Kescher - Abraham Geiger Kolleg
Kescher - Abraham Geiger Kolleg
Kescher - Abraham Geiger Kolleg
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<strong>Kescher</strong><br />
„Wir brauchen neue Rabbiner hier wie die Luft<br />
zum Atmen“, sagte Dr. Dieter Graumann, der Prä -<br />
sident des Zentralrats der Juden in Deutsch land,<br />
bei unserer letzten Ordinationsfeier in Bamberg<br />
und forderte: „Lasst daher Hundert neue<br />
Rabbiner hier blühen – damit auch das Judentum<br />
in Deutschland wieder aufs Neue blühen kann!“<br />
9. Jahrgang, Nr. 2 | Schawuot 2012 | Siwan 5772<br />
Unser gemeinsames Anliegen ist, dass die<br />
Bezeichnung ‚Rabbiner Made in Germany’ ein<br />
Markenzeichen werden möge. Vierzehn Rabbiner,<br />
ein Kantor: Eine Erfolgsbilanz nicht nur für das<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>, sondern auch für die jüdischen<br />
Gemeinden in Deutschland und darüber<br />
hinaus.<br />
„Rabbis<br />
Made in<br />
Germany“
Präsident<br />
Rabbiner Prof. Dr. Walter Jacob<br />
Rektor<br />
Rabbiner Prof. Dr. Dr. h.c. Walter Homolka<br />
Direktorium<br />
Prof. Dr. Admiel Kosman<br />
Rabbiner Drs Edward van Voolen<br />
Rabbiner Dr. Tovia Ben-Chorin<br />
PD Dr. Jascha Nemtsov<br />
Dr. Anne-Margarete Brenker<br />
Senat<br />
Rabbiner Dr. W. Gunther Plaut, Toronto<br />
Prof. Dr. Paul Mendes-Flohr, Jerusalem<br />
Prof. Dr. Ernst Ludwig Ehrlich*<br />
Rabbiner Dr. John D. Rayner CBE*<br />
Prof. Dr. Wolfgang Loschelder, Potsdam<br />
Rabbiner Dr. Andrew Goldstein, London<br />
Prof. Dr. Erich Thies, Berlin<br />
Kuratorium<br />
Dr. Josef Joffe, Vorsitzender, Hamburg<br />
Adina Ben-Chorin, Berlin<br />
Leslie F. Bergman, London<br />
Benno Bleiberg, Berlin<br />
Rabbiner Dr. Albert H. Friedlander OBE*<br />
Rabbiner Dr. David J. Goldberg OBE, London<br />
Rabbiner Prof. Dr. Arthur Hertzberg*<br />
Lord Joffe CBE, Swindon<br />
Rabbiner Dr. Peter S. Knobel, Chicago<br />
György Konrád, Budapest<br />
Stuart Matlins, Woodstock, VT<br />
Felix Mosbacher, Paris<br />
Rabbinerin Baroness Neuberger DBE, London<br />
Wolfgang M. Nossen, Erfurt<br />
Prof. Dr. Elizabeth Petuchowski, Columbus, OH<br />
Harold Sandak-Lewin, Cape Town<br />
Prof. Dr. Julius H. Schoeps, Potsdam<br />
Dr. med. Josef Schuster, Würzburg<br />
Max Warburg, Hamburg<br />
Rabbiner Dr. Mark L. Winer DD, London<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Durch<br />
Erforschung des<br />
Einzelnen zur<br />
Erkenntnis des<br />
Allgemeinen,<br />
durch Kenntnis<br />
der Vergangen -<br />
heit zum<br />
Verständ nis der<br />
Gegenwart,<br />
durch Wissen<br />
zum Glauben.<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
(1810 – 1874)<br />
Impressum<br />
<strong>Kescher</strong>: Informationen über liberales Judentum<br />
im deutschsprachigen Raum<br />
Newsletter des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s<br />
<strong>Kescher</strong>: hebräisch: Verbindung, Kontakt<br />
Titelbild: Die Absolventen des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
<strong>Kolleg</strong>s. Fotos: Tobias Barniske<br />
Herausgeber<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> gGmbH<br />
Postfach 120852, 10598 Berlin<br />
Tel: (030) 31805910, Fax: (030) 318059110<br />
bomhoff@geiger-edu.de<br />
www.abraham-geiger-kolleg.de<br />
Redaktion / V.i.S.P.<br />
Hartmut Bomhoff<br />
Gestaltung: Thomas Regensburger<br />
Druck: Oktoberdruck AG,<br />
Rudolfstraße 1-8, 10245 Berlin<br />
Auflage: 1.500 Exemplare<br />
ISSN-Nr.: 1861-4469<br />
Inhalt<br />
9. Jahrgang | Ausgabe 2<br />
Zentrum Jüdische Studien 4<br />
Theologie im öffentlichen Raum 6<br />
Rabbinerausbildung heute 8<br />
Rabbinerordination in Bamberg 10<br />
Emil Fackenheim Lecture 2012 13<br />
JTS Breslau 1862 16<br />
Jüdische Bibliothek Hannover 18<br />
Meldungen des Kantorenseminars 19<br />
Allgemeine Rabbinerkonferenz 20<br />
EUPJ-Tagung in Amsterdam 24<br />
Israelitengesetz in Österreich 28<br />
Archäologie: Jerusalemer Tempel 32<br />
Schawuot 33<br />
Campus 35<br />
Vermischtes 36<br />
Termine 37<br />
Wir freuen uns über Ihre Spende!<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong><br />
Konto Nr. 108 30 39<br />
Deutsche Bank AG Berlin<br />
(BLZ 100 700 24)
Vielen Dank,<br />
Annette Schavan!<br />
Am 30. Mai wird nun endlich das Zentrum Jüdi -<br />
sche Studien Berlin-Brandenburg feierlich eröffnet.<br />
Die Bundesbildungsministerin Annette<br />
Schavan wird persönlich dabei sein, wenn in der<br />
Hauptstadtregion der größte Forschungsverbund<br />
gegründet wird, den es in Judaistik, Jüdischen<br />
Studien und Jüdischer Theologie europaweit gibt.<br />
Grundlage sind die Empfehlungen des Wissen -<br />
schaftsrats vom Januar 2010 zu den religionsbezogenen<br />
Wissenschaften an deutschen Hoch -<br />
schulen. Dort hatte man die Ausgrenzung des<br />
Themas Religion in eigene Hochschulen bemängelt<br />
und die Clusterbildung gerade in den<br />
Jüdischen Studien als Ziel für die deutsche<br />
Hochschullandschaft formuliert. Das ist nun der<br />
Grund dafür, das Zentrum Jüdische Studien in<br />
Berlin-Brandenburg zu eröffnen.<br />
Im Januar 2011 hatten die drei Berliner Universi -<br />
täten – Freie Universität (FU), Humboldt-Uni -<br />
versität (HU), Technische Universität (TU) –, die<br />
Brandenburger Universität Potsdam (UP) sowie<br />
die zwei Institutionen <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong><br />
(AGK) und Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ)<br />
(Potsdam) ein gemeinsames Konzept verabschiedet,<br />
das die Gründung eines universitäts- und<br />
länderübergreifenden sowie interdisziplinären<br />
Zentrums Jüdische Studien Berlin-Brandenburg<br />
vorsieht. Ein entsprechender Antrag auf Förde -<br />
rung wurde im November 2011 beim Bundes -<br />
ministerium für Bildung und Forschung (BMBF)<br />
eingereicht.<br />
<strong>Kescher</strong> Editorial<br />
Die Einrichtung des Zentrums verfolgt das Ziel<br />
einer besseren Vernetzung des schon bestehenden<br />
Angebots in Lehre und Forschung für den<br />
Bereich Jüdische Studien, die damit verbundene<br />
bessere Veranke rung der Jüdischen Studien in<br />
der Region Berlin-Brandenburg sowie die<br />
Nachwuchsförderung und Internationalisierung<br />
auf diesem Gebiet. Das Zentrum Jüdische Studien<br />
Berlin-Brandenburg dient der Förderung von<br />
Forschung und Lehre. Das Zentrum ist an der<br />
Zielsetzung ausgerichtet, die breiten kulturwissenschaftlichen,<br />
philologischen, soziologischen<br />
und interreligiösen Kom petenzen in Forschung<br />
und Lehre auf dem Gebiet der Jüdischen Studien<br />
in der Region Berlin-Brandenburg zu vernetzen.<br />
Damit soll die Inten sität in Forschung und Lehre,<br />
deren Internatio nalität und die Sichtbarmachung<br />
der Jüdischen Studien im universitären und<br />
außeruniversitären Diskurs verstärkt werden.<br />
Das Zentrum fördert Synergieeffekte in Lehre<br />
und Forschung, die durch die Bündelung und<br />
Koordination vorhandener Aktivitäten im Bereich<br />
Jüdische Studien, Judaistik und Jüdischer<br />
Theologie erreicht und durch zusätzliche<br />
Kapazitäten erweitert werden. Am Zentrum wird<br />
es sowohl eine akademische rabbinische<br />
Ausbildung als auch bekenntnisneutrale, allgemeine<br />
Jüdische Studien geben. Für die<br />
Rabbinerausbildung wird die Institutiona lisie -<br />
rung Jüdischer Theologie als fakultätsäquivalente<br />
Organisationseinheit der Universität Potsdam<br />
von besonderer Bedeutung sein. Dafür hat das<br />
Zentrum Jüdische Studien wesentliche Voraus -<br />
setzungen geschaffen: durch die Errichtung der<br />
Professuren Jüdische Musik, Biblische Exegese<br />
und die Gastprofessur Jüdisches Recht. Damit<br />
ergibt sich eine enge Verflechtung von geistlicher<br />
Ausbildung und der im Zentrum vertretenen<br />
Fächer in Forschung und Lehre.<br />
Das Land Brandenburg steht nun in der Pflicht,<br />
die vom Wissenschaftsrat vorgegebene Kern -<br />
fächerab deckung durch drei weitere Lehrstühle<br />
zu arrondieren: Jüdische Pkilosophie, Religionsund<br />
Geistesgeschichte sowie Religionspädagogik.<br />
Dann wird die Vision <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong>s Wirk -<br />
lichkeit geworden sein, die dieser seit 1830<br />
hegte: jüdische Theologie als gleichberechtigte<br />
Disziplin an der deutschen Hochschule. Das<br />
Zentrum er möglicht folglich nicht nur den interkulturellen,<br />
sondern auch den interreligiösen<br />
Dialog und macht den Standort der deutschen<br />
Hauptstadt region zu einem einzigartigen<br />
Forschungs- und Kompetenzzentrum für Jüdische<br />
Studien. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit!<br />
Mit herzlichen Grüßen<br />
Rabbiner Walter Homolka<br />
Foto: Margrit Schmidt<br />
3
4<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Das Bundesministerium für Bildung<br />
und Forschung fördert den<br />
Aufbau eines Zentrums in<br />
Berlin und Brandenburg /<br />
Schavan: „Große Tradition<br />
jüdischer Gelehrsamkeit“<br />
Jüdische Studien werden gestärkt<br />
Den Jüdischen Studien in Deutschland ist es in<br />
den letzten Jahren gelungen, international wieder<br />
starke Beachtung und Anerkennung zu ge -<br />
winnen. Diese gute Entwicklung wird zukünftig<br />
durch das Bundesministerium für Bildung und<br />
Forschung besonders unterstützt. Die Humboldt-<br />
Universität zu Berlin, die Freie Universität Berlin,<br />
die Technische Universität Berlin, die Universität<br />
Potsdam, das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> und das<br />
Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische<br />
Studien werden vom Bundesministerium für<br />
Bildung und Forschung beim Aufbau des Zen -<br />
trums für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg<br />
gefördert.<br />
Im Zentrum werden wissenschaftliche Aktivitä -<br />
ten auf diesem Gebiet in Studium und Lehre<br />
gebündelt und vernetzt. Zugleich wird durch<br />
Gastprofessuren und Fellows der internationale<br />
Austausch mit Wissenschaftlern und Wissen -<br />
schaft lerinnen, insbesondere aus den USA,<br />
Israel, Großbritannien, Frankreich und den GUS-<br />
Ländern, verstärkt. Darüber hinaus werden<br />
Forschungsstellen für Nachwuchswissenschaftler<br />
geschaffen. Das Bundesministerium für Bildung<br />
und Forschung fördert den Aufbau des Zentrums<br />
für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg (ZfJS)<br />
mit 6,9 Mio € für einen Zeitraum von zunächst<br />
fünf Jahren. „Das Zentrum für Jüdische Studien<br />
wird weit über Deutschland hinaus wirken", sagte<br />
Bundesforschungsministerin Annette Schavan.<br />
„Es knüpft an die große Tradition jüdischer<br />
Gelehrsamkeit insbesondere in Berlin an."<br />
Bei den Partnern sind beste Voraussetzungen für<br />
eine gelingende interdisziplinäre Zusammen -<br />
arbeit der relevanten Fächer gegeben. Im Raum<br />
Berlin/Potsdam ist das gesamte Spektrum der<br />
wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem<br />
Judentum vertreten, wobei sich Schwerpunkte<br />
und Arbeitsteilungen herausgebildet haben: von<br />
historischen und kulturwissenschaftlichen<br />
Ansätzen (vor allem an der Humboldt-Universität<br />
Berlin) über philologisch-kritische und dialogische<br />
(vor allem an der Freien Universität Berlin),<br />
religionshistorische und theologisch-philosophische<br />
Zugänge (vor allem an der Universität<br />
Potsdam), über die Holocaust- und Antisemi -<br />
tismus-Forschung an der Technischen Universität<br />
Berlin und die Erforschung des Zionismus am<br />
Moses Mendelssohn Zentrum bis zur akademischen<br />
Ausbildung von Rabbinern und Kantoren<br />
am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>.<br />
Damit greift das Zentrum die „Empfehlungen zur<br />
Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen<br />
Wissenschaften an deutschen Hoch -<br />
schulen" des Wissenschaftsrats auf. „Besonders<br />
vielversprechend ist die Zusammenarbeit zwischen<br />
bekenntnisneutralen Wissenschaftler -<br />
innen und Wissenschaftlern beispielsweise aus<br />
Kultur- oder Sozialwissenschaften mit bekenntnisgebunden-theologisch<br />
arbeitenden <strong>Kolleg</strong>en<br />
vom <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>", so Schavan.<br />
BMBF, 11.04.2012 [Pressemitteilung 039/2012]<br />
9. Jahrgang | Ausgabe 2<br />
Foto: Laurence Chaperon<br />
Hier<br />
Schon heute bietet die Region um<br />
Berlin eine Vielzahl an Möglich keiten,<br />
sich in Forschung und Lehre jüdischen<br />
Themen zu widmen. Von der Judaistik<br />
an der Freien Universität, dem <strong>Kolleg</strong>ium<br />
Jüdische Studien an der Humboldt-Universität,<br />
dem Zentrum für Antisemitismus forschung an<br />
der Technischen Universität Berlin bis zum Moses<br />
Mendelssohn Zentrum in Potsdam. Dort steht mit<br />
dem liberal ausgerichteten <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
<strong>Kolleg</strong> zudem eine Rabbiner- und Kantorenaus -<br />
bildung zur Verfügung.<br />
Schoeps: Alle haben Angebote, die einschlägig<br />
sind. Aber die Versuche, diese Angebote zu Ko -<br />
ordinieren, haben bis jetzt noch nicht funktioniert.<br />
(...) Es hat immer Widerstände gegeben<br />
und Ängste. Die einen dachten, wenn man so<br />
etwas macht, nimmt man ihnen was weg, undsoweiter.<br />
Wir haben hier ein Konzept entwickelt,<br />
wo alle bei ihren bisherigen Aktivitäten bleiben,<br />
aber miteinander arbeiten in der Zukunft und das<br />
ist das Neue.<br />
Julius Schoeps leitet seit zwanzig Jahren das<br />
Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrum, das als<br />
An-Institut der Universität Potsdam gute Erfah -<br />
rungen in der Kooperation zwischen Lehre und<br />
Forschung gemacht hat. Im Miteinander sieht er<br />
vor allem konkrete Verbesserungen für die<br />
Studierenden:<br />
Schoeps: Und jetzt ist die Überlegung, auch ein<br />
gemeinsames Vorlesungsverzeichnis zu ent -<br />
wickeln, was dann zur Folge auch hätte, dass die
Studenten, die Jüdische Studien in Berlin-<br />
Potsdam studieren hier ein Angebot bekommen,<br />
wie es sonst nirgendwo in Deutschland vorhanden<br />
ist. (...) Das wäre hier das Nonplusultra, um<br />
das mal so zu sagen.<br />
Das Bundesforschungsministerium fördert den<br />
Aufbau des Zentrums für Jüdische Studien mit<br />
knapp 7 Millionen Euro in den kommenden fünf<br />
Jahren. Geplant ist ein wissenschaftliches Dach<br />
mit dem Ziel einer stärkeren Vernetzung untereinander.<br />
Die Kapazitäten der einzelnen Fach bereiche<br />
an den Universitäten und Forschungs instituten<br />
sollen gebündelt werden. Ein starker Fokus wird<br />
dabei auf die Förderung des wissenschaftlichen<br />
Nachwuchses gesetzt, durch die Etablierung einer<br />
Graduiertenschule als Kern des Zentrums. Auf<br />
lange Sicht soll es auch einen Masterstudiengang<br />
geben. Christina von Braun, Sprecherin und<br />
Mitinitiatorin des ambitionierten Vorhabens, sieht<br />
aber noch mehr Vorteile:<br />
von Braun: Was jetzt möglich sein wird ist, dass<br />
die Theologie jetzt auch mit der Kunstgeschichte<br />
oder der Literaturwissenschaft, der Philosophie<br />
zusammenarbeitet auf dem Gebiet der Jüdischen<br />
Studien, und da bieten sich sehr viele Brücken -<br />
schläge in diesen Disziplinen an, das eben jetzt<br />
ganz gezielt zu vernetzen, oder aber ein anderer<br />
Aspekt ist: Es kommen ohnehin sehr viele ausländische<br />
Wissenschaftler auf diesem Gebiet der<br />
Jüdischen Studien nach Berlin, und denen einen<br />
Ort zu bieten, wo wir sie schneller leiten können<br />
an Wissenschaftler hier in der Gegend, wird auch<br />
durch so ein Zentrum leichter möglich sein.<br />
Im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert<br />
zählte Berlin schon einmal zu den weltweit<br />
bedeutendsten Zentren jüdischer Gelehrsamkeit:<br />
Als Ort der akademischen Beschäftigung mit dem<br />
Judentum sowie der Rabbinerausbildung. Die<br />
1872 gegründete Hochschule für die Wissen schaft<br />
des Judentums, die bis zur ihrer Schlie ßung durch<br />
die Nationalsozialisten im Jahre 1942 einen hervorragenden<br />
Ruf besaß, dient jetzt denn auch als<br />
Vorbild:<br />
Schoeps: Es ist ein Anknüpfen an die Tradition,<br />
wenngleich man nicht mehr so ohne Weiteres an<br />
solche Traditionen anknüpfen kann, weil dazwi-<br />
<strong>Kescher</strong><br />
schen liegen eben die Jahre der Hitlerdiktatur, es<br />
liegt die Teilung Deutschlands dazwischen und<br />
mittlerweile auch durch die Zuwanderung von<br />
Juden aus der früheren Sowjetunion eine völlig<br />
andere Situation. Ein deutsches Judentum wie<br />
vor 1933 gibt es nicht mehr. Aber: Anknüpfen<br />
ZENTRUM<br />
JÜDISCHE<br />
STUDIEN<br />
BERLIN-BRANDENBURG<br />
kann man natürlich an bestimmte Traditionen,<br />
man muss sie aber vermitteln.<br />
Inhaltlich will das künftige Zentrum drei Schwer -<br />
punkte setzen: Zur Geschichte der Juden in<br />
Brandenburg-Preußen. Zum sogenannten Trialog<br />
zwischen Judentum, Christentum und Islam und<br />
zur Memorialkultur. Mit der Rabbiner- und<br />
Kantorenausbildung am Potsdamer <strong>Abraham</strong><br />
<strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> gesellt sich zu dieser stark säkularen<br />
Ausrichtung zugleich eine bekenntnisgebundene<br />
Orientierung.<br />
Schoeps: Das ist ein Problem, das gelöst werden<br />
muss. Bei der bekenntnisgebundenen Wissen -<br />
schaft, (...) da handelt es sich um die Rabbiner -<br />
ausbildung, das muss so sein. Andererseits kann<br />
ein säkularer Student, also der Jüdische Studien<br />
studiert, zum Beispiel viel lernen, wenn er ein<br />
Seminar belegt über jüdisches Recht, das zum<br />
entsteht ein Ort, der richtig attraktiv ist<br />
Fotos: MMZ / Archiv<br />
Carsten Dippel sprach<br />
mit Christina von Braun<br />
und Julius H. Schoeps<br />
über das neue Zentrum<br />
für Jüdische Studien<br />
Berlin-Brandenburg, das<br />
am 30. Mai eröffnet<br />
wird.<br />
Beispiel der Rabbinerstudent als Pflicht haben<br />
wird.<br />
Das Zentrum für Jüdische Studien Berlin-<br />
Brandenburg wird seine Arbeit zum Winter -<br />
semester aufnehmen. Dann werden auch die<br />
ersten Fellows erwartet. Berlin erfährt damit eine<br />
deutliche Aufwertung gegenüber anderen Orten<br />
wie etwa Heidelberg mit der dortigen Hochschule<br />
für Jüdische Studien. Christina von Braun sieht<br />
darin aber keine Konkurrenz:<br />
von Braun: Es hat bis jetzt schon so viel gegeben<br />
hier in Berlin und Brandenburg auf dem Gebiet<br />
der Jüdischen Studien, dass man sich kaum vorstellen<br />
kann, dass das zusätzlich Wasser abgräbt.<br />
Das einzige, was jetzt passiert, ist, dass es jetzt<br />
etwas sichtbarer wird und das es besser gebündelt<br />
und strukturiert wird. Aber es hat genauso<br />
viel Forschung und Aktivitäten schon gegeben<br />
und insofern glaube ich keine Sekunde, dass<br />
Heidelberg darunter zu leiden hat.<br />
5
6<br />
Ein Leuchtturm in der Wissenschaftslandschaft?<br />
Geht es nach den Vorstellungen der Beteiligten,<br />
wird das Zentrum für Jüdische Studien Berlin-<br />
Brandenburg mehr sein als ein wissenschaftliches<br />
Verbundprojekt. Berlin, da ist sich Julius Schoeps<br />
sicher, schwingt sich auf, die erste Adresse für<br />
Jewish Studies in Europa zu werden:<br />
Schoeps: Wir werden selbstverständlich eine<br />
Austausch und<br />
Dialog nötig<br />
Zum Artikel von Heike Schmoll, „Das Heidel -<br />
berger Unikat —Die Hochschule für Jüdische<br />
Studien und das Studienzentrum in Berlin" (FAZ.<br />
vom 28. April): Als Vertreter des Faches deutschjüdische<br />
Geschichte an der Universität Potsdam<br />
und Mitglied der Universität Potsdam im Direk -<br />
torium des neugegründeten „Zentrums Jüdische<br />
Studien Berlin-Brandenburg" gestatte ich mir<br />
deshalb folgende ergänzende Hinweise: Das<br />
„Zentrum jüdische Studien" konterkariert keineswegs<br />
die Intentionen des Wissenschaftsrates,<br />
indem es die Grenzen zwischen Kulturwissen -<br />
schaft und Theologie verwischt. Im Gegenteil:<br />
Sinn der Zentrumsgründung war es von Anfang<br />
an, die einschlägigen kulturwissenschaftlich<br />
arbeitenden Einrichtungen im Raum Berlin-<br />
Brandenburg zu bündeln und den Jüdischen<br />
Studier in dieser Region dadurch zu noch größerer<br />
Attraktivität zu verhelfen. Das <strong>Abraham</strong><br />
<strong>Geiger</strong>-<strong>Kolleg</strong> gehört zwar ebenfalls dem<br />
„Zentrum“ an; angesichts der Gesamtstruktur<br />
des Zentrums, zu der vier Universitäten und mit<br />
dem Moses-Mendelssohn-Zentrum ein kulturwissenschaftlich<br />
orientiertes außeruniversitäres<br />
Institut beitragen, kann aber von einer<br />
„Konfessionalisierung" der Jüdischen Studien<br />
wirklich keine Rede sein.<br />
Ein Junktim zwischen dem „Zentrum jüdische<br />
Studien" und einer ebenfalls zu gründenden<br />
jüdisch -theologischen Fakultät entsprach nie<br />
den Intentionen der kulturwissenschaftlich<br />
arbeitenden Fächer und Einrichtungen. Faktum<br />
ist: ein solches Junktim besteht nicht; das<br />
„Zentrum jüdische Studien ist von einer theologichen<br />
Fakultätsgründung völlig unabhängig zu<br />
<strong>Kescher</strong><br />
europäische Dimension haben. Nach Westeuropa<br />
hin und nach Osteuropa hin. (...) Ich bin überzeugt<br />
davon, dass hier viele osteuropäische<br />
Studenten studieren werden und vielleicht eine<br />
Rabbineraus bildung absolvieren und dann<br />
zurückgehen in ihre Heimatländer, um dort ein<br />
Rabbinat zu übernehmen. (...) Es wird Austausch<br />
geben, es werden Studenten, Forscher aus Israel,<br />
aus den USA, aus Südamerika nach Berlin kom-<br />
S T I M M E N Z U M Z E N T R U M F Ü R J Ü D I S C H E S T U D I E N<br />
sehen. Gleichwohl wäre die Gründung einer<br />
jüdisch-theologischen Fakultät, die eine akademisch<br />
institutionalisierte Rabbinerausbildung an<br />
