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BAYERN EDITION - Haus der Bayerischen Geschichte

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SONDERHEFT # 01 / 10,– €<br />

EiSENbaHN iN bayERN<br />

1835 · 2010<br />

edition<br />

bayern<br />

g e s c h i c h t e<br />

die strecke<br />

des adlers<br />

geschichte <strong>der</strong><br />

eisenbahn in bayern<br />

krauss & comp.<br />

jubiläumsjahr 2010<br />

haus <strong>der</strong><br />

bayerischen<br />

geschichte


04 76 89<br />

16<br />

40<br />

54<br />

104<br />

Editorial von Richard Loibl 02<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Die Entstehung <strong>der</strong> Ludwigseisenbahn von Rainer Mertens 04<br />

Zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Fürther strasse<br />

von Regine Franzke und Matthias Murko 12<br />

„Da geht’s ja zu wie am Plärrer!“ 16<br />

Nomen est omen – Hercules 24<br />

Drei Villen und noch ein Palast 28<br />

Mikrokosmos Fürther Straße 32<br />

„Erst mal seh’n was Quelle hat!“ 34<br />

Triumphale Zeiten von Helmut Schwarz 40<br />

Schlafende Schönheiten: Triumph-Adler 44<br />

AEG – Aus Erfahrung gut? 46<br />

Schrauben – Spielzeug – Daten: Die (Vor-)<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> DATEV 50<br />

E I S E n b A h n I n b Ay E R n von Emma Mages<br />

Die Entwicklung des Hauptbahnnetzes 1835 bis 1880 54<br />

Vizinal- und Lokalbahnen 60<br />

Eisenbahnbau und Eisenbahnbauarbeiter 64<br />

Meisterwerke <strong>der</strong> Technik 68<br />

Exkurs: Die Wendelsteinbahn von Johann Vogt 71<br />

Bahnhöfe, Stadt- und Raumentwicklung 72<br />

Ein neuer Berufsstand: Der Eisenbahner 76<br />

Die Eisenbahn und ihre Wirkungen: Alles verän<strong>der</strong>t sich 80<br />

Mit <strong>der</strong> Eisenbahn ins Industriezeitalter 82<br />

Strukturwandel in <strong>der</strong> Landwirtschaft 84<br />

Eisenbahn und Personenverkehr: Mobilität für je<strong>der</strong>mann 87<br />

Mythos Eisenbahn 89<br />

K R Au S S & Co m p.<br />

Lokomotiven für alle Spurweiten von Richard Winkler 94<br />

S T I L Lg E L E g T E S T R E C K E n<br />

Ein Prellbock in <strong>der</strong> Landschaft von Wilfried Ernst Hölzler 98<br />

b A h n h o f A S C h A f f E n b u R g<br />

4 Aktionen von Evamaria Brockhoff / Udo Breitenbach 104<br />

D E R z u g I n S f R E I E<br />

Meine Isartalbahn 1926–1936 / München-Hauptbahnhof 21. März 1939<br />

von H. Peter Sinclair ✝ / Evamaria Brockhoff und Ludwig Eiber 108<br />

L E I D E n S C h A f T E I S E n b A h n<br />

Museen, Vereine, Nostalgiefahrten 112<br />

D A S j u b I L äu m S j A h R 2010<br />

Termine, Veranstaltungen, Service 116<br />

Impressum / Bildnachweis 120<br />

eisenbahn in bayern 1835 . 2010


2 E D I T o R I A L<br />

edition<br />

bayern<br />

Oben links: Postkartenmotive<br />

(Nürnberger Plärrer und Eisenbahndamm<br />

in Lindau)<br />

Oben rechts: Die Einstiegshalle<br />

des Münchner Ostbahnhofs<br />

Mitte: Freifahrtschein für Herrn<br />

Hellerbrand nebst Gattin<br />

Unten: Freistempler des Bahnsozialwerks<br />

und Modelleisenbahn<br />

im Grundstein des Münchner<br />

Maximilianeums<br />

eisenbahn in bayern 1835 . 2010


Im Jahr 2007 etablierte das <strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> <strong>Geschichte</strong><br />

mit <strong>der</strong> <strong>EDITION</strong> <strong>BAYERN</strong> eine neue Schriftenreihe, die sich<br />

zur Aufgabe gemacht hat, die Regionen Bayerns in ihrer historischen<br />

Eigenart und Tradition vorzustellen. Vorangegangen war ein<br />

Auftrag des <strong>Bayerischen</strong> Landtags, den Regionen Bayerns beson<strong>der</strong>e<br />

Aufmerksamkeit zu widmen und sie in Ausstellungen und Publikationen<br />

einem breiten Publikum nahe zu bringen. Mit den Heften zum<br />

„Passauer Land“, den „Haßbergen“, <strong>der</strong> Region „Unterallgäu und<br />

Memmingen“, dem „Werdenfelser Land“ ist uns ein guter Start gelungen,<br />

<strong>der</strong> in nächster Zeit seine Fortsetzung findet in Beiträgen zum<br />

Chiemgau, zu Amberg und zu Kronach.<br />

EinE REihE, die auf sich hält, veröffentlicht von Zeit zu Zeit Son<strong>der</strong>hefte.<br />

Und so ist es auch bei <strong>der</strong> <strong>EDITION</strong> <strong>BAYERN</strong>. Die Son<strong>der</strong>hefte<br />

greifen die Konzeption <strong>der</strong> früheren „Hefte zur <strong>Bayerischen</strong><br />

<strong>Geschichte</strong> und Kultur“ auf, indem sie ein Thema aus <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong><br />

Bayerns – Altes und Neues, Bekanntes und Abgelegenes – behandeln,<br />

wobei großer Wert darauf gelegt wird, nicht nur eine gut lesbare,<br />

son<strong>der</strong>n auch eine reich bebil<strong>der</strong>te Publikation vorzulegen, in<br />

<strong>der</strong> die Bil<strong>der</strong> nicht bloß illustrativ eingesetzt sind; vielmehr werden<br />

sie als historische Quelle ernst genommen und bilden so einen eigenen<br />

„Erzählstrang“.<br />

Mit dEM ERstEn sondERhEft zur <strong>EDITION</strong> <strong>BAYERN</strong> greifen<br />

wir ein Jubiläum auf, das in diesem Jahr allerorts begangen wird.<br />

Vor 175 Jahren, am 7. Dezember 1835, fuhr in Deutschland die erste<br />

reguläre Eisenbahn. Die Dampflok hatte kein Geringerer gebaut als<br />

George Stephenson aus Newcastle, <strong>der</strong> „Vater <strong>der</strong> Dampflokomotive“.<br />

Die Lok kam aber nicht etwa in Preußen zum Einsatz, wie man meinen<br />

könnte. Es war Bayern, das bereits im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t eine ganze<br />

Reihe von technischen Innovationen auf den Weg brachte. Vom<br />

Nürnberger Plärrer, wo sich Tausende Zuschauer versammelt hatten,<br />

startete <strong>der</strong> „Adler“ um 9 Uhr in <strong>der</strong> Früh, um bald darauf wohlbehalten<br />

im nahe gelegenen Fürth anzukommen.<br />

Warum wurde ausgerechnet die Fürther Straße die erste Eisenbahnstrecke?<br />

Die Chaussee zwischen Nürnberg und Fürth galt in den<br />

1820er-Jahren als die meist befahrene Straße des Königreichs Bayern.<br />

Deshalb widmet das Nürnberger Museum Industriekultur seine<br />

Jubiläumsausstellung <strong>der</strong> „Strecke des Adlers“ – unser Heft ist die<br />

begleitende Publikation zur Ausstellung, die vom 17. Juni bis zum<br />

12. Dezember 2010 gezeigt wird.<br />

iM MittElpunkt dER pRäsEntation steht die Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Fürther Straße als Weg in die Mo<strong>der</strong>ne und als „Achse <strong>der</strong> Industrialisierung“.<br />

Die erste Eisenbahn in Deutschland war zugleich<br />

die Initialzündung <strong>der</strong> Industrialisierung, die sich entlang des rasch<br />

wachsenden Schienennetzes entwickelte und die Welt grundlegend<br />

verän<strong>der</strong>te. Aufschwung und Nie<strong>der</strong>gang, wirtschaftlicher, sozialer<br />

und kultureller Wandel – das alles hat sich in <strong>der</strong> Fürther Straße abgespielt,<br />

von <strong>der</strong> Dampflok bis zur fahrerlosen U-Bahn.<br />

Regine Franzke, Rainer Mertens, Matthias Murko und Helmut<br />

Schwarz stellen diese Entwicklung von <strong>der</strong> industriellen zur multikulturellen<br />

Städteachse Nürnberg-Fürth dar anhand großer Namen<br />

wie Quelle, Triumph, Hercules, Schuco, AEG und DATEV. Die Bei-<br />

E D I T o R I A L<br />

träge von Richard Winkler zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Fa. Krauss & Comp.,<br />

Wilfried Ernst Hölzler zum Thema <strong>der</strong> stillgelegten Strecken, Udo<br />

Breitenbach über eine Kunstaktion zum Aschaffenburger Bahnhof<br />

und H. Peter Sinclair mit einer sehr persönlichen Kindheits- und<br />

Jugen<strong>der</strong>innerung sind einzelnen Aspekten <strong>der</strong> Eisenbahngeschichte<br />

gewidmet. Emma Mages bietet wie<strong>der</strong>um den großen Überblick:<br />

von <strong>der</strong> Privatbahn zur Staatseisenbahn, von <strong>der</strong> Lokalbahn und den<br />

Meisterwerken von Technik und Architektur, den Brücken und den<br />

Bahnhöfen, vom Strukturwandel in <strong>der</strong> Landwirtschaft bis zur Industrialisierung.<br />

dass sich BayERn den Eisenbahnverkehr nach <strong>der</strong> Reichsgründung<br />

von 1870/71 als Separatrecht behielt, wirft ein Licht auf seine<br />

Bedeutung. Und auch wenn es in Zeiten von weltumspannendem<br />

Flugverkehr und Weltraumflügen für (fast) je<strong>der</strong>mann ganz außer<br />

Blick geraten ist: Es war die Eisenbahn, die den mobilen Menschen<br />

unserer Zeit hervorgebracht hat. Mit <strong>der</strong> Eisenbahn wurde es zum<br />

ersten Mal im großen Stil möglich, das von <strong>der</strong> Natur vorgegebene<br />

Tempo <strong>der</strong> Fortbewegung eklatant zu erhöhen, unabhängig von <strong>der</strong><br />

eigenen Marschleistung, unabhängig von Pferdestärken und Seegang.<br />

Und so wurde die Eisenbahn in Kunst und Literatur auch rasch<br />

ein Symbol nicht nur für den technischen Fortschritt, son<strong>der</strong>n vor<br />

allem auch für die Unaufhaltsamkeit <strong>der</strong> Zeit, für die Vergänglichkeit,<br />

für das haltlose Hinabstürzen in den Tunnel, wie es Friedrich<br />

Dürrenmatts gleichnamige Erzählung so bedrohlich beschreibt. Und<br />

auch Karl Valentins „Hinaus ins Freie. Komische Soloszene“ ist weniger<br />

komisch als abgründig surreal:<br />

„… Da haben nämlich ich, meine Freunde und wir vor kurzer Zeit<br />

einen Ausflug gemacht, das heißt, das ist eigentlich auch scho wie<strong>der</strong><br />

drei Jahr her. Bei diesem Ausflug haben wir mehr Verdruß g`habt,<br />

als wie Aerger. Am Bahnhof drauß`n is s`scho anganga, wie wir<br />

nämlich in`n Zug einsteig`n woll`n, sehn wir, dass <strong>der</strong> Zug blos 12<br />

Wäg`n g`habt hat; wir waren aber zu dreizehnt, jetzt hab ich mit`n<br />

nächsten Zug nachfahr`n müssen … Die Fahrt war sehr ermüdend,<br />

erstens wars furchtbar heiß an dem Tag`, und Aussicht hab`n wir<br />

gar keine g`habt, als wie links und rechts lauter Schneefel<strong>der</strong>. Kurz<br />

vor <strong>der</strong> Station entgleist auf einmal <strong>der</strong> Zug, fahrt über Böschung<br />

`nunter und überrennt Häuser und Bäume, rennt ins Dorf nei und<br />

direkt in ein Wirtschaftsgebäude hinein, mitten ins Lokal. Natürlich<br />

hab`n wir den Lokomotivführer glei die größten Grobheiten<br />

g`macht und hab`n ihn g`fragt, warum dass er mit dem Zug da ins<br />

Lokal nei fahrt, sagt er, dös muß er tun, vom Verkehrsministerium<br />

aus, weil das a Lokalzug is ...“<br />

füR diE gutE koopERation danke ich dem Nürnberger Museum<br />

Industriekultur. Den Autoren und den Institutionen, die Bildmaterial<br />

zur Verfügung stellten, gilt mein Dank, vor allem aber den<br />

Privatpersonen, die – wie Eva Detzel, Aribert Elpelt und Helmut List,<br />

selbst ein ehemaliger Eisenbahner, sowie Alwin Reiter, Urenkel eines<br />

Bahnwärterehepaars – ihre Schätze zur Verfügung stellten. Den Leserinnen<br />

und Lesern wünsche ich eine vergnügliche Fahrt durch unser<br />

Eisenbahnheft mit interessanten Einblicken und Ausblicken.<br />

dR. RichaRd loiBl<br />

diREktoR dEs hausEs dER BayERischEn gEschichtE<br />

3


4 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Die entstehung Der LuDwigseisenbahn<br />

Die Wiege <strong>der</strong> deutschen Eisenbahn steht in Nürnberg. Als sich dort am Morgen<br />

des 7. Dezember 1835 <strong>der</strong> Eröffnungszug <strong>der</strong> ersten deutschen Eisenbahn, gezogen<br />

von <strong>der</strong> Lokomotive „Adler“, vom Plärrer in Richtung Fürth in Bewegung setzte,<br />

war dies <strong>der</strong> Auftakt zu einer Entwicklung, die epochale Folgen haben sollte.<br />

Der Adler in voller Fahrt – ein Publikumsmagnet


Fahrkarten <strong>der</strong> Ludwigseisenbahn<br />

Zwar war das neue Verkehrssystem<br />

mit <strong>der</strong> revolutionären Wirkung<br />

nicht in Nürnberg o<strong>der</strong> Fürth erfunden<br />

worden, denn das Mutterland <strong>der</strong> Eisenbahn<br />

ist bekanntlich England. Auch war<br />

die private Initiative hiesiger Kaufleute und<br />

Honoratioren, die das Projekt auf die Beine<br />

stellten, keineswegs einmalig in Deutschland;<br />

Eisenbahnkomitees gab es allerorten,<br />

ob in München, Frankfurt, Dresden o<strong>der</strong><br />

Berlin. Genau genommen war die nur sechs<br />

Kilometer lange Strecke zwischen Nürnberg<br />

und Fürth nicht einmal die erste Eisenbahn<br />

in Deutschland, denn in Österreich, damals<br />

zum Deutschen Bund gehörig, hatte 1832<br />

eine private Gesellschaft mit staatlicher Unterstützung<br />

eine Bahnlinie von Linz nach<br />

Budweis verwirklicht, wenngleich die dabei<br />

verwendete Technologie wenig innovativ<br />

war: Die pferdebespannten Wagen liefen<br />

auf mit Eisen beschlagenen Holzschienen.<br />

Doch die Zukunft gehörte einer an<strong>der</strong>en<br />

Technologie, <strong>der</strong> in England entwickelten<br />

Kombination von Eisenschiene und Dampfwagen.<br />

Dieses System nach Deutschland<br />

transferiert und dort erfolgreich umgesetzt<br />

zu haben, ist das historische Verdienst <strong>der</strong><br />

Nürnberg-Fürther Eisenbahnpioniere.<br />

aM anfang waR diE kRisE<br />

Warum wurde die erste Eisenbahn Deutschlands<br />

ausgerechnet zwischen Nürnberg<br />

und Fürth verwirklicht? Sucht man nach<br />

den Gründen hierfür, so muss man auf<br />

dem Zeitstrahl <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> einige Jahrzehnte<br />

zurückgehen. Nürnberg war am<br />

Ende des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts immer noch<br />

ein bedeutendes Wirtschaftszentrum. Die<br />

großen Handelshäuser belieferten ganz Europa<br />

und die überseeischen Besitzungen<br />

<strong>der</strong> europäischen Mächte mit Nürnberger<br />

Gewerbeerzeugnissen. Zudem betrieben die<br />

Nürnberger Kaufleute einen ausgedehnten<br />

Durchgangshandel mit Waren aller Art<br />

und machten dadurch die Region zu einer<br />

Drehscheibe des europäischen Handels.<br />

Allerdings hatte die Stadt seit dem Dreißigjährigen<br />

Krieg ihre einstige politische<br />

Bedeutung eingebüßt und war in seinen inneren<br />

gesellschaftlichen Strukturen erstarrt.<br />

Das Nürnberger Gewerbe fiel gegenüber <strong>der</strong><br />

europäischen Konkurrenz mehr und mehr<br />

zurück, doch hielt sich die Region insgesamt<br />

nicht schlecht, da vor allem die benachbarten<br />

hohenzollerschen Territorien wirtschaftlich<br />

erstarkten.<br />

Erst als Nürnberg 1806 mitsamt seinem<br />

ausgedehnten Landgebiet dem neuen Königreich<br />

Bayern zugeschlagen wurde, wendete<br />

sich die Lage endgültig zum Schlechten.<br />

Das Handelsvolumen <strong>der</strong> Nürnberger<br />

Kaufhäuser halbierte sich durch Krieg und<br />

Kontinentalsperre binnen weniger Jahre<br />

und nach 1815 lähmte die protektionistische<br />

Wirtschaftspolitik Bayerns und aller übrigen<br />

europäischen Staaten die exportorientierte<br />

Wirtschaft vollends. Als 1817 eine durch<br />

Missernten verursachte Hungersnot dazu<br />

kam, geriet die Region an den Rand des<br />

wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruchs.<br />

Die prekäre Lage verschärfte sich durch die<br />

Rückständigkeit des Nürnberger Gewerbes<br />

hinsichtlich Organisation, Technologie und<br />

Produktdesign. Insgesamt wirkten sich <strong>der</strong><br />

rigide Zentralismus und die restaurativ-reaktionäre<br />

Innenpolitik Bayerns lähmend auf<br />

die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen<br />

aus und brachten das Land im Vergleich zu<br />

den sozial und wirtschaftlich fortschrittlicheren<br />

Staaten Europas ins Hintertreffen.<br />

Die dringend notwendigen Reformen nahmen<br />

Gestalt an in einer Bewegung, die ihre<br />

Anhänger einerseits in <strong>der</strong> bayerischen Beamtenschaft,<br />

an<strong>der</strong>erseits im liberalen Wirtschaftsbürgertum<br />

rekrutierte. Ihre Hochburgen<br />

lagen fast ausschließlich in Franken.<br />

Neben den üblichen For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Zeit<br />

nach Verfassung, wirtschaftlicher Liberalisierung<br />

und Erneuerung des Bildungswe-<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

sens war die Verbesserung des Verkehrswesens<br />

eines <strong>der</strong> Hauptanliegen <strong>der</strong> bayerischen<br />

Reformer. Leistungsfähige und vor allem<br />

preiswerte Transitrouten sollten den europäischen<br />

Handel auf bayerisches Territorium<br />

lenken. Auf diese Weise sollte <strong>der</strong> zwischen<br />

den Großmächten Preußen und Österreich<br />

eingeschnürte Binnenstaat respektive <strong>der</strong><br />

Nürnberger Raum (wie<strong>der</strong>) zum Herzland<br />

des europäischen Handels werden.<br />

Als wichtigstes Projekt galt die Verbindung<br />

von Main und Donau. Hierzu gab es verschiedene<br />

Vorschläge – Chausseen, Kanäle,<br />

auch die Eisenbahn wurden diskutiert. So<br />

hatte <strong>der</strong> bayerische Bergbaubeamte Joseph<br />

v. Baa<strong>der</strong> um 1811 als Erster überhaupt in<br />

Deutschland das Projekt einer Eisenbahn<br />

erörtert. Baa<strong>der</strong>, <strong>der</strong> während eines Aufenthalts<br />

in England um 1790 die dortigen<br />

Grubenbahnen kennengelernt hatte, entwarf<br />

mit seinem „System <strong>der</strong> fortschaffenden<br />

Mechanik“ eine sehr eigentümliche Schienenbahn,<br />

<strong>der</strong>en Technologie sich erheblich<br />

von <strong>der</strong> später verwirklichten Eisenbahn<br />

unterschied. Im Bestreben, die Nachteile <strong>der</strong><br />

englischen Bergwerksbahnen zu vermeiden,<br />

entwarf Baa<strong>der</strong> ein ausgeklügeltes, aber auch<br />

sehr kompliziertes System. Er sah auf Pfeilern<br />

montierte Schienen vor, auf denen Wagen<br />

auf spurkranzlosen Rä<strong>der</strong>n laufen und<br />

von zusätzlichen, waagrecht am Gleis laufenden<br />

Rä<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Spur gehalten werden.<br />

Die Wagen sollten von Pferden gezogen werden<br />

und sowohl auf <strong>der</strong> Schiene als auch auf<br />

<strong>der</strong> Straße laufen. Am Berg sollten „Kompensationsmaschinen“<br />

die Energie talwärts<br />

fahren<strong>der</strong> Fuhrwerke mittels Fe<strong>der</strong>mechanik<br />

speichern und zum Hochziehen bergwärts<br />

fahren<strong>der</strong> Wagen nutzen.<br />

Im Jahr 1814 baute Baa<strong>der</strong> eine Demonstrationsanlage<br />

in München auf. Hierbei zog<br />

unter an<strong>der</strong>em ein Schoßhündchen einen<br />

mit drei Personen besetzten Wagen über das<br />

Gleis, um den staunenden Zuschauern den<br />

5


6 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Pferdebetrieb auf <strong>der</strong> Ludwigsbahn bei Fürth<br />

geringen Reibungswi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> Schienenbahn<br />

zu demonstrieren. Drei Jahre später<br />

ließ er in München eine etwa 100 Meter<br />

lange runde Bahn im Maßstab 1:2 aufbauen,<br />

auf <strong>der</strong> er zwei Jahre lang beinahe wöchentlich<br />

Versuchsfahrten durchführte. Im Jahr<br />

1818 tauchte in einem Vorschlag Baa<strong>der</strong>s<br />

erstmals die Idee auf, eine Strecke zwischen<br />

Nürnberg und Fürth als Ausgangspunkt für<br />

eine bayerische Eisenbahn anzulegen. 1819<br />

debattierte <strong>der</strong> Bayerische Landtag erstmals<br />

über die Frage einer Eisenbahn in Bayern.<br />

Baa<strong>der</strong> spielte in dieser Zeit mit seinen<br />

Schriften und öffentlichen Vorführungen<br />

die Rolle als unermüdlicher Werber für das<br />

neue Verkehrsmittel und machte das Thema<br />

einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.<br />

1826 gelang es ihm, mit Finanzmitteln, die<br />

ihm mit Unterstützung des Landtags von<br />

<strong>der</strong> Regierung bewilligt worden waren, im<br />

Nymphenburger Schlosspark eine Versuchs-<br />

strecke mit seinem und dem „englischen<br />

Sys tem“ im Maßstab 1:1 zu errichten. Zu den<br />

Vorführungen strömten mehrere Tausend<br />

Menschen. Der junge König Ludwig I. war<br />

begeistert von <strong>der</strong> Eisenbahnidee. Bei einem<br />

Besuch in Fürth im September 1826 äußerte<br />

<strong>der</strong> Monarch, eine Bahn zwischen den beiden<br />

Städten sei „wünschenswerth und leicht<br />

ausführbar“.<br />

Doch noch war die Skepsis groß im Lande.<br />

Unstreitig war, dass Bayern mo<strong>der</strong>ne<br />

Verkehrswege brauchte, wie diese jedoch<br />

beschaffen sein sollten, darüber schieden<br />

sich die Geister. So setzte die bayerische<br />

Bergbauverwaltung, <strong>der</strong> das Projekt einer<br />

Verbindung von Main und Donau oblegen<br />

hätte, wie<strong>der</strong> auf den Kanalbau. Eine Jury<br />

unter <strong>der</strong> Leitung des Hofbaurates Leo v.<br />

Klenze erteilte 1826 dem Baa<strong>der</strong>’schen System<br />

eine vernichtende Kritik: Es sei viel<br />

zu kompliziert und kostspielig. Auch die<br />

mittelfränkischen Kaufleute zögerten zunächst,<br />

sich für die Eisenbahn zu entscheiden;<br />

zu riskant erschienen die Investitionen<br />

in die neue Verkehrstechnologie. So meinte<br />

Bürgermeis ter Scharrer, später Direktor <strong>der</strong><br />

Ludwigsbahn, im Jahr 1827, dass gute Straßen<br />

den Bedürfnissen des Verkehrs durchaus<br />

genügen würden. Die Nürnberg-Fürther<br />

Kaufmannschaft und viele liberale Beamten<br />

waren sich ohnedies einig, dass für den Bau<br />

mo<strong>der</strong>ner Verkehrswege eine Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen<br />

in Richtung Freihandel unerlässliche Voraussetzung<br />

wäre. Seit 1827 war die Idee<br />

einer großen Verbindungsbahn zwischen<br />

Main und Donau somit praktisch tot. Auch<br />

Ludwig I. wandte sich, enttäuscht von den<br />

Baa<strong>der</strong>’schen Versuchsergebnissen, von <strong>der</strong><br />

Eisenbahn ab und favorisierte nun den Kanalbau.


Zeitgenössische Darstellung <strong>der</strong> Ludwigsbahnstrecke<br />

diE ludwigsBahn – Ein wERk dEs<br />

BüRgERtuMs<br />

Um 1830 wendete sich jedoch das Blatt wie<strong>der</strong><br />

zu Gunsten <strong>der</strong> Eisenbahn. Nun trat<br />

eine Verkettung von Ereignissen ein, die<br />

das Handeln <strong>der</strong> mittelfränkischen Bahnpioniere<br />

gewaltig beschleunigte. So wurde<br />

ein Zusammenschluss <strong>der</strong> größten Staaten<br />

des Bundes zu einem Zollverein immer<br />

wahrscheinlicher; bereits 1828 waren Verträge<br />

zwischen Bayern und Württemberg<br />

geschlossen worden und die Verhandlungen<br />

mit Preußen gingen zügig voran. Damit<br />

eröffnete sich die Aussicht auf eine rasche<br />

Verbesserung <strong>der</strong> wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.<br />

Zudem wurde 1830 zwischen<br />

Manchester und Liverpool die erste längere<br />

Eisenbahnstrecke <strong>der</strong> Welt eröffnet, die ausschließlich<br />

mit Dampfkraft bedient wurde.<br />

Ihr großer Erfolg verhalf <strong>der</strong> Kombination<br />

Schiene – mobile Dampfmaschine endgül-<br />

tig zum Durchbruch und zeigte vor allem,<br />

dass Eisenbahnen nicht nur für den Warentransport<br />

geeignet waren, son<strong>der</strong>n auch Personen<br />

schnell und sicher beför<strong>der</strong>n konnten.<br />

Schließlich war 1832 die Pferdebahn Linz—<br />

Budweis eröffnet worden. Diese immerhin<br />

130 Kilometer lange Eisenbahnlinie verband<br />

die Donau mit <strong>der</strong> Moldau und schuf eine<br />

neue Handelsroute für die Warenströme<br />

aus Südosteuropa in Richtung Sachsen und<br />

Preußen. Die Nürnberger Kaufleute mussten<br />

nun befürchten, dass die Handelsgüter noch<br />

mehr als bisher einen Bogen um Bayern und<br />

die Nürnberg-Fürther Region machen würden.<br />

Die in Aussicht stehende Gründung des<br />

Zollvereins, <strong>der</strong> Erfolg <strong>der</strong> Liverpool-Manchester-Bahn<br />

und <strong>der</strong> Linz-Budweiser „Bypass“<br />

– all dies brachte die zögernde Nürnberg-Fürther<br />

Kaufmannschaft in Zugzwang,<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

in Sachen Eisenbahn aktiv zu werden. Den<br />

Anfang machte Erhard Friedrich Leuchs,<br />

Herausgeber <strong>der</strong> Nürnberger „Allgemeinen<br />

Handelszeitung“, einem <strong>der</strong> wichtigsten Informationsmedien<br />

Süddeutschlands über<br />

technische und wirtschaftliche Entwicklungen<br />

in aller Welt. Die Handelszeitung<br />

hatte in den vergangenen Jahren immer<br />

wie<strong>der</strong> über die Entwicklung <strong>der</strong> Eisenbahn<br />

und ausführlich über den Lokomotiv-Wettbewerb<br />

von Rainhill und die Eröffnung <strong>der</strong><br />

Manchester-Liverpool-Bahn berichtet. Am<br />

2. Januar 1833 erschien ein von Leuchs selbst<br />

verfasster „Aufruf zur Gründung einer Eisenbahn<br />

von Nürnberg nach Fürth“. Dieser<br />

wurde in 1800 Exemplaren in Nürnberg und<br />

Fürth verteilt und fachte eine breite Diskussion<br />

in <strong>der</strong> Öffentlichkeit an. Zunächst<br />

hielt sich die Unterstützung für das Projekt<br />

in engen Grenzen: Während <strong>der</strong> Fürther<br />

Bürgermeister Bäumen und <strong>der</strong> Nürnber-<br />

7


8 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Plan <strong>der</strong> Ludwigseisenbahn von 1840<br />

ger Handelsvorstand unter <strong>der</strong> Führung des<br />

Marktvorstehers Georg Zacharias Platner<br />

den Aufruf unterstützten, verhielten sich<br />

die Gremien bei<strong>der</strong> Städte abwartend. Vor<br />

allem in Fürth wurden Bedenken laut, dass<br />

durch die Eisenbahn Fuhrleute ihre Arbeit<br />

verlieren könnten. Die Meinung <strong>der</strong> – erstaunlich<br />

breiten – Öffentlichkeit spiegelt<br />

sich in den zahlreichen Leserzuschriften <strong>der</strong><br />

Handelszeitung wi<strong>der</strong>. Positive Kommentare<br />

herrschten vor, viele Stimmen for<strong>der</strong>ten<br />

eine Beteiligung des Staates an <strong>der</strong> von <strong>der</strong><br />

Nürnberg-Fürther Bürgerschaft getragenen<br />

Initiative.<br />

Platner veranlasste, dass vorab Landtag und<br />

Regierung um Erlaubnis für das Projekt<br />

gebeten wurden. Am 12. Januar erfolgte<br />

schließlich <strong>der</strong> entscheidende Schritt: An<br />

diesem Tag traf er sich in seinem <strong>Haus</strong> im<br />

östlich von Nürnberg gelegenen Vorort Erlenstegen<br />

mit dem Nürnberger Kaufmann<br />

und Handelsvorstandsmitglied Johann Merkel,<br />

dem Fürther Bürgermeister Franz v.<br />

Bäumen und seinem alten Freund Johannes<br />

Scharrer, dem früheren Bürgermeister und<br />

<strong>der</strong>zeitigen Leiter <strong>der</strong> Polytechnischen<br />

Schule.<br />

Dieser kleine Kreis bürgerlicher Honoratioren<br />

kam in wenigen Stunden zu <strong>der</strong> historischen<br />

Entscheidung, Deutschlands erste<br />

Eisenbahn mit Dampfkraft zu realisieren. Es<br />

mag heute erstaunen, mit welcher Zielstrebigkeit,<br />

die in vieler Hinsicht an mo<strong>der</strong>nes<br />

Prozessmanagement erinnert, die vier ehrwürdigen<br />

Herren an die Sache herangingen.<br />

Noch in jener Besprechung beschlossen sie<br />

die nächsten Schritte: Als empirische Basis<br />

sollte eine bereits begonnene Verkehrszählung<br />

an <strong>der</strong> Fürther Straße weitergeführt<br />

werden, um zu ermitteln, ob das Verkehrsaufkommen<br />

zwischen den Nachbarstädten<br />

ausreicht, um eine Bahnlinie wirtschaftlich<br />

betreiben zu können. Würde das Ergebnis<br />

positiv ausfallen, wollte man als nächsten<br />

Schritt das Terrain vermessen lassen. Danach<br />

sollte über die technische Bauart <strong>der</strong><br />

neuen Eisenbahnlinie und <strong>der</strong> Fahrzeuge<br />

entschieden werden. Hierzu beabsichtig-<br />

ten die Eisenbahnpioniere Informationen<br />

vor allem aus England einzuholen. Nach<br />

<strong>der</strong> Entscheidung für die Bauart sollten die<br />

Kosten des Projekts ermittelt werden, um<br />

schließlich das Kapital zu beschaffen. Der<br />

gesamte Prozess sollte mit <strong>der</strong> Veröffentlichung<br />

einer Einladungsschrift zur Gründung<br />

einer Eisenbahngesellschaft spätestens<br />

im Mai abgeschlossen werden, um dann in<br />

die Phase <strong>der</strong> konkreten Planung und des<br />

Baus <strong>der</strong> Bahnlinie einzutreten.<br />

Die Ergebnisse <strong>der</strong> Verkehrszählung, die<br />

Ende März vorlagen, übertrafen alle Erwartungen:<br />

Danach verkehrten pro Jahr zwischen<br />

den beiden Städten 612 470 Personen,<br />

zu Fuß und auf Wagen, sowie 39 420 Fuhrwerke<br />

mit 86 140 Pferden. In den folgenden<br />

Wochen fällten die Nürnberger Eisenbahnpioniere<br />

zwei wichtige Entscheidungen. Da<br />

war zunächst die Art <strong>der</strong> technischen Ausführung.<br />

Trotz des Erfolgs <strong>der</strong> Manchester-Liverpool-Bahn<br />

war zu dieser Zeit die<br />

Systemfrage noch keineswegs zu Gunsten<br />

des dort verwendeten „englischen Systems“


entschieden. Hierbei wurde die Trasse<br />

möglichst gerade und eben geführt, Flüsse<br />

wurden mit aufwändigen Brückenbauten<br />

überspannt, Höhenzüge mit Tunneln o<strong>der</strong><br />

Einschnitten durchquert. Massive Schienen<br />

aus gewalztem Eisen trugen die Züge, die im<br />

Fall <strong>der</strong> Manchester-Liverpooler Linie ausschließlich<br />

mit Dampflokomotiven bewegt<br />

wurden. Die Vorteile dieser Bauart lagen in<br />

ihrer Haltbarkeit und <strong>der</strong> direkten Linienführung,<br />

die relativ hohe Geschwindigkeiten<br />

erlaubte. Nachteil waren die hohen Herstellungskosten.<br />

Dem gegenüber stand das „amerikanische<br />

System“. Hier wurde die Trasse dem Gelände<br />

angepasst angelegt: Steile Anstiege und<br />

enge Kurven wurden in Kauf genommen,<br />

dafür wurden teure Brücken- und Tunnelbauten<br />

vermieden. Der Fahrweg bestand<br />

aus eisenbeschlagenen Holzschienen, die auf<br />

hölzernen Schwellen befestigt waren. Die<br />

Wagen – längere Züge fuhren kaum – wurden<br />

sowohl von Dampflokomotiven als auch<br />

von Pferden gezogen. Diese Bauart hatte den<br />

Vorteil, dass sie wenig kostete und schnell<br />

herzustellen war. Mitte <strong>der</strong> 1830er-Jahre<br />

bestanden in den USA bereits 46 <strong>der</strong>artige<br />

Eisenbahnlinien, weitere 137 waren in Planung.<br />

Darunter waren schon echte Fernbahnen<br />

wie die über 500 Kilometer lange<br />

Linie von Baltimore nach Pittsburgh. Auch<br />

die erwähnte Eisenbahn von Linz nach<br />

Budweis war nach dem „amerikanischen<br />

System“ ausgeführt. Viele Eisenbahnpioniere,<br />

unter ihnen auch Friedrich List, <strong>der</strong> die<br />

US-Bahnen aus eigener Anschauung kannte,<br />

befürworteten diese Bauart.<br />

Auch Baa<strong>der</strong> schaltete sich noch einmal<br />

in die Diskussion ein und empfahl seine<br />

„fortschaffende Mechanik“ für das geplante<br />

Projekt. Damit standen drei Systeme zur<br />

Diskussion, doch die Nürnberg-Fürther<br />

Eisenbahnpioniere favorisierten von Beginn<br />

an das „englische System“. Schon <strong>der</strong><br />

Leuchs’sche Aufruf hatte sich für eine Linie<br />

nach dem Vorbild Liverpool-Manchester<br />

ausgesprochen. Nach einem Kostenvergleich<br />

entschieden sie sich für das englische<br />

System, obwohl dies nicht das günstigste<br />

war. Sie setzten damit einen Standard, dem<br />

fast alle Eisenbahnprojekte in Deutschland<br />

folgten.<br />

Weitblickend war auch die Entscheidung,<br />

die Bahn als mit privatem Kapital finanzierte<br />

Aktiengesellschaft zu organisieren. Diese in<br />

Deutschland noch wenig verbreitete Gesellschaftsform<br />

gab den Betreibern die für ein<br />

<strong>der</strong>artiges Unternehmen notwendige Entscheidungsfreiheit.<br />

Mit diesen Festlegungen sowie <strong>der</strong> Verkehrszählung<br />

und <strong>der</strong> Kostenermittlung waren<br />

die Voraussetzungen für die Gründung<br />

einer Bahngesellschaft erfüllt. Nun gingen<br />

die noch informell agierenden Eisenbahnpioniere<br />

daran, ihrem Projekt eine feste Form<br />

zu geben: Am 14. Mai 1833 veröffentlichten<br />

sie die „Einladung zur Gründung einer<br />

Gesellschaft für die Errichtung einer Eisenbahn<br />

mit Dampfkraft zwischen Nürnberg<br />

und Fürth“. Damit entfachten sie eine Diskussion,<br />

die weit intensiver geführt wurde<br />

als beim Leuchs’schen Aufruf. Hier kamen<br />

alle – teilweise durchaus berechtigten – Bedenken<br />

<strong>der</strong> Zeit zum Tragen: Die Fuhrleute<br />

würden arbeitslos, die Eisenbahn sei wenig<br />

zukunftsträchtig, ein Dampfwagen könne<br />

explodieren, <strong>der</strong> Übergang von Schiene zu<br />

Straße sei schwierig herzustellen, bei dem<br />

Verkehr auf Kanälen bleibe mehr Geld im<br />

Lande und vieles mehr. Die heute noch gerne<br />

zitierte Warnung bayerischer Ärzte, die<br />

hohe Geschwindigkeit <strong>der</strong> Eisenbahn würde<br />

die Fahrgäste wie die Passanten in den<br />

Wahnsinn treiben, muss dagegen ins Reich<br />

<strong>der</strong> Legenden verwiesen werden. Vermutlich<br />

wurde sie fünfzig Jahre später von Heinrich<br />

v. Treitschke in die Welt gesetzt. Für<br />

die Popularität sorgte dann wie<strong>der</strong> fünfzig<br />

Jahre später Adolf Hitler, <strong>der</strong> die <strong>Geschichte</strong><br />

immer dann zum Besten gab, wenn er sich<br />

über den Rat von Fachleuten hinwegsetzen<br />

wollte.<br />

Neben den Bedenken gab es aber auch breite<br />

Zustimmung aus <strong>der</strong> Bürgerschaft. Die<br />

Oberste Königliche Baubehörde stand dem<br />

Projekt wohlwollend gegenüber. So unentschieden<br />

die öffentliche Meinung war, so<br />

schleppend kamen die Gel<strong>der</strong> zusammen:<br />

Erst bis zum November hatte man die für<br />

den Bau nötigen 175 000 Gulden (nach heutigem<br />

Wert etwa fünf bis sechs Millionen<br />

Euro) aufgebracht. Zum Vergleich: Das zwei<br />

Jahre später ausgeschriebene Aktienkapital<br />

für den Bau <strong>der</strong> Leipzig-Dresdner Eisenbahn<br />

in Höhe von einer Million Talern (1,5<br />

Millionen Gulden) war innerhalb weniger<br />

Stunden gezeichnet. Fe<strong>der</strong>führend bei <strong>der</strong><br />

Finanzierung <strong>der</strong> Nürnberg-Fürther Bahn<br />

waren die großen Handelshäuser <strong>der</strong> Region.<br />

Allein Georg Zacharias Platner, Hauptinitiator<br />

<strong>der</strong> Eisenbahn, erwarb Aktien im<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Wert von 11 000 Gulden, nach heutigem<br />

