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Was ist ein Wert? - Stiftung Zuhören

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Herausgegeben von der Akademie Kinder philosophieren im bbw e. V.und der <strong>Stiftung</strong> Zuhören© Akademie Kinder philosophieren und <strong>Stiftung</strong> ZuhörenAkademie Kinder philosophierenim Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft e.V.Infanteriestraße 880797 München<strong>Stiftung</strong> Zuhörenc/o Bayerischer RundfunkRundfunkplatz 180335 MünchenRedaktion: Katharina Bralo-Zeitler und Judith SchönickeGestaltung: Martin Hasieber Kommunikationsdesign, www.mhkd.deIllustration: Berit Wenkebach1. Auflage 20132


InhaltBegrüßung 5<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> Hörens<strong>Wert</strong>? 6Welche Methodik liegt Hörens<strong>Wert</strong> zugrunde? 8<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> <strong>Wert</strong>? 10Um welche <strong>Wert</strong>e geht es bei Hörens<strong>Wert</strong>? 12Wie findet <strong>ein</strong>e Einrichtung zu gem<strong>ein</strong>samen <strong>Wert</strong>en? 13Wie funktioniert Hörens<strong>Wert</strong> in der Praxis? 17<strong>Was</strong> bewirkt Hörens<strong>Wert</strong>? 24An der Entwicklung von Hörens<strong>Wert</strong> beteiligte Einrichtungen 26Inhalt der beiliegenden Audio-CD 283


<strong>ein</strong>ige ihrer Schüler besuchten. Die Horterzieherin dieser Kinderkam für die Hörens<strong>Wert</strong>-Einheiten <strong>ein</strong>mal pro Woche indie Schule.In dieser Broschüre stellen wir die Ergebnisse des Projekts vor,welche Methodik entwickelt wurde und wie sie in die Praxisumgesetzt werden kann. Außerdem schildern wir die Auswirkungen,die der Einsatz von Hörens<strong>Wert</strong> auf die beteiligtenKinder, aber auch auf die Pädagoginnen hatte.Die Broschüre richtet sich sowohl an Pädagoginnen als auchan Eltern: Für Pädagoginnen, die sich für dieses neue Konzeptzur <strong>Wert</strong>ebildung interessieren und selbst damit arbeitenwollen, machen wir nachvollziehbar, wie Hörens<strong>Wert</strong>-Einheitenvorbereitet und gestaltet werden. Und wir zeigen ihnen,welche Auswirkungen Hörens<strong>Wert</strong> darüber hinaus auf ihrenpädagogischen Alltag haben kann. Eltern, die sich über Hörens<strong>Wert</strong>informieren wollen, bekommen <strong>ein</strong>en Einblick, inwelchen Schritten sich ihre Kinder den <strong>ein</strong>zelnen <strong>Wert</strong>ennähern , welche Hilfsmittel die Erzieherin oder Lehrerin <strong>ein</strong>setzt,und mit welchen Fragen sich ihre Kinder beschäftigen.Hörens<strong>Wert</strong> bietet Pädagoginnen außerdem <strong>ein</strong>en Weg, sichder eigenen <strong>Wert</strong>e bewusst zu werden. Denn auch wer dasThema „<strong>Wert</strong>e“ nicht eigens durch Projekte oder im Unterrichtthematisiert, zeigt den Kindern durch s<strong>ein</strong> Reden undHandeln, welche <strong>Wert</strong>e ihm wichtig sind. Auch <strong>Wert</strong>ekonflikte,die durch Anforderungen des Alltags entstehen, könnenerkannt und Möglichkeiten des Umgangs mit ihnen gefundenwerden.7


Welche Methodik liegt Hörens<strong>Wert</strong>zugrunde?Hörens<strong>Wert</strong> basiert auf <strong>ein</strong>em handlungsorientierten Ansatz:Die Einheiten werden mit Spielen, Übungen und kl<strong>ein</strong>enProjekten gestaltet. Ein weiteres Element sind reflektierendeGespräche. Sie geben den Kindern immer wieder die Möglichkeit,sich darüber klar zu werden, was geschehen <strong>ist</strong>: <strong>Was</strong>haben sie bei den Spielen oder Übungen getan und gefühlt?Sie reflektieren das Erlebte. Damit wird <strong>ein</strong> Mechanismusin Gang gesetzt, der ermöglicht, dass die Kinder letztlich eigeneSchlüsse ziehen und Erkenntnisse in ihnen reifen. EinProzess, der auch als „E-Kette“ bezeichnet wird: Ein Ereigniswird durch die Verarbeitung des Individuums zum Erlebnis,Erlebnisse bündeln sich zu Erfahrungen und aus Erfahrungenwerden Erkenntnisse gezogen 2 .Es sind allerdings nicht nur Spiele und Übungen, die Kindernbei Hörens<strong>Wert</strong> als Ereignisse angeboten werden: Kernelementesind <strong>ein</strong>e weitere Gesprächsform, das philosophischeGespräch, sowie das Zuhören. Philosophische Gesprächeknüpfen ebenso wie reflektierende Gespräche häufig an Erlebnissean, sie dienen aber dazu, dass sich die Kinder tiefergehende Gedanken über <strong>Wert</strong>e machen. Im philosophischenGespräch werden Standpunkte ausgetauscht und Überlegungenangestellt. Das Zuhören bildet dabei die Grundlage.Zuhören als <strong>ein</strong>e bewusste Hinwendung zum Gesprächspartner,dem die gesamte Aufmerksamkeit gilt und den man verstehenmöchte.Indem das philosophische Gespräch und das Zuhören alsMethoden <strong>ein</strong>gesetzt werden, können die Kinder <strong>Wert</strong>e ameigenen Leib erfahren und erleben und auch ihnen gemäßhandeln. Denn wer jemandem zuhört, erwe<strong>ist</strong> diesem GegenüberAchtung und Respekt: Du b<strong>ist</strong> es wert, angehört zuwerden. Wer im philosophischen Gespräch zunächst fremdeGedanken und Standpunkte erfährt, diese dann aber nichtbewertet sondern sachlich hinterfragt und sie sich in derFolge gegebenenfalls sogar selbst zu eigen macht, der lebtund erlebt Toleranz. Wer sicher s<strong>ein</strong> kann, dass er im Rahmen<strong>ein</strong>er Hörens<strong>Wert</strong>-Gruppe merkwürdig ersch<strong>ein</strong>ende Fragen,Unsicherheiten oder auch extreme Positionen äußern kann,ohne verlacht oder an den Pranger gestellt zu werden, dererfährt Vertrauen und kann ehrlich zu den anderen s<strong>ein</strong>. Wergem<strong>ein</strong>sam mit anderen handelt, erfährt Gem<strong>ein</strong>schaft undmanchmal Verzeihen und Versöhnung.Das Zuhören, das philosophische Gespräch und die handlungsorientiertenArbeitsformen sind bei Hörens<strong>Wert</strong> darüberhinaus Hilfsmittel, um sich weitere <strong>Wert</strong>e zu erschließen:Das philosophische Gespräch ermöglicht <strong>ein</strong>e tiefe inhaltlicheAus<strong>ein</strong>andersetzung mit <strong>ein</strong>em <strong>Wert</strong> und das Erkennens<strong>ein</strong>er Dimensionen. Dadurch fällt es leichter, Bezüge zum eigenenLeben herzustellen. So regen z. B. die Fragen „Wie kannman ehrlich s<strong>ein</strong>?“ oder „Wann soll ich nicht ehrlich s<strong>ein</strong>?“dazu an, über sich selbst und s<strong>ein</strong> Verhalten nachzudenken,sich der eigenen Positionen bewusst zu werden und sie evtl.2 nach Werner Michl: Erlebnispädagogik. Ernst-R<strong>ein</strong>hardt Verlag,München, S. 9 ff8


