16 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S Zweifellos gebührt <strong>der</strong> Adler-Dampflokomotive als technischem Novum hierzulande die Ehre, dem Dampfmaschinen-Zeitalter sozusagen vor an gefahren zu sein. „Impulsgeber“ für die fortschreitende Industrialisierung wird sie genannt und „Initialzündung“ für die Ansiedlung neuer Industriezweige, die durch den Einsatz von Dampfmaschinen aus Manufaktur-Werkstätten Fabriken erwachsen ließen. Und tatsächlich erfolgte <strong>der</strong> erste Industrialisierungsschub in Nürnberg in den 1830er-Jahren. Zu den großen Fabriken jener Zeit zählten die Klett’sche Maschinenfabrik und Johannes Zeltners Ultramarinfabrik, beide nicht an <strong>der</strong> Fürther Straße gelegen. Die Entwicklung unserer Landchaussee zur belebten Verkehrsa<strong>der</strong> und „Achse <strong>der</strong> Industrialisierung“ sollte sich noch einige Jahrzehnte hinziehen. „da gEht’s ja zu wie am Plärrer“ – ein geflügeltes Wort unter den Nürnbergern und unmissverständliches Synonym für Hektik, Lärm, Gedränge. Das Wort Plärrer (alte Schreibweise ‚Plerrer‘) entstand aus dem mittelhochdeutschen Begriff ‚Plerre‘, was in etwa gleichbedeutend ist mit ‚freier Platz‘, an dem Händler, die keine Berechtigung für die innerstädtischen Märkte vorzuweisen hatten, ihre Waren feilbieten konnten. Mit <strong>der</strong> Errichtung des Ludwigsbahnhofs 1835 und dem Bau einiger privater und gewerblich genutzter Häuser än<strong>der</strong>te sich langsam das Bild. Um 1850 hatten sich in <strong>der</strong> Nähe zwar schon einige Fabriken angesiedelt, zum Beispiel eine Zündholzfabrik und eine Haken- und Ösenfabrik, von reger Bautätigkeit „Da geht’s ja Zu wie am PLärrer!“ konnte jedoch keine Rede sein. Der Grund dafür lag in einem staatlichen Bebauungsverbot des Gebiets rund um den alten Befestigungsring <strong>der</strong> mittelalterlichen Stadt, das für jedes neue Gebäude eine Son<strong>der</strong>genehmigung erfor<strong>der</strong>lich machte und erst im Jahr 1866 aufgehoben wurde. Doch auch danach dauerte es noch rund 15 Jahre, bis <strong>der</strong> erste „Bauboom“ an <strong>der</strong> Fürther Straße einsetzte. dER nüRnBERgER fotogRaf Ferdinand Schmidt (1840–1909) hat wie kein an<strong>der</strong>er die Verän<strong>der</strong>ungen seiner Heimatstadt über Jahrzehnte dokumentiert. Mehr als 2000 Glasnegative sind erhalten, ein wahrer Schatz für alle, die auf den Spuren <strong>der</strong> alten Noris unterwegs sind. Die prägnanten Fotografien belegen eindrucksvoll, auch den Wandel des Stadtbilds jenseits <strong>der</strong> Stadtmauer. Schmidts Blick auf den Plärrer, vom Spittlertorturm aus festgehalten, in den Jahren 1865 und 1905, verdeutlicht, welchen Sprung die westliche Vorstadt in nur 40 Jahren gemacht hat. Schon mit Einführung <strong>der</strong> Pferde-Straßenbahn 1881 hatte <strong>der</strong> Platz vor dem Ludwigsbahnhof an Bedeutung gewonnen, 1896 schließlich, mit Inbetriebnahme <strong>der</strong> elektrifizierten Straßenbahn zwischen Nürnberg-Maxfeld und Fürth war er zum Knotenpunkt für mittlerweile fünf Linien geworden. Ferdinand Schmidts Interesse am Fortschritt in städtebaulicher, technischer, aber auch künstlerischer Hinsicht verdanken wir auch eine in ihrer kompositorischen Klarheit beeindruckende Aufnahme des „Kunstbrunnens zur Erinnerung an die erste deutsche Eisenbahn“ (heute schlicht „Eisenbahndenkmal“ genannt) an seinem ursprünglichen Aufstellungsort vor dem Ludwigsbahnhof am Plärrer. Der Grundsteinlegung am 50. Geburtstag <strong>der</strong> Adler- Jungfernfahrt, dem 7. Dezember 1885, folgte die Ausschreibung eines Kunstwettbewerbs, den <strong>der</strong> Bildhauer Heinrich Schwabe, seit 1875 Professor für figürliche Plastik an <strong>der</strong> Nürnberger Kunstgewerbeschule, für sich entschied. Als Brunnen mit zwei ausladenden Auffangbecken konzipiert, erhebt sich ein hoher Sockel mit Obelisk, auf dem, an zwei gegenüberliegenden Seiten Bronzereliefs zum einen von <strong>der</strong> Beschwerlichkeit und den Gefahren des Reisens mit <strong>der</strong> Postkutsche, zum an<strong>der</strong>en von <strong>der</strong> Eröffnung <strong>der</strong> Ludwigseisenbahn als Triumphzug in die neue Zeit erzählen. Links und rechts des Sockels thronen die beiden Städteallegorien Noris und Furthia. Den Obelisk krönt ein Genius mit Flügelrad, dem Symbol <strong>der</strong> Eisenbahn. 1890 feierlich enthüllt, musste das alsbald zum beliebten Postkartenmotiv avancierte Prunkstück im Jahr 1927 dem erneuten Straßenbahngleisausbau weichen. 1929 wurde das Denkmal etwas stiefmütterlich an die Stadtgrenze zu Fürth verfrachtet, wo es bis zu seinem abermaligen Umzug 1965 blieb. Hier war es nun dem Bau <strong>der</strong> neuen Schnellstraße im Weg, fand aber 1966 erneut Aufstellung ein Stückchen weiter in einer kleinen Grünanlage nahe <strong>der</strong> Zufahrt zur Stadtautobahn. 1993 schließlich musste es zum vierten Mal umziehen, in die Fürther Straße, Höhe Veit-Stoß-Anlage – zwar nicht zurück zum Plärrer, aber immerhin auf die ehemalige Strecke des Adlers. R. F. Auf dieser kleinen Grafik aus den 1860er-Jahren rauchen im Vor<strong>der</strong>grund die Schornsteine <strong>der</strong> Zeltner’schen Ultramarinfabrik. Und auch in <strong>der</strong> Nachbarschaft hat sich schon Industrie angesiedelt.
Ferdinand Schmidts Plärrer-Panoramen aus den Jahren 1865 (oben) und 1905 (unten). Auch dies eine <strong>der</strong> bestechenden Aufnahmen des Nürnberger Fotografen Ferdinand Schmidt: das Eisenbahn-Denkmal am Plärrer vor dem Bahnhofsgebäude <strong>der</strong> Ludwigs- Eisenbahn. D I E S T R E C K E D E S A D L E R S Gleisbauarbeiten für die Straßenbahn am Verkehrsknotenpunkt Plärrer im Jahr 1899 (links) und <strong>der</strong> Platz nach Beendigung <strong>der</strong> Bauarbeiten 1900 (rechts), aufgenommen von Ferdinand Schmidt. Das Eisenbahn- Denkmal nach seinem ersten Umzug an die Nürnberg- Fürther Stadtgrenze, 1930er-Jahre. 17