Wert rund 330 000 Euro. Unter den 207 Aktionären<br />

fanden sich aber auch 101 Kleinaktionäre,<br />

Dienstboten, Krämer, städtische<br />

Angestellte, die jeweils nur eine o<strong>der</strong> zwei<br />

Aktien im Wert von 100 o<strong>der</strong> 200 Gulden<br />

erwarben. Enttäuschend fiel das finanzielle<br />

Engagement des bayerischen Staates aus, <strong>der</strong><br />

nur zwei Aktien kaufte und diese erst nach<br />

mehrmaliger Ermahnung bezahlte.<br />

dER Bau dER ludwigsEisEnBahn<br />

Am 18. November 1833 fand im Nürnberger<br />

Kleinen Rathaussaal die offizielle Gründung<br />

<strong>der</strong> ersten Eisenbahngesellschaft Deutschlands<br />

statt. Georg Zacharias Platner wurde<br />

zum Direktor gewählt, Scharrer war sein<br />

Stellvertreter und folgte ihm ein Jahr später<br />

auf den Direktorsposten, den er dann<br />

bis zu seinem Tod 1844 bekleidete. Weitere<br />

Mitglie<strong>der</strong> des Direktoriums waren unter<br />

an<strong>der</strong>em <strong>der</strong> Nürnberger Erste Bürgermeister<br />

Bin<strong>der</strong> und <strong>der</strong> Buchhändler Carl<br />

Mainberger, ein Vertrauter Scharrers. Hier<br />

waren wie<strong>der</strong> die Vertreter <strong>der</strong> bürgerlichen<br />

Oberschicht versammelt, die seit zwei Jahrzehnten<br />

versuchten, mit sozialen und wirtschaftlichen<br />

Reformen die schwere Krise <strong>der</strong><br />

Region zu überwinden und zu ihr neuem<br />

Gewicht in <strong>der</strong> Welt zu verhelfen. Mit <strong>der</strong><br />

Gründung <strong>der</strong> Eisenbahngesellschaft schien<br />

dieser Gruppe erstmals ein Projekt zu gelingen,<br />

das weit über die Grenzen <strong>der</strong> Stadt hinaus<br />

Beachtung fand.<br />

Doch während die vielerorts bereits gegründeten<br />

o<strong>der</strong> in Gründung befindlichen Eisenbahnkomitees<br />

ihre Blicke nach Nürnberg<br />

richteten, galt <strong>der</strong> Prophet im eigenen Land<br />

wenig. Die bayerische Regierung verhielt<br />

sich weiterhin zögerlich; immerhin half sie<br />

bei <strong>der</strong> Suche nach einem Bauingenieur: Auf<br />

Vermittlung des Hofbaurates Klenze kam<br />

Platner zu Beginn des Jahres 1834 in Kontakt<br />

mit dem im Dienst <strong>der</strong> königlichen Regierung<br />

stehenden Ingenieur Paul Camille<br />

Denis. Ungewöhnlich großzügig gewährte<br />

die Regierung ihm Son<strong>der</strong>urlaub, um die<br />

Trasse zu projektieren. Zudem erhielt die<br />

Bahngesellschaft vom König persönlich das<br />

Privileg <strong>der</strong> Personenbeför<strong>der</strong>ung zwischen<br />

Nürnberg und Fürth für dreißig Jahre erteilt.<br />

Hier hatten sich die Nürnberger zwar<br />

mehr erwartet, dennoch benannten sie nun<br />

ihr Projekt zu Ehren ihres Monarchen „Königlich<br />

privilegierte Ludwigs-Eisenbahn-<br />

Gesellschaft“. Der von seinen Pflichten freigestellte<br />

Denis begann seine Arbeit Anfang<br />

9


10 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Juli 1834. Nach gut drei Monaten übergab<br />

er dem Direktorium die fertigen Pläne am<br />

14. Oktober. Am 31. Oktober erteilte ihm die<br />

Regierung die Erlaubnis, weiter für die Bahn<br />

zu arbeiten. Denis übernahm in <strong>der</strong> Folge<br />

auch die Bauleitung.<br />

Eine beson<strong>der</strong>e Schwierigkeit stellte <strong>der</strong><br />

Erwerb <strong>der</strong> für den Bau <strong>der</strong> Bahn nötigen<br />

Grundstücke dar. Da es kein Enteignungsgesetz<br />

gab, war die Gesellschaft gezwungen, mit<br />

allen Grundstücksbesitzern einzeln zu verhandeln.<br />

Obwohl mit <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> etwa<br />

90 Eigentümer eine rasche Einigung möglich<br />

war, zogen sich die Verhandlungen von März<br />

1834 bis September 1835 hin. Als beson<strong>der</strong>s<br />

hartnäckig erwies sich die Grundstücksbesitzerin<br />

– nomen est omen – Witwe Sperr, die<br />

schließlich für ihr Grundstück im Burgfrieden<br />

einen völlig überzogenen Preis herausschlug.<br />

Im Mai 1835, noch bevor alle Grundstücke<br />

erworben waren, begannen endlich die Arbeiten.<br />

Die Bauaufgabe war verhältnismäßig<br />

leicht: Entlang <strong>der</strong> Südseite <strong>der</strong> Fürther<br />

Chaussee musste auf einer Länge von 6 132<br />

Metern eine nahezu schnurgerade Strecke<br />

gebaut werden, die einen Höhenunterschied<br />

von nur etwa sechs Metern, abfallend von<br />

Nürnberg nach Fürth, aufwies. Gemäß dem<br />

„englischen System“ fiel die Bauweise sehr<br />

solide aus: Die Strecke verlief auf einem 4,37<br />

Meter breiten Damm von durchschnittlich<br />

4 bayerischen Fuß (1,17 Metern) Höhe. Die<br />

größte Höhe wurde mit 3,5 Meter bei Fürth<br />

erreicht. Auf dem Damm sollten Schienen<br />

in gusseisernen Befestigungen auf Steinqua<strong>der</strong>n<br />

befestigt werden. Zwischen den Schienen<br />

war ein aus gestampftem Kies bestehen<strong>der</strong><br />

Weg für Pferde vorgesehen, denn ein Teil<br />

des Betriebs sollte mit Pferdekraft bewerkstelligt<br />

werden. Drei Bahnübergänge mit<br />

Schranken und Warnschil<strong>der</strong>n für den kreuzenden<br />

Straßenverkehr waren vorgesehen.<br />

Zwischen 20 und 100 Tagelöhner, dazu 15<br />

bis 30 Fuhrleute, Akkordarbeiter, Pflasterer,<br />

Steinbohrer und Steinbrecher arbeiteten unter<br />

<strong>der</strong> Aufsicht von Denis auf <strong>der</strong> Baustelle.<br />

Während Material und Arbeitskräfte für die<br />

Erd- und Steinarbeiten vor Ort vorhanden<br />

waren, mussten die Schienen und Fahrzeuge<br />

an<strong>der</strong>enorts gefertigt werden. Deutschland<br />

war damals für diese Aufgabe in technologischer<br />

Hinsicht bei Weitem nicht up to date.<br />

Belastbare Schienen müssen aus Walzeisen<br />

bestehen, nicht aus sprödem Gusseisen, das<br />

jedoch kaum jemand in Deutschland herstellen<br />

konnte. Der Import aus England war<br />

aber wegen des hohen Einfuhrzolls zu teuer.<br />

Nach langer Suche fand sich das heute noch<br />

bestehende Eisenwerk Remy in Rasselstein<br />

bei Neuwied, das Schienen nach den Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Ludwigsbahn liefern konnte.<br />

Nun fehlte nur noch <strong>der</strong> Dampfwagen. Als<br />

Fans <strong>der</strong> englischen Eisenbahn dachten die<br />

Nürnberg-Fürther Bahnpioniere von Anfang<br />

an daran, die bekanntesten englischen<br />

Lokomotivbauer zu beauftragen: George<br />

Stephenson und seinen Sohn Robert aus<br />

Newcastle. Bereits im Frühjahr 1833 hatte<br />

die Ludwigsbahn-Gesellschaft über die<br />

Londoner Firma Suse & Libeth Kontakt zu<br />

Stephenson aufgenommen, <strong>der</strong> am 9. Mai,<br />

also noch vor Herausgabe des Subskriptionsaufrufs,<br />

den Nürnbergern antwortete,<br />

er könne eine Lokomotive bauen. Am 4.<br />

Juli schickte Stephenson ein Angebot für<br />

den Bau von zwei Lokomotiven für 1 800<br />

Pfund Sterling (= 21 600 Gulden, entspricht<br />

etwa 650 000 Euro). Dies überstieg jedoch<br />

deutlich die Kalkulation <strong>der</strong> Ludwigsbahn-<br />

Gesellschaft, die mit 12 000 Gulden gerechnet<br />

hatte.<br />

Nun begann die Suche nach Alternativen:<br />

Nachdem sich bis Ende 1834 im Gebiet des<br />

gerade gegründeten Deutschen Zollvereins<br />

kein seriöser Anbieter gefunden hatte,<br />

muss ten sich die fränkischen Eisenbahngrün<strong>der</strong><br />

im Ausland umschauen. Sie kamen<br />

in Kontakt zum belgischen Maschinenbauer<br />

Cockerill in Lüttich, <strong>der</strong> die Ausrüstung<br />

für die Bahnstrecke Brüssel–Mechelen<br />

geliefert hatte, die am 5. Mai 1835 als erste<br />

öffentliche Eisenbahn mit Dampfkraft<br />

auf dem europäischen Kontinent eröffnet<br />

werden sollte. Doch auch Cockerill war<br />

nicht <strong>der</strong> richtige Mann: Als Platner und<br />

Mainberger Ende April 1835 von Neuwied<br />

aus, wo sie mit dem Eisenwerk Remy den<br />

Vertrag zur Lieferung <strong>der</strong> Schienen abgeschlossen<br />

hatten, nach Lüttich fuhren,<br />

stellte sich heraus, dass Cockerill keinerlei<br />

Erfahrung im Bau von Lokomotiven<br />

hatte. Dafür erfuhren sie, dass sich Robert<br />

Stephenson anlässlich <strong>der</strong> Eröffnung <strong>der</strong><br />

Eisenbahn Brüssel–Mechelen in Brüssel<br />

aufhielt. Kurz entschlossen machten sie<br />

sich dorthin auf und trafen tatsächlich Stephenson.<br />

Die Eröffnung <strong>der</strong> Bahn, auf <strong>der</strong><br />

auch eine Stephenson’sche „Patentee“-Lok<br />

zum Einsatz kam, scheint die beiden endgültig<br />

von den Qualitäten des Lokomotivbauers<br />

aus Newcastle überzeugt zu haben,<br />

denn nach ihrer Rückkehr in die Heimat<br />

wurde <strong>der</strong> Dampfwagen umgehend bei<br />

Stephenson bestellt. Die Englän<strong>der</strong> bauten<br />

nun innerhalb <strong>der</strong> nächsten vier Monate<br />

eine Lokomotive für ihre deutschen<br />

Auftraggeber. Es war ihre 118. Maschine,<br />

eine Zahl, die zeigt, dass die Stephensons<br />

schon fast in Serie produzierten. Die Lok<br />

gehörte zu dem bewährten „Patentee“-Typ,<br />

<strong>der</strong> schon alle wichtigen Merkmale einer<br />

klassischen Dampflokomotive aufweist:<br />

ein von zahlreichen Heizrohren durchzogener<br />

Langkessel, Dampfdom, Rauchkammer<br />

und Schornstein. Der Dampfwagen,<br />

<strong>der</strong> später den Namen „Adler“ erhalten<br />

sollte, war das kleinste bisher gebaute Patentee-Exemplar.<br />

Das Leergewicht betrug<br />

6 Tonnen; zusammen mit Ten<strong>der</strong>, Wasser<br />

und Kohle war es etwa 11 Tonnen schwer.<br />

Stephenson stellte für die Lok 800 Pfund<br />

Sterling in Rechnung, das entsprach knapp<br />

10 000 Gulden.<br />

Ende September, Wochen später als geplant,<br />

wurde <strong>der</strong> Dampfwagen, zerlegt in<br />

100 Einzelteile und verpackt in 19 Kisten,<br />

nach Rotterdam verschifft. Die Umstände<br />

des Transports nach Nürnberg lieferten<br />

den schlagenden Beweis, wie dringend Europa<br />

ein mo<strong>der</strong>nes Transportsystem benötigte:<br />

Die 1500 Kilometer lange Reise von<br />

Newcastle nach Nürnberg per Segelschiff,<br />

Lastkahn und Fuhrwerk dauerte beinahe<br />

neun Wochen. Als <strong>der</strong> Dampfwagen eintraf,<br />

waren die Arbeiten an <strong>der</strong> Ludwigsbahn<br />

erheblich hinter dem Zeitplan. Zwar<br />

hatten auf einer Teilstrecke schon erste


Der Nachbau des Adlers von 1935 und sein Zug auf einer heutigen Fahrt<br />

Probefahrten mit den von heimischen Betrieben<br />

hergestellten Wagen stattgefunden,<br />

von denen <strong>der</strong> erste bereits Ende August<br />

betriebsbereit war; doch die Gesamtstrecke<br />

war noch nicht fertig, außerdem musste<br />

<strong>der</strong> Dampfwagen erst zusammengebaut<br />

werden. Dies erledigte <strong>der</strong> Fabrikant Wilhelm<br />

Späth in seiner großen Werkstätte<br />

am Dutzendteich. Späth galt gegenüber den<br />

Zollbehörden als <strong>der</strong> eigentliche Empfänger<br />

des Dampfwagens; auf den Rat <strong>der</strong> Behörde<br />

selbst hin hatte die Ludwigsbahn-Gesellschaft<br />

den Dampfwagen zum Muster für den<br />

Nachbau durch Späth erklärt, um den hohen<br />

Einfuhrzoll zu vermeiden. So verzögerten<br />

sich die Tests für die Lokomotive weiter: Die<br />

erste Probefahrt mit dem Dampfwagen fand<br />

am 16. November unter großer Anteilnahme<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung statt. Der auf den 24. November<br />

festgesetzte Eröffnungstermin konnte<br />

nicht eingehalten werden.<br />

ERöffnung und histoRischE BEdEutung<br />

Die Eröffnung fand schließlich am 7. Dezember<br />

statt. Mehrere Tausend Menschen<br />

wohnten dem Ereignis am Nürnberger Plärrer,<br />

von wo <strong>der</strong> Zug um neun Uhr morgens<br />

startete, entlang <strong>der</strong> Strecke und in Fürth<br />

bei. Zahlreiche Zeitungskorrespondenten<br />

berichteten und die Eisenbahnkomitees<br />

in ganz Deutschland schickten begeisterte<br />

Grußbotschaften. Einzig die bayerische<br />

Obrigkeit glänzte durch Abwesenheit: Kein<br />

Angehöriger des Königshauses wohnte <strong>der</strong><br />

Eröffnung bei, als ranghöchster Regierungsvertreter<br />

war <strong>der</strong> Regierungspräsident von<br />

Mittelfranken entsandt worden.<br />

Doch auch ohne die Unterstützung von<br />

König und Regierung wurde die Nürnberg-<br />

Fürther Eisenbahn zu einem Erfolg, <strong>der</strong> die<br />

Erwartungen seiner Grün<strong>der</strong> weit übertraf<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

und in ganz Europa Wi<strong>der</strong>hall fand. Zudem<br />

erwies sich das Unternehmen rasch als Erfolg:<br />

Bereits im ersten Jahr transportierte<br />

die Bahn die schier unglaubliche Zahl von<br />

475 219 Passagieren. Entsprechend hoch fiel<br />

<strong>der</strong> Gewinn aus: Im ersten Geschäftsjahr erhielten<br />

die Aktionäre eine Dividende von 20<br />

Prozent. Auch in den folgenden Jahren betrugen<br />

die Ausschüttungen zwischen 15 und<br />

17 Prozent. Damit hatte die Ludwigsbahn<br />

den Beweis erbracht, dass sich Eisenbahnbau<br />

auszahlte. In ganz Deutschland brach<br />

ein regelrechtes Eisenbahnfieber aus; endlich<br />

wagten die an<strong>der</strong>en Eisenbahnkomitees<br />

und ihre Kapitalgeber, die Verwirklichung<br />

ihrer Pläne anzugehen. In nur wenigen Jahren<br />

entstanden überall im Deutschen Bund<br />

Eisenbahnstrecken, sodass bereits fünf Jahre<br />

nach <strong>der</strong> Eröffnung <strong>der</strong> Ludwigsbahn 541<br />

Kilometer Gleise verlegt waren.<br />

RainER MERtEns<br />

11


12 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Im Jahr 1796 übernahm Carl August<br />

Freiherr von Hardenberg, <strong>der</strong><br />

spätere preußische Staatskanzler, als<br />

Staatsminis ter des preußischen Königs Friedrich<br />

Wil helm II. die Regierungsgeschäfte in<br />

Ansbach. Zwar hatte <strong>der</strong> König, Herr über<br />

die Fürs tentümer Ansbach und Bayreuth,<br />

von einer Übernahme Nürnbergs Abstand<br />

genommen, Hardenberg aber sah das an<strong>der</strong>s.<br />

Der ‚Erwerb‘ Nürnbergs schien ihm<br />

notwendig, ein preußisches Nürnberg sei<br />

„vorteilhaft für das Commerz“, schrieb er<br />

1797. Die hoch verschuldete alte Reichsstadt,<br />

die wahrlich schon bessere Tage gesehen<br />

hatte, war wirtschaftlich immer noch<br />

von Bedeutung, die alteingesessenen Nürnberger<br />

Handelshäuser genossen auch in diesen<br />

Krisenzeiten einen untadeligen Ruf. Und<br />

konnte man <strong>der</strong> Stadt Nürnberg wirklich<br />

nicht habhaft werden, „so muß man suchen,<br />

die Vorstädte emporzubringen“.<br />

das gEschwächtE nüRnBERg hatte<br />

<strong>der</strong> Besetzung seiner Vororte bis unmittelbar<br />

vor die Tore <strong>der</strong> Stadt nichts entgegenzusetzen.<br />

Auch die Verlegung <strong>der</strong> markgräflichen<br />

Bank von Ansbach nach Fürth war<br />

ein deutliches Zeichen, wen man zu stärken<br />

bzw. zu schwächen gedachte. Neue Straßenplanungen<br />

schließlich sollten zur För<strong>der</strong>ung<br />

des in- und ausländischen Handels beitragen,<br />

die heimische Wirtschaft för<strong>der</strong>n und<br />

in einem speziellen Fall, <strong>der</strong> geplanten Land-<br />

Zur geschichte<br />

Der Fürther strasse<br />

regine franzke · matthias murko<br />

chaussee zwischen Fürth und Nürnberg,<br />

den Nürnbergern empfindliche Einbußen<br />

bringen, erhoben diese bis dato doch immer<br />

noch Zoll- und Geleitgebühren für die alten<br />

Nürnberger Handelswege über Land. Mit<br />

<strong>der</strong> Planung <strong>der</strong> neuen Direktverbindung<br />

zwischen den beiden Nachbarstädten, als<br />

Weiterführung <strong>der</strong> Fernstraße von Frankfurt,<br />

<strong>der</strong>en Instandsetzung schon bis vor die<br />

Tore Fürths gediehen war, wurde im Jahr<br />

1800 begonnen. Nach Begutachtung mehrerer<br />

Expertenvorschläge über <strong>der</strong>en Verlauf<br />

und Beschaffenheit entschied sich Hardenberg<br />

für die Strecke <strong>der</strong> heutigen Fürther<br />

Straße, für Pflasterbelag aus Wendelsteiner<br />

Quarzit und beidseitige Alleebepflanzung<br />

mit Pappeln. Da <strong>der</strong> Wendelsteiner Steinbruch<br />

Nürnberg gehörte, standen <strong>der</strong> Stadt<br />

Abgaben aus dem Verkauf <strong>der</strong> Steine zu.<br />

Wendelstein aber stand unter preußischer<br />

Hoheit, weshalb die Ansbacher Regierung<br />

keinerlei Anstalten machte, zu bezahlen.<br />

Das diesbezügliche Anschreiben des Nürnberger<br />

Rats blieb gänzlich unbeantwortet.<br />

Nun begann ein regelrechter Kleinkrieg mit<br />

allerlei findigen Unternehmungen, die Pflasterlieferungen<br />

aus Wendelstein zu behin<strong>der</strong>n<br />

bzw. zu forcieren. Es half alles nichts,<br />

die auf ca. eine Million Stück veranschlagten<br />

Steine erreichten dennoch ihr Ziel, <strong>der</strong><br />

Ausbau, begonnen im Frühling 1801, schritt<br />

voran. Nach knapp vier Jahren, im Winter<br />

1804, war die neue Straße fertig gestellt.<br />

1806, nachdem sowohl Nürnberg als auch<br />

Fürth bayerisch geworden waren, spielten<br />

die einstigen Konkurrenzgedanken und<br />

Hardenbergs Versuch, die preußische Provinz<br />

auf Kosten Nürnbergs voranzubringen,<br />

keine Rolle mehr. Es entstand ein<br />

lebhafter blühen<strong>der</strong> Handel zwischen den<br />

beiden Städten, <strong>der</strong> durch die schnelle,<br />

komfortable Verbindung wesentlich erleichtert<br />

wurde.<br />

Allerdings wurden schon bald erste Mängel<br />

im Straßenbau deutlich, Risse, Löcher und<br />

schlimmer noch, wegen <strong>der</strong> zu geringen Wölbung<br />

und des Verzichts auf seitliche Gräben,<br />

blieb bei Regen das Wasser auf <strong>der</strong> Straße<br />

stehen, bei Frost verwandelte sich die Pflasterfläche<br />

in eine Eisbahn, für Mensch und<br />

Tier gefährlich und zeitweise unpassierbar.<br />

Nach einer Flut von Beschwerden erfuhr die<br />

Fürther Straße von 1820 bis 1823 den Umbau<br />

von <strong>der</strong> Pflasterstraße zur Landchaussee – im<br />

Grunde ein Neubau, da Pflaster und Packlage<br />

entfernt werden mussten, das Pflaster zuunterst<br />

gelegt wurde, darauf Schotter aus <strong>der</strong><br />

wie<strong>der</strong> verwendeten Packlage und zu guter<br />

Letzt eine Auflage aus Kies – fertig war die<br />

Chaussee! Nun konnten Pferd und Reiter,<br />

Fuhrwerke, Kutschen und Fußgänger wie<strong>der</strong><br />

ohne Beeinträchtigung ihr Ziel erreichen.<br />

Erst im Zuge <strong>der</strong> Kanalisierung, die 1879<br />

abgeschlossen war, bekam die Fürther Straße<br />

erneut einen Pflasterbelag und von Gaslaternen<br />

beleuchtete, breite Gehsteige.


Ballonfahrt des Nürnberger Fotografen Herbert Liedel entlang <strong>der</strong> Fürther<br />

Straße: In <strong>der</strong> Bildmitte rechts ist <strong>der</strong> helle Klinkerbau des Quelle-Versands<br />

zu sehen, gegenüber die Gebäudekomplexe von TA und AEG.<br />

schon 1820 galt die Chaussee zwischen<br />

Nürnberg und Fürth als meist befahrene<br />

Straße des Königreichs Bayern. Sie war so<br />

stark frequentiert, dass Überlegungen zu<br />

ihrer Entlastung angestellt wurden, wie die<br />

Idee einer von Pferden gezogenen Schienenbahn.<br />

Bis zur Realisierung <strong>der</strong> ersten Eisenbahn<br />

in Deutschland, ihrer feierlichen Eröffnung<br />

und Jungfernfahrt entlang <strong>der</strong> rund<br />

6 Kilometer langen Chaussee am 7. Dezember<br />

1835 hatten die Nürnberger und Fürther<br />

Eisenbahnvisionäre viele Hin<strong>der</strong>nisse zu<br />

überwinden, die sich in ihrer ganzen Bandbreite<br />

erst nach und nach herausstellten.<br />

Rückblickend betrachtet, war das Projekt<br />

Ludwigsbahn eine unerhört beeindruckende<br />

unternehmerische Leistung, dabei eine<br />

„Gleichung mit vielen Unbekannten“, Neuland<br />

für alle Beteiligten und <strong>der</strong> Aufbruch in<br />

ein neues Zeitalter.<br />

Nachdem sich die erste Neugier gelegt und<br />

die in- und ausländische Presse sich beruhigt<br />

hatte, gehörte die Adlerlokomotive mit ihren<br />

gelben Wagen schon bald zum Alltagsbild<br />

<strong>der</strong> beiden Nachbarstädte. Ausgehend vom<br />

Ludwigsbahnhof am vorstädtischen Plärrer,<br />

dem noch bescheiden bebauten, weiten Platz<br />

am Spittlertor, passierte die Ludwigsbahn den<br />

Vorort Gostenhof, folgte Wiesen, Fel<strong>der</strong>n<br />

und vereinzelten Dörfern um nach gut sechs<br />

Kilometern den zweiten Ludwigsbahnhof am<br />

Fürther Stadtrand zu erreichen.<br />

dER gRossE ERfolg <strong>der</strong> Ludwigseisenbahn<br />

übertraf wohl selbst die kühnsten Erwartungen<br />

ihrer Initiatoren und Aktionäre.<br />

Hun<strong>der</strong>ttausende verkaufter Billetts schon im<br />

ersten Jahr, <strong>der</strong> Andrang vor den Cassahäuschen<br />

<strong>der</strong> Bahnhöfe Nürnberg und Fürth muss<br />

beachtlich gewesen sein. Und die Zahlen stie-<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Staatsminister Carl August Freiherr von Hardenberg, <strong>der</strong> Nürnberg<br />

so gern preußisch gesehen hätte.<br />

gen weiter. Die im Vorfeld prognostizierte<br />

Gefahr schwerer Unfälle blieb ebenso aus<br />

wie <strong>der</strong> Untergang <strong>der</strong> Fuhrwerksleute. Die<br />

Eisenbahn machte nicht nur Gewinn, sie war<br />

einer! Anfang <strong>der</strong> 1850er-Jahre waren stärkere,<br />

im Betrieb günstigere Loks <strong>der</strong> Kasseler<br />

Henschel-Werke angeschafft worden, <strong>der</strong> Adler<br />

wurde 1857 ausgemustert. Seit 1881 verkehrte<br />

auch eine Pferdestraßenbahn parallel<br />

zur Ludwigsbahn, was zwar Auswirkungen<br />

auf die Fahrpreispolitik, nicht aber auf die<br />

Fahrgastzahlen hatte. Der Vorteil <strong>der</strong> Straßenbahn<br />

bestand in den Zustiegsmöglichkeiten,<br />

während die Eisenbahn die „Expressverbindung“<br />

zwischen den Nachbarstädten<br />

blieb. Das Straßenbahnnetz wurde unterdessen<br />

zügig in verschiedene Richtungen erweitert,<br />

was für die stetig wachsende Stadt und<br />

ihre Bevölkerung notwendig geworden war.<br />

R. f.<br />

13


14 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Auf diesem von Hand kolorierten Nürnberg-Panorama aus <strong>der</strong> Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts ist auch <strong>der</strong> Adler, entlang <strong>der</strong><br />

von Pappeln gesäumten Chaussee in Richtung Fürth dampfend, zu sehen.<br />

Die Ludwigseisenbahn auf ländlicher Strecke, weit im Hintergrund ist die Stadtsilhouette Nürnbergs zu erkennen.


D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Nicht alle waren begeistert vom<br />

neuen Verkehrsmittel Eisenbahn,<br />

wie dieser Vierzeiler auf dem<br />

Porzellaneinsatz eines Bierkrugdeckels<br />

aus <strong>der</strong> Zeit um 1850<br />

verdeutlicht.<br />

15


16 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Zweifellos gebührt <strong>der</strong> Adler-Dampflokomotive<br />

als technischem Novum<br />

hierzulande die Ehre, dem<br />

Dampfmaschinen-Zeitalter sozusagen<br />

vor an gefahren zu sein. „Impulsgeber“ für<br />

die fortschreitende Industrialisierung wird<br />

sie genannt und „Initialzündung“ für die<br />

Ansiedlung neuer Industriezweige, die<br />

durch den Einsatz von Dampfmaschinen<br />

aus Manufaktur-Werkstätten Fabriken erwachsen<br />

ließen. Und tatsächlich erfolgte<br />

<strong>der</strong> erste Industrialisierungsschub in Nürnberg<br />

in den 1830er-Jahren. Zu den großen<br />

Fabriken jener Zeit zählten die Klett’sche<br />

Maschinenfabrik und Johannes Zeltners Ultramarinfabrik,<br />

beide nicht an <strong>der</strong> Fürther<br />

Straße gelegen. Die Entwicklung unserer<br />

Landchaussee zur belebten Verkehrsa<strong>der</strong><br />

und „Achse <strong>der</strong> Industrialisierung“ sollte<br />

sich noch einige Jahrzehnte hinziehen.<br />

„da gEht’s ja zu wie am Plärrer“ – ein<br />

geflügeltes Wort unter den Nürnbergern und<br />

unmissverständliches Synonym für Hektik,<br />

Lärm, Gedränge. Das Wort Plärrer (alte<br />

Schreibweise ‚Plerrer‘) entstand aus dem<br />

mittelhochdeutschen Begriff ‚Plerre‘, was in<br />

etwa gleichbedeutend ist mit ‚freier Platz‘,<br />

an dem Händler, die keine Berechtigung für<br />

die innerstädtischen Märkte vorzuweisen<br />

hatten, ihre Waren feilbieten konnten. Mit<br />

<strong>der</strong> Errichtung des Ludwigsbahnhofs 1835<br />

und dem Bau einiger privater und gewerblich<br />

genutzter Häuser än<strong>der</strong>te sich langsam<br />

das Bild. Um 1850 hatten sich in <strong>der</strong> Nähe<br />

zwar schon einige Fabriken angesiedelt, zum<br />

Beispiel eine Zündholzfabrik und eine Haken-<br />

und Ösenfabrik, von reger Bautätigkeit<br />

„Da geht’s ja Zu wie am PLärrer!“<br />

konnte jedoch keine Rede sein. Der Grund<br />

dafür lag in einem staatlichen Bebauungsverbot<br />

des Gebiets rund um den alten Befestigungsring<br />

<strong>der</strong> mittelalterlichen Stadt, das<br />

für jedes neue Gebäude eine Son<strong>der</strong>genehmigung<br />

erfor<strong>der</strong>lich machte und erst im Jahr<br />

1866 aufgehoben wurde. Doch auch danach<br />

dauerte es noch rund 15 Jahre, bis <strong>der</strong> erste<br />

„Bauboom“ an <strong>der</strong> Fürther Straße einsetzte.<br />

dER nüRnBERgER fotogRaf Ferdinand<br />

Schmidt (1840–1909) hat wie kein an<strong>der</strong>er<br />

die Verän<strong>der</strong>ungen seiner Heimatstadt<br />

über Jahrzehnte dokumentiert. Mehr<br />

als 2000 Glasnegative sind erhalten, ein<br />

wahrer Schatz für alle, die auf den Spuren<br />

<strong>der</strong> alten Noris unterwegs sind. Die prägnanten<br />

Fotografien belegen eindrucksvoll,<br />

auch den Wandel des Stadtbilds jenseits <strong>der</strong><br />

Stadtmauer. Schmidts Blick auf den Plärrer,<br />

vom Spittlertorturm aus festgehalten,<br />

in den Jahren 1865 und 1905, verdeutlicht,<br />

welchen Sprung die westliche Vorstadt<br />

in nur 40 Jahren gemacht hat. Schon mit<br />

Einführung <strong>der</strong> Pferde-Straßenbahn 1881<br />

hatte <strong>der</strong> Platz vor dem Ludwigsbahnhof<br />

an Bedeutung gewonnen, 1896 schließlich,<br />

mit Inbetriebnahme <strong>der</strong> elektrifizierten<br />

Straßenbahn zwischen Nürnberg-Maxfeld<br />

und Fürth war er zum Knotenpunkt für<br />

mittlerweile fünf Linien geworden. Ferdinand<br />

Schmidts Interesse am Fortschritt<br />

in städtebaulicher, technischer, aber auch<br />

künstlerischer Hinsicht verdanken wir<br />

auch eine in ihrer kompositorischen<br />

Klarheit beeindruckende Aufnahme des<br />

„Kunstbrunnens zur Erinnerung an die<br />

erste deutsche Eisenbahn“ (heute schlicht<br />

„Eisenbahndenkmal“ genannt) an seinem<br />

ursprünglichen Aufstellungsort vor dem<br />

Ludwigsbahnhof am Plärrer. Der Grundsteinlegung<br />

am 50. Geburtstag <strong>der</strong> Adler-<br />

Jungfernfahrt, dem 7. Dezember 1885, folgte<br />

die Ausschreibung eines Kunstwettbewerbs,<br />

den <strong>der</strong> Bildhauer Heinrich Schwabe, seit<br />

1875 Professor für figürliche Plastik an<br />

<strong>der</strong> Nürnberger Kunstgewerbeschule, für<br />

sich entschied. Als Brunnen mit zwei ausladenden<br />

Auffangbecken konzipiert, erhebt<br />

sich ein hoher Sockel mit Obelisk, auf dem,<br />

an zwei gegenüberliegenden Seiten Bronzereliefs<br />

zum einen von <strong>der</strong> Beschwerlichkeit<br />

und den Gefahren des Reisens mit <strong>der</strong> Postkutsche,<br />

zum an<strong>der</strong>en von <strong>der</strong> Eröffnung<br />

<strong>der</strong> Ludwigseisenbahn als Triumphzug in<br />

die neue Zeit erzählen. Links und rechts des<br />

Sockels thronen die beiden Städteallegorien<br />

Noris und Furthia. Den Obelisk krönt<br />

ein Genius mit Flügelrad, dem Symbol <strong>der</strong><br />

Eisenbahn. 1890 feierlich enthüllt, musste<br />

das alsbald zum beliebten Postkartenmotiv<br />

avancierte Prunkstück im Jahr 1927 dem<br />

erneuten Straßenbahngleisausbau weichen.<br />

1929 wurde das Denkmal etwas stiefmütterlich<br />

an die Stadtgrenze zu Fürth verfrachtet,<br />

wo es bis zu seinem abermaligen<br />

Umzug 1965 blieb. Hier war es nun dem<br />

Bau <strong>der</strong> neuen Schnellstraße im Weg, fand<br />

aber 1966 erneut Aufstellung ein Stückchen<br />

weiter in einer kleinen Grünanlage nahe <strong>der</strong><br />

Zufahrt zur Stadtautobahn. 1993 schließlich<br />

musste es zum vierten Mal umziehen, in die<br />

Fürther Straße, Höhe Veit-Stoß-Anlage –<br />

zwar nicht zurück zum Plärrer, aber immerhin<br />

auf die ehemalige Strecke des Adlers.<br />

R. F.<br />

Auf dieser kleinen<br />

Grafik aus den<br />

1860er-Jahren rauchen<br />

im Vor<strong>der</strong>grund<br />

die Schornsteine<br />

<strong>der</strong> Zeltner’schen<br />

Ultramarinfabrik.<br />

Und auch in <strong>der</strong><br />

Nachbarschaft hat<br />

sich schon Industrie<br />

angesiedelt.


