das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Henning Melber<br />
Staat in der Dritten Welt<br />
Zur Analyse von Herrschaft in ländern Mrikas<br />
Vorbemerkung: Während vor allem von Ende der 60er bis Mitte der 70er Jahre eine intensive<br />
Diskussion um die Ableitung und Bestimmung des Staates in den hochentwickelten kapitalistischen<br />
Industriestaaten - insbesondere auch in der Bundesrepublik - geführt wurde, sind der<br />
Staat und die staatstragenden Klassen in der Dritten Welt seit Mitte der 70er Jahre zunehmend<br />
zum Gegenstand von Analysen geworden. In der Bundesrepublik orientierte sich die Behandlung<br />
dieses Themas weitgehend an den Ansprüchen der Herausbildung einer länderübergreifenden<br />
<strong>Theorie</strong> zum »peripheren Staat«. Bislang umfassendster Ausdruck dieser Bemühungen stellt der<br />
Versuch von Evers dar, dessen Bedeutung von Bons im Argument 116 kritisch gewürdigt wurde.<br />
Parallel dazu. aber weitgehend unbeeinflußt, entwickelte sich im englischen Sprachraum seit<br />
Anfang der 70erJahre eine intensive Debatte um Genese, Funktionsbestimmung und Formen von<br />
bürgerlicher Herrschaft in der Dritten Welt, die bezogen auf die Länder Afrikas, <strong>für</strong> den nachfolgenden<br />
Überblick ausgewertet wurde. Die englische Debatte um den post-kolonialen Staat und<br />
seine Herrschaftsträger entwickelte sich dabei - umgekehrt zur Analyse in den bundesrepublikanischen<br />
Ansätzen - nahezu ausnahmslos orientiert an der spezifischen Situation bestimmter Länder<br />
(bevorzugte Bezugspunkte bildeten bisher Tanzania und Kenya). Entsprechend nuancenreich<br />
und vielfältig sind die formulierten Charakteristika der Herrschaftsbedingungen und -funktionen.<br />
Die Verbindung der Resultate dieser Analysen mit den auf allgemeinerer Abstraktionsebene<br />
gewonnenen Aussagen der deutschsprachigen Untersuchungen wurde bislang mit einer<br />
Ausnahme (ztemannlLanzendörjer) nicht in Angriff genommen.<br />
Der vorliegende, eher rezeptiv angelegte Beitrag versucht selbst nicht, dieses Problem zu lösen<br />
und! oder zur Verfeinerung der entwicklungssoziologischen <strong>Theorie</strong>produktion beizutragen. Vielmehr<br />
sollen Grenzen und Möglichkeiten der bisherigen Analysen dargestellt werden. Die Erarbeitllng<br />
eines solchen Überblicks scheint angesichts der Vielfalt an Literatur zu diesem Themenbereich<br />
sinnvoll, um den gegenwärtigen Diskussions- und Erkenntnisstand kritisch diskutieren zu<br />
können. Dies wurde bislang nur unvollständig geleistet (als einer der ersten, recht unbefriedigenden<br />
Versuche im deutschsprachigen Raum kann der Aufsatz von Frank gelten). Hier soll der Versuch<br />
unternommen werden, Differenzen zwischen »metropolitanem« und »peripherem« Staat aufzuzeigen,<br />
sowie die zentrale Rolle der Träger staatlicher Macht im gesellschaftlichen Kontext afrikanischer<br />
Länder zu reflektieren.!<br />
Ausgegangen wird von einer zusammenfassenden Darstellung staatstheoretischer Ableitungen<br />
in den Metropolen (Diskussion des kapitalistischen Staates in der BRD). Im zweiten Teil erfolgt<br />
die Modifikation der Staatstheorie bezogen auf Entwicklungsländer, im dritten Teil werden Rolle<br />
und Funktion des Staates und der staatstragenden Klassen in den Ländern Afrikas dargestellt.<br />
L Genese des bürgerlichen Staates und dessen historisch-konkrete Funktionen<br />
Wie Evers (S. 53ff.) konstatiert, gelten in allen marxistischen Ableitungsversuchen<br />
des bürgerlichen Staates die Warenform und der Äquivalententausch (als die Form, in<br />
der sich die Subjekte der bürgerlichen Gesellschaft aufeinander beziehen) als entscheidende<br />
Konstitutionsbedingungen des bürgerlichen Staates (dazu auch Esser, S. 151).<br />
Dabei kritisiert Esser, daß die marxistische Staatstheorie bislang die Trennung von Politik<br />
und Ökonomie nicht erklärt, sondern jeweils impliziert hätte, indem zwar die funktionale<br />
Notwendigkeit politischer Herrschaft begründet wird, nicht aber ihre notwendige<br />
Form. Esser zufolge müsse diese Politikform jedoch ebenfalls aus der Warenform abgeleitet<br />
werden - als Schaffung einer außerökonomischen Instanz, welche die Bedingungen<br />
der Zirkulation garantiert (also die wechselseitige Anerkennung sich gegenüberstehender<br />
Warenbesitzer sowie die Einhaltung der Gesetze des Äquivalenten-<br />
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DAS ARGUMENT 126/1981 ©