BILD DES SOLDATENreduzierte Dauer des Wehrdienstes.Die militärische Führung warnte jedesMal vor den Folgen verkürzter Ausbildungund zu kurzen Erfahrungs- undÜbungszeiten der GWDL; die politischVerantwortlichen dagegen habensich darüber hinweggesetzt. Seit demWegfall der „Gewissensprüfung“ solltendie Zivilen Ersatzdienst Leistendenbewusst länger dienen und damitdie Ernsthaftigkeit Ihrer Gewissensgründeglaubhaft machen. Auch dieserUnterschied wurde „wegpopularisiert“– ein weiterer Sargnagel für die(stetig abnehmende) Glaubwürdigkeitund Wertschätzung der AllgemeinenWehrpflicht seitens der politisch Verantwortlichen.Die Allgemeine Wehrpflichtim Sinne des Begriffes ist faktischabgeschafft (worden), bestenfallsgibt es eine Allgemeine Dienstpflicht,denn nicht mehr Grundwehrdienstleistendesondern „Zivis“ stellen seiteiniger Zeit die Mehrheit.Auch die Ausgestaltung desWehrdienstes steht nach wie vor inder Kritik. Wenn es die „Organisation“nicht schafft, die den jungenMännern genommene Zeit mit sinnvollerBeschäftigung zu füllen, stattihnen Gammeldienst zuzumuten, verliertder Grundwehrdienst seine Legitimation.Bis zum Wehrbeauftragtendurchgereichte Beschwerden (Eingaben)füllen und sprechen Bände.Sinnlose oder artfremde Tätigkeitenverstoßen gegen die Menschenwürde.Wer zwangsverpflichteten jungenMännern stumpfsinnige Tätigkeitenzumutet oder sie durch „Nichtstun“verelenden lässt, nimmt sie nichternst und sollte von seiner Verantwortungals Vorgesetzter entbundenwerden. Die phantasielose Ausrede:„warum sollen die es besser habenals wir?“ war früher so dumm wie siees heute ist. Am Ende seiner Dienstzeitsollte vielmehr jeder „gediente“Wehrpflichtige folgende Fragen mit„ja“ beantworten können: Erstens:Wurde ich gebraucht? Zweitens: Warmein Dienst sinnvoll? Drittens: Wurdeich anständig behandelt? bzw: Warenmeine Vorgesetzten fair, anständig,vorbildlich, kompetent?Ist es in diesem ZusammenhangWehrpflichtigen zu verdenken, wennsie sich für den scheinbar sinn-vollerenDienst interessieren? Ist es nichtauch eine Gewissensfrage und -entscheidung,wenn sie erwägen, wemoder welchem Sozial- oder Pflegedienstsie die ihnen genommene Zeit„schenken“ oder anders gefragt: Könnenes junge Männer mit ihrem Gewissenvereinbaren, sich ihre Zeitdurch Desorganisation oder Desinteresse(Ausbildungs- und Dienstgestaltung)„totschlagen“ zu lassen?So jung sie auch seien: Zeit ist Leben– Lebenszeit!Die Wertschätzung der jungen,dienstbereiten Männer seitens desDienstherrn zeigt sich nicht nur imUmgang mit ihnen, sondern auch darin,was ihnen zugedacht oder zugemutetwird. Der Wehrbeauftragte hatschon häufig den Zustand der Unterkünftebeklagt. Es wäre einem entwickeltenLand wie der BundesrepublikDeutschland durchaus angemessen,wenigstens Jugendherbergs-Standardin den Mannschafts-Unterkünften sicherzustellen.In diesem Zusammenhangwäre es interessant zu wissen,welchen Ausstattungsstandard dieseinerzeit in Stammheim einsitzendenTerroristen „genossen“ haben.Oder anders gefragt: Wie geht eigentlichder Staat mit denen um, die ihnverteidigen und schützen, und wie mitjenen, die ihn bekämpfen?In Ländern, die sich bereits vonder Wehrpflicht verabschiedet haben,leisten junge Männer keinenPflichtdienst zur Landesverteidigung.Im vereinten Europa herrscht heuteeine bisher kaum beklagte, weil offensichtlichnoch nicht wahrgenommeneUngerechtigkeit.Warum sollen junge Belgier, Franzosenoder Engländer keinen Dienstzur Verteidigung ihrer jeweiligen Nationleisten, während beispielsweisejunge Deutsche „mit Haut undHaar“ ihrem Vaterland einen in ihreLebensgestaltung einschneidendenDienst zu leisten haben? Von 27 EU-Mitgliedstaaten haben bereits 21 dieWehrpflicht ausgesetzt!Meines Erachtens kann die