einer staatlichen Universität bereitstellte, eine<br />
außerordentliche Errungenschaft und als solche<br />
zu begrüßen. Die historischen Gründe dafür zu<br />
nennen erübrigt sich.<br />
In den derzeit an der Universität Potsdam<br />
geführten intensiven Gesprächen geht es darum,<br />
die Frage zu klären, wie das zukünftige Neben -<br />
einander von Jüdischen Studien als kulturwissenschaftlicher<br />
Disziplin und jüdischer Theologie<br />
mit dem Ziel der Ausbildung von Rabbinern organisatorisch<br />
und inhaltlich geregelt werden soll.<br />
Dabei wird von einer Autonomie beider Bereiche<br />
auszugehen sein und nicht von einer konturenlosen<br />
Verschmelzung. Dass natürlich zwischen beiden<br />
Bereichen Austausch und Dialog herrschen<br />
muss, ist ebenso selbstverständlich, diese<br />
Entwicklungen werden von und an der Philoso -<br />
phischen Fakultät mit kritischer Aufmerksamkeit<br />
beobachtet und diskutiert. Sinnvoll wäre es, Ver -<br />
treter der Jüdischen Studien auch in die interfakultäre<br />
Arbeitsgruppe der Universität zu berufen.<br />
Das „Zentrum jüdische Studien Berlin- Branden -<br />
burg" stärkt auf einzigartige Weise die Jüdischen<br />
Studien als Kulturwissenschaft. Zu deren<br />
Konzept gehört gerade ein Pluralismus der<br />
Ansätze, Disziplinen und Themen. Was Frau<br />
Schmoll als mangelhafte Profilierung beklagt, ist<br />
Absicht und reflektiert die Vielfalt der global<br />
betriebenen jüdischen Studien.<br />
Professor Dr. Thomas Brechenmacher, Potsdam<br />
(FAZ vom 7. Mai 2012)<br />
9. Jahrgang | Ausgabe 2<br />
men, und das ist das, was wir bezwecken. (...)<br />
Und da entsteht hier ein Ort, der richtig attraktiv<br />
ist.<br />
Der Beitrag von Carsten Dippel wurde am 11. Mai<br />
in der Sendung "Von Tag zu Tag" im Deutsch -<br />
land funk gesendet.<br />
Oben: Dr. Karin Wollschläger (Redakteurin<br />
Katholische Nachrichten-Agentur, Berlin) im<br />
Gespräch mit Taner Yüksel (Fachdienstleiter<br />
Integration des Landkreises Nienburg)) und<br />
Ludger Westrick (Rechtsberater der Griechisch-<br />
Orthodoxen Metropolie von Deutschland).<br />
Unten: Joachim Hake (Direktor der Katholischen<br />
Akademie Berlin) im Gespräch mit Dr. Maria<br />
Flachsbarth MdB (Beauftragte für Kirchen und<br />
Religionsgemeinschaften der CDU/CSU-Fraktion<br />
im Deutschen Bundestag) und Prof. Dr. Jörg<br />
Rüpke (Vergleichende Religionswissenschaft,<br />
Universität Erfurt, links) und Kerstin Griese MdB<br />
(Beauftragte für Kirchen und<br />
Religionsgemeinschaften der SPD-Fraktion im<br />
Deutschen Bundestag, rechts).<br />
Fotos: Tobias Barniske
Der Wissenschaftsrat hat 2010 „Empfehlungen<br />
zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen<br />
Wissenschaften“ veröffentlicht.<br />
Sie richten sich sowohl an die christlichen<br />
Kirchen als auch an die jüdischen und muslimischen<br />
Religionsgemeinschaften.<br />
Aus den Empfehlungen des Wissenschaftsrates<br />
ergeben sich folgende Fragen: Welche Rolle spielt<br />
die Theologie in einer religiös pluralen Gesell -<br />
schaft? Welches Interesse hat der Staat an theologischer<br />
Forschung? Wie und zu welchem Zweck<br />
können staatliche Universitäten das Gespräch<br />
zwischen den verschiedenen theologischen<br />
Disziplinen und Fakultäten fördern? Wie kann<br />
das Zusammenspiel der verschiedenen Religi ons -<br />
gemeinschaften für eine moderne Religions -<br />
forschung innerhalb der staatskirchenrechtlichen<br />
Vorgaben gestaltet werden? Welche zusätzlichen<br />
Expertisen der Religionswissenschaften können<br />
eingebracht werden?<br />
Diese und weitere Fragen wurden am 28. März auf<br />
der Berliner Tagung „Theologie im öffentlichen<br />
Raum“ behandelt, zu der die Konrad-Adenauer-<br />
Stiftung in Zusammenarbeit mit der Europä -<br />
ischen Akademie für Wissenschaft und Kunst, der<br />
Eugen-Biser-Stiftung und der Universität<br />
Potsdam eingeladen hatte.<br />
Rabbiner Brandt fordert zügige Gründung einer<br />
Jüdischen Fakultät<br />
Der Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonfe -<br />
renz (ARK), Rabbiner Henry G. Brandt (Foto<br />
rechts), sprach sich für die zügige Gründung<br />
einer jüdisch-theologischen Fakultät an einer<br />
staatlichen Universität aus. „Wir brauchen sie,<br />
und es wäre auch eine Vervollständigung der<br />
deutschen Geschichte“. Solch eine Fakultät sei<br />
eine „qualitative Bereicherung für die Renais -<br />
sance des Judentums in Deutschland" und nicht<br />
zuletzt auch für den Wissenschaftsbetrieb. Der<br />
Frankfurter Jurist Hermann Weber betonte, wenn<br />
es bei der neuen Imam-Ausbildung an staatlichen<br />
Universitäten bleibe, wie sie jetzt mit den<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Theologie im öffentlichen Raum<br />
Zentren für Islamische Studien anlaufe, führe<br />
kein Weg an einer jüdisch-theologischen Fakultät<br />
für die Rabbiner-Ausbildung vorbei. Dies müsse<br />
allein schon aus paritätischen Gründen erfolgen.<br />
Die Potsdamer Neuesten Nachrichten fassten den<br />
Tagungsverlauf und die aktuelle Diskussion um<br />
die Gleichstellung der jüdischen Theologie unter<br />
der Überschrift: „Konstruktive Gespräche.<br />
Positiver Verlauf bei den Verhandlungen zur jüdischen<br />
Theologie an der Universität Potsdam“:<br />
zusammen. Der damalige Vizepräsident für Lehre<br />
und Studium der Universität, Thomas Grünewald,<br />
sagte dazu, dass die Universität eine wissenschaftsadäquate<br />
Organisation der jüdischen<br />
Theologie innerhalb der Hochschule verwirklichen<br />
will. Der Fakultätsbegriff sei allerdings ein<br />
Arbeitstitel, er werde unter Vorbehalt benutzt:<br />
„Wir werden erst zum Schluss entscheiden, ob<br />
dies im klassischen Sinne eine Fakultät sein<br />
muss“, erklärte Grünewald den PNN am Rande<br />
der Veranstaltung.<br />
Stärkere Öffnung der Theologien zu anderen<br />
Disziplinen<br />
Grünwald, der seit Anfang Mai als Beauftragter<br />
der Landesregierung für die Hochschulregion<br />
Lausitz tätig ist, zeigte sich optimistisch, bis zur<br />
Jahresmitte einen Organisationsvorschlag für die<br />
jüdische Theologie zu präsentieren, der von den<br />
anderen Fakultäten mitgetragen wird. „Ich bin<br />
relativ zuversichtlich, dass wir das schaffen werden.“<br />
An der Potsdamer Universität könne die<br />
Diskussion um das Vorhaben ohne größere<br />
Vorbelastungen geführt werden, weil es kein<br />
Konfliktpotenzial mit einer bereits bestehenden<br />
Fakultät für Theologie gibt. Grünewald betonte<br />
auch, dass eine jüdisch-theologische Fakultät<br />
anders konstruiert werden müsse als eine christliche.<br />
„Es geht nicht darum einen Klerikalisie -<br />
rungsprozess zu übertragen“, erklärte er gegenüber<br />
dem Wissenschaftsredakteur der PNN, Jan<br />
Kixmüller. Es solle etwas Eigenständiges entste-<br />
Tagung der Konrad-<br />
Adenauer-Stiftung zur<br />
Rolle der Universitäten<br />
hen. Die jüdische Theologie solle in einer Quer -<br />
struktur an der Uni etabliert werden: Es gibt<br />
viele Personen und Disziplinen an der Universi -<br />
tät, die kooperieren wollen.“ Das reiche von der<br />
Religionssoziologie bis zur Physik. Zu den klassischen<br />
jüdischen Theologen sollen „affine<br />
<strong>Kolleg</strong>en“ hinzukommen, die das Spektrum<br />
erweitern. Das läge ganz im Sinne von Wissen -<br />
schaftsministerin Susannen Kunst, die auf der<br />
Theologie-Konferenz eine stärkere Öffnung zu<br />
den anderen Disziplinen und eine größere wissenschaftliche<br />
Sichtbarkeit der deutschen<br />
Theologien gefordert hatte.<br />
Die jüdische Theologie soll nach Grünewalds<br />
Vorstellungen mitten in der Hochschule platziert<br />
werden: „Damit soll der Universität durchaus ein<br />
religionswissenschaftlich-theologischer Schwer -<br />
punkt gegeben werden.“ In der Universität gebe<br />
es viel Sachverstand für das Thema. „Wenn wir<br />
das geschickt neu zusammenführen, dann können<br />
wir mit vergleichsweise begrenzten Mitteln<br />
beginnen“, sagte Grünewald. Er plädierte dafür,<br />
nicht zu warten, bis eine gut ausgestattete<br />
Fakultät auf den Beinen steht, sondern mit dem,<br />
was vorhanden ist, das Projekt umgehend zu<br />
beginnen.<br />
Der vollständige Bericht der Potsdamer Neuesten<br />
Nachrichten vom 30. März 2012 ist nachzulesen<br />
unter http://www.pnn.de/campus/636012/.<br />
7
8<br />
ls Max Grünewald 1957 über „The<br />
Modern Rabbi“ schrieb, wurde dies<br />
zu einem Rückblick auf eine Ent -<br />
wicklung, der die Schoa ein jähes<br />
Ende gemacht hatte: „The ,modern rabbi’, one of<br />
the more representative features of Central<br />
European Jewry, appears on the scene rather<br />
late. Not until the years following the First World<br />
War were all the features assembled which allow<br />
us to deal with them as a specific entitiy. His<br />
appearance, therefore, was brief.“ 1<br />
A<br />
Inzwischen wissen wir, dass jüdisches Leben in<br />
Deutschland wieder eine Zukunft hat, mit ihm<br />
auch die Rabbinerausbildung. Die Fragestellun -<br />
gen, die die Diskussionen um die Stellung des<br />
Rabbiners in der Gemeinde zu Beginn des 20.<br />
Jahrhundert ausmachten, sind dabei nach wie<br />
vor aktuell, wenn es darum geht, Modelle für das<br />
Gemeindeleben für die kommenden Generationen<br />
zu entwickeln. Die Rabbinerausbildung leistet<br />
dazu einen entscheidenden Beitrag.<br />
Die Aufgaben des modernen Rabbinats umfassen<br />
Predigt und Seelsorge, Religionsunterricht,<br />
Jugendarbeit und Erwachsenenbildung, die<br />
Klärung religionsgesetzlicher Statusfragen und<br />
die Begleitung von Gemeindemitgliedern bei life<br />
cycle events sowie auch die Teilnahme am interreligiösen<br />
Gespräch und repräsentative Tätig -<br />
keiten.<br />
1979 wurde auf Initiative des badischen Landes -<br />
rabbiners der Juden in Deutschland, Werner<br />
Nachmann (1925–1988) die Hochschule für<br />
Jüdische Studien in Heidelberg gegründet, auf<br />
Beschluss der bundesdeutschen Kultusminister -<br />
konferenz und in der Trägerschaft des Zentral -<br />
rates. Levinson hatte bereits 1971 die Einrich -<br />
tung einer Ausbildungsstätte für jüdische<br />
Religionslehrer, Kantoren und Rabbiner angeregt.<br />
Ein erstes Memorandum über die Einrich -<br />
tung eines jüdisch-theologischen Instituts<br />
stammt vom 4. Mai 1972. Der Oberrat der Israe -<br />
liten Badens forderte damals für die jüdischen<br />
Gemeinden in Deutschland, für die 25.000 hier<br />
lebenden Juden ein akademisches Institut, um<br />
Rabbiner, Religionslehrer und Vorbeter für sie<br />
nicht länger im Ausland bei deutschsprachigen<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Fachleuten in der Emigration oder bei ausländischen<br />
Lehrkräften ausbilden zu lassen, die die<br />
deutsche Sprache nicht sonderlich<br />
beherrschen.<br />
Für ein solches Institut in der Nachfolge der von<br />
den Nationalsozialisten zerstörten Rabbiner -<br />
seminare wie der Hochschule für die Wissen -<br />
schaft des Judentums in Berlin oder des Jüdisch-<br />
Theologischen Seminars in Breslau schlug der<br />
Oberrat in seinem Memorandum als Sitz Heidel -<br />
berg vor, und zwar in Verbindung zur Ruprecht-<br />
Karls-Universität. Ausschlaggebend dafür war<br />
der internationale Ruf der Heidelberger theologischen<br />
Fakultät. Neben Levinson selbst dürfte<br />
auch dessen zweite Ehefrau, die ebenfalls in<br />
Berlin gebürtige Pnina Navé (1921–1998) zur<br />
Durchsetzung der Pläne beigetragen haben; von<br />
9. Jahrgang | Ausgabe 2<br />
Rabbinerausbildung<br />
„Der moderne Rabbiner“. Band 124 der Jüdischen<br />
Miniaturen wurde dem Vizepräsidenten der Uni -<br />
versität Potsdam zum Abschied gewidmet. Dr.<br />
Thomas Grünewald hat sich um die Institutiona -<br />
lisierung jüdischer Theologie verdient gemacht<br />
und wurde dafür 2011 mit der <strong>Abraham</strong>-<strong>Geiger</strong>-<br />
Plakette gewürdigt. Herzlichen Dank!<br />
ihr stammt unter anderem ein Aufsatz „Zur<br />
Einrichtung der Wissenschaften vom Judentum<br />
in Heidelberg“ 2 .<br />
Im Errichtungsbeschluss des Zentralrats der<br />
Juden vom Mai 1979 war die Rede vom »festen<br />
Willen zur Errichtung eines Zentrums jüdischer<br />
und judentumskundlicher Ausbildung in<br />
Deutschland, das an die großen Traditionen der<br />
Zeit vor der Katastrophe anknüpft; aus dem<br />
Wunsch heraus, auf deutschem Boden die<br />
Möglichkeit der Weiterreichung und Weiterbil -<br />
dung jüdischen Wissens und jüdischen Forschens<br />
zu fördern“ 3 . Und Landesrabbiner Levinson sagte<br />
schließlich zur Eröffnung der Hochschule für<br />
Jüdische Studien im Oktober 1979: „Dem Ungeist<br />
kann nur der Geist entgegengesetzt werden, der<br />
Entfremdung die Nähe, der Entzweiung die<br />
Zwiesprache.“ 4 Die Hochschule sollte sich in der<br />
Folge zu einem bedeutenden Zentrum judaistischer<br />
Forschung und Lehre entwickeln, das durch<br />
seine Ausbildung von Religionslehrern auch positiv<br />
in die jüdischen Gemeinden hineinwirkt.<br />
Die Idee zur erneuten Gründung eines<br />
Rabbinerseminars in Deutschland entstand<br />
jedoch erst in der zweiten Hälfte der 1990er<br />
Jahre. Die Hintergründe dazu waren vielfältig;<br />
sie hingen wesentlich mit der rapide wachsenden<br />
Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinschaft von<br />
kaum 23.000 Mitgliedern deutschlandweit im<br />
Jahr 1989 auf nunmehr gut 106.000 Gemeinde -<br />
mitglieder in Folge der Zuwanderung aus den<br />
Staaten der früheren Sowjetunion zusammen.<br />
Die Zuwanderer brachten nach 90-jähriger<br />
Diktatur und vehementem Antisemitis mus eine<br />
geringe religiöse Ausbildung mit. Ihr Bedürfnis<br />
nach Sozialberatung und Kontakten war jedoch<br />
groß – viele von ihnen wandten sich daher an die<br />
mit der Aufgabe der Integration überforderten<br />
und allein gelassenen jüdischen Gemeinden vor<br />
Ort. Nur die allerwenigsten dieser Kultusgemein -<br />
den verfügten über einen eigenen Rabbiner. Da<br />
nach der Schoa das religiöse Gemeindeleben nie<br />
wieder die Qualität der Zeit bis 1933 hatte gewinnen<br />
können und viele Gemeindemitglieder überdies<br />
bis in die 1980er Jahre hinein auf den viel<br />
zitierten gepackten Koffern saßen, war die<br />
Einsicht in die Notwendigkeit einer geistlichen
heute<br />
Führung nicht sehr ausgeprägt. Die wenigen vorhandenen<br />
Rabbiner kamen zumeist auch nicht<br />
aus Deutschland; sie waren sprachlich und kulturell<br />
anders geprägt als ihre Gemeindemitglieder,<br />
was weitere Probleme bereitete. 5<br />
Diejenigen, die Rabbiner werden wollten, mussten<br />
sich ins Ausland begeben. Sie konnten zwar<br />
am der Heidelberger Hochschule für Jüdische<br />
Studien seit 1979 eine Grundqualifikation erhalten,<br />
doch diese wurde in London, Cincinnati oder<br />
New York nur als Studieneingangsvoraussetzung<br />
anerkannt; ein fünfjähriges MA-Studium schloss<br />
sich daran an. Stipendien des Zentralrats der<br />
Juden in Deutschland wurden vergeben, allerdings<br />
nur für Männer. Die Tatsache, dass das jüdische<br />
Leben in Deutschland brach lag, die<br />
Gemeinden klein und mittellos waren und weder<br />
Synagogen noch Gehälter finanzieren konnten,<br />
schuf für die im Ausland studierenden Kandida -<br />
ten keine Motivation, nach diesem aufwändigen<br />
Auslandsstudium zurückzukehren. Sie zogen oft<br />
die gute Struktur der amerikanischen Gemeinden<br />
den Problemen in Deutschland vor.<br />
Ausschlaggebend für die Gründung eines Rabbi -<br />
nerseminars waren also:<br />
a) der große Bedarf an Rabbinern, die kulturell<br />
und sprachlich mit den Gegebenheiten in deutschen<br />
Gemeinden umgehen zu können,<br />
b) der Wunsch, wie international im liberalen<br />
und konservativen Judentum üblich, auch Frauen<br />
in die religiöse Gemeindeleitung einzubeziehen,<br />
c) die Notwendigkeit, die wenigen zur Rabbiner -<br />
ausbildung vorhandenen Mittel effizient einzusetzen.<br />
Warum nun Potsdam als Standort für dieses neue<br />
Rabbinerseminar? Das wissenschaftliche Umfeld<br />
der Judaistik und Jüdischen Studien ist in<br />
Deutschland ausgeprägt, es gibt Lehrstühle und<br />
Institute an beinahe allen großen Universitäten.<br />
Die Wahl des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s fiel 1999<br />
auf Potsdam, da hier die Jüdischen Studien mit<br />
Schwerpunkt in den Bereichen Religion und<br />
Philosophie, Geschichte und Literatur / Kultur<br />
gelehrt werden und somit bereits ein breit gefächertes<br />
Lehrangebot vorhanden war, das über die<br />
<strong>Kescher</strong><br />
stark säkular und christlich geprägte<br />
Juda istik deutlich hinausging. Das <strong>Abraham</strong><br />
<strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> wurde als ein An-Institut der<br />
Universität Potsdam eingerichtet. Auf internationaler<br />
Ebene ist das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong><br />
Mitglied der Weltunion für progressives Juden -<br />
tum, den von Leo Baeck 1926 mitgegründeten<br />
internationalen Dachverband der liberalen<br />
Juden. 2007 wurde überdies ein Kooperations -<br />
vertrag mit dem Hebrew Union College –<br />
Institute of Jewish Religion abgeschlossen.<br />
Gastdozenten vom Hebrew Union College in<br />
Cincinnati bzw. New York unterrichten als<br />
Fellows am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> und ergänzen<br />
so das Studium am Seminar. Seit 2008 bildet das<br />
<strong>Kolleg</strong> in einer eigenen Abteilung zudem<br />
Kantoren und Kantorinnen aus. 2011 erfolgte die<br />
endgültige Akkreditierung durch die Central<br />
Conference of American Rabbis, die seit 2006 die<br />
Absolventen des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s als<br />
Mitglieder aufnimmt. Im September 2006 waren<br />
in Dresden die ersten drei Absolventen des<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s als erste Rabbiner in<br />
Deutschland seit der Schoa ordiniert worden.<br />
2009 wurden außerdem in München die ersten<br />
Zöglinge des orthodoxen Rabbinerseminars der<br />
Ronald S. Lauder Foundation Berlin in das<br />
Rabbineramt eingeführt worden. Die Lauder<br />
Yeschiwa sieht sich mit diesem Ausbildungszweig<br />
in der Tradition des Hildesheimerschen Seminars<br />
von 1873, bietet jedoch kein akademisches<br />
Studium an.<br />
Das Studium am 1999 gegründeten <strong>Abraham</strong><br />
<strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> ist dual organisiert: Die akademische<br />
Ausbildung in jüdischer Theologie findet an<br />
der Universität Potsdam statt, die praktische<br />
Ausbildung leistet das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>.<br />
Mit seiner Arbeit setzt das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong><br />
das geistige Erbe des liberalen deutschen<br />
Judentums in aktuelle Bezüge; sein Curriculum<br />
umfasst Module, die schon in der Weimarer<br />
Republik Bestandteil des Lehrplans waren und<br />
den akademischen und praktischen Lehrinhalten<br />
vergleichbarer internationaler Rabbineraus -<br />
bildungsstätten entsprechen. Zusätzlich wird in<br />
Potsdam eine Kooperation mit der konservativen<br />
Ziegler School of Rabbinic Studies der American<br />
Jewish University Los Angeles auf gleichwertiger<br />
akademischer Grundlage angestrebt. Dabei lassen<br />
wir uns vom Wahlspruch <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong>s für<br />
das Studium der jüdischen Theologie und das<br />
moderne Rabbinat leiten: „Durch Erforschung<br />
des Einzelnen zur Erkenntnis des Allgemeinen,<br />
durch Kenntnis der Vergangenheit zum Ver -<br />
ständnis der Gegenwart, durch Wissen zum<br />
Glauben.“<br />
1 Max Gruenewald: The Modern Rabbi, in: Leo Baeck<br />
Institute Year Book II, London 1957, S. 85.<br />
2 Vgl. Ruperto-Carola, Band 42, S. 18ff<br />
3 Niedergelegt in den Generalakten der Universität<br />
Heidelberg Nr. 6981 3. Akte.<br />
4 Heidelberger Tagblatt vom 17.10.1979<br />
5 Willi Jasper / Julius H. Schoeps / Bernhard Vogt<br />
(Hrsg.): Russische Juden in Deutschland. Integration und<br />
Selbstbehauptung in einem fremden Land, Weinheim<br />
1996. Willi Jasper / Julius H. Schoeps / Bernhard Vogt<br />
(Hrsg.): Ein neues Judentum in Deutschland? Fremd- und<br />
Eigenbilder der russisch-jüdischen Einwanderer, Potsdam<br />
1999<br />
Walter Homolka<br />
Der moderne Rabbiner<br />
Ein Rollenbild im Wandel<br />
Jüdische Miniaturen, Bd. 124<br />
112 Seiten, Broschur<br />
18 Abbildungen, Verlag Hentrich<br />
und Hentrich, Berlin 2012<br />
ISBN: 978-3-942271-62-2<br />
9,90 € / 18,90 CHF<br />
9
10<br />
„Die Pluralität ist die neue<br />
Am 23. November wurden mit Dr. Yael Deusel,<br />
Yann Boissière, Yuriy Kadnykov, Jona Simon und<br />
Paul M. Strasko zum vierten Mal Absolventen des<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s an der Universität Pots -<br />
dam ordiniert. Die Ordination fand in der Syna -<br />
goge Or Chajim der Israelitischen Kultusgemeinde<br />
Bamberg in Anwesenheit zahlreicher Rabbiner<br />
und Gemeinderepräsentanten aus dem In- und<br />
Ausland statt. Der Präsident des Zentralrats der<br />
Juden in Deutschland, Dr. Dieter Graumann, der<br />
Innenminister des Freistaats Bayern, Staats -<br />
Im November wurden in Bamberg<br />
fünf Absolventen unseres <strong>Kolleg</strong>s<br />
ordiniert<br />
Fotos: Tobias Barniske<br />
jüdische Normalität“<br />
minister Joachim Herrmann, und der Präsident<br />
des Landesverbandes der Israelitischen Kultus -<br />
gemeinden in Bayern, Dr. Josef Schuster, waren<br />
unter den Ehrengästen und sprachen Grußworte.<br />
„Die Pluralität ist die neue jüdische Normalität“,<br />
sagte Dr. Dieter Graumann in seiner Rede, die<br />
hier im Wortlaut nachzulesen ist.<br />
Die Ordina tionsfeier in der Bamberger Synagoge<br />
Or Chajim wurde vom Bayerischen Rundfunk live<br />
im Fernsehen übertragen.
