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das argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Möglichkeiten qualitativer Inhaltsanalyse 171<br />

- sei es als »Textanalyse« modo psychoanalytico, die die neurotische Unfreiheit der Individuen,<br />

die Unterdrückung ihrer geschichtlich möglichen Bedürfnisse aufzuarbeiten<br />

hat.<br />

Beidemale erweist sich eine qualitative Inhaltsanalyse als <strong>kritische</strong>s Instrument, <strong>das</strong><br />

an den Widersprüchen im dargebotenen Mitteilungstext ansetzt, <strong>das</strong> im Sich-Einlassen<br />

auf die konkrete W idersprüchlichkeit <strong>das</strong> schlecht Bestehende zu entlarven sucht.<br />

Zwischen diesen beiden <strong>kritische</strong>n Verfahren ist ein Terrain <strong>für</strong> eine dritte Vorgehensweise<br />

auszumachen, die von den beiden anderen abzugrenzen ist: die tiefenhermeneutische<br />

Analyse kultureller Gebilde. Versuchen wir deren Eigenart von einer Beschreibung<br />

ihres Gegenstandes her zu enrwickeln, anhand einer Funktionsbestimmung<br />

kultureller Objektivationen, wie ich sie andernorts ausführlicher vorgelegt habe l -) Ich<br />

greife dabei die eine Funktion heraus, die bei der Literatur zentral steht: Soziale Verhaltensformeln,<br />

»innere« Muster des zwischenmenschlichen Zusammenspiels und der<br />

Auseinandersetzung mit der Realität - Interaktionsformen menschlicher Praxis also -<br />

werden zur Debatte gestellt. Problematische Interaktionsformen werden in Bzldern vorgeführt<br />

und in ihrer lebenspraktischen Konsequenz durchgespielt und damit auf den<br />

lebenspraktisch bestimmenden Ebenen aktualisiert, nämlich<br />

- als »beschriebene« Szenen sinnlich unmittelbarer Lebenswirklichkeit und<br />

- als Bezeichnungen mit dem Ziel, Praxisformeln ins System des bewußten HandeIns,<br />

im System der »Namen« einzubeziehen - denn sozial li zensiertes Handeln verlangt<br />

nach der Einfügung in <strong>das</strong> System der Namen (der sprachsymbolischen Interaktionsformen).<br />

Die bewußten Praxismuster dienen ja nicht bloß als Handlungsanweirungen (als<br />

Anweisungen »planvollen« Handelns), sondern auch als Deutungsmuster der WeIterfahrung.<br />

»Zur Debatte stellen«, <strong>das</strong> sagt noch nichts darüber aus, was mit den problematischen<br />

Praxisformeln - Interaktionsformen - geschieht: sollen sie bestätigt werden,<br />

soll die Übereinstimmung individueller Praxis mit den herrschenden Normen (diesen<br />

»Normen der Herrschenden«) befestigt werden in Inszenierungen mit Befriedigungscharakter<br />

oder soll im Vorfuhren szenischer Figuren den »versteinerten Verhältnissen ihr<br />

Lied vorgespielt werden« I Oder sollen neue Praxismöglichkeiten gegen die ideologische<br />

Verriegelung zur Geltung gebracht werden? Es versteht sich, daß die Trennlinie zwischen<br />

emanzipatorischer und kontraemanzipatorischer Literatur schon in der Alternative<br />

zwischen beschwichtigender und nichtbeschwichtigender Präsentation subjektiver<br />

Praxismuster gezogen ist.<br />

Tiefenhermeneutische Interpretation kultureller Objektivationen hat als <strong>kritische</strong>s<br />

sozialwissenschaftliches Verfahren dieser Alternative im Text nachzugehen und eben<br />

deshalb die Ebene der Sprache als »Zeichensystem«, als Glasperlenspiel von Bedeutungen,<br />

bei denen <strong>das</strong> Bezeichnete vom System der Bezeichnungen bestimmt wird und<br />

»sttukturalistisch« allein interessiert, zu überschreiten. Der lebenspraktisch wichtige »latente<br />

Sinn« unterhalb der Sprachstruktur muß herausgearbeitet werden. Diesen »latenten<br />

Sinn« bilden die »Interaktionsformen« als Sedimente einsozialisierter Praxis, die<br />

- mit Sprache verbunden sein können als symbolische Interaktionsformen, sich also<br />

auch im manifesten Gehalt des Textes ausdrücken können,<br />

- von Sprache abgetrennt sein können, um als desymbolisierte »Klischees« unbewußt<br />

<strong>das</strong> Verhalten zu steuern. wenn sie situativ provoziert werden,<br />

- oder aber einfach Teil der lebenspraktischen Basis mit emotionaler Resonanz sind,<br />

DAS ARGUMENT 126/1981 @

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