Ferdinand Schmidts Plärrer-Panoramen aus den Jahren 1865 (oben) und 1905 (unten).<br />

Auch dies eine <strong>der</strong><br />

bestechenden Aufnahmen<br />

des Nürnberger<br />

Fotografen<br />

Ferdinand Schmidt:<br />

das Eisenbahn-Denkmal<br />

am Plärrer vor<br />

dem Bahnhofsgebäude<br />

<strong>der</strong> Ludwigs-<br />

Eisenbahn.<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Gleisbauarbeiten<br />

für die Straßenbahn<br />

am Verkehrsknotenpunkt<br />

Plärrer im Jahr<br />

1899 (links) und <strong>der</strong><br />

Platz nach Beendigung<br />

<strong>der</strong> Bauarbeiten<br />

1900 (rechts),<br />

aufgenommen von<br />

Ferdinand Schmidt.<br />

Das Eisenbahn-<br />

Denkmal nach seinem<br />

ersten Umzug<br />

an die Nürnberg-<br />

Fürther Stadtgrenze,<br />

1930er-Jahre.<br />

17


18 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Der Plärrer in den 1930er-Jahren mit Blick auf den mo<strong>der</strong>nen Plärrer-Automat und den mittlerweile<br />

isoliert stehenden ehemaligen Ludwigsbahnhof.<br />

Der Plärrer-Automat 1933.<br />

dREi BEMERkEnswERtE BaulichE<br />

Verän<strong>der</strong>ungen markieren den Wandel<br />

des Nürnberger Plärrers von einst zum innerstädtischen<br />

Verkehrsknotenpunkt heute.<br />

Mit dem Bau des „Plärrer-Automaten“<br />

Anfang <strong>der</strong> 1930er-Jahre war <strong>der</strong> alte Platz<br />

sozusagen in <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne angekommen.<br />

Geradezu futuristisch muss <strong>der</strong> lichtdurchflutete<br />

Längsbau mit seinem Rondell gewirkt<br />

haben, beson<strong>der</strong>s abends, wenn die Leuchtschriften<br />

entlang des Flachdachs den Platz<br />

beschienen. Erbaut im Stil <strong>der</strong> klassischen<br />

Mo<strong>der</strong>ne, nach den Plänen des Architekten<br />

Walter Brugmann, erfüllte <strong>der</strong> Plärrer-Automat<br />

mehrere Ansprüche in einem: Wartehalle<br />

für die Fahrgäste, Automaten-Restaurant,<br />

Kiosk und „stummes Postamt“ mit<br />

Briefmarkenautomat, Briefkasten und meh-<br />

reren Telefonzellen. Anfangs noch kritisch<br />

beäugt, fand das elegante Gebäude schnell<br />

die verdiente Akzeptanz, was sich nicht zuletzt<br />

darin wi<strong>der</strong>spiegelt, dass man den erheblich<br />

beschädigten Bau nach Kriegsende<br />

bald wie<strong>der</strong> aufbaute. Einen zweiten, nicht<br />

weniger mo<strong>der</strong>nen Akzent setzten die Städtischen<br />

Werke mit <strong>der</strong> Errichtung des ersten<br />

Nürnberger Hochhauses am Plärrer, Ecke<br />

Rothenburger Straße/Südl. Fürther Straße,<br />

dem das letzte Nürnberger Relikt <strong>der</strong> ersten<br />

deutschen Eisenbahn, <strong>der</strong> Ludwigsbahnhof<br />

nämlich, weichen musste. Mit 56 Metern<br />

Höhe war das 15-stöckige Plärrer-Hochhaus<br />

damals das höchste Gebäude Bayerns! Errichtet<br />

1951 bis 1953, wurde <strong>der</strong> markante<br />

Bau des renommierten Nürnberger Architekten<br />

Wilhelm Schlegtendal für die noch<br />

Der Ausbau <strong>der</strong> U-Bahn-Strecke Richtung<br />

Fürth verwandelte den Plärrer − hier auf einer<br />

Aufnahme von 1978 − monatelang in eine<br />

Großbaustelle.<br />

immer von Kriegsschäden gezeichnete Stadt<br />

zum Sinnbild für Wie<strong>der</strong>aufbau und neue<br />

Größe. Last but not least folgte ab 1978 <strong>der</strong><br />

Bau <strong>der</strong> U-Bahn-Strecke Plärrer—Fürther<br />

Straße—Fürth. Die kontinuierliche Erweiterung<br />

des Nürnberger U-Bahn-Netzes seit<br />

dem ersten Spatenstich 1967 erreichte 1978<br />

den Plärrer; 1977, im Vorfeld <strong>der</strong> zwei Jahre<br />

währenden Großbaustelle war <strong>der</strong> Plärrer-<br />

Automat abgerissen worden. Der öffentliche<br />

Nahverkehr Richtung Fürth auf <strong>der</strong> einstigen<br />

Adlerstrecke verschwand nun in Etappen<br />

„unter Tage“. Mit dem Erreichen <strong>der</strong> letzten<br />

unterirdischen Station Eberhardshof und<br />

ihrer Verbindung mit <strong>der</strong> Hochbahnstrecke<br />

ging im Juni 1981 die 100-jährige <strong>Geschichte</strong><br />

<strong>der</strong> Nürnberg-Fürther-Straßenbahn zu<br />

Ende.


Kriegszerstörungen und Wie<strong>der</strong>aufbau am Nürnberger Plärrer, aufgenommen in den Jahren 1948 (oben) und 1953 (unten).<br />

Plärrer-Panorama 2009<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

19


20 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

nach diEsER klEinEn zEitREisE<br />

weit ins 20. Jahrhun<strong>der</strong>t kehren wir zurück<br />

zu den Anfängen <strong>der</strong> Fürther Straße, so wie<br />

wir sie kennen, die breite Großstadtstraße<br />

mit ihren auch heute noch zahlreichen historischen<br />

Fassaden. Mitte <strong>der</strong> 1880er-Jahre<br />

datieren die meisten <strong>der</strong> unweit des Plärrers<br />

gelegenen Mietshäuser, beginnend mit <strong>der</strong><br />

<strong>Haus</strong>nummer 2, dem so genannten Hansa-<br />

<strong>Haus</strong>. Das imposante Eckgebäude am Altstadtring<br />

ist ein Beispiel des „Nürnberger<br />

Stils“, eine Son<strong>der</strong>form des Historismus,<br />

die neben spätgotischen und Renaissance-<br />

Elementen auch lokaltypische Formenzitate<br />

verwendet, wie Fachwerk, reich verzierte,<br />

holzverkleidete Erker o<strong>der</strong> das für die Dürerzeit<br />

typische so genannte Chörlein. Rückbesinnung<br />

und Stolz eines traditionsbewussten<br />

Bürgertums auf die Blütezeit <strong>der</strong> alten Noris<br />

begegnet uns an solchen Fassaden. Daneben<br />

folgten herrschaftlich anmutende Mietshäuser<br />

im Neorenaissance- und Neobarockstil<br />

mit aufwändig gestalteten Vestibülen und<br />

Treppenhäusern. Nur wenige Gehminuten<br />

vom Plärrer entfernt, entstand zur gleichen<br />

Zeit auch das zu Recht als „Mietspalast“<br />

bezeichnete, im Neorenaissancestil gestaltete<br />

Doppelhaus Nr. 54/56, dessen elegante<br />

Das Postkartenmotiv von 1907 zeigt den Blick in die beginnende Fürther Straße Richtung Westen.<br />

gelbe Sandsteinfassade auch heute noch,<br />

ohne ihren einstigen Prachtgiebel und die<br />

flankierenden Kuppeldächer deutlich hervorsticht.<br />

Das Mittelstück <strong>der</strong> Fassade wird<br />

betont durch eine <strong>der</strong> Erdgeschoss-Rustika<br />

vorgelagerte Säulenreihe, auf <strong>der</strong> ein breites,<br />

zurückhaltend geglie<strong>der</strong>tes Gebälk mit Balustrade<br />

ruht. Darüber folgt die, um je eine<br />

Fensterbreite schmalere, dreigeschossige<br />

Ordnung aus vorgesetzten Säulen und Balustraden<br />

– großzügig, großstädtisch und<br />

geradezu herrschaftlich wirkt diese Fassade<br />

im Vergleich zu ihren Nachbarn.


Fassadenplan des aufwändig gestalteten Mietspalastes <strong>Haus</strong>-Nr. 54/56.<br />

Das Hansa-<strong>Haus</strong>, ein Beispiel des so genannten<br />

Nürnberger Stils, Baujahr 1895. Das<br />

imposante Eckgebäude bildet noch heute das<br />

„Entree“ zur historischen Fürther Straße.<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Das <strong>Haus</strong>-Nr. 54/56<br />

als Postkartenmotiv<br />

mit dem prächtigen<br />

Ziergiebel und den<br />

beiden flankierenden<br />

Kuppeln, die<br />

− nach schweren<br />

Beschädigungen im<br />

Zweiten Weltkrieg −<br />

nicht wie<strong>der</strong> ergänzt<br />

wurden.<br />

21


22 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Mannshohe Hopfensäcke im Hinterhof des Gebäudes Fürther Straße 17,<br />

<strong>der</strong> Adresse <strong>der</strong> Hopfenhandelsfirma Kirschbaum, 1912.<br />

Riemenwäl<strong>der</strong> – Alltagsbild in den Werkshallen damaliger Fabriken und<br />

oftmals tödliche Gefahrenquelle für die Arbeiterschaft.<br />

iM nöRdlichEn tEil <strong>der</strong> Fürther Straße<br />

siedelte sich zu Beginn <strong>der</strong> 1880er-Jahre<br />

vermehrt <strong>der</strong> reich gewordene Hopfenhandel<br />

an. Nürnberg hatte sich zum Hopfenhandelszentrum<br />

von Weltrang entwickelt.<br />

Die Gegend um den Plärrer und den<br />

mittlerweile neu errichteten, vergrößerten<br />

Ludwigsbahnhof wurde zur „ersten Adresse“<br />

<strong>der</strong> westlichen Vorstadt. Die meisten<br />

Gebäude dort hatten geräumige Hinterhöfe<br />

und Rückgebäude, in denen Lagerräume<br />

o<strong>der</strong> Gewerbebetriebe untergebracht waren,<br />

so zum Beispiel im Rückgebäude des<br />

Anwesens Fürther Straße 18. Hier fertigte<br />

die Firma Stierstorfer & Nägele seit Anfang<br />

des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts Treibriemen für<br />

industrielle Betriebe, die mit Dampfmaschinen<br />

und Transmissionen arbeiteten. In<br />

vielen Fabriken wurde die Antriebskraft <strong>der</strong><br />

großen Dampfmaschinen über stählerne<br />

Transmissionswellen an <strong>der</strong> Decke in die<br />

Werkshallen geleitet. Über Riemenscheiben<br />

an den Wellen wie<strong>der</strong>um liefen Treibriemen<br />

aus Le<strong>der</strong>, die die zentral erzeugte Kraft auf<br />

viele einzelne Maschinen übertrugen. Mit<br />

<strong>der</strong> Größe <strong>der</strong> Werkshallen und <strong>der</strong> Anzahl<br />

<strong>der</strong> Arbeitsplätze dort stieg auch die Zahl<br />

<strong>der</strong> Transmissionsriemen, daher <strong>der</strong> alte<br />

Begriff „Riemenwäl<strong>der</strong>“. In <strong>der</strong> industriellen<br />

Fabrikation gab es keine effizientere Kraftübertragung<br />

als die <strong>der</strong> Transmission. Das<br />

än<strong>der</strong>te sich erst mit <strong>der</strong> Entwicklung von<br />

industrietauglichen Elektromotoren, die es<br />

möglich machten, Maschinen ohne zentrale<br />

Kraftquelle einzeln zu betreiben. Dennoch<br />

blieben viele Fabriken noch für Jahrzehnte<br />

<strong>der</strong> Transmission treu und ergänzten allenfalls<br />

die bestehenden Bereiche durch mo<strong>der</strong>ne,<br />

elektrisch betriebene Maschinen, in<br />

erster Linie aus Kostengründen. So blieb<br />

Die Belegschaft <strong>der</strong> Treibriemenfabrik Stierstorfer & Nägele, versammelt<br />

vor dem Rückgebäude Fürther Straße 18, Mitte <strong>der</strong> 1930er-Jahre.<br />

Ein Bild vergangener Tage: An die Werkbank gelehnt, warten die sorgfältig<br />

aufgerollten fertigen Treibriemen auf ihre Abholung.<br />

auch die Treibriemenfabrik Stierstorfer &<br />

Nägele weiterhin im Geschäft. Erst in den<br />

1950er-Jahren kam das endgültige Aus für<br />

die Treibriemenherstellung. Stierstorfer &<br />

Nägele überlebte, weil man frühzeitig mit einer<br />

Le<strong>der</strong>handlung begonnen hatte. Bis zur<br />

Geschäftsaufgabe 1997 fertigte Hans-Karl<br />

Nägele, <strong>der</strong> Enkel des Firmengrün<strong>der</strong>s, in<br />

seiner Werkstatt an <strong>der</strong> Fürther Straße bei<br />

Bedarf auch noch Treibriemen, und das, von<br />

einigen wenigen Neuerungen abgesehen,<br />

ganz so wie schon sein Großvater – an den<br />

alten Maschinen: zum Bahnenschneiden <strong>der</strong><br />

Rin<strong>der</strong>häute, dem Abschärfen <strong>der</strong> Rän<strong>der</strong>,<br />

zum Pressen und Kleben und schließlich zur<br />

Einstellung <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Betriebsspannung.<br />

Einige dieser Maschinen und Werkzeuge<br />

sind heute im Museum Historischer<br />

Eisenhammer in Eckersmühlen/Landkreis<br />

Roth zu besichtigen.


Das Firmengebäude <strong>der</strong> „Fabrik für dynamoelektrische Maschinen und<br />

Apparate, Soldan & Co“ an <strong>der</strong> Fürther Straße 199, später Sitz <strong>der</strong> Münzprägeanstalt<br />

Balmberger.<br />

Ein zEittypischEs BEispiEl für<br />

die Ansiedlung industrieller Betriebe an<br />

<strong>der</strong> Fürther Straße ist die „Münzpräge- &<br />

Gravir anstalt C. Balmberger“, <strong>Haus</strong>nummer<br />

199. Im Jahr 1882 erwarb <strong>der</strong> Firmengrün<strong>der</strong><br />

Conrad Balmberger einen Betrieb<br />

zur Herstellung von Spielmarken für Brett-,<br />

Würfel- o<strong>der</strong> Kartenspiele. Seit den 1870er-<br />

Jahren war zunehmend auch Kin<strong>der</strong>spielgeld<br />

für Kaufläden und Kin<strong>der</strong>post in Mode<br />

gekommen. Die Verbreitung des „Reichskin<strong>der</strong>geldes“<br />

eröffnete auch für Balmberger<br />

Vertriebsmöglichkeiten in ganz Deutschland.<br />

Neben <strong>der</strong> Nürnberger Firma L. Ch.<br />

Lauer gehörte Balmberger zu den führenden<br />

deutschen Spielgeldproduzenten und<br />

-exporteuren. 1886 übernahm <strong>der</strong> Sohn des<br />

Grün<strong>der</strong>s, Friedrich Balmberger, die Firma<br />

und erwarb Anfang des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

nach einigen Umzügen und Erweiterungen<br />

des Betriebs das oben genannte Anwesen<br />

an <strong>der</strong> Fürther Straße, die vormalige „Fabrik<br />

für dynamoelektrische Maschinen<br />

und Apparate Soldan & Co.“. Das hübsche<br />

Der Katalog <strong>der</strong><br />

Firma C. Balmberger<br />

bot auch kleine<br />

Blechklappdosen an,<br />

in denen das Kin<strong>der</strong>spielgeld<br />

aufbewahrt<br />

werden konnte.<br />

zweistöckige Backsteingebäude mit seinen<br />

markanten steinernen Fensterrahmungen,<br />

Werkshof und angrenzenden Maschinenräumen<br />

stand damals noch allein auf weiter<br />

Flur, nur eine Straßenbreite entfernt von<br />

den Gleisen <strong>der</strong> Ludwigsbahn. Im Innern<br />

betrieb eine stattliche Dampfmaschine über<br />

Transmissionen die verschiedenen Fertigungsbereiche.<br />

Der Katalog <strong>der</strong> florierenden<br />

Prägeanstalt hatte neben Spielmarken und<br />

Kin<strong>der</strong>geld auch Son<strong>der</strong>münzen, Medaillen,<br />

Vereinsabzeichen und Orden im Angebot,<br />

ferner Bier-, Gar<strong>der</strong>oben- und Hundemarken,<br />

Etiketten, Wertmarken und Schil<strong>der</strong><br />

aller Art, Karnevalsschmuck und sogar<br />

Schuhlöffel. Vor allem das boomende Vereinswesen<br />

<strong>der</strong> damaligen Zeit – um die Jahrhun<strong>der</strong>twende<br />

existierten bereits über 1800<br />

Vereine in Nürnberg – bescherte Balmberger<br />

eine ausgezeichnete und sichere Einnahmequelle,<br />

die erst mit <strong>der</strong> Machtübernahme <strong>der</strong><br />

Nationalsozialisten, durch Gleichschaltung<br />

o<strong>der</strong> Auflösung des bestehenden Vereinswesens,<br />

versiegte. Nur die Abzeichen-Produk-<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Nach Jahrzehnten Leerstand hat das schmucke alte Gebäude eine neue<br />

Bestimmung gefunden – als Bäckerei und Café-Filiale.<br />

Auch das gab es im<br />

Warenkatalog <strong>der</strong><br />

„Münzpräge- und<br />

Graviranstalt Balmberger“<br />

– Schuhlöffel,<br />

die man zu<br />

Werbezwecken mit<br />

geprägtem Namenszug<br />

versehen lassen<br />

konnte.<br />

tion im Vorfeld <strong>der</strong> Reichsparteitage war ein,<br />

wenn auch zweifelhafter, finanzieller Lichtblick.<br />

Nach Kriegsausbruch musste auch bei<br />

Balmberger auf Rüstungsbedarf umgestellt<br />

werden. Nachdem das im Krieg erheblich<br />

beschädigte Gebäude Ende <strong>der</strong> 1940er-Jahre<br />

erneut bezogen werden konnte, fertigte man<br />

wie<strong>der</strong> unterschiedliche Marken, Son<strong>der</strong>münzen<br />

und Sammlermedaillen. 1980 wurde das<br />

alte Fabrikanwesen an den Quelle-Konzern<br />

verkauft, <strong>der</strong> die Gebäude zeitweise als Lager<br />

nutzte. Nach mehr als 20 Jahren Leerstand<br />

und einigen Umnutzungsideen, die allesamt<br />

Ideen blieben, wurde das voll e nds heruntergekommene<br />

Industriedenkmal Balmberger<br />

gründlich saniert und zu einer Bäckerei mit<br />

Café umgebaut. Der nahe gelegene Gebäudekomplex<br />

<strong>der</strong> Hercules-Werke, <strong>Haus</strong>nummer<br />

191–193, hatte da weniger Glück, er steht<br />

schon lange nicht mehr. Dabei war dieses einst<br />

so bedeutende Unternehmen maßgeblich an<br />

<strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong> Fürther Straße als „Achse<br />

<strong>der</strong> Industrialisierung“ beteiligt.<br />

R. F.<br />

23


24 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Unweit <strong>der</strong> großen Kreuzung Maximilianstraße,<br />

parallel zur Fürther<br />

Straße, verläuft die Fahrradstraße.<br />

Nein, kein für den motorisierten Verkehr<br />

gesperrter Radweg, die Straße heißt so. Und<br />

das ist kein Zufall. Man hatte die Zeichen<br />

<strong>der</strong> Zeit erkannt! Auch hierzulande erfreute<br />

sich <strong>der</strong> „Drahtesel“ immer größerer Beliebtheit<br />

– und so entstand in dem schnell<br />

wachsenden Industriestandort Nürnberg<br />

binnen weniger Jahrzehnte ein Zentrum<br />

deutscher Fahrradproduktion, das seinesgleichen<br />

suchte.<br />

ViER dER fünf namhaftesten Fahrradfabriken<br />

siedelten sich an <strong>der</strong> Fürther Straße<br />

an, und das als einer <strong>der</strong> ersten Industriezweige<br />

überhaupt. Der westlich gelegene Teil<br />

<strong>der</strong> Fürther Straße war damals noch weitgehend<br />

Landchaussee, umgeben von nichts als<br />

Wiesen, Fel<strong>der</strong>n und einigen Dörfern – viel<br />

Platz also für großzügige Planungen links<br />

und rechts <strong>der</strong> Ludwigsbahn, die ihr 50.<br />

Jubiläum schon hinter sich hatte, als Carl<br />

Marschütz am 5. April 1886 die Velocipedfabrik<br />

„Carl Marschütz & Co“ gründete. Er<br />

tat dies nicht allein aus geschäftlichen Erwägungen,<br />

son<strong>der</strong>n auch mit viel Herzblut<br />

für die Sache, ein echter Fahrradpionier ging<br />

nomen est omen – hercuLes<br />

hier ans Werk. 1883 als Sohn eines Lehrers<br />

in Burghaslach bei Nürnberg geboren, bekam<br />

<strong>der</strong> junge Carl <strong>der</strong>einst eine Draisine<br />

geschenkt, eine jener „Laufmaschinen nach<br />

Drais’schem System“, die, noch ohne Pedale,<br />

im Laufschritt vorwärts bewegt wurde. Dieser<br />

Urform des heutigen Fahrrads galt fortan<br />

seine Leidenschaft. Während seines Volontariats<br />

in <strong>der</strong> Neumarkter Ofenfabrik und<br />

Eisenhandlung Goldschmidt begegnete Carl<br />

Marschütz einem Englän<strong>der</strong> auf Durchreise,<br />

unterwegs auf dem Hochrad von London<br />

nach Wien! Dass dieses exquisite, aber teure<br />

Fortbewegungsmittel nur Wohlhabenden<br />

zur Verfügung stand, brachte ihn auf die<br />

Idee, selbst Fahrrä<strong>der</strong> zu konstruieren und<br />

hier zu bauen, um so die Preise zu senken<br />

und das Fahrrad für einen deutlich größeren<br />

Abnehmerkreis erschwinglich zu machen.<br />

„das glück ist mit dem Tüchtigen“ – für<br />

den erst 19-Jährigen bewahrheitete sich<br />

das Sprichwort. Er machte seinen Freund,<br />

den Mechaniker Eduard Pirzer, mit seinem<br />

Vorgesetzten Josef Goldschmidt bekannt<br />

und überzeugte die beiden Männer von seiner<br />

Idee, Neuland zu betreten und als Erste<br />

überhaupt in Deutschland Fahrrä<strong>der</strong> zu produzieren.<br />

Vier Jahre lernte und arbeitete Carl<br />

Marschütz in dieser ersten deutschen Fahrradfabrik<br />

im oberpfälzischen Neumarkt,<br />

angeleitet von einem Veloziped-Fachmann<br />

aus England, dem man die Werkstattleitung<br />

anvertraut hatte. Dann war es soweit – Marschütz<br />

verließ das Unternehmen und gründete<br />

1886 sein eigenes, in Nürnberg.<br />

laut fiRMEnchRonik zum 100-jährigen<br />

Bestehen beschäftigte Marschütz in<br />

seiner Werkstatt in <strong>der</strong> Bleichstraße anfangs<br />

zehn Arbeiter, die im Gründungsjahr<br />

schon 120 Hochrä<strong>der</strong> produzierten.<br />

Ein Jahr später stand aufgrund des weiter<br />

wachsenden Produktionsumfangs bereits<br />

<strong>der</strong> erste Umzug an. Marschütz entschied<br />

sich für die Fürther Straße und bezog 1887<br />

das Anwesen Nummer 61. Nicht außergewöhnlich<br />

für diese Zeit entschied sich auch<br />

Carl Marschütz für einen <strong>der</strong> griechischen<br />

Antike entlehnten Markennamen. Nomen<br />

est omen – Hercules, die antike Personifikation<br />

von Heldentum, Kraft und Stärke,<br />

Sohn des Zeus und Schutzgott <strong>der</strong> Gymnasien,<br />

wie die Sportstätten im Griechenland<br />

<strong>der</strong> Antike hießen, war eine kluge Wahl. Der<br />

Name war schlagkräftig und vermittelte einprägsam,<br />

was <strong>der</strong> Kaufinteressent erwarten<br />

durfte: ein zuverlässiges Markenprodukt von


D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Briefkopf <strong>der</strong> Velocipedfabrik Carl Marschütz & Co. mit einer Ansicht des neuen Firmensitzes an <strong>der</strong> Fürther Straße 61.<br />

hoher Qualität und Langlebigkeit. Diesen<br />

Anspruch zu erfüllen hatte für den Unternehmer<br />

Carl Marschütz oberste Priorität<br />

und das machte sich bezahlt, wie die Jubiläumschronik<br />

von 1986 eindrucksvoll belegt:<br />

In nur fünf Jahren, zwischen 1889 und 1894<br />

stieg die Anzahl <strong>der</strong> Beschäftigten von 70<br />

auf 170, die Produktion steigerte sich von<br />

800 auf 4 700 Hoch- und, seit Anfang <strong>der</strong><br />

1890er-Jahre, auch Nie<strong>der</strong>rä<strong>der</strong>. Der beeindruckende<br />

Erfolg ist sicher nicht allein mit<br />

dem Fahrradboom dieser Epoche zu erklären,<br />

son<strong>der</strong>n ebenso mit dem ausgezeichneten<br />

Ruf, den die Hercules-Rä<strong>der</strong> genossen.<br />

Denn längst hatte Marschütz Konkurrenz<br />

bekommen. Etwa zeitgleich mit seinem<br />

Umzug an die Fürther Straße nahmen die<br />

Victoria-Werke die Produktion auf, gefolgt<br />

von Mars, Sirius und Triumph, und auch die<br />

Neumarkter Express-Werke, seine einstige<br />

Lehrstätte, produzierten weiterhin erfolgreich<br />

Markenrä<strong>der</strong>. Aber ein Hercules-Rad<br />

zu besitzen war etwas Beson<strong>der</strong>es.<br />

diE BEtRächtlich gEstiEgEnE Produktion<br />

und die Erweiterung des Modellangebots<br />

bewogen den erfolgreichen Unternehmer,<br />

sich nach neuen Werksräumen<br />

umzusehen. Marschütz entschied sich zum<br />

Ankauf eines weitläufigen Grundstücks an<br />

<strong>der</strong> Fürther Straße 191–193 und ließ dort ein<br />

stattliches Werk errichten, das 1895 bezogen<br />

werden konnte. Im Jahr 1900 „mo<strong>der</strong>nisierte“<br />

er auch den Firmennamen, man hieß<br />

nun schlicht „Nürnberger Hercules-Werke".<br />

tRotz dER inVEstitionskostEn<br />

konnte die erste große Absatzkrise des noch<br />

jungen Industriezweigs, Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts,<br />

– ausgelöst vor allem durch amerikanische<br />

Billigimporte – den Herkules unter<br />

den Nürnberger Fahrradproduzenten nicht<br />

in die Knie zwingen. Als umsichtiger Unternehmer<br />

hatte Marschütz gut gewirtschaftet<br />

und schaffte es, trotz deutlich zurückgegangener<br />

Stückzahlen, die Hercules-Werke über<br />

die Krisenjahre zu retten. Schon im Vorfeld<br />

hatte er an <strong>der</strong> Erweiterung und Umstellung<br />

<strong>der</strong> Produktpalette gearbeitet, die das Überleben<br />

<strong>der</strong> Hercules-Werke sichern konnte.<br />

Als Radfahrfan <strong>der</strong> ersten Stunde interessierte<br />

sich Carl Marschütz natürlich auch<br />

für die neuen motorisierten Gefährte und<br />

erkannte, dass diesen Vehikeln die Zukunft<br />

gehören würde. Parallel zu den Weiterentwicklungen<br />

auf dem Fahrradsektor<br />

beschäftigte sich Hercules unter an<strong>der</strong>em<br />

mit dem Bau eines Motorradprototyps wie<br />

auch sein Konkurrent, die Victoria-Werke.<br />

Beide stellten 1904 ihre Modelle <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />

vor. Schon ein Jahr später ging<br />

die Hercules-Maschine in Produktion, eine<br />

Art motorisiertes Fahrrad, ausgestattet mit<br />

einem belgischen 4,5 PS-Motor und Keilriemenantrieb.<br />

Im gleichen Jahr ging Hercules<br />

eine Erfolg versprechende Partnerschaft mit<br />

dem Schweinfurter Unternehmen Fichtel &<br />

Sachs ein, dessen Mitbegrün<strong>der</strong> Ernst Sachs<br />

1903 die für den Fahrradbau bahnbrechende<br />

Erfindung <strong>der</strong> „Torpedo-Freilaufnabe“ zum<br />

Patent angemeldet hatte.<br />

als wEitEREs standBEin bei Hercules<br />

kam ab 1908 die Produktion von Lastwagen<br />

unterschiedlicher Motorisierung hinzu, für<br />

den Transport von Gütern bis zu 5 Tonnen.<br />

Fahrrad- und Lastwagenfertigung sicherten<br />

die Zukunft <strong>der</strong> Hercules-Werke auch in<br />

Kriegs- und Inflationszeiten und lieferten<br />

den Grundstock für den Wie<strong>der</strong>einstieg in<br />

die Motorradbranche, <strong>der</strong>en Zukunftschancen<br />

sich schon kurz nach dem Ende des<br />

Ersten Weltkriegs abzeichneten. Marschütz<br />

blieb bei seiner Entscheidung, keine eigenen<br />

Motoren zu entwickeln, son<strong>der</strong>n vertiefte<br />

ab 1930 auch in diesem Bereich die Zusammenarbeit<br />

mit Fichtel & Sachs. Einige <strong>der</strong><br />

25


26 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Werbefaltblatt für Hercules-Fahrrä<strong>der</strong> aus den<br />

1950er-Jahren.<br />

Oldtimerraritäten aus dieser Zeit können in<br />

<strong>der</strong> großen Motorradsammlung des Museums<br />

Industriekultur Nürnberg bewun<strong>der</strong>t<br />

werden.<br />

1935, zuR BERlinER Automobil- und<br />

Motorradausstellung war Hercules mit einer<br />

stattlichen Zahl neuer Modelle vertreten.<br />

In <strong>der</strong> Jubiläumsbroschüre von 1986<br />

heißt es hierzu: „In <strong>der</strong> Motorfahrradklasse<br />

mit 98-ccm-Fichtel & Sachs-Motor je ein<br />

Herren- und Damenmodell. Das erstere mit<br />

einer kräftigen Parallelogramm-Gabel, das<br />

letztere mit einer Pendelgabel. Führerscheinfreie<br />

und steuerfreie Modelle unter 200 ccm<br />

gab es mit 2-Takt-Motoren von Bark mit<br />

angeblocktem 3-Gang-Getriebe in zwei<br />

Ausführungen und ebenso mit Bark-4-Takt-<br />

Motoren und Kette im Ölbad, jedoch schon<br />

mit 3-Gang-Getriebe versehen. Das Gewicht<br />

wurde mit 120 kg beziffert, die Höchstgeschwindigkeit<br />

mit 96 km/h. In <strong>der</strong> 350-ccm-<br />

Klasse gab es ebenfalls zwei Geländesportmodelle,<br />

wie man damals jene Modelle<br />

nannte, die hochgezogene Auspuffrohre aufwiesen.<br />

Eines dieser mit Columbus-Motoren<br />

versehenen 350er Modelle hatte ein 3-Gang-<br />

Getriebe mit ,Schwertschaltung‘, wie man<br />

die Handschaltung auch nannte. Das ande-<br />

re war mit einem fußgeschalteten 4-Gang-<br />

Getriebe ausgerüstet. In <strong>der</strong> Halbliterklasse<br />

wurde nurmehr ein seitengesteuertes Modell<br />

mit Küchen-Motor gezeigt.“<br />

Ein BEEindRuckEndEs Modell-Spektrum<br />

also, das drei Jahre später, 1938, mit<br />

<strong>der</strong> berühmten „Saxonette“, benannt nach<br />

dem neuen, kleinen 2-Takt-Motor von Fichtel<br />

& Sachs, <strong>der</strong> im Hinterrad des Fahrrads<br />

montiert war, erweitert wurde – ein frühes<br />

„Mofa“, wenn man so will, und eine Sensation!<br />

iM gl EichEn ja hR, 1938, nach <strong>der</strong><br />

Machtübernahme <strong>der</strong> Nationalsozialisten<br />

verlor <strong>der</strong> Jude Carl Marschütz im Zuge<br />

<strong>der</strong> so genannten „Arisierung“ sein Unternehmen.<br />

Nürnbergs großer Fahrradpionier<br />

musste seine Heimat, seine Firma, sein Lebenswerk<br />

aufgeben und Deutschland verlassen.<br />

Er kehrte nicht zurück, blieb Nürnberg<br />

und den Geschicken seiner einstigen Firma<br />

trotz des erlittenen Unrechts dennoch verbunden.<br />

Carl Marschütz starb 1957 im hohen<br />

Alter von 93 Jahren in Los Angeles.<br />

di E nac h k R i E gsgE schic h t E <strong>der</strong><br />

Hercules-Werke liest sich ganz ähnlich wie<br />

Eine echte Rarität<br />

heutzutage, ein<br />

Hercules-Straßenrennrad<br />

aus <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong><br />

Jahrhun<strong>der</strong>twende.<br />

Das Hercules-<br />

Einheitsmoped<br />

„Combinette“<br />

entstand 1953 als<br />

Gemeinschaftsprojekt<br />

<strong>der</strong> Nürnberger<br />

Zweiradhersteller<br />

Hercules, Triumph<br />

und Zündapp. Die<br />

„Combinette“ war<br />

das erste Moped und<br />

machte eine ganze<br />

Nation mobil.<br />

die zahlloser an<strong>der</strong>er deutscher Unternehmen:<br />

Kriegszerstörung und Wie<strong>der</strong>aufbauversuche,<br />

Verwaltung durch die Besatzungsmächte,<br />

Demontage. Mit viel Eigeninitiative<br />

konnte man, wenngleich in bescheidenem<br />

Rahmen, mit <strong>der</strong> Arbeit, zunächst als<br />

Fahrrad-Reparaturbetrieb, dann mit <strong>der</strong><br />

Produktion von Molkereigeräten beginnen.<br />

1950 produzierte Hercules dann wie<strong>der</strong> ausschließlich<br />

Fahrrä<strong>der</strong> und beschäftigte mittlerweile<br />

über 250 Mitarbeiter.<br />

sEit 1941 hatte Hercules zu dem Fürther<br />

Unternehmen Dr. Carl Soldan gehört, das<br />

die Firma 1944 zur GmbH umwandelte und<br />

1953 seine Anteile an die Dresdner Bank<br />

verkaufte. Ein Jahr später wechselte Hercules<br />

erneut den Besitzer und kam zu Grundig,<br />

<strong>der</strong> das Unternehmen 1963 an Fichtel<br />

& Sachs verkaufte. Die langjährige Zusammenarbeit<br />

<strong>der</strong> einstigen Geschäftspartner<br />

erwies sich nun als tragendes Konzept und<br />

Grundlage für die Zukunft. Produktqualität<br />

und exzellenter Service, geschulte Vertragshändler<br />

und -werkstätten garantierten<br />

sowohl dem Hercules-Radfahrer wie auch<br />

dem -Motorradfahrer seit den Dreißiger<br />

Jahren bestmögliche Betreuung. Daran wurde<br />

nun unter neuer Leitung weitergearbeitet.


