte schwierig. Das ist für die Verwaltung<br />

schwierig, weil es ja – wie Sie wissen – ein Artikel 16 Grundgesetz gibt, <strong>der</strong> den<br />

Entzug <strong>der</strong> Staatsangehörigkeit beson<strong>der</strong>s schützt, zurecht aufgrund <strong>der</strong> Nazi-Vorgänge,<br />

die wir da ja <strong>im</strong> Grundgesetz umgemünzt haben, was dort an schl<strong>im</strong>men Dingen passiert<br />

ist. Ich meine, ich will noch ein Beispiel nennen, wo wir in <strong>der</strong> Tat auch praktische Schwierigkeiten<br />

haben. Ich meine schon allein <strong>der</strong> Respekt vor Artikel 6 gebietet es, dass die


478<br />

Rücknahme <strong>der</strong> Einbürgerung auf gesetzliche Grundlage gesetzt wird und dass wir nicht<br />

auf die allgemeinen Vorschriften <strong>des</strong> Verwaltungsverfahrensgesetzes verwiesen werden.<br />

Ich will ein Beispiel nennen, bislang haben die Gerichte – ich sag mal – sehr wie soll ich<br />

sagen, findig und kooperativ das Thema aufgegriffen. Es gibt eine Bun<strong>des</strong>verwaltungsgerichtsentscheidung,<br />

die sagt, Artikel 16 schützt eben nicht die erschlichene durch bewusste<br />

Täuschung erworbene Staatsangehörigkeit. Nun haben wir, Thema eben man ist für einen<br />

verbotenen Verein tätig, nun haben wir diese Loyalitätserklärung. Die unterschreibt <strong>der</strong><br />

Mensch, indem er unterschreibt. Er sagt, ich habe niemals irgendwo mitgewirkt, was Probleme<br />

in diese Richtung aufwirft. Das unterschreibt er. Jetzt muss das Gericht – und wir –<br />

sagen, dass ihn diese Unterschrift und dieser wahrheitswidrigen Unterschrift eine bewusste<br />

Täuschung <strong>der</strong> Behörde liegt. Bislang machen das die Gerichte mit. In einem Fall hat das<br />

Verwaltungsgericht Darmstadt in erster Instanz – wir kämpfen in zweiter Instanz – nicht<br />

mitgemacht. Es war nämlich folgen<strong>des</strong> passiert: er hat unterschrieben und er ist erst nachträglich<br />

in einem verbotenen Verein tätig gewesen. Da hat das Gericht gesagt, wir haben<br />

hier keine bewusste Täuschung <strong>der</strong> Behörde. Wir haben natürlich gesagt, dass muss sich<br />

doch perpetuieren. Er kann nicht einfach unterschreiben und hinterher machen was er will.<br />

Aber Sie sehen an diesem Beispiel, nur das Verwaltungsverfahrensgesetz zu haben, kann<br />

ein Problem bedeuten. Ich sag noch mal, dass <strong>der</strong> Status Staatsangehörigkeit ist viel zu<br />

wichtig vom Erwerb her natürlich genauso als auch von <strong>der</strong> Rücknahme her, dass wir nur<br />

Verwaltungsverfahrensgesetz haben, das gehört auf gesetzliche Grundlage gestellt.<br />

Und noch ein Letztes, wobei das nicht Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, es gibt noch<br />

mehr Themen, die also anzusprechen wären, aber das würde meine Zeit dann doch ein<br />

wenig sprengen. Ich will damit letztlich, bevor ich das letzte Thema anspreche, eigentlich<br />

dafür werben, dass man, unabhängig <strong>der</strong> schwierigen politischen Diskussion um Staatsangehörigkeitsrecht<br />

und Einbürgerung ein weites Spektrum hat von Themen, die – ich sag<br />

mal – mehr praktischer Art sind, wobei sich dann die <strong>Praktiker</strong> aus Hamburg, Hessen und<br />

Bayern auch sehr schnell einig werden, wie man das sinnvoll löst. Dass das dann aber in<br />

<strong>der</strong> Gefahr steht, dass es überhöhende Themen dann eventuell wie<strong>der</strong> eingefangen wird.<br />

Das haben wir lei<strong>der</strong> schon ein paar Mal erlebt. Gleichwohl erlaube ich mir es an dieser<br />

Stelle so zu erwähnen. Das letzte was ich noch hier ansprechen wollte, war die Wechselwirkung<br />

zwischen dem § 38 <strong>des</strong> Aufenthaltsgesetzes und dem § 25 <strong>des</strong> Staatsangehörigkeitsgesetzes.<br />

Der § 38 AufenthG hat erstmalig zum 1. Januar 2005 den Status eines ehemaligen<br />

Deutschen geregelt, was <strong>der</strong> für ein Aufenthaltsrecht bekommt, denn wir haben<br />

seit dem Jahr 2000 einen automatischen Verlust <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit. Nach<br />

dem Wegfall <strong>des</strong> Inlandsprivilegs trifft das ja Jeden. Das haben wir schon fünf Jahre gehabt<br />

und ich sage mal die Dunkelziffer <strong>der</strong> Menschen, die das betrifft, stieg und stieg. Aber<br />

erst <strong>der</strong> § 38 hat jetzt mal bewusst gemacht, dass es so etwas gibt und dass die auch einen<br />

Titel brauchen die Menschen, wenn sie eben als ehemalige deutsche Staatsangehörige<br />

in Deutschland eben hier leben und <strong>des</strong>halb hat dieser 1. Januar 2005 <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

mit dem § 38 ein Schub gebracht hinsichtlich <strong>der</strong> Prüfung <strong>der</strong> Fälle, wer denn nämlich<br />

die deutsche Staatsangehörigkeit bereits wie<strong>der</strong> verloren hat. Insbeson<strong>der</strong>e hat das –<br />

Herr Kolat – natürlich die türkische Klientel getroffen. Sie wissen das sehr gut, aber das ist<br />

bei Leibe kein türkisches Problem und <strong>des</strong>wegen spreche ich das hier auch an, damit es<br />

eben nicht so einseitig eventuell aufgefasst wird. Es ist ein Problem was Alle betrifft. Die<br />

Dunkelziffer wird gewaltig sein. Denken Sie nur an die Fälle und wir haben vor zwei Jahren<br />

war es etwa, das 40-jährige Bestehen <strong>der</strong> deutsch-französischen Freundschaft gefeiert<br />

und dabei wurde groß propagiert, Mehrstaater deutsch-französisch, sollen diese Menschen<br />

doch gerne werden. Und wenn das ein Deutscher getan hat, und nicht daran gedacht hat,<br />

dass es den § 25 in <strong>der</strong> alten Form nicht mehr gab, <strong>der</strong> hat die deutsche Staatsangehörigkeit<br />

schon wie<strong>der</strong> verloren. Und in diesem Zusammenhang müsste man vielleicht mal überlegen<br />

-es gibt also wirklich tragische Fälle, die auf meinem Schreibtisch landen – ob<br />

nicht die Beibehaltungsgenehmigung, die das ja schützt, aber daran muss man denken<br />

und die muss auch vorher erteilt worden sein, ob die nicht vielleicht auch eine heilende<br />

Wirkung entfalten sollte, denn <strong>der</strong> Staat will ja sagen, du darfst ja Mehrstaater sein. Es ist<br />

nur irgendwie schief gelaufen. Nur den Menschen, <strong>der</strong> mal Deutscher war, jetzt zu sagen,<br />

jetzt musst du die ganze Ochsentour <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>einbürgerung machen und eventuell scheitert<br />

er sogar an irgendeiner Stelle, das ist gar nicht auszumalen.<br />

Zwischenkommentar Dr. Lehnguth:<br />

Aber auch he<strong>im</strong>lich.


