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C. Nemes /Überlingen am Bodensee: Evolution der Anästhesie in

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<strong>Nemes</strong>: <strong>Evolution</strong> <strong>der</strong> Anästhesie nach 1846<br />

In Selbstversuchen, z.B. an <strong>der</strong> Wiener Kl<strong>in</strong>ik von Franz Schuh (an L. Markusowszky) wie im<br />

Tierexperiment versuchte man nun fieberhaft die günstigsten Anwendungsformen (oral,<br />

nasal), die für die Analgesie erfor<strong>der</strong>liche Inhalationsdauer, die Steuerung sowie den bald<br />

evident gewordenen phasenhaften Ablauf <strong>der</strong> Äthernarkosen zu klären. Zunächst wurde wie<br />

<strong>in</strong> Erlangen Äther auch zu Studienzwecken e<strong>in</strong>gesetzt. Die Anzahl <strong>der</strong> operativen E<strong>in</strong>griffe<br />

stieg zunächst sprunghaft an. Diese Entwicklung ist jedoch weniger durch das <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Tagespresse gelesenen geglückten Narkosen <strong>in</strong>teressierte Publikum, durch den Druck <strong>der</strong><br />

öffentlichen Me<strong>in</strong>ung, als vielmehr dadurch zustandegekommen, daß die Vielzahl <strong>der</strong> ersten<br />

Operationen an mittellosen Patienten unentgeltlich durchgeführt wurden (Petermann, 1997).<br />

An armen Leuten, die bisher den Gang zum Spital vermieden und bei denen man nach e<strong>in</strong>em<br />

Zwischenfall die Reputationse<strong>in</strong>buße kaum befürchten mußte (s. Tab.4).<br />

Da <strong>in</strong> den ersten drei Monaten des Jahres 1847 wissenschaftliche Berichte und Werke im<br />

deutschen Sprachraum noch nicht zur Verfügung standen, k<strong>am</strong> dem E<strong>in</strong>fluß <strong>der</strong> politischen<br />

Blätter e<strong>in</strong>e später nie mehr vorstellbare Bedeutung zu. Allen voran die Ausgsburger<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Zeitung, die frei, liberal ges<strong>in</strong>nt war und deshalb sich über e<strong>in</strong>en hohen<br />

Bekanntheitsgrad erfreute. So wurde diese Zeitung das Sprachorgan des Pariser Vere<strong>in</strong>s<br />

Deutscher Ärzte, <strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong> Mitglied <strong>der</strong> Societas Medicorum Germanicorum Parisiensis,<br />

Aloys Mart<strong>in</strong> (1818-1891) zwischen 10. Januar und 19. März 1847 <strong>in</strong>sges<strong>am</strong>t 10<br />

Zeitungsberichte veröffentlicht hatte (Goerig und <strong>Nemes</strong> 1997).<br />

Die Vermittlerrolle Aloys Mart<strong>in</strong>s blieb für die Fachwelt <strong>in</strong> Deutschland vollkommen vergessen, bis spanische<br />

Anästhesisten (Franco, Cortes, Vidal und Rabanal) 1993 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Madri<strong>der</strong> Königlichen Bibliothek e<strong>in</strong>en histori-<br />

schen "Beitrag zur pharmakologischen Geschichte des Aethers" A. Mart<strong>in</strong>s im Repertorium für die Pharmacie<br />

aus dem Jahre 1847 gefunden hatten. Erst danach setzte e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive Suche nach weiteren Arbeiten Mart<strong>in</strong>s<br />

e<strong>in</strong>, vor allem <strong>in</strong> München, wo erst se<strong>in</strong>e Inauguraldissertation Pharmakologie und Pharmakodyn<strong>am</strong>ik des<br />

Aetherismus (4. September 1847) sowie zahlreiche an<strong>der</strong>e Abhandlungen über Chloroform (mit B<strong>in</strong>swanger,<br />

