GESUNDHEITS - Bad Steben
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im Staatlichen Kurhaus<br />
Horst Janssen:<br />
Untergang und Inspiration<br />
Portraits - von Menschen, Bäumen<br />
und (Frosch-)Land-(Schaften)<br />
Ein gigantisches Werk hat Horst Janssen in seinem Leben<br />
geschaffen: über 5000 Grafiken, insgesamt über 10000 Werke.<br />
Janssen – ein Künstler, der „wild, schwierig” war, wie bei der<br />
jüngsten Ausstellungseröffnung im Grafik Museum Stiftung<br />
Schreiner <strong>Bad</strong> <strong>Steben</strong> Tete Böttger dem überaus zahlreichen<br />
Publikum erzählte. Tete Böttger aus Göttingen, Verleger,<br />
Kunstsammler und Mäzen, zählte zu den - wenigen - Freunden<br />
des 1995 vertorbenen Künstlers. Als Laudator lag ihm vor allem<br />
dran, den Menschen, der hinter diesem gigantischen Werk steht,<br />
mit seinen persönlichen Erinnerungen zu portraitieren. Und er<br />
zeichnete mit seinen<br />
Worten das Bild eines<br />
ebenso genialen, arbeitsbesessenen<br />
wie exaltierten<br />
und auch jähzornigen<br />
Menschen.<br />
Der neben dem Zeichnen<br />
noch eine andere<br />
Tete Böttger, Kunstsammler und Leihgeber<br />
der Ausstellung, mit dem Schauspieler Peter<br />
Kampschulte (rechts im Bild)<br />
Begabung hatte: das<br />
Schreiben. Janssen veröffentlichte,<br />
so Bött-<br />
ger, 150 bis 180 Bücher: „Er schrieb als einer der Besten unserer<br />
Zeit.” Warum aber wurde er dann nicht als Schriftsteller<br />
bekannt? Das habe an Janssen selbst gelegen, der immer „auf<br />
unverschämte Art” darauf bestanden habe, Recht zu haben.<br />
„Er hat die maßgeblichen Leute so schlecht behandelt, dass die<br />
sich verzogen”, so Böttger.<br />
Seine allergrößte Begabung allerdings habe an noch anderer<br />
Stelle gelegen. „Sein Eigentliches war das Reden.” Folgerichtig<br />
gibt es auch viele CDs von dem Künstler, der stets sein Gegenüber<br />
in Grund und Boden zu reden vermochte, der aber auch<br />
mitunter handgreiflich wurde. Auch gegenüber seinen Frauen.<br />
Dreimal war Horst Janssen verheiratet, vier Kinder wurden geboren.<br />
Dennoch meinte Böttger versöhnlich: „Es ist übertrieben<br />
zu sagen, dass er nur eine Katastrophe war. Er war auch<br />
unglaublich großzügig.” So habe Janssen manchem verdutzen<br />
Besucher Werke als Geschenk aufgedrängt. Der Beschenkte<br />
zog glücklich ab – allerdings konnte es auch passieren, dass<br />
Janssen kurz darauf das Geschenkte wieder zurückforderte.<br />
Die vielen Katastrophen in Janssens Leben – Beispiele: einmal<br />
stürzte er mitsamt dem Balkon seines Hauses in die Tiefe; als<br />
Folge einer Säureverätzung drohte Erblindung; er war schwer<br />
krank; die Beziehungen zu Frauen - setzte der Künstler aber<br />
immer und sofort produktiv um. Tete Böttger: „Nach Janssens<br />
Katastrophen-Geschichten sind Ewigkeitswerte entstanden.” In<br />
„Suiten” zu einem Thema entstanden zusammengehörende<br />
Blätter. „Mit seinem Riesen-Werk hat er für sich die Katastrophen<br />
weggearbeitet. Wenn man so eine Geschichte hört, muss<br />
man immer fragen: Was ist daraus entstanden?” Janssen habe<br />
stets gependelt zwischen Untergang und Inspiration, meint der<br />
Göttinger Sammler, der die in <strong>Bad</strong> <strong>Steben</strong> gezeigten Werke als<br />
Leihgabe für die Ausstellung zur Verfügung gestellt hat.<br />
Janssen selbst in seiner Doppel- und Vielgesichtigkeit wollte<br />
<strong>Bad</strong> <strong>Steben</strong><br />