zu hinterfragen. Das Zuhören <strong>ist</strong> dabei der Schlüssel, um vonden Gedanken und M<strong>ein</strong>ungen der anderen zu erfahren. Undschöpferisches, experimentelles oder spielerisches Handelnermöglicht es, Gefühle und Gedanken anders als sprachlichauszudrücken und mitzuteilen. Außerdem kann das dabeiErlebte zu neuen Erkenntnissen führen: Wer versucht, <strong>ein</strong>„gerechtes“ Musikstück zu komponieren, bei dem alle Instrumentegleichberechtigt behandelt werden, wird dem <strong>Wert</strong>„Gerechtigkeit“ <strong>ein</strong>e andere, zusätzliche Bedeutungen geben,als bei <strong>ein</strong>er r<strong>ein</strong> kognitiven Aus<strong>ein</strong>andersetzung.Wenn in Hörens<strong>Wert</strong>-Einheiten das Zuhören, das philosophischesGespräch und das Handeln konsequent als Methoden<strong>ein</strong>gesetzt werden, befördern sie sich zudem gegenseitig:Handeln in Zuhörspielen und bei akustischen Umsetzungenübt das bewusste, konzentrierte Zuhören – <strong>ein</strong>e unerlässlicheVoraussetzung für <strong>ein</strong> philosophisches Gespräch. Imphilosophischen Gespräch entstehen Impulse für akustischeUmsetzungen, in denen die Kinder im Team agieren und ihreGedanken für andere hörbar machen. Das aufmerksame, gem<strong>ein</strong>sameAnhören von Hörstücken kann wiederum selbstAusgangspunkt für <strong>ein</strong> philosophisches Gespräch s<strong>ein</strong>.In den bisherigen Projekten der Akademie Kinder philosophierenund der <strong>Stiftung</strong> Zuhören wurden das philosophischeGespräch und Übungen zur Zuhörförderung als Instrumentegenutzt, die zu Erkenntnissen führen, das Verstehen und dasgelingende Zuhören befördern. Der innovative Ansatz vonHörens<strong>Wert</strong> <strong>ist</strong>, dass das philosophische Gespräch und dieÜbungen zur Zuhörförderung zu <strong>ein</strong>er Methodik kombiniertwurden. Sie wurden weiterentwickelt als Ansatz zur <strong>Wert</strong>ebildung,bei dem die Kindern emotional bedeutsame Erfahrungenmachen, die messbare Auswirkungen auf sie haben.9


<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> <strong>Wert</strong>?<strong>Wert</strong>e sind in aller Munde: Manche beklagen den <strong>Wert</strong>everlust,andere sprechen vom <strong>Wert</strong>ewandel oder <strong>Wert</strong>epluralismusund fast alle fordern, Kinder und Jugendliche brauchen„<strong>Wert</strong>e“. <strong>Was</strong> aber <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> <strong>Wert</strong>?Eine allgem<strong>ein</strong>gültige Definition zu liefern, <strong>ist</strong> unmöglich.Unterschiedliche Wissenschaften (etwa Psychologie, Soziologie,Philosophie, Ökonomie, Politikwissenschaft und Kulturanthropologie)bieten je nach Forschungsgegenstand verschiedeneErklärungen an.Fest steht, dass jeder über <strong>Wert</strong>vorstellungen verfügt. Mantrifft Entscheidungen in Konfliktsituationen, beurteilt Situationendanach, was „wichtig“ und „wertvoll“, „richtig“ und„falsch“ ersch<strong>ein</strong>t oder bewundert Verhaltensweisen anderer.<strong>Wert</strong>e ex<strong>ist</strong>ieren also nicht an sich, sondern sind immer anIndividuen gebunden und zeigen sich durch deren Handelnoder Nicht-Handeln.<strong>Wert</strong>e können definiert werden als Vorstellungen von „wünschenswertenZuständen“, die Menschen mit<strong>ein</strong>ander teilen –sowohl für das eigene Handeln, als auch für das gesellschaftlicheZusammenleben. Um dieses „Wünschenswerte“ zuerreichen, orientiert der Mensch s<strong>ein</strong> Denken und Handelnan <strong>ein</strong>em verinnerlichten <strong>Wert</strong>emaßstab, der sich in verschiedenenBezugssystemen ausbildet, zum Beispiel in Familie,Kita und Schule, Religion. <strong>Wert</strong>e geben Orientierung, Haltund Sicherheit und helfen die wünschenswerten Zustände zuverwirklichen. Normen und Tugenden dagegen, die von <strong>Wert</strong>enabgeleitet werden, sind eher restriktiv. Überall, wo etwasdurch <strong>ein</strong>e rechtliche oder moralische Norm, sei es <strong>ein</strong> Gesetzoder <strong>ein</strong> Gebot, geregelt wird, sind die Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeitendes Einzelnen <strong>ein</strong>geschränkt.Wie aber geben wir <strong>Wert</strong>e an unsere Kinder weiter? <strong>Wert</strong>bindungensind nicht mit Absicht erzeugbar. Menschen fühlensich nicht deshalb an <strong>Wert</strong>e wie Freundschaft, Respekt undGerechtigkeit gebunden, weil ihnen jemand gesagt hat: „Dusollst …!“ Man kann lediglich Bedingungen schaffen, in denensie <strong>Wert</strong>e als etwas Positives erfahren und erleben. Dort, wosie Freundschaft oder Hilfsbereitschaft positiv erleben, könnensie diese Erfahrung als wünschenswerten Zustand, alsoals <strong>Wert</strong>, verinnerlichen.Wenn man davon ausgeht, dass jeder Mensch <strong>Wert</strong>e hat,dass sich diese <strong>Wert</strong>e in s<strong>ein</strong>em Denken und Handeln zeigen,und dass <strong>Wert</strong>e erlebt und erfahren werden müssen, um siezu verinnerlichen, dann kann <strong>Wert</strong>ebildung nicht vom Elternhausan die Kita und Schule oder in Kita und Schule an <strong>ein</strong>eKollegin delegiert werden. Dann findet <strong>Wert</strong>ebildung ständigstatt.10


