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10. juni 2009 - SUR Kultur

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frEmdE odEr frEundE?<br />

Wie soziale Netzwerke Beziehungen verändern<br />

Von Valérie Hammerbacher<br />

Das Schlagwort vom Web 2.0 verheißt Großartiges: Endlich werden<br />

aus Konsumenten Akteure. Sie gestalten die Online-Dienste<br />

für ihre Zwecke. Besonders wirksam zeigt sich dieser Trend in<br />

so genannten Communities, sozialen Zusammenschlüssen von<br />

Gleichgesinnten. Während das Stuttgarter Netzwerk, in dem man<br />

über die Aufzucht von Mops-Welpen diskutiert, erst drei Mitglieder<br />

hat, tauschen sich Luftfahrt-Interessierte auf den Seiten von<br />

str-community.de bereits in hunderten von Beiträgen aus. Am virtuellen<br />

Stammtisch von parkour-stuttgart.de wird in Videos mit der<br />

sportlichen Bezwingung nackter Betonwände geprahlt. Im sanften<br />

Wettbewerb zeigen wiederum Amateure auf fotografie-stuttgart.de,<br />

wie sie die Landeshauptstadt mit ihren Kameras inszenieren. Elektro-<br />

und Informations-Techniker kommen auf der Seite community.<br />

etz-stuttgart.de auf ihre Kosten, während man bei neu-in-stuttgart.<br />

de Freunde findet – unzählige Lauftreffs, Bowling-Gemeinschaften,<br />

Einrad-Fans oder Gothic-Begeisterte laden zum Gespräch über<br />

das Lieblingsthema ein.<br />

Nach Angaben des Marktforschungs-Instituts Comscore steigerte<br />

sich die Nutzung sozialer Online-Netze im Jahr 2008 von 17,4<br />

Prozent auf 24,9 Prozent. Der Zuwachs von 43 Prozent dokumentiert<br />

die Sehnsucht nach sozialer Bindung. Facebook hat weltweit<br />

in knapp fünf Jahren über 175 Millionen Mitglieder versammelt,<br />

davon zwei Millionen Deutsche. Stayfriends besitzt 7,7 Millionen,<br />

und bei den Lokalisten finden sich bereits 2,85 Millionen Mitglie-<br />

der, die eine Plattform mit starkem Lokalbezug und Möglichkeiten<br />

der Kontaktsuche und Offline-Treffen suchen. Das Netzwerk werkennt-wen<br />

ist auf dem besten Weg zum Volksnetzwerk. Doch ist<br />

das soziale Gezwitscher ohne Risiken und Nebenwirkungen?<br />

Man muss nicht das Grundlagenwerk des Kieler Soziologen Ferdinand<br />

Thönnies kennen, um zu wissen, dass unterschiedliche soziale<br />

Situationen verschiedene Rollenmuster erzeugen: Wir verhalten<br />

uns in einer Kirche anders als auf dem Dance-Floor. Ein Gespräch<br />

in einem Krankenhaus erfordert Kommunikations-Rituale, die<br />

während einer Unterhaltung mit Verwandten auf der Familienfeier<br />

unangemessen wären.<br />

Thönnies etablierte seine mittlerweile klassischen Kategorien 1887<br />

in seinem Grundlagenwerk »Gemeinschaft und Gesellschaft«. So<br />

knapp der Titel, so einleuchtend seine Argumentation: Menschen<br />

handeln gemeinschaftlich, weil sie sich als Teil eines Kollektivs<br />

verstehen. Im Gegensatz dazu verbünden sie sich gesellschaftlich,<br />

um für individuelle Zwecke einen starken Zusammenschluss<br />

zu bilden. Ein Gemeinschaftsmodell ist die Familie, ein Gesellschaftskonstrukt<br />

eine Partei. Beide Modelle erzeugen unterschiedliche<br />

Formen der Vertrautheit. Doch bei vielen Mitgliedern der<br />

Online-Community scheinen die Grenzen dieser sozialen Räume<br />

zu verwischen. Begeistert und arglos wird die Intimität durch die<br />

Entblößung des Privatlebens in einer globalen Öffentlichkeit geopfert.<br />

Mit Risiken, die oftmals mit sozialem Stress verbunden sind.<br />

Die orgiastische Party während der Klassenfahrt oder das Gröl-Gelage<br />

vor den Schulferien sind längst vergessen, doch die Bilder der<br />

Ausraster leben im Internet weiter. Jugendliche präsentieren tausende<br />

von peinlichen Fotografien: den Vollrausch mit verdrehten<br />

Augen oder die Spontan-Knutscherei auf der Mädchentoilette. Bilder,<br />

die sie zuhause verschämt verstecken würden, werden einem<br />

Millionen-Publikum präsentiert. Die Entgleisungen verbleiben auf<br />

studivz, meinvz oder wer-kennt-wen, auch wenn der Party-Spaß<br />

längst vorbei ist.<br />

Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für sichere Informationstechnologie<br />

in Darmstadt untersuchte 2008 den Schutz der Privatsphäre<br />

in Online-Netzen. Facebook schnitt hinsichtlich der Verschlüsse-<br />

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