Und man versuchte an die Vorkriegserfolge<br />

im Geländemotorsport anzuknüpfen. Die<br />

ersten Deutschlandfahrten wurden aus <strong>der</strong><br />

Taufe gehoben, gefolgt von <strong>der</strong> Deutschen<br />

Geländemeisterschaft und schließlich mehrtägigen<br />

In- und Auslandsfahrten. Ein Jahr<br />

nach <strong>der</strong> Übernahme durch Fichtel & Sachs<br />

holten gezählte „222 Hercules-Werks- und<br />

Privatfahrer nicht weniger als 1 049 Gold-,<br />

151 Silber- und 58 Bronzemedaillen“, wie die<br />

Festschrift von 1986 vermerkt. Die Erfolgsserie<br />

<strong>der</strong> Hercules/Sachs-Maschinen riss<br />

nicht ab, ihr unerreicht hoher Qualitätsstandard<br />

war legendär.<br />

iM hERculEs-aRchiV des Museums Industriekultur<br />

werden auch die Dankschreiben<br />

vieler zufriedener Kunden aufbewahrt,<br />

die von <strong>der</strong> Zuverlässigkeit, Langlebigkeit<br />

und Qualität ihrer Fahrrä<strong>der</strong>, Mopeds<br />

und Motorrä<strong>der</strong> berichten, was sie „zusammen“<br />

erlebt haben und über wie viele<br />

Jahre hinweg. „… erhalten habe ich mein<br />

HERCULES-Rad im Jahre 1903, als ich<br />

in die Lehre kam, ein treuer Begleiter, für<br />

mein ganzes Leben. So hat es mir bis heute<br />

46 Jahre treu gedient“, heißt es in einem<br />

<strong>der</strong> Briefe. Ein an<strong>der</strong>er schreibt: „Ich besitze<br />

ein HERCULES-Rad, welches 1908 gekauft<br />

wurde. Das Rad war je<strong>der</strong>zeit vollkommen<br />

zuverlässig. Das Tretlager ist bis heute noch<br />

nicht zerlegt worden. Ich wollte es vor Jahren<br />

nachsehen lassen. Man versicherte mir aber:<br />

,So gut bringen wir’s nicht mehr zusammen,<br />

wie es jetzt ist!’ Das Rad ist jetzt 42 Jahre<br />

alt ohne Rahmen- o<strong>der</strong> Gabelbruch; also:<br />

UNVERWÜSTLICH! Ich kann jedem Radfahrer<br />

nur ,HERCULES‘ empfehlen.“ Ein<br />

zufriedener Motorradfahrer schrieb 1953 an<br />

die Hercules-Werke, er wolle nur kurz mitteilen,<br />

dass er mit seiner 123ccm-Maschine<br />

„am heutigen Tage 100 000 km gefahren<br />

habe ohne eine nennenswerte Reparatur.<br />

Ich bin mit dem Hercules Krad bestens zufrieden<br />

und kann die Hercules Motorrä<strong>der</strong><br />

nur jedem empfehlen. Sollte ich mir mal ein<br />

neues Krad kaufen, so kommt für mich nur<br />

wie<strong>der</strong> ein Hercules Krad in Frage.“<br />

zuRück zuR fiRMEngEschichtE,<br />

zur Fürther Straße: Die Tage <strong>der</strong> Hercules-<br />

Werke an dieser Nürnberger Achse <strong>der</strong> Industrialisierung<br />

waren nach <strong>der</strong> Übernahme<br />

durch Fichtel & Sachs gezählt. Mitte <strong>der</strong><br />

1960er-Jahre war man abermals an Kapazitätsgrenzen<br />

gestoßen, das Gelände an <strong>der</strong><br />

Fürther Straße 191–193 wurde zu klein.<br />

Fahrrä<strong>der</strong>, Mofas, Roller und Mokicks, dazu<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Das Hercules Accu-<br />

Bike „E1“ war eine<br />

Reaktion auf die<br />

erste Energiekrise<br />

<strong>der</strong> 1970er-Jahre.<br />

Es bezog seine Kraft<br />

aus <strong>der</strong> Steckdose<br />

und durfte nach dem<br />

Motto „Fahr dich frei,<br />

fahr Hercules“ ab<br />

15 Jahren ohne Führerschein<br />

gefahren<br />

werden.<br />

Mopeds, wie die sehr erfolgreiche K50, und<br />

schwere Motorrä<strong>der</strong> bildeten das umfangreiche<br />

Hercules-Programm. Ein baldiger<br />

Umzug war unumgänglich. Als <strong>der</strong> Mutterkonzern<br />

kurz entschlossen die in finanzielle<br />

Schieflage geratene Zweirad Union,<br />

mit den Traditionsmarken Express, Victoria<br />

und DKW übernahm, stand fest, wohin die<br />

Reise gehen würde: in das ehemalige Victoria-Werk<br />

Nopitschstraße, seit 1958 Sitz <strong>der</strong><br />

Zweirad Union, ab 1966 nun auch Heimat<br />

von Hercules. Von 1987 bis 1991 verkauften<br />

die Sachs-Erben ihre Aktien an die Mannesmann<br />

AG. Diese veräußerte sie 1995 an die<br />

nie<strong>der</strong>ländische Firmengruppe Atag. Der<br />

motorisierte Fertigungszweig ging an das<br />

Mannesmann-Tochterunternehmen „Sachs<br />

Fahrzeug- und Motorentechnik GmbH“, die<br />

heutige SFM GmbH in Nürnberg, die den<br />

Markennamen Hercules nicht weiterführte.<br />

fahRRädER dER MaRkE Hercules werden<br />

bis heute – laut Händlerangaben „im<br />

europäischen Raum“ – produziert. Das Firmengelände<br />

Fürther Straße 191–193 wurde<br />

an den mächtigen Nachbarn Quelle verkauft<br />

und schließlich abgerissen. Heute steht dort<br />

– wen wun<strong>der</strong>t es – ein Supermarkt.<br />

R. f.<br />

27


28 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Wie um die Jahrhun<strong>der</strong>twende<br />

nicht unüblich, bauten wohlhabende<br />

Unternehmer ihre Stadtvillen<br />

gern in unmittelbarer Nähe zu ihren<br />

Fabrikanlagen. So auch die Celluloidwarenfabrikanten<br />

Gebrü<strong>der</strong> Wolff, <strong>Haus</strong>nummer<br />

176. Diese, ein wenig „trutzig“ wirkende, typische<br />

Grün<strong>der</strong>zeitvilla mit vorspringen<strong>der</strong>,<br />

kuppelbekrönter Fassadenmitte stand direkt<br />

vor den Fabrikgebäuden, von denen heute<br />

nur ein kurzer Querbau erhalten ist. 1909,<br />

dem Jahr <strong>der</strong> hartnäckigen Bestreikung <strong>der</strong><br />

Wolff ’schen Fabrik, gingen dort nicht nur<br />

etliche Fensterscheiben zu Bruch, es kam<br />

zu Gewalttätigkeiten zwischen Streikposten,<br />

Demonstranten und Streikbrechern.<br />

Schüsse fielen, ein Arbeiter starb. Immer<br />

wie<strong>der</strong> riefen die Fabrikanten die Polizei,<br />

Festnahmen, Geld- und Haftstrafen waren<br />

die Folge. Auslöser für die heftigen Unruhen<br />

waren massive Lohnkürzungen, die von den<br />

beiden Brü<strong>der</strong>n Wolff ohne viel Fe<strong>der</strong>lesens<br />

beschlossen wurden. Mit Vertretern aus <strong>der</strong><br />

Arbeiterschaft sprachen sie erst gar nicht,<br />

Gewerkschaften interessierten sie ebenso<br />

wenig. Das schnell zu Erfolg und Reichtum<br />

gelangte und ob seiner arbeiterfeindlichen<br />

Haltung als „Wölffe“ bezeichnete Brü<strong>der</strong>paar<br />

ließ sich nicht zum Einlenken bewegen.<br />

Nach dem Begräbnis des ermordeten Kollegen,<br />

dem Tausende die letzte Ehre erwiesen<br />

hatten, zog die Menschenmenge zur Fürther<br />

Straße, wo sie von Polizeikräften mit Waffengewalt<br />

zurückgedrängt wurde. Tags darauf<br />

verbot <strong>der</strong> Magistrat <strong>der</strong> Stadt jede weitere<br />

Drei ViLLen unD noch ein PaLast<br />

Zusammenkunft in <strong>der</strong> Fürther Straße. Erst<br />

nachdem sich <strong>der</strong> Nürnberger Oberbürgermeister<br />

v. Schuh an den Verhandlungstisch<br />

setzte, wendete sich das Blatt – zu Gunsten<br />

<strong>der</strong> Arbeiterschaft: Rücknahme <strong>der</strong> Lohnkürzungen,<br />

Wie<strong>der</strong>einstellung aller Arbeiterinnen<br />

und Arbeiter und die verbindliche<br />

Zusage, zukünftig mit <strong>der</strong> Vertretung <strong>der</strong><br />

Arbeiterschaft zu kooperieren.<br />

Ein wEitEREs BEispiEl historistischer<br />

Villenarchitektur an <strong>der</strong> Fürther Straße ist<br />

die „Straßenbahner-Villa“, wie das reich dekorierte<br />

Gebäude bei den „alten“ Straßenbahnern,<br />

die es noch gekannt haben, heißt.<br />

<strong>Haus</strong>nummer 150 an <strong>der</strong> Kreuzung Maximilianstraße<br />

diente als Verwaltungsgebäude<br />

<strong>der</strong> Straßenbahndirektion und Wohnung<br />

des jeweiligen Herrn Direktor. Bei Baubeginn<br />

1897 war das direkt angrenzende Straßenbahnhauptdepot,<br />

<strong>der</strong> älteste Betriebshof<br />

<strong>der</strong> Nürnberg-Fürther Straßenbahn, schon<br />

rund 16 Jahre genutzt und stetig erweitert<br />

worden. 1897, ein Jahr nach <strong>der</strong> Elektrifizierung<br />

<strong>der</strong> Straßenbahn, bestand das Hauptwerk<br />

Fürther Straße aus mittlerweile drei<br />

großen, mehrgleisigen Wagenhallen, in denen<br />

alle Wartungs- und Reparaturarbeiten<br />

durchgeführt wurden, und einem eigenen<br />

Dampfkraftwerk zur Stromerzeugung. 1906<br />

schon war das Hauptwerk zu klein geworden,<br />

man musste auf an<strong>der</strong>e Betriebshöfe<br />

ausweichen, bis zur 1912 begonnenen und<br />

nach zwei Jahren fertig gestellten weitläufigen<br />

Zentralwerkstatt in <strong>der</strong> Muggenhofer<br />

Straße. Im Zuge des U-Bahnbaus musste<br />

die „Straßenbahner-Villa“ Ende <strong>der</strong> 1970er-<br />

Jahre dem Neubau <strong>der</strong> U-Bahnstation Maximilianstraße<br />

weichen. Das einstige Hauptwerk<br />

wurde 2004 stillgelegt, in den früheren<br />

Wagenhallen befindet sich noch heute die<br />

Gleisbau- und Fahrleitungswerkstatt.<br />

Ein dRittER VillEnBau soll an dieser<br />

Stelle nicht unerwähnt bleiben, die „Radlmaier-Villa“.<br />

Der dem „Nürnberger Stil“<br />

verpflichtete Bau mit seinen Erkern, Balkonen<br />

und Dachgauben, dreigeschossig mit<br />

steilem Giebel, wurde 1896 fertig gestellt.<br />

Der Bauherr, <strong>der</strong> dort mit seiner großen<br />

Familie wohnte, war <strong>der</strong> Fabrikant Georg<br />

Radlmaier, Besitzer einer „Kunststein- und<br />

Cementwaarenfabrik“, in <strong>der</strong> alles, was in<br />

Zement zu gießen möglich war, gegossen<br />

wurde, in erster Linie Fertigteile zur Fassadengestaltung,<br />

von denen man in <strong>der</strong> Blütezeit<br />

des Historismus sozusagen nicht genug<br />

haben konnte. Wesentlich preiswerter als<br />

handwerklich hergestellte Teile, fanden die<br />

Fabrikstücke reißenden Absatz und machten<br />

den Fabrikanten zum wohlhabenden<br />

Mann. Die Fabrik gibt es schon lange nicht<br />

mehr, aber die Radlmaiers: Bis heute bewohnen<br />

seine Nachkommen die alte Villa in <strong>der</strong><br />

Fürther Straße 319.<br />

BEi dEM oBEn erwähnten „Palast“ handelt<br />

es sich nicht etwa um ein weiteres üppig ausgestattetes<br />

Mietshaus son<strong>der</strong>n um das weitläufige<br />

und gleichermaßen imposante Nürn-


Die Wolff’sche Villa heute. Im Hintergrund ragt <strong>der</strong> erhalten gebliebene<br />

Querbau <strong>der</strong> einstigen Fabrikanlage ins Bild.<br />

Das Hauptwerk Fürther Straße, <strong>der</strong> älteste Betriebshof <strong>der</strong> Nürnberg-<br />

Fürther-Straßenbahn, um 1905.<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Briefkopf <strong>der</strong> Gebr.<br />

Wolff mit Ansicht<br />

<strong>der</strong> Villa und des<br />

Werksgeländes an<br />

<strong>der</strong> Fürther Straße<br />

Nr. 176.<br />

Das Luftbild aus dem Jahr 1927 zeigt den Blick auf das Straßenbahn-<br />

Hauptdepot.<br />

Die „Straßenbahner-Villa“ an <strong>der</strong> Ecke Fürther Straße/ Maximilianstraße<br />

mit einem Wagen <strong>der</strong> elektrifizierten Nürnberg-Fürther Straßenbahn im<br />

Jahr 1913.<br />

29


30 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

berger Justizgebäude, das von 1909 bis 1916,<br />

nach den Plänen des Architekten Hugo von<br />

Höfl errichtet wurde, kurz – um den „Justizpalast“.<br />

Die Planung eines, selbst für heutige<br />

Verhältnisse, riesigen Neubaukomplexes<br />

war aus unterschiedlichen Gründen notwendig<br />

geworden, wie <strong>der</strong> Zusammenfassung<br />

<strong>der</strong> bisher dezentral untergebrachten<br />

einzelnen Justizbehörden und <strong>der</strong> Platznot,<br />

<strong>der</strong> man mit zum Teil unzumutbaren Ausweichquartieren<br />

begegnete. Ursächlich hierfür<br />

waren die grundlegenden Justizreformen<br />

seit 1848, die das Aufgabenfeld <strong>der</strong> Justiz enorm<br />

vergrößert hatten, und das beachtliche<br />

Bevölkerungswachstum, das den Gerichten<br />

zwangsläufig ein Mehr an Arbeit bescherte.<br />

Nicht weniger als sieben mögliche Standorte<br />

für das neue Justizgebäude wurden ab<br />

1906 diskutiert. Das Gelände an <strong>der</strong> Fürther<br />

Straße war zunächst als zu abgelegen verworfen<br />

worden, wurde aber wie<strong>der</strong> aufge-<br />

Visitenkarte <strong>der</strong> Radlmaier’schen Kunststein- und Zementwarenfabrik.<br />

griffen, nicht zuletzt weil Grund und Boden<br />

dem Staat schon gehörten und hier zudem<br />

die Möglichkeit bestand, das nördlich <strong>der</strong><br />

Fürther Straße gelegene Zellengefängnis<br />

baulich zu integrieren. Inwieweit die positive<br />

Beurteilung dieses Bauplatzes durch Prinz<br />

Ludwig, den späteren bayerischen König<br />

Ludwig III., die Entscheidung beeinfluss te,<br />

sei dahingestellt. Das neue und größte bayerische<br />

Gerichtsgebäude jedenfalls fand ob<br />

seiner würdevoll zurückhaltenden, am Stil<br />

<strong>der</strong> deutschen Renaissance angelehnten<br />

Gestaltung bei <strong>der</strong> Bevölkerung großen Anklang.<br />

Knapp 190 Meter zieht sich die Straßenfassade<br />

des mächtigen, drei Innenhöfe<br />

umfassenden Carrée-Gebäudes entlang <strong>der</strong><br />

Fürther Straße, links und rechts von stattlichen<br />

Nebengebäuden flankiert. Das Gebäude<br />

rechterhand gelangte nach Ende des<br />

Zweiten Weltkriegs zu einiger Berühmtheit,<br />

als hier im eigens umgebauten ehemaligen<br />

Schwurgerichtssaal 600, von November<br />

1945 bis Oktober 1946 <strong>der</strong> Hauptkriegsverbrecherprozess<br />

gegen die einstigen Herren<br />

des NS-Staates stattfand. Der Prozess war<br />

ein historisches Novum: Das internationale<br />

Militärtribunal, geführt von den vier Siegermächten<br />

USA, Sowjetunion, Großbritannien<br />

und Frankreich, zog die Kriegsverursacher<br />

vor den Augen <strong>der</strong> Weltöffentlichkeit<br />

zur Rechenschaft.<br />

dER saal 600 wird bis heute für Verhandlungen<br />

genutzt und ist deshalb nur bedingt<br />

zu besichtigen. Das ebenfalls im Ostgebäude<br />

angesiedelte, <strong>der</strong>zeit im Aufbau befindliche<br />

„Memorium Nürnberger Prozesse“ wird als<br />

Informations- und Erinnerungsstätte über<br />

Vorgeschichte, Verlauf und Nachwirkungen<br />

<strong>der</strong> Nürnberger Prozesse Auskunft geben.<br />

R. f.<br />

1881 die erste Pferde-Straßenbahn verkehrt zwischen dem<br />

Staatsbahnhof Nürnberg und Fürth Stadtgrenze<br />

1882 Einführung von Fahrplänen, die Strecke Fürther Straße heißt<br />

nun „weiße Linie“<br />

1886 Elektrifizierung <strong>der</strong> Straßenbahn<br />

1903 städtische Übernahme <strong>der</strong> Straßenbahn und kontinuierlicher<br />

Ausbau des Streckennetzes<br />

1905 Erweiterung <strong>der</strong> „rothen Linie“ vom Plärrer bis zur Bataillons–<br />

kaserne, die Fürther Straße wird nun von zwei Linien befahren.<br />

1906 Umstellung auf Nummern: Linie 1 (bis Fürth), Linie 2<br />

(bis zur Kaserne)<br />

1922 Stilllegung <strong>der</strong> Ludwigseisenbahn<br />

1925 sechs Straßenbahnlinien befahren die Fürther Straße,<br />

darunter eine Gepäcklinie<br />

1927 Schnellstraßenbahn mit nur 3 Haltepunkten („die rote 31er“)<br />

1938 Ausglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> städtischen Versorgungsabteilungen<br />

Wasser, Gas, Strom und Straßenbahn und Gründung des<br />

städtischen Eigenbetriebs „Städtische Werke Nürnberg“<br />

1959 Umwandlung zur GmbH: Energie- und Wasserversorgung<br />

(EWAG) und Verkehr (VAG)<br />

1978 Ausbau des U-Bahn-Netzes ab Plärrer<br />

1981 Fertigstellung des letzten U-Bahn-Tunnelabschnitts<br />

(Eberhardshof ), Stilllegung <strong>der</strong> Straßenbahn zwischen<br />

Nürnberg und Fürth<br />

TIpp: Anlässlich <strong>der</strong> Jubiläumsausstellung „Die Strecke des Adlers“ im<br />

Museum Industriekultur Nürnberg veranstaltet <strong>der</strong> Verein „Freunde<br />

<strong>der</strong> Nürnberg-Fürther Straßenbahn e. V.“ Son<strong>der</strong>fahrten in historischen<br />

Bussen vom Museum Industriekultur aus nach Fürth und zurück – auf<br />

<strong>der</strong> einstigen Strecke des Adlers.


Der Mittelbau des Nürnberger Justizpalastes, aufgenommen im Jahr 1911.<br />

Der dominante Uhrenturm mit einer Bronzestatue <strong>der</strong> Justitia stürzte nach<br />

schweren Bombentreffern am 21. Februar 1945 in den Hof. Nach Instandsetzung<br />

des Dachs und <strong>der</strong> in Mitleidenschaft gezogenen Stockwerke<br />

entschied man sich, den Uhrenturm nicht wie<strong>der</strong> aufzubauen.<br />

Im östlich des Hauptgebäudes angrenzenden Bau befindet sich <strong>der</strong> Saal<br />

600, Schauplatz des Hauptkriegsverbrecherprozesses 1945/46. Das zu<br />

dieser Zeit entstandene Foto belegt die US-militärische Präsenz an <strong>der</strong><br />

Fürther Straße während <strong>der</strong> gesamten Dauer des Prozesses.<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Auf dieser Bildpostkarte aus den 1920er-Jahren ist auch die strahlenförmig<br />

konzipierte Anlage des alten Zellengefängnisses zu sehen, die zwischen<br />

1984 und 1998 abgerissen und durch Neubauten ersetzt wurde.<br />

Die Angeklagten im Saal 600 während des Prozesses.<br />

Der US-Armeefotograf Ray D’Addario dokumentierte nicht nur den Prozess<br />

im Saal 600, er fotografierte auch den Gerichtsalltag und, wie auf<br />

dieser seltenen Farbaufnahme zu sehen, den Trakt des Zellengefängnisses,<br />

in dem die Angeklagten des Hauptkriegsverbrecherprozesses<br />

inhaftiert waren. Um Selbstmordversuche <strong>der</strong> Insassen zu verhin<strong>der</strong>n,<br />

war vor je<strong>der</strong> Zelle Einzelbewachung postiert.<br />

31


32 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

mikrokosmos Fürther strasse<br />

Was einst als Pappelallee begann, die man, das Auge<br />

schweifend über Wiesen, Fel<strong>der</strong> und Weiler, hoch zu<br />

Ross o<strong>der</strong> im offenen Landauer passieren konnte, mauserte<br />

sich in gut 200 Jahren zur stark frequentierten, pulsierenden<br />

Verkehrsa<strong>der</strong>. Bei<strong>der</strong>seits <strong>der</strong> breiten Großstadtstraße entstand ein<br />

nonkonformistisches Neben-, Durch- und Miteinan<strong>der</strong>, wie es kein<br />

zweites in Nürnberg gibt. Ein „Mikrokosmos“ <strong>der</strong>, scheinbar autark,<br />

ein eigenes Leben innerhalb des großen Ganzen führt. So gut wie<br />

alles existentiell Wesentliche entwickelte sich hier mit einer, rückblickend<br />

betrachtet, erstaunlichen Vielfalt und Selbstverständlichkeit.<br />

schon uM diE jahRhundERtwEndE war die Bebauung <strong>der</strong><br />

Fürther Straße mit weiteren Wohnhäusern und Fabrikanlagen bis<br />

jenseits <strong>der</strong> Kreuzung Maximilianstraße vorangekommen. Kaum einer<br />

von denen, die hier tagtäglich die Werkstore passierten, wohnte<br />

in einer <strong>der</strong> vergleichsweise teuren, neuen Mietwohnungen. Die Arbeiterschaft,<br />

darunter viele, die aus ländlichen Gegenden zugezogen<br />

waren in <strong>der</strong> Hoffnung auf eine bessere Zukunft in <strong>der</strong> aufstrebenden<br />

Stadt, wohnte in bescheidenen bis erbärmlichen Verhältnissen in<br />

den angrenzenden Vierteln. Das Alltagsleben in <strong>der</strong> Fürther Straße,<br />

„ihrer“ Straße, bestimmten sie mit, neben und mit den direkten<br />

Anwohnern. Allein das breit gefächerte Angebot an Vereinslokalen,<br />

Kneipen, Cafés, Wirtshäusern und Restaurants lässt den Schluss zu,<br />

dass hier ein vielschichtiges Publikum unterwegs war. So etwa auch<br />

die Soldaten aus <strong>der</strong> Bataillonskaserne, die in Scharen jeden Abend<br />

ihre Stammlokale bevölkerten. Der idyllische Rosenau-Park am einen<br />

Ende, wie auch das an <strong>der</strong> Eisenbahn gelegene Ausflugslokal<br />

„Feldschlösschen“ am an<strong>der</strong>en Ende <strong>der</strong> Fürther Straße belegen, dass<br />

für jeden Geschmack gesorgt war. Und man flanierte auf den breiten<br />

Trottoirs, besah sich die Auslagen <strong>der</strong> vielen Geschäfte und verglich<br />

die Angebote. Alles, was man zum täglichen Leben brauchte, war in<br />

Hülle und Fülle vorhanden. Anwälte, Ärzte und Apotheker gingen<br />

hier ihrer Arbeit ebenso nach wie Schnei<strong>der</strong>innen, Schreiner o<strong>der</strong><br />

Fuhrleute. Nur einen Steinwurf vom Plärrer entfernt, erwartete das<br />

Volksbad seine Badegäste, Lichtspielhäuser wurden eröffnet. Schulen<br />

und Kirchen wurden gebaut, Gemeinden entwickelten sich. Der Bau<br />

des Justizpalastes schloss nicht nur eine große Baulücke, er hob das<br />

Blick über den alten<br />

Nürnberger Stadtteil<br />

St. Johannis hinweg<br />

in südwestliche<br />

Richtung, aufgenommen<br />

in den<br />

1880er-Jahren von<br />

Ferdinand Schmidt.<br />

Deutlich in <strong>der</strong> Ferne<br />

zu erkennen, liegt<br />

die von Pappeln<br />

gesäumte Fürther<br />

Straße, die nach dem<br />

Zellengefängnis<br />

(am linken Bildrand)<br />

noch gänzlich unbebaut<br />

war.<br />

Ansehen <strong>der</strong> gesamten westlichen Vorstadt. Schon lange versorgte<br />

Nürnbergs erstes Gaswerk in Plärrernähe auch die Fürther Straße<br />

mit Licht, nun kam das erste Klärwerk an <strong>der</strong> Maximilianstraße<br />

dazu, die Kanalisation wurde ausgebaut. Weitere Fabriken siedelten<br />

sich an und schließlich zog auch das Volksfest an die Fürther Straße<br />

und blieb, unterbrochen nur durch die Kriegsjahre, fester Bestandteil<br />

<strong>der</strong>selben. Erst Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre, als Gustav Schickedanz das<br />

Gelände kaufte, war es damit vorbei. Dafür entstand an gleicher Stelle<br />

ein gigantisches Unternehmen und sorgte für neues Leben.<br />

diE füRthER stRassE hat im Lauf ihrer über 200-jährigen <strong>Geschichte</strong><br />

vieles erlebt, wachsen und vergehen gesehen: den Aufbruch<br />

ins industrielle Zeitalter, den Wandel zur Industriemetropole, Aufschwung<br />

und Nie<strong>der</strong>gang bedeuten<strong>der</strong> Unternehmen. Die massiven<br />

Bombardierungen Nürnbergs im Zweiten Weltkrieg hinterließen<br />

auch hier ihre Spuren. 20 Prozent <strong>der</strong> Gebäude waren zerstört, nur<br />

10 Prozent blieben heil, <strong>der</strong> Rest war zum Teil erheblich beschädigt.<br />

Knapp 40 Prozent davon wurde wie<strong>der</strong> aufgebaut. Nach und nach<br />

schlossen sich die kriegsbedingten Lücken und verän<strong>der</strong>ten das Straßenbild<br />

weiter. Ein nicht immer gelungenes Nebeneinan<strong>der</strong> von Alt<br />

und Neu entstand.<br />

stRuktuRwandEl, MigRation und MultikultuR, seit<br />

den 1970er-Jahren aktuell und längst prägen<strong>der</strong> Bestandteil <strong>der</strong><br />

Fürther Straße und ihrer nächsten Umgebung, haben ein lebendiges,<br />

spannungs- wie facettenreiches Bild geschaffen. Ein Boulevard ist<br />

bekanntlich nicht aus ihr geworden, obwohl sie, wie auf historischen<br />

Fotografien <strong>der</strong> 1920er-Jahre erkennbar, durchaus das Zeug dazu<br />

gehabt hätte. Vielmehr ist sie nun ein multikulturell-urbanes, temporeiches<br />

„Fließband“, das auf den ersten, schnellen Blick nicht zum<br />

Verweilen einlädt. Ein zweiter Blick aber genügt und man entdeckt<br />

ihr trotz <strong>der</strong> vielen alten und jüngeren „Narben“ ganz unverwechselbares,<br />

interessantes Gesicht. Vor kurzem erst ist eine neue Wunde,<br />

eine, die noch lange Zeit nicht heilen wird, hinzugekommen – „Quelle“:<br />

das Ende eines Imperiums und einer <strong>der</strong> unternehmerischen<br />

Erfolgsstorys in Deutschland schlechthin.<br />

R. f.


Blick in das nördliche Teilstück <strong>der</strong> Fürther Straße, aufgenommen<br />

1929. Viele kleine Geschäfte, Passanten und<br />

Fahrradfahrer bestimmen das lebhafte Straßenbild.<br />

Historische Bildpostkarten <strong>der</strong> evangelischen Dreieinigkeitskirche und <strong>der</strong><br />

katholischen Antoniuskirche, beide unweit <strong>der</strong> Fürther Straße gelegen.<br />

Die Fürther Straße gegen Osten, in Richtung Plärrer. Auch<br />

hier, bei<strong>der</strong>seits <strong>der</strong> Straßenbahn, ein ähnlich belebtes Bild.<br />

Ampeln brauchte man noch nicht, heutzutage − beson<strong>der</strong>s<br />

an <strong>der</strong> Fürther Straße − undenkbar!<br />

Ein beliebtes Postkartenmotiv war dieser<br />

Blick auf die Strecke <strong>der</strong> Ludwigsbahn, die<br />

benachbarte Straßenbahn und die repräsentativen<br />

Bauten entlang <strong>der</strong> Fürther Straße, Höhe<br />

Veit-Stoß-Anlage, um 1910.<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Der Gasthof „Alpenhütte“,<br />

heute „Kartoffel“,<br />

das älteste<br />

noch vorhandene<br />

Gebäude an <strong>der</strong><br />

Fürther Straße, aufgenommen<br />

in den<br />

1940er-Jahren (links)<br />

und 2009 (rechts).<br />

Die <strong>Haus</strong>nummern<br />

35–41, aufgenommen<br />

1912 und 2009.<br />

33


34 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

„erst maL seh’n, was QueLLe hat!“<br />

Kurz vor seinem 28. Geburtstag,<br />

im Dezember 1922, gründete<br />

<strong>der</strong> gelernte Kaufmann Gustav<br />

Schickedanz seine erste eigene Firma<br />

„Gustav Schickedanz Kurzwaren en<br />

gros“ in Fürth. Er begann im Kleinen,<br />

verkaufte Kurz-, Weiß- und Wollwaren<br />

an den Einzelhandel in <strong>der</strong> Region und<br />

lieferte selbst aus. Schon nach dem ersten<br />

Geschäftsjahr verzeichnete das junge Unternehmen ein Vermögen<br />

von rund 10000 Reichsmark. Nur vier Jahre nach Geschäftsgründung<br />

beschäftigte Schickedanz bereits fünf Angestellte, wenig später<br />

folgte <strong>der</strong> Eintrag des neuen Firmennamens „Quelle“ ins Handelsregister<br />

– jener Name, <strong>der</strong> zum Inbegriff einer deutschen Erfolgsgeschichte<br />

werden sollte.<br />

auf diE idEE, parallel zum Geschäft mit dem Großhandel auch<br />

Privathaushalte zu beliefern, hatten ihn, wie er sich gern erinnerte,<br />

Frauen aus <strong>der</strong> Nachbarschaft gebracht, die ohne den Umweg über<br />

den Einzelhandel preiswert bei ihm bestellen und sozusagen „an<br />

<strong>der</strong> Quelle“ kaufen wollten. Mitte <strong>der</strong> 1960er-Jahre veröffentlichte<br />

<strong>der</strong> Pressedienst des Versandhauses eine Kurzchronik, in <strong>der</strong> diese<br />

Geschäftsphilosophie wie folgt beschrieben ist: „… Der Name<br />

war glücklich gewählt: eine Quelle sprudelt, ihre Wasser sind rein<br />

und klar wie es die Grundsätze waren, die Gustav Schickedanz seinem<br />

Unternehmen gab, sie mehren sich, sie werden zum Fluß und<br />

schließlich zum Strom, <strong>der</strong> das Land durchzieht. Der junge Kaufmann<br />

war sich bewusst, dass ein glücklicher Name aber nur dann<br />

etwas bedeutet, wenn sich mit diesem Namen eine ganz bestimmte<br />

Vorstellung verbindet. Er ging darauf aus, ein Vertrauensverhältnis<br />

zu schaffen zwischen <strong>der</strong> Familie, die in einem einsamen Dorf den<br />

Katalog sorgfältig prüfte, und dem Unternehmen, das sich als ‚Quelle‘<br />

anbot. Bei einem solchen Vertrauensverhältnis bildet sich eine an<strong>der</strong>e<br />

Beziehung zwischen Kaufmann und Kunde heraus als bei so genannten<br />

‚Laufkunden‘, also Käufern, die einmal bedient werden und<br />

von denen <strong>der</strong> Kaufmann oft nie wie<strong>der</strong> hört. Und das ist vielleicht<br />

das eigentliche Geschäftsgeheimnis <strong>der</strong> ‚Quelle‘, Der einmal gewonnene<br />

Kunde blieb, er wartete auf den Katalog und die ‚Quelle‘ auf<br />

Der elegant gestaltete Titel<br />

des Herbst/Winter-Katalogs<br />

1960/61 vermittelt jenen<br />

„Hauch von Luxus“, den sich<br />

die Quelle-Kundin leisten<br />

wollte, im Zweifelsfall durch<br />

Ratenkauf.<br />

seine Bestellung. Es war aus dem Kunden<br />

<strong>der</strong> ‚Quelle‘ weitab von Fürth, ein<br />

Freund des <strong>Haus</strong>es geworden, <strong>der</strong> mit<br />

seinen Freunden wie<strong>der</strong>um, ganz aus<br />

freien Stücken, von <strong>der</strong> ‚Quelle‘ sprach.<br />

So ist es zu erklären, dass die Kartei <strong>der</strong><br />

Kunden 1936 die erste Million überschritt.<br />

Die Jahre zwischen 1927 und<br />

1936 zeigten einen konsequenten Aufstieg<br />

des <strong>Haus</strong>es.“ Und so erklärt sich auch, dass nach etlichen, im<br />

Lauf <strong>der</strong> Jahrzehnte wechselnden Quelle-Slogans im Jahr 1990 eben<br />

dieses Vertrauensverhältnis zwischen Versand und Besteller mit dem<br />

kürzesten und zugleich persönlichsten aller Slogans betont wurde:<br />

„Meine Quelle“.<br />

gustaV schickEdanz’ gEschäftsphilosophiE und zugleich<br />

Erfolgsrezept seines <strong>Haus</strong>es lautete: „Vom kleinen Gewinn<br />

zum großen Nutzen für möglichst viele Menschen.“ Die konsequent<br />

durchgehaltene Handelsmaxime knapper Kalkulation in An- und<br />

Verkauf rechnete sich für alle Beteiligten: für die Lieferanten, <strong>der</strong>en<br />

Gewinnspanne zwar geringer war, die sich jedoch, solange Qualität<br />

und Preis stimmten, konstante Aufträge sicherten, ebenso wie für die<br />

Verbraucher, die auf stabile, erschwingliche Preise zählen konnten,<br />

auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, etwa in <strong>der</strong> Weltwirtschaftskrise<br />

1929 bis 1932. Quelle war in dieser Zeit gefragter denn je.<br />

1934, knapp elf Jahre nach <strong>der</strong> Firmengründung beschäftigte Quelle,<br />

nun das größte Wollgeschäft Deutschlands, bereits 500 Angestellte.<br />

1938 betrug <strong>der</strong> Jahresumsatz 40 Millionen Mark. Im Zuge <strong>der</strong><br />

beginnenden „Arisierung“ <strong>der</strong> deutschen Wirtschaft erwarb Gustav<br />

Schickedanz nun Produktionsstätten und eingeführte Marken,<br />

die wesentlich zum Aufstieg des Unternehmens beitrugen, so zum<br />

Beispiel schon 1935 die Vereinigten Papierwerke und <strong>der</strong>en Marke<br />

„Tempo“, vormals im Besitz einer jüdischen Unternehmerfamilie.<br />

dER zunEhMEnd nEgatiVEn Haltung <strong>der</strong> Nationalsozialisten<br />

gegenüber Kaufhaus- und Versandhandelsgeschäften versuchte man<br />

mit dem zweifelhaften Zusatz „rein arisches Unternehmen“ zu begegnen.<br />

Trotz guter Kontakte auf ministerialer Ebene, die es Quelle


Wollmusterkatalog des „Gross-Versandhauses<br />

Quelle, Fürth i. Bayern“, um 1938<br />

erlaubten, auch Lebensmittelmarken als Zahlungsmittel zu akzeptieren,<br />

legten die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs den Handel<br />

weitgehend lahm. Ein Bombenangriff im Herbst 1943 zerstörte große<br />

Teile <strong>der</strong> Firmengebäude; in Ausweichquartieren arbeitete man in<br />

bescheidenem Umfang weiter, bis zum Zusammenbruch 1945. Die<br />

Firmenanlagen waren fast vollständig verloren, die wenigen noch bestehenden<br />

Lager geplün<strong>der</strong>t, Firmenunterlagen und Vermögenswerte<br />

beschlagnahmt. Gustav Schickedanz erhielt im Zuge <strong>der</strong> Entnazifizierung<br />

Berufsverbot, 1949 kehrte er in sein Unternehmen zurück.<br />

1929 hatte Gustav Schickedanz bei einem Autounfall seine Frau, seinen<br />

kleinen Sohn und seinen Vater verloren. 1942 heiratete er ein<br />

zweites Mal. Seine Frau Grete, seit 1927 im Unternehmen tätig, hatte<br />

es, ob ihrer Tüchtigkeit und ihres Geschäftssinns in wenigen Jahren<br />

vom damals 15-jährigen Lehrmädchen zur Leiterin des Einkaufs gebracht.<br />

Sie war es, die nach Kriegsende und während des Berufsverbots<br />

ihres Mannes ein kleines Textilgeschäft im nahen Hersbruck eröffnete,<br />

alte und neue Kontakte zu Lieferanten und Kunden aufbaute<br />

und so den Grundstein für den Wie<strong>der</strong>einstieg in den Versandhandel<br />

legte. 1948 erzielte sie bereits einen Umsatz von 315 000 Mark.<br />

dER VERsandkatalog vom Frühjahr 1951 umfasste bescheidene<br />

16 Seiten, acht Jahre später waren es bereits 272 (mehr als die<br />

Hälfte davon farbig), wie<strong>der</strong>um sechs Jahre später erschien <strong>der</strong> Quelle-Katalog<br />

schon 582 Seiten stark mit rund 9 000 Artikeln/28 000<br />

Positionen in einer Auflage von 6,2 Millionen Exemplaren. Das<br />

Angebot umfasste nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens, vom<br />

Taschentuch bis zum Fertighaus. Mit Ausnahme des zuletzt genannten<br />

wurden die meisten Artikel durch den hauseigenen Versand in<br />

alle Welt verschickt. 1965 verzeichnete Quelle den Versand von 19,5<br />

Millionen Paketstücken, <strong>der</strong> Jahresumsatz betrug 1,9 Milliarden<br />

DM. Das Unternehmen zählte international zu Spitzenzeiten 26 000<br />

Beschäftigte und besaß mittlerweile 97 Verkaufsagenturen und 13<br />

Kaufhäuser. Zweidrittel des Gesamtumsatzes aber wurden mit dem<br />

Versandhandel erzielt – Post und Bahn erwirtschafteten allein mit<br />

Quelle einen Betrag von 91 Millionen DM.<br />

diEsER atEMBERauBEndEn Entwicklung war ein Kraftakt<br />

beachtlichen Ausmaßes vorangegangen: die komplette Neupla-<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Noch Mitte <strong>der</strong> 1950er-Jahre, wie hier im<br />

Frühjahr/Sommer-Katalog 1956, finden sich<br />

kolorierte Modezeichnungen im Wechsel mit<br />

Schwarz/Weiß- und vereinzelt auch Farb-Fotografien.<br />

Die Kataloge werden umfangreicher<br />

und aufwändiger in <strong>der</strong> Gestaltung.<br />

„In <strong>der</strong> Küche bunt beschürzt, macht immer frohe Laune“, so die<br />

vollständige Überschrift des Angebots an Schürzen unterschiedlichster<br />

Schnitte und Muster aus dem Herbst/Winter-Katalog 1958/59<br />

35


36 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Die Quelle-Jahrbücher wurden als Aufmerksamkeit des <strong>Haus</strong>es an treue<br />

Kunden verschickt. Neben Kalen<strong>der</strong>seiten, Gedichten und Kurzgeschichten<br />

informierten die Jahrbücher über beson<strong>der</strong>e Quelle-Aktivitäten,<br />

etwa Modenschauen, Pressespiegel, geschäftliche Neuigkeiten. Die Werbeseiten<br />

sollten sowohl die Produktvielfalt wie auch die Vorzüge des<br />

Versandeinkaufs betonen und fielen, bunt und pfiffig gestaltet, sofort<br />

ins Auge – hier einige Beispiele aus den späten 1950er-Jahren.


