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Interview mit Volker Bernius, Initiator der Hörclubs - Stiftung Zuhören

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Was passiert sonst noch in einem Hörclub?Was wir den ganzen Tag so nebenbei machen, nämlich das Hören und Zuhören,wird im Hörclub zur Hauptsache. Ich komme nicht in den Hörclub, um Musik zumachen, zu schreiben o<strong>der</strong> zu reden, son<strong>der</strong>n um zu hören und <strong>mit</strong> dem Hörenetwas anzufangen, und dadurch bekommt das Zuhören eine beson<strong>der</strong>eBedeutung. Das ist, glaube ich, das Entscheidende, was in einem Hörclubpassiert, dass ich merke, welchen Wert das Zuhören haben kann. Ich erfahre,dass mir zugehört wird, und kann das dann auch weitergeben. Das heißt, esentsteht ein achtsamer Umgang <strong>mit</strong>einan<strong>der</strong>. Das geht natürlich nicht von jetzt aufnachher, das kann spielerisch geübt werden, möglichst regelmäßig, weil sich dasZuhören nicht einschalten lässt wie ein Lichtschalter zum Beispiel. In den Hörclubstreffen sich Kin<strong>der</strong> zusammen <strong>mit</strong> dem Hörclubbetreuer (in <strong>der</strong> Regel eineLehrerin o<strong>der</strong> ein Lehrer) üblicherweise einmal in <strong>der</strong> Woche für das Zuhörtraining.In einen Hörclub in <strong>der</strong> Gundschule beispielsweise können alle Kin<strong>der</strong> zwischendem ersten und vierten Schuljahr kommen. Der genaue Ablauf richtet sich je nachOrganisation <strong>der</strong> Schule und <strong>der</strong> Lehrer, die ihre Neigung <strong>mit</strong>einbringen.Wenn wir an den Ursprung zurückgehen: Warum wurden die Hörclubsgegründet?Das Zuhören hat gegenüber dem Sprechen und Reden in unserer Gesellschafteine sehr geringe Bedeutung. Deshalb lag es nahe die Stärken des mehr in denMittelpunkt zu stellen. Das ist, glaube ich, die entscheidende Idee <strong>der</strong> Hörclubs:Dass hier das Hören und Zuhören eine eigene Bedeutung bekommt und dassKin<strong>der</strong> von Anfang an erfahren können, dass Zuhören nicht nur einseitig gefor<strong>der</strong>twird, son<strong>der</strong>n dass man durch Zuhören viel Neues erfahren kann. Die Hörclubideehat <strong>mit</strong> 10 Schulen angefangen, heute haben sich über 2000 Schulen undKin<strong>der</strong>tagesstätten entschlossen, dem Zuhören mehr Raum zu geben durchHörclubs, in denen Kin<strong>der</strong> sich tatsächlich sehr aktiv <strong>mit</strong> dem Hören und Zuhörenbeschäftigen. Man kann also sagen, die Idee ist auf einen fruchtbaren Bodengefallen. Wenn ich heute auf Fortbildungen bin, dann frage ich immer: Wasbedeutet Ihnen das Zuhören selbst? Dann sagen die Lehrerinnen und Lehrersowie die Erzieherinnen und Erzieher <strong>mit</strong>tlerweile: „Ich schenke jemandem Zeit“o<strong>der</strong>: „Es ist wichtig für den Dialog und das Verstehen“. Vor zehn Jahren hieß dasnoch: „Die Kin<strong>der</strong> können einfach nicht mehr zuhören“. Ich stelle einen Wandelfest: Mittlerweile wird immer mehr erkannt: Zuhören ist enorm wichtig, nicht in demSinne, dass Kin<strong>der</strong> gehorsam sind, son<strong>der</strong>n dass sie sich die Welt erschließen.2