3. Herr Stichaner<br />

479<br />

Herr Jungnickel:<br />

Nein, nein nicht he<strong>im</strong>lich, auf keinen Fall. Ja das wäre auch so ein Punkt, <strong>der</strong> Praxis. Ich<br />

denke die Dunkelziffer wird noch sehr, sehr hoch sein. Der in <strong>der</strong> Praxis eben einem auffällt<br />

und das waren so ein paar Bemerkungen aus dem <strong>Praktiker</strong>-Leben eines Menschen.<br />

Staatsangehörigkeitsrecht in Darmstadt. Danke schön.<br />

Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank, Herr Jungnickel. Dann kommt mal Herr Stichaner hier von Berlin von <strong>der</strong><br />

Senatsverwaltung dran. Herr Stichaner, Sie haben das Wort. Bitte schön.<br />

Ja. Vielen Dank. Ich bin ja Herrn Jungnickel dankbar, dass er schon also einen Abriss von<br />

vielen Themen, die das Staatsangehörigkeitsrecht betrifft, vorgenommen hat, so dass ich<br />

mich dann <strong>im</strong> Schwerpunkt – dafür bin ich nämlich eingeladen worden – auf die Erfahrung<br />

mit <strong>der</strong> Regelanfrage konzentrieren kann. Also eine Bemerkung und zwei erlauben Sie mir<br />

aber doch zu Ihrem Statement. Das was Sie da geschil<strong>der</strong>t haben, diese hohe Dunkelziffer<br />

und die Tatsache, dass die deutschen Behörden in aller Regel, es gibt ja auch keine Einbürgerungsmitteilungen<br />

und es gibt auch keine Listen z.B. von den türkischen Behörden,<br />

nichts mitbekommen von diesem Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit und damit<br />

vom Verlust <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit und die massive Hinnahme von Mehrstaatigkeit<br />

schon bei <strong>der</strong> Einbürgerung und auch die Mehrstaatigkeit, die Kraft Geburtes entsteht<br />

und die Mehrstaatigkeit, die bei Aussiedlern entsteht, die Polen, Russen sind und<br />

dann auch Deutsche werden, spricht ganz eindeutig für die pauschale Hinnahme von<br />

Mehrstaatigkeit und zwar nicht aus Gründen einer Multi-Kulti-Seeligkeit son<strong>der</strong>n aus<br />

Staatsinteressen. Weil die Behörden mit diesem Thema nicht mehr zurechtkommen, das<br />

ist alles ganz nett, man hat die deutsche Staatsangehörigkeit verloren, es kriegt nur Niemand<br />

mit, die Mel<strong>der</strong>egister sind zum Großteil falsch etc. Das ist jetzt vielleicht – sag ich<br />

mal – vor den Wahlen in Berlin jetzt für uns kein Thema, das groß zu propagieren, aber ich<br />

denke schon, dass die große Koalition dieses Thema – zumal es eigentlich ansonsten nur<br />

um Verschärfungen <strong>des</strong> Einbürgerungsrechts geht – zum Teil berechtigt, da kann man<br />

<strong>im</strong>mer Gründe dafür finden, dass diese relativ lachse Handhabung entgegenstehen<strong>der</strong><br />

Straftaten bei <strong>der</strong> Anspruchseinbürgerung betrifft etc. Man kann auch diskutieren, ob<br />

Staatsbürgerschaftskurse o<strong>der</strong> Tests einführt werden, man kann auch drüber diskutieren,<br />

ob man das Niveau für die ausreichenden Sprachkenntnisse von A2 auf B1 schraubt, entsprechend<br />

<strong>des</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetzes. Doch irgendwo muss auch ein Ausgleich kommen,<br />

sag ich mal. Sowohl aus staatlichen als auch aus politischen Interessen. Also das<br />

konnte ich mir jetzt doch nicht verkneifen, dieses Statement. Dann konkret noch zur<br />

Regelanfrage. Das was Sie gesagt haben, Herr Jungnickel, dass die Gerichte bekräftigt<br />

haben, dass man die innere Einstellung eines Menschen sozusagen <strong>im</strong> nach hinein nicht<br />

bewerten kann, spricht übrigens auch ganz eindeutig gegen Vorstellungen, z. B. aus Baden-Württemberg,<br />

dass über Fragebogen etc. abzuprüfen. Das ist schlicht und ergreifend<br />

nicht möglich. Und wir haben ja durch <strong>im</strong> geltenden Gesetzesrecht Möglichkeiten zu prüfen<br />

durch die Regelanfrage. Das ist ja sozusagen schon letztlich durch die Än<strong>der</strong>ung <strong>des</strong><br />

Staatsangehörigkeitsrechts von Rot/Grün eingeführt worden, dass eine Einbürgerung eben<br />

schon ausgeschlossen ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Einbürgerungsbewerber<br />

best<strong>im</strong>mte Bestrebungen unterstützt. Ich will Sie jetzt nicht <strong>im</strong> Einzelnen<br />

nennen. Das können Sie auch in meinem schriftlichen Statement nachlesen. Und wer<br />

verfügt über die Erkenntnisse, dass ein Einbürgerungsbewerber solche Bestrebungen unterstützt?<br />

Doch nur <strong>der</strong> Verfassungsschutz, denn <strong>der</strong> beobachtet wortgleich, geregelt durch<br />

die Verfassungsschutzgesetze entsprechende Bestrebungen und die Organisationen und<br />

hat Erkenntnisse dann über einzelne. Also worauf ich hinaus will, die Regelanfrage ist notwendig,<br />

sie hat sich bewährt. Herr Jungnickel hatte schon zurecht gesagt, sie ist schon<br />

Verwaltungspraxis auch vor <strong>der</strong> konkreten Einführung <strong>im</strong> Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz gewesen<br />

und vereinfacht die Ablehnung von Einbürgerungsanträgen bei Sicherheitserkenntnissen<br />

<strong>des</strong> Verfassungsschutzes enorm. Die konkreten Erfahrungen <strong>im</strong> Land Berlin diesbezüglich<br />

sind positiv, also negativ für die Einbürgerungsbewerber. Eins ist mir auch noch wichtig,<br />

die Regelanfrage ist wichtig, sie ist erfolgreich, aber es ist natürlich kein Massenphänomen.<br />

Also wir haben in Berlin insgesamt, seitdem das Staatsangehörigkeitsgesetz geän-


4. Diskussion<br />

480<br />

<strong>der</strong>t wurde, und tatsächliche Anhaltspunkte für die Unterstützung best<strong>im</strong>mter Bestrebungen<br />

einen Einbürgerungsausschluss ermöglichten, haben wir insgesamt 28 Einbürgerungsanträge<br />

abgelehnt aufgrund solcher tatsächlicher Anhaltspunkte. Vier davon sind<br />

noch <strong>im</strong> Verwaltungsstreitverfahren, in den an<strong>der</strong>en Verfahren wurde die Klage abgewiesen<br />

o<strong>der</strong> die Klage zurückgenommen. Das beweist, dass dieser Maßstab die Situation für<br />

die Behörden sehr erleichtert hat. Vor 2000, vor <strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> Staatsangehörigkeitsgesetzes<br />

musste man nachweisen, dass ein Einbürgerungsbewerber persönlich eine Sicherheitsgefahr<br />

darstellt, was praktisch nie gelungen ist, weil meistens die Erkenntnisse<br />

<strong>des</strong> Verfassungsschutzes ja eingestuft sind und nicht offen verwertbar sind. Also Ausblick:<br />

Regelanfrage auch in Zukunft unverzichtbar. Die Regelung in § 37 Abs. 2 bleibt zur Klarstellung<br />

und <strong>im</strong> Hinblick auf ein bun<strong>des</strong>einheitliches Verwaltungshandeln sinnvoll.<br />