Wenn <strong>ein</strong> Kind kritisiert wird,lernt es zu verurteilen.Wenn <strong>ein</strong> Kind angef<strong>ein</strong>det wird,lernt es zu kämpfen.Wenn <strong>ein</strong> Kind verspottet wird,lernt es schüchtern zu s<strong>ein</strong>.Wenn <strong>ein</strong> Kind beschämt wird,lernt es sich schuldig zu fühlen.Wenn <strong>ein</strong> Kind verstanden und toleriert wird,lernt es geduldig zu s<strong>ein</strong>.Wenn <strong>ein</strong> Kind ermutigt wird,lernt es sich selbst zu vertrauen.Wenn <strong>ein</strong> Kind gelobt wird,lernt es sich selbst zu schätzen.Wenn <strong>ein</strong> Kind gerecht behandelt wird,lernt es gerecht zu s<strong>ein</strong>.Wenn <strong>ein</strong> Kind geborgen lebt,lernt es zu vertrauen.Wenn <strong>ein</strong> Kind anerkannt wird,lernt es sich selber zu mögen.Wenn <strong>ein</strong> Kind in Freundschaftangenommen wird,lernt es in der Welt Liebe zu finden.Inschrift über <strong>ein</strong>er tibetischen Schule.11


Um welche <strong>Wert</strong>e geht esbei Hörens<strong>Wert</strong>?Jeder Mensch hat s<strong>ein</strong>e persönlichen „Favoriten“, wenn ergefragt wird, welche <strong>Wert</strong>e ihm wichtig sind. Welche <strong>Wert</strong>ebesonders verinnerlicht sind, hängt zudem von der Kulturund Religion ab, in der jemand aufwächst und die ihn geprägthat. Und schließlich ändern sich die Vorstellungen<strong>ein</strong>er Gesellschaft, welchen <strong>Wert</strong>en und Tugenden sie Vorrang<strong>ein</strong>räumt, im Laufe der Geschichte. Die Hörens<strong>Wert</strong>zugrundeliegende Methodik kann im Prinzip auf alle <strong>Wert</strong>eangewandt werden. Wer damit arbeiten möchte, sollte sichzunächst jedoch das Spannungsfeld womöglich mit<strong>ein</strong>anderkonkurrierender <strong>Wert</strong>e bewusst machen. Es <strong>ist</strong> wichtig, sichüber die eigenen <strong>Wert</strong>vorstellungen klar zu werden, überdie der Kolleginnen und der Familien, aus denen die Kinderkommen, sowie die Interessen und Bedürfnisse der Kinder zuberücksichtigen. Erfolgreiche <strong>Wert</strong>ebildung <strong>ist</strong> nur möglich,wenn sie von außen unterstützt wird und nicht auf <strong>ein</strong> paarStunden im kl<strong>ein</strong>en Kreis beschränkt bleibt. Man sollte alsonach „Schnittmengen“ bei den Vorstellungen aller Beteiligtensuchen.Vorgaben der <strong>ein</strong>zelnen Träger. In vielen Schulen haben Lehrkräfte,Schüler und Eltern Schulverfassungen o. Ä. erarbeitetund Konzepte von Kindertages<strong>ein</strong>richtungen geben ebenfallsLeitlinien vor. All diesen <strong>Wert</strong>en und aus ihnen abgeleitetenTugenden und Verpflichtungen sind Pädagoginnen als Staatsbürgerinnen,Beamtinnen oder Angestellte ihrer Bildungs<strong>ein</strong>richtungverpflichtet. Die Auswahl von „Egoismus“ als <strong>Wert</strong>würde sich damit beispielsweise verbieten.Fragen, die Elternsich stellen können:11Welche <strong>Wert</strong>e sind uns für das Zusammenleben alsFamilie wichtig?11Welche <strong>Wert</strong>e sollte m<strong>ein</strong> Kind in Kita und Schuleerfahren?Kollegium,TeamKindStaatPädagogInEinen Rahmen setzen dabei dasGrundgesetz der BundesrepublikDeutschland mits<strong>ein</strong>en GrundrechtenTräger und Staatszielen, dieVerfassungen der Bundesländer,Lehrpläne,Bildungs- und Erziehungspläne,Erklärungen vonElternSpitzenverbänden derfreien Wohlfahrtspflegezu gem<strong>ein</strong>samen Zielen sowieFragen, die Pädagoginnensich stellen können:11Welche <strong>Wert</strong>e sind mir persönlich wichtig?11 Welche <strong>Wert</strong>e möchte ich den Kindern in m<strong>ein</strong>erpädagogischen Arbeit vorleben und vermitteln?11Welche <strong>Wert</strong>e sind in unserem Leitbild verankert?11Welche <strong>Wert</strong>e bestimmen die Arbeit m<strong>ein</strong>er Kolleginnenin unserer Einrichtung?12