nung und -entwicklung des Versandsystems,<br />

eine logistische Meisterleistung, die noch<br />

Jahre später als „Wun<strong>der</strong>werk“ bezeichnet<br />

wurde. Auf dem ehemaligen Volksfestplatz<br />

an <strong>der</strong> Fürther Straße, <strong>Haus</strong>nummer<br />

205–215, erstand Mitte <strong>der</strong> 1950er-Jahre ein<br />

Neubau von beeindrucken<strong>der</strong> Größe und<br />

Ausdehnung für die Versandabteilung. Mit<br />

180 Meter Fassadenlänge, 60 Meter Breite<br />

und 24 in <strong>der</strong> Höhe setzte <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne, klar<br />

strukturierte Bau nicht nur architektonisch<br />

deutliche Akzente – dem Unternehmen gelang<br />

damit <strong>der</strong> Sprung an die Spitze zu Europas<br />

größtem Versandhaus. Neubauten für<br />

Hauptlager, Warenannahme und Auslieferung<br />

sowie neu entwickelte Großrechenanlagen<br />

wurden nötig, um <strong>der</strong> nach wie vor<br />

steigenden Nachfrage verwaltungstechnisch<br />

gerecht zu werden. 1960 eröffnete zudem<br />

<strong>der</strong> „Quelle-Markt“ das erste Großkaufhaus<br />

an <strong>der</strong> Fürther Straße.<br />

hintER dER hEllEn klinkERfassadE<br />

des Versand-Neubaus (noch heute nennen<br />

altgediente Quelle-Mitarbeiter das Gebäude<br />

so) sorgte nun ein perfekt organisiertes Betriebssystem<br />

für den reibungslosen Ablauf,<br />

vom Eingang des Bestellscheins in <strong>der</strong> Poststelle<br />

bis zur Verladung des versandfertigen<br />

Pakets. Vereinfacht dargestellt, wurden die<br />

einzelnen Artikel <strong>der</strong> meist mehrteiligen<br />

Bestellungen aus den jeweiligen Regallagern<br />

durch elektronisch gesteuerte Paternoster<br />

und Laufbän<strong>der</strong> transportiert, die wie<strong>der</strong>um<br />

so synchronisiert waren, dass sie immer dort<br />

anhielten, wo die passenden Sammelwannen,<br />

ebenfalls elektronisch gesteuert und<br />

zugeführt, bereitstanden. Diese wurden weitergeleitet<br />

zu den nächsten Umladestationen<br />

bis zur Endkontrolle und danach zur Verpackung<br />

in <strong>der</strong> Kartonage-Abteilung, um<br />

dann Wiegeplatz und Verschließabteilung<br />

zu durchlaufen, wo auch das Porto berechnet<br />

wurde. Der gesamte Durchlauf vom Ein-<br />

gang <strong>der</strong> Bestellung bis zum Verladen eines<br />

Pakets dauerte nicht länger als sechs Stunden:<br />

alles in allem ein bis ins Letzte durchdachtes,<br />

hocheffizientes Betriebssystem, das<br />

über Jahrzehnte Maßstäbe setzte.<br />

Mit gREtE und gustaV Schickedanz<br />

standen zwei Unternehmerpersönlichkeiten<br />

an <strong>der</strong> Spitze, die nicht nur präsent geblieben<br />

waren, son<strong>der</strong>n auch erreichbar. Sie<br />

fühlten sich den Mitarbeitern verpflichtet<br />

und pflegten den Kontakt zu ihnen. Arbeitsbedingungen<br />

und soziale Leistungen im<br />

Unternehmen galten als vorbildlich. Dazu<br />

gehörten auch Son<strong>der</strong>vergütungen wie<br />

Weihnachtsgratifikationen, Anwesenheitsför<strong>der</strong>ungsprämien<br />

und Treueprämien in<br />

Form vermögensbilden<strong>der</strong> Anlagen. So war<br />

es keine Ausnahme, dass ganze Familien,<br />

zum Teil schon in zweiter und dritter Generation<br />

bei Quelle beschäftigt waren. Diese<br />

gewissermaßen „familiäre“ Zugehörigkeit<br />

wurde von <strong>der</strong> Firmenleitung begrüßt und<br />

unterstützt. 50 Jahre nach Firmengründung,<br />

im Jubiläumsjahr 1977, starb Gustav Schickedanz.<br />

Seine Witwe führte das Unternehmen<br />

in bewährter Form weiter, an ihrer Seite<br />

die beiden Schwiegersöhne. Rückblickend betrachtet,<br />

war <strong>der</strong> Zenit fast erreicht, <strong>der</strong> Markt<br />

für Konsumgüter zunehmend gesättigt.<br />

noch in dEn 1980ER-jahREn zählte das<br />

Unternehmen 156 Verkaufsstellen, 28 Kaufhäuser<br />

und Tochtergesellschaften im In- und<br />

Ausland. Schon in den Sechzigerjahren erschlossene<br />

Terrains wie Quelle-Reisedienst,<br />

Foto-Quelle, Quelle-Fertighaus, Quelle-Bausparen<br />

und -lebensversicherungen gehörten<br />

dazu ebenso wie die Norisbank und eigene<br />

Fabrikationsbetriebe. Wirtschaftshistoriker<br />

begründen rückblickend den beginnenden<br />

Nie<strong>der</strong>gang des einstigen Erfolgsunternehmens<br />

mit Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Absatzmärkte,<br />

des Kaufverhaltens und gesellschaftlichen<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Je<strong>der</strong> Katalog begrüßte den Kunden mit<br />

einem Brief von Gustav Schickedanz. In <strong>der</strong><br />

Herbst/Winter-Ausgabe 1960/61 wurden voller<br />

Stolz auch die neuen Erweiterungsgebäude<br />

auf dem rückwärtigen Areal und <strong>der</strong> „Quelle-<br />

Markt“, im Vor<strong>der</strong>grund, vorgestellt.<br />

Umbrüchen, auf die ein unbeweglicher Versandriese<br />

wie Quelle, <strong>der</strong> traditionsverhaftet<br />

und in gewohnter „Verteilermentalität“ seine<br />

Waren in entlegenste Winkel bringen wollte,<br />

nicht in erfor<strong>der</strong>lichem Maße reagiert hatte.<br />

„In dem Bestreben, Kontinuität zu wahren,<br />

verschläft die Führung gesellschaftliche und<br />

ökonomische Verän<strong>der</strong>ungen“, hieß es dazu<br />

in <strong>der</strong> ZEIT vom 5.6.2003. Dabei schwächten<br />

unrentabel gewordene Geschäftsbereiche den<br />

Umsatz ebenso wie <strong>der</strong> kommende Konkurrent<br />

Internet als zügig expandieren<strong>der</strong> Warenanbieter.<br />

Nach den beiden Verlustjahren<br />

1984/85 schrieb Quelle aufgrund deutlicher<br />

Umstrukturierungsmaßnahmen zunächst<br />

wie<strong>der</strong> schwarze Zahlen und erlebte im Zuge<br />

<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung Deutschlands einen<br />

beachtlichen Aufschwung. Hier griff noch<br />

einmal das Prinzip des Universalanbieters,<br />

die Käuferschaft in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />

reagierte geradezu euphorisch auf das „allumfassende“<br />

Angebot im über 1 000 Seiten<br />

starken Katalog. 1991, drei Jahre vor ihrem<br />

Tod, investierte Grete Schickedanz noch<br />

1 Milliarde DM in die Erschließung des neuen<br />

Marktes und den Bau eines hochmo<strong>der</strong>nen<br />

Versandzentrums in Leipzig, die Inbetriebnahme<br />

erlebte sie nicht mehr.<br />

auch diE 1999 umgesetzte Fusion mit<br />

Karstadt zu KarstadtQuelle, später Arcandor,<br />

mit <strong>der</strong> massive Sparmaßnahmen,<br />

Stellenkürzungen und die Schließung von<br />

Kaufhäusern, Verkaufsagenturen etc. einhergingen,<br />

brachte nicht den gewünschten<br />

Erfolg. Wechselnde Managements versuchten<br />

das Unternehmen zu sanieren und<br />

scheiterten, <strong>der</strong> Abwärtstrend war nicht<br />

mehr aufzuhalten. Im Juni 2009, nach einer<br />

langen Kette von Fehlentscheidungen kam<br />

<strong>der</strong> vorläufige Schlusspunkt: Insolvenz – und<br />

die Zusage eines 50 Millionen-Massekredits<br />

als Soforthilfe. Die Zukunft von Quelle war<br />

jedoch nicht mehr zu sichern. Ein Viel-<br />

37


38 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Gustav und Grete Schickedanz in ihrem „Quelle-Markt“ an <strong>der</strong> Fürther Straße, in dem 60 000<br />

Artikel angeboten wurden. „Ruhe vor dem Sturm“ hieß es zu diesem kurz vor <strong>der</strong> Eröffnung des<br />

neuen Großkaufhauses entstandenen Foto in den „Nürnberger Nachrichten“.<br />

Der große Busparkplatz neben dem Quelle-<br />

Areal. Auswärtige Arbeitnehmer wurden<br />

täglich von und zu ihren bis zu 100 Kilometer<br />

entfernten Wohnorten gebracht. Vor allem<br />

in <strong>der</strong> Vorweihnachtszeit wurden tausende<br />

Aushilfen benötigt. Die organisierte An- und<br />

Rückfahrt in bequemen Reisebussen sowie<br />

Einkaufsrabatte, auch für Aushilfskräfte, waren<br />

für viele ausschlaggebend, die weite Entfernung<br />

zum Arbeitsplatz in Kauf zu nehmen.<br />

Die Sammelwannen auf dem Weg zur Packerin.<br />

Von oben zugeführt, traf zeitgleich das<br />

passende Verpackungsmaterial ein.<br />

In <strong>der</strong> Poststelle. Saugluft erleichterte das<br />

Herausnehmen <strong>der</strong> Bestellscheine aus den<br />

maschinell geöffneten Kuverts.<br />

Letzte Station vor dem Versand. Hier wurden<br />

die Pakete verschlossen, gewogen und<br />

frankiert. Dann rollten sie weiter in Richtung<br />

Auslieferung.


Der Neubau an <strong>der</strong> Fürther Straße, feierlich eröffnet am 24. März 1956,<br />

erstreckte sich über eine Grundfläche von 11 000 qm und prägte in<br />

seiner Mo<strong>der</strong>nität das Gesicht <strong>der</strong> Verkehrsa<strong>der</strong> zwischen Nürnberg und<br />

seiner Nachbarstadt Fürth wie kein an<strong>der</strong>es Gebäude zu dieser Zeit.<br />

Im Jahr 1962 war das „Quelle-Universum“<br />

komplett: Fertighäuser wurden ins Programm<br />

aufgenommen. Zwei Jahre später war Quelle<br />

das größte Versandhaus Europas. Werbeanzeige<br />

für ein mo<strong>der</strong>nes Eigenheim aus dem<br />

Jahrbuch von 1966: vom Taschentuch bis<br />

zum <strong>Haus</strong>, nun konnte alles aus einer „Quelle“<br />

geschöpft werden.<br />

Aus dem 1966 letztmalig gedruckten Quelle-Jahrbuch: Der Quelle-Fachverkäufer<br />

erklärt <strong>der</strong> Kundin eine „Revue“, die Eigenmarke des <strong>Haus</strong>es<br />

für Filme, Fotoapparate und Ferngläser.<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

faches dieser Summe wäre notwendig gewesen, so die Meinung von<br />

Wirtschaftsexperten, um den Konzern zu einem konkurrenzfähigen<br />

Wettbewerber umzubauen, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> nötigen Flexibilität auf wechselnde<br />

Trends, differenzierte Käuferschichten und ein überwiegend<br />

vom Internetangebot bestimmtes Kaufverhalten reagieren kann.<br />

diE folgEn sind gRaViEREnd, wie immer bei Pleiten dieser<br />

Größenordnung, allem voran für die Beschäftigten, aber auch für<br />

Tochterunternehmen, Vertragsfirmen und Zulieferbetriebe im Inund<br />

Ausland, für die Region, für Nürnberg und Fürth und nicht zuletzt<br />

auch für die unmittelbare Nachbarschaft an <strong>der</strong> Fürther Straße,<br />

die in den letzten Jahrzehnten mehrfach Bekanntschaft gemacht hat<br />

mit Betriebsschließungen, wirkungslosen Protesten <strong>der</strong> Betroffenen,<br />

Arbeitslosigkeit. Bereits Anfang <strong>der</strong> 1990er-Jahre hatte es den Nachbarn<br />

des Quelle-Versands getroffen, das Traditionsunternehmen<br />

Triumph Adler, und auch hier war es das bittere Ende einer echten<br />

Fürther Straßen-Erfolgsstory …<br />

R. f.<br />

Pfeiffer, Gerhard: Zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Nürnberg-Fürther Straße, in: „Fränkische Heimat.<br />

Beiträge zur fränkischen Heimat- und Volkskunde, Nürnberg 1958; Ortner, Peter:<br />

„Wahrhaft mo<strong>der</strong>n: Leistung mit Leichtheit zu verbinden.“ Der Plärrer-Automat, in: Gostenhof.<br />

<strong>Geschichte</strong> eines Stadtteils, Nürnberg 2005; Lübbeke, Hans Wolfram: Denkmäler<br />

in Bayern. Mittelfranken, Bd. 5, München 1986; Schwarz, Helmut: Le<strong>der</strong> im Getriebe,<br />

in: Aufriss 5. Die Fürther Straße. Centrum Industriekultur Nürnberg, 1985; 100 JAHRE<br />

HERCULES. Ein Jahrhun<strong>der</strong>t für zwei Rä<strong>der</strong>, hg. von Hercules. Ein Unternehmen <strong>der</strong><br />

Fichtel & Sachs Gruppe, Nürnberg 1986; Schwarz, Helmut: Unter Wölffen, in: Aufriss<br />

5. Die Fürther Straße. Centrum Industriekultur Nürnberg, 1985; „Die <strong>Geschichte</strong> des<br />

Nürnberger Justizpalastes“. Redemanuskript des damaligen Präsidenten des Oberlandesgerichts<br />

Nürnberg, Dr. Maximilian Nüchterlein, anläßlich des Abschlusses des Wie<strong>der</strong>einzugs<br />

<strong>der</strong> Justiz in das Justizgebäude Nürnberg am 2.5.1977<br />

39


40 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Die Gründung <strong>der</strong> „Triumph-<br />

Werke“ verdankt sich einem ungewöhnlichen<br />

fränkisch-britischen<br />

Doppelpass. 1884 ließ sich Siegfried Bettmann,<br />

Sohn eines Nürnberger Kaufmanns,<br />

in London nie<strong>der</strong>. Der unternehmungslustige<br />

21-Jährige arbeitete zunächst in einem<br />

Adressenverlag, verkaufte als Vertreter einer<br />

amerikanischen Firma in Europa und Nordafrika<br />

Sämaschinen, sattelte aber bereits<br />

1885 auf Fahrrä<strong>der</strong> um. Das einstige „Hobby<br />

Horse“ spleeniger Reicher schickte sich<br />

damals eben an, in Gestalt des Nie<strong>der</strong>rads<br />

ein Massenpublikum zu erobern. Bettmann<br />

sah glänzende Aussichten für den Export<br />

britischer Qualitätsfahrrä<strong>der</strong> auf den europäischen<br />

Kontinent. Der zu erwartende Triumphzug<br />

des neuen Fortbewegungsmittels<br />

regte ihn dazu an, seine zunächst aus Birmingham<br />

bezogenen Fahrrä<strong>der</strong> unter dem<br />

Namen Triumph anzubieten, eine Markenbezeichnung,<br />

die in Englisch, Deutsch und<br />

Französisch einen gleichermaßen leicht verständlichen<br />

Wohlklang besitzt.<br />

diE gEschäftE gingEn bald so gut für<br />

den jungen fränkischen Unternehmer, dass<br />

er 1887 zusammen mit dem ebenfalls aus<br />

Deutschland stammenden Techniker Moritz<br />

Schulte die „Triumph Cycle Company“<br />

gründete. Wenig später wagte Bettmann den<br />

Schritt vom reinen Handel zur Produktion<br />

und verlegte den Firmensitz nach Coventry,<br />

ins Herz <strong>der</strong> englischen Fahrradindustrie.<br />

Mit Einlagen britischer Finanziers begann<br />

Triumph dort 1889 in einer kleinen Fabrik<br />

mit <strong>der</strong> Herstellung eigener Fahrrä<strong>der</strong>. Getragen<br />

von einer ungeheuren Radl-Euphorie,<br />

expandierte das junge Unternehmen<br />

rasch. 1896 schien Bettmann <strong>der</strong> Zeitpunkt<br />

gekommen, den (Triumph)-Bogen von den<br />

englischen Midlands ins heimische Franken-<br />

triumPhaLe Zeiten<br />

land zu schlagen. Mit dem Geld Nürnberger<br />

und Fürther Kommerzienräte wurde am 15.<br />

Juli diesen Jahres unter Führung des Bankhauses<br />

„Josef Kohn & Söhne“ die „Deutsche<br />

Triumph Fahrradwerke AG“ gegründet.<br />

Die Wahl Nürnbergs als Sitz des Tochterunternehmens<br />

verdankte sich neben den<br />

persönlichen Beziehungen Bettmanns zur<br />

Geschäftswelt seiner Heimatstadt auch <strong>der</strong><br />

Tatsache, dass die fränkische Industriemetropole<br />

– hierin durchaus Coventry vergleichbar<br />

– zu einer Hochburg <strong>der</strong> deutschen<br />

Fahrradproduktion geworden war. Während<br />

auf <strong>der</strong> grünen Wiese an <strong>der</strong> Fürther Straße<br />

ein mo<strong>der</strong>ner Fabrikbau entstand, stellten<br />

die ersten Triumph-Mitarbeiter ab Oktober<br />

1896 in gemieteten Räumen in <strong>der</strong> Ha<strong>der</strong>mühle<br />

die notwendigen Spezialmaschinen<br />

und Werkzeuge her. Mit einer Belegschaft<br />

von etwa 60 Mann wurde im Januar 1897 <strong>der</strong><br />

Neubau an <strong>der</strong> Fürther Straße/Ecke Regerstraße<br />

bezogen. Nach kurzer Zeit lag die tägliche<br />

Produktion bei 30 bis 35 Fahrrä<strong>der</strong>n.<br />

als REaktion auf die Fahrradkrise<br />

1898/99 suchte und fand man bald weitere<br />

Produkte. So verdrängten Bettgestelle aus<br />

Messing und patentierte Drahtmatratzen<br />

die Fahrrä<strong>der</strong> aus den Nürnberger Werkshallen,<br />

während man sich in Coventry auf<br />

Motorradproduktion umstellte. Bettmann<br />

und sein Kompagnon Schulte hatten schon<br />

in den neunziger Jahren die Entwicklung<br />

auf diesem Gebiet verfolgt und überlegt,<br />

Lizenzen <strong>der</strong> Münchner Motorradpioniere<br />

„Hildebrand & Wolfmüller“ zu erwerben.<br />

Doch erst als im Zuge <strong>der</strong> großen Fahrradkrise<br />

englische Firmen wie „Ariel“, „Excelsior“<br />

o<strong>der</strong> „Matchless“ Motorrä<strong>der</strong> herzustellen<br />

begannen und die Finanziers <strong>der</strong><br />

„Dunlop“-Reifen bei Triumph einstiegen,<br />

schien die Zeit reif für die eigene Produktion<br />

knattern<strong>der</strong> Varianten <strong>der</strong> bewährten Drahtesel.<br />

Mit einjähriger Verzögerung nahm das<br />

Nürnberger Tochterunternehmen die Motorfahrradproduktion<br />

nach englischem Vorbild<br />

auf.<br />

MotoRRadfahREn waR zu jener Zeit<br />

noch das Privileg einiger begüterter Sportbegeisterter,<br />

die sich nach dem Wandel des<br />

Fahrrads vom „Hobby Horse“ zum alltäglichen<br />

Fortbewegungsmittel ein neues exklusives<br />

Steckenpferd suchten. Erste Erfolge<br />

In <strong>der</strong> Werbebroschüre aus dem Jahr 1911<br />

stellte Triumph stolz das neue Werk vor. Linkerhand<br />

<strong>der</strong> Fassade ist die Fahrrad-Testbahn<br />

zu erkennen, im Vor<strong>der</strong>grund dampft die<br />

Ludwigsbahn vorbei.


Zeitungsanzeige <strong>der</strong> Triumph-Werke von 1913 mit dem Hinweis auf den neuesten Katalog.<br />

von Triumph-Motorrä<strong>der</strong>n bei Rennen und<br />

Fernfahrten blieben zwar nicht aus, doch<br />

<strong>der</strong> Abnehmerkreis vergrößerte sich kaum.<br />

Höchstens vier Motorzweirä<strong>der</strong> pro Tag verließen<br />

die Nürnberger Werkshallen, sodass<br />

bereits 1907 die unrentable Fertigung von<br />

Motorzweirä<strong>der</strong>n im Werk an <strong>der</strong> Fürther<br />

Straße wie<strong>der</strong> eingestellt wurde.<br />

1909 ERgaB sich für die vorsichtig wirtschaftenden<br />

Nürnberger Manager eine gute<br />

Gelegenheit, ihr Unternehmen in einem<br />

neuen Wachstumsmarkt zu etablieren: Sie<br />

erwarben die in Konkurs gegangene Nürnberger<br />

Schreibmaschinenfabrik „Kürth &<br />

Riegelmann“ mit <strong>der</strong> Marke „Norica“ und<br />

bauten unter <strong>der</strong> Leitung des ehemaligen<br />

Teilhabers Carl Riegelmann eine eigene<br />

Schreibmaschinenabteilung auf. Im Gefolge<br />

dieser Neustrukturierung wurde die Firma<br />

1911 in „Triumph Werke Nürnberg AG“<br />

umbenannt. Mehrere Gründe mögen für<br />

den Schritt in die Bürowelt ausschlaggebend<br />

gewesen sein. Der Fahrradabsatz unterlag<br />

starken saisonalen Schwankungen. Während<br />

<strong>der</strong> Wintermonate sank die Auslastung<br />

<strong>der</strong> Fabrikationsanlagen rapide, die Schreibmaschinenherstellung<br />

kannte diese jahreszeitlich<br />

bedingten Schwierigkeiten hingegen<br />

nicht. Während des ganzen Jahres bestand<br />

ein gleich bleibend großer Bedarf an den<br />

mittlerweile weitgehend ausgereiften Maschinen;<br />

die maschinenschriftliche Korrespondenz<br />

gehörte damals bereits zum guten<br />

Geschäftston. Aber es gab auch ein gewichtiges<br />

technisches Argument: Der Herstellungsprozess<br />

von Fahrrä<strong>der</strong>n und Schreibmaschinen<br />

wies etliche Parallelen auf, beide<br />

Erzeugnisse waren nahezu ausschließlich<br />

Ganzmetallprodukte hoher Präzision. Zu ihrer<br />

Fabrikation benötigte man eine gut ausgestattete<br />

Gießerei, Pressen, Stanzen, Bohr-<br />

maschinen, Metalldrehbänke und Fräsen.<br />

Mit Kriegsausbruch 1914 waren allerdings<br />

we<strong>der</strong> Fahrrä<strong>der</strong> noch Schreibmaschinen<br />

beson<strong>der</strong>s gefragt. Stattdessen arbeitete man<br />

an <strong>der</strong> Fürther Straße nun vor allem für den<br />

erhofften „Triumph <strong>der</strong> Waffen“, <strong>der</strong> sich<br />

jedoch entgegen den allerhöchst geschürten<br />

Erwartungen nicht einstellen sollte. Der<br />

Gewinn bringende Zynismus <strong>der</strong> Kriegsproduktion<br />

zeigte sich auch bei Triumph in<br />

vollem Maße: Die Fabrik lieferte Munition<br />

und Artilleriezün<strong>der</strong> an die Front, verdiente<br />

aber auch recht gut an Feldbettstellen, Operationstischen<br />

und Lazarettbetten für die<br />

zerschossenen Opfer <strong>der</strong> endlosen Grabenkämpfe.<br />

Neue Werkshallen entstanden, die<br />

Produktion wurde auf elektrischen Antrieb<br />

umgestellt, die Maschinen ruhten auch während<br />

<strong>der</strong> Nacht nicht mehr.<br />

nach kRiEgsEndE kehrten die Nürnberger<br />

Triumph-Werke mit ihrer bescheiden-liebevoll<br />

„Knirps“ genannten<br />

2-PS-Zweitakt-Maschine in die Motorwelt<br />

zurück. Sie war im Wesentlichen ein Nachbau<br />

<strong>der</strong> bewährten „Triumph-Junior“, die in<br />

England seit 1914 auf dem Markt war. Der<br />

Zeitpunkt für das Erscheinen <strong>der</strong> „Knirps“<br />

im Jahr 1919 war günstig, denn entgegen<br />

mancher Erwartung hatte sich <strong>der</strong> Automobilmarkt<br />

noch nicht so weit entwickelt, dass<br />

Autos für breitere Käuferkreise erschwinglich<br />

gewesen wären.<br />

ungEachtEt dER inflationskRisE<br />

erfuhr das Triumph-Werksgelände bis Mitte<br />

<strong>der</strong> Zwanzigerjahre in allen Geschäftsbereichen<br />

eine erhebliche Erweiterung. Die<br />

Errichtung eines lang gezogenen Motorradbaus<br />

parallel zur Fürther Straße zeigte<br />

1922, dass man bei Triumph angesichts des<br />

allgemeinen Motorisierungsschubs nun in<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

großem Maßstab in die Kraftradherstellung<br />

einsteigen wollte. Der Erfolg gab <strong>der</strong> Firmenleitung<br />

unter Generaldirektor Carl Schwemmer<br />

durchaus Recht: Zwischen 1923/24 und<br />

1928/29 stieg die Jahresproduktion von 1600<br />

auf 13 500 Motorrä<strong>der</strong>! Im selben Zeitraum<br />

nahm das Fahrradgeschäft deutlich ab: Die<br />

Zahl <strong>der</strong> jährlich hergestellten Fahrrä<strong>der</strong><br />

ging von 22 000 auf 16 800 zurück. Unter den<br />

Zweirä<strong>der</strong>n schien eindeutig dem Motorrad<br />

die Zukunft zu gehören.<br />

diE 1929 EinsEtzEndE Weltwirtschaftskrise<br />

fügte jedoch <strong>der</strong> expandierenden Motorradbranche<br />

erhebliche Absatzeinbrüche<br />

zu. Auch bei Triumph ging die Produktion<br />

rapide zurück: 1931/32 wurden nur noch<br />

2600 Maschinen gebaut, ein Fünftel <strong>der</strong> bisherigen<br />

Rekordziffern. Die Zahl <strong>der</strong> Beschäftigten<br />

sank dementsprechend von 1 600 auf<br />

1 000. Das Schwergewicht <strong>der</strong> Produktion<br />

verlagerte sich nun wie<strong>der</strong> auf den Bau <strong>der</strong><br />

billigeren Krafträ<strong>der</strong> bis 200 ccm Hubraum.<br />

In dieser schwierigen Situation bewahrte<br />

die immer noch gut laufende Schreibmaschinenproduktion<br />

das Unternehmen vor<br />

größerem Schaden. Ab 1933/34 schrieb <strong>der</strong><br />

Betrieb auch im Fahrzeugbereich wie<strong>der</strong><br />

schwarze Zahlen. Die Mitarbeiterzahlen<br />

stiegen bis 1939 auf 1 800 Beschäftigte an,<br />

große Neubauten wuchsen an <strong>der</strong> Fürther<br />

Straße empor. Mit 15 Millionen Reichsmark<br />

Umsatz – mehr als die Hälfte hiervon entfielen<br />

auf den Fahrzeugbereich – erzielten die<br />

Triumph-Werke im letzten Friedensjahr sogar<br />

ein neues Rekor<strong>der</strong>gebnis. Wie schon im<br />

Ersten Weltkrieg wurde das Unternehmen<br />

ab September 1939 voll in die Kriegswirtschaft<br />

einbezogen. Neben Militärmaschinen<br />

stellten die Triumph-Werke hauptsächlich<br />

Munition und Schiffsteile für die Marine<br />

her. 1942 musste die Schreibmaschinenfer-<br />

41


42 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Während <strong>der</strong> Fahrer seine Zweitaktmaschine mit Öl<br />

versorgt, strahlt die Dame, ganz im Flair <strong>der</strong> Zwanzigerjahre<br />

– eine Fahrt in diesem Outfit, wie sie das Plakat <strong>der</strong><br />

Triumph-Werke von 1928 zeigt, ist allerdings nur schwer<br />

vorstellbar.<br />

Luftaufnahme <strong>der</strong> Nürnberger Triumph-Werke an <strong>der</strong> Fürther Straße aus<br />

den 1950er-Jahren.<br />

Triumph-Präsentation 1932: Die linke <strong>der</strong> drei Maschinen im Vor<strong>der</strong>grund<br />

ist eine <strong>der</strong> seltenen Triumph-Schönheiten vom Typ ‚200 K’ aus<br />

dem „vergessenen“ Kellerraum bei Triumph-Adler, die heute im Nürnberger<br />

Motorradmuseum bewun<strong>der</strong>t werden können.<br />

Ganz im Sinne des Fortschritts: Triumph-Schreibmaschinen-Werbung,<br />

um 1930.<br />

Werbeblatt für die Triumph-Matura<br />

aus den 1950er-Jahren, die „Königin<br />

<strong>der</strong> Schreibmaschinen“ ihrer<br />

Zeit. Mit dieser Neuentwicklung<br />

im Bereich Büroschreibmaschinen<br />

gelang Triumph ein internationaler<br />

Verkaufsschlager.


Blick auf das TA-Mittelstandszentrum 2009<br />

tigung für den zivilen Markt eingestellt werden.<br />

Mehr und mehr Stammarbeiter wurden<br />

zum Kriegsdienst eingezogen, Frauen und<br />

zahlreiche Zwangsarbeiter ersetzten sie.<br />

1943 wurde das Werk zweimal von Fliegerbomben<br />

getroffen. Bei <strong>der</strong> Einnahme Nürnbergs<br />

1945 geriet das Werk zeitweise unter<br />

den Artilleriebeschuss <strong>der</strong> vorrückenden<br />

amerikanischen Truppen. Doch bereits wenige<br />

Wochen nach Kriegsende wurde mit einer<br />

Belegschaft von 220 Personen die Arbeit<br />

wie<strong>der</strong> aufgenommen. Trümmer wurden<br />

beseitigt, Maschinen repariert und alte Verbindungen<br />

zu Rohstoff- und Teilelieferanten<br />

neu geknüpft. Wie je<strong>der</strong> Betrieb mussten<br />

auch die Triumph-Werke angesichts von<br />

Materialknappheit, Energiemangel, Bezugsscheinsystem<br />

und Geldentwertung stark improvisieren,<br />

bis 1948 die Währungsreform<br />

die Grundlage für die Wie<strong>der</strong>aufnahme <strong>der</strong><br />

Motorradfertigung schuf.<br />

iM zEichEn wachsEndEn Wohlstands<br />

erlebte die Motorradbranche zu Beginn<br />

<strong>der</strong> Fünfzigerjahre einen ungeheuren Aufschwung.<br />

Neue Werkshallen entstanden an<br />

<strong>der</strong> Fürther Straße, die Belegschaft wuchs<br />

auf knapp 3 000 Personen an. Mitte <strong>der</strong><br />

1950er-Jahre blies jedoch auch dem erfolgsverwöhnten<br />

Löwen des Triumph-Wappens<br />

ein scharfer Gegenwind ins Gesicht. Die Triumph-Produktion<br />

hatte ihren Schwerpunkt<br />

auf mittelschweren Motorradtypen; <strong>der</strong> auf<br />

die wachsende Konsumkraft und die modischen<br />

Bedürfnisse einer neuen Generation<br />

motorbegeisterter Jugendlicher zugeschnittene<br />

Moped- und Motorrollersektor war<br />

hingegen vernachlässigt worden. An diesen<br />

immer noch expandierenden Markt suchte<br />

man nun Anschluss zu finden. In Zusammenarbeit<br />

mit „Hercules“ und „Zündapp“<br />

stellte Triumph 1953 unter dem traditionsreichen<br />

Namen „Knirps“ erstmals auch ein<br />

Moped vor. Zum Preis von 548 Mark fand<br />

dieses mit dem Zündapp-Motor, später mit<br />

einem Fichtel & Sachs-Aggregat ausgestattete<br />

Gefährt zwar zahlreiche Käufer, doch erfüllten<br />

sich die hochgespannten Verkaufserwartungen<br />

insgesamt nicht. Wenig besser<br />

erging es den Nachfolgemodellen „Fips“ und<br />

„Sportfips“, <strong>der</strong>en „lustiges Schnurren“, wie<br />

es die Werbung anpries, die trübe Stimmung<br />

an <strong>der</strong> Fürther Straße nicht aufheitern konnte.<br />

Hatte Triumph im Erfolgsjahr 1953 noch<br />

20 000 Motorrä<strong>der</strong> auf die Straßen bringen<br />

können, so fielen die Verkaufszahlen 1955<br />

auf 8 000 und nur noch 2 200 im darauf<br />

folgenden Jahr. In einem letzten Versuch,<br />

die Motorradflaute zu überstehen, ging Triumph<br />

im Oktober 1956 mit den ebenfalls<br />

krisengeschüttelten Konkurrenten „Adler“<br />

und „Hercules“ eine Verkaufsgemeinschaft<br />

ein. Doch auch diese Notmaßnahme konnte<br />

das Ende nicht mehr aufhalten.<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Ein nüRnBERgER kaufMann, Siegfried<br />

Bettmann, hatte 1887 im fernen Coventry<br />

die „Triumph-Werke“ aus <strong>der</strong> Taufe<br />

gehoben. Siebzig Jahre später trug ein<br />

Fürther Industrieller, <strong>der</strong> Radio-Pionier<br />

Max Grundig, die Nürnberger Motorradlegende<br />

„Triumph“ zu Grabe. Im Januar<br />

1957 übernahm er die Triumph-Werke, im<br />

September wurde die Zweiradproduktion<br />

endgültig eingestellt. Grundigs Interesse galt<br />

ausschließlich <strong>der</strong> Büromaschinenfertigung,<br />

Motorrä<strong>der</strong> ließen ihn kalt – während <strong>der</strong><br />

zwölfjährigen Zugehörigkeit des Unternehmens<br />

zu seinem Konzern soll er die Werkshallen<br />

an <strong>der</strong> Fürther Straße nur zweimal<br />

betreten haben: das erste Mal, um <strong>der</strong> Belegschaft<br />

zu verkünden, dass in Zukunft nur<br />

noch Büromaschinen produziert werden<br />

sollten; das zweite Mal, um zu kontrollieren,<br />

ob seine Or<strong>der</strong> auch eingehalten wurde.<br />

Als er in einer Fabrikhalle ein nagelneues<br />

Motorrad sah, schenkte er es wutentbrannt<br />

dem nächstbesten Arbeiter mit <strong>der</strong> Auflage,<br />

es ihm sofort aus den Augen zu schaffen.<br />

Ob wahr o<strong>der</strong> unwahr – diese <strong>Geschichte</strong><br />

illustriert eine in <strong>der</strong> Fortschrittseuphorie<br />

<strong>der</strong> Fünfzigerjahre weit verbreitete Haltung,<br />

die in Motorrä<strong>der</strong>n nichts als Relikte vergangener<br />

Zeiten sah, reif für die Schrotthalden<br />

<strong>der</strong> Verkehrsgeschichte …<br />

hElMut schwaRz<br />

43


44 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Etwas hatte er jedoch übersehen,<br />

Max Grundig, einen kleinen Raum<br />

im Untergeschoss des weitläufigen<br />

Firmenareals, <strong>der</strong> einst <strong>der</strong> Schulung von<br />

Triumph-Motorradhändlern und Vertretern<br />

diente. Die Tür blieb über Jahrzehnte verschlossen<br />

und <strong>der</strong> Kellerraum geriet in Vergessenheit<br />

– doch dazu später mehr.<br />

Max gRundig hattE also die Triumph<br />

Werke an <strong>der</strong> Fürther Straße gekauft und<br />

sie mit den Frankfurter Adler-Werken, an<br />

denen er beteiligt war, fusioniert. Triumph-<br />

Adler produzierte fortan ausschließlich Büromaschinen.<br />

Ende <strong>der</strong> 1960er-Jahre stieg Max Grundig<br />

in das Geschäft mit Farbfernsehern ein und<br />

verkaufte den erfolgreichen Büromaschinenhersteller<br />

TA an den US-Konzern Litton.<br />

1979 kam TA zurück nach Deutschland und<br />

gehörte nun zum Volkswagenkonzern. Inzwischen<br />

umbenannt in TA AG wurde TA<br />

im Jahr 1986 vom italienischen Büromaschinenhersteller<br />

Olivetti übernommen. Zehn<br />

Jahre später verkaufte man den bekannten<br />

Markennamen, die Mitarbeiter wurden allesamt<br />

entlassen. Nur ein kleiner Teil, die TA<br />

AG, die von einem Aktionärskonsortium<br />

bereits 1994 ausgeglie<strong>der</strong>t worden war, besteht<br />

als Mittelstandsholding und Spezialist<br />

für die Optimierung digitaler Bürokommunikation<br />

bis heute.<br />

Das riesige Triumph-Fabrikareal allerdings<br />

war bald geräumt und sollte einer neuen<br />

Nutzung zugeführt werden. Und hier<br />

kommt <strong>der</strong> oben erwähnte Kellerraum<br />

Motorrad-Legenden. Nürnberg 1994<br />

schLaFenDe schönheiten:<br />

triumPh-aDLer<br />

wie<strong>der</strong> ins Spiel: Auf <strong>der</strong> Suche nach firmenhistorischen<br />