wohl gar nicht anders sein. Das Aggressive war ihm lieber als<br />
das Harmlose: „Die bösen Geister sind meine Hausfreunde. Die<br />
Fremden seid ihr”, zitierte Kunstsammler Böttger den exzentrischen<br />
Künstler.<br />
Ein nicht ganz so katastrophales Beispiel für einen Schaffensschub<br />
zeigt die Ausstellung: Die Froschland-Suite. Die 44 Radierungen<br />
entstanden, nachdem Janssen mit dem Auto einen<br />
Frosch überfahren hatte. Er fühlte sich schuldig am Tod des<br />
Tieres, nahm den Kadaver mit heim und setzte das Erlebte in<br />
die Radierfolge um. Die kleinformatigen Blätter umkreisen thematisch<br />
das Ereignis, sind teils konkret, zeigen die Landschaft<br />
und die Annäherung an das Geschehen bis hin zur<br />
Detailvergrößerung, sind aber auch teils abstrakt.<br />
Janssen hat kaum geschlafen und jeden Tag gearbeitet.<br />
„Würde man all das nebeneinander legen, gäbe es ein phantastisches<br />
Tagebuch” meinte Böttger, um sogleich wieder einzuschränken:<br />
„Das wäre aber eine Arbeit, vor der selbst Sisyphos<br />
zurückschrecken würde.” Nicht nur wegen der unglaublichen<br />
Anzahl an Arbeiten - vor allem, weil Janssen ein absolutes<br />
Chaos hinterließ. „Kein Künstler hat so viel weggegeben,<br />
zerrissen, aus dem Fenster geworfen.” Das Ergebnis: eine „verfluchte<br />
Unordnung”.<br />
Wie viele Janssen-Werke es denn nun tatsächlich gibt, ist daher<br />
unbekannt – aber auf jeden Fall lautet unbekannte Zahl „X<br />
minus eins”, wie einer von Böttger erzählten Anekdote zu entnehmen<br />
ist. Janssen ging in Hamburg, um die Radierkunst zu<br />
erlernen, zu Paul Wunderlich, damals Professor an der Hochschule<br />
für Bildende Künste. Wunderlich fand Janssen „hinreißend”<br />
und brachte ihm alles bei. Einmal aber hat Janssen die<br />
Metallplatte für die Radierung mit Asphaltlack lackiert, die<br />
Zeichnung radiert und dann die Platte ins Säurebad gelegt<br />
zum ätzen. Als er aber nach der entsprechenden Zeit wieder in<br />
die Wanne hineinschaute, war die gesamte Platte weg – zersetzt<br />
von der Säure, da Janssen vergessen hatte, auch die<br />
Rückseite zu lackieren. Diese potentielle Grafik also war verloren.<br />
Daher die Werkszahl „X minus eins”.<br />
Immer und immer wieder schuf Janssen, der Egomane,<br />
Selbstportraits, die auch in dieser Ausstellung in hoher Zahl vertreten<br />
sind. „Janssen – Ego” heißt denn auch der Titel eines<br />
„Zwei Bäume”<br />
Radierung<br />
von 1974<br />
Filmes über Janssen, der während der Dauer der Ausstellung im<br />
Museum jeweils mittwochs um 17 Uhr gezeigt wird. Acht Jahre<br />
lang hat ein Filmemacher Janssen immer wieder begleitet,<br />
beobachtet, sein Tun filmisch festgehalten.<br />
Im Begleitprogramm zur Ausstellung geht es auch um Janssens<br />
Buch „Hinkepott”, in dem er sein eigenes Leben erzählt, reflektiert,<br />
interpretiert – ein sprachgewaltiger Erzähler ist Horst<br />
Janssen, zeigte sich schon bei der Eröffnung der Ausstellung,<br />
als der Schauspieler Peter Kampschulte vom Hofer Theater eine<br />
erste Kostprobe der Lesungen gab. Die Termine der Lesungen<br />
mit Peter Kampschulte:<br />
Sonntag, 29. Januar; Samstag, 18. Februar und<br />
Samstag, 1. April, jeweils um 19 Uhr.<br />
Die Ausstellung im Kurhaus und im Foyer des Klenzebaus,<br />
wo von Janssen gestaltete Plakate gezeigt werden, läuft bis<br />
17. April 2006.<br />
Sabine Gebhardt<br />
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KUNST & KULTUR