Dann noch kurz, weil ich diesbezüglich <strong>im</strong>mer angefragt wurde, zu den Auswirkungen <strong>der</strong><br />

verbesserten Zusammenarbeit zwischen den Sicherheits- und Einbürgerungsbehörden<br />

sowie zwischen den Sicherheitsbehörden und den Auslän<strong>der</strong>behörden konkret auf das<br />

Einbürgerungsverfahren. Also die verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Einbürgerungsbehörden<br />

und den Verfassungsschutzbehörden ergibt sich ja schon aus dem Institut<br />

<strong>der</strong> Regelanfrage, wenn man regelmäßig anfragt. Be<strong>im</strong> Verfassungsschutz wird man auch<br />

regelmäßig – wenn Erkenntnisse vorliegen – die auch geliefert bekommen. Was jetzt eine<br />

verbesserte Zusammenarbeit zwischen Auslän<strong>der</strong>behörde und Einbürgerungsbehörde betrifft,<br />

ist es natürlich so, dass es begrüßenswert ist, wenn möglichst frühzeitig die Auslän<strong>der</strong>behörde<br />

Kenntnis von Gefährdung <strong>der</strong> freiheitlich demokratischen Grundordnung etc.<br />

bekommt, denn dann wird sie erst gar keinen Aufenthaltstitel erteilen o<strong>der</strong> ein Aufenthalt<br />

unter Umständen auch beenden, so dass es in aller Regel dann ja in diesen Fällen erst gar<br />

nicht zur Stellung eines Einbürgerungsantrags kommt. Wichtig ist, dass <strong>der</strong> Maßstab für<br />

die Auslän<strong>der</strong>behörde, auszuweisen o<strong>der</strong> ein Aufenthaltstitel erst gar nicht zu erteilen,<br />

deutlich schwieriger ist, als für die Einbürgerungsbehörden, weil Tatsachen vorhanden sein<br />

müssen für die Gefährdung und das muss auch noch gegenwärtig – wenn ich das richtig<br />

sehe – <strong>im</strong> Auslän<strong>der</strong>gesetz muss diese Gefahr auch noch bestehen, während <strong>im</strong> Einbürgerungsrecht<br />

ja schon tatsächliche Anhaltspunkte für die Unterstützung best<strong>im</strong>mter Bestrebungen<br />

ausreichen. In <strong>der</strong> Praxis heißt das, um es ganz konkret zu machen, also wir haben<br />

Fälle von Unterstützern <strong>der</strong> PKK, die regelmäßig auf Demonstrationen gehen bei Veranstaltungen<br />

<strong>der</strong> Tarnorganisation <strong>der</strong> PKK auch an Veranstaltungen teilnehmen. Das sind<br />

Dinge, die sind rechtlich nicht verboten. Die würden aus meiner Sicht jedenfalls auch auslän<strong>der</strong>rechtlich<br />

zu keiner Konsequenz führen können. Kann ich mir jedenfalls nicht vorstellen,<br />

dass die von den Gerichten bestätigt werden würde eine solche Konsequenz. Für die<br />

Ablehnung <strong>der</strong> Einbürgerung reicht es aus, weil <strong>der</strong> Maßstab Deutscher zu werden, ein<br />

höherer ist. Ja es ist begrüßenswert <strong>des</strong>wegen. Wichtig ist die Än<strong>der</strong>ung gewesen 2000, §<br />

11 Nr. 2 StAG, früher § 86 Nr. 2 Auslän<strong>der</strong>gesetz, bereits bei tatsächlichen Anhaltspunkten<br />

für die Unterstützung best<strong>im</strong>mter Bestrebungen, die Einbürgerung ablehnen zu können.<br />

Das sollte man dann auch tun, wenn man solche Anhaltspunkte hat, unabhängig von etwaigen<br />

weiteren auslän<strong>der</strong>rechtlichen Konsequenzen. Denn die sind schwieriger und in aller<br />

Regel auch – aus meiner Sicht – in <strong>der</strong> Praxis auch nicht möglich. Vielen Dank.<br />

Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Herzlichen Dank, Herr Stichaner. Gibt es Fragen und Anregungen hier aus dem Publikum?<br />

Herr Veit bitte schön.<br />

[Frage von MdB Veit, akustisch nicht verständlich.]<br />

Dr. Lehnguth:<br />

Dann gleich noch die Frage von Herrn Grindel dazu.<br />

Herr Grindel:<br />

Also die erste Frage nach <strong>der</strong> praktischen Seite Funktionsregelungen, wie sie sich darauf<br />

vorbereiten und das zweite wir diskutieren da über Einbürgerungstests. Wir werden ab<br />

01.01.2008 die ersten Fälle bekommen, wo ja Menschen durch einfache Optionserklärung,<br />

ohne dass sie großartig deutsch sprechen können, Gesinnung haben, wie sie wollen<br />

deutsch werden können. Das heißt die Frage ist, vor dem Hintergrund auch <strong>der</strong> Integrati-


481<br />

onsentwicklung wie wir sie heute kennen, meinen Sie dass wir darüber noch einmal nachdenken<br />

müssen, dass zumin<strong>des</strong>t Ergänzungen sich anbieten würden wie zumin<strong>des</strong>t<br />

Sprachkenntnisse auch bei denjenigen, die dann ab 01.01.2008 bzw. dann in Masse ab<br />

2018 optieren könnten, dass wir hier nachbessern sollten?<br />

Dr. Lehnguth:<br />

Herr Bürsch bitte.<br />

Herr Bürsch:<br />

Zur Mehrstaatigkeit würde ich gerne noch eine Frage stellen. Sie haben beide angesprochen,<br />

das klang ja so, müssen wir hinnehmen große Dunkelziffer, kann man nichts machen.<br />

Haben Sie irgendwie einen Ausweg, außer dem was bei Herrn Stichaner anklung,<br />

sollen wir bitte die Mehrstaatigkeit in Kauf nehmen? Gibt es zwischen dieser Lösung und<br />

dem wie es jetzt <strong>im</strong> Gesetz ist, mit den 50.000 Türken und vielleicht noch viel größeren<br />

Dunkelziffern irgendwo noch einen an<strong>der</strong>en Weg, den Sie sich vorstellen können?<br />

Dr. Lehnguth:<br />

Danke sehr. Dann kommen wir erstmal mal zur Beantwortung von Herrn Veit. An Sie Herr<br />

Stichaner war die gerichtet.<br />

Herr Stichaner:<br />

Das letzte jetzt?<br />

Dr. Lehnguth:<br />

Nein, die erste Frage.<br />

Herr Stichaner:<br />

Anspruch Ermessenseinbürgerung. Also ich sehe das an<strong>der</strong>s. Ich sehe darin kein Problem.<br />

Es ist nun mal so. Diese Differenzierung auf Anspruch- und Ermessenseinbürgerung wollen<br />

wir mal die Kirche <strong>im</strong> Dorf lassen, die besteht schon seit Jahrzehnten. Und die Grundüberlegung<br />

<strong>des</strong> Gesetzgebers zu sagen, ich gebe einen Anspruch, wenn jemand 8 Jahre<br />

rechtmäßig gewöhnlich hier ist und habe dann vielleicht, sag ich mal bezüglich <strong>der</strong> übrigen<br />

Voraussetzungen etwas geringere – sicherlich nicht so geringere wie Sie angesprochen<br />

haben bei <strong>der</strong> Strafbarkeit – das müsste man etwas verschärfen, um es ein bisschen mehr<br />

auch bei <strong>der</strong> Ermessenseinbürgerung, wo schon jede Kleinigkeit ausreicht. Das muss man<br />

angleichen. Aber jetzt den Unterschied aufzugeben zwischen Anspruch- und Ermessenseinbürgerung<br />

auch <strong>im</strong>mer mit dem Argument – was ich häufig höre, weil es in an<strong>der</strong>en<br />