Dokumenten, vor allem<br />

aber nach alten Triumph-Motorrä<strong>der</strong>n recherchierten<br />

Mitarbeiter des Nürnberger<br />

Museums Industriekultur bei Triumph. Einige<br />

altgediente „Triumphler“ erwähnten<br />

dabei hinter vorgehaltener Hand jenen<br />

stets verschlossenen Kellerraum, für den es<br />

sogar noch einen Schlüssel gab. Der Raum<br />

entpuppte sich als Traum jedes „Museumsmenschen“:<br />

Für Händlerschulungen hatte<br />

man die wichtigsten Triumph-Motorrä<strong>der</strong><br />

als Schnittmodelle angefertigt – und alle<br />

waren noch da! Die legendären Triumph-<br />

Zweitakter <strong>der</strong> 1930er- und 1950er-Jahre<br />

waren dann rasch verladen und wurden<br />

unter Missachtung aller Kompetenzen, unterstützt<br />

von ehemaligen TA-Mitarbeitern,<br />

in die Ausstellung des Museums Industriekultur<br />

verbracht. Dies ging so lange gut bis<br />

einige vom Olivetti-Vorstand auf das Thema<br />

angesetzte italienische Sammler nach dem<br />

Verbleib <strong>der</strong> Fahrzeuge zu suchen begannen.<br />

Die Motorrä<strong>der</strong> waren bald gefunden,<br />

schließlich wurden sie im Museum präsentiert.<br />

An <strong>der</strong> Rückgabe und damit an <strong>der</strong><br />

Übernahme durch die italienischen Sammler<br />

schien kein Weg mehr vorbei zu führen.<br />

Der Olivetti-Vorstand drohte mit Zwangsmaßnahmen<br />

und da die Eigentumsverhältnisse<br />

unklar waren, war auch die Nürnberger<br />

Stadtspitze machtlos.<br />

just in diEsEn wochEn liefen die<br />

Verkaufsverhandlungen bezüglich des TA-<br />

Geländes, das ja einer neuen Verwendung<br />

zugeführt werden sollte. Verhandlungspartner<br />

<strong>der</strong> Italiener war auf Nürnberger Seite<br />

<strong>der</strong> erfahrene Immobilienspezialist Gerd<br />

Schmelzer. Er war zugleich die letzte Hoffnung<br />

des Museums. Gerd Schmelzer hat<br />

die historischen Motorrä<strong>der</strong> kurzerhand<br />

zum Bestandteil des anzukaufenden Areals<br />

erklärt und damit alle Wi<strong>der</strong>stände im<br />

Handstreich beseitigt. Ihm ist es zu verdanken,<br />

dass diese für die Nürnberger Zweiradgeschichte<br />

wichtigen Triumph-Motorrä<strong>der</strong><br />

heute im Motorradmuseum bestaunt werden<br />

können.<br />

doch sEin EigEntlichEs Anliegen<br />

war die neue Nutzung des großen Triumph-Areals.<br />

Auch das ist gelungen. Das<br />

TA-Mittelstandszentrum bietet Raum für<br />

fast 65 Unternehmen aus unterschiedlichen<br />

Branchen, überwiegend mittelständische<br />

Betriebe aus Dienstleistung und Handel. Zudem<br />

gibt es – und das trägt wesentlich bei<br />

zum Erfolg dieses „Revitalisierungsmodells“<br />

– eine Kin<strong>der</strong>tagesstätte und kulturelle Einrichtungen,<br />

attraktive gastronomische Angebote<br />

und Einkaufsmöglichkeiten runden<br />

das Bild ab, das sich heute dem Nutzer und<br />

dem Besucher bietet. Das Konzept hat Vorbildcharakter<br />

für die Wie<strong>der</strong>belebung von<br />

Industriebrachen wie jenen von Quelle und<br />

AEG an <strong>der</strong> Fürther Straße. Letzterem, dem<br />

direkten Nachbarn des TA-Geländes wenden<br />

wir uns nun zu: den traditionsreichen<br />

Nürnberger AEG-<strong>Haus</strong>gerätewerken.<br />

M. M.


Detailansicht des geschnittenen Nasenkolben-Zweitaktmotors <strong>der</strong> heute sehr<br />

seltenen Triumph 200 K von 1934.<br />

Die SSK 350 war eine <strong>der</strong> schönsten Triumph-Sportmaschinen. Mit ihr verbinden<br />

sich die Siege <strong>der</strong> einst sehr bekannten Rennfahrer Toni Fleischmann und Otto Ley.<br />

Die schnittige Kardanmaschine Triumph 200 K war eine Entwicklung des<br />

legendären Zweiradkonstrukteurs Otto Reitz. Dem technisch anspruchsvollen<br />

Motorrad war allerdings kein Markterfolg beschieden.<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Blick auf den Doppelkolben-Zweitakter <strong>der</strong> Triumph Cornet von 1953. Die Doppelkolbentechnik,<br />

eine Spezialität von Triumph, war damals Hightech vom Feinsten.<br />

Auch die Triumph BD 250 war eine Kreation von Otto Reitz. Die preisgünstige Maschine<br />

war gleichermaßen im Alltagseinsatz wie beim Zuverlässigkeitssport beliebt.<br />

Die ungewöhnlichen Kühlrippen brachten ihr den Namen „Stachelschwein“ ein.<br />

Die Boss war das letzte Flaggschiff von Triumph, bevor das Auto <strong>der</strong> Zweiradindustrie<br />

endgültig den Boden entzog und Max Grundig bei Triumph den<br />

Bann über die letzten Zweirä<strong>der</strong> verhängte.<br />

45


46 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Mit <strong>der</strong> Glühlampe fing alles an.<br />

Der Berliner Ingenieur Emil<br />

Rathenau hatte auf einer Ausstellung<br />

die neueste Erfindung des Amerikaners<br />

Thomas Alva Edison kennen gelernt, die<br />

Glühlampe. Er erwarb die deutsche Lizenz<br />

für die Edison-Patente und gründete in Berlin<br />

1887 die „Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft“,<br />

kurz AEG.<br />

Fließbandfertigung in <strong>der</strong> AEG-<br />

Waschmaschinenproduktion im<br />

Jahr 1957. Auf diese so genannten<br />

Standard-Waschmaschinen<br />

mit Wring-Aufsatz folgte ein Jahr<br />

später <strong>der</strong> erste Waschautomat<br />

„Lavamat“ mit drei zeitgesteuerten<br />

Waschprogrammen und<br />

einem Schleu<strong>der</strong>gang.<br />

aeg – aus erFahrung gut ?<br />

diE nacht wuRdE zum Tag, das neue<br />

elektrische Licht wurde mit großer Begeisterung<br />

aufgenommen. Elektrizitätswerke<br />

schossen wie Pilze aus dem Boden. Fabriken,<br />

Wohnhäuser und öffentliche Gebäude<br />

wurden an das Stromnetz angeschlossen.<br />

Da jedoch <strong>der</strong> Strom zur Beleuchtung nur<br />

bei Dunkelheit benötigt wurde, waren die<br />

Strom erzeugenden Maschinen <strong>der</strong> Kraft-<br />

werke tagsüber nicht ausgelastet. Mit <strong>der</strong><br />

Elektrifizierung <strong>der</strong> Produktionsprozesse<br />

und später auch <strong>der</strong> <strong>Haus</strong>halte sowie <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Verkehrsmittel wurde dieses Problem<br />

jedoch behoben.<br />

Es Entstand Ein BooMEndER Wachstumsmarkt<br />

rund um die neue Energieform.<br />

In den besser gestellten <strong>Haus</strong>halten gab es


neben dem elektrischen Licht bald auch elektrische<br />

Kochplatten, Bügeleisen, Heizgeräte,<br />

Eierkocher, Teekessel und vieles mehr. Auch<br />

in Nürnberg wurde diese Entwicklung rasch<br />

erkannt: Der Bing-<strong>Haus</strong>haltswarenkonzern<br />

gründete 1917 eine eigene Elektroabteilung<br />

zur Herstellung von Kochplatten, Heizsonnen,<br />

Bügeleisen und Kleinmotoren, mit<br />

denen Geräte wie Staubsauger o<strong>der</strong> Küchenmixer<br />

betrieben werden konnten. 1922 fusionierte<br />

Elektro-Bing mit <strong>der</strong> Berliner AEG,<br />

die ihre <strong>Haus</strong>geräteabteilung daraufhin nach<br />

Nürnberg an die Fürther Straße verlegte. Die<br />

rasch voranschreitende Elektrifizierung <strong>der</strong><br />

<strong>Haus</strong>halte bekam in den 1920er-Jahren sozusagen<br />

Stromstöße von zwei Seiten: Einerseits<br />

wollten die Anbieter elektrischer Geräte<br />

den neuen Markt rasch erobern, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite stand das Interesse <strong>der</strong> Stromkonzerne,<br />

die privaten <strong>Haus</strong>halte als Kunden<br />

zu gewinnen. Mit großem Werbeaufwand<br />

wurden Veranstaltungen wie „elektrische<br />

Wochen“ o<strong>der</strong> „Lichtfeste“ inszeniert. Bei<br />

<strong>der</strong> AEG mit über 1 000 Mitarbeitern war<br />

längst die Fließbandfertigung eingeführt, als<br />

in den 1930er-Jahren die deutschen <strong>Haus</strong>halte<br />

mit über einer Million Elektroherden<br />

beglückt wurden. Weit höher noch lagen die<br />

Zahlen <strong>der</strong> vielfältigen Elektrokleingeräte<br />

im umfangreichen AEG-Produktsortiment.<br />

Mit Kriegsbeginn hielt auch bei <strong>der</strong> AEG die<br />

Rüstungsproduktion Einzug in die Werkshallen,<br />

die bisherige Produktion geriet in<br />

Das AEG-Gebäude an <strong>der</strong> Fürther Straße im Jahr 1966.<br />

Stillstand. Gegen Kriegsende wurden große<br />

Teile <strong>der</strong> Fabrikanlage zerstört.<br />

diE kaRgEn jahRE des Wie<strong>der</strong>aufbaus<br />

mündeten rasch in die als „Wirtschaftswun<strong>der</strong>“<br />

bezeichnete Boomphase. 1950 entstand<br />

in Frankfurt am Main die neue AEG-Unternehmenszentrale.<br />

Es waren nun nicht mehr<br />

nur die wohlhabenden, son<strong>der</strong>n die <strong>Haus</strong>halte<br />

aller gesellschaftlichen Schichten, die<br />

von <strong>der</strong> Fürther Straße aus in großen Schritten<br />

elektrifiziert wurden. Stromverbrauch<br />

wurde quasi zum Maßstab für den Lebensstandard.<br />

Bald konnte sich je<strong>der</strong> einen elektrischen<br />

Herd, einen Kühlschrank o<strong>der</strong> eine<br />

Waschmaschine leisten.<br />

diE aEg-nüRnBERg beschäftigte gut<br />

4 000 Mitarbeiter und war zur größten europäischen<br />

Fabrik für „Elektrowärmgeräte“<br />

aufgestiegen. Diese Entwicklung fand ihren<br />

Nie<strong>der</strong>schlag auch in einigen Neubauten,<br />

am markantesten das lang gestreckte Fünfzigerjahre-Fabrikgebäude<br />

entlang <strong>der</strong> Fürther<br />

Straße.<br />

ManchE innoVation MusstE sich<br />

erst gegen Wi<strong>der</strong>stände durchsetzen, so die<br />

„Lavamat“-Waschmaschine, die 1951 in<br />

Nürnberg in Serie ging. Mit dieser Waschmaschine<br />

konnte auch in <strong>der</strong> Etagenwohnung<br />

gewaschen werden, sodass <strong>der</strong><br />

beschwerliche Gang zur Gemeinschafts-<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

waschmaschine im Keller entfiel, ebenso das<br />

aufwändige Kochen <strong>der</strong> Wäsche in <strong>der</strong> Wohnung,<br />

das viele Vermieter wegen <strong>der</strong> starken<br />

Dampfentwicklung ohnehin untersagten.<br />

Und genau da lag das Problem: Die AEG<br />

musste erst in einer umfangreichen Werbekampagne<br />

vermitteln, dass bei <strong>der</strong> neuen<br />

Waschmaschine nur so viel Dampf entsteht<br />

wie beim Kochen eines Eintopfgerichts. Als<br />

sich diese Einsicht durchgesetzt hatte, wurde<br />

die Waschmaschine das umsatzstärkste Produkt<br />

<strong>der</strong> AEG. Die millionenfach verkaufte<br />

„Lavamat“ von AEG wurde, wie <strong>der</strong> Fernseher<br />

von Grundig, <strong>der</strong> Quelle-Katalog o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> „Käfer“ von VW zum Symbol des deutschen<br />

Wirtschaftswun<strong>der</strong>s. Die Beschäftigtenzahlen<br />

an den Fließbän<strong>der</strong>n <strong>der</strong> AEG<br />

an <strong>der</strong> Fürther Straße stiegen und stiegen,<br />

später nur leicht gebremst durch die Einführung<br />

von Automatisierungstechniken in<br />

einigen Bereichen.<br />

als in dER MittE <strong>der</strong> 1960er-Jahre die<br />

räumlichen Erweiterungsmöglichkeiten an<br />

<strong>der</strong> Fürther Straße erschöpft waren, wurde<br />

die Fertigung von Elektroherden, Staubsaugern<br />

und verschiedenen Kleingeräten<br />

verlegt. Später wan<strong>der</strong>ten weitere Fertigungsbereiche<br />

in an<strong>der</strong>e Städte ab, während<br />

die Hauptverwaltung und die Produktion<br />

von Wasch- und Spülmaschinen<br />

vorläufig in Nürnberg blieben. Zu Beginn<br />

<strong>der</strong> 1980er-Jahre brachte eine Reihe von<br />

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48 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Fehlentscheidungen des Managements den<br />

gesamten AEG-Konzern in eine gefährliche<br />

wirtschaftliche Schieflage. Nicht zuletzt aufgrund<br />

zweistelliger Zuwachsraten aus <strong>der</strong><br />

Nürnberger Produktion und mit <strong>der</strong> finanziellen<br />

Potenz <strong>der</strong> Daimler Benz AG, inzwischen<br />

Eigentümerin <strong>der</strong> AEG, konnte diese<br />

Krise gemeistert werden.<br />

nachdEM das „wEltkonzERn-konzEpt“<br />

von Daimler Benz gescheitert war, beschloss<br />

die AEG-Konzernspitze in Frankfurt 1993<br />

die Nürnberger Tochter für fast eine Milliarde<br />

DM komplett an den schwedischen<br />

Elektrolux-Konzern zu verkaufen. Diese<br />

aus Nürnberger Sicht „ferngesteuerte Entscheidung“<br />

wurde damit begründet, dass<br />

die Konkurrenz <strong>der</strong> großen Anbieter von<br />

„weißer Ware“ (<strong>Haus</strong>geräte) auf Dauer keine<br />

Überlebenschance ließ, obwohl die AEG-<br />

<strong>Haus</strong>haltsgeräte-Sparte, die Unternehmensperle<br />

in <strong>der</strong> Region, bei <strong>der</strong> Übernahme<br />

mit Gewinn wirtschaftete. Drei Jahre später<br />

kam <strong>der</strong> Schock an <strong>der</strong> Fürther Straße: Eine<br />

Einsparungsoffensive mit <strong>der</strong> Bezeichnung<br />

„Smart96“ sollte mit Einsparungen und<br />

Personalabbau nach dem Rasenmäher-<br />

Prinzip alle Elektrolux-Standorte effizienter<br />

machen. Zwar schrieben die Nürnberger<br />

nach wie vor schwarze Zahlen, blieben aber<br />

nicht von Stellenstreichungen und Produktionsauslagerungen<br />

verschont. 1997 folgte<br />

ein neues Paket mit so genannten Strukturmaßnahmen<br />

– diesmal traf es nur die<br />

Nürnberger, an<strong>der</strong>e Elektrolux-Töchter blieben<br />

ungeschoren. Begründungen waren die<br />

Stärkung <strong>der</strong> Wettbewerbsposition und Steigerung<br />

des Aktienkurses. Und immer noch<br />

schrieb man an <strong>der</strong> Fürther Straße schwarze<br />

Zahlen und <strong>der</strong> Elektrolux-Konzern sicherte<br />

sich die Dienste <strong>der</strong> Nürnberger AEG samt<br />

dem Slogan „Aus Erfahrung Gut“. Der Elektrolux-Chef<br />

Hans Straberg spielte auf Zeit.<br />

Am 12. Dezember 2005 platzte dann die<br />

Bombe: Der Aufsichtsrat von Elektrolux entschied,<br />

das AEG-Werk an <strong>der</strong> Fürther Straße<br />

mit 1700 Beschäftigten zu schließen und<br />

die Produktion von Waschmaschinen und<br />

Geschirrspülern nach Polen und Italien zu<br />

verlegen. Gegen die Umsetzung dieses Beschlusses<br />

wehrten sich die AEG-Mitarbeiter<br />

mit mächtigen Kundgebungen, Streiks und<br />

Demonstrationen. Getragen von breiter Solidarität<br />

<strong>der</strong> Nürnberger Bevölkerung, stand<br />

Titelblatt einer Werbebroschüre für die<br />

damals heiß begehrte „Lavamat“.<br />

das Thema AEG nochmals im Mittelpunkt<br />

bundesweiten Medieninteresses.<br />

Gewerkschaftlich organisiert, erkämpften<br />

Belegschaften und Betriebsrat tragfähige Sozialpläne.<br />

An<strong>der</strong>s als später bei <strong>der</strong> Quelle-<br />

Insolvenz hatte man mit Hans Straberg ein<br />

echtes Feindbild, das man für solidarische<br />

Aktionen mobilisieren konnte. Weniger im<br />

Blick <strong>der</strong> Öffentlichkeit stand dagegen die<br />

Tatsache, dass Straberg nur ein Rad im Getriebe<br />

des internationalen Finanz- und Firmenimperiums<br />

<strong>der</strong> einflussreichen schwedischen<br />

Wallenberg-Dynastie war.<br />

so wuRdEn das EndE von AEG und<br />

die Verlagerung aller Fabrikarbeitsplätze in<br />

Billiglohnlän<strong>der</strong> zum Lehrstück für die Gesetzmäßigkeit<br />

globalisierter Märkte. Mehr<br />

als 700 überwiegend höher qualifizierte<br />

Mitarbeiter aus Verwaltung, Entwicklung,<br />

Werbung und Öffentlichkeitsarbeit konnten<br />

im Großkonzern weiterarbeiten. Der Slogan<br />

„Aus Erfahrung Gut“ wurde umgedichtet in:<br />

„Ausverkauf Einer Gesellschaft“. Der Verlust<br />

vorwiegend gering qualifizierter Arbeitsplätze<br />

ist symptomatisch für den tief greifenden


Werbeprospekte <strong>der</strong> 1960er-Jahre für elektrische „<strong>Haus</strong>haltshelfer“,<br />

darunter auch ein echter Klassiker, <strong>der</strong> verchromte AEG-Haartrockner.<br />

Strukturwandel, <strong>der</strong> den Weg Nürnbergs von<br />

einer Stadt <strong>der</strong> Schwerindustrie hin zum Mittelpunkt<br />

einer von Dienstleistung, Forschung,<br />

Wirtschaft und Kommunikation geprägten<br />

Metropolregion kennzeichnet. Dieser Strukturwandel<br />

ist allerdings kein einseitiger Prozess<br />

des wirtschaftlichen Nie<strong>der</strong>gangs und<br />

Verlustes von Arbeitsplätzen. Vielmehr hält<br />

sich die Zahl <strong>der</strong> verlorenen Arbeitsplätze<br />

durchaus die Waage mit den im Zuge dieses<br />

Wandels neu hinzugekommenen. Und eben<br />

diese Entwicklung lässt sich auch am „Mikrokosmos“<br />

Fürther Straße aufzeigen.<br />

„auf aEg“ hEisst das Projekt einer<br />

Berliner Immobiliengesellschaft zur Neubelebung<br />

des über 160 000 qm großen<br />

Fabrikareals. 60 Millionen Euro sollen<br />

investiert werden, ein Teilbereich wurde<br />

bereits saniert. Hier betreibt Elektrolux<br />

seine Deutschland-Zentrale mit rund 700<br />

Mitarbeitern. In einem an<strong>der</strong>en Gebäude<br />

hat Siemens Teile seiner Transformatorenfertigung<br />

untergebracht. Nach den Plänen<br />

des Nürnberger Architekten Jürgen Bisch<br />

verbleibt ein U-förmiger, mehrgeschossiger<br />

Gebäudebestand. Flachbauten werden groß-<br />

teils entfernt, was Innenhöfe und Parkplätze<br />

schafft. Die 400 Meter lange Gebäudefront<br />

an <strong>der</strong> Fürther Straße soll mit Showrooms<br />

und Präsentationsflächen des Einzelhandels<br />

versehen werden. Ziel des Projekts ist eine<br />

Mischform aus Büro, Gewerbe, Groß- und<br />

Einzelhandel, Wohnen, Gastronomie, Kunst<br />

und Kultur. Im ehemaligen Pförtnerhaus hat<br />

sich zwar bereits ein Café etabliert und in<br />

den riesigen ehemaligen Produktionshallen<br />

blühen die ersten kulturellen Pflanzen, insgesamt<br />

allerdings dominiert noch Leerstand<br />

das Bild. Die Chancen, dass sich dies auf absehbare<br />

Zeit än<strong>der</strong>t, sind durch die Quelle-<br />

Pleite nicht gewachsen.<br />

doch gEhEn wiR vom Ende <strong>der</strong> einstigen<br />

„Achse <strong>der</strong> Industrialisierung“ entlang<br />

<strong>der</strong> Fürther Straße noch einmal weit<br />

zurück bis zu <strong>der</strong> Stelle, an <strong>der</strong> nördliche<br />

und südliche Fürther Straße zusammentreffen.<br />

Unweit davon befindet sich heute<br />

die DATEV, entstanden im Zuge des strukturellen<br />

Wandels und gewachsen auf den<br />

Grundmauern ehemaliger Nürnberger Industriebetriebe.<br />

M. M.<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Leerstand und Verlassenheit so weit das Auge reicht:<br />

die lang gezogene AEG-Fassade im Jahr 2009.<br />

49


50 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

War es früher die industrielle<br />

Herstellung materieller Güter,<br />

die die Großunternehmen <strong>der</strong><br />

Metall-, Fahrzeug-, Spielzeug- o<strong>der</strong> Elektroindustrie<br />

entlang <strong>der</strong> Fürther Straße prägte,<br />

so ist es heute, hier wie überall in <strong>der</strong> Metropolregion<br />

und <strong>der</strong> ganzen westlichen<br />

Welt, die Mehrwertschöpfung aus Ideen und<br />

Kommunikationstechnologien. Die globalen<br />

Netzwerke <strong>der</strong> Kommunikation übersteigen<br />

längst den Wert herkömmlicher Produktionsanlagen<br />

und haben diese, zumindest in<br />

Deutschland, in weiten Teilen abgelöst.<br />

noch in dEn 1960ER-jahREn schienen<br />

die Großunternehmen die Herren <strong>der</strong><br />

Welt zu sein. Nur sie verfügten über das<br />

Kapital für den Einsatz von Großrechnern<br />

und damit über die wirtschaftliche Macht.<br />

Der Mittelstand hingegen, <strong>der</strong> die deutsche<br />

Wirtschaft insgesamt mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

dominierte und noch heute prägt, erschien<br />

ohne Chancen. Die Gründung <strong>der</strong> DATEV<br />

im Jahr 1966 erwies sich als erfolgreiches<br />

Modell, das eben diesem Mittelstand ganz<br />

neue Möglichkeiten eröffnete. Nun war auch<br />

für kleine und mittlere Betriebe <strong>der</strong> Zugriff<br />

auf Techniken möglich, <strong>der</strong>en ökonomische<br />

Vorteile bisher nur die Großindustrie hatte<br />

nutzen können. Grundlage für diesen grundlegenden<br />

Wandel war das genossenschaftliche<br />

Prinzip <strong>der</strong> „Hilfe zur Selbsthilfe“.<br />

hEutE ist diE datEV ein global tätiges<br />

Softwarehaus und ein IT-Dienstleister<br />

für Steuerberater, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer.<br />

Sie beschäftigt 5 700 Mitarbeiter<br />

und erzielt einen Jahresumsatz von<br />

über 670 Millionen Euro. Gegründet wurde<br />

schrauben – sPieLZeug – Daten<br />

Die (Vor-)<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> DATEV<br />

die DATEV 1966 in Nürnberg als genossenschaftliche<br />

Organisation von Steuerbevollmächtigten.<br />

Den Anstoß dafür gaben<br />

für den Initiator, den Nürnberger Steuerbevollmächtigten<br />

Heinz Seliger, <strong>der</strong> Arbeitskräftemangel<br />

<strong>der</strong> Wirtschaftswun<strong>der</strong>jahre<br />

und die geplante Einführung <strong>der</strong> Mehrwertsteuer.<br />

Mithilfe <strong>der</strong> DATEV sollten für die<br />

zumeist mittelständischen „Genossen“ die<br />

neuen Einsatzmöglichkeiten <strong>der</strong> EDV erschlossen<br />

werden. 1968 verlegte die DATEV<br />

ihren Sitz an die Fürther Straße und mietete<br />

Räume im ehemaligen Fabrikgebäude<br />

<strong>der</strong> „Nürnberger Schraubenfabrik“ (NSF).<br />

Hier, an <strong>der</strong> Fürther Straße 101, hatte seit<br />

1889 die „älteste und größte Fabrik dieser<br />

Branche in ganz Bayern“ ihren Sitz, wie eine<br />

Firmenschrift <strong>der</strong> „Nürnberger Schraube“<br />

betont. Die Rüstungsproduktion im Ersten<br />

Weltkrieg hatte für einen erneuten Wachstumsschub<br />

gesorgt, eine Nie<strong>der</strong>lassung in<br />

Berlin wurde eingerichtet. In Nürnberg kam<br />

zur Herstellung von Schrauben und Kleinteilen<br />

aller Art die Fertigung mechanischtechnischer<br />

Radioteile und Komponenten.<br />

Und als die NS-Machthaber ihr wichtigstes<br />

Propagandamedium, den „Volksempfänger“,<br />

massenhaft zu produzieren begannen,<br />

waren fast immer auch Komponenten aus<br />

<strong>der</strong> Fürther Straße dabei – keine „Goebbels-<br />

Schnauze“ ohne NSF. Das Geschäft florierte.<br />

Die jüdischen Eigentümer <strong>der</strong> NSF sollen<br />

anfangs gezielt jüdische o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>weitig<br />

bei den Machthabern unliebsame Mitarbeiter<br />

beschäftigt und diesen damit gewissermaßen<br />

Schutz geboten haben, doch das<br />

ging nicht lange gut. Bald sahen sich die<br />

NSF-Inhaber Diskriminierungen und Bedrohungen<br />

durch die Nationalsozialisten<br />

ausgesetzt. 1938 wurden sie gezwungen,<br />

ihr Unternehmen an die Berliner Ludwig<br />

Loewe & Co. A.G. zu verkaufen. 1941 fusionierte<br />

die zwischenzeitlich vollständig auf<br />

Rüstungsproduktion umgestellte NSF mit<br />

<strong>der</strong> AEG. 1945 wurde das Fabrikareal durch<br />

alliierte Bomben schwer beschädigt. Nach<br />

Kriegsende und Wie<strong>der</strong>aufbau konnte für<br />

einige Jahre an die erfolgreiche Geschäftslage<br />

<strong>der</strong> Vorkriegszeit angeknüpft werden, bis<br />

die Krise in <strong>der</strong> Nürnberger Metallindustrie<br />

auch auf die NSF durchschlug. Die Gute<br />

Hoffnung Hütte übernahm die NSF und verlagerte<br />

die Produktion nach Schwerte. 1968<br />

mietete dann die DATEV erstmals Räume<br />

in <strong>der</strong> ehemaligen Schraubenfabrik. Ständig<br />

wachsen<strong>der</strong> Raumbedarf führte 1976 zum<br />

Erwerb des gesamten Gebäudekomplexes.<br />

Aus <strong>der</strong> Schraubenfabrik wurde ein Rechenzentrum.<br />

Und dessen Expansion ging<br />

weiter: 1969 wurde <strong>der</strong> erste eigene Großrechner<br />

feierlich in Betrieb genommen. Zuvor<br />

waren die von den DATEV-Mitglie<strong>der</strong>n<br />

per Post eingesandten Lochstreifen bei <strong>der</strong><br />

IBM verarbeitet worden. 1974 löste schließlich<br />

das Magnetband die Lochstreifen als<br />

Datenträger ab. Noch erfolgte die Datenübertragung<br />

über Fernsprechleitungen, zwei<br />

Jahre später wurde ein eigenes bundesweites<br />

Netz zur Datenfernübertragung eingerichtet.<br />

Am Ende des Jahrzehnts war das Areal<br />

<strong>der</strong> ehemaligen Schraubenfabrik für die<br />

rasch wachsende DATEV bereits wie<strong>der</strong><br />

zu klein geworden. Man richtete den Blick<br />

nun auf die Gebäude <strong>der</strong> ehemaligen Spielwarenfabrik<br />

Schuco, schräg gegenüber an<br />

<strong>der</strong> Fürther Straße. Auch hier soll ein Blick<br />

in die <strong>Geschichte</strong> den strukturellen Wandel<br />

beleuchten.


Ab Juni 1933, einen<br />

Monat bevor das<br />

Gerät auf den Markt<br />

kam, wurde mit<br />

diesem Plakat für<br />

den Volksempfänger<br />

in den Schaufenstern<br />

geworben.<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Das Studio-Auto 1050 war<br />

das meistverkaufte Schuco-<br />

Auto überhaupt. Seit 1936<br />

auf dem Markt, wurde<br />

es über 40 Jahre hinweg<br />

produziert.<br />

Das Firmenschild<br />

mit dem bekannten<br />

Schriftzug am<br />

Schuco-Gebäude in<br />

<strong>der</strong> Fürther Straße.<br />

Sammler-Raritäten:<br />

Der marschierende<br />

„Automato“-Bär von<br />

1914, ein kleiner<br />

Blechflieger aus den<br />

1930er-Jahren, das<br />

berühmte Garagenauto<br />

und die<br />

Servicestation, beide<br />

1950er-Jahre.<br />

51


52 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

nüRnBERgs tRadition als Spielzeugstadt<br />

reicht über Jahrhun<strong>der</strong>te zurück<br />

bis in die Zeit, als sich in <strong>der</strong> Noris die alten<br />

Handelswege kreuzten, auf denen <strong>der</strong><br />

„Nürnberger Tand“ in alle Welt ging. Im<br />

Verlauf <strong>der</strong> Industrialisierung entwickelte<br />

sich Nürnberg dann zu einer Hochburg <strong>der</strong><br />

Spielwarenindustrie. Das Nürnberger Blechspielzeug<br />

eroberte in wenigen Jahrzehnten<br />

den Weltmarkt. Der wohl bekannteste<br />

Nürnberger Spielwarenhersteller war Schuco<br />

(Kurzbezeichnung aus Schreyer & Co.).<br />

1912 gegründet vom Kaufmann Heinrich<br />

Schreyer und dem Erfin<strong>der</strong>, Techniker und<br />

Unternehmer Heinrich Müller, begann <strong>der</strong><br />

rasante Aufstieg von Schuco, beispielsweise<br />

mit lauffähigen Figuren, die − passend zur<br />

Zeit − militärische Bewegungen vollführen<br />

konnten. Hinter all den vielen kreativen und<br />

erfolgreichen Schuco-Spielzeugen steckte<br />

<strong>der</strong> innovative „Kopf “ Heinrich Müller.<br />

Nicht zuletzt dank seiner langjährigen Tätigkeit<br />

in den Bing-Werken kannte er die Erfor<strong>der</strong>nisse<br />

<strong>der</strong> Branche ganz genau und entwickelte<br />

eine erfolgreiche Blechspielzeugfigur<br />

nach <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en.<br />

zahlREichE nüRnBERgER Spielwarenhersteller<br />

überlebten die Nachkriegsjahre<br />

und wirtschaftlichen Krisen <strong>der</strong> 1920er-Jahre<br />

nicht. Bei den stark exportorientierten Schuco-Werken<br />

verlief die Geschäftsentwicklung<br />

dagegen fast explosionsartig. Akuter Raumnotstand<br />

führte so 1928 zum Erwerb einer<br />

ehemaligen Schuhfabrik an <strong>der</strong> Fürther Straße<br />

28−32.<br />

Bald hiElt das auto Einzug in die Schuco-Spielzeugwelt.<br />

Das legendäre „Wendeauto“<br />

überfuhr dank ausgeklügelter Technik nie die<br />

Tischkante – und war mit dem Verkaufspreis<br />

von nur einer Mark für jeden Geldbeutel erschwinglich.<br />

Entworfen nach dem Vorbild<br />

Der Schuco-Neubau an <strong>der</strong> Fürther<br />

Straße, aufgenommen 1953.<br />

des Mercedes Silberpfeil, war das steuerbare<br />

„Fahrschul-Auto Schuco-Studio“ ein „hightec-Leckerbissen“,<br />

<strong>der</strong> noch heute die Sammler<br />

elektrisiert. Auf fast 6 000 m² Produktionsfläche<br />

wurden an <strong>der</strong> Fürther Straße nun aus 101<br />

Einzelteilen täglich 8 000 Silberpfeile zusammengebaut.<br />

Mit Kriegsausbruch 1938 kam die<br />

Spielzeugfabrikation rasch zum Erliegen. Auch<br />

bei Schuco wurden nun Handgranaten, Minen<br />

und „kriegswichtige“ Kleinteile gefertigt.<br />

Bald nach kRiEgsEndE erreichte Schuco<br />

wie<strong>der</strong> eine marktbeherrschende Stellung<br />

für technisches Spielzeug. 1952 wurde die Fabrik<br />

an <strong>der</strong> Fürther Straße um- und ausgebaut.<br />

Dabei entstand das sechsstöckige Gebäude,<br />

das mit seiner breiten Durchfahrt in <strong>der</strong> Mitte<br />

und <strong>der</strong> mit viel Glas gestalteten Fassade das<br />

Straßenbild an dieser Stelle noch heute prägt.<br />

sEit dEM tod hEinRich MüllERs<br />

1958 fehlten bei Schuco innovative Neuentwicklungen<br />

ebenso wie kreatives Aufgreifen<br />

neuer Trends. Um 1966 stellte man zwar auf<br />

Plastikspielzeug und Zinkdruckguss um,<br />

aber <strong>der</strong> alte Erfolg stellte sich nicht mehr<br />

ein. Zehn Jahre später musste die Nürnberger<br />

Traditionsfirma Konkurs anmelden. Viel zu<br />

lange hatte man am Blechspielzeug festgehalten<br />

und den Siegeszug des Plastikspielzeugs<br />

als vorübergehenden Trend fehlinterpretiert.<br />

1978 wurde das Gebäude an <strong>der</strong> Fürther<br />

Straße versteigert, die DATEV erhielt den<br />

Zuschlag. Nach Plänen des Architekten Sepp<br />

Ruf wurde nun aus <strong>der</strong> ehemaligen Spielzeugfabrik<br />

ein Bürogebäude, das bis heute gelegentlich<br />

als „Schuco-Gebäude“ bezeichnet<br />

wird. Mitte <strong>der</strong> 1980er-Jahre wurden die Personalcomputer<br />

leistungsfähiger, DATEV baute<br />

die vorteilhafte Verbindung von zentralem<br />

Rechenzentrum mit dezentralen PCs weiter<br />

aus und blieb mit diesem Modell auf Erfolgskurs.<br />

Weitere Standorte in Nürnberg folgten<br />

Das mo<strong>der</strong>nisierte, erweiterte DATEV-Gebäude<br />

2009.<br />

ebenso wie bundesweit fast 200 so genannte<br />

Systemhäuser zur datentechnischen Betreuung<br />

<strong>der</strong> Genossenschaftsmitglie<strong>der</strong> vor Ort.<br />

iM jahR 2000 wurde <strong>der</strong> Zugang zum<br />

Internet-Portal <strong>der</strong> DATEV freigegeben.<br />

Damit verlagerte sich fast alles ins „worldwide-web“,<br />

womit die Problematik <strong>der</strong> Datensicherheit<br />

verstärkt in den Vor<strong>der</strong>grund<br />

trat. Seit 2003 hat je<strong>der</strong> „Genosse“ Internetzugang<br />

zum Rechenzentrum. Dabei gilt es,<br />

die Daten nicht nur vor unbefugtem Zugriff<br />

zu schützen, son<strong>der</strong>n auch die Speicherung<br />

und die Archivierung <strong>der</strong> Datenmassen sind<br />

große technische Herausfor<strong>der</strong>ungen: sensible<br />

Daten und zentrale Rechner in nahezu<br />

sauerstofffreier Umgebung – da kann nun<br />

wirklich nichts anbrennen. Um den Unternehmenserfolg<br />

zu sichern, versucht die<br />

DATEV neue Geschäftsfel<strong>der</strong> zu erschließen.<br />

Eigene „Trend-Scouts“ gehen aktuellen<br />

Entwicklungen in den unterschiedlichsten<br />

gesellschaftlichen Bereichen nach. Auf diese<br />

Weise sollen Entwicklungen frühzeitig erkannt<br />

werden, damit man mit den entsprechenden<br />

Produkten reagieren kann und immer<br />

vorne dabei ist.<br />

M. M.<br />

Alles elektrisch, 100 Jahre AEG <strong>Haus</strong>geräte, Jubiläumsschrift<br />

AEG und Centrum Industriekultur,<br />

o. J.; Aufriss 5, Die Fürther Straße, Centrum<br />

Industriekultur; DATEV-Chronik, 2005; Der Fall<br />

AEG, Son<strong>der</strong>beilage <strong>der</strong> Nürnberger Nachrichten,<br />

2006; Der AEG Streik in Nürnberg, hg. von<br />

<strong>der</strong> IG-Metall, 2006; Nürnberger <strong>Geschichte</strong><br />

rund um die DATEV, Firmenchronik, o.J.; Vollmer,<br />

Raimund: Das Milliarden-Mandat – Die<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> DATEV, Frankfurt 1991


Beim Application Service Providing (ASP) kommen<br />

im Nürnberger Rechenzentrum <strong>der</strong> DA-<br />

TEV windows-basierte Server zum Einsatz. Als<br />

Komplettlösung enthält DATEVasp Dienstleistungen<br />

von <strong>der</strong> Bereitstellung <strong>der</strong> Server und<br />

des Betriebssystems bis zum Management <strong>der</strong><br />

IT-Infrastruktur. Dazu gehören beispielsweise<br />

Server- und Netz-Monitoring, die Wartung<br />

und Administration <strong>der</strong> Server genauso wie<br />

das Einspielen <strong>der</strong> Software-Updates und die<br />

Datensicherung.<br />

Dieser Roboter sichert Daten von Kunden,<br />

die ihre Anwendungen im ASP von DATEV<br />

betreiben lassen.<br />

Abenddämmerung über <strong>der</strong><br />

Fürther Straße, aufgenommen<br />

von <strong>der</strong> Dachterrasse des Plärrer-<br />

Hochhauses, 2009.<br />

Am Großrechner im Rechenzentrum des Nürnberger<br />

IT-Dienstleisters laufen Daten von über<br />

39 000 DATEV-Mitgliedskanzleien und <strong>der</strong>en<br />

Mandanten zusammen. Unter an<strong>der</strong>em werden<br />

dort die Finanzbuchführungsdaten von<br />

rund 2,5 Millionen <strong>der</strong> meist mittelständischen<br />

Unternehmen in Deutschland verarbeitet und<br />

gespeichert. Der Großteil <strong>der</strong> 9,5 Millionen<br />

Lohn- und Gehaltsabrechnungen verlässt<br />

jeden Monat das DATEV-Rechen-, Druck- und<br />

Versandzentrum.<br />

D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />

Im Application-Control-Center haben die<br />

Mitarbeiter die Prozesse im DATEV-Rechenzentrum<br />

je<strong>der</strong>zeit sicher im Griff. Alle wichtigen<br />

Informationen aus <strong>der</strong> Online- und Batchverarbeitung<br />

laufen dort auf einer Großbildtechnik<br />

zusammen, die jede Abweichung vom<br />

Normalbetrieb umgehend anzeigt.<br />

53


54 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

eisenbahn in bayern<br />

Die entwickLung Des<br />

hauPtbahnnetZes 1835 bis 1880<br />

Die 1835 eröffnete kurze Bahnstrecke Nürnberg—Fürth<br />

gilt als Keimzelle des bayerischen und deutschen Eisenbahnnetzes.<br />

Mit ihr begann eine neue Epoche, das<br />

„Eisenbahnzeitalter“. Die Eisenbahn verdrängte Fuhrwerke und<br />

Kutschen bald von den wichtigsten Verkehrsrouten, weil sie die<br />

herkömmlichen Verkehrsmittel an Schnelligkeit, Bequemlichkeit<br />

und vor allem an Beför<strong>der</strong>ungskapazität übertraf. Diese früh absehbare<br />