Wie findet <strong>ein</strong>e Einrichtung zugem<strong>ein</strong>samen <strong>Wert</strong>en?Erziehung und Bildung setzen Entscheidungen und Erziehungszielevoraus. Ihnen liegt <strong>ein</strong> bestimmtes Menschenbildzugrunde 3 . In der Praxis bedeutet dies, dass zunächst die Vorstellung<strong>ein</strong>es „wünschenswerten Zustandes“ geklärt werdenmuss: Welches Bild vom Kind haben wir in unserer Einrichtung?Wie wird dieses Bild vom Kind in unserer Einrichtunggelebt? Wie soll unser Kindergarten- oder Schulalltag aussehen?Worauf legen wir <strong>Wert</strong> im Umgang mit<strong>ein</strong>ander? Derzweite Schritt besteht darin, diese <strong>Wert</strong>e in konkretes Handelnzu übersetzen und <strong>Wert</strong>e lebendig werden zu lassen:<strong>Was</strong> muss ich tun, damit <strong>ein</strong> Kind s<strong>ein</strong>e Persönlichkeit freientfalten kann? Wie schaffen wir <strong>ein</strong> friedliches Mit<strong>ein</strong>anderund <strong>ein</strong>en ehrlichen Umgang unter<strong>ein</strong>ander? Welche <strong>Wert</strong>eleben wir den Kindern vor, um ihnen <strong>ein</strong> Hin<strong>ein</strong>wachsen indie Gesellschaft zu ermöglichen?Eine Teamsitzung oder Lehrerkonferenz kann dabei helfen,sich zunächst über eigene <strong>Wert</strong>vorstellungen und die der Kolleginnenklar zu werden. So wurden die Pädagogen, die ander Entwicklung von Hörens<strong>Wert</strong> beteiligt waren, z. B. gebeten,die fünf wichtigsten <strong>Wert</strong>e für ihre pädagogische Arbeitzu benennen. Am häufigsten wurde „Toleranz“ genannt, gefolgtvon „Ehrlichkeit“ und „Hilfsbereitschaft“.Erfahrungsgemäß tragen viele Kinder die Themen derHörens<strong>Wert</strong>-Einheiten in ihre Familien. Um auch die Eltern<strong>ein</strong>zubinden und am Projekt teilhaben zu lassen, können diePädagoginnen die Familien durch Elternbriefe und Elternabend<strong>ein</strong>formieren.3 Margit Franz, Hauptsache <strong>Wert</strong>ebildung – Mit Kindern <strong>Wert</strong>e erleben undentwickeln, Don Bosco Medien GmbH, München, S.25Der Elternbrief stellt das Vorhaben vor, <strong>Wert</strong>ebildung durch<strong>ein</strong> neues pädagogisches Konzept zu befördern. Mittels <strong>ein</strong>er– selbstverständlich anonymen – Umfrage unter den Elternkann die Kita oder Schule die Einstellung zu bestimmten<strong>Wert</strong>en erfragen oder darum bitten, <strong>ein</strong>e Rangfolge fürvorgegebene <strong>Wert</strong>e zu erstellen. Auch die Kinder selbstkönnen Umfragen in ihren Familien durchführen und dabeiggf. nach Unterschieden zwischen den Generationenforschen: Wie bewerten Eltern die <strong>Wert</strong>e, die den Großelternwichtig sind?Beispiele für <strong>ein</strong>e Umfrage:11<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> für Sie wichtiger: Ehrlichkeit oderFreundschaft?11Bilden Sie <strong>ein</strong>e Reihenfolge mit den <strong>Wert</strong>en Ehrlichkeit,Freundschaft und Gerechtigkeit. Welcher stehtfür Sie auf Platz <strong>ein</strong>s, zwei und drei?Ein Elternabend kann dann die Ergebnisse der Umfrage vorstellenund in der Diskussion die vorhin erwähnten Schnittmengenidentifizieren. Außerdem sollte er über den konkretenAblauf von Hörens<strong>Wert</strong> informieren.Die Kooperations<strong>ein</strong>richtung am Theodor-Heuss-Platz inMünchen hat zu Beginn des Kindergartenjahres <strong>ein</strong>enElternabend zum Thema <strong>Wert</strong>e veranstaltet. Hierfür habendie Pädagoginnen <strong>ein</strong>en Fragebogen für die Eltern entwickelt,in dem gefragt wurde, welche <strong>Wert</strong>e in ihrer Erziehung <strong>ein</strong>eRolle spielen, welche <strong>Wert</strong>e die Eltern an ihr Kind weitergebenmöchten, welche <strong>Wert</strong>e ihrer M<strong>ein</strong>ung nach die13


Kindertages<strong>ein</strong>richtung „vermitteln“ sollte und welche <strong>Wert</strong>eaus ihrer Sicht derzeit in der Einrichtung gelebt werden. ImAnschluss fand <strong>ein</strong> intensives Gespräch zwischen den Elternund Erzieherinnen statt. Viele der Eltern äußerten sich nachdem Elternabend positiv und m<strong>ein</strong>ten, dass <strong>ein</strong>e Sensibilisierungfür dieses Thema stattgefunden habe.Um den Anspruch <strong>ein</strong>eswertschätzenden Umgangsmit<strong>ein</strong>ander <strong>ein</strong>zulösen,müssen schließlichauch die Kinder selbst <strong>ein</strong>bezogenwerden, wenn sienach <strong>ein</strong>igen Stunden <strong>ein</strong>eVorstellung von den Zielen,Inhalten und Abläufen vonHörens<strong>Wert</strong> bekommenhaben. Die Pädagogin greift Ideen der Kinder auf, macht Vorschlägeoder vertieft <strong>ein</strong> Thema, für das die Kinder währendder Einheit Interesse zeigen. So ging es beispielsweise in<strong>ein</strong>er Hörens<strong>Wert</strong>-Einheit im Kindergarten Berger Spatzennestin Aßling um den <strong>Wert</strong> „Leben“. Nach der ersten Stundestimmten die Kinder darüber ab, wie sie das Thema weitervertiefen wollen und entschieden sich für den Zusammenhangzwischen „Luft“ und „Leben“. In der Folge entstanden„Eine kl<strong>ein</strong>e Schnaufmusik“ (<strong>ein</strong>e Aufnahme mit Atemgeräuschen,Track 4 auf der beiliegenden CD) sowie das Projekt„Grüne Meilen“: Die Kinder versuchten, möglichst oft zu Fußoder mit dem Fahrrad in den Kindergarten zu kommen undnicht mit dem Auto gebracht zu werden.Da das eigene Erleben von <strong>Wert</strong>en <strong>ein</strong>e so wichtige Bedeutungdafür hat, dass Kinder sie in ihr eigenes Handelnübernehmen, müssen <strong>Wert</strong>e aber auch außerhalb der Hörens<strong>Wert</strong>-Stundenvon den Pädagoginnen im alltäglichenUmgang mit<strong>ein</strong>ander und mit den Kindern vorgelebt werden.Die Kinder lernen am Vorbild!„<strong>Wert</strong>e kann man nicht lehren,man kann sie nur vorleben.“Viktor FranklDass es mit Hörens<strong>Wert</strong> geglückt <strong>ist</strong>, auch dazu Anstößezu geben, zeigen die Befragungen der Pädagoginnen für dieEvaluation durch das Staatsinstitut für Frühpädagogik. Vielegaben an, sich nun selbst mehr zurückzunehmen und denKindern besser zuzuhören. Und auch im kollegialen Umgangwurden positive Veränderungen wahrgenommen.„Also bei mir persönlich hat es sich nochmal verändertim Team. Ich rede da oft ganz gerne selber und hörenicht so zu. Da merke ich, da versuch‘ ich jetzt michmehr zurückzunehmen und besser drauf zu hören.“Eine Hörens<strong>Wert</strong>-ErzieherinWelche Auswirkungen Hörens<strong>Wert</strong> unter anderem auf dasSozialverhalten der Kinder hatte, wird im Kapitel „<strong>Was</strong> bewirktHörens<strong>Wert</strong>“ <strong>ein</strong>gehend beschrieben.14