Län<strong>der</strong>n nur eine Ermessenseinbürgerung gibt – das überzeugt mich überhaupt nicht. Ich<br />

halte den Grundansatz für durchaus gelungen. Dann möchte ich noch zum letzten, also<br />

zum Ausweg aus dem Mehrstaatigkeits-Dilemma etwas sagen. Also Berlin hat ja versucht,<br />

es ist ein praktisches Problem. Rechtlich gibt es ja kein Dilemma, denn <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> eine<br />

fremde Staatsangehörigkeit erwirbt, ohne vorher eine Beibehaltungsgenehmigung bekommen<br />

zu haben, <strong>der</strong> verliert die deutsche. Es ist aber ein praktisches Problem, dass Sie das<br />

eben in aller Regel nicht mitkriegen. So dass Sie, Berlin hat ja eine freiwillige Bereinigungsaktion<br />

gemacht, die auch aus meiner Sicht sehr erfolgreich gewesen ist, aber ehrlich<br />

gesagt, <strong>der</strong> einzige Ausweg, solange sie nicht mit allen Län<strong>der</strong>n, vor allem mit den wichtigsten<br />

Län<strong>der</strong>n, die sozusagen die Einbürgerungskunden betreffen, also z.B. bei <strong>der</strong> türkischen<br />

Regierung keine regelmäßige Mitteilung haben, nicht die Sicherheit haben, dass sie<br />

informiert werden, wenn die türkische Staatsangehörigkeit erworben wird, solange man<br />

dass nicht sagen kann und wirklich auch einschätzen kann, dass so was <strong>im</strong> Ansatz auch<br />

nur realistisch ist, ist wirklich die einzige Möglichkeit und ich sage noch mal nicht aus einer<br />

Multi-Kulti-Seeligkeit, son<strong>der</strong>n aus Staatsinteressen von diesem Grundsatz <strong>der</strong> Vermeidung<br />

von Mehrstaatigkeit aufzugeben. Ich sehe überhaupt keine an<strong>der</strong>e Möglichkeit. Und<br />

ich denke das wird auch in den nächsten Jahren durchaus auch ins politische Bewusstsein<br />

rücken. Die Staatsinteressen sind z.B. Wahlen. Ich glaube Sie sind Herr Uhl. Wir hatten<br />

glaub ich auch mal diesbezüglich telefoniert. Ich glaube es gibt auch, das hat auch nichts<br />

mit Partei o<strong>der</strong> ob man jetzt in <strong>der</strong> SPD, FDP, o<strong>der</strong> CDU ist. Ja genau eben. Sehen Sie.<br />

Weil einfach die Behörden keine Informationen haben darüber. Im Mel<strong>der</strong>egister: Beispiel:<br />

jemand, ein türkischer Staatsangehöriger, erwirbt die deutsche Staatsangehörigkeit, gibt<br />

die türkische wie<strong>der</strong> auf und erwirbt dann nach 2000 wie<strong>der</strong> die türkische. Laut Gesetz verliert<br />

er die deutsche. Nur woher wissen Sie das? Im Mel<strong>der</strong>egister ist er sozusagen als<br />

deutscher Staatsangehöriger eingetragen und wenn Sie keine Informationen darüber ha-


482<br />

ben und die können Sie ja nur – sag ich mal – <strong>im</strong> Hinblick auf einen Nachzug, auslän<strong>der</strong>rechtlich<br />

können Sie zufällig, jemand lässt <strong>im</strong> Personenstandsregister eine Än<strong>der</strong>ung vornehmen.<br />

Dann haben Sie die Möglichkeit von so was zu erfahren, aber das ist ja nicht flächendeckend.<br />

Sie haben ja kein….<br />

Zwischenkommentar Dr. Lehnguth:<br />

Sollen wir ein neues Register einführen nach ihrer Meinung? Ein Staatsangehörigkeitsregister?<br />

Herr Stichaner:<br />

Ja, aber das löst doch das Problem nicht.<br />

Zwischenkommentar Dr. Lehnguth:<br />

Ich frag ja jetzt nur, ob man ein Register einführen soll.<br />

Herr Stichaner:<br />

Das löst das Problem ja nicht, dass Sie keine Informationen darüber bekommen, wer <strong>im</strong><br />

Ausland wie<strong>der</strong> die alte Staatsangehörigkeit wie<strong>der</strong> erwirbt. Das ist ja auch, das betrifft<br />

nicht nur die Türkei, das betrifft auch an<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong>. Amerikaner, Serben und Kroaten, die<br />

sozusagen es überhaupt nicht interessiert, dieser Grundsatz <strong>der</strong> Vermeidung von<br />

Mehrstaatigkeit und wir müssen in Deutschland mal sehen, dass wir nicht alleine auf <strong>der</strong><br />

Welt sind. Jedenfalls bei diesem Problem hängen wir von Informationen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong><br />

ab und wenn uns diese die Informationen nicht geben, können wir das Problem auf<br />

Staatsebene nicht händeln. Das ist für mich ne ganz klare Erkenntnis. Ich würde die Einschätzung<br />

nur an<strong>der</strong>s vornehmen, wenn es gelingen würde, mit den wichtigsten Län<strong>der</strong>n,<br />

mit denen die sozusagen die Einbürgerungsbewerber abdecken, es möglich wäre, das ist<br />

aber wirklich übergreifende politische Ebene, mit <strong>der</strong> Türkei dazu zu kommen, dass es solche<br />

Mitteilungen gibt. Aber ist das, ich frage in die Runde, ist das realistisch?<br />

Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Jetzt mal dazu zur Türkei. Das wissen Sie vielleicht, <strong>der</strong> türkischen Regierung haben<br />

wir einen entsprechenden Abkommensentwurf übermittelt und wir werden demnächst in<br />

<strong>der</strong> letzten Woche vor Ostern hierüber in Berlin Gespräche führen, weil eine türkische Delegation<br />

nach Berlin kommt. Das nur mal dazu. Dann Herr Jungnickel, Sie hatten sich eben<br />

auch gemeldet.<br />

Herr Jungnickel:<br />

Ich muss nur unbedingt Herrn Veit antworten. Sie haben natürlich Recht mit ihrer Bemerkung,<br />

nur ich habe meinen Fall offenbar nicht präzise genug erläutert. In diesem Fall war<br />

es so, dass <strong>der</strong> Mensch unterschrieben hat, er habe nie was gemacht, also LOJA 1 nennen<br />

wir das, unterschrieben hat. Und dann innerhalb <strong>des</strong> Einbürgerungsverfahrens, das<br />

dauert ja eine zeitlang, ist dann was hinzugekommen. Natürlich war <strong>der</strong> noch nicht eingebürgert,<br />

als dann – ich sag mal – Erkenntnisse nachträglich gekommen sind. Wenn jemand<br />

eingebürgert ist – ich sag’s jetzt mal – dann kann er einen Raubüberfall begehen, die deutsche<br />

Staatsangehörigkeit bleibt. Aber es ging um die Frage bis zur Einbürgerung und da<br />

hat das Gericht den Unterschied gemacht, dass zu dem Zeitpunkt <strong>der</strong> Unterzeichnung <strong>der</strong><br />

LOJA 1 noch nix war. Erst später war was und wir wollten mit <strong>der</strong> Rücknahme kommen<br />

und dann hat er gesagt, das wird nach § 48 Verwaltungsverfahrensgesetz problematisch.<br />

Insofern haben Sie Recht, was ihr Statement angeht. Mein Sachverhalt war ein an<strong>der</strong>er.<br />

Dann war offen, noch die Frage nach <strong>der</strong> Optionsregelung. Jetzt kommen wir doch aufs<br />

ius-soli, denn die Optionsregelung ist ja die Folge <strong>des</strong> ius-soli und das ius soli – ich wollte<br />

es jetzt gar nicht mehr anreden – auch das ist so wie wir es jetzt haben – ich weiß zweieinhalbe<br />

