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Ulrike Atkins: Vom Trauma zur Trauer

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Gegen 18:00 ruft die siebzehnjährige Schülerin bei der Telefonseelsorge an. Mit leiser, zögernderStimme stellt sie sich vor. Sie erzählt, dass sie gerade alleine zu Hause sei, dann bricht es aus ihrheraus:A: Ja, also. Ich glaube, ich muss mal mit jemanden reden. (Pause)TS: Möchten Sie erzählen, worum es geht?A: (Schweigen)Ja also, …! Also …! Ich weiß nicht, …! Ich …!Die Anruferin beginnt unvermittelt und heftig zu weinen.TS:(Pause) Weinen Sie ruhig. Ich bin hier.Das Weinen wird heftiger. Fast hysterisch.TS:Es ist o.k., dass Sie weinen. Ich bleibe in der Leitung.Nach ca. fünf Minuten fängt die Schülerin an, sich zu beruhigen. Ihr Weinen geht in ein leisesSchluchzen über.Nach einigen weiteren, beruhigenden Kommentaren sagt TS:TS:Ich habe den Eindruck, es ist etwas ganz Schreckliches passiert. – Wollen Sie einmal erzählen?Immer wieder unterbrochen von Schluchzern erzählt die Schülerin von dem traumatischen Ereignis,dass sich am Vormittag ereignet hat.TS hört der Anruferin konzentriert und aktiv zu. Immer wieder kommt es zu Verständnisschwierigkeiten,die TS jedoch „aussitzt“. Das heißt, sie unterbricht die Anruferin nicht. Das heißt auch, obwohl manchesin Jessicas Schilderung unverständlich, bis unbegreiflich bleibt, fragt TS nicht nach, etwa um mehr„Klarheit“ zu bekommen, sondern bemüht sich ausschließlich um einfühlendes Verstehen (Akzeptanzdes Chaos und der Hilflosigkeit). Sie fragt Jessica, ob sie sie duzen darf und wiederholt sehr häufig:Ich stelle mir das ganz furchtbar vor.Ich versuche mir vorzustellen, wie schlimm das für Dich war.Ich bin ganz sprachlos.Zu keiner Zeit macht TS weiterführende Vorschläge, oder bietet verbale Hilfe an. (Etwa: IhrKlassenlehrer wird sicherlich morgen mit Ihnen sprechen. Was wird die Schulleitung zu dem Vorfallsagen? Oder: Vielleicht machen Sie erst mal Pause vom Sanitäterdienst, etc.).Vielmehr ist TS damit beschäftigt, das, was sie wahrgenommen hat und noch wahrnimmt, zu einem„Verstehensmosaik“ zusammenzufügen.So kristallisieren sich während des aktiven Zuhörens zwei Aspekte heraus, die aus ihrer Sicht derzeitnahen Bearbeitung bedürfen: Die Anruferin ist angesichts des plötzlichen Todes schwertraumatisiert. Und: Jessica macht sich schwere Vorwürfe, da ihre Erste-Hilfe-Maßnahmen den Schülernicht retten konnten. TS ahnt, Jessica fühlt sich „schuldlos schuldig“, und werden JessicasSchuldgefühle nicht schnell und adäquat bearbeitet, werden sie zu einer Re-<strong>Trauma</strong>tisierung führen.Im Rahmen ihrer Möglichkeiten beschließt TS daher, konkret Jessicas Möglichkeiten und Grenzen alsSchulsanitäterin anzusprechen – in der Hoffnung, dass mit einer grundsätzlichen Einsicht in die

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