Entwicklung führte dazu, dass von staatlicher Seite schon<br />

1836/37 grundlegende rechtliche Voraussetzungen für den Bahnbau<br />

größeren Stils geschaffen wurden. Die Regierung sicherte sich<br />

die Möglichkeit <strong>der</strong> Einflussnahme auf die Streckenführung. Für<br />

alle Bahnbauten wurden Auflagen wie etwa Genehmigung <strong>der</strong> Tarife<br />

und gleiche Spurweite festgesetzt. Das Enteignungsgesetz von<br />

1837 ermöglichte die Zwangsenteignung von Grundstücken für<br />

öffentliche Zwecke, wozu auch die „Errichtung von Eisenbahnen<br />

zur Beför<strong>der</strong>ung des inneren o<strong>der</strong> äußeren Handels und Verkehrs“<br />

gehörte.<br />

1843 Übergang zum Staatsbahnprinzip<br />

Die erste längere bayerische Bahnstrecke von München nach Augsburg<br />

ging noch auf Privatinitiative zurück. Sie wurde von einer 1835<br />

von Münchner und Augsburger Banken und Handelshäusern gegründeten<br />

Aktiengesellschaft gebaut und 1840 eröffnet. Im Jahr 1843<br />

ging man in Bayern zum Staatsbahnprinzip über. Schon 1841 hatten<br />

Bayern, Sachsen und Sachsen-Altenburg einen Vertrag über den Bau<br />

einer grenzüberschreitenden Eisenbahn von Nürnberg über Bamberg<br />

und Hof nach Leipzig geschlossen.<br />

1844 wurde als erste staatliche Strecke die Bahn Nürnberg—Erlangen—Forchheim—Bamberg<br />

eröffnet und die München-Augsburger<br />

Bahn durch den Staat erworben. Ein Jahrzehnt später waren die Ludwigs-Nord-Süd-Bahn<br />

Hof—Neuenmarkt—Lichtenfels—Bamberg—<br />

Nürnberg—Gunzenhausen—Nördlingen—Donauwörth—Augsburg—Buchloe—Kaufbeuren—Kempten—Immenstadt—Lindau<br />

(1844–1853), die Ludwigs-West-Bahn Bamberg—Schweinfurt—<br />

Würzburg—Gemünden—Aschaffenburg—Kahl (1852/54) mit Weiterführung<br />

nach Frankfurt und die Staatsbahnstrecke Augsburg—<br />

Ulm (1853/54) fertig gestellt. 1854 wurden die Strecken München/<br />

Pasing—Starnberg und München—Großhesselohe eröffnet. Die<br />

Fortsetzung <strong>der</strong> Maximilians-Bahn von Großhesselohe über Deisenhofen,<br />

Holzkirchen und Aibling nach Rosenheim folgte erst 1857.<br />

Damit waren die wichtigsten nord- und südbayerischen Städte an das<br />

Staatsbahnnetz angeschlossen und gute Verbindungen in das Gebiet<br />

des Deutschen Zollvereins, nach Leipzig, Berlin, Frankfurt am Main<br />

und Stuttgart hergestellt, während Anbindungen an Böhmen und<br />

Österreich, nach Prag und Wien, noch gänzlich fehlten. Ostbayern<br />

blieb bis 1859 eine viel beklagte „Eisenbahnwüste“.<br />

Der lange Weg zur Erschließung<br />

<strong>der</strong> „Eisenbahnwüste“ Ostbayern<br />

Den Initiatoren <strong>der</strong> Nürnberg-Fürther Eisenbahn war es von Anfang<br />

an um die Realisierung einer Strecke Würzburg—Nürnberg—Regensburg—Passau,<br />

also einer Nordwest-Südost-Achse durch Bayern<br />

als Verbindung zwischen Westeuropa und Vor<strong>der</strong>asien, gegangen.<br />

Der große Erfolg <strong>der</strong> ersten kurzen Strecke führte dazu, dass die<br />

Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft schon 1836 ihr ursprüngliches<br />

Projekt wie<strong>der</strong> in Angriff nahm. Zusammen mit Bürgern <strong>der</strong> Städte<br />

Regensburg und Würzburg richtete sie eine Bittschrift an den König,<br />

in <strong>der</strong> sie die internationale Bedeutung dieser Strecke und die<br />

vorteilhaften Wirkungen auf den Kanalverkehr im Hinblick auf die<br />

Warenzufuhr und die Ergänzung des Kanals durch schnellen Transport<br />

herausstellte. Das aufwändige Großprojekt war jedoch aus verschiedenen<br />

Gründen zunächst nicht realisierbar. Mit <strong>der</strong> Gründung<br />

des Deutschen Zollvereins 1834 verstärkte sich die wirtschaftliche<br />

Ausrichtung Bayerns nach Norden und Westen. Zudem war <strong>der</strong> seit<br />

1825 regierende König Ludwig I. zwar an den Eisenbahnplänen interessiert,<br />

doch bevorzugte er als Verbindung zwischen Donau und<br />

Main den seit 1835 in Bau befindlichen Donau-Main-Kanal. Dieses<br />

Lieblingsprojekt des Königs sollte nicht von Anfang an durch eine<br />

konkurrierende Eisenbahn zwischen Nürnberg und Regensburg belastet<br />

werden. Viele Bittschriften aus <strong>der</strong> Region führten lange nicht<br />

zum Ziel und als sich dann die Erkenntnis durchsetzte, dass <strong>der</strong> 1846<br />

eröffnete Kanal den Verkehrsbedürfnissen in keiner Weise gerecht<br />

werden konnte, fehlten <strong>der</strong> Staatskasse die nötigen Mittel.


E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Ein sensationeller Fund bei Bauarbeiten im Landtag 1998: Diese voll funktionsfähige Lokomotive mit <strong>der</strong> Aufschrift „Blochmann Dresden 1838“ samt<br />

Ten<strong>der</strong> hatte König Maximilian II. am 6. Oktober 1857 in den Grundstein des <strong>Bayerischen</strong> Landtags einmauern lassen. Das hervorragend erhaltene<br />

Modell war in Vergessenheit geraten. Es zeigt uns heute, wie sehr die Eisenbahn für das 19. Jahrhun<strong>der</strong>t steht.<br />

Die Eröffnung <strong>der</strong> Eisenbahnlinie Augsburg—München<br />

am 4. Oktober 1840 war ein<br />

Großereignis. Die Skizze zeigt den Entwurf<br />

<strong>der</strong> eindrucksvollen Ehrenpforte, die an <strong>der</strong><br />

Lechbrücke errichtet wurde. Und es sei erwähnt,<br />

dass auch <strong>der</strong> damals noch gänzlich unbekannte<br />

Dichter Gottfried Keller, <strong>der</strong> sich zu dieser Zeit<br />

in München als Maler ausbilden lassen wollte,<br />

einmal eine Vergnügungsfahrt mit Kommilitonen<br />

von München nach Augsburg unternommen<br />

hat.<br />

55


56 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Das Aquarell von Albert Emil Kirchner von 1859 zeigt den ersten Bahnhof in Landshut.<br />

Abkehr vom Staatsbahnprinzip 1855<br />

Die Durchführung von Bahnprojekten scheiterte um die Mitte des<br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>ts vor allem an <strong>der</strong> allgemein schlechten Finanzlage<br />

des Staates. Die geringen Staatsbahnerträge ließen den Ausbau des<br />

Streckennetzes nicht lukrativ erscheinen. Hatte die bayerische Regierung<br />

unter Minister von Abel noch 1845 eine Übergabe des Bahnbetriebs<br />

in private Hände völlig ausgeschlossen, so zeichnete sich<br />

ein Jahrzehnt später ein Gesinnungswandel ab. Die Entwicklung des<br />

Streckennetzes und die wichtige Anbindung an die Nachbarlän<strong>der</strong><br />

konnte nur durch die Abkehr vom Staatsbahnprinzip vorwärts gebracht<br />

werden. Und die Zeit drängte, da 1851 in einem Staatsvertrag<br />

mit Österreich die Vorbereitung einer Strecke Nürnberg—Regensburg—Linz<br />

vereinbart worden war.<br />

Die rechtlichen Voraussetzungen für die Gründung <strong>der</strong> Ostbahngesellschaft<br />

schufen die Bestimmungen vom 20. Juni 1855 über die<br />

Erbauung von Eisenbahnen. Nun konnten von Privatleuten gebildete<br />

Vereine nach Erlangung einer staatlichen Konzession für Projektierung,<br />

Bau und Betrieb Eisenbahnlinien bauen. Der Ostbahngesellschaft<br />

stand nichts mehr im Weg. Vertreter <strong>der</strong> Städte Nürnberg,<br />

Fürth, Regensburg und Amberg trafen konkrete Vorbereitungen.<br />

Der Industrielle und Kaufmann Theodor von Cramer-Klett und <strong>der</strong><br />

Regensburger Großhändler Georg Neuffer sollten als Bevollmächtigte<br />

<strong>der</strong> Städte mit den Bankiers von Hirsch und von Eichthal gleichberechtigt<br />

ein Konzessionsgesuch für die Bahn Nürnberg—Amberg—<br />

Regensburg einreichen. Als fünfter Konzessionsträger sollte Staatsrat<br />

von Hermann hinzukommen. In den folgenden Monaten konnten<br />

weitere Interessenten gewonnen und die Verhandlungen mit <strong>der</strong><br />

Staatsregierung abgeschlossen werden. Rechte und Pflichten einer<br />

privaten Bahnbaugesellschaft wurden per Gesetz vom 19. März 1856<br />

allgemein geregelt.<br />

Die Gründung <strong>der</strong><br />

Ostbahngesellschaft 1856<br />

Unter Beteiligung <strong>der</strong> Königlichen Bank in Nürnberg, des <strong>Haus</strong>es<br />

Thurn und Taxis, <strong>der</strong> Bankiers Eichthal (München), Hirsch (Würzburg),<br />

Rothschild (Frankfurt) und Bischofsheim (Brüssel) sowie<br />

<strong>der</strong> Städte Nürnberg, Fürth, Regensburg und Amberg wurde am<br />

12. April 1856 die Ostbahn-Aktiengesellschaft gegründet. Die Konzession<br />

bezog sich zunächst auf Bau und Betrieb <strong>der</strong> Eisenbahnen<br />

von Nürnberg über Amberg nach Regensburg, von München über<br />

Landshut an die Donau, von Regensburg über Straubing nach Passau<br />

an die Landesgrenze und von <strong>der</strong> Amberg—Regensburger Linie<br />

an die böhmische Grenze. Die Bauzeit war auf sieben Jahre befristet.<br />

Die Ostbahngesellschaft erhielt eine staatliche Zinsgarantie von 4<br />

1/2 Prozent. Das Grundkapital <strong>der</strong> Gesellschaft war auf 60 Millionen<br />

Gulden festgesetzt. Davon waren fünf Millionen Gulden zur öffentlichen<br />

Zeichnung aufgelegt. Da es sich um eine sichere Investition<br />

handelte, war die Nachfrage nach den Aktien (je 200 Gulden) sehr<br />

groß. Nach einem bestimmten Verteilungsschlüssel erhielt <strong>der</strong> Privataktionär<br />

bei einer gezeichneten Aktie eine halbe, bei 250 gezeichneten<br />

zehn Aktien. Einer <strong>der</strong> Hauptaktionäre, Fürst von Thurn und<br />

Taxis, sicherte sich sofort vier Millionen Gulden und ein Optionsrecht<br />

auf weitere acht Millionen Gulden.<br />

Am 14. Juli 1856 genehmigte König Maximilian II. den Verlauf <strong>der</strong><br />

Bahnlinie von Nürnberg über Lauf, Hersbruck, Sulzbach, Amberg,<br />

Schwandorf, Regenstauf nach Regensburg, behielt sich aber Än<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> Trasse vor, falls dies wegen des Anschlusses <strong>der</strong> Bahn<br />

nach Pilsen erfor<strong>der</strong>lich würde. Die längere Bahn über Schwandorf<br />

bot gegenüber <strong>der</strong> Alternativstrecke durch das Naab- und Vilstal –<br />

ohne beträchtliche Mehrkosten – den Vorteil, dass sie dem Haupthandelsweg<br />

von Regensburg in die Oberpfalz und nach Oberfranken


Die ausgedehnten Bahnanlagen in Furth im Wald wurden von <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> Ostbahn und <strong>der</strong> Böhmischen Westbahn gleichermaßen genutzt. Längst hat<br />

<strong>der</strong> Bahnhof – hier ein Aquarell von Albert Emil Kirchner von 1862 – seine frühere Bedeutung als personalintensive Zoll- und Wechselstation verloren.<br />

folgte und die einzigen Bodenschätze <strong>der</strong> Oberpfalz, die Braunkohlelager<br />

im Sauforst bei Burglengenfeld und die Eisenerzlager bei<br />

Sulzbach und Amberg, berührte. In militärischer Hinsicht bot die<br />

Bahn über Schwandorf eine wichtige strategische Operationsbasis<br />

in Richtung Bayerischer Wald und Böhmen.<br />

Vorarbeiten für die wichtige Bahnverbindung zwischen München<br />

und <strong>der</strong> Donau waren schon 1853 in einem Gesetzentwurf<br />

beschlossen worden. Es standen drei Trassen zur Diskussion: von<br />

München dem Isartal folgend über Landshut nach Plattling, von<br />

München über Landshut nach Straubing o<strong>der</strong> von München über<br />

Landshut nach Regensburg. Die Ostbahngesellschaft übernahm die<br />

bis 1856 durchgeführten staatlichen Projektierungsarbeiten und<br />

setzte in <strong>der</strong> Trassenführung die kostengünstigste Kompromisslösung<br />

durch, die Gabel von Geiselhöring. Die Ostbahnstrecke<br />

München—Landshut konnte schon am 3. November 1858 eröffnet<br />

werden, die Strecke Nürnberg—Amberg—Regensburg—Geiselhöring—Landshut<br />

ging am 12. Dezember 1859 in Betrieb. Die Weiterführung<br />

<strong>der</strong> Strecke von Geiselhöring über Straubing nach Passau<br />

wurde am 20. September 1860 dem Verkehr übergeben.<br />

Schon im folgenden Jahr wurde die Personenschifffahrt zwischen<br />

Regensburg und Passau eingestellt; <strong>der</strong> Transport auf dem Wasser<br />

spielte nur im Massengüterverkehr weiter eine wichtige Rolle. Im<br />

September 1862 wurde die erst 1846 gegründete Königlich Bayerische<br />

Donau-Dampfschifffahrt einschließlich ihrer Werft und Werkstätten<br />

in Regensburg an die Österreichische Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft<br />

verkauft, die sich zur Übernahme <strong>der</strong> Personenschifffahrt<br />

bis Donauwörth verpflichtete, solange es noch keine Eisenbahn dorthin<br />

gab. An die Linie Regensburg—Amberg—Nürnberg wurde bei<br />

Schwandorf die über Cham und Furth im Wald nach Pilsen und Prag<br />

führende Strecke angeschlossen und 1861/62 eröffnet.<br />

E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Die im Wiener „Figaro“ vom 19.10.1861 erschienene Karikatur ist anspielungsreich:<br />

Der bayerische und <strong>der</strong> böhmische Löwe – beide Län<strong>der</strong><br />

haben ihn als Wappentier – stoßen mit Bier, das sowohl Bayern wie<br />

Böhmen als ihr je ureignes Nationalgetränk für sich reklamieren, auf die<br />

Eröffnung <strong>der</strong> neuen Eisenbahnverbindung an. Die etwas gezwungen<br />

wirkende Annäherung mag auch ein Hinweis auf Unstimmigkeiten sein,<br />

da die Tschechen sich provoziert fühlten, dass die Eröffnungslokomotive<br />

den Namen „Pilsen“ nur in deutscher Schreibweise trug und auch<br />

die Bahnverwaltung in Böhmen angeblich nur mit deutschstämmigem<br />

Personal besetzt werden sollte.<br />

57


58 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Böhmische Kohle für Bayern<br />

Die Anbindung nach Böhmen war beson<strong>der</strong>s für die Kohleversorgung<br />

Bayerns wichtig. Erst böhmische Kohle schuf die Voraussetzung<br />

für die mo<strong>der</strong>ne oberpfälzische Eisenhüttenindustrie. Die<br />

Hauptstandorte lagen unmittelbar an Ostbahnlinien: die Maxhütte<br />

bei Haidhof und in Sulzbach-Rosenberg, die staatlichen Hüttenwerke<br />

in Amberg (seit 1911 Luitpoldhütte) und Bodenwöhr. Die Böhmerlinie<br />

über Schwandorf und Furth im Wald sicherte die Kohle- und<br />

Holzversorgung dieser Großunternehmen. Die Maxhütte arbeitete<br />

aber neben <strong>der</strong> böhmischen Braunkohle auch um 1865/66 schon mit<br />

Steinkohle aus Zwickau und nach 1870 vermehrt mit Saarkoks, <strong>der</strong><br />

mit <strong>der</strong> pfälzischen Ludwigsbahn nach Ludwigshafen und von dort<br />

ins rechtsrheinische Bayern verfrachtet wurde.<br />

Nach Fertigstellung <strong>der</strong> 1856 genehmigten Bahnen verblieb <strong>der</strong><br />

Ostbahngesellschaft ein Kapital von 1,5 Millionen Gulden. Deshalb<br />

erhielt sie 1861 die Konzession zum Bau <strong>der</strong> Strecken Schwandorf<br />

(Irrenlohe)—Weiden, Weiden—Bayreuth (beide 1863 eröffnet) und<br />

Weiden—Eger (1864/65 eröffnet). Damit war eine weitere, für die<br />

Kohleversorgung wichtige Bahnverbindung nach Böhmen geschaffen.<br />

Auch <strong>der</strong> Personenverkehr in die böhmischen Bä<strong>der</strong> lief über<br />

Eger. Die nördliche Oberpfalz war mit <strong>der</strong> Kreishauptstadt Regensburg<br />

verbunden, <strong>der</strong> Verkehr mit Oberfranken, Sachsen und Thüringen<br />

beträchtlich erleichtert.<br />

Weitere Grenzübergänge nach Österreich waren inzwischen durch<br />

die Staatsbahn realisiert worden. Von Rosenheim aus konnte man<br />

1858 weiter nach Kufstein, ab 1860 auch über Endorf, Prien, Traunstein<br />

und Freilassing nach Salzburg fahren. Damit war die durchgehende<br />

Eisenbahnverbindung von Paris über München nach Wien<br />

hergestellt. Eine Reise von München nach Paris dauerte mit Übernachtung<br />

in Karlsruhe und mehrmaligem Wechsel <strong>der</strong> Eisenbahngesellschaft<br />

40 Stunden.<br />

Neben den Staatsbahnen und Ostbahnen wurden meist auf Initiative<br />

von Städten auch einige Pachtbahnen realisiert. Die privaten Bahngesellschaften<br />

bauten die Strecke und verpachteten sie an den Staat,<br />

bis die Baukosten gedeckt waren. So entstanden auf Betreiben <strong>der</strong><br />

Stadt Memmingen die sehr erfolgreiche Linie Ulm—Memmingen—<br />

Kempten (1862/63 eröffnet, 1876 vom Staat übernommen) und<br />

durch das Engagement <strong>der</strong> Stadt Deggendorf eine Bahnverbindung<br />

nach Plattling (1866). Weitere Pachtbahnen waren unter an<strong>der</strong>em die<br />

Strecken München—Starnberg, Starnberg—Penzberg, Tutzing—Peißenberg,<br />

Holzkirchen—Miesbach.<br />

Die aus dem Jahr 1860 stammende Ansicht <strong>der</strong> Stadt Schwandorf von<br />

Carl Loritz zeigt im Vor<strong>der</strong>grund die Eisenbahnbrücke über die Naab.<br />

Ausbau des Bahnnetzes<br />

und Abkürzungslinien<br />

In den 1860er- und 1870er-Jahren wurde das Hauptbahnnetz weiter<br />

ausgebaut. Man hatte erkannt, dass die bestehenden Bahnstrecken<br />

einen für den Durchgangsverkehr ungünstigen Verlauf hatten. War<br />

es bei den ersten Bahnlinien darum gegangen, möglichst viele größere<br />

Orte zu berühren, so sah man nun die Notwendigkeit, Abkürzungslinien<br />

zwischen den größeren Städten zu schaffen. Dadurch<br />

ergaben sich volks- und betriebswirtschaftliche Vorteile. Wichtige<br />

neue Staatsbahnen waren die Abkürzungsstrecken Nürnberg/<br />

Fürth—Neustadt a. d. Aisch—Kitzingen—Würzburg (1865) und<br />

Gunzenhausen—Treuchtlingen—Eichstätt—Ingolstadt (1869/70).<br />

Die Ostbahn AG wollte in ihrem Verkehrsgebiet auch staatlichen<br />

Konkurrenzlinien zuvorkommen. Die 1873 fertig gestellte direkte<br />

Bahnlinie Regensburg—Neumarkt—Nürnberg brachte beson<strong>der</strong>s<br />

für den Durchgangsverkehr von Österreich nach Westdeutschland<br />

Vorteile. Die Abkürzungslinien Neufahrn—Obertraubling und<br />

Straubing—Sünching (beide 1873) verbesserten die Bahnverbindungen<br />

München—Regensburg und Regensburg—Straubing; die<br />

Gabel von Geiselhöring verlor damit ihre Bedeutung. Auch die wichtige,<br />

1875 eröffnete Verbindung Mühldorf—Neumarkt St. Veit—<br />

Landau—Plattling wurde noch von <strong>der</strong> Ostbahn gebaut.<br />

Wie<strong>der</strong> mehr Staatsbahnbau –<br />

Verstaatlichung <strong>der</strong> Ostbahnen 1875<br />

Seit Anfang <strong>der</strong> 1870er-Jahre engagierte sich <strong>der</strong> Staat wie<strong>der</strong> stärker<br />

im Bahnbau. Wichtige neue Staatsbahnstrecken waren die Linien<br />

München—Markt Schwaben—Dorfen—Mühldorf—Neuötting—<br />

Simbach (1871), München—Grafing—Rosenheim (1871), München—Geltendorf—Kaufering—Buchloe—Türkheim—Mindelheim—Ungerhausen—Memmingen<br />

(1872/74), die Donautalbahn<br />

Regensburg—Ingolstadt—Donauwörth (1874) mit Weiterführung<br />

nach Dillingen, Gundelfingen und Neuoffingen (1876/77) und die<br />

Verbindung Ingolstadt—Augsburg (1875). Bald nach Eröffnung <strong>der</strong><br />

Donautalbahn wurde <strong>der</strong> Schiffsverkehr auf <strong>der</strong> oberen Donau eingestellt.<br />

Auch Mittelgebirgslandschaften mit bautechnisch schwierigem<br />

Gelände wurden zunehmend erschlossen (1871 Schweinfurt—<br />

Bad Kissingen, 1872 Gemünden—Jossa, 1874 Ebenhausen—Bad<br />

Neustadt a. d. Saale—Mellrichstadt, 1877 Deggendorf—Zwiesel—<br />

Bayerisch Eisenstein mit Anschluss nach Klattau/Böhmen, 1877/79<br />

Nürnberg—Schnaittach—Ranna—Schnabelwaid—Kirchenlaibach—<br />

Neusorg—Marktredwitz—Schirnding, 1883 Fortsetzung bis Eger).<br />

Da das Nebeneinan<strong>der</strong> von Staatsbahnen und Ostbahnen zu Problemen<br />

in <strong>der</strong> Streckenplanung sowie im Bau und Betrieb führte<br />

und auch allgemeine politische und wirtschaftliche Erwägungen<br />

dafür sprachen, entschloss sich die bayerische Regierung 1875, die<br />

Ostbahnen mit einem Streckennetz von fast 800 Kilometern zu verstaatlichen.<br />

Bis Mitte <strong>der</strong> 1870er-Jahre hatten sich neben den frühen<br />

bayerischen Eisenbahnverkehrszentren München, Nürnberg und<br />

Augsburg auch Regensburg, Würzburg, Buchloe, Gunzenhausen,<br />

Ingolstadt, Holzkirchen, Rosenheim und Schwandorf zu wichtigen<br />

Eisenbahnknotenpunkten entwickelt.


Schützenscheibe <strong>der</strong> Kgl. Priv. Schützengesellschaft<br />

Mainbernheim zur Eröffnung <strong>der</strong> Bahnlinie Nürnberg—<br />

Würzburg.<br />

E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Die von Moritz von Schwind gestaltete Karte zur festlichen Eröffnung <strong>der</strong><br />

Bahnlinie München—Salzburg im August 1860 zeigt den bis 1849 erbauten<br />

Münchner Zentralbahnhof des Architekten Friedrich Bürklein (1813–1872), <strong>der</strong><br />

auch die Münchner Maximiliansstraße, das Maximilianeum und eine ganze Reihe<br />

von bayerischen Bahnhöfen plante. Ein Festessen und eine Galavorstellung<br />

im Münchner Hoftheater bildeten den feierlichen Rahmen des Ereignisses.<br />

59


60 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

ViZinaL- unD LokaLbahnen<br />

Beim Aufbau des weitmaschigen Hauptbahnnetzes orientierte<br />

man sich, von an<strong>der</strong>en übergeordneten Erwägungen<br />

abgesehen, am Verkehrsaufkommen. Wirtschaftlich bereits<br />

begünstigte Orte bzw. Gegenden wurden weiter geför<strong>der</strong>t, während<br />

abseits <strong>der</strong> Eisenbahn gelegene Ortschaften zurückblieben.<br />

Diese Entwicklung zu verbessern war das Hauptmotiv für den Ausbau<br />

des Vizinal- und Lokalbahnnetzes. Zwischen den Hauptlinien<br />

sollten Querverbindungen hergestellt werden, Stichbahnen sollten<br />

bahnferne Gebiete mit dem Hauptbahnnetz verknüpfen und damit<br />

wirtschaftlich erschließen. Zugleich konnte eine weitere Verdichtung<br />

des Bahnnetzes das Verkehrsaufkommen auf den Hauptlinien för<strong>der</strong>n.<br />

In vielen Fällen erfüllten sich die Hoffnungen nicht, da gerade<br />

Stichbahnen die Entleerungstendenzen zugunsten eines Bahnknotenpunktes<br />

begünstigten. Hinzukam, dass <strong>der</strong> Lokalbahnbau und<br />

-betrieb durch gesetzliche Hürden und zusätzliche finanzielle Belastungen<br />

behin<strong>der</strong>t war.<br />

Erste Regelungen enthielt das Vizinalbahngesetz von 1869. Artikel<br />

2 legte fest, dass Bahnverbindungen von lokaler Bedeutung nur<br />

dann Aussicht auf Unterstützung hätten, wenn <strong>der</strong> Grun<strong>der</strong>werb<br />

und sämtliche Erdarbeiten ohne Inanspruchnahme staatlicher Gel<strong>der</strong><br />

gesichert seien, also von den Bahninteressenten selbst finanziert<br />

würden. Um die zahlreichen Wünsche nach einem Bahnanschluss<br />

schneller erfüllen zu können, sollten die Vizinalbahnen einfacher<br />

ausgestattet werden, aber um den Güterverkehr nicht zu beeinträchtigen,<br />

volle Spurweite erhalten. Ein Vizinalbahnfonds wurde gebildet,<br />

aus dem die staatlichen Baukosten zur Hälfte gedeckt werden<br />

konnten. Bis 1876 erhielten nur 14 Vizinalbahnen eine staatliche<br />

Konzession. Die seit 1869 geltenden Regelungen bewährten sich<br />

nicht. Die finanziellen Belastungen <strong>der</strong> Interessenten waren zu groß,<br />

manche Gemeinden standen vor dem Ruin. Ende <strong>der</strong> 1870er-Jahre<br />

verstärkte sich die Diskussion um die Än<strong>der</strong>ung des Gesetzes.<br />

Das Lokalbahngesetz von 1882<br />

Das 2. Vizinalbahngesetz über die Behandlung <strong>der</strong> bestehenden Vizinalbahnen<br />

und den Bau von Sekundärbahnen von 1882, kurz Lokalbahngesetz<br />

genannt, regelte den Bau von untergeordneten Bahnen<br />

neu. Die Gemeinden und Privatleute, die in die Vizinalbahnen investiert<br />

hatten, erhielten Rückvergütungen. Einen wichtigen Fortschritt<br />

brachte Artikel 5. Er legte fest, dass „Bahnen von lokaler Bedeutung<br />

… nur dann durch den Staat zur Ausführung kommen, wenn die<br />

Interessenten mindestens den für den Bahnbau und dessen Zugehör<br />

nötigen Grund und Boden kostenfrei zur Verfügung stellen“. Die<br />

Interessenten waren dadurch zwar wenigstens von den Kosten <strong>der</strong><br />

Erdarbeiten befreit, doch schon <strong>der</strong> Grun<strong>der</strong>werb war eine schwer<br />

zu überwindende Hürde. Es bemühten sich ja gerade diejenigen<br />

Gemeinden um einen Bahnanschluss, die wirtschaftlich und finanziell<br />

deutlich schlechter gestellt waren als diejenigen, die längst vom<br />

Bahnverkehr profitierten.<br />

Das Gesetz von 1882 regelte noch einige an<strong>der</strong>e Punkte. In Artikel<br />

4 wurde die Verwendung <strong>der</strong> Überschüsse genau festgelegt und je<strong>der</strong><br />

Anspruch <strong>der</strong> Interessenten auf Teilhabe daran ausgeschlossen.<br />

Der Bau privater Lokalbahnen wurde grundsätzlich gestattet; es gab<br />

sogar staatliche Zuschüsse dafür (Art. 5). Um Kosten zu sparen galt<br />

allgemein: einfachste Konstruktion, vereinfachter Betrieb, niedrigere<br />

Fahrgeschwindigkeit als bei Vizinalbahnen, keine Bahnkörperüberwachung.<br />

Folgende Einschränkungen waren vorgesehen:<br />

„1. Die Bahnen hatten möglichst viele Orte zu berühren, wenn sie<br />

dadurch auch mäßig verlängert werden.<br />

2. Ohne wesentliche Nachteile für den Betrieb können größere Steigungen<br />

und schärfere Kurven zugelassen werden.<br />

3. Es wird durchaus nur ein Gleis ‚auf currenter Bahn‘ vorgesehen.


Die Postkartenfotografie – betitelt mit „S.K.H. Prinzregent Luitpold von<br />

Bayern und Prinzess Ludwig von Bayern. Abreise von Leutstetten“ – zeigt<br />

die zum Zug eilenden hohen Herrschaften, die wohl vom Wittelsbacher<br />

Schloss Leutstetten kommen. Der Prinzregent bereiste die entlegensten<br />

Anlass für liebevollen Spott: Der Schaffner springt schon vor <strong>der</strong><br />

Lokalbahnstation Obernie<strong>der</strong>tupfing vom Zug und rennt voraus zum<br />

Bahnhof …, denn er ist zugleich Stationsvorstand!<br />

Gegenden des Königreichs und wurde überall mit „großem Bahnhof“<br />

empfangen. 1898 ließ er einen eigenen Eisenbahn-Salonwagen bauen –<br />

viel schlichter als <strong>der</strong> Prunkwagen König Ludwigs II., <strong>der</strong> hier in einem in<br />

prachtvollem Königsblau gehaltenen Entwurf zu sehen ist.<br />

Kundendienst – ein Thema damals wie heute.<br />

E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

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62 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Der Bahnhof Königsberg i.B. an <strong>der</strong> 1892 eröffneten Lokalbahn Haßfurt-<br />

Hofheim<br />

4. Die Kronenbreite des Bahnkörpers kann wesentlich verschmälert<br />

werden.<br />

5. Es genügen leichtere Schienen o<strong>der</strong> auch ausgewechselte alte <strong>der</strong><br />

Hauptbahnen.<br />

6. Die Einfriedungen und Schranken lassen sich auf eine geringere<br />

Anzahl reduzieren.<br />

7. Nur die frequentesten Überfahrten erhalten Bahnwärterposten.<br />

8. Die Stationen können nach Maßgabe des geringeren Verkehrs<br />

kleiner, die Gebäude beschränkter, die Ausweichgleise ganz entbehrt<br />

o<strong>der</strong> kürzer gehalten werden.<br />

9. Es ist weniger und, was die Lokomotiven betrifft, auch billigeres<br />

Fahrmaterial anzuschaffen usw.“<br />

(zit. nach Löwenstein 116)<br />

Ein Vergleich <strong>der</strong> Baukosten für die verschiedenen Bahntypen im<br />

Jahr 1892 belegt die Effektivität <strong>der</strong> kostensparenden Maßnahmen:<br />

1 Kilometer Lokalbahn 58000 Mark; 1 Kilometer Vizinalbahn 92000<br />

Mark; 1 Kilometer Hauptbahn 250000 Mark.<br />

Das Lokalbahnfieber setzt ein!<br />

Nach <strong>der</strong> gesetzlichen Regelung des Lokalbahnbaues setzte das Lokalbahnfieber<br />

ein, das bis in den Ersten Weltkrieg andauerte. Das<br />

Hauptmotiv für den Kampf um eine Lokalbahn war stets die durch<br />

die Verkehrsferne bedingte allgemeine wirtschaftliche Notlage einer<br />

Region. Der Landtag hatte sich mit einer Flut von Petitionen auseinan -<br />

<strong>der</strong>zusetzen. Aus den Bittschriften tönten mitunter dramatische Hilferufe.<br />

Die Verfechter <strong>der</strong> Bahnen sahen sich in historischer Verantwortung<br />

für ihre Nachkommen.<br />

So heißt es etwa in einer Petition aus Kötzting vom 2. Januar 1884:<br />

„Kann es, fragen wir, etwas Trostloseres geben als das Unglück zu haben,<br />

in diesem vergessenen Winkel Bayerns zu leben? Sind wir nicht<br />

auch Unterthanen des lieben Bayernlandes? ... Zahlen wir unsere<br />

Abgaben nicht ebenso gut wie an<strong>der</strong>e Provinzen, welche mit durchziehenden<br />

Eisenbahnen und herrlichen Staatsstraßen versehen sind?<br />

Wie kann sich unter solchen Verhältnissen Industrie, Handel und<br />

Landwirtschaft entwickeln? ... Trotz unseres enormen Reichthumes<br />

an Holz, trotz unserer gesegneten Fluren muß eine allmähliche Ver-<br />

Im Vor<strong>der</strong>grund <strong>der</strong> Ansicht von Martin Brand aus dem Jahr 1880 ist die<br />

Paartalbahn zu erkennen.<br />

armung eintreten, weil wir abgeschlossen sind von <strong>der</strong> Aussenwelt,<br />

abgeschlossen von dem öffentlichen Weltmarkte, weil wir dadurch<br />

nicht konkurrenzfähig sind. Das sind traurige Thatsachen, das ist ein<br />

‘Nothschrei’ <strong>der</strong> Bevölkerung des oberen bayerischen Waldes, es ist<br />

ein Nothschrei, welcher durch alle Thäler hallt und dort wie<strong>der</strong> sein<br />

Echo findet.“ (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Verkehrsarchiv 5178,<br />

2. Januar 1884)<br />

Von 1884 bis 1896 wurden insgesamt 71 Lokalbahnen genehmigt, im<br />

Jahr 1900 weitere 34 und 1904 nochmals 30. Die letzten Lokalbahnen<br />

wurden in den 1920er-Jahren fertig gestellt. War eine Lokalbahn<br />

einmal in Betrieb, so hatte die von ihr durchzogene Gegend weitere<br />

Lasten zu tragen. Zur Deckung <strong>der</strong> höheren Betriebskosten wurde<br />

ursprünglich auf alle Gütertransporte ein Lokalbahnzuschlag erhoben<br />

(Juli 1877: je 100 Kilogramm 0,12 Mark bei Eilgut; 0,10 Mark<br />

bei Stückgut; 0,06 Mark bei Wagenladungsgütern); Massengüter wie<br />

Kohle, Brennholz, Zement, Düngemittel, Sand, Steine wurden im<br />

Oktober 1877 vom Zuschlag befreit. Im Vergleich mit Vollbahnen<br />

war bei den Lokalbahnen die Masse <strong>der</strong> zu beför<strong>der</strong>nden Güter und<br />

Personen viel geringer und die Transportstrecke meist weitaus kürzer,<br />

sodass auch die Einnahmen entsprechend geringer ausfielen. Aus<br />

volkswirtschaftlicher Sicht wurden durch den Zuschlag alle auf den<br />

Gütertransport durch eine Lokalbahn angewiesenen Betriebe, die<br />

schon durch ihre Marktferne wenig konkurrenzfähig waren, zusätzlich<br />

belastet. Deshalb wurde 1898 ein reformiertes System <strong>der</strong> Lokalbahnzuschläge<br />

eingeführt: Normaltarife (ohne Zuschlag) sollten auf<br />

allen nicht dauernd defizitären Strecken gelten, wenn <strong>der</strong> Konkurrenz<br />

<strong>der</strong> Fuhrwerke zu begegnen war und bei neu gebauten Bahnen<br />

nach dem ersten Betriebsjahr. Infolge dieser dehnbaren Regelungen<br />

wurden nach 1898 nur mehr bei acht bayerischen Lokalbahnen Zuschläge<br />

erhoben.<br />

Trotz aller Nachteile wirkten sich Lokalbahnen insgesamt positiv auf<br />

die allgemeine Verkehrssituation aus, wenn auch <strong>der</strong> Rückstand in<br />

<strong>der</strong> wirtschaftlichen Gesamtentwicklung in <strong>der</strong> Regel nicht mehr aufzuholen<br />

war. Mit dem Einsetzen des Automobilverkehrs entstanden<br />

dann neue Rahmenbedingungen, sodass gerade die spät gebauten<br />

Lokalbahnen zu den ersten gehörten, die seit den 1960er-Jahren <strong>der</strong><br />

Stilllegung zum Opfer fielen.