Die drei Schritte <strong>ein</strong>er Hörens<strong>Wert</strong>-Einheit16


Wie funktioniert Hörens<strong>Wert</strong> in der Praxis?Hörens<strong>Wert</strong> sollte regelmäßig durchgeführt werden, möglichst<strong>ein</strong>mal pro Woche, damit sich <strong>ein</strong> Gem<strong>ein</strong>schaftsgefühlin der Gruppe entwickeln kann und allen die Abläufe vertrautwerden. Die Dauer <strong>ein</strong>er Hörens<strong>Wert</strong>-Stunde sollte sich danachrichten, wie lange die teilnehmenden Kinder aufmerksamund konzentriert bleiben können. In den Einrichtungen,in denen Hörens<strong>Wert</strong> entwickelt wurde, dauerten die„Stunden“ zwischen 30 und 80 Minuten. Bis <strong>ein</strong>e Einheit über<strong>ein</strong>en <strong>Wert</strong> abgeschlossen war, brauchte es häufig mehrereWochen.Um möglichst anschaulich schildern zu können, wie die amProjekt beteiligten Einrichtungen Hörens<strong>Wert</strong> umgesetzthaben, stellen wir die <strong>ein</strong>zelnen Schritte im Folgendenanhand des <strong>Wert</strong>es „Ehrlichkeit“ vor:Eine Pädagogin, die <strong>ein</strong>en <strong>Wert</strong> zum Thema <strong>ein</strong>er Hörens-<strong>Wert</strong>-Einheit machen will, setzt sich zunächst selbst mit diesem<strong>Wert</strong> aus<strong>ein</strong>ander und macht sich klar, was sie darunterversteht. Hilfreich <strong>ist</strong> dabei auch <strong>ein</strong> Austausch mit Kolleginnen.Mögliche Denkanstöße können folgende Gedanken s<strong>ein</strong>:Ehrlichkeit schützt das menschliche Zusammenleben. Alleszu hinterfragen oder nachzuprüfen, wäre im Alltag gar nichtmachbar. Wir gehen in der Regel erst <strong>ein</strong>mal davon aus, dassder andere ehrlich <strong>ist</strong>, ehrlich handelt. Ehrlichkeit kann fürsoziale Beziehungen aber auch belastend s<strong>ein</strong> – Partnerschaften,Freundschaften, Geschäftsbeziehungen könnenunter „zu viel“ Ehrlichkeit leiden oder gar daran zerbrechen.Oder wer möchte immer wissen, was der andere „ehrlich“über <strong>ein</strong>en denkt und sagt? Nicht ehrlich zu s<strong>ein</strong>, <strong>ist</strong> alsoetwas ganz Normales und kommt in jedem Alter vor. Fachleutegehen außerdem davon aus, dass Kinder erst im Altervon etwa vier Jahren die kognitiven Kompetenzen zur bewusstenLüge entwickeln 4 . Gerade dann <strong>ist</strong> es wichtig, mitKindern über die Motive und die Gründe von Ehrlichkeit zusprechen und Situationen zu schaffen, in denen Ehrlichkeiterlebt werden kann.4 Sabine Walper: Kinderlügen. In: R<strong>ein</strong>hard Fatke (Hg.): Ausdrucksformen desKinderlebens: Phantasie, Spiele, Wünsche, Freundschaft, Lügen, Humor, Staunen.Bad Heilbrunn, Klinkhardt, S. 69–8317


Als Hilfe beim Sortieren der eigenen Gedanken erstellen sichdie Pädagoginnen <strong>ein</strong>e Gedankenkarte. Wie diese aussehenkönnte, zeigt dieses Beispiel:NotlügeIrrtumUnaufrichtigkeitAngabeScherzBetrugGegenteilAdressatenFamilieErzieher/LehrerStaatich selbstFremde<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> das Gegenteil?Wem gegenübermuss ich ehrlich s<strong>ein</strong>?GefahrenVorraussetzungEhrlichkeit FolgenSchonungMuteigene M<strong>ein</strong>ungWarum soll ichnicht ehrlich s<strong>ein</strong>?<strong>Was</strong> brauche ich,um ehrlich zu s<strong>ein</strong>?ArtWie kann ichehrlich s<strong>ein</strong>?andere Begriffesprechenverhaltendenken<strong>Was</strong> bewirktEhrlichkeit?SynonymeWarum sollich ehrlich s<strong>ein</strong>?MotiveEchtheitAufrichtigkeitWahrheitVertrauenAufklärungAnerkennunggutes GewissenVerletzungRegeln, GeboteGewissenpositive ErfahrungenBelohnungDie Hörens<strong>Wert</strong>-Einheit in der Kita oder Schule sollte in <strong>ein</strong>emruhigen und gemütlichen Raum stattfinden, der zudemgenügend Platz bietet, damit sich die Kinder bewegen undim Kreis sitzen können. Jede Stunde sollte mit <strong>ein</strong>em gleichbleibendenRitual beginnen, das mit den Kindern gem<strong>ein</strong>samausgedacht wurde: Sie singen gem<strong>ein</strong>sam <strong>ein</strong> Lied, schenkensich gegenseitig <strong>ein</strong>en Klang, oder massieren ihre Ohren, umgut zuhören zu können. Auf dieses Ritual folgt <strong>ein</strong> Impuls,durch den sie dem <strong>Wert</strong> im Rahmen der Einheit zum erstenMal begegnen:18


Dem <strong>Wert</strong> begegnenDer Einstieg in die Beschäftigung mit <strong>ein</strong>em <strong>Wert</strong> sollte sogestaltet werden, dass er gleichzeitig spielerisch die Zuhörfähigkeitder Kinder stärkt, da das Zuhören <strong>ein</strong> tragendesElement von Hörens<strong>Wert</strong> darstellt.Unter Zuhören verstehen wir das bewusste Hinhören aufetwas – sei es <strong>ein</strong> Geräusch, Musik oder <strong>ein</strong> Mensch, der zuuns spricht. Zuhören setzt voraus, dass man bereit <strong>ist</strong>, zulauschen, aufzunehmen, zu verarbeiten und zu verstehen.Dadurch unterscheidet sich das Zuhören vom Hören, das beiläufig,aber ständig geschieht, auch wenn die Aufmerksamkeitgerade auf etwas anderes gerichtet <strong>ist</strong>.Das Zuhören fällt vielen Kindern anfangs schwer, weil sienicht geübt sind, ihre Aufmerksamkeit und Konzentrationlängere Zeit auf akustische Signale zu richten. Zuhören kannaber gelernt werden und nach <strong>ein</strong>er Zeit nimmt das Zuhörvermögender Kinder merkbar zu.Der Beginn <strong>ein</strong>er Hörens<strong>Wert</strong>-Einheit kann aus <strong>ein</strong>emZuhörspiel bestehen, aus dem Anhören <strong>ein</strong>es Geräuschs,<strong>ein</strong>es Hörrätsels, <strong>ein</strong>es Hörspiels oder selbst produzierterKlänge und Geräusche.Das Spiel bereitete den Kindern viel Freude, in ihrem Empfindenstand aber das Lügen im Mittelpunkt. Indem die Pädagogindanach fragte, was denn das Gegenteil von Lügen sei,kamen die Kinder von selbst auf den Begriff der „Ehrlichkeit“.Sie haben damit den <strong>Wert</strong> selbst benannt und erkannt, derihnen durch den spielerischen Einstieg begegnet war.Hörspiele bieten ebenfalls <strong>ein</strong>e Möglichkeit, sich <strong>ein</strong>em <strong>Wert</strong>langsam anzunähern. In Grundschulklassen wurde währenddes Projekts gerne <strong>ein</strong>e Geschichte vorgespielt, in der <strong>ein</strong>Mädchen <strong>ein</strong>en Rechentest mit der Note 5 zurückbekommt(Track 3 auf der beiliegenden Audio-CD). Sie bittet ihrenZauberbesen, die Note verschwinden zu lassen. Er lässt sichzunächst darauf <strong>ein</strong>, macht die Korrekturen dann aber wiederrückgängig und übt mit ihr stattdessen Rechnen. In dieserGeschichte geht es also um das ehrliche Handeln.So sind die Kinder aus dem Johannes-Kindergartenaus Burghaig dem <strong>Wert</strong> „Ehrlichkeit“ bei folgendemSpiel erstmals begegnet:Die Kinder dürfen sich zwei Aussagen über sich selbstüberlegen: Eine <strong>ist</strong> wahr, die andere soll geschwindelts<strong>ein</strong>. Dann tragen sie ihre beiden Behauptungen derGruppe vor und die anderen raten, was stimmt.19