AllgemeineWehrpflicht in Deutschlandheute nur noch im Rahmen einer AllgemeineDienstpflicht überzeugenddargestellt werden. Mit einer solchenwirklich allgemeinen Inpflichtnahmejunger Menschen ließe sich ein effektiverHeimat- und Katastrophenschutzpersonell generieren. Dazuzählen Dienste bei allen Organisationen,die diesem Ziel unmittelbar odermittelbar dienen, wie z.B. Landesverteidigung(gibt es eigentlich noch einentsprechendes militärisches Bedrohungsszenario?),Zivil- und Katastrophenschutz(THW und Feuerwehren),Unfallhilfe auf der Autobahn (z.B. unsäglicheStaus nach Unfällen schnellauflösen), ABC-Abwehr als Umweltpolizei,Landschafts- und Gewässerschutz(Deichbau). Und mit dieserLösung könnte de facto Dienstgerechtigkeithergestellt werden. Heimat-und Umweltschützer und anderenützliche Dienstleister kann eseigentlich nicht genug geben! Mankönnte eine solche „Nationalgarde“für all’ diese Aufgaben organisieren,warum nicht? Es wäre schlicht zu regeln,dass jede(r) Taugliche eine gewisseZeit der <strong>Gemeinschaft</strong> schenktund damit dem Gemeinwohl dient.Die Dienstzeit könnte ebenso derPersönlichkeitsentwicklung wie derberuflichen Orientierung nützen. ImKrisenfalle wäre die „Nationalgarde“(Beispiel USA) eine notwendige undwirksame Ergänzung, die auftragsorientiertaufwachsen und – einsatzbezogenausgebildet – neben die Einsatzkräftegestellt werden könnte;diese ließe sich entsprechend ihrenspeziellen Aufgaben professionalisierenund auf ihre vielfältigen Aufgabenkonzentrieren, was dazu beitragenwürde, die Effizienz im Einsatzzu steigern. Würde die AllgemeineWehrpflicht beibehalten und aufgewertet,so gäbe es also eine zweigeteilteArmee: Einsatzkräfte und Heimatschutztruppen.Letztere wären –sprichwörtlich schnell wie die Feuerwehr– dann eben nicht als minderwertigoder zweitklassig angesehen,was übrigens auch eine Frage desSelbstbewusstseins ist! Und aus dendienstpflichtig rekrutierten Truppenkönnte schließlich auch der Nachwuchsfür die Einsatzkräfte gewonnenwerden. Beides sind gleichermaßenvornehme Aufgaben: Heimatschutzim <strong>Auftrag</strong> des eigenen Volkes oderFriedensmissionen im Ausland imNamen des Völkerrechts. Falls einesolche oder ähnliche Lösung nichtverfolgt wird, sollte die Wehrpflichtkonsequenterweise ausgesetzt werden.Die Abschaffung ist dann eineFrage der Zeit. Ob das aber für unserLand gut wäre? ❏24 AUFTRAG <strong>279</strong> • AUGUST 2010
BILD DES SOLDATENArgumente pro Allgemeine WehrpflichtDiese im Jahr 2000 auf der Bundesmännerkonferenzder KJG(Katholische Junge Gemeinde) inAltenberg in ähnlicher Form vorgetragenenArgumente sind heute genausostichhaltig wie seinerzeit undsollten nicht leichtfertig außer Achtgelassen werden. Gerade die jüngsteDiskussion um die Wehrpflicht zeigteinen merkwürdigen Ansatz: Ist eswahr, dass der Bundesminister derVerteidigung die Wehrform von derKassenlage abhängig macht? Solltenicht vielmehr gründliches Abwägeneine so weitreichende Veränderungbestimmen? Die folgendenelf Argumente mögen einen Beitragzur Nachdenklichkeit und Vor-Sichtleisten, damit „das Kind nicht leichtfertigmit dem Bade ausgeschüttetwird“.AUFTRAG <strong>279</strong> • AUGUST 2010VON HELMUT JERMER1. Die Allgemeine Wehrpflicht, diemit dem Artikel 12a Grundgesetzdemokratisch legitimiertist, macht die Verteidigung desLandes, konkret den Schutz derfreiheitlich verfassten und demokratischangelegten politischenOrdnung des Grundgesetzes, zueiner Angelegenheit aller wehrfähigen(männlichen) Bürger.2. Nur eine wehrhafte Demokratiekann im Kräftespiel der Politikbestehen. Ein Staat mit 80 Mio.Menschen in der Mitte Europassollte, wenn er ernst genommenwerden will, eine respektableArmee unterhalten (so, wiejede Kommune sich eine wirksameFeuerwehr leistet). Dennmilitärische Herausforderungenwird es auch in Zukunft geben.Die Wehrpflicht schafft die optimaleVoraussetzung, genügendwehrfähige junge Männer zu rekrutieren.Neben strukturellenund materiellen Aufwendungenist der Personalumfang ein wesentlicherBeitrag zur Bündnissolidarität.