Seite 1-36 (pdf, 5,8 - Trafikantenzeitung
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Pfeifen & Cigarren Journal<br />
Havanna unterscheidet sich von allen<br />
anderen Cigarren. In die Kiste gepackt,<br />
arbeitet er, lebt er weiter. Er braucht jedoch<br />
besondere Pflege. Er ist unter den<br />
Tabakerzeugnissen ein großer Herr und<br />
will seinem Rang gemäß behandelt<br />
werden.<br />
In der Schweiz richtete ich gleich nach<br />
meiner Ankunft die ersten Klimakeller<br />
ein, und dann stürzte ich mich zur grossen<br />
Beunruhigung meiner Familie, die<br />
mit dem Orienttabak nie soviel Scherereien<br />
gehabt hatte, in mein Abenteuer.<br />
Ich habe es nie bereut.<br />
Ich habe viele Große dieser Welt bei<br />
mir empfangen, tagtäglich aber auch<br />
namenlose Cigarrenliebhaber, die mir<br />
die richtige Frage zu stellen wußten:<br />
„Welches sind im Augenblick Ihre<br />
besten Deckblätter?“<br />
Königen, Fürsten und Milliardären<br />
habe ich die Gelegenheit geboten,<br />
schwelgerisch genießend über ihr<br />
Schicksal und das der Welt zu<br />
meditieren. Damen sind in das<br />
Hinterzimmer meines Ladens gekommen,<br />
um den Duft der frisch<br />
eingetroffenen Cigarren zu<br />
atmen, und ich habe Dienern die<br />
Tür weisen müssen, denn ein<br />
rechtschaffener Mann läßt sich<br />
seine Cigarren nicht von einem<br />
Dienstboten holen. Und wenn ich<br />
meine Bestellbücher aufschlage, sehe<br />
ich, daß niemand auf dieser Welt<br />
unter seinen Kunden und seinen<br />
Freunden so viele Könige, Herzöge,<br />
Milliardäre, Abenteurer und Berühmtheiten<br />
– oder Stars – gehabt hat wie ich.<br />
Tiefe Bindungen sind zwischen ihnen<br />
und mir entstanden, denn die Cigarre<br />
bringt die Menschen einander näher.<br />
Auf Kuba sagt man: Wo der Tabak<br />
wächst, kann kein Hass gedeihen.<br />
Reich des schwarzen Tabaks, auch dich<br />
sehe ich in träumerischen Stunden<br />
zwischen Spiralen blauen Rauchs: Bahia,<br />
Alquizar, Candelaria, San Luis Padrón,<br />
Corojo, Atoquia, Pinar del Rio im<br />
Herzen der berühmten Vuelta. Die<br />
Vuelta ... geheiligtes Viereck, ockerrot,<br />
meine Heimat, meine Wahlheimat. Ich<br />
war aus dem Osten gekommen, aus der<br />
Kälte, den Ebenen, über die der<br />
Steppenwind fegt, und dann entdeckte<br />
ich deinen Duft, deine sinnliche Wärme<br />
wie ein junger Mann an einer leidenschaftlichen<br />
Frau entdeckt, daß sie all<br />
das weiß, was ihm noch unbekannt ist.<br />
Wenn ich mir heute daheim in Genf,<br />
in dem Rahmen, den ich mir erwählt<br />
1 trafikantenzeitung 12/2006<br />
habe, eine Cigarre anzünde, habe ich ein<br />
wunderbares Gefühl des Reichtums und<br />
der Fülle, das gleiche Gefühl zweifellos,<br />
das auch alle andern kennen, die sich<br />
eine edle Havanna anzünden, am Abend,<br />
nach einem guten Essen, im Kreise<br />
wahrer Freunde. Kostbare, köstliche<br />
Augenblicke, gewiß auch Augenblicke,<br />
die so flüchtig sind wie der Rauch, der<br />
unter stahlgrauer Asche hervor aufsteigt,<br />
und dennoch unvergesslich.<br />
Stendhal, der italienische „Toscani“<br />