Den <strong>Wert</strong> kennenlernenDer nächste Schritt bietet den Kindern die Möglichkeit, sichintensiver mit „Ehrlichkeit“ aus<strong>ein</strong>anderzusetzen und dabeizu entdecken, was sie mit ihnen persönlich zu tun hat. Diesgeschieht bei Hörens<strong>Wert</strong> durch <strong>ein</strong> philosophisches Gespräch.Es knüpft zunächst an die Erfahrungen und Erlebnissender Kinder an. Mögliche Impulsfragen der Pädagoginkönnen s<strong>ein</strong>:11Hast du das schon <strong>ein</strong>mal erlebt, dass jemandzu dir unehrlich war?11Wie fühlst du dich, wenn du zu jemandemnicht ehrlich b<strong>ist</strong>?11<strong>Was</strong> denkst du: Sind Erwachsene immer ehrlich?Die Kinder kommen nun mit<strong>ein</strong>ander ins Gespräch: Sie hörenzu, welche Standpunkte die anderen vertreten und vergleichensie mit ihren eigenen Überzeugungen. Sie formulierenund begründen ihre M<strong>ein</strong>ungen, fragen nach, deckenWidersprüche auf und entwickeln gem<strong>ein</strong>sam Gedankenweiter. Ein allgem<strong>ein</strong>gültiges Ergebnis gibt es dabei nicht– Ziel <strong>ist</strong> nicht, richtige Antworten zu erfragen oder zubekommen. Nichts wird als richtig oder falsch bewertet.Vielmehr erfahren die Kinder, dass jede Position ihreBerechtigung hat, wenn sie überzeugend begründet werdenkann.Die Pädagogin fungiert als Moderatorin und begleitet dieKinder bei diesem Erkenntnisprozess, indem sie weiterführendeFragen aufwirft, die dazu dienen, den <strong>Wert</strong> in s<strong>ein</strong>eroben geschilderten Dimension zu erfassen und ihn abzugrenzen.11<strong>Was</strong> <strong>ist</strong> das Gegenteil von Lüge?111 Gibt es <strong>ein</strong>en anderen Begriff von Wahrheit?1 <strong>Was</strong> <strong>ist</strong> denn eigentlich Ehrlichkeit?Kindergartenkinder antworten dann zum Beispiel: „Ehrlich<strong>ist</strong>, wenn man <strong>ein</strong>en Fehler zugibt“ oder: „Ehrlich <strong>ist</strong>, wennman dem anderen s<strong>ein</strong>e M<strong>ein</strong>ung sagt.“Die in der Vorbereitung erstellte Gedankenkarte hilft derPäda gogin im Gespräch, auf den Verlauf zu reagieren undmit weiteren Fragen neue Impulse zu setzen, wie z. B.:11<strong>Was</strong> muss man selbst haben, um ehrlich s<strong>ein</strong> zu können?11Kann man Ehrlichkeit lernen oder <strong>ist</strong> man das <strong>ein</strong>fach?11<strong>Was</strong> wäre denn, wenn immer alle ehrlich wären?11Gibt es <strong>ein</strong>en Unterschied zwischen ehrlichs<strong>ein</strong> und petzen?11Stellt euch vor, euer Freund belügt <strong>ein</strong>en gem<strong>ein</strong>samenFreund von euch beiden. Wie verhältst du dich?„Wenn man ehrlich <strong>ist</strong>, hat man mehrFreunde und wird mehr gemocht.“Ein Hörens<strong>Wert</strong>-Kind aus Kulmbach20


Ein philosophisches Gespräch hat s<strong>ein</strong>e eigenen Regeln:Die Kinder und die Pädagogin sitzen im Kreis. Es gibt <strong>ein</strong>enGegenstand, den dasjenige Kind bekommt, das zuerst sprechendarf. Alle anderen hören zu. Wenn das Kind, das gesprochenhat, fertig <strong>ist</strong>, gibt es den Gegenstand an die Pädagoginzurück. Sie gibt ihn an das nächste Kind weiter und achtetdabei darauf, dass alle zu Wort kommen. Im Projekt wurdemit Bällen, Muscheln und Stäben signalisiert, wer geradeRederecht hatte. Es entsteht <strong>ein</strong>e Gesprächskultur, die dieBedeutung des gegenseitigen Zuhörens unterstreicht. Nach<strong>ein</strong>iger Zeit verinnerlichen die Kinder die Gesprächsregeln.Dann dürfen sie den von ihnen gewählten Gegenstand auchunter<strong>ein</strong>ander weitergeben und übernehmen damit mehrVerantwortung für das Gelingen ihres Gesprächs.„Es <strong>ist</strong> nicht <strong>ein</strong>fach, die Wahrheit zusagen , weil man hat ja dann auch Angst,dass jemand, dem man es sagt, auf <strong>ein</strong>enschreit oder sogar schlägt. Deshalb lügenauch viele Leute.“Ein Hörens<strong>Wert</strong>-Kind aus Augsburg21