Generationen war ein schwer erkämpfter Kompromiss innerhalb <strong>der</strong> Parteien, er ist<br />

aber schwer handelbar. Zweieinhalbe Generation setzt voraus, dass <strong>im</strong>mer wenn dieser<br />

Status festgestellt werden muss, das Stan<strong>des</strong>amt, die Auslän<strong>der</strong>behörde befragen muss<br />

und zwar bei beiden und es kommt ja nicht auf Ehe an, son<strong>der</strong>n nur auf Leiblichkeit <strong>der</strong> Eltern,<br />

ist er eventuell 8 Jahre da, ist eventuell seit 3 Jahren <strong>der</strong> Titel da gewesen und dann<br />

kommt es zu den Fällen, dass die Auslän<strong>der</strong>behörde passen muss, weil eventuell zwischenzeitlich<br />

<strong>der</strong> Mensch nicht mehr da ist, weil verzogen ist, von Frankfurt nach Berlin<br />

usw. und so fort. Es gibt jede Menge in <strong>der</strong> Praxis Schwebefälle von Menschen, die mate-


483<br />

riell-rechtlich hoher Wahrscheinlichkeit nach deutscher Staatsbürger sind, es aber nicht<br />

nachweisen können. Das muss man aus <strong>der</strong> Praxis heraus sagen und daraus den – unter<br />

<strong>Praktiker</strong>n – auch schon längst einvernehmlichen Vorschlag in die Debatte zu werfen, <strong>der</strong><br />

da heißt: dass muss man vereinfachen. Wir schieben das Ganze zeitlich nach hinten. Das<br />

heißt, schon Elterngeneration muss hier geboren sein und auch einen Titel haben und<br />

dann das Kind geboren haben, das ist dann die dritte Generation, aber dann ist es klar.<br />

Und dann, dann ist auch ein gewisser Migrationshintergrund da und es ist auch vermittelbar<br />

in die Bevölkerung, dass man sagt, ab <strong>der</strong> dritten Generation, die Leute sind schon so<br />

lange - dass ist die Gastarbeiter-Situation von 1960 - die haben wir jetzt fortgeschrieben.<br />

Da sind die Kin<strong>der</strong> per Geburt deutsch ohne Wenn und Aber. Und dann kann man sich die<br />

Frage stellen, brauchen wir dann noch die Optionsregelung o<strong>der</strong> brauchen wir sie nicht.<br />

Dass ist eine politische Frage. Ich würde sagen, auf <strong>der</strong> einen Seite hätte man sich mehr in<br />

Richtung Integration bewegt, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n Seite würde man sagen, warum den Unterschied<br />

zu den ius-sanguinis-Kin<strong>der</strong>n. Das sind die Kin<strong>der</strong>, die auch die Staatsangehörigkeit<br />

zwei bekommen, nämlich bei den binationalen Ehen wie Sie wissen, und die sind auf einmal<br />

besser dran, denn die Staatsangehörigkeit bleibt nach deutschem Recht gegenüber<br />

den langen Migrationskin<strong>der</strong>n, die ius-soli wie<strong>der</strong> abgeben müssen, die Option, wobei das<br />

Option, muss ich noch mal erläutern. Man optiert nicht auf das deutsche und das muss<br />

dann was bringen, Option ist verwirrend. Er muss sagen, welche gebe ich denn weg. Welche<br />

gebe ich weg. Gebe ich die deutsche weg o<strong>der</strong> gebe ich die an<strong>der</strong>e weg. Das heißt<br />

Option und in <strong>der</strong> Tat, Sie haben völlig Recht, <strong>der</strong> erste Fall beginnt 2008 und zwar <strong>des</strong>halb,<br />

weil wir rückwirkend zu diesem Gesetz Kin<strong>der</strong>einbürgerung gemacht haben. Das<br />

ganze ist nur ein Jahr gelaufen, war von daher von den Zahlen her eher ein Flop. Bis sich<br />

das durchgesprochen hat, also in unserem Regierungsbezirk sind 5.000, wie es bun<strong>des</strong>weit<br />

ist, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall, da das bis zu 10 Jahre rückwirkend ging und<br />

die auch <strong>der</strong> Optionspflicht unterliegen, ist in <strong>der</strong> Tat <strong>der</strong> erste Fall, <strong>der</strong> theoretisch denkbar<br />

ist, am 1. Januar 2008 da. Und wie wir das vorbereiten, da gibt es Arbeitsgruppen, da haben<br />

wir uns schon die Köpfe heiß geredet, wie wir das sinnvollerweise hinkriegen. Das wird<br />

riesige praktische Probleme geben, da sind wir uns schon mal klar. Denn ich will nur ein<br />

Beispiel nennen, nicht die ganzen Arbeitsgruppen-Ergebnisse hier referieren, geht ja nicht.<br />

Aber ein ius-soli-Kind, das zwei Staatsangehörigkeiten hat, kann sich natürlich zu Recht<br />

sowohl in England als auch in Deutschland, um nicht <strong>im</strong>mer ein an<strong>der</strong>es Beispiel zu nehmen,<br />

aufhalten. Auch zum Zeitpunkt seiner Optionsverpflichtung kann er sich natürlich in<br />

England aufhalten. Und jetzt kommt die Staatsangehörigkeitsstelle RP Darmstadt und<br />

schreibt den Menschen an uns sage optiere. Jetzt habe ich doch ein falsches Beispiel gewählt,<br />

weil Britannien kennt ja Meldepflicht o<strong>der</strong> nicht. Ich nehme USA, wo es keine Meldepflicht<br />

gibt. Ich nehme USA. Da gibt es keine Meldepflicht. Ich muss erst einmal ausfindig<br />

machen, wo gebe ich denn überhaupt meine Auffor<strong>der</strong>ung zur Option hin. Ich muss das<br />

zustellen. Da schreibt natürlich <strong>der</strong> Gesetzgeber sehr einfach, es gilt das Verwaltungszustellungsgesetz.<br />

Sie wissen was das heißt. Das hängt bei mir am Schwarzen Brett be<strong>im</strong><br />

RP Darmstadt. Lieber John Smith erkläre dich. Das kann passieren. Und es kann genauso<br />

gut passieren, und das ist wahrscheinlich, dass John Smith sich niemals melden wird und<br />

ich schreibe dann fünf Jahre später einen Bescheid – nein keinen Bescheid, es ist ja nur<br />

ein deklaratorischer Verwaltungsakt – John Smith du hast deine Staatsangehörigkeit hiermit<br />

verloren, weil du nicht optiert hast, schwarzes Brett RP Darmstadt. Das ist übrigens die<br />

Konstellation, warum sich viele Verfassungsrechtler Gedanken machen, ob diese Optionsverpflichtung<br />

überhaupt mit Artikel 16 – das Stichwort ist schon gefallen – überhaupt vereinbar<br />

ist o<strong>der</strong> nicht. Wir werden, die abstrakte Normkontrolle haben wir ja nicht gehabt,<br />

die CDU hatte sie damals angekündigt, hat sie dann nicht gemacht. Wir werden die konkrete<br />

Normkontrolle haben zu dem Thema, das ist ganz klar. Da sitzen Anwälte, die gewieft<br />

sind und warten nur auf den ersten praktischen Fall. Soweit zur Optionsregel. Wenn<br />

man – ich sag jetzt mal, ich spiel jetzt mal Politiker – ein Geschäft machen könnte, das wäre<br />

für die Praxis und für die Menschen und fürs Ergebnis hervorragend. Die doppelte Geburtenregelung,<br />

wie es <strong>der</strong> Kollege Stein auch nennt, also Elternteil hier schon geboren in<br />

Deutschland, dann Kind in Deutschland geboren, deutscher Staatsbürger, dafür die Optionsregelung<br />

streichen. Die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen<br />

<strong>des</strong>halb führt, weil die Menschen, die hier sind, die erwischen wir auf deutsch gesagt<br />

und die nicht hier sind, erwischen wir wahrscheinlich nicht und die haben dann verloren<br />

o<strong>der</strong> nicht verloren Auf jeden Fall von <strong>der</strong> Art <strong>des</strong> Umgangs mit dem Status deutsche<br />

Staatsangehörigkeit, ist diese Verwaltungslösung eine sehr problematische aus meiner<br />

Sicht.