Lasst hundert neue Rabbiner blühen!<br />
Grußwort des Präsidenten des Zentralrats der<br />
Juden, Dr. Dieter Graumann, zur Ordinationsfeier<br />
des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s am 23. November<br />
2011 in der Israelitischen Kultusgemeinde<br />
Bamberg.<br />
„…Heute ist für uns ein Feiertag, ein Freudentag<br />
und zugleich ein Fest der Hoffnung. Wir setzen<br />
heute gemeinsam hier ein Signal von neuer<br />
Zuversicht. Es ist doch bekannt: Wir hungern<br />
nach rabbinischer Betreuung. Neue Rabbiner<br />
braucht das Judentum in Deutschland, sogar<br />
noch viele mehr. Lange haben wir hier auf einem<br />
jüdisch und rabbinisch ausgetrockneten Terrain<br />
gelebt.<br />
Neue Rabbiner sind daher wie ein frischer Regen<br />
von Hoffnung für uns. Wir brauchen neue Rab -<br />
biner hier wie die Luft zum Atmen. Rabbiner sollen<br />
uns den Himmel zwar etwas näher bringen.<br />
Aber Rabbiner fallen leider doch nicht einfach<br />
vom Himmel. „Geh, mache Dir einen Lehrer“<br />
sagen schon unsere Weisen in den Sprüchen der<br />
Väter, den Pirkei Awot. Wir müssen uns also<br />
schon selbst die Rabbiner machen, die wir brauchen,<br />
und uns selbst darum bemühen.<br />
Ich will mich daher ausdrücklich bedanken bei<br />
allen, die die neue Ausbildung möglich machen.<br />
Im <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> und auch im Hildes -<br />
heimer-Rabbinerseminar, wo die traditionelle<br />
Richtung gepflegt wird, haben wir nunmehr zwei<br />
renommierte Rabbinerseminare, die beide vom<br />
Zentralrat substanziell gestützt und mitgetragen<br />
werden und auf die wir alle gemeinsam stolz sein<br />
können. Und die auch noch so viel leisten sollen<br />
in der Zukunft.<br />
Denn wir sind doch noch lange nicht fertig. Wir<br />
brauchen noch viele Rabbiner mehr, mindestens<br />
noch einhundert mehr: Lasst daher Hundert neue<br />
Rabbiner hier blühen – damit auch wieder das<br />
Judentum in Deutschland aufs Neue blühen<br />
kann! Und bunt gemischt soll außerdem auch<br />
noch die neue Blüte unter den Rabbinern sein:<br />
Progressiv und orthodox, modern und traditionell.<br />
Für den Zentralrat der Juden gilt allemal:<br />
Unter unserem großen, gemeinsamen Dach,<br />
unter dem schützendem Dach des Zentralrats,<br />
soll jeder auf seine Fasson fröhlich und jüdisch<br />
und glücklich sein können.<br />
Wir bauen schließlich hier gerade gemeinsam<br />
eine ganz neue jüdische Gemeinschaft auf, mit<br />
großer Begeisterung und mit Leidenschaft. Es<br />
wächst das neue plurale Judentum in Deutsch -<br />
land. Das ist spannend und eine Herausforderung<br />
– und wir sind schon mittendrin. Die Pluralität<br />
ist die neue jüdische Normalität in Deutschland.<br />
Sie ist für uns eine Quelle von frischer Bereiche -<br />
rung und von neuer Stärke. Wir bauen diese Ge -<br />
meinschaft hier neu auf, gerade nicht in erster<br />
Linie als Trauergemeinschaft, sondern mit den<br />
vielen positiven Dimensionen, die das Judentum<br />
zu bieten hat – mit wieder ganz frischer<br />
Zuversicht.<br />
Und unsere neue jüdische Gemeinschaft soll blühen:<br />
munter und bunter. Wir streben dabei auch<br />
einen Akzentwechsel und Perspektivwechsel an.<br />
11<br />
Wir wollen das Judentum in Deutschland künftig<br />
moderner, frischer, positiver positionieren und<br />
präsentieren und dabei deutlich machen: Juden -<br />
tum ist eine religiöse, eine politische und moralische,<br />
eine emotionale, vor allem auch eine spirituelle<br />
Kraftquelle ganz besonderer Art. Und das<br />
alles sollen nun auch Rabbiner vermitteln - was<br />
für eine Chance!<br />
Ich wünsche den neuen Rabbinern jedenfalls: Sie<br />
sollen also zum Segen sein, für die ganze jüdische<br />
Gemeinschaft, ja für alle Menschen und<br />
sogar für die ganze Welt, aber auch gerade für Sie<br />
selbst. Sie sollen Erfüllung und persönliches<br />
Glück finden, in dem, was sie tun. Nur wer selbst<br />
brennt, kann doch das Feuer in anderen entzünden.<br />
Rasch werden Sie auch spüren: Wer anderen<br />
beisteht, verliert überhaupt gar nichts und<br />
gewinnt selbst sogar am Ende noch am allermeisten.<br />
Den neuen Rabbinern wünsche ich jedenfalls<br />
von Herzen Glück und Segen.<br />
Und ich selbst will mir auch noch etwas wünschen<br />
dürfen: Dass wir hier künftig weniger<br />
Rabbiner von auswärts importieren müssen, sondern<br />
sogar auch Rabbiner noch für andere ausbilden<br />
können. Dass die Bezeichnung ‚Rabbiner -<br />
Made in Germany’ geradezu ein Markenzeichen<br />
werden möge - und ein fulminanter Export -<br />
schlager obendrein. Ein schöner Wunsch, gewiss.<br />
Aber wo, wenn nicht in einer Synagoge, soll man<br />
denn große Wünsche äußern dürfen?“<br />
Es gilt das gesprochene Wort.
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Das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> veranstaltete am 10.<br />
April gemeinsam mit dem Institut für Jüdische<br />
Studien an der Universität Potsdam seine diesjährigen<br />
Emil Fackenheim Lecture. Mit der jährlichen<br />
Vorlesung wird jeweils eine Persönlichkeit<br />
geehrte, deren wissenschaftliche Arbeit auf dem<br />
Gebiet des Judentums für die Verbindung von<br />
Tradition und Moderne in Forschung und religiöser<br />
Praxis steht.<br />
Dieses Jahr eröffnete Professorin Hanna Liss<br />
(Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg)<br />
mit der Fackenheim Lecture das Sommersemes -<br />
ter. Ihrem Vortrag ging ein Workshop unter der<br />
Leitung von Prof. Dr. Markus Witte (Inhaber des<br />
Lehrstuhls für Exegese und Literaturgeschichte<br />
des Alten Testaments an der Humboldt-Univer -<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Hebraica Veritas?<br />
Fackenheim Lecture 2012:<br />
Herausforderungen an eine jüdische<br />
Bibelwissenschaft heute<br />
sität Berlin) voraus, der sich mit Benno Jacob<br />
beschäftigte. „Die Kommentare des einst in<br />
Göttingen und Dortmund tätigen Bibelwissen -<br />
schaftlers und Rabbiners Benno Jacob (1862-<br />
1945) zu den Büchern Genesis (1934) und Exodus<br />
(1943) stellen“, so Witte, „ eine monumentale<br />
Summe rabbinischer Gelehrsamkeit, philologischer<br />
Kenntnis und exegetischer Intuition dar.“<br />
Im Workshop wurde an ausgewählten Beispielen<br />
aus den beiden genannten Kommentaren der<br />
besondere Charakter der Bibelauslegung Jacobs<br />
herausgearbeitet.<br />
Hanna Liss (im Foto unten mit Rabbiner Walter<br />
Homolka), die derzeit als Professorin für das<br />
Fach Bibel und Jüdische Bibelauslegung an der<br />
Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg<br />
Jüdische Bibelauslegung und<br />
Jüdische Theologie<br />
Jüdische Bibelauslegung wird von einer intensiven<br />
theoretischen Durchdringung der eigenen<br />
Text- und Lebenstradition getragen, ein philologischer<br />
Diskurs, der hierin die jüdische Bibel -<br />
auslegung zu einem Teil, wenn nicht sogar zur<br />
Voraussetzung der jüdischen Theologie werden<br />
lässt. Jüdische Theologie deshalb, weil das, was<br />
wir hier vorfinden, nichts anderes ist als ein<br />
Diskurs der Reflexivität und damit ein genuiner<br />
Teil eines Prozesses, der innerhalb der hebräischjüdischen<br />
Tradition durch Verifizierungs- und<br />
Falsifizierungsprozesse Wissen generiert und<br />
ausdifferenziert, und zwar mit dem Ziel, ausgehend<br />
von der hebräischen Texttradition den jüdischen<br />
Glaubenshorizont in Auseinandersetzung<br />
mit dem nicht-jüdischen intellektuellen Kontext<br />
immer wieder in Frage zu stellen, diskursiv aus-<br />
von Prof. Dr. Hanna Liss (Heidelberg)<br />
zuloten und gegebenenfalls zu stabilisieren.<br />
Selbst-Distanzierung nach innen.<br />
Bereits an dieser Stelle wird also deutlich, dass<br />
die heute so gerne aufgebotene Unterscheidung<br />
zwischen Theologie und Philologie künstlich und<br />
der jüdischen Geistesgeschichte nicht angemessen<br />
ist, denn ungeachtet aller philologischen<br />
oder philosophischen Waffen kämpften schon die<br />
jüdischen Intellektuellen des Mittelalters und<br />
der Neuzeit vor allem gegen die Dummheit in den<br />
eigenen Reihen, gegen dogmatische Dunkel -<br />
männer wie gegen philologisch nicht versierte<br />
Hohlköpfe (reqe moach). Exegese und Theologie<br />
gehören damit zusammen, denn die Beschäfti -<br />
gung mit den hebräischen Texten, das Lernen,<br />
das Beten, aber damit eben auch das richtige<br />
13<br />
lehrt zeichnet die Geschichte der wissenschaftlichen<br />
Bibelauslegung im 19. und 20. Jh. nach<br />
und entwarf dabei Perspektiven für die aktuelle<br />
jüdische Bibelwissenschaft heute.<br />
„Bibelauslegungen sind ein Produkt der Heraus -<br />
forderung von innen und von außen, des Re -<br />
flexiv werdens der eigenen Überzeugungstraditionen<br />
und der Schärfung der exegetischen, religiösen<br />
und sozio-kulturellen Position. Was aber<br />
bedeutet eigentlich konfessionelle Bibelaus -<br />
legung im Kontext der akademischen Disziplinen,<br />
Theologie und Jüdische Studien?“ Wir bringen an<br />
dieser Stelle eine Zusammenfassung ihres<br />
Vortrages.<br />
Foto: Tobias Barniske
14<br />
Lesen und die richtige Aussprache, die Pluralität<br />
der exegetischen Diskurse sind nie unabhängig<br />
von dem spätestens seit der rabbinischen Epoche<br />
verinnerlichten und zu eigen gemachten göttlichen<br />
Auftrag an die Juden, der selbst natürlich<br />
nicht in Frage gestellt wird.<br />
Jüdische Bibelauslegung als Teil der jüdischen<br />
Theologie ist damit zunächst nicht mehr, aber<br />
auch nicht weniger als das bewusste begründete<br />
und nach außen wissenschaftlich verantwortete<br />
Nachdenken über das (eigene!) religiöse Erbe.<br />
Inhaltlich ist damit noch nichts gesagt. Ob also<br />
Zion, PaRDeS; Kabbalah oder Torah-Religion zur<br />
Theologie gehört, ist damit noch nicht entschieden.<br />
Aber das wissenschaftlich verantwortete<br />
Nachdenken ist nicht ohne Philologie und<br />
Geschichte zu haben. Das heißt nicht, dass nun<br />
alle jüdischen Judaisten Theologie betreiben und<br />
alle nicht-jüdischen dies nicht könnten. Aber so,<br />
wie sich schon die mittelalterlichen Ausleger der<br />
damaligen arabischen Wissenschaftstradition<br />
gestellt haben, so sollte auch das heutige Juden -<br />
tum mit der akademischen Tradition umgehen.<br />
Aus der Perspektive der akademischen Wissen -<br />
schaftstradition leisten darin die Forschungen<br />
zur Bibel, dem Talmud, der Auslegungs- und<br />
Rechtsliteratur ihren allgemein anerkannten<br />
philologisch-historischen Beitrag gleich jeder<br />
anderen universitären Disziplin. Aber aus der<br />
Perspektive der jüdischen Rezipienten dieser<br />
Glaubens- und Lebenstradition werden diese zur<br />
Theologie im oben genannten Sinne, weil diese<br />
philologisch-historischen Forschungen Einfluss<br />
<strong>Kescher</strong><br />
auf die jüdische Gruppe haben können und sollen.<br />
Dies deshalb, weil eine philologisch und<br />
texthistorische Forschung dort zu Reibungs -<br />
verlusten führt, wo die Selbstgewissheit einer<br />
Tradition oder einer Kultur in Frage gestellt wird:<br />
Wer den Auszug aus Ägypten von der Texttradi -<br />
tion her erklärt und damit diese Tradition ruhig<br />
als historisch nicht verifizierbar auszeichnen<br />
kann, wird damit bei Teilen der jüdischen<br />
Gläubigen auf Ablehnung stoßen, weil hier die<br />
Bereitschaft zur Selbstdistanzierung von liebgewordenen<br />
Überzeugungen noch nicht vorliegt<br />
und offenbar noch keine intellektuelle Möglich -<br />
keit zur Auslotung neuer Interpretations spiel -<br />
räume aufgezeigt werden konnte. Nur zu oft<br />
kommt es daher vor, dass sich die jüdischen<br />
Studierenden der Jüdischen Studien auf einen<br />
solchen Prozess der Selbstdistanzierung ungern<br />
einlassen, dass sie, wo es um die gelebte jüdische<br />
Kultur und Religion geht, die akademischen<br />
Inhalte wegblenden und die Infragestellung ihrer<br />
eigenen Glaubenstradition zurückweisen, um das<br />
Moment der Entfremdung von autoritativen<br />
Texten und die Mühsal einer Re-Identifizierung<br />
zu vermeiden. Und so steuert man die vermeintlich<br />
sicheren Häfen der Literatur und Geschichte<br />
an und laviert sich gerne um die Arbeit an den<br />
Quellentexten wie Bibel oder Talmud herum, die<br />
die religiöse Glaubens- und Praxistradition<br />
offensichtlich beeinflussen könnten. Die Multi -<br />
plizität der Rezeptionsweisen kann grundsätzlich<br />
auch eine religionskritische Distan zierung beinhalten,<br />
der es sich dann zu stellen gilt. Die von<br />
9. Jahrgang | Ausgabe 2<br />
der christlichen Tradition explizit geforderte<br />
„Auslotung der Spielräume einer Religions -<br />
tradition zur Ausarbeitung neuer pluralitäts- und<br />
säkularitätsrobuster Sprachformen“ (Knut<br />
Wenzel), wie sie auch heute von den Muslimen<br />
gefordert wird, ist unbequem und auch auf jüdischer<br />
Seite noch nicht durchgehend akzeptiert,<br />
bleibt aber die Heraus forderung für jedwede akademische<br />
jüdische Tradition.<br />
Prof. Dr. Hanna Liss: Studium der Altorientalistik,<br />
Bibelwissenschaft und Judaistik in (u.a.) Berlin<br />
und Jerusalem, Promotion 1995, Habilitation<br />
2002 im Fach Judaistik/Jüdische Studien am<br />
Fachbereich Kunst-, Orient- und Altertums -<br />
wissen schaften, Martin-Luther-Universität Halle-<br />
Wittenberg; 2008: Alfried Krupp Senior Fellow<br />
am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald;<br />
2003: Harry Starr Research Fellow in Judaica,<br />
Center for Jewish Studies, Harvard University,<br />
Cambridge/MA; 2002: Moosnick Distinguished<br />
Professor of Hebrew Bible & Jewish Studies,<br />
Lexington Theological Seminary and the<br />
University of Kentucky, Lexington, KY.<br />
Professorin für das Fach Bibel und Jüdische<br />
Bibelauslegung an der Hochschule für Jüdische<br />
Studien in Heidelberg<br />
Prof. Dr. Markus Witte im<br />
Workshop. Foto: Tobias<br />
Barniske
16<br />
Vor 150 Jahren, am 3. April 1862, wurden in<br />
Breslau mit Dr. Moritz Güdemann (1835−1918),<br />
Dr. Joseph Perles (1835−1894) und Dr. Moritz<br />
Rahmer (1837−1904) die ersten in Deutschland<br />
akademisch ausgebildeten Rabbiner ordiniert.<br />
Die drei hatten den ersten siebenjährigen<br />
Studienzyklus am Breslauer Seminar absolviert.<br />
In seiner Ansprache sagte der Seminar di rektor<br />
Rabbiner Zacharias Frankel (1801−1875): „In<br />
diesen drei jungen Männern erblickt das Seminar<br />
die gesegneten Erstlingsfrüchte seines Strebens.<br />
Mit akademischem Wissen geziert hat ihr Geist<br />
sich in das umfangreiche Gebiet der jüdischen<br />
Theologie vertieft. Sie haben durch in vergangener<br />
Woche öffentlich abgehaltene Vor träge,<br />
sowie in einem dreitägigen rigorosen Examen<br />
befriedigende Proben ihres theologischen<br />
Wissens abgelegt, auch durch in der Seminar -<br />
synagoge und an anderen Orten gehaltene<br />
Predigten ihre Befähigung zum Predigtamte<br />
bewährt. Sie wurden daher als reif zum Rabbi -<br />
nate erklärt.“<br />
Carsten Wilke befand 2004 in einem Aufsatz zum<br />
150. Jahrestag der Gründung des Jüdisch-<br />
Theologischen Seminars kurz und knappp: „Die<br />
seit 1862 in Breslau ausgebildeten Rabbiner<br />
konnten auf Anhieb unter den angesehensten<br />
Stellen wählen.“ 1 Dr. Moritz Güdemann etwa<br />
wurde Wiener Oberrabbiner und schließlich auch<br />
Rabbiner des Wiener Stadttempels. In seiner<br />
Rede anlässlich der Entlassung der ersten drei<br />
Absolventen des Breslauer Seminars sagte<br />
Güdemann unter anderem: „[…] Diese Verant -<br />
wortlichkeit lässt es denn auch angemessen<br />
erscheinen, dass ich im Namen derer, welche sie<br />
mit mir tragen, über das Wesen des Berufes, dem<br />
wir unser Leben geweiht, das heißt ‚über die<br />
Stellung und Wirksamkeit des Rabbiners im<br />
Judenthume’, mich vor Ihnen ausspreche.<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Vor 150 Jahren entließ das Jüdisch-Theologische<br />
Seminar zu Breslau seine ersten drei Rabbiner<br />
Wenngleich der Beruf des Rabbiners, das heißt<br />
das Amt des mit ihrer religiösen Führung und<br />
Fortbildung von der Gemeinde eigends Betrauten<br />
keine mit dem Judenthume ursprünglich verwachsene<br />
Erscheinung, sondern vielmehr eine<br />
erst im Verlaufe der Zeit hervorgetretene und in<br />
ihrer heutigen Form kaum drei Jahrhunderte<br />
bestehende ist: so ruht er doch als eine aus dem<br />
jüdischen Volksgeiste naturgemäss entwickelte<br />
Institution auf Prinzipien, die in dem innersten<br />
Wesen des Judenthums begründet sind. Demnach<br />
bedingt sich zunächst die Stellung des Rabbiners<br />
durch den Grundsatz, dass im Judenthume der<br />
Schwerpunkt aller in zweifelhaften praktischen<br />
Fragen entscheidenden Autorität nicht in einen<br />
jenseit der menschlichen Vernunft liegenden<br />
Bereich, sondern lediglich in die geistige<br />
Subjectivität des Menschen fällt. Das Judenthum<br />
knüpft nur in seiner Entstehung an eine über die<br />
Grenzen menschlicher Vernunft hinausgehende<br />
göttliche Offenbarung an; in seinem geschichtlichen<br />
Dasein aber erscheint es als ein Fertiges,<br />
Abgeschlossenes und somit zugleich als Object<br />
des vernünftigen Denkens, als der freien<br />
