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uns entweder wählen oder, wenn sie das nicht<br />
tun, müssen wir uns nach Möglichkeit im Sinne<br />
der Menschheit durchsetzen, um sie damit zu<br />
beglücken. Also diese Linken waren gegen das<br />
Prinzip „freie <strong>Schule</strong>“. Die haben uns vorgeworfen:<br />
Hört mal, das ist doch bürgerlicher Liberalismus,<br />
freie <strong>Schule</strong>n. Das sind diese typisch<br />
bürgerlichen Phrasen des Liberalismus, da kann<br />
jeder machen, was er will, und dann werdet Ihr<br />
Euch wundern, dann kommen die Rechten und<br />
die Faschisten oder wer auch immer, die kommen<br />
dann mit ihren <strong>Schule</strong>n und dann - gnade<br />
uns Gott.<br />
Sie waren also dagegen. (Thumbs up!)<br />
Und zwar tief innerlich, aus der Sicherheit<br />
heraus, dass sie für die Freiheit sind. Weil der<br />
Faschismus ja bekanntlich gegen die Freiheit ist.<br />
Also man merkt: an diesem Punkt war es eine<br />
Schwierigkeit, diesen Freiheitsbegriff überhaupt<br />
ins Begreifen zu bringen. Die zweite Sache,<br />
wogegen sie auch waren, das war die direkte<br />
Demokratie. Volksabstimmung. Um Gottes Willen.<br />
Wenn das Volk erstmal was zu sagen hat.<br />
Wir sind doch eine Minderheit. Wir sind eine intellektuelle<br />
Elite und wir werden bloß nicht dafür<br />
sorgen, dass das Volk was zu sagen hat. Denn<br />
dann setzen sich wieder die Faschisten durch.<br />
Das gleiche Argument. Hochinteressant. Und für<br />
uns, die wir aus dem erweiterten Kunstbegriff<br />
argumentiert haben, eine ständige, permanente<br />
Auseinandersetzung, die zunächst einmal gar<br />
nicht weit geführt hat. Weil die Menschen den<br />
Begriff der Freiheit, wie wir ihn vertreten haben,<br />
nicht wirklich mit Inhalt füllen konnten. Sie mussten<br />
erst einmal ihre eigenen subjektiven Vorlieben<br />
und Ideologien ins Spiel bringen. Und das,<br />
was ich hier sage, ist immer noch sehr aktuell.<br />
Sie alle werden bei Unterschriftensammlungen<br />
wahrscheinlich immer noch auf solche Argumente<br />
stoßen, wobei ich auch erfahren habe,<br />
dass die nachgelassen haben. Ich schildere hier<br />
ja eine Diskussion, die mittlerweile schon 30<br />
Jahre zurückliegt, aber Immerhin! Es ist nicht<br />
ganz uninteressant, weil dieses rechts/links-<br />
Schema uns immer noch beherrscht. Das heißt,<br />
das Schema Rechts = Faschismus und reaktionäre<br />
Kräfte. Alte Kräfte aus der dunklen Vergangenheit,<br />
die bis hin zu Blut und Boden kommen.<br />
Und auf der anderen Seite der Ruf nach dem<br />
starken Staat, der dafür sorgt, dass alle beglückt<br />
werden. Es ist noch gar nicht so lange her, dass<br />
in einer Pressemeldung im Zusammenhang mit<br />
dem Schulwesen in einer Umfrage der Be-<br />
völkerung zu lesen war, dass der Großteil der<br />
Bevölkerung für mehr Zentralismus ist. In den<br />
<strong>Schule</strong>n! Ein Symptom ist übrigens das Zentralabitur.<br />
Zentralabitur im Namen der Gerechtigkeit!<br />
Nicht? Aber das Zentralabitur ist nichts anderes<br />
als eine Konsequenz aus dem, was wir sowieso<br />
immer schon hatten, denn irgendwelche Kultusbürokratien,<br />
die wir gewählt haben, haben<br />
gesagt, so muss die <strong>Schule</strong> aussehen. Und<br />
entweder haben die rechten Parteien gesiegt,<br />
oder die Linken haben gesiegt. Und dementsprechend<br />
gab es dann immer unterschiedliche<br />
Schulmodelle, über die man dann mehr oder<br />
weniger abstimmen konnte, oder besser gesagt,<br />
über die man nicht abstimmen konnte, weil ja<br />
diese Parteien nicht nur ihre Schulidee vertraten,<br />
sondern auch noch andere Sachen. Das heißt,<br />
wenn man eine Partei wählt, wählt man nicht<br />
irgendeine Idee, sondern dann wählt man einen<br />
Packen, und damit Leute, die dafür sorgen, dass<br />
ihre Ideen oder Interessen durchgesetzt werden.<br />
Da bin ich schon wieder beim Thema Demokratie.<br />
Sie merken, das geht jetzt hin und her. Wir<br />
stehen ganz genau so gut vor der Frage: „Was<br />
ist eigentlich Demokratie?“ Ich habe jetzt mal<br />
kurz die Frage mit der Freiheit angeschnitten und<br />
andeuten wollen, wie geheimnisvoll sie ist. Und<br />
wie wenig wir eigentlich bei der Freiheitsfrage auf<br />
bereits schon vorgeformte Muster zurückgreifen<br />
können, und wie sehr wir innerlich über unseren<br />
eigenen Schatten springen müssen, um den<br />
Begriff der Freiheit überhaupt denken zu können.<br />
Man muss aushalten können, dass der Gegner<br />
dann auch frei ist. Das ist ein Geheimnis. Etwas<br />
ähnliches gilt aber auch für die Demokratie. Die<br />
Demokratie ist auch so ein Punkt, den man ganz<br />
neu bestimmen muss. Denn unser Staat beruft<br />
sich ja auch auf die Demokratie. Aber siehe da,<br />
er ist gar nicht demokratisch! Und auch das<br />
muss man den Menschen heute kaum noch erzählen.<br />
Vor dreißig Jahren, als wir in Düsseldorf<br />
für die direkte Demokratie auf die Straße gingen,<br />
da haben die Leute zu uns gesagt, was wollt ihr<br />
überhaupt. Geht doch nach drüben. Wir haben<br />
doch die Demokratie. Und nach drüben hieß<br />
im Westen: Wir sollen in die DDR gehen. Der<br />
Demokratiebegriff ist bei uns ziemlich verschlissen.<br />
Damals sind wir auf Widerstände gestoßen,<br />
heute ist es so, wenn man über die direkte<br />
Demokratie redet, dann muss man den meisten<br />
Menschen nicht erklären, dass wir keine Demokratie<br />
haben. Das hat sich schon als eine innere<br />
Überzeugung durchgesetzt. Allerdings, und das<br />
muss man hinzufügen, auf der fatalen Grundlage,<br />
dass man eigentlich nichts Besseres weiß.