Es gibt spezielle Hörclub-Fortbildungen für die pädagogischen Fachkräfte,die sich entschlossen haben, einen Hörclub in ihrer Einrichtung anzubieten.Was machen Sie in dieser Fortbildung?Hier lernen die Lehrer selbst <strong>mit</strong> dem Zuhören aktiv umzugehen. Es bringt janichts, wenn ich zuhöre und mich nur still hinsetze, son<strong>der</strong>n man muss dasZuhören üben und praktisch anwenden. Wenn ich zum Beispiel Musik mache,dann spiele ich ein Instrument, das ist etwas Aktives. Wenn ich <strong>mit</strong> <strong>der</strong> StimmeTöne hervorbringe, dann singe ich. Wenn ich zuhöre, dann mache ich etwas <strong>mit</strong>dem Zuhören. Das heißt, ich stelle etwas her! Ich kann zum Beispiel Aufnahmenmachen <strong>mit</strong> einem Aufnahmegerät und aus den Geräuschen eineGeräuschecollage basteln. O<strong>der</strong> ich kann jemanden interviewen und das <strong>Interview</strong>hinterher bearbeiten. O<strong>der</strong> sie lernen, wie sie so sprechen können, dass Kin<strong>der</strong>sie verstehen können. All das sind kleine Zuhörübungen, das hat <strong>mit</strong> Tun, <strong>mit</strong>Handeln zu tun. Zuhören ist also etwas sehr Aktives! Und das lernen diePädagoginnen und Pädagogen in den Fortbildungen <strong>der</strong> <strong>Stiftung</strong> Zuhören.Möglichst kreativ zu sein, viele spielerische Ideen einzubringen. Zuhören macht jaauch Spaß! Ich bin den pädagogischen Fachkräften sehr dankbar, wenn sie dasZuhören zu ihrer eigenen Sache machen und dann wie<strong>der</strong> als Multiplikatorauftreten.Was verän<strong>der</strong>t sich für ein Kind, das am Hörclub teilnimmt?Je mehr ein Kind hört und je intensiver ein Kind hört, desto stärker zeigen sichAuswirkungen auf viele verschiedene Bereiche: Auf das eigene Sprechen und dasVerstehen von an<strong>der</strong>en, auf das soziale Verhalten, auf die Wahrnehmung <strong>der</strong>Umgebung, auf die Konzentrationsfähigkeit. Manche Kin<strong>der</strong> werden zuhause vonfrüh bis spät <strong>mit</strong> einer Schallkulisse berieselt und können nur wenig differenzierteHörangebote erfahren. Ein Hörclub bringt Kin<strong>der</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Hörwelt in Verbindung –ohne Notendruck. Hier werden Ohren und Gehirn angeregt für Phantasie undKreativität – auch für Entspannung.Sie haben Musikpädagogik studiert. Wenn Sie an die Musik denken, warumist Zuhören eine so unabdingbare Voraussetzung für das Verständnis vonMusik?Es gibt etwas, was ich nur <strong>mit</strong> den Ohren einfangen kann: Musik, Klänge undGeräusche. Ich kann Musik auch aufschreiben, aber dann entsteht nicht so eingroßer Genuss, wie wenn ich das <strong>mit</strong> den Ohren o<strong>der</strong> <strong>mit</strong> dem Gehirnwahrnehme. Das Zuhören ist die Voraussetzung dafür, dass ich Musik3


wahrnehmen kann, dass ich genau hinhöre. Das ist eine sehr spielerischeAktivität, das geht nur über’s Zuhören.Was ist Ihr schönstes Zuhörerlebnis?Ich entdecke gerne die Musik im Alltag, also bei Alltagsklängen o<strong>der</strong>Alltagsgeräuschen. Wenn die Mauersegler aus dem Süden wie<strong>der</strong>zurückkommen, signalisiert mir das immer: Es ist Sommer. Dabei entsteht einmediterranes Gefühl - nur durch dieses Geräusch <strong>der</strong> Mauersegler, die hohensirrenden Schreie. Wir können das hier nur zwischen Mai und August erfahren,also ein saisonales Geräusch.O<strong>der</strong> neulich bin ich <strong>mit</strong> dem TGV gefahren, dem französischenHochgeschwindigkeitszug. Wenn er im Bahnhof hält, dann wird automatisch <strong>der</strong>Motor „ausgelüftet“. Wenn dabei die Lüftungsklappen durch das Motorengeräuschbewegt werden, dann ergibt das einen sehr differenzierten und interessantenRhythmus, aber auch sehr schöne klangliche Verän<strong>der</strong>ungen. Das ist die Musik imAlltag. Das ist etwas, was beson<strong>der</strong>s Spaß machen kann.Das Jubiläum <strong>der</strong> <strong>Stiftung</strong> Zuhören findet unter dem Motto „Hörkulinarium“statt. Wie sieht Ihr persönliches Hörkulinarium aus? Stellen Sie bitte für unsein Drei-Gänge-Menü zusammen. Mögliche Zutaten o<strong>der</strong> Speisen sind zumBeispiel Geräusche, Klänge, Musikstücke o<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>e Hörerlebnisse.Ich horche immer dann genauer hin, wenn ich etwas Interessantes entdeckenkann. Es sind immer Hörsituationen, es ist nichts Bestimmtes, was ich mir für meinHörkulinarium zusammenstellen würde, son<strong>der</strong>n immer bestimmte Situationen.Wenn ich etwas zum ersten Mal höre und es spricht mich an. O<strong>der</strong> auch, wenn mirein Klang beson<strong>der</strong>s vertraut vorkommt, weil er vielleicht ein Kindheitsklang isto<strong>der</strong> weil ich das in <strong>der</strong> Kindheit sehr gerne gehört habe. Dann würde ich dasauch für ein Hörkulinarium zusammenstellen. Das kann aber sehr viel sein, weilich ein musikalischer o<strong>der</strong> geräuschlicher, klanglicher Alleshörer bin.Was wünschen Sie <strong>der</strong> <strong>Stiftung</strong> Zuhören zum Zehnjährigen Jubiläum?Ich wünsche <strong>der</strong> <strong>Stiftung</strong> Zuhören, dass die Idee des Zuhörens weiter anBedeutung gewinnt, dass mehr Menschen sich unter dem Zuhören etwasvorstellen können – und dass dadurch klar wird, dass Zuhören eine wertvolleRessource ist. Vor allem: Dass Zuhören kein Sonntagsthema ist, son<strong>der</strong>n einAlltagsthema wird, dass je<strong>der</strong> etwas da<strong>mit</strong> anfangen kann.4

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