484<br />

Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Herzlichen Dank, Herr Jungnickel. Herr Kolat hatte noch eine Frage gehabt. Herr Kolat,<br />

wenn Sie mal ans Mikrofon gehen könnten. Bitte noch mal Konzentration.<br />

Herr Kolat:<br />

Also zu diesem Verlust § 25 StAG. Das hat ja auch integrationspolitisch sehr negative<br />

Auswirkungen gehabt, weil die Menschen, die Wissen o<strong>der</strong> die es nicht wissen, darüber<br />

lässt sich streiten. Ich lass mal diese Bewertung erstmal, aber praktisch ist es so gewesen,<br />

dass die Menschen, die nach 2000, obwohl sie 1998, 1999 Deutsche geworden sind den<br />

Antrag damals gestellt haben, auch in <strong>der</strong> Türkei geht es nicht sozusagen Abgabe <strong>des</strong> türkischen<br />

Passes gleich wie <strong>im</strong> Konsulat, son<strong>der</strong>n es gibt ein Verfahren auch in <strong>der</strong> Türkei.<br />

Der Ministerrat muss da zust<strong>im</strong>men. Also es gibt ein Verfahren, dass lange dauert und über<br />

ein Jahr auch dauert in <strong>der</strong> Regel. Insofern haben diese Menschen 2000/2001 die türkische<br />

wie<strong>der</strong> erlangt und haben somit die an<strong>der</strong>e verloren. Und jetzt bekommen sie sozusagen<br />

<strong>im</strong> Nachhinein, bevor sie alle Integrationsschritte getan haben und sich für die deutsche<br />

Staatsbürgerschaft entschlossen hatten, so einen Status als ob sie neu in das Land<br />

gekommen sind. Einige Län<strong>der</strong> haben das geregelt. In Berlin haben wir dreijährige gleich<br />

ohne Prüfung <strong>des</strong> Lebensunterhaltes auf <strong>der</strong> Grundlage § 38 Abs. 3 usw. und dann Wie<strong>der</strong>einbürgerung<br />

nach § 8 Abs. 2 gemacht, aber trotzdem ist es für die Menschen nicht erklärbar.<br />

Also ich bin mit Menschen auf <strong>der</strong> Straße, spreche mit den Menschen und die sagen<br />

mir, ich hatte deutsch unbefristete Aufenthaltserlaubnis und ich hab die deutsche verloren.<br />

Jetzt bekomme ich nicht mal meinen alten Status. Also wäre eine Regelung <strong>im</strong> § 38<br />

eine Lösung, z.B. dass man dort diese fünf Jahre als Deutscher diese zwei Wörter fünf<br />

Jahre als Deutscher als Deutscher, und die Begriffe als Deutscher streicht und somit zumin<strong>des</strong>t,<br />

dass <strong>der</strong> alte Status mal gesichert wird. Nur zwei Wörter streichen, ganz einfach.<br />

Und denen auch mal als beson<strong>der</strong>e Gruppe zu bezeichnen nach § 38 Abs. 3, somit sie<br />

nicht dann den Lebensunterhalt usw. nachweisen müssen. Somit zumin<strong>des</strong>t dass sie das<br />

bekommen können. Das zum einen. Die zweite Frage ist, Herr Lehnguth hatte hier das<br />

auch gesagt, es gibt dieses Gespräch. Ich weiß von diesem Gespräch, aber auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite ist natürlich wichtig, was gibt die deutsche Seite jetzt <strong>der</strong> Türkei? Das ist für uns<br />

natürlich sehr wichtig, als Menschen, die dann davon betroffen sind. Ich bin nicht betroffen,<br />

aber an<strong>der</strong>e. Was wäre die Alternative? Was wäre sozusagen von <strong>der</strong> deutschen Seite,<br />

wenn die Türkei dazu zu bringen, die Liste gibt die Türkei, aber was bekommt die Türkei<br />

o<strong>der</strong> was bekommen die Menschen? Die Türkei ist mir egal. Nein es ist nicht völkerrechtswidrig,<br />

son<strong>der</strong>n nach türkischem Recht ist eine Einbürgerung, Sie können sich auch gerne<br />

in <strong>der</strong> Türkei einbürgern lassen, wenn Sie ein bisschen türkisch sprechen, wenn Sie unbescholten<br />

sind, können Sie die türkische Staatsbürgerschaft annehmen ohne die deutsche<br />

aufzugeben. Damit verlieren Sie vielleicht die deutsche, das interessiert nicht. Die Türkei<br />

erkennt doppelte Staatsbürgerschaften an. Insofern ist es nicht völkerwidrig. Übrigens,<br />

wenn die Türkei hoffentlich irgendwann mal in die EU kommt, dann wird diese Diskussion<br />

sowieso erübrigt.<br />

Dr. Lehnguth:<br />

Herr Kolat, wir haben das ja doch schon sehr oft angesprochen dieses Kapitel und Sie waren<br />

bei uns <strong>im</strong> Ministerium. Ich habe oft mit Ihnen darüber gesprochen und auch die<br />

Staatssekretäre. Ich meine, wir haben Ihnen ja <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> gesagt, wir haben mit dem<br />

§ 38 <strong>im</strong>merhin schon eine Brücke gebaut. Das ist ja eine Brücke, die gut ist und selbst<br />

wenn wir jetzt den § 38 etwas än<strong>der</strong>n, können wir das ohnehin nicht für rückwirkende Fälle<br />

machen. Das sehe ich jedenfalls nicht so. Also das würde ohnehin nichts helfen und es ist<br />

ja auch so, dass Sie <strong>im</strong>mer darauf bestehen, dass da ein Vertrauensschutz-Tatbestand<br />

geschaffen worden ist. Da kann man sich auch drüber streiten. Das haben Sie selbst gesagt.<br />

Mir geht’s jetzt nur darum, für die Zukunft etwas zu machen. Und <strong>des</strong>wegen diese<br />

Verhandlung mit <strong>der</strong> türkischen Regierung, dass diese Mitteilungen eben ausgetauscht<br />

werden und das gegenseitige ist, dass wir unsere Mitteilung natürlich auch geben. Das ist<br />

ja ein gegenseitiger Vertrag. Das ist schon mal die Antwort. Vielleicht etwas zu einfach,<br />

aber es wird nichts Materielles da überbracht werden, son<strong>der</strong>n es hängt ja auch mit den<br />

deutsch-türkischen Beziehungen, mit den Beziehungen <strong>der</strong> Europäischen Union zur Türkei<br />

zusammen und das ist schon nicht verkehrt, was Herr Grindel gesagt hat, dass es natürlich<br />

auch so ist, dass man da ein EU-freundliches Verhalten an den Tag legen sollte. Sollte<br />

auch von türkischer Seite, das finde ich schon, das muss man auch mal ein bisschen bedenken.<br />

Das wäre jetzt mal meine Antwort, die Sie jetzt wahrscheinlich nicht befriedigen<br />

wird und ich bin mal gespannt in <strong>der</strong> Woche vor Ostern wie das dann kommt. Sie wissen


485<br />

ja, dass wir da noch einen zweiten Punkt haben und zwar wegen Entlassung aus <strong>der</strong> türkischen<br />

