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frEmdE odEr frEundE?<br />
Wie soziale Netzwerke Beziehungen verändern<br />
Von Valérie Hammerbacher<br />
Das Schlagwort vom Web 2.0 verheißt Großartiges: Endlich werden<br />
aus Konsumenten Akteure. Sie gestalten die Online-Dienste<br />
für ihre Zwecke. Besonders wirksam zeigt sich dieser Trend in<br />
so genannten Communities, sozialen Zusammenschlüssen von<br />
Gleichgesinnten. Während das Stuttgarter Netzwerk, in dem man<br />
über die Aufzucht von Mops-Welpen diskutiert, erst drei Mitglieder<br />
hat, tauschen sich Luftfahrt-Interessierte auf den Seiten von<br />
str-community.de bereits in hunderten von Beiträgen aus. Am virtuellen<br />
Stammtisch von parkour-stuttgart.de wird in Videos mit der<br />
sportlichen Bezwingung nackter Betonwände geprahlt. Im sanften<br />
Wettbewerb zeigen wiederum Amateure auf fotografie-stuttgart.de,<br />
wie sie die Landeshauptstadt mit ihren Kameras inszenieren. Elektro-<br />
und Informations-Techniker kommen auf der Seite community.<br />
etz-stuttgart.de auf ihre Kosten, während man bei neu-in-stuttgart.<br />
de Freunde findet – unzählige Lauftreffs, Bowling-Gemeinschaften,<br />
Einrad-Fans oder Gothic-Begeisterte laden zum Gespräch über<br />
das Lieblingsthema ein.<br />
Nach Angaben des Marktforschungs-Instituts Comscore steigerte<br />
sich die Nutzung sozialer Online-Netze im Jahr 2008 von 17,4<br />
Prozent auf 24,9 Prozent. Der Zuwachs von 43 Prozent dokumentiert<br />
die Sehnsucht nach sozialer Bindung. Facebook hat weltweit<br />
in knapp fünf Jahren über 175 Millionen Mitglieder versammelt,<br />
davon zwei Millionen Deutsche. Stayfriends besitzt 7,7 Millionen,<br />
und bei den Lokalisten finden sich bereits 2,85 Millionen Mitglie-<br />
der, die eine Plattform mit starkem Lokalbezug und Möglichkeiten<br />
der Kontaktsuche und Offline-Treffen suchen. Das Netzwerk werkennt-wen<br />
ist auf dem besten Weg zum Volksnetzwerk. Doch ist<br />
das soziale Gezwitscher ohne Risiken und Nebenwirkungen?<br />
Man muss nicht das Grundlagenwerk des Kieler Soziologen Ferdinand<br />
Thönnies kennen, um zu wissen, dass unterschiedliche soziale<br />
Situationen verschiedene Rollenmuster erzeugen: Wir verhalten<br />
uns in einer Kirche anders als auf dem Dance-Floor. Ein Gespräch<br />
in einem Krankenhaus erfordert Kommunikations-Rituale, die<br />
während einer Unterhaltung mit Verwandten auf der Familienfeier<br />
unangemessen wären.<br />
Thönnies etablierte seine mittlerweile klassischen Kategorien 1887<br />
in seinem Grundlagenwerk »Gemeinschaft und Gesellschaft«. So<br />
knapp der Titel, so einleuchtend seine Argumentation: Menschen<br />
handeln gemeinschaftlich, weil sie sich als Teil eines Kollektivs<br />
verstehen. Im Gegensatz dazu verbünden sie sich gesellschaftlich,<br />
um für individuelle Zwecke einen starken Zusammenschluss<br />
zu bilden. Ein Gemeinschaftsmodell ist die Familie, ein Gesellschaftskonstrukt<br />
eine Partei. Beide Modelle erzeugen unterschiedliche<br />
Formen der Vertrautheit. Doch bei vielen Mitgliedern der<br />
Online-Community scheinen die Grenzen dieser sozialen Räume<br />
zu verwischen. Begeistert und arglos wird die Intimität durch die<br />
Entblößung des Privatlebens in einer globalen Öffentlichkeit geopfert.<br />
Mit Risiken, die oftmals mit sozialem Stress verbunden sind.<br />
Die orgiastische Party während der Klassenfahrt oder das Gröl-Gelage<br />
vor den Schulferien sind längst vergessen, doch die Bilder der<br />
Ausraster leben im Internet weiter. Jugendliche präsentieren tausende<br />
von peinlichen Fotografien: den Vollrausch mit verdrehten<br />
Augen oder die Spontan-Knutscherei auf der Mädchentoilette. Bilder,<br />
die sie zuhause verschämt verstecken würden, werden einem<br />
Millionen-Publikum präsentiert. Die Entgleisungen verbleiben auf<br />
studivz, meinvz oder wer-kennt-wen, auch wenn der Party-Spaß<br />
längst vorbei ist.<br />
Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für sichere Informationstechnologie<br />
in Darmstadt untersuchte 2008 den Schutz der Privatsphäre<br />
in Online-Netzen. Facebook schnitt hinsichtlich der Verschlüsse-<br />
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