Den <strong>Wert</strong> erlebenNach der kognitiven Aus<strong>ein</strong>andersetzung mit dem <strong>Wert</strong> bestehtder dritte wichtige Schritt darin, den Kindern Raumfür kreativen Ausdruck und eigenes Handeln zu geben. Sokönnen sie auch Gedanken ausdrücken, die sie nicht sprachlichfassen konnten oder wollten. Und sie erproben den <strong>Wert</strong>in ihrer Lebenswelt: der Kita oder Schule, zuhause oder beiFreunden.Im Projekt wurde z. B. <strong>ein</strong>e Sprechübung entwickelt, die Gelegenheit gibt, nachzuempfinden,dass sich Ehrlichkeit nicht nur in Wortenausdrückt :Überlegt <strong>ein</strong>e Situation, in der ihr euch entschuldigenmüsst, und sprecht diese Entschuldigung dann aufrichtigund falsch. Als Beispiel dafür, wie unterschiedlichman sprechen kann, hört euch das „HörrätselEhrlichkeit“ (Track 1) auf der CD an, das Kinder derHans-Sauer-Schule in Weiden gemacht haben.In <strong>ein</strong>em Moment der Stille nach dem Kennenlernen des<strong>Wert</strong>s im philosophischen Gespräch können die Kinder dieKinder auch angeregt werden, sich Gedanken zu machen, obder <strong>Wert</strong> „Ehrlichkeit“ in ihrem Leben gerade relevant <strong>ist</strong> undwelche Schlussfolgerungen sie daraus ziehen wollen:11Gibt es jemanden, zu dem ihr in letzter Zeit nicht ehrlichwart? Wollt ihr das ändern?Kinder können auch Geschichten erfinden, in denen sieAspekte des <strong>Wert</strong>s betonen, die für sie besonders wichtigwaren .Die von ihnen erdachten Figuren handeln exemplarisch.Wenn die Geschichten von den Kindern als Hörspiele produziertund aufgenommen werden, stärkt das zugleich ihreZuhör- und Sozialkompetenz: Passende Geräusche müssengefunden und die Texte mit der Stimme bewusst gestaltetwerden. Die Kinder müssen sich auf <strong>ein</strong>en Handlungsverlauf<strong>ein</strong>igen, legen fest, wer welche Rollen in diesem kl<strong>ein</strong>enProjekt übernimmt und übernehmen Verantwortung. ImJohannes-Kindergarten Burghaig erdachten die Kinder dieGeschichte von „Lisa und Franz“. Sie zeigt, dass sie am Endeder Hörens<strong>Wert</strong>-Einheit sehr konkrete Vorstellungen vondem <strong>Wert</strong> „Ehrlichkeit“ hatten. (s. Track 2 auf der beiliegendenAudio-CD)22


Nach dem oben geschilderten Muster – <strong>Wert</strong>en begegnen,<strong>Wert</strong>e kennenlernen, <strong>Wert</strong>e erleben – können sich Pädagoginnen<strong>Wert</strong>e für sich selbst und die Kinder erschließen undfür <strong>ein</strong>e Hörens<strong>Wert</strong>-Einheit begreifbar und erlebbar machen.Die Akademie Kinder philosophieren und die <strong>Stiftung</strong>Zuhören bieten Pädagoginnen außerdem die Möglichkeit, inFortbildungen praktische und technische Fertigkeiten zuerwerben, die sie bei der Gestaltung von Hörens<strong>Wert</strong>-Einheitenunterstützen. Dabei üben sie philosophische Gesprächsführung,lernen geeignete Spiele kennen und produzierenselbst kl<strong>ein</strong>e Hörstücke. Nähere Informationen hierzu findensich auf den Websites der beiden Institutionen.„Ehrlich <strong>ist</strong>, wenn man dem anderens<strong>ein</strong>e M<strong>ein</strong>ung sagt.“Ein Hörens<strong>Wert</strong>-Kind aus Kulmbach23


<strong>Was</strong> bewirkt Hörens<strong>Wert</strong>?Das Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP) hat die Entwicklungs-und Erprobungsphase von Hörens<strong>Wert</strong> evaluiert.In <strong>ein</strong>er begleitenden Studie wurde untersucht,wie sich das Konzept auf die Kinder und die Pädagoginnenauswirkt. An der Erhebung der Daten wirkten auchzwei Studentinnen der Ludwig-Maximilians-UniverstitätMünchen und der Universität Passau mit, die <strong>ein</strong>e Zulassungsarbeitbzw. Bachelorarbeit verfassten. Weil der moralischeEntwicklungsstand von Kindergarten- und Hauptschulkindernschwer zu vergleichen <strong>ist</strong>, beschränkten sichdie Kinderbefragungen auf Kindergartenkinder. In die Erwachseneninterviewswurden dagegen je <strong>ein</strong>e Pädagoginaller beteiligten Kindertages<strong>ein</strong>richtungen bzw. Schulen<strong>ein</strong>bezogen, sofern sie regelmäßig Hörens<strong>Wert</strong> -Einheitendurchgeführt hatten. Im Folgenden <strong>ein</strong>e vom IFP verfassteKurzzusammenfassung der Ergebnisse:Wissenschaftliche Begleitung des Projektes„Hörens<strong>Wert</strong>“, von Claudia WirtsDas Staatsinstitut für Frühpädagogik unterstützt als Partnerim <strong>Wert</strong>ebündnis Bayern und Mitglied des Projektbeirats dasProjekt Hörens<strong>Wert</strong>. In diesem Rahmen wurde vom IFP die wissenschaftlicheBegleitung des Projektes übernommen. ZentralesForschungsinteresse <strong>ist</strong> die Aus<strong>ein</strong>andersetzung der am Projektbeteiligten Kinder mit verschiedenen <strong>Wert</strong>en und die formativeBegleitung des Projektes.Methodisches VorgehenIn Zusammenarbeit mit den durchführenden Institutionen „<strong>Stiftung</strong>Zuhören“ und „Akademie Kinder philosophieren“ wurde<strong>ein</strong> Konzept zur wissenschaftlichen Begleitung entworfen. Dabe<strong>ist</strong>and der Transfer der Projektthemen zum Zuhören und <strong>Wert</strong>ebewussts<strong>ein</strong>der Kinder im Fokus des Forschungsinteresses. Einweiterer Baust<strong>ein</strong> war die Erfassung der Erfahrungen der projektbeteiligtenPädagoginnen.Es wurden mit insgesamt 31 Kindergartenkindern Einzelinterviews,Gruppendiskussionen und <strong>ein</strong> Experiment durchgeführt.Aufgrund der schweren Vergleichbarkeit der moralischen Entwicklungvon Kindergarten- bis Hauptschulalter, beschränktensich die Kinderbefragungen auf Kindergartenkinder im Alter von4,6–7,1 Jahren. Die Studie war als Kontrollgruppenstudie angelegt,wobei projektferne Kinder nach Kriterien, wie Alter, Migrationshintergrund,Stadt/Land gematched wurden. Die Gruppendiskussionenund Einzelinterviews fokussierten die ThemenFreundschaft und Teilen, das Experiment bezog sich auf dasTeilen in <strong>ein</strong>er realen Konfliktsituation.24