Staatsangehörigkeit wegen Nichtableistung <strong>der</strong> Wehrpflicht. Das brauche ich jetzt<br />

nicht zu vertiefen. Gut, das wird jetzt für die Zukunft geregelt, habe ich gehört, aber jetzt<br />

gibt es natürlich schon viele, die die türkische Staatsangehörigkeit verloren haben und das<br />

ist natürlich auch eine Problemgruppe, die ja auch nicht so ganz klein ist. Gut. Damit will<br />

ich’s mal bewenden lassen. Frau Gerdsmeier Sie hatten sich noch gemeldet von <strong>der</strong> katholischen<br />

Kirche bitte schön. Jetzt erstmal Frau Gerdsmeier.<br />

Frau Gerdsmeier:<br />

Ja vielen Dank. Ich hätte eine Nachfrage an Herrn Jungnickel zum Thema Rücknahme von<br />

erschlichenen Einbürgerungen. Sie haben ja verwiesen auf das Urteil <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verwaltungsgerichts,<br />

wonach die erschlichene Einbürgerung nicht von Artikel 16 Grundgesetz geschützt<br />

sei. Wenn dem so wäre, mal angenommen <strong>der</strong> Schutzbereich von Artikel 16 wäre<br />

gar nicht berührt, würde ich Ihren Hinweis nicht so ganz verstehen, dass die bisherige Praxis<br />

<strong>der</strong> Rücknahme auf <strong>der</strong> Grundlage von § 48 Verwaltungsverfahrensgesetz mit Blick auf<br />

Artikel 16 problematisch ist und es insoweit eines Spezialgesetzes bedürfte. Man kann natürlich<br />

gegen diese Position, dass Artikel 16 solche Einbürgerungen gar nicht schützt, auch<br />

durchaus anführen, dass auch ein rechtswidriger Verwaltungsakt zunächst mal wirksam ist<br />

und nicht sofort nichtig und dass insofern natürlich Rechtspositionen begründet werden.<br />

Wenn man das jetzt mal ann<strong>im</strong>mt als Gegenposition, also wenn auch eine solche Einbürgerung<br />

von Artikel 16 geschützt wäre, stünden wir doch vor dem Problem, dass Artikel 16<br />

den Schutz vor Entzug <strong>der</strong> Staatsangehörigkeit vorbehaltlos gewährleistet, so dass ich<br />

dann nicht so ganz sehe, inwieweit das von Ihnen gemeinte Spezialgesetz das Problem<br />

dann lösen könnte. Vielleicht könnten Sie das noch mal erläutern. Danke.<br />

Dr. Lehnguth:<br />

Dann erstmal Herr Jungnickel. Frau Gerdsmeier nur zur Info, Sie wissen ja dass es ein<br />

Verfahren vorm Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht dazu gibt und die Entscheidung sollte jetzt <strong>im</strong><br />

Frühjahr – wurde an sich gesagt – also demnächst mal da kommen. Das nur mal zur allgemeinen<br />

Info. Dann mal Herr Jungnickel und Herr Stichaner auch noch einmal dazu. Ich<br />

selbst hätte noch die Frage, sprechen Sie sich eigentlich beide für eine große Reform <strong>des</strong><br />

Staatsangehörigkeitsrechts aus? Das würde mich jetzt noch mal wirklich sehr interessieren.<br />

Bitte.<br />

Herr Jungnickel:<br />

Sie haben nicht ganz unrecht mit Ihrer Bemerkung. Meine Überlegungen sind zum einen<br />

praktischer Natur, unsere Arbeit würde dadurch etwas einfacher werden, wenn wir nicht<br />

diese riesenhaften Ermittlungen und Bescheide machen müssten, die dann auch unter<br />

Umständen, wie in dem einen Fall geschil<strong>der</strong>t, in erster Instanz gar nicht halten, wenn eben<br />

eine gesetzliche Regelung da wäre. Und <strong>der</strong> Hinweis ist schon gekommen. Wir können<br />

ja auch eine Wette abschließen. Ich sage mal, die Verfassungsrichter werden das sogar<br />

sagen, die werden sagen, eine gesetzliche Regelung muss her. Aber gut, das ist so.<br />

Ich sage mal, gerade mal weil es ein Artikel 16 gibt, muss die Frage <strong>der</strong> Rücknahme o<strong>der</strong><br />

auch <strong>des</strong> Wi<strong>der</strong>rufs, Wi<strong>der</strong>ruf werden wir wahrscheinlich gar nicht hinbekommen, Wi<strong>der</strong>ruf<br />

ist ja <strong>der</strong> ursprünglich rechtmäßige Verwaltungsakt. Ob die Frage <strong>der</strong> Rücknahme sich<br />

dann auf ganz normalem Wege bewegen darf. Ich denke, das verlangt allein schon <strong>der</strong><br />

Status, dass das auch gesetzlich geregelt werden sollte. Soweit dazu. Große Reform ja.<br />

Aus praktischer Sicht ja. Wir haben Vieles neu bekommen. Wir haben jetzt ein lang genug<br />

zeitlich gesehen Erfahrungsschatz bekommen können. Und ich sage noch mal, es gibt einen<br />

Teil, da sind sich die <strong>Praktiker</strong> von Nord bis Süd einig, dass die geän<strong>der</strong>t werden<br />

müssten und dass die besser werden unterm Strich auch. Wir sehen <strong>im</strong>mer die Gefahr,<br />

dass aktuelle politische Diskussionen diesen praktischen Konsens wie<strong>der</strong> zunichte machen.<br />

Ich muss es trotzdem als <strong>Praktiker</strong> for<strong>der</strong>n und nicht sagen, eventuell macht die jetzige<br />

Diskussion um Fragebögen alles wie<strong>der</strong> zunichte. Ich muss trotzdem sagen, an manchen<br />

Stellen gehört das Gesetz auf den Prüfstand. Ja, das ist so.<br />

Dr. Lehnguth:<br />

Herzlichen Dank. Dann Herr Stichaner, bitte schön.<br />

Herr Stichaner:<br />

Zurücknahme, also das Bun<strong>des</strong>verwaltungsgericht hat ja bestätigt, in einigen Entscheidungen,<br />

dass eine Rücknahme durch arglistige Täuschung erschlichene Einbürgerung möglich


486<br />

ist und es hat sogar gesagt, dass Rücknahmen möglich sind gegenüber eingebürgerten<br />

Kin<strong>der</strong>n, die nicht selbst getäuscht haben. Allerdings gefor<strong>der</strong>t, dass da die Tatsache, dass<br />

nicht selbst getäuscht wurde und die Dauer <strong>des</strong> Deutschseins etc. in die Ermessensabwägung<br />

mit einfließen muss. Das Problem ist aber jetzt, dass das be<strong>im</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht<br />

anhängig ist und das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht unter Umständen Probleme damit<br />

hat sowohl was die zeitlichen Grenzen betrifft, ob man nach 10, 15 Jahren noch zurücknehmen<br />

kann, denn das ist, wir haben durchaus diese praktischen Fälle, häufige so, dass<br />

die Behörden erst nach so einer längeren Zeitspanne Erkenntnisse darüber gewinnen,<br />

auch ohne dass sie vorher geschlampt haben, weil es einfach durch Familiennachzug etc.<br />

dabei rauskommt, dass jemand schon zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Einbürgerung in Pakistan eine<br />

weitere Ehefrau hatte. Es besteht eben die Möglichkeit, dass das Bun<strong>des</strong>verwaltungsgericht<br />

da, genau Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht da Grenzen setzt o<strong>der</strong> andeutet, dass sie <strong>der</strong><br />

Gesetzgeber setzen muss und man eben von Verwaltungsseite, wenn man diese Fälle<br />

durch Rücknahme in Griff kriegen will, dann eben ein Gesetz braucht. Deswegen wird unter<br />