rauchte, schrieb: Wer in seinem Leben<br />
fünf- oder sechsmal vollkommenes Glück<br />
Zino Davidoff:<br />
Die Cigarre bringt die Menschen<br />
einander näher...<br />
empfunden habe, müsse sich als überreich<br />
beschenkt betrachten. Eine edle<br />
Cigarre bringt Sie dieser Empfindung<br />
nahe.<br />
Das ist nicht ganz leicht zu begreifen:<br />
Es steckt in dem Genuß, den die Cigarre<br />
schenkt, etwas Undefinierbares, das mir<br />
heute wie eh und je ein Rätsel ist. Ich<br />
habe viel darüber nachgedacht, und ich<br />
glaube alles erwogen und geprüft zu<br />
haben, die Verheißungen eines kaum<br />
gereiften Blattes wie die einer komplizierten<br />
Mischung. Eine Frage aber<br />
stelle ich mir immer wieder, und ich<br />
werde sie mir wohl noch lange stellen:<br />
Was an der Cigarre ist es, das den Rauchgenuß<br />
verlängert und vertieft, was ist es,<br />
das ihm diesen besonderen Gehalt gibt,<br />
den so viele Männer schätzen? Worin<br />
liegt der Adel, den die Cigarre dem<br />
Tabak, dem leichten Rausch des trockenen<br />
Blattes verleiht?<br />
Wie kann man behaupten und schreiben,<br />
die Cigarre, dieses Ding, habe eine Seele?<br />
Ich habe die Antworten in der Geschichte<br />
gesucht.<br />
Die Geschichte des Tabaks beginnt in<br />
einer Zeit, die sich menschlicher Erinnerung<br />
– und der Neugier des Chronisten<br />
– entzieht. Es scheint, daß die Pflanze vor<br />
langer, langer Zeit in der mexikanischen<br />
Provinz Yucatán auftauchte. Man rauchte<br />
sie schon vor einem Jahrtausend. Wie?<br />
Wir wissen es nicht. In Gestalt der<br />
Cigarre jedoch entdeckten viel später<br />
die Matrosen des Kolumbus den<br />
Tabak.<br />
„Die Indianer“, liest man im<br />
Tagebuch des großen Seefahrers,<br />
„sind nicht anders anzutreffen als<br />
con un tizon en la mano y yerbas<br />
para tomar sus sahumerias que<br />
acostumbran“, das heißt: mit<br />
einem Feuerbrand in der Hand<br />
und Kräutern, um sich zu beräuchern,<br />
wie es ihr Brauch ist.“<br />
In Form der Cigarre breitete sich<br />
danach das indianische Kraut in<br />
Spanien und Portugal aus. Seltsamerweise<br />
überschritt die Cigarre zunächst<br />
jedoch nicht die Grenzen dieser<br />
privilegierten Länder. Sie überließ es<br />
dem Schnupftabak und dem Pfeifentabak,<br />
den neuen exotischen Geschmack<br />
unter den vom Glück weniger begünstigten<br />
Völkern bekannt zu machen, und<br />
mehr als zweihundert Jahre mußte man<br />
noch warten, bis der „Feuerbrand“ der<br />
Indianer, verfeinert und vervollkommnet<br />
zum Puro – dem „Reinen“ – der Spanier<br />
geworden, die Pyrenäen überquerte.<br />
Die Cigarre ist nicht für den nächstbesten<br />
da! Gelehrte haben mir versichert,<br />
daß sie in Yucatán Königen und<br />
Priestern vorbehalten war. Ihr<br />
zauberischer Rauch öffnete einen Privatweg<br />
zu den unsichtbaren Mächten.<br />
Dieser Ansicht ist auch ein heute viel<br />
gelesener Philosoph: Claude Lévi-<br />
Strauss. In seinem Werk „Vom Honig zur<br />
Asche“ weist er nach, daß der Tabak der<br />
Kommunikation mit dem Übernatürlichen<br />
diente.<br />
Fest steht, daß die in Europa einge-