Subjectivität überantwortet.<br />
[…] Von diesem Principe des Judenthums<br />
erscheint die Stellung des Rabbiners innerhalb<br />
desselben wesentlich bedingt. Der Rabbiner des<br />
Judenthums ist weder Priester, noch Geistlicher:<br />
seine Autorität wurzelt nicht in einem von Gott<br />
eingesetzten Amte, sondern ihm selbst; sie ist<br />
daher weder eine übertragene, noch auch eine<br />
unbedingte. Es kann also auch in Judenthume<br />
nicht von, einer zum Lehramte, wie zur Ausübung<br />
religiöser Functionen befähigenden Weihe die<br />
Rede sein.<br />
[…] Vielmehr trat man im Judenthume der<br />
Ausbildung eines auf die Ausübung der Lehre und<br />
der religiösen Functionen gestützten gleichsam<br />
9. Jahrgang | Ausgabe 2<br />
Das Judentum: Eine<br />
Religion der Wissenschaft<br />
‚geistlichen Amtes’ mit aller Energie entgegen.<br />
Man befürchtete oder, wir' können besser sagen,<br />
man sah voraus, dass mit der Bildung eines<br />
eigentlichen religiösen Amtes die Lehre sich in<br />
Einzelnen gewissermassen monopolisire. Die<br />
Lehre aber soll den Principien des Judenthums<br />
gemäss frei sein, sie soll Gemeingut des Volkes,<br />
oder, um mit einem talmudischen Autor zu reden,<br />
‚eine Krone sein, nach der Jeder greifen könne.’<br />
Von diesem Gesichtspunkte aus war man<br />
bestrebt, statt dem Entstehe ‚eines die Lehre in<br />
sich absorbirenden und ihr eine Sonderstellung<br />
anweisenden Amtes Vorschub zu leisten, das Volk<br />
vielmehr auf sein eigenes Gewissen zu stellen<br />
und es im Gebiete des Glaubens und der Lehre im<br />
eigentlichsten Sinne des Wortes selbstherrlich zu<br />
machen. […] Die Stellung des Rabbiners im<br />
Judenthume aber wird durch seine Einsetzung in<br />
ein Amt nicht berührt: sie wird immer gemäss<br />
den ewigen Principien des Judenthums eine solche<br />
bleiben, die den Rabbiner weder als den<br />
geweihten Vertreter eines religiösen, noch gar<br />
eines göttlichen Amtes erscheinen lässt, noch<br />
ihm überhaupt in der Gemeinde Israels einen<br />
anderen Rang anweist, als die durch seine subjective<br />
Geistesfähigkeit bedingte Autorität.<br />
In demselben Sinne ist auch die Berufsthätigkeit<br />
des Rabbiners aufzufassen. Obgleich nach dem<br />
Gesagten von den Principien des Judenthums aus<br />
amtliche, d. h. auf den Rabbiner nothwendig sich<br />
beschränkende Functionen nicht denkbar sind,<br />
so haben doch seit dem Hervortreten eines<br />
Rabbineramtes die Anforderungen des praktischen<br />
Lebens eine Anzahl religiöser Handlungen<br />
in dem Rabbiner concentrirt.<br />
[…] Die grausamen Verfolgungen und die<br />
Lieblosigkeit einer, Dank der göttlichen Gnade,<br />
verschollenen Zeit, welche die Juden in ihre<br />
Ghetto`s einschloss, konnten es entschuldigen,
wenn man innerhalb des Judenthums die<br />
Wissenschaft, von Händen der Bedrücker dargereicht,<br />
als ein Danaergeschenk betrachtete und<br />
ihr, als einer der Feindin des Glaubens, den<br />
Rücken kehrte. Aber nur von den verkannten<br />
Juden konnte solche Verkennung geübt werden;<br />
der Geist des Judenthums hat mit ihr nichts<br />
gemein. Weit entfernt, das Licht der Wissen -<br />
schaft zu scheuen, setzt es sich vielmehr demselben<br />
aus; denn es ist selbst eine Religion der<br />
Wissenschaft. Es will nicht bloss gläubig umfangen,<br />
sondern geistig erfasst werden, daher<br />
mahnt es zum Nachdenken, statt dasselbe zu<br />
fürchten, daher verlangt es die Forschung, statt<br />
sie zu verbieten. Es sind also die Principien der<br />
Wissenschaft auch die des Judenthums; wo aber<br />
zwischen zweien Mächten so verwandte<br />
Beziehungen walten, da ertragen sie sich nicht<br />
blos einander, sondern sie drängen zum Bündnis<br />
miteinander. Das Judenthum duldet demnach<br />
nicht blos die Wissenschaft, sondern es will sich<br />
zu einem innigen Bunde mit ihr zusammenschliessen.<br />
[…]“ 2<br />
1 Carsten Wilke: Interkulturelle Anbahnungen.<br />
Das Rabbbinat und die Gründung des Jüdisch-<br />
Theologischen Seminars Breslau 1854, in:<br />
Kalonymos. Beiträge zur deutsch-jüdischen<br />
Geschichte aus dem Salomon Ludwig Steinheim-<br />
Institut, 7. Jg (2004), Heft 2, S. 2<br />
2 Vgl.: Zacharias Frankel: Entlassung dreier zu<br />
Rabbinen herangebildeten Hörer des jüdisch-theologischen<br />
Seminars zu Breslau, in: Monatsschrift<br />
für Geschichte und Wissenschaft des Judentums,<br />
11. Jg (1862), Heft 5, S. 161-174<br />
Abb.: Dr. Moritz Güdemann, ab 1894 Oberrabbi -<br />
ner von Wien. Druck nach einer Federzeichnung.<br />
Um 1900. Foto: IMAGNO/Austrian Archives<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Der Komponist und Kantor Moritz Deutsch, dessen<br />
Todestag sich am 27. Februar zum 120. Mal<br />
jährte, zählt zusammen mit Salomon Sulzer und<br />
Louis Lewandowslki zum „Dreige stirn der Syna -<br />
go galmusik“. Deutsch wurde 1818 im mährischen<br />
Nikolsburg geboren und war in Wien erst Schüler,<br />
dann <strong>Kolleg</strong>e von Sulzer, bevor er von 1844 an<br />
an der Seite von Rabbbiner <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> in<br />
Breslau wirkte. Der gefragte Konzertsänger<br />
gründete 1856 ein Institut, an dem<br />
Lehramtsanwärter in enger Kooperation mit dem<br />
Foto: Universitätsbibliothek Augsburg<br />
17<br />
Jüdisch-Theolo gischen Seminar gegen Entgelt<br />
eine Kantoren ausbildung absolvieren konnten.<br />
Deutsch leitete dieses Institut, das nach der<br />
Schließung der Lehrerabteilung des Seminars im<br />
Jahr 1867 als unabhängige Institution fortbestand,<br />
bis 1895. Er veröffentlichte unter anderem<br />
die „Deutschen Synagogen- und Schullieder“<br />
(1867) und die „Vorbeterschule! (1872) und schuf<br />
für die Neue Breslauer Synagoge die „Breslauer<br />
Synagogen gesänge“ für Solo, Chor und Orgelbe -<br />
glei tung, die er 1880 im Druck herausbrachte.
18<br />
Am 10. Mai, dem 79. Jahrestag der nationalsozialistischen<br />
Bücherverbrennung, wurde in den<br />
Räumen der Liberalen Jüdischen Gemeinde Han -<br />
nover die erste öffentliche jüdische<br />
Bibliothek Niedersachsen eröffnet.<br />
Dass dieser Termin zugleich auf den<br />
jüdischen Feiertag Lag ba’Omer<br />
fiel, gab der Festveranstaltung eine<br />
ganz besondere Note. Die Gruß -<br />
worte und Ansprachen, unter anderem<br />
von Niedersachsens Ministerin<br />
für Wissenschaft und Kultur, Prof.<br />
Dr. Johanna Wanka, und der<br />
Direktorin der Stadtbiblio thek<br />
Hannover , Dr. Carola Schelle-Wolff,<br />
nahmen den Gedenktag zum<br />
Anlass, die kulturelle Bedeutung<br />
und Strahlkraft der neuen Biblio -<br />
thek zu unterstreichen. Dass sich<br />
die Kommune und die jüdische<br />
Gemeinschaft dieser Bedeutung<br />
bewusst sind, machte die große<br />
Zahl der Ehrengäste deutlich, darunter<br />
Hannovers Oberbürger -<br />
meister Stephan Weil, der Präsi -<br />
dent der Region Hanno ver, Hauke<br />
Jagau, und der General sekretät des<br />
Zentralrats der Juden in Deutsch -<br />
land, Stephan J. Kramer.<br />
„Wir sammeln rund ums Judentum und die Ge -<br />
schichte Israels“, erklärte Alisa Bach vom Vor -<br />
stand der Israel Jacobson Gesellschaft, die<br />
Trägerin der Bibliothek innerhalb der Liberalen<br />
Jüdischen Gemeinde ist. Drei Jahre lang haben<br />
rund ein Dutzend Ehrenamtliche auf die Eröff -<br />
nung hingearbeitet, Nachlässe und Bücherspen -<br />
densortiert, katalogisiert und signiert. Das<br />
Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Bibliothek,<br />
die auf 20.000 Titel ausgerichtet ist, hat bereits<br />
einen Bestand von 4.000 Bänden auf Deutsch,<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Ein Ort voll<br />
deutsch-jüdischer<br />
Geschichten<br />
Hebräisch, Englisch, Jiddisch und Russisch; weitere<br />
2.000 Bände warten auf ihre Erschließung,<br />
wobei das Spektrum von klassischer Judaica über<br />
Belletristik zu Koch- und auch Kinderbüchern<br />
reicht. „Ein Ort voll deutsch-jüdischer Geschich -<br />
ten“, heißt es denn auch treffend in der Presse.<br />
„Wir haben die Arbeit am Anfang unterschätzt,<br />
weil wir als Laien nicht wussten, was auf uns<br />
zukommt“, sagt die ehrenamtliche Mitarbeiterin<br />
Kristina-Ruth Geyer. Umso wichtiger ist die fachliche<br />
Unterstützung durch die Stadtbibliothek<br />
Hannover. Die Stadt fördert die neue Bücherei,<br />
die bereits Teil des länderübergreifenden Nord -<br />
deutschen Bibliotheksverbund GBV ist, im<br />
Rahmen ihres Projektes „Internationale Biblio -<br />
9. Jahrgang | Ausgabe 2<br />
In Hannover wurde<br />
Niedersachsens erste<br />
öffentliche jüdische<br />
Bibliothek eröffnet<br />
thek Hannover“. Die Jüdische Bibliothek ist für<br />
den Vorsitzenden der Israel Jacobson Gesell -<br />
schaft, Dr. Kay Schweigmann-Greve, „einerseits<br />
ein Ort des kulturellen Gedächt -<br />
nisses für die reiche jüdische<br />
Tradition, Kultur und Ge -<br />
schichte, andererseits Zeichen<br />
für deren Erneuerung und<br />
Lebendigkeit nach den Zer -<br />
störungen der Nazizeit“.<br />
Der Namensgeber dieses engagierten<br />
Kultur vereins, Israel<br />
Jacobson (1768−1828), steht<br />
für praktische Reformen in<br />
Juden tum, für die Erneuerung<br />
des jüdischen Schulwesens und<br />
für politische Emanzipation<br />
und war Hannover persönlich<br />
eng verbunden. Auf ihn ging<br />
auch die Seesener Jacobson-<br />
Biblio thek zurück, deren Rest -<br />
be stände heute in Heidelberg<br />
bewahrt werden: Durch die<br />
Vermittlung von Landesrab -<br />
biner Dr. Zwi Asaria, der von<br />
1966 bis 1970 in Nieder sachsen<br />
tätig war, wurden die Judaica,<br />
die den Zweiten Weltkrieg<br />
überstanden hatten, dem Landesverband der<br />
Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen mit Sitz<br />
in Hannover geschenkt, während die übrigen<br />
wissenschaftlichen Werke an die Göttinger Uni -<br />
versität gingen. 1996 übergab die Jüdische<br />
Gemeinde Hannover ihre Bib liothek der Hoch -<br />
schule für Jüdische Studien als Dauerleih gabe.<br />
Mit diesen Büchern gelangte auch der größte Teil<br />
der ehemaligen Judaica-Sammlung der Seesener<br />
Jacobsonschule an die Hochschule nach Heidel -<br />
berg.<br />
Fotos: Dietmar Geyer
Gedenkstunde des Deutschen Bundestags Der Akademische Direktor<br />
unseres Kantoren seminars, PD Dr. Jascha Nemtsov, eröffnete die Gedenk -<br />
stunde des Deutschen Bundestages zum Tag des Gedenkens an die Opfer<br />
des National sozia lismus am 27. Januar mit dem Nocturne in cis-Moll von<br />
Frédéric Chopin. Der polnische Pianist und Komponist Władysław Szpil -<br />
man hatte dieses Stück im polnischen Rund funk gespielt, als dieser seine<br />
Sendung im September 1939 wegen des Angriffs deutscher Truppen auf<br />
Warschau unterbrach.<br />
Die Begrüßungsrede hielt Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert,<br />
CDU/CSU, die Gedenk rede Prof. Dr. Marcel Reich-Ranicki. An der<br />
Gedenk feier nahmen die Verfassungsorgane, Bundes präsident Christian<br />
Uraufführung “‘L’absence’ fills the contemporary<br />
Jewish music void”, hieß es nach<br />
der Uraufführung der Oper in fünf Akten<br />
von Sarah Nemtsov, mit der die 12.<br />
Münchner Biennale eröffnet wurde. Die<br />
Oper beruht auf Edmond Jabès’ Buch der<br />
Fragen. Jabès, 1912 in Kairo geboren, musste<br />
nach der Suezkrise Ägypten verlassen<br />
und emigrierte nach Paris. 1963 schrieb er<br />
sein Livre des questions. Sarah Nemtsov<br />
traf daraus eine Auswahl, ohne die Abfolge<br />
der Passagen und den Wortlaut der<br />
Dichtung zu verändern. Das „Buch der<br />
Fragen“umfasst die Geschichte von Sarah,<br />
Yukel und ihrer Liebe. In ihrem Gesang<br />
klingen jüdische Kantillationen nach.<br />
Zeitverläufe und Formen des Singens und<br />
Bedenkens beeinflussen Verlauf und<br />
Struktur der Komposition. In der Rolle des<br />
Yukel brillierte der Bariton Assaf Levitin,<br />
einer der Studenten am Kantorenseminar<br />
des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s.<br />
Foto: Regine Koerner<br />
Wulff, CDU/CSU, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, (re), CDU/CSU,<br />
Präsident des Bundesverfassungs gerichts, Dr. Andreas Vosskuhle, und die<br />
Abgeordneten des Deutschen Bundestages sowie geladene Gäste teil, darunter<br />
der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Dieter<br />
Graumann, unser Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka, und die Berliner<br />
Gemeinde rabbiner Gesa Ederberg und Dr. Tovia Ben-Chorin. Jascha<br />
Nemtsov und Kolja Blacher beschlossen die Gedenkstunde mit dem<br />
Andantino aus der Sonate für Violine und Klavier Nr. 3, opus 37, des polnisch-jüdischen<br />
Komponisten Mieczysław Weinberg. Foto: Deutscher<br />
Bundestag / Lichtblick / Achim Melde<br />
19
20<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Die Herzen der Menschen fürs<br />
„The seminary has not only a very nice little garden<br />
but also the advantage of adjoing the promenade”,<br />
schrieb Rabbiner Gottthard Deutsch (1859−1921)<br />
über das Breslauer Seminar, 1 an dem er zehn Jahre<br />
lang Hörer war. Als die Mitglieder der Allgemeinen<br />
Rabbinerkonferenz im Februar in Wroclaw an das<br />
berühmte Jüdisch-Theologische Seminar Fraenckel -<br />
scher Stiftung erinnerten, taten sie das am Rande<br />
eines Parkplatzes. Seit kurzem weist an dessen Seite<br />
zur Promenade eine Gedenktafel darauf hin, das hier<br />
von 1854 bis 1938 in der Wallstraße 1b (heute<br />
Pawla Włodkowica 14-18) die weltweit erste akademische<br />
Ausbildungsstätte für Rabbiner bestand.<br />
Einer ihrer bekanntesten Studenten, Rabbiner Leo<br />
Baeck (1873–1956) erinnerte sich einst ebenfalls mit<br />
Sehnsucht an die „theologische Luft im alten<br />
Hintergarten, der oft gewissermaßen mit dem Garten<br />
der Epikureer verglichen wurde.“<br />
9. Jahrgang | Ausgabe 2<br />
Judentum gewinnen Die Allgemeine Rabbinerkonferenz<br />
beschreitet in Polen neue Wege<br />
Glaubenswissenschaft Die Stiftung des Bres -<br />
lauer Seminars durch Jonas Fraenckel ging<br />
mittelbar auf die Empfehlung Rabbiner <strong>Abraham</strong><br />
<strong>Geiger</strong>s (1810−1874) zurück, der 1872 auch zu<br />
den Mitbegründern der Berliner Hochschule für<br />
die Wissenschaft des Judentums zählte. Carsten<br />
Wilke schreibt dazu: „Es gibt sogar Anlass zur<br />
Vermutung, dass Fraenckel sich eine Verwirk -<br />
lichung des <strong>Geiger</strong>schen Fakultätsprojekts unter<br />
dessen leitender Hand vorgestellt hatte. Er hatte<br />
ja im laufenden Gemeindekonflikt eindeutig auf<br />
<strong>Geiger</strong>s Seite gestanden; er hatte den Reform -<br />
rabbinern 1845 den Versammlungsort finanziert<br />
und <strong>Geiger</strong> noch in seinem Testament damit<br />
beauftragt, die Beisetzungsfeierlichkeiten zu leiten.“<br />
2 Die feierliche Eröffnung des Seminars<br />
erfolgte am 10. August 1854. Zum Direktor wurde<br />
aber der Dresdner Rabbiner Zacharias Frankel<br />
(1801-1875) ernannt – für <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> die,<br />
wie es sein Sohn und Biograph Ludwig <strong>Geiger</strong> formulierte,<br />
„größte Enttäuschung seines Lebens“.<br />
Frankel, für den jüdische Wissenschaft „Glau -<br />
benswissenschaft“ war, verband zwei Forde run -<br />
gen mit einander, „die Rechte der Wissen schaft<br />
im Judentum und [die] Rechte des historischen<br />
Judentums innerhalb der Kultur“. Damit war eine<br />
Mittelposition beschrieben: „Freiheit der<br />
Forschung, doch Gebundenheit an das ,positivhistorische<br />
Judentum’“. Fränkel wird auch die<br />
Formel „Kein Judentum ohne Wissenschaft“<br />
zugeschrieben.<br />
Das Seminar wurde nach der Pogromnacht im<br />
November 1938 von den Nationalsozialisten<br />
geschlossen. Lothar Rothschild schreibt dazu in<br />
seinem historischen Abriss: „Im vierundachtzigsten<br />
Jahr seines Bestehens fiel das Jüdisch-<br />
Theologische Seminar roher Gewalt zum Opfer.<br />
[…] Wenige Tage genügten, um im ganzen Lande<br />
zu zerstören, woran Jahrhunderte geschaffen<br />
hatten. Die Bibliothek wurde weitgehend vernichtet,<br />
der Lehrbetrieb wurde ausgelöscht, For -<br />
schung und Studium verstummten. In ganz be -<br />
scheidenem Rahmen wurden noch einige Monate<br />
der Zusammenarbeit<br />
hindurch Vorlesungen gehalten, bis sich dann<br />
Lehrer und Schüler in die Welt hinaus zerstreuten“.<br />
3 Die Überreste des Gebäudes und seines<br />
Gartens verschwanden kurz nach dem Zwei ten<br />
Weltkrieg, und heute macht an dieser Leer stätte<br />
nichts deutlich, dass dieses Rabbinersemi nar im<br />
Jewish Theological Seminary of America in New<br />
York City eine lebendige Fortsetzung gefunden<br />
hat.<br />
Bevor die ARK-Delegation an diesem Februar -<br />
morgen zusammen mit Lucyna Rojzen-Siedlecka<br />
(Jüdische Gemeinde Wroclaw), Bente Kahan und<br />
der stellvertretenden deutschen Generalkonsulin<br />
Heidrun Jung einen Kranz niederlegte, verwies<br />
Rabbinerin Gesa Ederberg (Berlin) in einem kurzen<br />
Limmud auf Rabbi Jochanan ben Zakai, der<br />
einst mit Rabbi Jehoschua aus Jerusalem hinausgegangen<br />
war und den zerstörten Tempel gesehen<br />
hatte, das zerstörte Lehrhaus. Rabbiner<br />
Henry G. Brandt sagte El male rachamim, worauf<br />
das Kaddisch de Rabbanan folgte.
