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lang Arbeit in den Feuersümpfen – eine Kollektivpanikattacke im<br />
Vogelhaus der Wilhelma ist nichts dagegen.<br />
Dann schildert Horace Silver die Dinge nochmal aus seiner Sicht.<br />
Genauso schnell, genauso dicht, auch schräg, mit einer Spielfreude,<br />
die den nicht zuletzt durch ihn in der Szene aufkommenden Begriff<br />
»funky« – ursprünglich ein Wort für den beim Sex entstehenden<br />
Körpergeruch – verständlich werden lässt. Noch ein reichlich unartifizielles,<br />
aber sehr exothermes Schlagzeugsolo vom Bandleader<br />
(evtl. rechtzeitig vorher leiserdrehen!) und man wird nach einem<br />
letzten Kolletivgebläse mit den sanften Klängen von »Lullaby of<br />
Birdland« in die Pause entlassen.<br />
So kann man sich die ganze Nacht im Birdland durchhören, eine<br />
Zeitreise von 54 Jahren machen und den Start einer Band erleben,<br />
die in wechselnden Spitzenbesetzungen bis 1990 bestand. Erwähnenswert<br />
noch, dass es sich um eine sehr gute Aufnahme handelt.<br />
Man hört genau, was passiert und was gespielt wird (zumal auf<br />
den Langspielplatten, die im Internet problemlos und günstig zu<br />
bekommen sind – es muss ja nicht die erste Pressung sein); manchmal<br />
scheint es, als ob der weichgespülte Künstlichklang so mancher<br />
moderneren Produktion nur ein müder Abklatsch davon sei.<br />
Früher war einfach alles besser.<br />
*Das Birdland ist ein berühmtes Jazzlokal in New York<br />
»Mit Musik allein holt man heute niemanden mehr hinterm Ofen<br />
vor, Jens, das weißt Du doch, du musst den Leuten auf allen verfügbaren<br />
Ebenen auf den Sack gehen, damit sie sich irgendwann<br />
mal deinen langweiligen bürgerlichen Scheißnamen merken!«. Mit<br />
diesen Worten wurde Jens Friebe angeblich von seiner Plattenfirma<br />
gedrängt, auf seiner Homepage einen wöchentlichen Blog zu initiieren.<br />
Herausgekommen sind 52 Bestandsaufnahmen von miteinander<br />
vernetzten Wochenenden auf und hinter den Bühnen der Subkultur,<br />
die dann unter dem sachlichen Titel »52 Wochenenden« in<br />
Buchform gegossen wurden. Understatement rules! »52 Wochenenden«<br />
ist ein aus scheinbar lockeren, aber durchdachten, klugen,<br />
unterhaltsamen und keineswegs gekünstelten Worten bestehendes<br />
Portrait einer Gesellschaft, die keine Schubladen braucht, sondern<br />
von aus Bürgersteigen wachsenden Heizpilzen, sich ihre Stammplätze<br />
noch suchenden Möbeln und Spaß habenden Multitaskern<br />
bevölkert ist. Danke, Jens Friebe, für solche genialen Neuschöpfungen<br />
wie »Auracheck«, »Harmonielatte« und »Schicksalskabel«.<br />
Danke für das Rezept zur Sommerbowle »Geile Emma« (ein Glas<br />
Schattenmorellen, je eine Flasche Bitter Lemmon, Sekt und Wodka<br />
über Nacht ziehen lassen und mit Vanilleeis servieren) und das<br />
Spiel »Stopessen« (auf Zuruf müssen Essbewegungen gestoppt<br />
beziehungsweise geloopt werden). Nach der Lektüre hat man das<br />
Gefühl, Bands und Musiker wie Britta, Milch, Nils Frevert, Hans<br />
Narva, Daso Franke und Maximilian Hecker privat zu kennen und<br />
im Hamburger Pudels Club tatsächlich gewesen zu sein. Schön ist<br />
auch die Idee, sich von Linus Volkmann zum weiteren Fortgang<br />
eines Abends eine Gastkolumne schreiben zu lassen. Auch die<br />
kleinen Krakelzeichnungen vom Autor himself sind herzallerliebst.<br />
»52 Wochenenden« liest man an einem Wochenende durch – und<br />
behält wochenlang ein latentes Grinsen im Gesicht. (mak)<br />
Jens Friebe: »52 Wochenenden«, Verlag Kiepenheuer & Witsch,<br />
2007, 188 Seiten, 8.95 €<br />
48 49<br />
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Jens Friebes »52 Wochenenden«