23.11.2012 Aufrufe

10. juni 2009 - SUR Kultur

10. juni 2009 - SUR Kultur

10. juni 2009 - SUR Kultur

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

lang Arbeit in den Feuersümpfen – eine Kollektivpanikattacke im<br />

Vogelhaus der Wilhelma ist nichts dagegen.<br />

Dann schildert Horace Silver die Dinge nochmal aus seiner Sicht.<br />

Genauso schnell, genauso dicht, auch schräg, mit einer Spielfreude,<br />

die den nicht zuletzt durch ihn in der Szene aufkommenden Begriff<br />

»funky« – ursprünglich ein Wort für den beim Sex entstehenden<br />

Körpergeruch – verständlich werden lässt. Noch ein reichlich unartifizielles,<br />

aber sehr exothermes Schlagzeugsolo vom Bandleader<br />

(evtl. rechtzeitig vorher leiserdrehen!) und man wird nach einem<br />

letzten Kolletivgebläse mit den sanften Klängen von »Lullaby of<br />

Birdland« in die Pause entlassen.<br />

So kann man sich die ganze Nacht im Birdland durchhören, eine<br />

Zeitreise von 54 Jahren machen und den Start einer Band erleben,<br />

die in wechselnden Spitzenbesetzungen bis 1990 bestand. Erwähnenswert<br />

noch, dass es sich um eine sehr gute Aufnahme handelt.<br />

Man hört genau, was passiert und was gespielt wird (zumal auf<br />

den Langspielplatten, die im Internet problemlos und günstig zu<br />

bekommen sind – es muss ja nicht die erste Pressung sein); manchmal<br />

scheint es, als ob der weichgespülte Künstlichklang so mancher<br />

moderneren Produktion nur ein müder Abklatsch davon sei.<br />

Früher war einfach alles besser.<br />

*Das Birdland ist ein berühmtes Jazzlokal in New York<br />

»Mit Musik allein holt man heute niemanden mehr hinterm Ofen<br />

vor, Jens, das weißt Du doch, du musst den Leuten auf allen verfügbaren<br />

Ebenen auf den Sack gehen, damit sie sich irgendwann<br />

mal deinen langweiligen bürgerlichen Scheißnamen merken!«. Mit<br />

diesen Worten wurde Jens Friebe angeblich von seiner Plattenfirma<br />

gedrängt, auf seiner Homepage einen wöchentlichen Blog zu initiieren.<br />

Herausgekommen sind 52 Bestandsaufnahmen von miteinander<br />

vernetzten Wochenenden auf und hinter den Bühnen der Subkultur,<br />

die dann unter dem sachlichen Titel »52 Wochenenden« in<br />

Buchform gegossen wurden. Understatement rules! »52 Wochenenden«<br />

ist ein aus scheinbar lockeren, aber durchdachten, klugen,<br />

unterhaltsamen und keineswegs gekünstelten Worten bestehendes<br />

Portrait einer Gesellschaft, die keine Schubladen braucht, sondern<br />

von aus Bürgersteigen wachsenden Heizpilzen, sich ihre Stammplätze<br />

noch suchenden Möbeln und Spaß habenden Multitaskern<br />

bevölkert ist. Danke, Jens Friebe, für solche genialen Neuschöpfungen<br />

wie »Auracheck«, »Harmonielatte« und »Schicksalskabel«.<br />

Danke für das Rezept zur Sommerbowle »Geile Emma« (ein Glas<br />

Schattenmorellen, je eine Flasche Bitter Lemmon, Sekt und Wodka<br />

über Nacht ziehen lassen und mit Vanilleeis servieren) und das<br />

Spiel »Stopessen« (auf Zuruf müssen Essbewegungen gestoppt<br />

beziehungsweise geloopt werden). Nach der Lektüre hat man das<br />

Gefühl, Bands und Musiker wie Britta, Milch, Nils Frevert, Hans<br />

Narva, Daso Franke und Maximilian Hecker privat zu kennen und<br />

im Hamburger Pudels Club tatsächlich gewesen zu sein. Schön ist<br />

auch die Idee, sich von Linus Volkmann zum weiteren Fortgang<br />

eines Abends eine Gastkolumne schreiben zu lassen. Auch die<br />

kleinen Krakelzeichnungen vom Autor himself sind herzallerliebst.<br />

»52 Wochenenden« liest man an einem Wochenende durch – und<br />

behält wochenlang ein latentes Grinsen im Gesicht. (mak)<br />

Jens Friebe: »52 Wochenenden«, Verlag Kiepenheuer & Witsch,<br />

2007, 188 Seiten, 8.95 €<br />

48 49<br />

dIE harmonIElattE hängt tIEf<br />

Jens Friebes »52 Wochenenden«

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!