Zurückgewonnene Geschichte Heute erinnern in<br />
Wroclaw nur noch die aufwändig renovierte Syna -<br />
goge Zum Weissen Storch, die 1827 von der<br />
reform orientierten „Ersten Gesellschaft der<br />
Brüder“ nach Plänen von Carl Ferdinand Lang -<br />
hans errichtet wurde, sowie das Grab seiner Frau<br />
Emilie an das bald dreißig Jahre lange Wirken<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong>s in der Stadt. Und doch: die<br />
deutsch-jüdische Geschichte Breslaus, zu der<br />
Namen wie Zacharias Frankel (1801–1875),<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> (1810–1874), Heinrich Graetz<br />
(1817–1891) und Moritz Deutsch (1818–1892)<br />
gehören, kehrt sehr sichtbar in das Stadtbild<br />
Wrocławs und in das Bewusstsein seiner polnischen<br />
Einwohner zurück. Anschaulicher Ausdruck<br />
dieser Rückbesinnung ist die Dauerausstellung<br />
„Zurückgewonnene Geschichte, Jüdisches Leben<br />
in Breslau und Niederschlesien“, die im Oberge -<br />
schoss der Synagoge gezeigt wird. Darin kommen<br />
auch das kurze Wiederaufblühen jüdischen<br />
Lebens nach der Schoa zur Sprache, als Hunder -<br />
tausende Überlebende der Lager und aus Ost -<br />
polen in Niederschlesien angesiedelt wurden,<br />
und der große Exodus in Folge staatlicher antijüdischer<br />
Kampagnen und Repressalien, für die das<br />
Jahr 1968 steht und mit dem das jüdisches Leben<br />
in Polen schwand: „Those who did not leave<br />
Poland left their Judaism“, fasste es einer der<br />
Gesprächspartner der ARK in Wroclaw zusammen.<br />
Die Sängerin und Schauspielerin Bente Kahan,<br />
deren Initiative die Wiederherstellung der Syna -<br />
goge zum Weißen Storch zu verdanken ist, gab<br />
eigens für die ARK-Delegation und für Ver treter<br />
örtlicher Institutionen ein Konzert, in dem sie<br />
die jüdische Erfahrung des vergangenen Jahr -<br />
hunderts in Texte, Bilder und Musik verwob.<br />
Ermöglicht wurde dieser musikalische Auftakt<br />
der Reise durch Polen durch die finanzielle<br />
Unterstützung der Axel Springer AG. Kahan hofft<br />
21<br />
für die nächsten Jahr auf intensivere Kontakte<br />
nach Deutschland, auch zur Allgemeinen Rabbi -<br />
nerkonferenz und dem <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>:<br />
„Ich denke, dass sehr viele Polen nicht wissen,<br />
dass es wieder eine so große Gemein schaft von<br />
Juden in Deutschland gibt. Man denkt immer<br />
zuerst daran, dass, Deutschland dieses Land war,<br />
das uns 1939 attackiert hat.“ Für manchen der<br />
Mitreisenden war dieser Besuch auch eine Begeg -<br />
nung mit der eigenen Familienge schichte, so<br />
etwa für Rabbiner William Wolff, den Landes -<br />
rabbiner von Mecklenburg-Vorpommern: „Es ist<br />
für mich sehr bewegend, ein Onkel – wir sprechen<br />
jetzt von Wroclaw, von Breslau – ein Onkel meiner<br />
Mutter hat hier gelebt.“<br />
1 Gotthard Deutsch: Scrolls. Essays<br />
on Jewish History and Literature<br />
and Kindred Subjects, Cincinnati<br />
1917, S. 44<br />
2 Carsten Wilke: „Den Talmud und<br />
den Kant“. Rabbinerausbildung an<br />
der Schwelle zur Moderne, Hildes -<br />
heim 2003, S. 670<br />
3 Lothar Rotschild, Die Geschichte<br />
des Seminars von 1904 bis 1938,<br />
in: Guido Kisch (Hrsg.): Das<br />
Breslauer Seminar, a.a.O., S. 165<br />
Fotos: Michael Kaiser
Der Horror der Schoa Breiten Raum nahm auch der Umgang mit der Schoa in Polen ein. Bei einer Gedenkfahrt ins ehemalige Vernichtungslager Auschwitz-<br />
Birkenau sprachen die Rabbiner mit dem charismatischen Leiter der Gedenkstätte, Dr. Piotr Cywinski, und besuchten das Archiv und eine Sonderausstellung.<br />
Darüber hinaus standen Informationsgespräche mit Vertretern des Holo caust Studies Center der Universität Krakau und des Galicija-Museums im Krakauer<br />
Stadtteil Kazimierz sowie des künftigen Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau, das im April 2013 eröffnet werden soll, auf dem dichten<br />
Programm. Dabei wurde immer wieder betont, dass über die Geschichte der Vernichtung nicht die Jahrhunderte blühender jüdischer Kultur in Polen sowie heutige<br />
Zeichen neuen jüdischen Lebens übersehen werden dürfen. Und doch: „Der unsägliche Horror der Schoa, der mit dem Namen Auschwitz verbunden ist,<br />
bedrückt einen in Polen besonders tief“, betonte Rabbiner Brandt. Foto: Michael Kaiser<br />
Ein Toraschrein für Warschau End- und vielleicht<br />
auch ein Höhepunkt der Reise war die Übergabe<br />
eines aufwändig gestalteten Toraschreins, den<br />
die liberale jüdische Gemeinde Etz Chaim in<br />
Hannover der gleichnamigen liberalen Chawura<br />
Ec Chaim innerhalb der jüdischen Gemeinde<br />
Warschaus schenkte. Dazu Ingrid Wettberg, die<br />
hannoversche Gemeindevorsitzende: „Seit unserem<br />
Umzug in das neue Gemeindezentrum 2009,<br />
fristete der wunderschöne Toraschrank, den wir<br />
über zwölf Jahre Jahre in der Freundallee im<br />
Synagogenraum hatten, in Einzelteile zerlegt<br />
sein Dasein in unserem Keller. Alle Bemühungen,<br />
ihn anderen liberalen Gemeinden in Deutschland<br />
zukommen zu lassen, scheiterten: Mal passte der<br />
Schrank nicht in die Räume, mal war kein Inte -<br />
resse vorhanden.“<br />
In einer feierlichen Zeremonie nach der von Rab -<br />
biner Dr. Daniel Katz gestaltete Havdala, an der<br />
auch der deutsche Botschafter in Polen, Rüdiger<br />
Freiherr von Fritsch (Foto rechts), teilnahm,<br />
über gab Ingrid Wettberg, den Aron Ha’ Kodesch<br />
ganz offiziell an den liberalen War schauer<br />
Gemeinderab biner Stas Wojciechowicz: „Dass wir<br />
den gleichen Namen haben wie Sie hier in War -<br />
schau, nämlich ‚Etz Chaim’, das sehe ich fast als<br />
ein kleines Wunder an. Der Baum des Lebens –<br />
der starke Stamm, er stellt symbolisch die Thora<br />
dar, die Äste und Blätter die vielen Mitglieder.<br />
Unter einem Baum soll man sich sicher fühlen, er<br />
gibt Schutz und Geborgenheit. So sollen sich Ihre<br />
Mitglieder in dieser Gemeinde auch fühlen. Nun<br />
steht also unser Tooraschrank in der Gemeinde<br />
Etz Chaim in Warschau. Wir freuen uns sehr darüber<br />
und wünschen Ihnen, dass ihre Gemeinschaft<br />
wachsen möge, sie viele jüdische .Feste und<br />
Feiertage erleben mögen und ihre Torarollen<br />
immer sicher und fest in diesem Schrank stehen<br />
mögen. Es ist ein gutes Gefühl, unseren Tora -<br />
schrank nun hier bei Ihnen zu wissen.“<br />
Der jüngste Teilnehmer der Polen-Reise der All -<br />
gemeinen Rabbinerkonferenz, der Thüringer<br />
Rabbbiner Konstantin Pal, wurde 1979 in Moskau<br />
geboren und ist damit nur zwei Jahre jünger als<br />
sein Warschauer <strong>Kolleg</strong>e Stas Wojciechowicz. Pal<br />
befand zum Abschluss: „Wir leben in einer genialen<br />
Zeit. Zumindest bei uns in Mitteleuropa wird<br />
sich etwas komplett Neues aufbauen, also auch<br />
in diesem deutsch-jüdisch-polnischen Verhält -<br />
nis.“ Foto: Bomhoff
Wege der Zusammenarbeit Vor der Schoa lebten<br />
rund 3,5 Million Juden in Polen, heute zählt die<br />
Union jüdischer Religionsgemeinden in Polen um<br />
die 8.000 Mitglieder. Daneben gibt es noch weitere<br />
Zehntausende Menschen jüdischer Herkunft,<br />
von denen sich zunehmend mehr auf ihre jüdischen<br />
Wurzeln besinnen. Die ARK-Delegation<br />
kam in Krakau und Warschau auch mit einer<br />
Reihe von <strong>Kolleg</strong>en zusammen, die dafür Sorge<br />
tragen, dass jüdisches Leben in Polen wieder eine<br />
Zukunft hat, darunter Rabbinerin Tanya Segal<br />
und Rabbiner Boaz Pash in Krakau und Ober -<br />
rabbiner Michael Schudrich und sein liberaler<br />
<strong>Kolleg</strong>e Rabbiner Stas Wojciechowicz von der<br />
Gmina Wyznaniowa Żydowska w Warszawie. Zu<br />
dem weiteren Stationen im Besuchsprogramm<br />
gehörten das säkular ausgerichtete Jewish Cul -<br />
tural Center (JCC) in Krakau sowie die Stiftung<br />
Beit Warszawa, die sich als progressives Forum<br />
außerhalb der etablierten jüdischen Gemeinde<br />
versteht und Mitglied der World Union for Pro -<br />
gressive Judaism ist.<br />
Im Anschluss an die achttägige Reise erklärte<br />
Rabbiner Henry G. Brandt als Vorsitzender der<br />
Allgemeinen Rabbinerkonferenz: „Wir sind zu der<br />
Überzeugung gekommen, dass wir unseren jüdischen<br />
Schwestern und Brüdern, die direkt vor<br />
unserer Tür leben, Hilfestellung leisten müssen.“<br />
Dabei gehe es etwa um die Klärung von Status -<br />
fragen zur Gemeindezugehörigkeit. Dem<br />
Deutschlandfunk gegenüber formulierte Brandt<br />
dies so: „Von dem sehr Wenigen, was ich jetzt<br />
schon erfahren habe, zeigt sich mir auf, dass die<br />
Möglichkeit existiert, dass hier viel, viel mehr<br />
Menschen mit jüdischen Wurzeln leben als wir<br />
denken und bestimmt mehr als in den jüdischen<br />
Gemeinden registriert sind. Es ist ein bisschen<br />
ähnlich wie in Deutschland, wo wir die Herzen<br />
der Menschen, die zu uns aus der ehemaligen<br />
Sowjetunion gekommen sind, wieder fürs<br />
Judentum gewinnen müssen.“ Nach seiner Überzeugung<br />
sind hier gerade die liberalen Strömun -<br />
<strong>Kescher</strong><br />
gen innerhalb des Judentums gefordert: „Zum<br />
Einen bei Gottesdiensten und religiösen Veran -<br />
staltungen, Bildungsveranstaltungen und<br />
besonders im jüdischen Kultus. Für jüdische<br />
Kultur und Geschichte, da gibt es hier Personal,<br />
da gibt es Professoren und Lehrstühle. Aber was<br />
den Kultus angeht, scheint das sehr, sehr dünn<br />
vertretent zu sein. Und wenn überhaupt, dann<br />
noch in der althergebrachten orthodoxen Form.<br />
Ich habe nichts gegen Orthodoxie als solche,<br />
aber ich glaube ich nicht, dass diese Form dazu<br />
angetan ist, diesen versteckten jüdischen Ele -<br />
mente herauszukitzeln. Dazu braucht es eine<br />
moderne, neue, auch psychologische Hinwen -<br />
dung, und da muss auch das Judentum in entsprechender<br />
Art und Weise präsentiert werden.<br />
Ich glaube, da haben wir als Liberale doch eher<br />
das Instrumentarium dazu. Aber auch im Fest -<br />
legen von Status, im gegebenen Fall bei Konver -<br />
sionen. Da ist der etwas verbindlichere, ich<br />
würde sagen menschlichere und verständnisvollere<br />
Zugang, den wir zu dieser Problematik<br />
haben, ohne dabei Minimalisten zu sein, eher<br />
geeignet, die Probleme hier anzupacken als alte<br />
traditionelle Vorgehensweisen.“ „Natürlich ist es<br />
ein Wagnis für uns polnische Juden, demnächst<br />
mit den deutschen Juden enger zusammenzuarbeiten“,<br />
befand dazu Grazyna Pawlak, die dem<br />
Vorstand der Jüdischen Gemeinde Warschau<br />
angehört und das Rabbiner Moses-Schorr-Zen -<br />
trum leitet, gegenüber der Jüdischen Allge -<br />
meinen. „Aber den liberalen Juden in Polen wird<br />
der Kontakt mit ihren <strong>Kolleg</strong>en in Deutschland<br />
helfen, ihre eigene Identität zu finden und zu<br />
festigen.“ Foto: Sjaak Samshuijzen<br />
Der nahe und<br />
der ferne<br />
Andere<br />
Häretiker und Heiden in den Religionen<br />
Religionen, die eine Wahrheit behaupten,<br />
haben einen Begriff vom Ungläubigen. Dieser<br />
muss um die Andersgläubigen erweitert werden,<br />
wenn Mitglieder der eigenen Religion die<br />
heiligen Texte oder Rituale mit einer anderen<br />
Auslegung verwenden. Die Ringvorlesung<br />
unter Leitung von Prof. Dr. Johann Ev. Hafner<br />
und Ercan Karakoyun fragt, ob und warum<br />
eine Religion einen pauschalen oder differenzierten<br />
Begriff des Anderen besitzt und welche<br />
Sanktionen sie ihm auferlegt (Toleranz,<br />
Mission, Verfolgung, ...).<br />
29.05. Wahrheit und Toleranz im<br />
Judentum (Rabbiner Prof. Dr. Dr. h.c. Walter<br />
Homolka, <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>)<br />
05.06. Konfessionen im Islam (Yasin<br />
Cakír, Frankfurt a. M.)<br />
12.06. Spaltungen und Unionsversuche<br />
am Beispiel der syrisch-orthodoxen Christen<br />
(Dr. Amill Georgi / Murat Üzel, Berlin)<br />
19.06. Neuoffenbarungen als Träger<br />
esoterischen Gedankenguts (Patrick Diemling<br />
MTh, Potsdam)<br />
26.06. Orthodoxe Religiosität und familiäre<br />
Frömmigkeit im Alten Israel (Prof. Dr.<br />
Rüdiger Liwak, Benno-Jacob-Gastprofessur,<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>)<br />
03.07. Sikhismus (Dr. Gabriele Yonan,<br />
Berlin)<br />
10.07. Abwege, Umwege, Irrwege. Von<br />
den Grenzen buddhistischer Toleranz gegenüber<br />
Anders- und Ungläubigen (Prof. Dr.<br />
Christoph Kleine, Leipzig)<br />
17.07. Orthodoxes Judentum (Dr. Hans-<br />
Michael Haußig, Potsdam)<br />
Die Ringvorlesung findet dienstags von 18 -<br />
20 Uhr in Raum: 1.09.1.14, Am Neuen Palais<br />
10 in 14469 Potsdam statt.<br />
23
24<br />
LeDor VaDor:<br />
„Generations 2012“<br />
Vom 15.-18. März fand im neuen Gemeindezen trum der Liberalen Jüdischen Gemeinde Amsterdam die Biennial Conference der European Union for Progressive<br />
Judaism statt - nach Meinung der über 300 Teilnehmer eine der gelungensten Tagungen der europäischen Sektion der WUPJ seit langem. Daran beteiligt waren<br />
neben sieben unserer Studierenden, die unter anderem den Morgengottesdienst am Freitag gestalteten und am Schabbatmorgen Tora leinten, auch Rabbiner Dr.<br />
Tovia Ben-Chorin und Adina Ben-Chorin sowie unser Rektor. Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka hielt zu Beginn der Tagung eine Keynote Speech, „Freedom of<br />
Religion and Tolerance in Europe“, und wurde beim Annual General Meeting als Vizepräsident der EUPJ bestätigt. Adrian Schell, Amnon Seelig und Hartmut<br />
Bomhoff bestritten ebenso wie unser Alumnus Rabbiner Dr. Tom Kučera Workshops. Fotos: Sjaak Samshuijzen<br />
Tagung der<br />
European Union for<br />
Progressive Judaism<br />
in Amsterdam
Judaism: Freedom of Religion and<br />
Tolerance in Europe<br />
L<br />
ast weekend was spent in Budapest<br />
and started with a total surprise.<br />
When I checked into my room at the<br />
hotel I realized that I had chosen the<br />
latest addition to an Arab hotel chain and that<br />
very weekend it was fully booked with the delegates<br />
of the Union of Palestinian Communities in<br />
Europe who were about to form their organization.<br />
Sitting in the lobby and going over my<br />
speech on the laptop was a pretty peculiar experience<br />
when surrounded by a good hundred<br />
Palestinians who were all in lively discussion<br />
with each other and would have been rather baffled<br />
to realize who I am. As if this had not been<br />
enough I turned on the telly and was confronted<br />
with Yisroel Dovid Weiss, a United States anti-<br />
by Rabbi Professor Walter Homolka PhD DHL<br />
Zionist Haredi rabbi, on Al Jaseera: an activist<br />
and spokesman for a branch of Neturei Karta who<br />
believes that observant Jews should peacefully<br />
oppose the existence of the Israeli state. Coming<br />
to think about it I thought that this weekend was<br />
one of the occasions when tolerance was key.<br />
We all think that we can be rather tolerant, don’t<br />
we? But when the moment comes and we bump<br />
into the “other”, the “foreign”, the “strange” we<br />
can feel that it is often quite strenuous to come<br />
to a feeling of live and let live. Today we<br />
encounter the diversity of orientations and life<br />
styles in all spheres of social life. Cultural, ideological<br />
and religious diversity is no longer primarily<br />
found outside the confines of our own<br />
European societies, but inside its boundaries in<br />
concrete situations of our everyday lives. The<br />
stranger has become a neighbour. A consensus<br />
on fundamental values can no longer be presumed;<br />
on the contrary, all questions of orientation<br />
have to be renegotiated in all areas of life.<br />
The history of tolerance is the history of religious<br />
freedom, and of freedom of opinion. The most<br />
radical challenge to a person's identity is the<br />
confrontation with convictions of alien faiths or<br />
alternative interpretations within one’s own<br />
faith that question the very foundation on which<br />
that identity is built.<br />
It was Rabbi Samuel Wolk – in the Universal<br />
Jewish Encyclopedia of 1941 – who thought of
26<br />
Die schönsten<br />
Gebete des<br />
Judentums<br />
Frieden in Fülle komme vom Himmel<br />
Herausgegeben von Walter Homolka<br />
144 Seiten | Paperback<br />
€ 10,– / SFr 14.90 / € [A] 10,30<br />
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Das Herz einer Religion schlägt<br />
weder in den Lehrbüchern noch in<br />
den Moralvorschriften, sondern in<br />
ihren Gebeten. In den Gebeten<br />
bringen Menschen ihr Vertrauen<br />
ebenso zum Ausdruck wie ihre Sorgen<br />
und Nöte und suchen die Nähe<br />
des Göttlichen und die Erfahrung<br />
des inneren Friedens. Die schönsten<br />
Gebete des Judentums sind in diesem<br />
Band versammelt.<br />
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<strong>Kescher</strong><br />
tolerance as an essential identity marker for<br />
Judaism. ”The dictum that history is the history<br />
of liberty, when shorn of its Hegelian vagaries,<br />
finds a concrete verification in the story of the<br />
Jew and his religion. For Judaism is so broadly<br />
tolerant that it has permitted the widest divergences<br />
of opinion within its fold.” Wolk also said<br />
why this is so: he found the basis for this in the<br />
essentially democratic foundations and structure<br />
of Jewish life. And he continues that one of the<br />
most characteristic qualities of Jewish thought<br />
throughout the ages was its open-mindedness<br />
toward new ideas.<br />
This optimistic evaluation of Jewish appreciation<br />
for religious freedom and tolerance cannot probably<br />
be shared by Rabbi <strong>Abraham</strong> Kohn who had<br />
accepted the rabbinate of Lemberg in 1844 where<br />
he opened a wellequipped school for secular as<br />
well as religious subjects, of which he was the<br />
superintendent, dedicated a new reform temple,<br />
abolished many old abuses, and did not rest until<br />
the degrading tax on kosher meat and Sabbath<br />
candles was removed that had been imposed<br />
upon the Jewish community by the government.<br />
Despite his many successes the traditionalists of<br />
the community bitterly protested those changes<br />
to their religion and in 1848 a fanatical clique<br />
hired somebody to poison Kohn and his whole<br />
family with arsenic. While the other members of<br />
his family recovered, Kohn and his youngest<br />
daughter died the following day. One may call<br />
them Jewish martyrs for tolerance and religious<br />
freedom.<br />
Laura Janner-Klausner has pointed to the fact<br />
that nowadays the number of these Jewish martyrs<br />
is on the rise. Haredi attempts to highjack<br />
Israeli society as a whole and to dominate large<br />
sections of public life, family and marital law in<br />
Israel and the galut, the rights of women to<br />
Inner-Jewish religious expression guided by<br />
their conscience – all of this and more is a clear<br />
violation of religious freedom.<br />
Europe as we currently know it is the result of a<br />
long history of pluralisation that began with the<br />
Reformation. In the Reformation, the single allencompassing<br />
Christian church was re-placed by<br />
two churches, or two religions, as people<br />
described them in the 16th Century. The revocation<br />
of the Edict of Nantes in 1685 by Louis XIV<br />
resulted in the exodus of some 500.000<br />
Huguenots from France and triggered heated discussion<br />
throughout Europe on matters relating<br />
to religious tolerance and religious freedom. A<br />
number of philosophers was inspired to write<br />
9. Jahrgang | Ausgabe 2<br />
books on these themes. John Locke’s “A letter<br />
Concerning Toleration” argues in 1689 that no<br />
state or church should have the right of compulsion<br />
over human souls and insists on tolerance<br />
for all religions. The Netherlands, which had<br />
accepted religious refugees of various backgrounds,<br />
became the first state to adopt the<br />
principle of religious tolerance. It was followed<br />
by England, which, after the Glorious Revolution,<br />
offered tolerance also to nonconformists on condition<br />
of their affirming loyalty to the King – and<br />
denying the Pope. The concept of tolerance was<br />
taken from Europe to the United States and<br />
incorporated into the “Bill of Rights”, and later<br />
fuelled the French Revolution.<br />
A long learning curve taught us Europeans to<br />
incorporate tolerance and religious freedom into<br />
our societies: as antidote to the destructive<br />
potential of religion as it was instrumentalised<br />
for national territorial ends. Tolerance became a<br />
matter of life and death. Previous experience<br />
formed a fundamental consensus of religious and<br />
ethical beliefs that tie European societies<br />
together today. Religious dissent can be tolerated<br />
as long as it is confined to the sphere of private<br />
religious practice and does not threaten the<br />
basis of life within society. Enlightenment<br />
became the basis for the general consensus. And<br />
it finally permitted Judaism to enter the wider<br />
community in the wake of the 19th century,<br />
largely due to the Napoleonic reforms that utterly<br />
and totally changed the legal and social framework<br />
for Jews as individuals and Judaism as a<br />
whole. Under Napoleonic rule, in the Kingdom of<br />
Westphalia, it was Israel Jacobson who introduced<br />
the first systematic reform of Jewish<br />
thought and practice when he formed the Seesen<br />
co-educative school and consecrated the first<br />
Reform Temple in 1810. It was the beginning of<br />
Reform Judaism as an antiassimilationist<br />
endeavour.<br />
These days we celebrate the Edict of Emancipa -<br />
tion in Prussia of 1812 which also helped to trigger<br />
off this new development. A good hundred<br />
years saw the differentiation of Jewish denominations,<br />
the urge for emancipation and the many<br />
drawbacks for aspiring Jews to make it within<br />
the “Christian State” and remain Jewish nevertheless.<br />
Finally, the separation of church and<br />
state inaugurated the ideological neutrality of<br />
the state and the equality of all religions. It is<br />
right to say: we Jews in Europe have been a<br />
major beneficiary of this trend of relativisation<br />
of religious truth. This has been true in the past.
