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war dieser erweiterte Kunstbegriff von Beuys die<br />
Erinnerung an eine Idee von Kunst, die in der<br />
Neuzeit dann verlassen worden ist, spezialisiert<br />
worden ist, wie ja auch die Wissenschaften sich<br />
immer weiter spezialisiert haben, und heute sind<br />
wir an einem Punkt, wo wir sagen, wir brauchen<br />
diesen Kunstbegriff wieder. Wir brauchen einen<br />
höheren Begriff von Freiheit, weil der Freiheitsbegriff<br />
ohne den Kunstbegriff ... zerfleddert.<br />
Substanzlos wird. Er landet im Urlaub. Er landet<br />
in der Freizeit. Er landet in irgendwelchen Freiräumen.<br />
Er landet im Privaten. Von der Freiheit<br />
ist nichts mehr übrig geblieben als das Motto:<br />
Ich bin frei und muss mich nach Möglichkeit vor<br />
Euch schützen, deswegen ziehe ich einen Zaun<br />
um mich und mach mein eigenes Häuschen,<br />
das ich dann abschließen kann. Freiheit heißt,<br />
ich kann mich privat ausleben. Das ist eigentlich<br />
im Grunde genommen vom Freiheitsbegriff in<br />
der Gesellschaft übrig geblieben. Übertrieben<br />
gesprochen. Wir stoßen in der Entwicklung<br />
immer mehr an die Grenzen dieses Freiheitsbegriffs.<br />
Die Gesellschaftsform, die sich hier im<br />
Westen etabliert hat, und die vor 20 Jahren mal<br />
den Sieg der Systeme davongetragen hat, der<br />
sogenannte Kapitalismus, der sich ja immer auf<br />
die Freiheit berufen hat, auf das freie Unternehmertum,<br />
auf den freien Konsumenten, ist ein<br />
System, was zweifellos bestimmte Qualitäten<br />
erzeugt hat, aber mittlerweile an einen Punkt<br />
gelandet ist, an dem wir merken, dass wir mit<br />
diesem Freiheitsbegriff nicht mehr weiter kommen.<br />
Irgendwie funktioniert das nicht. Und das<br />
sind ja Dinge, die braucht man gar nicht mehr<br />
zu erzählen, weil sie mittlerweile jeder weiß. Das<br />
pfeifen die Spatzen von den Dächern. Insofern<br />
möchte ich gleich hinzufügen, wenn ich hier heute<br />
einen Vortrag halte, dann dürft Ihr Euch nicht<br />
darüber wundern, dass ich nur Sachen sage, die<br />
Ihr sowieso schon wisst. Ich stehe hier nicht, um<br />
irgendwelche Neuigkeiten zu verkünden, sondern<br />
ich stehe hier, um etwas auszusprechen,<br />
von dem ich glaube, dass es in den Menschen<br />
eine Resonanz erzeugt. Eine Resonanz, die<br />
heißt: Ach. Das weiß ich ja auch. Oh, was der<br />
jetzt sagt, das weiß ich ja auch. Oh, und das<br />
kann man laut sagen? Das ist ja toll. Das heißt,<br />
dass sich etwas entwickelt wie eine Übereinstimmung<br />
und Sie merken, ich rede jetzt schon wie<br />
ein Musiker. Dass etwas entwickelt wird wie ein<br />
sich Wiedererkennen über den Weg der Begriffe.<br />
Dass wir uns also gegenseitig damit stärken,<br />
bestimmte innere Töne, die wir innerlich schon<br />
längst kennen, und auch schon vielleicht aus der<br />
Kindheit mitgebracht haben, dass diese inneren<br />
Töne und Klänge verstärkt werden, dass wir uns<br />
gegenseitig darin unterstützen und sagen: Pass<br />
mal auf. Das, was Du eigentlich schon weißt,<br />
aber in diesem System nicht hervorbringen<br />
kannst, und weswegen Du unter Umständen um<br />
Deinen Arbeitsplatz fürchten musst, wenn Du<br />
es nur laut sagst, diese innere Stimme müssen<br />
wir uns gegenseitig stärken. Das ist meines<br />
Erachtens die vornehmste Aufgabe, die man<br />
überhaupt haben kann, dass man etwas ausspricht,<br />
weil es stimmt, und diese Stimmigkeit<br />
mal ausprobiert. Und dann feststellt: Aha. Sie<br />
kommt auf eine innere Resonanz. Und das hat<br />
nichts damit zu tun, dass Menschen bequatscht<br />
werden sollen oder überzeugt werden sollen von<br />
der eigenen Überzeugung. Das wäre genau das<br />
Gegenteil. Sondern es ist mehr der Versuch,<br />
etwas ins Klingen zu bringen, das wir möglicherweise<br />
momentan noch gar nicht so deutlich<br />
und klar kapiert haben. Und wovon wir uns<br />
möglicherweise noch gar keine genauen Formen<br />
vorstellen können, womit ich jetzt wieder beim<br />
Thema freie <strong>Schule</strong>n bin. Denn die Freie <strong>Schule</strong><br />
ist ja möglicherweise eine Idee, deren Form wir<br />
uns noch gar nicht vorstellen können, von der<br />
wir nur innerlich sagen können, dass sie stimmt!<br />
Sonst nichts.<br />
Und weil wir wissen, dass diese Form stimmt,<br />
machen wir uns gemeinsam auf den Weg,<br />
dieses zu begreifen. Der Begriff ist sozusagen<br />
etwas wie ein Ziel, das wir vielleicht nur gemeinsam<br />
erarbeiten können, weil wir wissen: ja, es<br />
stimmt mit der freien <strong>Schule</strong>. Und keiner soll jetzt<br />
herkommen und uns erzählen, welche Inhalte<br />
diese freie <strong>Schule</strong> hat. Lassen wir diesen Bereich<br />
erst einmal ganz offen. Das ist manchmal ganz<br />
schön schwer zu ertragen – und damit komme<br />
ich jetzt auch noch mal zurück auf den Ausgangspunkt.<br />
Diese linken Studenten damals, die<br />
hatten zwei Sachen, die für sie unter gar keinen<br />
Umständen in Frage kamen. Das erste war<br />
die freie <strong>Schule</strong> – und ich rede hier aus meiner<br />
eigenen Erfahrung. Das Argument war: Nee ...<br />
freie <strong>Schule</strong> können wir uns nicht leisten. Dann<br />
machen die Faschisten doch auch ihre <strong>Schule</strong>.<br />
Also, mit anderen Worten, wir müssen dafür<br />
sorgen, dass unsere Idee von <strong>Schule</strong>, unsere<br />
Idee von Freiheit, unsere Idee von klassenkämpferischer<br />
Form gleichsam bis in die oberste<br />
Spitze des Staates fortgesetzt wird, damit sie<br />
dann für alle glücksbringend ist. Wir sind eine<br />
Kaderpartei, wir wissen ganz genau, wo es lang<br />
geht, die anderen müssen das jetzt erst einmal<br />
von uns lernen, und deswegen müssen sie<br />
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