32 Zoom Mischung aus Karl Valentin und Bert Brecht. Was hält eigentlich die Schulleitung von seinen musikalischen Rundumschlägen? „Das ist akzeptiert, weil ich den Schülern zeige, dass die Welt nicht hinterm Schulhof aufhört“, erklärt er selbstbewusst. Ob man die Songs in Dinkelscherben versteht, frage ich Percussionist Vitus Aumann. „Sicher nicht alle immer alles, manche wollen gar nicht. Mir hat mal einer gesagt, er müsse in der Arbeit so viel nachdenken, da will er nicht auch noch abends über Liedtexte sinnieren – der Mann ist Kranfahrer in einer Fabrik.“ Mit einer seligen Gelassenheit nehmen die Jungs ihre Mitmenschen hoch und sind dabei selbst wandelnde Zielscheiben, wenn auch vollkommen integrierte. Die Ballkönigin in Dinkelscherben hat viele Schwestern. Vom Deutschen Haus zum Old Man Vor dem Lokal „Dink’s“, in dem Tequila Sunrise am folgenden Tag ihr Abschiedskonzert geben, sitzt Tom Steppich, seinerzeit Roastbeef-Schlagzeuger. Andi holt per Anruf noch den 19jährigen Matthias Gleich aus dem Nebenhaus dazu, der mit Tom Steppich, 3. v.l. der zwölfköpfigen Blechbläserformation Stainless Brass seit zwei Jahren erfolgreich in der Region unterwegs ist. Die Erklärungen der beiden Musiker klingen bekannt: Man findet in Dinkelscherben immer Leute, die mitmachen, und immer ein Publikum. Außerdem sei das Wasser hervorragend, ergänzt Willi lachend - und bestellt sein drittes Bier. Wir kommen auf das „Old Man“ zu sprechen. In der Blütezeit der Landdiskotheken war der Club am Bahnhof eines der drei Zentren des Nachtlebens in der Region. Laut Bürgermeister Kalb sind hier „mehr Ehen zustande gekommen als sonst irgendwo im Landkreis“. Der Clou an der Geschichte: Auf Betreiben des Bürgermeisters steht die Gemeinde kurz davor, den Komplex zu übernehmen, um ein Kulturzentrum einzurichten. Kalb tangiert die Kosten auf rund zwei Millionen Euro, angesichts der auch in Dinkelscherben angespannten Haushaltslage ein ambitioniertes Vorhaben. Die Anfänge? Derweil hat sich Christoph Lang dazugesellt. Der 39jährige, den hier alle Longus nennen, ist vor ein paar Jahren der Liebe wegen in Dinkelscherben gelandet und seit Kurzem Vorsitzender des Heimatvereins. Das bedeutet: Er hat den Schlüssel Museumsleiter Christoph Lang (3.v.l.) Ein Bild von einem Lebenskünstler: „Der Gärtner“ zum Heimatmuseum. Endlich bekommt unsere Theorie historische Unterfütterung! „Natürlich haben wir auch klassisches Inventar“, erklärt Christoph auf dem Weg zum ehemaligen Zehentstadel, „den Dreschflegel und das Spinnrad wollen die Leute einfach sehen.“ Doch das Hauptaugenmerk des sehenswerten Heimatmuseums liegt auf der Künstlerfamilie Scherer aus dem Dinkelscherbener Ortsteil Ettelried, die im 19. Jahrhundert mehrere Maler hervorbrachte. Der bedeutendste unter ihnen, Joseph Scherer (1814-1891), betrieb eine Glasmalerwerkstatt in München und reiste mit dem bayerischen König Otto nach Griechenland, wo er nicht nur seinen Brötchengeber vor der Akropolis zeichnete, sondern auch beeindruckende Porträts der „einfachen Leute“ anfertigte. Da haben wir sie also, die Wurzeln der Kreativität! Und nicht nur das, Christoph weiß auch von einem Zeitgenossen Mozarts zu berichten, der aus Dinkelscherben kam, doch dann muss er auch schon weg – zur Chorprobe. Last Exit Freibad Wir ziehen weiter, vorbei am „Zen- Tempel Bodaisan Shoboji“, der leider keine Spontanbesucher empfängt, zu unserer letzten Station. Das Freibad. Direkt am Waldrand gelegen und bei 30 Grad im Schatten der logische Treffpunkt fürs ganze Dorf. Und damit ist wirklich das ganze Dorf gemeint. Letztes Jahr fand hier das “Fest der Nationen“ statt, um mit den knapp 150 Flüchtlingen zu feiern, die im Kreisjugendheim und in drei Häusern im Ort untergebracht sind. Denn auch das ist Dinkelscherben: die Gemeinde mit den meisten Asylbewerbern im Landkreis. Vor dem Eingang trifft Andi ein Mitglied der Tanzband Rising Sun. Sie besprechen Details zum anstehenden Festival „Dinkel 15“: „Sag mir, welche Musik du willst und ich mach’s mit den Jungs klar.“ Die Wege und Worte sind kurz hier. Die Kassendame lässt uns nach Andis kurzer Erklärung passieren, auf der Wiese treffen wir Michi Kalb und Percussionist Vitus wieder. Neben ihnen sitzt eine Freundin aus Zusmarshausen. Die Nachbargemeinde bildet mit Dinkelscherben ein „Doppelunterzentrum“, wie es so unnachahmlich heißt in der bayerischen Kommunalhierarchie. Die junge Frau bestätigt uns aus erster Hand, dass in Dinkelscherben der Anteil an kreativen Menschen tatsächlich signifikant höher ist als in ihrem Heimatdorf. Warum, das wisse sie allerdings auch nicht. „Ob’s vielleicht am Wasser liegt?“, meint sie mit einem nachdenklichen Blick aufs Schwimmbecken. Wir folgen ihren Augen und nicken. Ja, wahrscheinlich. Andi und die Jungs sind schon vorgegangen zum Kiosk, irgendjemand hat Pommes geholt – und Bier. Wasser trinkt hier kein Mensch. (flo) INFOS zu Willi Spatz unter willibald-spatz.de. Die Geggen Gaggas kann man live erleben am 04.<strong>07</strong>. in der Ballonfabrik mit Supernichts aus Köln. Das Festival „Dinkel 15“ steigt von 23. bis 26.<strong>07</strong>. und präsentiert bei freiem Eintritt neben vielen anderen die Bands Isarrider, Maidenhead und Wunderwelt.
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