It is true for the present and it will remain true if<br />
we look at our perspectives for the future.<br />
The demand for tolerance appears to involve a<br />
relativisation of religious truth that seems to<br />
weaken religious identity. And precisely this may<br />
in turn foster a fundamentalist affirmation of<br />
religion by some which easily degrades into<br />
intolerance against both inner-Jewish dissent<br />
and against other religious and ideological orientations.<br />
It is an Orthodox dilemma when the<br />
urge for tolerance finally leads to utter intolerance.<br />
It may only be avoided if tolerance can be<br />
based on religious truth itself, on the heart and<br />
essence of religious identity. This makes one<br />
question an interesting one: is there prove that<br />
tolerance is part of our very Jewish religious<br />
identity?<br />
Moses Mendelssohn, in 1769, was, invited by the<br />
Zurich preacher Johann Caspar Lavater to a religious<br />
disputation aimed at converting<br />
Mendelssohn to Calvin’s Christianity. In<br />
December 1769 Moses Mendelssohn counters<br />
with a reference to the tolerant attitude of<br />
Judaism, which rejects any missionizing: “In<br />
accordance with the principle of my religion I<br />
should not seek to convert anyone who is not<br />
born according to our law. This spirit of conversion,<br />
the origin of which some are so keen to burden<br />
the Jewish religion with, is diametrically<br />
opposed to this. All our rabbis teach unanimously<br />
that the written and oral laws in which our<br />
revealed religion consists are binding only on our<br />
nation. Moses commanded the law for us, it is a<br />
legacy of the community of Jacob. All the other<br />
peoples of the earth, we believe, have been<br />
instructed by God to observe the law of nature<br />
and the religion of the patriarchs [Mendelssohn<br />
notes: “The seven main commandments of the<br />
Noachids”]. Those who direct their way of life in<br />
accordance with this religion of nature and reason<br />
are called by other nations virtuous men, and<br />
these are children of the eternal blessedness.”<br />
With this statement about the recognition by<br />
Judaism of other convictions Mendelssohn<br />
rejects Lavater’s demand for conversion. Here he<br />
identifies the Noachidic commandments with the<br />
natural law. And as natural law they are open to<br />
Lavater’s rational insight. So according to Jewish<br />
tradition the Noachidic rules give fundamental<br />
instructions for action by all human beings in<br />
respect of God (the prohibition of idolatry and<br />
blasphemy), one’s fellow human beings (prohibition<br />
of murder, theft and sexual promiscuity),<br />
<strong>Kescher</strong><br />
nature (prohibition against torturing animals)<br />
and society (commandment for a just society<br />
with just laws). The Jewish sources from the<br />
Talmud through Maimonides to Moses Mendels -<br />
sohn and Hermann Cohen indicate that every<br />
non-Jew who observes these commandments and<br />
prohibitions is to be regarded as righteous<br />
among the peoples. Thus non-Jews attain the<br />
same spiritual and moral level as the high priest<br />
in the temple.<br />
Back to Samuel Wolk who was so convinced about<br />
Jewish individualism and praise for liberty? Is it<br />
a formative element of Judaism to allow inner-<br />
Jewish dissent? The distinctive definition of<br />
“truth” in Judaism becomesvery vivid through<br />
the following story: “R. Abba stated in the name<br />
ofSamuel: For three years there was a dispute<br />
between Beth Shammai and Beth Hillel, the former<br />
asserting, The halachah is in agreement<br />
with our views’ and the latter contending, The<br />
halachah is in agreement with our views.’ Then a<br />
bath kol issued announcing, [The utterances of]<br />
both are the words of the living God, but the<br />
halachah is in agreement with the rulings of Beth<br />
Hillel.’ Since, however, ‘both are the word of the<br />
living God’ what was it that entitled Beth Hillel<br />
to have the halachah fixed in agreement with<br />
their rulings?’ Because they were kindly and<br />
modest, they studied their own rulings and those<br />
of Beth Shammai, and were even so [humble] as<br />
to mention the actions of Beth Shammai before<br />
theirs.”<br />
In his commentary on Erubin 13b the rabbi Yom<br />
Tov ben Avraham Asevilli from Seville, known as<br />
“Ritva,” writes the following: “The rabbis of<br />
France asked: ‘How can it be that both opinions<br />
are the word of the living God, since one says<br />
that a certain thing is prohibited and the other<br />
that it is permitted?’ They answered that when<br />
Moses went up to the heavens to receive the<br />
Torah, he was shown 49 ways of prohibiting and<br />
49 ways of permitting each thing. When Moses<br />
asked the Holy One about this, he was told that<br />
this is to be entrusted to the sages of Israel in<br />
every generation and the decision will be in their<br />
hands.”<br />
In both texts it becomes very clear how important<br />
it is for the rabbis to respect the position of<br />
the other in discussions and not make their own<br />
opinion absolute: that is the key to the truth in a<br />
plural sense. The content of revelation has been<br />
handed down to the two houses—Hillel and<br />
Shammai—since the revelation event on Sinai.<br />
27<br />
Both texts put forward the view that the revelation<br />
must be interpreted, that one must dig in it,<br />
“turn it this way and that”, research and interpret<br />
it.<br />
Asher Maoz of the University of Tel Aviv has<br />
raised the question whether Judaism recognizes<br />
freedom of religion for its members. His answer<br />
is ‘yes’ when it comes to the tolerance of coexisting<br />
with other faiths, his response is ‘no’ when it<br />
comes to the right of a Jew to take up a gentile<br />
religion. However, he says, Judaism does totally<br />
sanction freedom within religion. Therefore, it is<br />
for us progressive Jews to reiterate the conviction<br />
of old that there is more than one truth<br />
within Judaism and outside of Judaism, that in<br />
fact what we hold to be the truth and the exact<br />
opposite may both be acceptable in the eyes of<br />
God.<br />
Our very task remains to uphold the relevance of<br />
the Jewish tradition in the context of modernity<br />
for the Jewish people so that we can resume our<br />
holy task of the priesthood for the universality of<br />
humankind. If the Orthodox do not uphold these<br />
Jewish essentials, we Progressive Jews definitely<br />
should continue to do so.<br />
„Diejenigen, die Tora studieren,<br />
spenden Licht, wo immer sie sind.“<br />
Midrasch Schemot Raba<br />
Unterstützen Sie unsere<br />
Arbeit! Spenden auch<br />
Sie.<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong><br />
Konto Nr. 108 30 39<br />
Deutsche Bank AG Berlin<br />
(BLZ 100 700 24)
28<br />
„Zwei Juden - drei Meinungen" ist ein gängiger<br />
Ausdruck für die Tatsache, dass es in der jüdischen<br />
Gemeinschaft sehr unterschiedliche An -<br />
sichten gibt, die gar nicht oft unter einen Hut<br />
passen. Und warum sollte es anders ein? Auch<br />
Christen leisten sich doch von jeher Zerwürfnisse<br />
in Glaubensfragen, und es würde keiner auf die<br />
Idee kommen, den Papst in Rom zum Schieds -<br />
richter darüber zu machen. Es ist gut möglich,<br />
dass es sinnvoll ist, das Israelitengesetz von<br />
1890 zu ersetzen und die Beziehungen der<br />
Republik Österreich zu den verschiedenen jüdischen<br />
Strömungen auf eine zeitgemäße Basis zu<br />
stellen. Seit März liegt jedoch eine Regierungs -<br />
vorlage vor, die enttäuscht: Im 21. Jahrhundert<br />
soll dem Judentum staatlicherseits eine quasi<br />
hierarchische Struktur aufgezwungen werden.<br />
Die Religionsfreiheit der verschiedenen Bekennt -<br />
nisrichtungen würde wesentlich beeinträchtigt<br />
und in das Belieben einer Richtung - der Ortho -<br />
doxie - gestellt.<br />
Schlecht für Rabbinerinnen<br />
Man fragt sich, was die Abgeordneten des Natio -<br />
nalrats verbrochen haben, dass ihnen durch<br />
Bundesministerin Claudia Schmied eine solch<br />
offensichtliche Missgeburt unterbreitet wird. Im<br />
Vorblatt zur Ministerialvorlage heißt es lapidar,<br />
der Gesetzentwurf habe "keine geschlechtsspezifischen<br />
Auswirkungen". Das werden die vielen<br />
hundert Rabbinerinnen der konservativen und<br />
liberalen Bekenntnisrichtungen weltweit ganz<br />
anders sehen, wenn ihnen künftig von Staates<br />
wegen eine autoritative Ausübung des geistlichen<br />
Amtes in Österreich verwehrt bleiben<br />
wird.<br />
Vor mehr als hundert Jahren hatte der Diskurs<br />
um die Frauenordination im Judentum eingesetzt,<br />
bis 1935 schließlich Regina Jonas als erste<br />
Rabbinerin in Berlin ordiniert worden war. Das<br />
"Fräulein Rabbiner" wurde von den Nazis nach<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Auschwitz deportiert und im Dezember 1944 vergast.<br />
Heute bilden Frauen die Mehrzahl der<br />
Anfängerklassen an nichtorthodoxen Rabbi -<br />
nerseminaren in Nordamerika.<br />
Der grundsätzliche Irrtum des Gesetzentwurfs<br />
liegt in der Annahme, beim Judentum handele es<br />
sich um eine einheitliche Religionsgemeinschaft.<br />
Anders wusste es sogar schon der Gesetzgeber<br />
von 1890: "Zwischen den extremen Richtungen in<br />
der Judenschaft, den Reformern und Orthodoxen,<br />
[...] besteht eine große, noch nicht abgeschlossene<br />
Zahl von Nuancen. Um deren Ansprüche<br />
klarzustellen, fehlt bei Abgang einer Hierarchie<br />
jedes Forum" (nachzulesen im Bericht des Aus -<br />
schusses des Abgeordnetenhauses).<br />
Ebenso stellte auch 2002 das Bundesverwal -<br />
tungs gericht in Berlin fest: "‚Das Judentum‘<br />
[stellt] ebenso wenig eine Religionsgemein -<br />
schaft im staatskirchenrechtlichen Sinne dar wie<br />
‚das Christentum‘. Vielmehr fassen solche<br />
Gattungsbegriffe verschiedene Religions -<br />
gemeinschaften im Blick auf ihre zentralen<br />
Glaubensgehalte zusammen; sie beziehen sich<br />
dagegen weder auf eine die einzelnen Religions -<br />
gemeinschaften erfassende Organisation noch<br />
auf eine zentrale Lehrautorität."<br />
In Deutschland hatte man seit 1989 einen Zuzug<br />
von fast 200.000 jüdischen Immigranten aus der<br />
ehemaligen Sowjetunion zu verzeichnen. Das<br />
Judentum wurde hierdurch lebendiger, aber das<br />
religiöse Spektrum differenzierte sich auch. Auf<br />
Bundesebene konstituierten sich seit 1997 drei<br />
Bekenntnisverbände: die Union progressiver<br />
Juden in Deutschland, Masorti Deutschland und<br />
der Bund traditioneller Juden. Am Ende einer<br />
zwanzigjährigen Entwicklung stellte 2009<br />
schließlich das Bundesverfassungsgericht in<br />
Karlsruhe fest: Es ist die Aufgabe des Staates,<br />
den Gleichheitsgrundsatz in der Behandlung der<br />
verschiedenen jüdischen Bekenntnisse anzuwen-<br />
9. Jahrgang | Ausgabe 2<br />
Ein Intoleranzedikt für Österreichs Judentum<br />
Die Neufassung des Israelitengesetzes ist eine<br />
Missgeburt - sie beschränkt das Judentum auf die<br />
Orthodoxie / von Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka<br />
den und gleiche Rahmenbedingungen zu schaffen.<br />
Diese Aufgabe ist nicht "innerjüdisch" zu<br />
organisieren. Vielmehr sind die Bekenntnis -<br />
strömungen in ihrer Unterschiedlichkeit zu be -<br />
achten und unabhängig voneinander zu würdigen.<br />
Deutsches Vorbild<br />
Der Zentralrat der Juden in Deutschland definiert<br />
sich spätestens seit 2006 als politischer Zusam -<br />
menschluss liberaler, konservativer und orthodoxer<br />
Gemeinden und Landesverbände. Dies drückt<br />
sich auch in der Einrichtung zweier Rabbiner -<br />
konferenzen aus: der Orthodoxen und der<br />
Allgemeinen Rabbinerkonferenz. Auf diese Weise<br />
ist es gelungen, dem Grundrecht auf Religions -<br />
freiheit gerecht zu werden und die staatliche<br />
Neutralität gegenüber den Bekenntnissen herzustellen.<br />
Ist das österreichische Rechtssystem<br />
dem deutschen so fremd, dass das Kultusamt im<br />
Unterrichtsministerium diese internationalen<br />
Realitäten völlig außer Acht lässt?<br />
Es ist erst wenige Monate her, dass der Präsident<br />
des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter<br />
Graumann, in der Bamberger Synagoge sein<br />
Konzept für die jüdische Gemeinschaft in<br />
Deutschland beschrieb: "Es wächst das neue plurale<br />
Judentum in Deutschland. Das ist spannend<br />
und eine Herausforderung - und wir sind schon<br />
mittendrin. Die Pluralität ist die neue jüdische<br />
Normalität in Deutschland."<br />
Diese Vision steht am Ende von zwanzig Jahren<br />
Tauziehen in der deutschen Politik und vor deutschen<br />
Gerichten um die um die Individualrechte<br />
der jüdischen Bekenntnisströmungen. Es wäre<br />
kein schöner Ausblick für Österreich, wenn<br />
Claudia Schmieds Edikt der Intoleranz wirklich<br />
Gesetz werden würde.<br />
Der Standard, 16.4.2012
Auf Wunsch der Israelitischen Kultusgemeinde<br />
Wien wurde von der österreichischen Bundes -<br />
regierung ein neues Israelitengesetz vorgelegt.<br />
Leider stellt dieses neue Gesetz gegenüber dem<br />
bestehenden aus dem Jahre 1890 einen religionspolitischen<br />
Rückschritt dar. So schreibt die<br />
Novelle unter anderem fest, dass nicht mehr der<br />
Staat, sondern die Israelitische Religionsgesell -<br />
schaft über Neugründungen von Kultusgemein -<br />
den entscheidet. Auch wenn auf erste Proteste<br />
hin nun ein zusätzlicher Satz die „angemessene<br />
Vertretung aller innerhalb der Religionsgesell -<br />
schaft vertretenen Traditionen“ fordert, wird mit<br />
der Schaffung einer neuen Zentralautorität – der<br />
Israelitischen Religionsgesellschaft – der Fort -<br />
bestand des nicht-orthodoxen Judentums in<br />
Österreich gefährdet. Die World Union for<br />
Progressive Judaism und die Allgemeine Rabbi -<br />
nerkonferenz Deutschlands waren unter den<br />
ersten, die an die österreichische Bildungs -<br />
ministerin Claudia Schmied wandten. Sie warnen<br />
vor massiven Diskriminierungen der liberalen<br />
Juden durch den orthodoxen Mehrheitsflügel in<br />
Österreich, der etwa keine Frauen als Rabbiner<br />
anerkennt; auch bei der rechtlichen Anerken -<br />
nung von Übertritten gebe es Differenzen.<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Das Ende der jüdischen<br />
Einheitsgemeinde in Österreich?<br />
Die Novellierung des<br />
Israelitengesetzes diskriminiert<br />
das nicht-orthodoxe<br />
Judentum<br />
„Das System stößt an seine Grenzen“, meint der<br />
Rechtsexperte Richard Potz. „Das neue Israeli -<br />
tengesetz offenbart entscheidende Defizite im<br />
gesamten österreichischen Religionsrecht.“<br />
Dass eine liberale Gemeinde innerhalb der Reli -<br />
gionsgesellschaft akzeptiert wird, zweifelt der<br />
Professor Richard Potz an. Der Vorstand des<br />
Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und<br />
Kulturrecht an der Universität Wien befand dazu:<br />
„Die Wahrscheinlichkeit scheint derzeit nicht<br />
hoch, wenn man weiß, wie groß die Spannungen<br />
zwischen Liberalen und Orthodoxen sind." Die als<br />
Verein organisierte und schon über 20 Jahre<br />
bestehende liberale jüdische Gemeinde Or<br />
Chadasch hat deshalb noch auf Grundlage des<br />
bisherigen Israelitengesetzes die Errichtung<br />
einer Jüdischen Liberalen Kultusgemeinde beantrag:<br />
„Wir wollen eine echte Einheitsgemeinde,<br />
die auch dem liberalen Judentum einen sicheren<br />
Platz innerhalb der Wiener jüdischen Gemein -<br />
schaft gibt.“<br />
29<br />
Schreiben der Central Conference of American<br />
Rabbis an Bundesministerin Dr. Claudia Schmied<br />
vom 3. Mai 2012<br />
Dear Dr. Schmied<br />
The Central Conference of American Rabbis<br />
(CCAR) represents 2,000 Reform Rabbis in North<br />
America and throughout the world; these rabbis<br />
serve and lead communities representing more<br />
than 1,5 million members of the Jewish community.<br />
As the world’s largest group of Jewish clergy, we<br />
write to you in support of our Jewish community<br />
in Vienna, the liberal congregation Or Chadasch,<br />
and their application for recognition as a Kultus -<br />
gemeinde under public charter. The new Israeli -<br />
tengesetz as passed in the Nationalrat on April<br />
19 discriminates against Progressive Judaism,<br />
the largest denomination worldwide.<br />
An application for a Jewish liberal Kultusgemein -<br />
de under the Israelitengesetz of 1890 was submitted<br />
to the Kultusamt in March. Since the<br />
newly passed Israelitengesetz takes away the<br />
right to apply for a Kultusgemeinde with the<br />
Ministry, we urge you to approve the application<br />
under the current law.<br />
We express our hope that Progressive Judaism<br />
will receive the same legal status as all other<br />
expressions of the Jewish religious tradition, as<br />
an authoritative and authentic interpretation of<br />
Judaism.<br />
Sincerely yours<br />
Foto: Parlamentsdirektion / Peter Korrak<br />
Rabbi Jonathan Stein Rabbi Steven Fox<br />
President Chief Executive
30 <strong>Kescher</strong><br />
Foto: Roman Jurowetzki<br />
Als Rabbinerin bin ich entsetzt, dass<br />
der österreichische Staat die große<br />
Mehrheit der Juden in der Welt und<br />
ihre religiösen Gremien und Ent -<br />
scheidungsträger diskriminiert. Was ich und<br />
meine <strong>Kolleg</strong>innen und <strong>Kolleg</strong>en tun, wird in der<br />
großen Mehrheit der jüdischen Gemeinden in der<br />
Welt anerkannt. Doch wenn wir jemanden als<br />
Jude oder Jüdin anerkennen oder verheiraten,<br />
kann es durchaus sein, dass die IKG Kindern den<br />
Besuch der jüdischen Schule verweigert und<br />
ihnen nicht einmal das Recht auf eine jüdische<br />
Beerdigung zugesteht. Will Österreich wirklich<br />
ein Land sein, in dem es heißt „nicht-orthodoxe<br />
Juden unerwünscht“?<br />
Als Bürgerin eines Staates der Europäischen<br />
Union bin ich entsetzt darüber, dass 150 Jahren<br />
nach Einführung der Religionsfreiheit der österreichische<br />
Staat festlegen will, was Judentum<br />
sei. Der Staat hat seinen Bürgerinnen und<br />
Bürgern die freie Religionsausübung zu ermöglichen.<br />
Dabei geht es auch anders, wie ich als Gemeinde -<br />
rabbinerin aus Berlin berichten kann. Unter dem<br />
Dach des Zentralrats finden sich die verschiedenen<br />
Strömungen gemeinsam. Und in manchen<br />
Gemeinden, so z.B. in Berlin, gibt es in echtem<br />
Pluralismus Synagogen unterschiedlichster<br />
Ausprägung, Rabbiner mit und ohne Bart wie<br />
auch eine Rabbinerin. In anderen Städten gibt es<br />
eine organisatorische Trennung der verschiedenen<br />
Richtungen – es ist Aufgabe des Staates ist,<br />
gleiche Behandlung der verschiedenen Strö -<br />
mungen sicherzustellen, und nicht von oben<br />
herab zu definieren, wer Jude sei und wie<br />
Judentum heute auszusehen hat.<br />
Rabbinerin Gesa S. Ederberg ist Gemeinde -<br />