Umständen ein Gesetz notwendig sein. Dann zu Ihrer Frage große Staatsangehörigkeitsreform,<br />

ich finde wir diskutieren <strong>im</strong> Moment eigentlich schon ziemlich viele Än<strong>der</strong>ungen.<br />

Also es gibt ja den Gesetzentwurf auch zur Än<strong>der</strong>ung <strong>des</strong> StAG vom BMI, <strong>der</strong> durchaus<br />

wichtige Gesichtspunkte enthält, Verschärfungen <strong>des</strong> Sprachniveaus und einige wichtige<br />

an<strong>der</strong>e Punkte, Anerkennung, dass man, wenn man lange als Deutscher behandelt<br />

wird, dass das auch ein Grund für den Erwerb <strong>der</strong> deutschen Staatsangehörigkeit ist. Unterschiedliche<br />

Län<strong>der</strong> haben eigene Vorstellungen, welche Gesetzesän<strong>der</strong>ung jetzt noch<br />

hinzukommen sollen, Tests etc., Strafen sollen verschärft werden. Ich frage mich, ist das<br />

nicht schon, geht das nicht schon in die Richtung einer großen Reform? Der Dr. Lehnguth<br />

sagt nein, aber ich kenn ja die Diskussion. Wir sind ja auch schon <strong>im</strong>mer bei diesen Referenten-Runden<br />

dabei. Also ich glaube man sollte sich hüten davor, jedenfalls auf Fachebene<br />

<strong>im</strong>mer die Argumentation, dass man ne Einigung bezüglich aller Punkte daher stellt.<br />

Das ist nicht realistisch und dass man sozusagen in diesem großen Entwurf dann auf einmal<br />

alle Punkte dann abarbeitet. Also es ist jetzt – finde ich schon – politischen Zeitpunkt<br />

auch unterstützt wird durch die Tatsache, dass es ne große Koalition gibt, wo man mittelfristig,<br />

ob man das jetzt große Reform nennt o<strong>der</strong> mittlere und was groß ist, ist eine Bewertung.<br />

Dr. Lehnguth:<br />

Gut. Herzlichen Dank. Herr Veit, nur noch mal zur Info. Das ist nicht ein großer Reformschritt,<br />

son<strong>der</strong>n wir brauchen den Artikel 5 in dem Zweiten Än<strong>der</strong>ungsgesetz, weil wir wegen<br />

<strong>der</strong> Optionsregelung Datenübermittlungsregelungen brauchen, weil wir wegen <strong>der</strong> Regelabfrage<br />

auch solche Datenregelungen brauchen. Das waren schon mal die Punkte.<br />

Sonst kann ich die Optionsregelung nicht zum 1. Januar 2008 vollziehen. Das werden mir<br />

beide Herren hier bestätigen. Dann die Ersitzung, die gehört auch dazu, die hier eben angesprochen<br />

ist. Das sind also Punkte, die jetzt nicht so langen Aufschub dulden und unter<br />

großer Reform verstehe ich persönlich jedenfalls, dass man auch mal die noch bestehenden<br />

Wertungswi<strong>der</strong>sprüche zwischen Anspruchseinbürgerung und Ermessenseinbürgerung,<br />

die durchaus noch bestehen, z.B. hinsichtlich <strong>der</strong> Sozialhilfe – bei dem einen geht’s,<br />

be<strong>im</strong> an<strong>der</strong>n geht’s nicht. Das gibt eine ganze Menge Wertungswi<strong>der</strong>sprüche. Dass man<br />

die mal irgendwann löst und da werden Sie wahrscheinlich mit allen Staatsangehörigkeitsreferenten<br />

jedenfalls relativ rasch Einigkeit erzielen, hinsichtlich dieser Punkte. Hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Mehrstaatigkeit weiß ich es nicht genau, das ist auch eine sehr komplexe Frage. Und<br />

das jetzt so mal mein Punkt dazu. So gibt es jetzt weitere Fragen? Das ist nicht <strong>der</strong> Fall.<br />

Dann können wir auch ne halbe Stunde vorher schließen.<br />

Und ich fasse mal kurz in sechs Punkten zusammen: ich will es jetzt auch nicht sehr vertiefen.<br />

Wir haben die Regelanfrage angesprochen, die eingeführt worden ist durch das Zuwan<strong>der</strong>ungsgesetz.<br />

Damit ist eine positive Bewertung verbunden. Und es ist darauf hingewiesen<br />

worden, dass sie praktisch auch schon vorher bestanden hat. Dann wurde von beiden<br />

Seiten auf die unterschiedliche Anwendungspraxis in den Län<strong>der</strong>n hingewiesen hinsichtlich<br />

<strong>der</strong> Sprachkenntnisse. Hier werden präzisere Regelungen <strong>im</strong> Staatsangehörigkeitsgesetz<br />

gefor<strong>der</strong>t. Das Problem <strong>der</strong> Rücknahme <strong>der</strong> Einbürgerung ist andiskutiert worden<br />

und es ist auch auf die zu erwartende Entscheidung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts<br />

hingewiesen worden. Voraussichtlich wird hier eine gesetzliche Regelung notwendig sein.<br />

Das wird jedenfalls vermutet und es ist <strong>im</strong> Übrigen auch meine eigene Vermutung. Dann<br />

die Detailfragen mit Herrn Kolat: Türkeiprobleme, die wir schon lange haben: Also <strong>der</strong> § 38<br />

als Brücke, aber auch, dass hier nicht rückwirkend irgendwelche Än<strong>der</strong>ungen ergehen soll-


487<br />

ten. Dann die Haltung zur Mehrstaatigkeit. Herr Stichaner hat darauf hingewiesen, dass<br />

hier von deutscher Seite <strong>der</strong> Mehrstaatigkeit insgesamt freien Lauf gelassen werden sollte,<br />

wenn ich das einmal so ausdrücken darf, weil es keinen Zweck machte, weil man durch<br />

Geburtserwerb ohnehin eine Menge von Mehrstaatigkeit schaffe, wenn ich das recht sehe.<br />

Und beide sprechen sich schon, jedenfalls <strong>der</strong> hessische Vertreter etwas stärker, Herr<br />

Jungnickel, für eine Gesamtreform aus, aber auch Herr Stichaner, um Wertungswi<strong>der</strong>sprüche,<br />

die wir bisher haben, in diesem Bereich zukünftig zu vermeiden zu helfen. Das wäre<br />

meine Zusammenfassung. Ich bedanke mich ganz herzlich bei Ihnen beiden, Herr Stichaner<br />

und Herr Jungnickel. Und möchte insgesamt das Expertenforum hier beenden, heute<br />

Freitag Abend, 18:32 Uhr. Ich selbst fand es sehr hilfreich muss ich einmal sagen. Es sind<br />

sehr viele Anregungen, präzise Fragen und Vorschläge gekommen und wir werden insgesamt<br />

– das wissen Sie – diese Vorschläge selbstverständlich sorgfältig durchdenken und<br />

werden die insgesamt in die Gesamtevaluierung einfügen. Ich hatte ja in meinem Beitrag<br />

gestern darauf hingewiesen, dass dies Gesamtevaluierung aus vier Schritten besteht, so<br />

dass wir dann auch überlegen, zusammen mit den Bun<strong>des</strong>tagsabgeordneten selbstverständlich,<br />

ob wir hier noch gesetzgeberischen Än<strong>der</strong>ungsbedarf haben, den wir unter Umständen<br />

noch in das Zweite Än<strong>der</strong>ungsgesetz, was vielleicht etwas schwierig ist, o<strong>der</strong> in<br />

ein neues Än<strong>der</strong>ungsgesetz ein drittes dann einfügen könnten, so dass wir <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong><br />

hier gesetzgeberisch tätig sind. Ganz herzlichen Dank. Ich wünsche Ihnen ein schönes<br />

Wochenende und vielen Dank.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!