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C. Nemes /Überlingen am Bodensee: Evolution der Anästhesie in

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<strong>Nemes</strong>: <strong>Evolution</strong> <strong>der</strong> Anästhesie nach 1846<br />

Sir Benj<strong>am</strong><strong>in</strong> Brodie heraus, daß die mit Curare gelähmten Tiere durch künstliche Beatmung<br />

gerettet werden können.<br />

Nach Köllikers Curarestudien reißen die Bemühungen nicht mehr ab die Struktur <strong>der</strong><br />

neuromuskulären Verb<strong>in</strong>dungsstellen zu enträtseln, für <strong>der</strong>en Nachweis sich das Curare als<br />

IdealSubtanz herausstellte. Schon 1860 nahm <strong>der</strong> Leipziger Physiologe Otto Funke die<br />

Existenz e<strong>in</strong>er solchen B<strong>in</strong>dungsstelle <strong>der</strong> motorischen Nervenfasern an, „welcher <strong>in</strong> den<br />

Verlauf <strong>der</strong> Fasern dicht vor ihren letzten Enden...e<strong>in</strong>geschoben ist“. Fast gleichzeitig<br />

arbeitete auch <strong>der</strong> Gött<strong>in</strong>ger Anatom W. Krause Ueber die Endigung <strong>der</strong> Muskelnerven<br />

(1863). Durch Krause (1863) und Ch. Rouget (Montpellier, 1862) wird die Fe<strong>in</strong>struktur <strong>der</strong><br />

von Krause als motorische Endplatte bezeichneten Verb<strong>in</strong>dungsstellen erstmals bildlich<br />

dargestellt.<br />

(*W. Krause 1863: Ueber die Endigung <strong>der</strong> Muskelnerven. Zschr. f. Rationelle Med. XVIII. Band:135-<br />

59)<br />

In ihren Fußstapfen folgten A. v.Bezold ab 1860 <strong>in</strong> Jena und 1886 W. Kühne* <strong>in</strong> Heidelberg.<br />

Bezold wies nach, dass das Gift die Erregbarkeit <strong>der</strong> motorischen Nerven durch das Curare<br />

eher erhöht und sah die funktionelle Verknüpfung zwischen Muskeln und Nerv als Angriffs-<br />

ort <strong>der</strong> Substanz an. Dabei k<strong>am</strong> ihm e<strong>in</strong> Sauerwaldscher Multiplikator als Elektrostimulator<br />

zur Hilfe, mit dem die negative Schwankung des Nervenstroms gemessen wurde!<br />

(* W. Kühne 1886: Über die Wirkung des Pfeilgiftes auf die Nervenstämme. Festschrift des nat.med.<br />

Vere<strong>in</strong>s)<br />

Die Curareforschung warf die Frage nach <strong>der</strong> zentralen Lähmung unter Narkose erneut auf.<br />

Für das Weiterkommen sollte daher die chemische Analyse <strong>der</strong> diversen Curarearten erfolgen<br />

ohne die ke<strong>in</strong>e toxikologischen o<strong>der</strong> kl<strong>in</strong>ischen Experimente denkbar waren. Schon J. B.<br />

Bouss<strong>in</strong>gault, F.D. Roul<strong>in</strong> (1828) und He<strong>in</strong>tz (1847) versuchten das wirks<strong>am</strong>e Pr<strong>in</strong>zip des<br />

Curare durch Extraktion darzustellen (Dör<strong>in</strong>g 1990), dies gelang jedoch erst Rudolf Boehm<br />

(1844-1926), <strong>der</strong> <strong>in</strong> Fortsetzung se<strong>in</strong>er Alkaloidenforschung über Veratr<strong>in</strong>, Acot<strong>in</strong><strong>in</strong> und<br />

Digitalis 1895 erstmals annähernd re<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dungen aus den Tubocurare gewonnenen<br />

Stoffen isolieren konnte und sie als Cur<strong>in</strong> und Tubocurar<strong>in</strong> bezeichnete. Boehms Studien über<br />

Nervengifte übten auf die Pharmakologie um die Jahrhun<strong>der</strong>tswende e<strong>in</strong>en enormen E<strong>in</strong>fluß<br />

aus. Er griff Sobernheims Idee über die zelluläre Speicherung dieser giftigen Alkaloide auf,<br />

<strong>der</strong> Nachweis dieses Vorganges glückte jedoch erst se<strong>in</strong>em Schüler Walther Straub. Boehm<br />

stellte aber d<strong>am</strong>it das Postulat über die receptive substance of the cells, über diese<br />

B<strong>in</strong>dungsstellen noch vor J. N. Langley (1907) auf (Stille 1994):<br />

„So gibt es H<strong>in</strong>weise dafür, dass die Mehrzahl <strong>der</strong> Substanzen bei denen man gewöhnlich annimmt, sie wirkten<br />

auf die Nervenendigungen (wie z.B. Nikot<strong>in</strong>, Curare, Atrop<strong>in</strong>, Pilocarp<strong>in</strong> und Strychn<strong>in</strong>), die rezeptiven Substanzen<br />

<strong>der</strong> Zelle angreifen“.<br />

Bis 1898 befaßte sich Boehm neben diesen quaternären Alkaloiden auch mit dem Calebassen-<br />

und Topfcurare, <strong>der</strong>en wirks<strong>am</strong>e Bestandteile Curar<strong>in</strong> und Protocurar<strong>in</strong> als hochwirks<strong>am</strong>e<br />

Muskelrelaxantien erst im frühen 20. Jahrhun<strong>der</strong>t auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Narkosepraxis e<strong>in</strong>gesetzt<br />

wurden (A. Läwen 1910), ehe die Herstellung des d-Tubocurar<strong>in</strong> H. K<strong>in</strong>g 1935 gelungen<br />

ist*.<br />

(* H. K<strong>in</strong>g 1935: Curare Alkaloids. Part I. Tubocurar<strong>in</strong>e. J. chem. Soc. Part II: 1381-1289)<br />

Es bleibt Boehms Verdienst, für die Zus<strong>am</strong>menarbeit <strong>der</strong> experimentellen Institute mit den<br />

kl<strong>in</strong>ischen Fächern energisch e<strong>in</strong>getreten zu haben. Vermutlich s<strong>in</strong>d auch die ersten<br />

Therapieversuche den Wundstarrkr<strong>am</strong>pf mit Curare zu l<strong>in</strong><strong>der</strong>n (A. Läwen 1906) auf se<strong>in</strong><br />

Anraten erfolgt. Ab 1891 stand das Curarepräparat Tabloid T.M. von Burroughs Wellcome &<br />

Co zur subkutanen Anwendung bereits im Handel zur Verfügung. Schließlich fand J. Pal<br />

1900 an relaxierten und künstlich beatmeten Tieren <strong>in</strong> Physostigm<strong>in</strong> auch e<strong>in</strong> Gegengift <strong>der</strong><br />

Curarealkaloide (Pal 1901).<br />

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