rabbinerin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und<br />
Vizepräsidentin der Europäischen Konservativen<br />
Rabbinerkonferenz<br />
S T I M M E N<br />
Das Judentum“ als monolithischen<br />
Block gibt es nicht; es besteht aus<br />
unterschiedlichen Strömun gen. Das<br />
Grundrecht der Religionsfreiheit zu<br />
beachten, heißt das Recht auf diese Pluralität zu<br />
respektieren. Aus diesen Gründen fordere ich<br />
Bundes ministerin Claudia Schmied auf, die<br />
Jüdische Liberale Kultusgemeinde so rasch wie<br />
möglich anzuerkennen.<br />
Bei meiner Ordination 2011 in Bamberg sagte<br />
Dieter Graumann, der Präsident des Zentralrats<br />
der Juden in Deutschland: „Lasst hundert neue<br />
Rabbiner hier blühen - damit auch wieder das<br />
Judentum in Deutschland aufs Neue blühen<br />
kann! Und bunt gemischt soll außerdem auch<br />
noch die neue Blüte unter den Rabbinern sein:<br />
progressiv und orthodox, modern und traditionell."<br />
[…] Das Judentum hat nun einmal, unbestreitbar,<br />
unterschiedliche Strömungen, von liberal<br />
über konservativ bis orthodox. Alle diese<br />
Strömungen basieren auf der gleichen Halacha,<br />
den gleichen religiösen Grundwerten. Aber sie<br />
leben ihr Judentum auf jeweils unterschiedliche -<br />
und doch keinesfalls beliebige - Weise. Was in<br />
Deutschland und anderen Ländern möglich ist,<br />
muss auch in Österreich verwirklicht werden können.<br />
Daher unterstütze ich die Forderung nach<br />
Anerkennung einer Jüdischen Liberalen Kultus -<br />
gemeinde. Österreich steht, ebenso wie<br />
Deutschland, in einer historischen Verantwor -<br />
tung gegenüber seinen jüdischen Bürgern. Diese<br />
Verantwortung der Republik besteht gegenüber<br />
Juden und Jüdinnen aller Strömungen, nicht<br />
bloß gegenüber solchen der Orthodoxie.<br />
Rabbinerin Dr. Yael Deusel ist Rabbinerin der<br />
Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg<br />
Die Stellung der Frau im religiösen<br />
und gesellschaftlichen Leben ist<br />
einer der grundlegendsten Unter -<br />
schiede zwischen der Orthodoxie<br />
und der Reformbewegung. Die Ausgrenzung der<br />
Frau ist keine immanent jüdische Praxis, sondern<br />
ein Brauch (und kein Gesetz), der in einigen<br />
Teilen des Judentums gesetzartigen Charakter<br />
angenommen hat. Diese orthodoxen Gruppierun -<br />
gen innerhalb des Judentums stellen weltweit<br />
eine Minderheit dar. Das Reformjudentum hat<br />
sich für die Rechte der Frauen im 19. Jahrhun -<br />
dert. und damit auch für die freie persönliche<br />
Entschei dung, wie man sein Judentum auslebt,<br />
eingesetzt. Deswegen wird möglicherweise durch<br />
den Vorzug der Einheitsgemeinde in Österreich<br />
diese Errungenschaft der Frauenrechte und der<br />
freien Wahl verhindert. Es darf doch nicht passieren,<br />
dass die jüdische Reformgemeinde Österreichs<br />
zu einer Sekte degradiert wird.<br />
Es kann nicht sein, dass ein Jude, nur weil es für<br />
ihn kein Problem darstellt, dass eine (wohlgemerkt:<br />
professionell dafür ausgebildete) Frau<br />
eine Beerdigung durchführt, oder einen Gottes -<br />
dienst leitet, durch ein Bundesgesetz in eine<br />
Situation gebracht wird, in der ihm sein Judesein<br />
abgesprochen wird, und dessen Kindern auf diesem<br />
Weg der Besuch einer jüdischen Schule und<br />
damit religiöser Bildung verwehrt wird. […]<br />
Das neue Israelitengesetz schafft bitteres<br />
Unrecht, Zwist und Streit vor den Gerichten.<br />
Damit es nicht zu kaltem Recht wird, bitte ich<br />
Sie, Frau Bundesministerin: wenden Sie das noch<br />
geltende alte Gesetz an und bewilligen Sie eine<br />
liberale Kultusgemeinde!<br />
Rabbinerin Alina Treiger M.A. ist Rabbinerin der<br />
Jüdischen Gemeinden zu Oldenburg und<br />
Delmenhorst. Fotos: Tobias Barniske
<strong>Kescher</strong><br />
The Baroness Neuberger of Primrose Hill DBE ist seit 2004 Mitglied im britischen<br />
Oberhaus. Von 2007 bis 2011 Präsidentin des Liberalen Juden tums im Vereinigten<br />
Königreich, ist Julia Neuberger seit 2011 Ober rabbinerin der West London Synagogue.<br />
Steht es Österreich<br />
mit seiner Geschichte<br />
wirklich zu, einen<br />
Großteil des modernen<br />
Judentums zur<br />
Sekte herabzuwürdigen?<br />
Rabbinerin<br />
Julia Neuberger<br />
(London) über das<br />
neue Israelitengesetz<br />
Eine liberale jüdische Kultus -<br />
gemeinde auch in Österreich!<br />
Wie schwer müssen es die Frauen der letzten<br />
hundert Jahre gehabt haben, bis sie die Funk -<br />
tionen erreicht haben, die uns Frauen eben<br />
zustehen: weil wir nicht schwächer oder dümmer<br />
sind als die andere Hälfte der Menschheit, dafür<br />
aber Qualitäten mitbringen, die unsere heutige<br />
Zeit dringend nötig hat.<br />
Das Erbe der Rabbinerinnen<br />
Meine Mutter, Liesel Schwab, hatte sich 1937 aus<br />
dem Machtbereich der Nazis retten können. So<br />
wurde ich 1950 in England geboren. 1977 bin ich<br />
als zweite Frau in Großbritannien zur Rabbinerin<br />
ordiniert worden. Ich habe mich nicht gescheut,<br />
meinen Kopf hinzuhalten für Dinge, die mir wichtig<br />
waren: als Gemeinderabbinerin, als Gesund -<br />
heitspolitikerin für die Liberaldemokraten, als<br />
Präsidentin des liberalen Judentums im Ver -<br />
einigten Königreich und jetzt als Oberrabbinerin<br />
der West London Synagogue und Mitglied des britischen<br />
Oberhauses.<br />
Ich habe mich in der Verantwortung gesehen, das<br />
Erbe all derer hochzuhalten, die mir als Frau im<br />
Rabbinat vorangegangen waren. 1897 hielt<br />
Hanna G. Salomon in Chicago vor vollen Syna -<br />
gogenbänken ihre Probepredigt. Im Jüdischen<br />
Vereinsboten Berlin las man: „Die Probepredigt<br />
des weiblichen Rabbi fiel so glänzend aus, dass<br />
seine Anstellung demnächst erfolgen dürfte.“<br />
Frauliche Feinfühligkeit<br />
Für viele jüdische Frauen war es Zeit, von den<br />
Synagogengalerien herabzusteigen und aktiv in<br />
das Gemeindeleben einzugreifen. Aber es sollte<br />
noch dauern. 1935 schließlich wurde Regina<br />
Jonas als weltweit erste Frau ordiniert. Sie hielt<br />
Gottesdienste in schwerster Zeit, besuchte die<br />
Alten und Kranken und sprang da ein, wo<br />
Rabbinerkollegen emigriert oder inhaftiert<br />
waren. 1944 wurde sie in Auschwitz vergast.<br />
31<br />
Mit Regina Jonas hatten weiblicher Instinkt und<br />
frauliche Feinfühligkeit Einzug in das Rabbiner -<br />
amt gehalten. 1972 ordinierte das Hebrew Union<br />
College in Cincinnati Sally Priesand, 1974 das<br />
Reconstructionist Rabbinical College in Wyncote<br />
(Pennsylvania) Sandy Eisenberg Sasso, 1976 das<br />
Londoner Leo Baeck College Jacqueline Tabick,<br />
1985 das New Yorker Jewish Theological<br />
Seminary Amy Eilberg. Das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong><br />
<strong>Kolleg</strong> an der Universität Potsdam ordinierte am<br />
4.November 2010 mit Alina Treiger die erste Frau,<br />
die seit Regina Jonas wieder in Deutschland ausgebildet<br />
worden war.<br />
Heute gibt es weltweit mehr als eintausend<br />
Rabbinerinnen, und ich bin stolz, eine von ihnen<br />
zu sein. Deshalb die Frage an Österreichs Bun -<br />
desministerin Claudia Schmied: Wieso sollten<br />
diese Rabbinerinnen, die der weltweiten Mehr -<br />
heit des nicht orthodoxen Judentums zugehören,<br />
in Österreich ihre Amtsbefugnis und Autorität<br />
abgesprochen bekommen? Steht es Österreich<br />
mit seiner Geschichte wirklich zu, einen Großteil<br />
des modernen Judentums zur Sekte herabzuwürdigen?<br />
Bitte an die Ministerin<br />
Wir Jüdinnen und Juden aus aller Welt können<br />
dies nicht zulassen. Ich bin es meinen Überzeugungen<br />
schuldig, und den Frauen, in deren Nach -<br />
folge ich mich empfinde. Und deshalb bitte ich<br />
die Frau Bundesminister im Namen von 77 progressiven<br />
jüdischen Gemeinden in meinem Land,<br />
sich für die Gleichbehandlung liberaler und<br />
ortho doxer Juden durch die Republik starkzumachen.<br />
Ich bitte Sie um die Zulassung einer liberalen<br />
jüdischen Kultusgemeinde in Österreich!<br />
Die Presse, 10. Mai 2012. Foto: Derek Tamea
Jerusalemer Tempel<br />
Ein erstaunlicher Fund hat zum Jahreswechsel<br />
2012 das Interesse der archäologischen und<br />
bibelforschenden Fachwelt erregt. Auslöser der<br />
Euphorie ist ein kleines, 2000 Jahre altes Ton -<br />
siegel, das im Rahmen der Ausgrabungen am Fuß<br />
des Jerusalemer Tempelberges gefunden wurde,<br />
nämlich an dessen Südwestecke unterhalb des<br />
Robinson-Bogens. Die aramäische Inschrift darauf<br />
könnte gelesen werden דַכִּי לְיָה „rein für den<br />
Herrn“ und legt einen engen Bezug zum kultischen<br />
Geschehen im angrenzenden Tempel bezirk<br />
nahe. Damit wäre unter Umständen ein Beweis<br />
für die Opferpraxis überhaupt in der späten zweiten<br />
Tempelperiode erbracht, datiert nach der<br />
Fundlage in der Schicht über der herodianischen<br />
Straße, also zeitlich einzuordnen zwischen der<br />
Fertigstellung des Tempels (Baubeginn 18 v.d.Z.)<br />
und der Zerstörung Jerusalems durch die Römer<br />
im Jahre 70 d. Z.<br />
Das Ausgrabungsteam der Israel Antiquities<br />
Authority unter Eli Shukron hatte den Fund bei<br />
den Surveyarbeiten im Zusammenhang mit der<br />
Erforschung des Kanalisationssystems vom<br />
Tempelbereich zum Shiloach-Teich in der Ir David,<br />
der Davidsstadt entdeckt. Prof. Ronny Reich vom<br />
Department of Archaeology der Universität Haifa,<br />
Co-Direktor der Grabung, hat das Siegel der<br />
Presse als einzigartiges und authentisches<br />
Prädikatssiegel für „reine“ Opfergaben? / von<br />
Bettina S. Schwarz<br />
Beweisrelikt für die Opferaktivitäten und den<br />
religiösen Tempelbetrieb mit Pilgern, Kauf und<br />
Darbringung von Opfergaben präsentiert. Bislang<br />
wurden nur wenige Artefakte mit Hinweis auf den<br />
Tempel aufgefunden wie Öllampen, Bullae mit<br />
Personennamen, römische Münzen und die<br />
berühmten silbernen Halbschekel aus der Präge -<br />
stätte in Tyros, die für die Entrichtung der<br />
Tempel steuer eingetauscht werden mussten, um<br />
die Berührung mit profanem Geld zu vermeiden.<br />
Eine Sensation war auch der Fund eines kleinen<br />
Glöckchens aus Gold im Sommer 2011, das der<br />
Schutt des 1. Jahrhunderts verborgen hatte und<br />
zum Gewand eines Priesters gehört haben könnte,<br />
so wie es EX 28,33-35 für den Mantel des<br />
Aaron mit פַּעֲמֹנֵי זָהָב beschreibt.<br />
Das entdeckte Siegel nun ist nicht im herkömmlichen<br />
Sinne zum Verschluss oder zur Beschrif -<br />
tung von Vorratsbehältern gedacht (es fehlt auch<br />
eine Öse auf der Rückseite), sondern hatte sicher<br />
eine konkrete, aber schwer zu bestimmende<br />
Funktion in den Tempelhöfen. Es könnte die<br />
Reinheitsvorschriften der Tempelopfer anschaulich<br />
erklären, so wie sie im Mischna-Traktat<br />
Schekalim V 1-5 beschrieben werden. Für eine<br />
Opferspende wurde beim zuständigen Beamten<br />
eine Art Wertmarke (חוֹתָם)gegen Geld erworben,<br />
für die man erst bei einem weiteren<br />
Zuständigen das Opfer ausgehändigt bekam<br />
(ebd. V 4), um es dann dem Priester zu übergeben.<br />
Die Aufschrift „rein für den Herrn“ kann<br />
also eine Art Qualitätssiegel sein, mit dem sicher<br />
gestellt wird, dass bei der Prüfung auf Reinheit<br />
und bei der Bezahlung alles seine Richtigkeit<br />
hat, nach R. Reich eine Art Quittung oder<br />
Coupon, den der Pilger auf dem Tempelgelände<br />
mit sich führt. Dieser Vorschlag muss sich die<br />
Frage gefallen lassen, ob ein Siegel wirklich die<br />
rituelle Reinheit einer Opfergabe wie etwa Öl,<br />
Wein oder ein Tier auf dem riesigen Tempelplatz<br />
mit Tausenden von Menschen gewährleisten<br />
kann, bevor das Opfer schließlich dem Priester<br />
übergeben wird? Und wird es auch mehrfach verwendet,<br />
geht also von einer Hand in die andere?<br />
Geht es um vorbereitende und endgültige Rein -<br />
heit, um eine von mehreren Abstufungen? Warum<br />
wurden dann nicht große Mengen dieser Tokens<br />
gefunden, auch wenn Grabungen auf dem Berg<br />
selbst nicht durchgeführt werden konnten? Wäre<br />
es nicht sinnvoller, auf einer solchen Wertmarke<br />
die Art des Opfers zu vermerken, sodass die<br />
Abwicklung leichter vonstatten geht? In diese<br />
Richtung deutet Shlomo Naeh, Professor für<br />
Talmud der Hebrew University in Jerusalem die<br />
Inschrift, indem er sie דכ א ליה als Abkürzung<br />
für דְּכַר א לִיהוֹיָרִיב liest, was für einen Widder<br />
steht, der vom Priester Jehojariv am ersten Tag
Links: Die Südwestecke<br />
des Tempelbergs. Foto:<br />
Bettina Schwarz. Unten:<br />
Moritz Daniel<br />
Oppenheim, Bilder aus<br />
dem altjüdischen<br />
Familienleben, "Das<br />
Wochenfest"<br />
Uns ist ein hohes Maß<br />
an Mitwirkung an der<br />
Offen barung gegeben /<br />
von Rabbiner Walter<br />
Homolka<br />
der Woche (Alef) geopfert wird, nach 1Chr 24,7<br />
wo die Priesterabteilungen aufgezählt werden.<br />
So könnte der Pilger im Tausch gegen Geld eine<br />
Marke mit der Aufschrift des jeweiligen Opfers<br />
und des Datums (Wochentag) erhalten haben,<br />
z.B. in der sogenannten Siegelkammer (Traktat<br />
Tamid III 3), eine Opfergabe, die er danach an<br />
anderer Stelle abholt oder in Auftrag gibt.<br />
Es stellt sich auch die Frage, ob ein aramäischer<br />
Schriftzug nicht eher für Laien gedacht ist, die in<br />
den Tempel kommen? Dazu würde der nahezu<br />
lapidare Text passen, auch denkbar als Zertifikat<br />
für die Echtheit des Silberschekels, der die einzige<br />
zugelassene Währung im Tempel war, „rein“<br />
im Sinne des über 90 prozentigen Silbergehalts<br />
und durch das Siegel erwiesenermaßen „rein“ für<br />
den Einkauf des Opfers.<br />
Welche Lesart auch immer man zugrunde legt,<br />
klar ist, dass der winzige Siegelfund aus einem<br />
rituellen Kontext stammt und auf den großen<br />
Apparat des Opferdienstes mit den verschiedensten<br />
administrativen Einrichtungen hinweist.<br />
Fehlt auch der endgültige Beweis, so scheint<br />
doch die schriftliche Überlieferung plötzlich<br />
greifbar nahe geworden.<br />
Bettina S. Schwarz M. A. ist Dozentin für<br />
Biblische Archäologie und hebräische Bibel -<br />
wissenschaft<br />
<strong>Kescher</strong><br />
Schawuot: Die Zeit der<br />
Gabe unserer Tora<br />
„Auch das Wochenfest sollst du feiern zur Zeit<br />
der Erstlinge der Weizenernte“, heißt es in Ex<br />
34,22. Schawuot, das Wochenfest, ist wie Pessach<br />
und Sukkot eines der drei Wallfahrtsfeste im<br />
jüdischen Jahreskreis. Es fällt dieses Jahr auf den<br />
28. und 29. Mai unseres bürgerlichen Kalenders.<br />
Schawuot war in Eretz Jisrael zunächst ein<br />
Erntedankfest, an dem die Bauern die Erstlings -<br />
früchte im Tempel darbrachten, und hat dann so<br />
wie Pessach einen entscheidenden Bedeutungs -<br />
wandel erfahren. Die Tora stellt noch gar keinen<br />
Bezug zwischen Schawuot und der Offenbarung<br />
Gottes auf dem Berg Sinai dar. Dies geschieht<br />
erst im Talmud, wo von seman matan toratenu,<br />
„die Zeit der Gabe unserer Tora“ die Rede ist. Nun<br />
33<br />
erinnert Schawuot zunächst an die Offenbarung<br />
der Zehn Gebote am Berg Sinai, weswegen für die<br />
Toralesung auch Ex 19-20 bestimmt worden ist;<br />
die Zehn Gebote werden dabei von der Gemeinde<br />
in der Regel stehend vernommen.<br />
Das jüdische Konzept von Offenbarung misst dem<br />
hermeneutischen Prozess eine hohe Bedeutung<br />
bei. Während orthodox ausgerichtete Juden aber<br />
davon ausgehen, dass die Tora am Sinai wortwörtlich<br />
übergeben wurde, haben wir liberalen<br />
Juden ein anderes Verständnis vom Offenba -<br />
rungs geschehen und stehen damit in einer langen<br />
Tradition. So schreibt der im 14. Jahrhundert<br />
wirkende Rabbi Jom Tow ben Avraham Ischbilly<br />
aus Sevilla, „Ritba“ genannt, in seinem Talmud -
34<br />
kommentar zu Eruwin 13 b: „Als Mosche auf die<br />
Höhe stieg, um die Tora in Empfang zu nehmen,<br />
wurden ihm im Zusammenhang mit einer jeden<br />
Sache 49 Gründe gezeigt, warum es erlaubt sein<br />
sollte und 49 Gründe, warum es verboten sein<br />
sollte. Als Mosche den Heiligen – Gepriesen sei<br />
er! – um endgültige Entscheidungen bat, wurde<br />
ihm gesagt, dass derartige Entscheidungen den<br />
Weisen Israels in jeder einzelnen Generation vorbehalten<br />
seien und dass die Entscheidungen, die<br />
sie dann jeweils träfen, die gültigen Entschei -<br />
dungen seien“. Dem Menschen wird also bei der<br />
Offenbarung des Willens Gottes offensichtlich ein<br />
hohes Maß an Mitwirkung gegeben. Der andauernde<br />
Prozess menschlicher Interpretation wird<br />
so zum stetigen Offenbarungsprozess, der weit<br />
über das einmalige Sinaigeschehen hinausgeht.<br />
Wir können verborgene Wahrheiten und An -<br />
sichten entdecken, es entstehen Neuerungen,<br />
durch die der menschliche Interpret zum Mit -<br />
schöpfer wird. Damit verändert und wandelt sich<br />
das Judentum, so wie es zu jeder Zeit geschah: Es<br />
hat den Glauben der Erzväter mit der Gesetzge -<br />
bung am Sinai in Einklang gebracht, mit dem<br />
Idealismus der Propheten, mit den praktischen<br />
Anliegen der Rabbinen. Erneuerung ist im<br />
Judentum also gang und gäbe. Das befand übrigens<br />
schon der chassidische Rabbi Ahron aus<br />
Karlin (1802–1872): „Wer nicht jeden Tag etwas<br />
erneuert, zeigt, dass er auch nichts Altes hat“.<br />
„Wir alle standen am Berge Sinai“, heißt es.<br />
Diese Teilhabe am Sinaigeschehen trifft sogar für<br />
eine Vielzahl von religiösen Glaubenstraditionen<br />
zu, denn im Midrasch Schemot Rabba V. 9 wird<br />
von Rabbi Jochanan berichtet, dass Gottes<br />
Stimme sich am Sinai erst in sieben Stimmen und<br />
dann in 70 Sprachen geteilt habe - damit alle<br />
Völker außerhalb des Bundes Anteil bekommen<br />
an dem, was zu Israel und in Israel gesagt wurde.<br />
Das wiederum impliziert, dass das Offenbarungs -<br />
erlebnis als Schritt zur geistigen Befreiung allen<br />
Menschen gleichermaßen zuteil werden soll.<br />
Der Überlieferung nach wurde die Tora im Jahr<br />
2448 nach der Erschaffung der Welt gegeben.<br />
Nach traditioneller Auffassung empfing Mosche<br />
im Offenbarungsgeschehen am Sinai nicht allein<br />
die schriftliche Tora von Gott, sondern auch die<br />
mündliche Tora. Sie ist der Schlüssel, der allein<br />
zum vollen Verständnis der schriftlichen Tora<br />
Zugang verschafft.<br />
Da den Kindern Israels zu Schawuot die Tora<br />
über geben wurde, wird das Fest auch chag matan<br />
tora, „Fest der Tora-Gabe“ genannt. Die Rab -<br />
binen betonen, dass die Kinder Israels erst durch<br />
die Tora ein freies Volk wurden. Sie empfingen<br />
<strong>Kescher</strong><br />
die Tora freiwillig und bewusst (Ex 24,), und ohne<br />
die Annahme des „Jochs des himmlischen<br />
Königreichs“ wäre die Befreiung aus der auch<br />
geistigen Knechtschaft zu Pessach nicht vollendet<br />
worden. Ein dritte Name ist chag hakatzir,<br />
„das Fest der Ernte“ nach Ex 23,16: „Ferner das<br />
Fest der Ernte, der Erstlinge des Ertrags deiner<br />
Aussaat, mit der du das Feld bestellt hast“. Die<br />