1948) und Cholera gefunden wurden (<strong>Nemes</strong> 1994). Bei dieser Suche nach verschollenen Publikationen wurde<br />

überhaupt die ehemalige Existenz, Schicksal und Verb<strong>in</strong>dung des Pariser Vere<strong>in</strong>s Deutscher Ärzte zu<br />

Leopold<strong>in</strong>a <strong>in</strong> Halle zufällig entdeckt, dessen Tätigkeit d<strong>am</strong>als, 1994, nicht e<strong>in</strong>mal mehr dem Deutschen<br />

Historischen Institut <strong>in</strong> Paris bekannt war (Auskunft von Prof. Paravic<strong>in</strong>i, März 1994). Nachdem aber diese bis<br />

dah<strong>in</strong> unbekannte Fazette deutscher Anästhesie mittlerweile h<strong>in</strong>länglich erforscht und mehrmals ausführlich<br />

historisch gewürdigt wurde (Brandt 1996, Goerig, <strong>Nemes</strong> 1997, Goerig, <strong>Nemes</strong>, Straimer 1997), kann hier auf<br />

weitere Details verzichtet werden. H<strong>in</strong>gegen s<strong>in</strong>d die Nachlässe und Korrespondenz des Pariser Ärztevere<strong>in</strong>s <strong>in</strong><br />

Halle seither me<strong>in</strong>es Wissens noch nicht gesichtet worden.<br />

Aus den Berichten des Deutschen Ärztevere<strong>in</strong>s erfuhr die Fachwelt und das Laienpublikum<br />

von den Narkoseversuchen <strong>der</strong> Pariser Ärzte, für die "<strong>der</strong> Aether das Lösungswort,.. das<br />

Steckenpferd" wurde. Man las hier auch nach, wie die Mitglie<strong>der</strong> dieses Ärztekollegiums,<br />

dem die Bedeutung e<strong>in</strong>er ausländischen Akademie zuk<strong>am</strong>, schon <strong>am</strong> 15. Januar 1847<br />

beschlossen hatten, sich fortan mit <strong>der</strong> Ätherfrage <strong>in</strong>tensiv zu beschäftigen. Die französischen<br />

Experimente s<strong>in</strong>d nämlich erst gelungen, nachdem Charrière und se<strong>in</strong> Meisterschüler Luer<br />

brauchbare, <strong>in</strong> den ersten Jahren auch <strong>in</strong> Deutschland oft verwendete funktionstüchtige<br />

Inhalationsapparate entwickelt hatten. Gerade die kl<strong>in</strong>ischen Demonstrationen und<br />

Forschungen des Pariser Ärztevere<strong>in</strong>s und <strong>der</strong> jetzt geöffnete Brief von Jackson sowie weitere<br />

Berichte und Besuche, darunter auch von Horace Wells im Frühjahr 1847, überzeugten<br />

schließlich auch die Gegner <strong>der</strong> Schmerzausschaltung bei Operationen, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Gedächtnis<br />

die Mahnung A. L. M. Velpeau , s noch gut <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung blieb: "Schmerzen bei Operationen<br />

zu vermeiden ist e<strong>in</strong>e Schimäre, die man heute nicht mehr verfolgen darf"(Brandt et al. 1996).<br />

H<strong>in</strong>gegen konnten die überall angestellten Versuche mit dem Schwefeläther (Tab. 4) jeden<br />

überzeugen, daß <strong>der</strong> Schmerz nicht mehr <strong>der</strong> "unzertrennliche Gefährte <strong>der</strong> Operation"<br />

bleiben muß.<br />

Nie wie<strong>der</strong> hat sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mediz<strong>in</strong>geschichte e<strong>in</strong>e neue Methode so schnell, <strong>in</strong> Deutschland<br />

weniger als zwei Wochen, verbreitet und e<strong>in</strong>gebürgert wie die Inhalationsanästhesie mit<br />

Schwefeläther und ab Dezember 1847 mit Chloroform (Tab. 3 und Tab. 4).<br />

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