Ergänzend wurden auch Interviews mit je <strong>ein</strong>er Pädagogin probeteiligter Einrichtung geführt. Die Erwachseneninterviews bezogensowohl formative Rückmeldungen zur Optimierung desFortbildungskonzeptes Hörens<strong>Wert</strong> als auch die Erfahrungenaus der Umsetzung des Projektes mit den Kindern <strong>ein</strong>.Ergebnisse des ProjektsAuch im Bereich der (philosophischen) Gesprächsführung sehensie bei sich selbst <strong>ein</strong>en Kompetenzzuwachs.Die Veränderungen beim Zuhören der Pädagoginnen und ihrestärkere Offenheit gegenüber kindlichen Ideen kann als möglicheErklärung für die gestiegene Diskussionskompetenz bei denKindern gedeutet werden.Die Studie zeigt deutliche Effekte des Projektes Hörens<strong>Wert</strong>hinsichtlich der kindlichen Diskussionskompetenzen, vor allemhinsichtlich der Fähigkeiten, eigene Ideen im Rahmen der Gruppendiskussionenzu generieren und auszudrücken.Es wurde außerdem <strong>ein</strong> Transfereffekt der besprochenen Inhaltezum Thema Freundschaft auf die Befragungssituation festgestellt,die Hörenswert-Kinder konnten im Einzelinterview spontandeutlich mehr Aspekte von Freundschaft benennen als dieKontrollgruppe.Eindeutige Gruppenunterschiede hinsichtlich qualitativer Aspektedes Freundschafts- und Gerechtigkeitsverständnisses zeigtensich jedoch weder in den Gruppendiskussionen noch in denEinzelinterviews.Die Pädagoginnen beobachteten <strong>ein</strong>en Effekt auf das ZuhörundSozialverhalten der beteiligten Kinder und <strong>ein</strong>en Transferder Projektthemen in die Familien.Bei den Pädagoginnen selbst <strong>ist</strong> insbesondere das Bewussts<strong>ein</strong>für das eigene Zuhören gestiegen und das Methodenrepertoireim Bereich Zuhören reichhaltiger geworden.Das Projekt Hörens<strong>Wert</strong> förderte demnach insbesondere die Gesprächskulturin den beteiligten Gruppen/Klassen und die Kommunikationskompetenzder Pädagoginnen und Kinder.Projekt-VeröffentlichungenWirts, C. (2011). Ergebnisbericht der wissenschaftlichen Begleitungdes Projektes Hörens<strong>Wert</strong>. IFP-Berichtsreihe 17/2011. Onlineverfügbar unter: www.ifp.bayern.de.Qualifikationsarbeiten:Hinz, S. (2011). Wissenschaftliche Begleitung des Projekts Hörens<strong>Wert</strong>– Wissenserwerb und Umgang von <strong>Wert</strong>en bei Kindernam Beispiel des <strong>Wert</strong>es Freundschaft bei Vorschulkindern.Unveröffentlichte Qualifikationsarbeit an der LMU München,Fachbereich Allgem<strong>ein</strong>e Pädagogik/Erziehungs- und Sozialisationsforschung.Hofmann, B. (2011). Förderung des Hörens und Zuhörens imProjekt Hörens<strong>Wert</strong>. Unveröffentlichte Qualifikationsarbeit ander Universität Passau, Fachbereich Didaktik der DeutschenSprache und Literatur.25


An der Entwicklung von Hörens<strong>Wert</strong>beteiligte Einrichtungen11 Kindertagesstätten und Schulen haben an der Entwicklungvon Hörens<strong>Wert</strong> mitgewirkt, indem <strong>ein</strong>e oder mehrerePädagoginnen an den Fortbildungen teilnahmen und in ihrerEinrichtung regelmäßig Hörens<strong>Wert</strong>-Einheiten konzipiertenund durchführten:11Anne-Frank-Volksschule in Großostheim11Drei-Auen-Volksschule in Augsburg11 Gem<strong>ein</strong>dekindergarten Berger Spatzennest in Aßlingin Kooperation mit der Musikschule im ZweckverbandKommunale Bildung, Ebersberg11Hans-Sauer-Schule in Weiden11Hauptschule an der Guardin<strong>ist</strong>raße in München11Johanneskindergarten Burghaig in Kulmbach11Mehrgenerationenhaus Mosaik in Großostheim11Kinderhort St. Kunigund in Erlangen1111St. Dionysius Kindergarten in Weiden1 Kindertagesstätte Theodor-Heuss-Platz in München1 Kooperations<strong>ein</strong>richtung Korbinianplatz in MünchenIn Erinnerung an Elvira Höfner, die mit ihrer ruhigen,freundlichen und besonnenen Art die Zusammenarbeit inunserer Gruppe sehr bereichert und mit ihrer Arbeit undihrem Engagement in ihrer Kita entscheidend zum Gelingenvon Hörens<strong>Wert</strong> beigetragen hat.Danke.26


Die Hörens<strong>Wert</strong>-Pädagogen und die Projektleiterinnen bei der Zertifikatsübergabe zum Abschluss des Fortbildungszyklus.vorne: Anna Neubig, Michaela Anetzberger, Susanne Rätzer, Chr<strong>ist</strong>ina Biller, Diana SchickMitte: Judith Schönicke, Gabriele Steuger, Andrea Stengl<strong>ein</strong>, Martina Reikowski, Lydia Hofmann, Katharina Bralo-Zeitlerhinten: Bernd Meißner, Daniela Eck, Kathrin Nüßl<strong>ein</strong>, Steffi Knöpnadel, Sandra Landgraf, Ingrid Przybilski, Susanne Haupt (jeweils v. l. n. r.)27


Inhalt der beiliegenden Audio-CD1 Hörrätsel EhrlichkeitHans-Sauer-Schule, Weidenzum Inhalt siehe Kapitel „Wie funktioniert Hörens<strong>Wert</strong> in derPraxis?“2 Hörspiel „Lisa und Franz“Johannes-Kindergarten Burghaig, Kulmbachzum Inhalt siehe Kapitel „Wie funktioniert Hörens<strong>Wert</strong> in derPraxis?“5–11 GeräuschrätselKinderhort St. Kunigund, Erlangen, und Anne-Frank-Schule,Großostheim5 Ball prellen6 Lineal schnalzen und vibrieren lassen7 Münze auf <strong>ein</strong>en Holzstuhl fallen lassen8 Seilspringen9 <strong>Was</strong>ser fließt aus <strong>ein</strong>em <strong>Was</strong>serhahn10 Tee <strong>ein</strong>schenken11 Papier von <strong>ein</strong>em Block abreißen und zerknüllen3 Lesung „Die schlechte Note“aus der Reihe „Betthupferl“ des Bayerischen Rundfunkszum Inhalt siehe Kapitel „Wie funktioniert Hörens<strong>Wert</strong> in derPraxis?“„Betthupferl“ sind kl<strong>ein</strong>e Gute-Nacht-Geschichten, die jedenAbend um 19:55 Uhr im Radio auf Bayern 1 und per livestreamausgestrahlt werden. Außerdem gibt es im Podcast-Center des Bayerischen Rundfunks die aktuelle und ältereFolgen zum Nachhören und Herunterladen. Mehr zu den„Betthupferl“ unter www.br-online.de/kinder/radio-tv/betthupferl4 Geräuschkomposition„Eine kl<strong>ein</strong>e Schnaufmusik“, Gem<strong>ein</strong>dekindergarten BergerSpatzennest, Aßlingzum Inhalt siehe Kapitel „Wie findet <strong>ein</strong>e Einrichtung zugem<strong>ein</strong>samen <strong>Wert</strong>en?“28


Begleit-CD zur Broschüre von© Akademie Kinder philosophieren, <strong>Stiftung</strong> Zuhören 2013Alle Urheber und Le<strong>ist</strong>ungsschutzrechte vorbehaltenK<strong>ein</strong> Verleih, k<strong>ein</strong>e unerlaubte Vervielfältigung, Vermietung,Aufführung oder SendungMastering:29

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