Gerstenernte beginnt zu Pessach und endet zu<br />
Schawuot, wenn in Eretz Jisrael die Weizenernte<br />
einsetzt. Unmittelbar damit verbunden ist der<br />
vierte Name chag bikkurim, das „Fest der ersten<br />
Früchte“: „Auch das Wochenfest sollst du feiern<br />
zur Zeit der Erstlinge der Weizenernte“ (Ex<br />
34,22). So wie zu Pessach das Omer-Mass der<br />
neuen Gerste während des Festes „seiner ersten<br />
Ernte“ geopfert wurde, so wurden zu Schawuot,<br />
dem Ende der Gerstenernte, einst die beiden<br />
Schaubrote dargebracht. Diese Opfer sind religiöse<br />
Pflichten, die nicht an den Einzelnen gebunden<br />
sind, sondern an die Öffentlichkeit. Die fünfte<br />
Bezeichnung für Schawuot ist schließlich atzeret.<br />
Mischna und Talmud kennen Schawuot unter<br />
diesem Begriff als festliche Versammlung des<br />
Volkes in Erinnerung daran, dass die Pilger, die<br />
einst nach Jerusalem kamen, das Fest dort<br />
gemeinsam begingen.<br />
In aschkenasischen Gemeinden wird zu Schawuot<br />
vor der Toralesung die Akdamut („Vorbereitung“)<br />
als eine Art Eröffnung eingeschaltet, ein aramäisches<br />
liturgisches Gedicht aus dem 11. Jahrhun -<br />
dert, das die Verfolgung der Juden zur Zeit der<br />
Kreuzzüge und ihr Sterben zur Heiligung Gottes<br />
beschreibt und so im Sinne von Schawuot<br />
Ausdruck von Israels Treue zur Tora ist. Ein weiterer<br />
Brauch ist es, in der Schawuotnacht wach zu<br />
bleiben und gemeinschaftlich Kapitel aus der<br />
Tora, der Mischna, der Gemara und dem Sohar zu<br />
lesen. Dieser Brauch der Lernnacht, tikkun leil<br />
schawuot, hat seinen Ursprung in der Mischna,<br />
die erzählt, dass die Israeliten die Übergabe der<br />
Tora vernachlässigt hätten, weil sie in der Nacht<br />
zuvor schliefen und Mosche sie mehrmals wecken<br />
musste. Selbstverständlich findet auch dieses<br />
Jahr wieder eine Lernnacht mit Studierenden und<br />
Dozenten am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> statt.<br />
Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka ist Rektor des<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s an der Universität<br />
Potsdam. Sein Artikel erschien zuerst in der Mai-<br />
Ausgabe von "jüdisches berlin".<br />
9. Jahrgang | Ausgabe 2<br />
Im Frühjahr unterrichtete<br />
eine Reihe<br />
renommierter<br />
Gastdozenten am<br />
Kantorenseminar<br />
Kantorin Josée Wolff, D. Min.. Kantorin<br />
Wolff ist Director of Student Placement in<br />
the Debbie Friedman School of Sacred<br />
Music, Hebrew Union College – Jewish
Meldungen<br />
Judith Clurman ist Dirigentin, Stimmbildnerin und Chorleiterin. Das gemeinsame Thema von<br />
Kantor Ruben und ihr war “The Hallel Service of the Three Pilgrimage Festivals and Other<br />
Holydays”.<br />
Institute of Religion in New York und<br />
unterrichtete “Haftarah Cantillation<br />
According to Eastern European<br />
Tradition”.<br />
Kantor Gershon Silins. Unser Senior Consultant<br />
aus Birmingham ist Kantor von Liberal Judaism<br />
in Großbritannien und unterrichtet „American<br />
Compositions for the Three Pilgrimage Festivals”.<br />
Kantor Dr. Bruce L.<br />
Ruben ist Director of<br />
the Debbie Friedman<br />
School of Sacred<br />
Music, Hebrew<br />
Union College–<br />
Jewish Institute of<br />
Religion in New<br />
York. Fotos: Tobias<br />
Barniske<br />
Der Präsident der Universität Potsdam, Prof. Dr.<br />
Günther, Ph.D.,(r.) und der Präsident der Heb -<br />
räischen Universität in Jerusalem, Prof. Dr.<br />
Menahem Ben-Sasson, tauschten am 30. April im<br />
Beisein von Ministerpräsident Matthias Platzeck<br />
35<br />
eine Kooperationsvereinbarung aus. Professor<br />
Günther nutzte während seines Aufenthalts in Israel<br />
die Gelegenheit, das in Gründung befindliche<br />
Zentrum Jüdische Studien Berlin-Branden burg vorzustellen<br />
und über die Bemühungen einer<br />
Institutionalisie rung der Jüdischen Theo logie und<br />
der damit verbundenen Rabbiner-Ausbildung an der<br />
Universität Potsdam zu informieren. Foto: Klaus-<br />
Dietmar Gabbert/dapd<br />
Im Sommersemester unterrichten wieder eine Reihe<br />
von Gastdozenten am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>. Ein<br />
besonderer Gast war Rabbiner Alexander Duchovny<br />
M.A. aus Kiev, der bei uns am 3. Mai über „Juden -<br />
tum in der Ukraine“ sprach. Der gelernte Ingenieur<br />
arbeitete bereits zwanzig Jahre lang an der National<br />
Academy of Science of Ukraine, bevor es sein<br />
Studium am Leo Baeck College in London aufnahm,<br />
wo er 1999 zum Rabbiner ordiniert wurde.<br />
Duchovny (geb. 1950) betreut heute über Kiev hinaus<br />
liberale jüdische Gemeinden in der ganzen<br />
Ukraine. Foto: Tobias Barniske<br />
Studentenzahlen<br />
Das <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> hat derzeit 28 Studie -<br />
rende. Am Kantorenseminar sind elf Studierende<br />
eingeschrieben, davon sechs Männe und fünf<br />
Frauen. Von den siebzehn Studierenden am Rab -<br />
binerseminar sind elf Männer, fünf Frauen. Von<br />
unseren Studenten und Studentin nen kommen neun<br />
aus Deutschland, sechs aus den Staaten der früheren<br />
Sowjetunion (Russland, Weißrussland, Ukraine), vier<br />
aus Israel, zwei aus Ungarn, einer aus Frankreich,<br />
einer aus Serbien, eine aus Polen, einer aus<br />
Schweden, einer aus Norwegen, eine aus Südafrika,<br />
einer aus Argentinien.
36<br />
Muhammad-Nafi-<br />
Tschelebi-Friedenspreise<br />
2011 erhielt Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka<br />
den Muhammad-Nafi-Tschelebi-Friedenspreis.<br />
Die diesjährige Friedenspreisverleihung wird am<br />
11. November 2012 in der DITIB-Moschee in Werl<br />
/ Westfalen stattfinden. An diesem Tag wird<br />
zunächst das Soester Forum der Religionen und<br />
Kulturen 2012 stattfinden. Dabei wird ein Im puls<br />
zum Thema „Das Herz des Islam - Liebe zu Gott<br />
und Verant wortung für das Leben“ zur Diskussion<br />
gestellt. Damit soll die Diskussion über das wichtige<br />
epochale Wort der 138 Gelehr ten, „A<br />
Common Word“, befördert werden. Gottesliebe<br />
und Menschen liebe und Verantwor tung für die<br />
ganze Schöpfung sind untrennbar. Können sich<br />
auf dieser Basis Juden, Christen und Muslime<br />
zusammenfinden für das Leben auf dem Planeten<br />
Erde.<br />
Nachmittags wird die eigentliche Verleihung der<br />
diesjährigen Muhammad-Nafi-Tschelebi-Frie -<br />
denspreise 2012 stattfinden. Mit dem internationalen<br />
Preis wird die Lebensarbeit von Patriarch<br />
Gregorios III. vom griechisch-katholischen melkitischen<br />
Patriarchat von Antiochien und dem<br />
ganzen Orient, von Alexandrien und Jerusalem,<br />
Beirut/Libanon gewürdigt. Patriarch Gregorius<br />
hat für das Memorandum zum 60. Jahrestag des<br />
Grundgesetzes 2009 den Artikel „Gründen wir<br />
das Forum des Wortes Gottes“ verfasst. Kurator<br />
Manfred Erdenberger wird die Laudatio halten.<br />
Vermischtes<br />
Mit dem nationalen Preis wird Romani Rose, der<br />
Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und<br />
Roma, gewürdigt. Prof. Dr. Wilhelm Solms, Mar -<br />
burg, Vorsitzender der Gesellschaft für Anti -<br />
ziganismusforschung, wird die Laudatio halten.<br />
Amtseinführung<br />
Am 4. März wurde in der Oldenburger Synagoge<br />
Rabbiner Jona Simon feierlich in sein Amt als<br />
Rabbiner des Landesverbandes der Jüdischen<br />
Gemeinden von Niedersachsen eingeführt. Bei<br />
der im Beisein zahlreicher Ehrengäste stattfindenden<br />
Feier war der Zentralrat der Juden in<br />
Deutschland durch seinen Generalsekretär<br />
Stephan J. Kramer vertreten. Rabbiner Simon ist<br />
ebenso wie seine Ehefrau, die Oldenburger<br />
Gemeinderabbinerin Alina Treiger, Absolvent des<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s, das nichtorthodoxe<br />
Rabbinatskandidaten ausbildet. Von den insge-<br />
9. Jahrgang | Ausgabe 2<br />
samt sieben Rabbinern, die in den beiden jüdischen<br />
Landesverbänden von Niedersachsen<br />
amtieren, haben bislang vier ihr Rabbinerdiplom,<br />
die Smicha, am <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> erworben.<br />
Simon wurde von dem <strong>Kolleg</strong> im November 2011<br />
ordiniert. Mit seiner Amtseinführung wurde er<br />
jetzt vom niedersächsischen Landesrabbiner<br />
Jonah Sievers offiziell damit betraut, jüdische<br />
Gemeinden in Göttingen, Hameln und Hildesheim<br />
rabbinisch zu betreuen. Rabbiner Simon wird<br />
außerdem am Leo-Trepp-Lehrhaus der Jüdischen<br />
Gemeinde Oldenburg unterrichten. Der Rabbiner<br />
wurde 1978 in Bielefeld geboren und wuchs in<br />
Gran Canaria auf. Er studierte Romanistik und<br />
Judaistik an den Universitäten Sevilla/Spanien<br />
und Bielefeld. Anschließend wechselte er zum<br />
<strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> nach Potsdam. In seiner<br />
Magisterarbeit setzte er sich mit dem Kleider -<br />
zerreißen im Trauerfall auseinander, einem<br />
Brauch, der schon in der Tora erwähnt wird.<br />
Quelle: Heinz Peter Katlewski, in: Die Zukunft 12.<br />
Jg, Nr. 3 (30. März 2012), S. 6. Foto: Bomhoff<br />
Neuer liberaler Landes -<br />
verband in NRW<br />
Nach dem Beispiel von Niedersachsen und<br />
Schleswig-Holstein haben sich Anfang Mai auch<br />
die liberalen jüdischen Gemeinden in Nordrhein-<br />
Westfalen zu einem eigenständigen Landes -<br />
verband zusammengeschlossen. Dieser Landes -<br />
verband jüdischer Gemeinden in Nordrhein-<br />
Das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) ist das zwölfte Begabtenförderungswerk, das vom Bundesministerium<br />
für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt wird. ELES fördert nach den Richtlinien des<br />
BMBF besonders begabte jüdische Studierende und Promovierende mit deutscher Staatsangehörigkeit,<br />
Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedsstaates oder dem Status eines Bildungsinländers/einer Bildungsinländerin<br />
im Sinne des §8 BAföG für ihre Ausbildung an staatlichen und staatlich anerkannten Hochschulen,<br />
d. h. an Universitäten, Fachhochschulen sowie Kunst- und Musikhochschulen in Deutschland,<br />
der Europäischen Union und der Schweiz. Diese Förderung setzt auf das Engagement und die Selbstentfaltungsmöglichkeiten<br />
unserer Stipendiaten. Weitere Informationen unter www.eles-studienwerk.de
Westfalen will die drei angeschlossenen<br />
Gemeinden dabei unterstützen, die synagogalen<br />
Traditionen zu vertiefen, die rabbinische<br />
Betreuung sowie die Lehr- und Lernange bote<br />
auszuweiten und in Kooperation mit Politik und<br />
Landesregierung einen Beitrag für ein friedliches<br />
und freundliches Miteinander der Kulturen und<br />
Religionen zu leisten, die sich in NRW zu Hause<br />
fühlen. Der Landesverband hat insbesondere die<br />
Aufgabe, die Interessen seiner gut 500 Mitglie -<br />
der unter anderem gegenüber der Landesre -<br />
gierung zu vertreten und strebt eine direkte<br />
Beteiligung am neuen Staatsvertrag an; der derzeitige<br />
Vertrag läuft Ende des Jahres aus. Dem<br />
Vorstand des Landesverbandes gehören Sonja<br />
Guentner (Köln) als Vorsitzende, Sabine Kamp<br />
(Köln), Alexandra Khariakova (Unna) und Lev<br />
Schwarzmann (Oberhausen) an.<br />
Ausstellung<br />
Synagoge und Tempel: 200 Jahre jüdische<br />
Reformbewegung und ihre Architektur<br />
Die Ausstellung zeigt die Anfänge der Reform -<br />
synagogen und -tempel im Spiegel der allgemeinen<br />
jüdischen Reformbewegung, verdeutlicht so<br />
den einstigen Reichtum dieser heute zumeist<br />
verlorenen Architektur und macht Synagogen als<br />
wichtige Baudenkmale und wesentlichen<br />
Bestandteil des deutsch-jüdischen kulturellen<br />
Erbes erfahrbar. Zwölf detailreiche Holzmodelle<br />
beispielhafter Synagogenbauten verdeutlichen<br />
die Entwicklung von den in Hinterhöfen versteckten<br />
Bauwerken des Barock über die ersten im<br />
Städtebild sichtbaren klassizistischen und späteren<br />
eklektizistischen Bauten bis hin zu den<br />
monumentalen Bauwerken der Moderne. Textund<br />
Bildtafeln informieren anschaulich über ihre<br />
Geschichte und architekturhistorische Bedeu -<br />
tung im Kontext der frühen jüdischen Reform -<br />
bewegung. Die Ausstellung ist ein Ergebnis der<br />
Kooperation zwischen der Stadt Seesen, der<br />
Braunschweiger Bet Tfila – Forschungsstelle für<br />
jüdische Architektur in Europa, dem Jacobson-<br />
Gymnasium Seesen und dem Braunschweigischen<br />
Landesmuseum.<br />
Ausstellung wird vom 23. Mai bis zum 8. Juli<br />
2012 in der Stiftung Neue Synagoge Berlin –<br />
Centrum Judaicum, Oranienburger Straße 28/30<br />
in 10117 Berlin-Mitte gezeigt (So-Mo 10-20 Uhr,<br />
Di-Do 10-18 Uhr und Fr 10-17 Uhr).<br />
<strong>Kescher</strong><br />
JÜDISCHE MINIATUREN<br />
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ABRAHAM GEIGER RABBINER LEO BAECK ERNST L. EHRLICH<br />
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JESUS VON NAZARETH ISRAEL JACOBSON BENNO JACOB<br />
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37
38<br />
Kantor Nathan Lam 2009 in Polen. Foto: Cantors Assembly<br />
Die 1947 gegründete Cantors Assembly ist der<br />
weltweit größte Berufsverband jüdischer Kan -<br />
toren und Kantorinnen und mit dem Jewish<br />
Theological Seminary in New York und der United<br />
Synagogue of Conservative Judaism verbunden.<br />
Nach ihrem Besuch in Polen 2009, der in dem<br />
Film „A Journey Home“ dokumentiert worden ist,<br />
macht die Cantors Assembly dieses Jahr auf<br />
ihrem Weg nach Israel in Berlin Halt. Der Besuch<br />
steht unter dem Motto „The Song Returns“;<br />
Auftakt einer ganzen Reihe von öffentlichen<br />
Veranstaltungen ist ein Konzert im Jüdischen<br />
Museum.<br />
The Sound of Prayer - A World of Cantorial Music<br />
Jüdisches Museum Berlin, 26. Juni, 19.30 Uhr,<br />
Großer Saal (2. Etage), Eintritt frei.<br />
Hochzeitsrituale und geschlechterspezifische<br />
Verhältnisse in der Eheschließung in jüdischer<br />
und christlicher Tradition<br />
Internationales Sommer-<br />
Seminar vom 2. bis 9.<br />
September<br />
Das Potsdamer Institut für Religionswissenschaft<br />
organisiert vom 2. bis 9. September dieses Jahres<br />
in der Reihe „Building fort he Future“ ein internationales<br />
Seminar zum Thema „Hochzeitsrituale<br />
und geschlechterspezifische Verhältnisse in der<br />
Eheschließung in jüdischer und christlicher<br />
Tradition". Veranstaltungsort ist die Begeg -<br />
nungsstätte Schloss Gollwitz (bei Berlin).<br />
Anliegen der Veranstaltung ist die interreligiöse<br />
und internationale Begegnung zwischen jüdischen,<br />
christlichen und nichtreligiösen Studie -<br />
renden aus Israel, Polen und Deutschland. Sie<br />
werden die Gelegenheit haben, die Vielfalt jüdischer,<br />
christlicher und säkularer Eheschließungs -<br />
rituale kennenzulernen und eigene Erfahrungen<br />
einzubringen. Das anschauliche Thema beinhal-<br />
Termine<br />
Die Cantors Assembly<br />
zu Gast in Berlin<br />
Renowned cantors from around the world – in<br />
Berlin for the 2012 Cantors Assembly Mission –<br />
come together for a musical journey through the<br />
history of Jewish liturgical music. The Jewish<br />
religious tradition has deep and ancient musical<br />
roots, while constantly developing and incorporating<br />
the music of their surrounding cultures.<br />
This unique musical evening introduces and celebrates<br />
the music of the Ashkenazi and Sephardic<br />
traditions. A gift to the museum from the<br />
Cantors Assembly.<br />
Kiss the Bride<br />
tet unter anderem. das Verhältnis zwischen<br />
Theologie und Volkstradition, zwischen religiösen<br />
und säkularen Bräuchen sowie der weiblichen<br />
und der männlichen Rolle. Anhand grundlegender<br />
Texte der verschiedenen Konfessionen<br />
und Institutionen sowie von Hochzeitsmovies<br />
werden die Werte und Erwartungen an Ehen und<br />
Partnerschaften formuliert sowie die „Eventi sie -<br />
rung“ dieser Lebenswende aufgezeigt. Das<br />
Seminar ist höchst interaktiv gestaltet und<br />
schließt Podiumsdiskussionen, intensive Arbeit<br />
in Gruppen, Crossover-Referate und kurze Exkur -<br />
sionen nach Berlin ein. Die Teilnehmer werden<br />
weiterhin Lehrmaterial für verschiedene Bil -<br />
dungsstufen entwickeln, das dann wechselseitig<br />
nach ihrer Akzeptanz seitens der entsprechenden<br />
Tradition (liberal/orthodox, protestantisch/<br />
katho lisch, religiös/säkular) untersucht wird.<br />
Angesicht des Erfolgs bisheriger „Building for<br />
the Future“-Seminare, die 1998 in der Gedenk -<br />
stätte Auschwitz-Birkenau, 2002 in Nürnberg<br />
2002 und 2007 in Lublin stattfanden, führt das<br />
Potsdamer Institut für Religionswissenschaft<br />
9. Jahrgang | Ausgabe 2<br />
The Legacy<br />
Lives On<br />
Koleinu - B’yachad. One Voice - One Heart<br />
Gottesdienst und Konzert in der Synagoge<br />
Rykestraße<br />
Donnerstag, 28. Juni, 19.30 Uhr<br />
Kabbalat Shabbat Service im Konzerthaus<br />
Berlin<br />
Freitag, 29. Juni, 20 Uhr<br />
Putting on Shabbes at the Ritz<br />
Sonnabend, 30. Juni 2012, 9 Uhr, im Ritz Carlton<br />
Hotel<br />
Shared Music, Shared Message<br />
Sonntag, 1. Juli 2012, im Berliner Dom am<br />
Lustgarten<br />
unter Leitung von Prof. Dr. Johann Ev. Hafner<br />
diese wichtige akademische Aktivität dieses Jahr<br />
zusammen mit dem <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong> und<br />
dem Lehrstuhl für Judaistik der Universität Bam -<br />
berg fort. Das Seminar richtet sich insbesondere<br />
an Studierende des <strong>Abraham</strong> <strong>Geiger</strong> <strong>Kolleg</strong>s und<br />
des Instituts für Religionswissenschaft an der<br />
Universität Potsdam, Studierende des Hebrew<br />
Union College – Jewish Institute of Religion in<br />
Jersalem, der Katedra Judaistyki der Jagiel lonen-<br />
Universität in Krakau, des Zentrums für interreligiöse<br />
Studien Bamberg sowie der Uni versität<br />
Regensburg. Wir laden Masterstudie rende und<br />
Bachelorstudierende der höheren Fachsemester<br />
herzlich dazu ein, an diesem einmaligen Seminar<br />
teilzunehmen und sich dafür bis zum 25. Mai<br />
2012 bei Jenny Welke (jwelke@uni-potsdam.de)<br />
anzumelden. Für die aktive Beteiligung können<br />
entsprechend Leistungspunkte in passenden<br />
Modulen angerechnet werden. Die Teilnehmer -<br />
kosten betragen € 350,-. Pro Person (Unterkunft<br />
und Verpfle gung, Tagungsbeitrag) zuzüglich<br />
Reisekosten.
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Seestraße 49 | 15526 1552 26 Bad Saarow | Tel.: +49 (0)33631.432 (0)3363 31.432 - 0 | www.esplanade-resort.de<br />
rt.de<br />
ankommen.<br />
ank kommen.<br />
abschalten.<br />
abschal<br />
ten.<br />
auftanken.<br />
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long as they help him achieve his target of manufacturing<br />
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using sun, wind, and water as sources of renewable<br />
energy. He’s also looking at a nearby landfi ll. Gas<br />
turbines at BMW’s Spartanburg plant convert<br />
methane gas, which is emitted from the landfi ll,<br />
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