(Burdensharing) Dernationale Beitrag ist Maßstab fürden Einfluss im Bündnis.3. Der Wehrpflichtige leistet mitdem Wehrdienst einen persönlichenBeitrag für das Gemeinwohl.Als besonders intensiveForm der „Inpflichtnahme“durch den Staat stiftet der Wehrdienstnachhaltig Identität mitdem Gemeinwesen. Der Grundwehrdienstist daher ein besondersdeutlicher Beitrag zumGemeinwohl; intensiver als dieSteuerpflicht als finanzielle Abgabeist der Wehrdienst persönlicheHingabe in Form von Zeitund Arbeitskraft.4. Die Wehrpflicht schafft eine Bürgerarmee,die in hohem Maßefür die Integration des Militärsin die staatliche <strong>Gemeinschaft</strong>und in die pluralistische Gesellschaftsorgt. Durch den personellenAustausch, durch das Kommenund Gehen, durch Einberufungund Entlassung, werdendie Bundeswehr im allgemeinenund die Vorgesetzten als derenRepräsentanten im besonderenständig herausgefordert, militärischeVerhaltensweisen mit zivilenLebensstilen in Einklangzu bringen.5. Durch die Wehrpflicht bleibtdie Bundeswehr eine junge Armee,die einen Vergleich mitden „Profis“ aus Freiwilligenstreitkräftennicht zu scheuenbraucht. Die Allgemeine Wehrpflichtmacht die Bundeswehr zueiner intelligenten Armee, zumalsie ihren Nachwuchs nicht imWettbewerb mit der Wirtschaftund aus allen Berufen rekrutierenmuss.6. Der Charakter einer Bürgerarmeeunterscheidet sich von einer„Söldnerarmee“ durch den persönlichenBezug zum Gemeinwesen,zur schutzwürdigen politischenOrdnung. Die spezielle, inder Bundeswehr kultivierte Gehorsamskultursorgt dafür, dasssich militärisches Handeln anden Werten und Normen des GGorientiert: Wehrpflichtige stellenVorgesetzte intensiver als Berufs-und Zeitsoldaten vor dieNotwendigkeit, ihre Befehle einsichtigzu machen: Gehorsamaus Einsicht in die Notwendigkeit!Oder anders: Wehrpflichtigehaben, weil sie nicht freiwilligdienen moralisch betrachteteinen größeren Anspruch, dieNotwendigkeit und Sinnhaftigkeitvon Befehlen zu hinterfragen(Legitimation). Wenn Zeit- oderBerufssoldaten Befehle hinterfragen,werden sie gelegentlichmit dem plumpen „Totschlagargument“konfrontiert: „Sie sindja freiwillig hier! – Sie werdenja bezahlt.“7. Die wehrpflichtigen <strong>Soldaten</strong>bilden einen „Hygienefaktor“in der Bundeswehr. Sie dürfennur zum Heimatschutz undzur Bündnisverteidigung eingesetztwerden. Die politischVerantwortlichen wissen, dassdie Grundwehrdienstleistendennicht für Auslandseinsätze (außerhalbdes Bündnisgebietes)zur Verfügung stehen. Sie schützensomit vor voreiligen und unüberlegtenEinsätzen und sorgenauf diese Weise auch dafür,dass die Bundeswehr nicht zueiner „Allerwelts-Interventionsarmee“mutiert.8. Die Wehrpflicht schafft gute Voraussetzungen,für den Fall einerexistentiellen Bedrohung des eigenenLandes oder des Bündnisgebietesdie Fähigkeit zum Aufwuchsdurch Heranziehen vonReservisten zu organisieren. Ineiner sich entwickelnden Krisensituationkann die Mobilmachungals politisches Mittel eingesetztwerden, um einem möglichenAggressor die Entschlossenheitzu demonstrieren, sichselbst zu behaupten und nichtklein beizugeben (konventionelleEskalationsdominanz / Abschreckung).9. Die Wehrpflicht sorgt dafür, dassdie Rekruten aus allen Bevölkerungs-und Bildungsmilieusherangezogen werden. Das Einberufungssalterund die Tatsache,dass (bisher) nur Männerdienen müssen, macht die Bundeswehrzu einer Art „Hohlspiegel“der Gesellschaft. Die Rek-25