E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Die liebevoll „Seekuh“ genannte<br />

Eisenbahn zwischen Erlangen<br />

und Markt Eschenau fuhr durch<br />

Dormitz auf <strong>der</strong> Straße, wobei sie<br />

hier den Verkehrsregeln unterworfen<br />

war und einer Geschwindigkeitsbegrenzung<br />

von 15 km/h<br />

unterlag. Die Fotografie wurde<br />

um 1960 aufgenommen.<br />

Die Postkarte, die 1910 anlässlich<br />

<strong>der</strong> Eröffnung <strong>der</strong> Lokalbahn<br />

Krumbach—Pfaffenhausen—<br />

Mindelheim erschien, vermerkt<br />

auf <strong>der</strong> Rückseite praktischerweise<br />

den Fahrplan für das Jahr<br />

1911: Viermal am Tag verkehrte<br />

<strong>der</strong> Zug von Krumbach nach<br />

Mindelheim und zurück, beginnend<br />

mit <strong>der</strong> Abfahrt um 3.50 in<br />

<strong>der</strong> Nacht und letztmals um 6.40<br />

abends.<br />

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64 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

eisenbahnbau unD<br />

eisenbahnbauarbeiter<br />

Durch den Bahnbau wurden in einer an chronischer Unterbeschäftigung<br />

leidenden Gesellschaft über viele Jahrzehnte<br />

zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen. Einen Eindruck vom<br />

Umfang <strong>der</strong> zu leistenden Arbeiten und <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Baumaterialien<br />

vermittelt schon <strong>der</strong> Aufbau des Bahnkörpers. Er besteht<br />

aus dem Unterbau und dem Oberbau. Der Unterbau ist <strong>der</strong> arbeitsintensivste<br />

Teil des Bahnbaus. Er umfasst alle Erdarbeiten: Dämme,<br />

Einschnitte, Entwässerungen, Böschungsbefestigungen, Stütz- und<br />

Futtermauern sowie alle Kunstbauten wie Brücken, Tunnels, Wegübergänge<br />

und -unterführungen. Unter dem Oberbau versteht man<br />

die eigentliche Fahrbahn, die sich in Bettung, Schienenunterlagen,<br />

Schienenbefestigungsmittel und Schienen glie<strong>der</strong>t. Hinzu kamen<br />

zahlreiche Stationsanlagen, Bahnhöfe, Werkstätten, Lagerhäuser,<br />

Wohnhäuser für das Personal und Wärterhäuser entlang <strong>der</strong> Strecken.<br />

Auch <strong>der</strong> Bau von Zufuhrstraßen, die Anpassung des bisherigen<br />

Wegenetzes und des Wasser- und Kanalsystems waren erfor<strong>der</strong>lich.<br />

Die Ausführung eines Bahnprojekts brachte Absatzmöglichkeiten für<br />

vielerlei Baustoffe, aber auch neue Aufträge für die verschiedensten<br />

Sparten des Handwerks und <strong>der</strong> Industrie und einen Aufschwung<br />

für die Versorgungsgewerbe. Neben großen Bahnbauunternehmen,<br />

die ganze Arbeiterheere für den arbeitsintensiven Unterbau stellten,<br />

hatten zahlreiche Handwerksmeister mit oft aufgestocktem Personal<br />

Arbeiten beson<strong>der</strong>s an den Bahnstationen übernommen. Im Umfeld<br />

des Bahnbaus, in <strong>der</strong> Innenausstattung <strong>der</strong> Gebäude und <strong>der</strong> Züge,<br />

fanden Schreiner, Schlosser, Glaser, Le<strong>der</strong>er, Schnei<strong>der</strong> ein Auskommen.<br />

Viele Arbeiter waren für die Bahn in Steinbrüchen, Sand- und<br />

Kiesgruben, in <strong>der</strong> Eisen- und Holzverarbeitung und im Transportgewerbe<br />

beschäftigt. Bahnbauspezialisten und Facharbeiter für<br />

Gleisbau waren in <strong>der</strong> Regel bei <strong>der</strong> Staatsbahn bzw. Ostbahn direkt<br />

angestellt. Viele Arbeitsplätze boten auch die Schwellenimprägnieranstalten,<br />

so zum Beispiel in Schwandorf.<br />

Die wan<strong>der</strong>nden Bahnbaustellen för<strong>der</strong>ten die Flexibilisierung und<br />

Mobilisierung des gesamten Arbeitsmarktes. Auch nach Abschluss<br />

des Streckenbaus trugen Phasen lebhafter Bautätigkeit wie die Erweiterung<br />

von Bahnanlagen, Dienstgebäuden und Werkstätten zu einer<br />

breiten Belebung des örtlichen Gewerbes bei.<br />

Negative Begleiterscheinungen<br />

Der Bahnbau hatte jedoch nicht nur wirtschaftsför<strong>der</strong>nde Wirkungen.<br />

Gerade die überwiegend in <strong>der</strong> Landwirtschaft tätige Bevölkerung<br />

hatte zum Teil unter schwerwiegenden Beeinträchtigungen<br />

<strong>der</strong> bisherigen ökonomischen Abläufe zu leiden. Erst waren in<br />

großem Stil Grundstücke abzutreten, dann waren schon während<br />

<strong>der</strong> Projektierung und Aussteckung einer Trasse vielfache Behin<strong>der</strong>ungen<br />

<strong>der</strong> landwirtschaftlichen Arbeiten hinzunehmen. Die<br />

Bauarbeiten brachten Flur- und Ernteschäden mit sich; Schadenersatzfor<strong>der</strong>ungen<br />

waren innerhalb kurzer Fristen anzumelden. Die<br />

Bahnstrecken durchschnitten das Wegenetz. Geländeeinschnitte und<br />

Dammaufschüttungen verän<strong>der</strong>ten die Landschaft; die Nutzung <strong>der</strong><br />

Fel<strong>der</strong> und Wiesen war oft nicht mehr möglich. Es verwun<strong>der</strong>t daher<br />

nicht, dass <strong>der</strong> Bahnbau gerade im ländlichen Raum verbreitet auf<br />

Ablehnung stieß. Erst nach dem Bau von Bahnübergängen, Unter-<br />

und Überführungen konnte sich wie<strong>der</strong> ein geregelter Ablauf des<br />

landwirtschaftlichen Verkehrs etablieren. Doch althergebrachte Zusammenhänge<br />

waren unwi<strong>der</strong>ruflich durchschnitten, die landwirtschaftlich<br />

nutzbare Fläche insgesamt reduziert.<br />

Viele Ortschaften wurden durch die Bahn in zwei Teile geteilt, wie dieses<br />

Ortsschild bei Amberg zeigt.


Das Aquarell von Karl Herrle zeigt, wie in mühevoller Handarbeit ein Heer von Arbeitern den berühmten Rentershofener Bahndamm bei Röthenbach-Oberhäuser<br />

(Allgäu) erstellt. Die zur Feier <strong>der</strong> Vollendung am 14. August 1853 gestiftete Schützenscheibe von 1853 spricht von 2000 Arbeitern.<br />

Eisenbahnschwellen wurden in aufwändiger handwerklicher<br />

Arbeit direkt im Wald hergestellt, zunächst mit <strong>der</strong><br />

Axt geschlagen, dann mit <strong>der</strong> Gestellsäge besäumt, <strong>der</strong><br />

Länge nach eingeschnitten, zum Trocknen gestapelt und<br />

schließlich abtransportiert.<br />

E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Die technischen Leistungen beim Eisenbahnbau wurden häufig auf Postkartenfotografien<br />

festgehalten wie hier <strong>der</strong> Eisenbahnneubau auf <strong>der</strong> Strecke Viechtach-Blaibach.<br />

Ein Schwellenhauerbeil fand<br />

Eingang in das Gemeindewappen<br />

<strong>der</strong> unterfränkischen Gemeinde<br />

Rechtenbach. Es erinnert daran,<br />

dass viele Bewohner <strong>der</strong> waldreichen<br />

Spessartgemeinde mit<br />

dem Einsetzen des Bahnbaues<br />

Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts als<br />

Schwellenhauer und -säger Arbeit<br />

fanden.<br />

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66 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Die kolorierte Fotografie zeigt die Großbaustelle <strong>der</strong> 1876 erbauten<br />

Deffernikbrücke östlich von Ludwigsthal (bei Zwiesel).<br />

Die Eisenbahnbauarbeiter<br />

Ein großes gesellschaftliches Problem in <strong>der</strong> ersten Hälfte des 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts war <strong>der</strong> Mangel an Verdienstmöglichkeiten für breite<br />

Bevölkerungsschichten. Die Armut <strong>der</strong> wachsenden arbeitslosen<br />

Unterschicht, <strong>der</strong> so genannte Pauperismus, for<strong>der</strong>te staatliches Handeln.<br />

Der Aspekt <strong>der</strong> Arbeitsbeschaffung wurde schon bei Streckenplanungen<br />

vor <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>tmitte berücksichtigt, denn <strong>der</strong> Bahnbau<br />

schuf in den jeweils berührten Gebieten vorübergehend eine<br />

große Anzahl von Arbeitsplätzen. Bahnbaumaßnahmen waren nicht<br />

zuletzt ein sozialpolitisches Instrument, Notleidenden den Lebensunterhalt<br />

zu sichern. Dieser Aspekt spielte auch in <strong>der</strong> bayerischen<br />

Verkehrspolitik eine Rolle. König Maximilian II. bemühte sich seit<br />

1848 <strong>der</strong> Not des Proletariats durch große staatliche Baumaßnahmen<br />

abzuhelfen. König Ludwig II. sah noch 1869 eine Möglichkeit, dem<br />

sehr großen „Nothstand unter <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>n Klasse <strong>der</strong> Münchener<br />

Bevölkerung“ durch „Beschaffung von Arbeitsgelegenheit“ beim<br />

Bahnbau entgegenzuwirken (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Verkehrsarchiv<br />

6408, 20. April 1869). Allein die Tatsache, dass bis in die<br />

1870er-Jahre das bayerische Hauptbahnnetz vollendet werden konnte,<br />

zeigt, dass die frühindustrielle Gesellschaft eine große ungenutzte<br />

Arbeiterreserve hatte.<br />

Die Arbeiter kamen zum Teil aus <strong>der</strong> näheren Umgebung <strong>der</strong> Baustellen,<br />

zum Teil aus entfernteren Landesteilen und aus benachbarten<br />

deutschen Staaten. Auch Auslän<strong>der</strong>, vor allem Böhmen und Italiener,<br />

arbeiteten beim Bahnbau in Bayern; sie waren beson<strong>der</strong>s dann willkommen,<br />

wenn nicht genügend einheimische Arbeitskräfte zur Verfügung<br />

standen. Neben den wenigen in leiten<strong>der</strong> Funktion tätigen<br />

Ingenieuren bildeten die weitaus größere Gruppe die in Bauberufen<br />

geübten Handwerker wie Maurer, Zimmerleute, Schlosser, Schmiede,<br />

die vor allem bei Brücken-, Damm- und Tunnelbauten und bei<br />

<strong>der</strong> Errichtung <strong>der</strong> Stationsanlagen beschäftigt waren. Das Gros <strong>der</strong><br />

Eisenbahnbauarbeiter stellten diejenigen Personen, die Erd-, Transport-<br />

und Handlangerarbeiten verrichteten, meist Wan<strong>der</strong>arbeiter<br />

und Taglöhner, die keinen Beruf erlernt hatten o<strong>der</strong> in ihrem Beruf<br />

keine Arbeit fanden. Diese Arbeiter entstammten <strong>der</strong> Unterschicht<br />

Der Eisenbahndamm in Lindau in einer Fotografie von 1902.<br />

bzw. wurden ihr zugerechnet, sobald sie beim Bahnbau arbeiteten.<br />

Viele hatten keinen festen Wohnsitz und lebten von <strong>der</strong> Hand in<br />

den Mund. Die Armenkassen wurden allgemein häufig in Anspruch<br />

genommen, und wenn es nur zur Deckung <strong>der</strong> Reisekosten bis zur<br />

nächsten Baustelle o<strong>der</strong> zum Heimatort war.<br />

Auch Frauen stellten einen beträchtlichen Teil <strong>der</strong> beim Bahnbau Beschäftigten.<br />

Noch in den 1860er-Jahren wurde eine Heiratserlaubnis<br />

nur bei gesichertem „Nahrungsstand“ und Ansässigmachung erteilt.<br />

Dies führte zwangsläufig dazu, dass viele mittellose Paare ohne Trauschein<br />

zusammenlebten. So kam es, „daß tausende von Arbeitern<br />

mit ihren Geliebtinen beim Bahnbau sich beschäftigten, und es zur<br />

größten Seltenheit zählte, wenn eine ledige Person weiblichen Geschlechtes<br />

ohne ihren Geliebten in Arbeit trat; es ist sogar ... Praxis<br />

geworden, daß ledige Weibsleute allein gar nicht aufgenommen<br />

werden, weil diese erfahrungsgemäß lie<strong>der</strong>liche Dirnen sind, welche<br />

nicht selten die Venerie [Syphilis] auf den Bauplätzen verbreiten“.<br />

(Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Verkehrsarchiv 6408, 5. Feb. 1870)<br />

Ein gesundheitspolitisches Problem war die bahnbaubedingte Verbreitung<br />

von Geschlechtskrankheiten. Die vorgeschriebenen Untersuchungen<br />

vor Arbeitsaufnahme waren offensichtlich unzulänglich,<br />

denn immer wie<strong>der</strong> traten erkrankte Personen die Arbeit an. Auch<br />

die Zunahme von nichtehelichen Geburten wurde dem Eisenbahnbau<br />

zugeschrieben. Erst das Gesetz über Heimat, Verehelichung und<br />

Aufenthalt von 1868 ließ einen langsamen Rückgang <strong>der</strong> Konkubinate<br />

erwarten. Der Anteil tatsächlich bei Bauarbeiten mitwirken<strong>der</strong><br />

Frauen dürfte kaum mehr als 15 bis 20 Prozent betragen haben.<br />

Ein Bericht des Stadtmagistrats Furth im Wald (Staatsarchiv Amberg,<br />

BA Cham 1104, 20. Aug. 1859) wirft ein Schlaglicht auf<br />

die soziale Lage <strong>der</strong> Bahnbauarbeiter: „Von den auf Grund erlangter<br />

Arbeiter-Aufnahme- u[nd] ärztlicher Visitationskarten mit<br />

landgerichtl[ichen] Aufenthalts-Karten für den Stadtgemeinde-Bezirk<br />

Furth versehenen Weibspersonen benützt ein großer Theil diese<br />

Karten lediglich nur zum Aufenthalte dafür (:bei ihren Liebhabern:)<br />

ohne alle Arbeit, wie dieß bei Eva Hammer und Barbara Lang, welche<br />

seit ihrem Hiersein ohne Arbeit sind, und wovon die erstere erst<br />

jüngst, die letztere vor 6 Wochen unehel[iche] Kin<strong>der</strong>, diese noch


insbeson<strong>der</strong>e ein total erblindetes und sieches Mädchen, geboren<br />

haben, <strong>der</strong> Fall, und belästigen durch Borgen, Bettel und Holzdiebstähle<br />

mit ihren Kin<strong>der</strong>n die Gemeinde; manches led[ige] Paar weiß<br />

sich sogar landgerichtliche Aufenthaltskarten zum Aufenthalte in<br />

ein- u[nd] demselben <strong>Haus</strong>e zu verschaffen, wie dieß bei Mathias<br />

Zintl und Anna Frischholz <strong>der</strong> Fall, die man vorgestern auf erfolgte<br />

Gendarmerie-Anzeige ortspolizeilich auseinan<strong>der</strong> schaffen mußte<br />

... Wo nur die angestrengteste u[nd] ununterbrochene Arbeit kaum<br />

den Arbeiter selbst ausreichend nährt, ist keine Möglichkeit vorhanden,<br />

daß von diesem auch arbeits- u[nd] verdienstlose zweite u[nd]<br />

dritte u[nd] noch mehr solche Personen ernährt werden könne, es<br />

liegt also die gegründete Annahme vor, daß diese sich auf unerlaubte<br />

Weise nähren u[nd] die Aufenthalts-Gemeinde belästigen, abgesehen<br />

von an<strong>der</strong>en Ungehörigkeiten.“<br />

Insgesamt hatten die Polizeibehörden viel Arbeit mit den Bahnbauarbeitern.<br />

Ruhe- und Ordnungsstörungen, Raufereien und Diebstähle<br />

waren an <strong>der</strong> Tagesordnung, auch schwere Kriminalität kam vor.<br />

Die Delikte reichten vom „Nachtschwärmen“ bis zum „Konkubinat“,<br />

vom Werkzeugdiebstahl bis zum Totschlag. In Etterzhausen wurden<br />

Anfang Juni 1871 drei Italiener nach einem Gaststättenbesuch von<br />

Unbekannten überfallen, einer <strong>der</strong> Italiener kam dabei durch einen<br />

Messerstich ins Genick ums Leben. Mögliche Motive für dieses grausame<br />

Verbrechen sah man darin, dass sich einheimische Burschen<br />

durch die Italiener in ihren Verdienstchancen beim Bahnbau o<strong>der</strong>,<br />

was subjektiv schwerer wog, in ihren Aussichten „bei <strong>der</strong> Etterzhausener<br />

‚Damenwelt‘“ beeinträchtigt fühlten. Die Bauleitung bat die<br />

Regierung <strong>der</strong> Oberpfalz dringendst um Verstärkung <strong>der</strong> Gendarmerie<br />

an <strong>der</strong> Strecke Neumarkt—Regensburg, nachdem kurz zuvor<br />

<strong>der</strong> Gendarmerie-Stationskommandant von Laaber von Bahnbauarbeitern<br />

erschlagen worden war.<br />

Häufig mussten Ordnungskräfte den sozialen Frieden an den Bauplätzen<br />

schützen o<strong>der</strong> wie<strong>der</strong>herstellen. Auseinan<strong>der</strong>setzungen gerade<br />

bei den Lohnauszahlungen waren nicht selten und manchmal<br />

auch berechtigt. Es gab Akkordanten, die den Arbeitern den ihnen<br />

zustehenden Lohn vorenthielten. Einen sehr schlechten Ruf hatte <strong>der</strong><br />

Akkordant Klein, <strong>der</strong> 1898 Bahnbauarbeiten bei Plattling leitete. Un-<br />

E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Das 1857 entstandene<br />

Aquarell von<br />

Eduard Gerhardt<br />

lässt erkennen,<br />

wie die Eisenbahn<br />

die Landschaft bei<br />

Regenstauf durchschneidet.<br />

ter den etwa 400 Arbeitern herrschte „große Mißstimmung“ gegen<br />

ihn, da er die Arbeiter ausnutzte, schlecht behandelte und schlecht<br />

bezahlte. Die Anwesenheit von Polizisten bei den Lohnauszahlungen<br />

wurde an allen Bahnbaustellen üblich.<br />

In ländlichen Gegenden hatte sich vor <strong>der</strong> Zeit des Bahnbaus in <strong>der</strong><br />

Regel kaum eine größere Anzahl Frem<strong>der</strong> für längere Zeit aufgehalten.<br />

Allem Unbekannten begegnete man mit Skepsis und manchem<br />

Vorurteil, umso mehr, als die Bahnbauarbeiter einen schlechten Ruf<br />

hatten. Vor allem für die frühe Zeit des Bahnbaus gilt, dass die Arbeiter<br />

trotz schwerster Arbeit nicht genug verdienten, um eine Familie<br />

zu ernähren und eine Heiratserlaubnis zu bekommen. Illegales Zusammenleben<br />

und Selbstversorgung <strong>der</strong> Angehörigen durch Bettelei,<br />

Diebstahl und Prostitution waren die Konsequenzen, denen man nur<br />

mit polizeilichen Zwangsmaßnahmen zu begegnen wusste.<br />

Eine deutsch-italienische Romanze um 1870<br />

Aber es gab sicherlich auch positive Begegnungen zwischen <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

und den Eisenbahnbauarbeitern, auch wenn sie von <strong>der</strong><br />

staatlichen und kirchlichen Führung als Gefahren für Moral und<br />

Sitte galten. Gerade die Anwesenheit von Italienern war nicht ohne<br />

Reize für die weibliche Bevölkerung. Eine deutsch-italienische Romanze,<br />

die sich um 1870 beim Bau <strong>der</strong> Strecke Regensburg—Nürnberg<br />

zugetragen haben soll, schil<strong>der</strong>t Joseph Schlicht in <strong>der</strong> humorvollen<br />

Skizze „Der italiänisch Bua und’s boarisch Dianl“: Ein Bauer<br />

gab einem bei Felsensprengungen arbeitenden Italiener Quartier:<br />

„und dieser? – hinterläßt allerdings einige Eisenbahngul<strong>der</strong>ln als<br />

Herbergszins, brennt aber dafür mit dem blutjungen liebedürstenden<br />

Töchterl durch in’s Land <strong>der</strong> süßen goldenen Pomeranzen“. Zum<br />

Glück war die per Telegraf eingeleitete Suche bald erfolgreich: In<br />

einem Gasthaus in Bregenz wurde das Paar entdeckt und das 17-jährige<br />

Mädchen nach <strong>Haus</strong>e geschickt, wo es sich bald mit einem bayerischen<br />

Bauern verheiratete. (Joseph Schlicht, Bayerisch Land und<br />

Bayerisch Volk, München 1875, S. 368–370)<br />

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68 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

meisterwerke Der technik<br />

Einige Meisterleistungen <strong>der</strong> Ingenieurskunst wurden schon<br />

beim Bau <strong>der</strong> Ludwig-Nord-Süd-Bahn in den 1840er Jahren<br />

vollbracht. Der Tunnel durch den Burgberg in Erlangen gilt<br />

als ältester Bahntunnel Bayerns. Er wurde 1841/44 gebaut und ist 341<br />

Meter lang. Das Südportal wird noch heute von zwei bayerischen Löwen<br />

bewacht.<br />

Große Höhenzüge waren im Farnkenwald zwischen Bamberg und<br />

Hof zu überwinden. Eine beson<strong>der</strong>e Attraktion ist noch heute die<br />

Schiefe Ebene zwischen den Bahnhöfen Neuenmarkt-Wirsberg und<br />

Marktschorgast im Kreis Kulmbach, eine <strong>der</strong> steilsten Eisenbahnstrecken<br />

in Deutschland. Zur Bauzeit (1844–1848) war dies die erste<br />

Strecke in Europa, die den großen Höhenunterschied von 158 Metern<br />

bei einer konstanten Steigung von 1:40 (25 Prozent) überwand.<br />

Auf bis zu 32 Meter hohen Steindämmen, drei Straßen- und zehn<br />

Bahnbrücken und einer Reihe von Durchlässen und Wasserkaskaden<br />

lehnt sich die Trasse an die Berghänge und überquert Seitentäler.<br />

Nach <strong>der</strong> ursprünglichen Planung sollten die Züge auf drei Rampen<br />

mithilfe von Seilen und ortsfesten Dampfmaschinen hochgezogen<br />

werden. Durch kostengünstigere technische Neuentwicklungen aus<br />

Amerika wurde es möglich, die sieben Kilometer lange Trasse mit<br />

nur einer zusätzlichen Vorspannlokomotive (später Schiebebetrieb)<br />

und ohne weitere technische Hilfsmittel zu befahren. Die Schiefe<br />

Ebene gilt als Prototyp aller späteren Gebirgsbahnen.<br />

Als beson<strong>der</strong>s beeindruckende Leistung beim Bau <strong>der</strong> 1854 eröffneten<br />

Ludwigs-West-Bahn Bamberg—Schweinfurt—Würzburg—<br />

Aschaffenburg gilt <strong>der</strong> fast einen Kilometer lange Schwarzkopftunnel<br />

bei Heigenbrücken, <strong>der</strong> Scheiteltunnel <strong>der</strong> Main-Spessart-Bahn, <strong>der</strong><br />

den Durchbruch vom Aubach- bzw. Lohrtal ins Aschafftal herstellte.<br />

Wegen des großen Lokomotivenaufwands für den Schiebe- und<br />

Vorspannverkehr auf <strong>der</strong> Spessartrampe waren in Heigenbrücken<br />

umfangreiche Gleisanlagen erfor<strong>der</strong>lich. Da am Bahnhof auch<br />

Schnellzüge hielten, entwickelte sich <strong>der</strong> Ort zu einer beliebten Sommerfrische.<br />

Der Tunnel von Heigenbrücken fand 1977 Eingang in das<br />

Gemeindewappen. In bayerischen Beamtenkreisen scheint dieser Ei-<br />

Der Burgbergtunnel in Erlangen in einem weit verbreiteten Stahlstich<br />

nach Carl August Lebschée.<br />

senbahntunnel früher eine gefürchtete „Laufbahn-Schwelle“ gewesen<br />

zu sein. Es ging die Redensart: „Wenn du einmal durch den Tunnel<br />

von Heigenbrücken bist, kommst du nicht mehr zurück!“ Mancher<br />

Staatsdiener befürchtete, dass es bei einer Versetzung in den Raum<br />

Aschaffenburg nie mehr eine Rückkehr in die Heimat geben werde.<br />

Eisenbahnbrücken<br />

Die Überquerung von Flüssen stellte beim Bahnbau eine beson<strong>der</strong>e<br />

technische Herausfor<strong>der</strong>ung dar, die soweit möglich vermieden<br />

wurde. Deshalb wurde beispielsweise die Stadt Deggendorf 1859/60<br />

nicht an die Ostbahn angeschlossen; weit kostengünstiger war es, die<br />

Bahn auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite <strong>der</strong> Donau über Plattling Richtung Passau<br />

zu führen. Größere Brückenbauten waren meist langjährige und<br />

teure Großbaustellen mit vielfältigen technischen Problemen.<br />

Die Großhesseloher Brücke wurde in den Jahren 1851 bis 1857 mit <strong>der</strong><br />

Strecke München—Holzkirchen erbaut. Sie überquerte südlich von<br />

München in einer Höhe von 31 Metern die Isar. Höher war zu dieser Zeit<br />

nur die 1846/51 erbaute Göltzschtalbrücke bei Reichenbach im Vogtland<br />

an <strong>der</strong> Bayerisch-Sächsischen Eisenbahn (78 Meter hohe Ziegelbrücke<br />

mit bis zu vier Etagen). Die Planung <strong>der</strong> Brücke mit den linsenförmigen<br />

Fachwerkträgern, auch Fischbauch- o<strong>der</strong> Pauli-Träger genannt, lag bei<br />

Friedrich August von Pauli, die Ausführung bei <strong>der</strong> Brückenbauanstalt<br />

Klett, Nürnberg. Die Brücke wurde 1908/09 teilweise erneuert, später<br />

wie<strong>der</strong>holt mo<strong>der</strong>nisiert und 1983/85 ganz neu gebaut.<br />

Die erste elektrisch betriebene Bergbahn in Bayern war die 1912 eröffnete<br />

Wendelsteinbahn. Die vom Industriellen Otto von Steinbeis<br />

gebaute 10 Kilometer lange schmalspurige Zahnradbahn mit eigenem<br />

Kraftwerk überwand von Brannenburg am Inn über zwölf Brücken,<br />

acht Galerien und sieben Tunnel einen Höhenunterschied von<br />

1250 Metern bis zum 1838 Meter hohen Wendelstein. Bei <strong>der</strong> damals<br />

größten Baustelle in Bayern waren viele Italiener und Kroaten mit<br />

Felsarbeiten beschäftigt.<br />

Die um 1851 entstandene Lithografie von G. Könitzer feiert die technische<br />

Meisterleistung <strong>der</strong> Schiefen Ebene durch den Frankenwald.


Das Flügelrad, ein<br />

Symbol für den<br />

Eisenbahnverkehr,<br />

steht für die große<br />

Bedeutung <strong>der</strong><br />

Eisenbahn in <strong>der</strong><br />

Entwicklung <strong>der</strong><br />

oberfränkischen Gemeinde<br />

Neuenmarkt.<br />

Das zuvor unbedeutende<br />

kleine Bauerndorf<br />

mit 57 Häusern<br />

erlebte seit dem<br />

Bau <strong>der</strong> Schiefen<br />

Ebene eine rasante<br />

Entwicklung.<br />

Die um 1860 entstandene Ansicht von J. Buck zeigt die Eisenbahnbrücke bei Kempten.<br />

Am 4. April 1909<br />

berichtet <strong>der</strong><br />

Schreiber dieser<br />

Postkarte, die die<br />

Eisenbahnbrücke<br />

bei Kempten zeigt:<br />

„Sind gut angekommen;<br />

fahren<br />

mit dem Eilzug um<br />

9.47 nach Lindau<br />

weiter.”<br />

E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Der 1863 entstandene Stahlstich<br />

von Karl August Lebschée zeigt<br />

die in den Jahren 1851 bis 1857<br />

erbaute Isarbrücke bei Großhesselohe.<br />

Die kolorierte Postkartenfotografie einer mehrteiligen Serie<br />

dokumentiert die eindrucksvolle Schlossbach-Brücke <strong>der</strong><br />

Mittenwaldbahn.<br />

69


70 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

1864 hielt Karl Herrle die Eisenbahnbrücke über den Main bei Würzburg-Heidingsfeld<br />

in einer Strichzeichnung fest.<br />

Das 1859 entstandene Aquarell von Albert Emil Kirchner zeigt die bis<br />

1859 von <strong>der</strong> Ostbahngesellschaft errichtete Donaubrücke bei Regensburg-Schwabelweis.<br />

Die Portale im Stil <strong>der</strong> Maximiliansgotik wurden im<br />

Zuge des Brückenneubaus 1933 beseitigt.<br />

Das Aquarell von Albert Emil Kirchner zeigt die bis 1859 von <strong>der</strong><br />

Ostbahngesellschaft errichtete Donaubrücke bei Regensburg-Schwabelweis.<br />

Die Portale im Stil <strong>der</strong> Maximiliansgotik wurden im Zuge des<br />

Brückenneubaus 1933 beseitigt.<br />

Die Hackerbrücke München, eine <strong>der</strong> wenigen erhaltenen Stahlbogenbrücken<br />

aus dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t, wurde 1890 bis 1894 von <strong>der</strong><br />

MAN erbaut; sie überspannt die Gleisanlagen im Vorfeld des Münchner<br />

Hauptbahnhofs.<br />

Die 1904 eröffnete Bahnstrecke Passau-Hauzenberg war standortbestimmend<br />

für die Granitunternehmen in dieser „steinreichen“ Region.<br />

Sie zählt heute mit den zahlreichen Natursteinbrücken zu den<br />

schönsten Eisenbahnstrecken Deutschlands. Beim Brückenbau wurden<br />

bevorzugt italienische Arbeiter eingesetzt, die als Spezialisten für solche<br />

Natursteinbauten wie die hier gezeigte Brücke im Erlautal galten.


Dem Weitblick des 1860 aus Baden nach Brannenburg zugezogenen Kommerzienrats<br />

Otto von Steinbeis ist es zu verdanken, dass auf den Wendelstein eine <strong>der</strong> ersten<br />

Bergbahnen Deutschlands gebaut wurde. Steinbeis verfügte über die nötigen finanziellen<br />

Mittel, hatte Durchsetzungskraft und Erfahrung im Bahnbau. Die meisten <strong>der</strong><br />

800 Arbeiter, die er für den Bau <strong>der</strong> Wendelsteinstrecke benötigte, rekrutierte er in<br />

Bosnien und Kroatien, wo er bereits Schmalspurbahnen für den Holztransport erbaut<br />

hatte.<br />

Auch wenn es in Brannenburg zu Beginn des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts noch keinen Strom<br />

gab, kam ein Dampfzug für Otto von Steinbeis nicht in Frage. „Seine“ Zahnradbahn<br />

sollte mit elektrischer Energie fahren. In Hinterkronberg wurde ein Wasserkraftwerk<br />

mit zwei Turbinen zur Erzeugung von Gleichstrom für die Zahnradbahn errichtet, das<br />

die Bremsenergie des Zuges bei <strong>der</strong> Talfahrt für die gleichzeitige Bergfahrt ausnutzt<br />

- hier zeigt sich <strong>der</strong> Weitblick des Pioniers. Um die Brannenburger von den Vorteilen<br />

<strong>der</strong> Elektrizität zu überzeugen, griff Steinbeis zu einer List: Er erleuchtete seine Villa<br />

in <strong>der</strong> Nacht taghell, bis sich schließlich auch die Einwohner von Brannenburg und<br />

Flintsbach an die mo<strong>der</strong>ne Zeit anschlossen und Strom aus dem Kraftwerk in Hinterkronberg<br />

bezogen.<br />

Für die Arbeiter an <strong>der</strong> Zahnradbahn wurde <strong>der</strong> Wendelstein zwei Jahre lang zur<br />

Heimat. Sie arbeiteten bei je<strong>der</strong> Witterung, selbst im Winter, und mit härtestem<br />

körperlichen Einsatz an <strong>der</strong> 9,95 Kilometer langen, zu zwei Drittel sehr steilen Strecke<br />

und errichteten sieben Tunnels, acht Galerien, zwölf Brücken und aufwändige Stützmauern.<br />

Jeden Samstagabend gab es ein Fass Freibier für die Männer; so wurde aus<br />

dem Sonntag für die meisten tatsächlich ein Ruhetag und am Montag früh waren alle<br />

wie<strong>der</strong> zur Stelle.<br />

Werkzeug, Baumaterial und Lebensmittel wurden mit Pferden o<strong>der</strong> Mulis zur Baustelle<br />

beför<strong>der</strong>t, im steilen Gelände setzte man auch Seilwinden ein. Die Trasse wurde<br />

mit einfachstem Handwerkszeug – Pickel, Hammer, Meißel und Schaufel – errichtet;<br />

über 1000 Kubikmeter Aushubmaterial wurde an <strong>der</strong> Bergseite abgetragen und auf<br />

<strong>der</strong> Talseite wie<strong>der</strong> aufgeschüttet. Insgesamt verbrauchte man 35000 kg Schwarzpulver.<br />

Wenn man bedenkt, dass man in ein von Hand geschlagenes Bohrloch maximal<br />

2 kg Sprengstoff brachte, so kann man sich ausrechnen, wie viele Sprenglöcher<br />

gebohrt werden mussten. Das Steinfundament für die Schienen wurde von Hand mit<br />

dem Handstampfer und einem Kramperpickel bearbeitet.<br />

Das imposanteste und schwierigste Bauwerk <strong>der</strong> Strecke ist die 127 Meter lange<br />

„Hohe Mauer“ mit einer Höhe von 17 Metern. Der Schienenverlauf lässt die Bahn in<br />

den Berg verschwinden und führt sie in einem sehr engen Bogen zum Bergbahnhof<br />

unterhalb des Wendelsteinkircherls. Im letzten Tunnel erreicht die Strecke ihre größte<br />

Steigung mit 23,7 Prozent.<br />

Am 12. Mai 1912 befuhr <strong>der</strong> erste Zug die Strecke, die am 25. Mai feierlich eingeweiht<br />

wurde. Betrug die Fahrzeit damals 75 Minuten, so ist man heute dank zweier mo<strong>der</strong>ner<br />

Doppeltriebwagen in 20 (Bergfahrt) bzw. 30 Minuten (Talfahrt) am jeweiligen Ziel.<br />

johann Vogt<br />

www.wendelsteinbahn.de<br />

E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

71


72 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Karl Herrle dokumentierte den Bau <strong>der</strong> Ludwigs-Nord-Südbahn in heute idyllisch anmutenden Bil<strong>der</strong>n, hier <strong>der</strong> Bahnhof von Schwabmünchen (um 1850).<br />

bahnhöFe, staDt-<br />

unD raumentwickLung<br />

Mit dem Bau von Eisenbahnen waren Bahnhöfe anzulegen<br />

und städtebaulich zu integrieren. Zudem wurden an Eisenbahnknotenpunkten<br />

ausgedehnte Areale durch Rangieranlagen,<br />

Stellwerke, Lokschuppen und Wartungseinrichtungen<br />

belegt. Die ersten Bahnhöfe waren häufig nur provisorische Einsteighallen<br />

aus Holz, doch schon bald entstanden vor allem an wichtigen<br />

Verkehrsknotenpunkten repräsentative Gebäudekomplexe in den<br />

verschiedenen Stilrichtungen des Historismus. Das Formenreservoir<br />

reichte von <strong>der</strong> Antike über die Gotik und Renaissance bis zum Barock;<br />

meistens fanden sich die Stilelemente in einer Mischform wie<strong>der</strong>.<br />

Am Bahnhof zeigte sich dem Reisenden <strong>der</strong> „erste Eindruck“<br />

einer Stadt. Gerade großstädtische Bahnhöfe mit ihrer Zweiteilung<br />

in Bahnsteighalle und Empfangsgebäude wurden zu viel beachteten<br />

Prestigeobjekten. Während in <strong>der</strong> Bahnsteighalle, überwiegend<br />

in Eisen und Glas ausgeführt, die Technik dominierte, setzten die<br />

in Stein gebauten Empfangsgebäude einen <strong>der</strong> Stadt zugewandten<br />

städtebaulichen Akzent. Der Bahnhof entwickelte sich zum Zentrum<br />

des gesellschaftlichen und politischen Lebens, wurde Schauplatz für<br />

große Empfänge und Abschiede, aber auch ein Ort des ganz individuellen<br />

Willkommens und Auseinan<strong>der</strong>gehens. Beson<strong>der</strong>en Charakter<br />

hatten Grenzbahnhöfe mit ihren ausgedehnten Gleisanlagen und<br />

Zolleinrichtungen. An kleineren Bahnstationen fielen die Bahnhofsgebäude<br />

in <strong>der</strong> Regel bescheidener aus. Da meist ein Architekt für<br />

ganze Streckenbereiche zuständig war, setzten sich bewährte, zweckmäßige<br />

Gebäudetypen durch, die je nach örtlichem Bedarf in <strong>der</strong><br />

Größe variabel in Serie gebaut wurden, wie zum Beispiel Gottfried<br />

Neureuthers Typensystem mit vier Größenkategorien o<strong>der</strong> Eduard<br />

Rübers „Normalpläne“ mit sechs Klassen. Die Bahnhöfe mit ihren<br />

Vorplätzen o<strong>der</strong> Empfangshallen waren beliebte Postkartenmotive.<br />

Auch gesellschaftliche Ereignisse wie Staatsbesuche, Jubiläen o<strong>der</strong><br />

Paradekonzerte, aber auch <strong>der</strong> Abschied o<strong>der</strong> die Heimkehr von<br />

Truppen wurden auf Postkarten festgehalten. Die Eisenbahnpostkarten<br />

vermitteln heute einen nostalgischen Eindruck vom pulsierenden<br />

Leben im Umkreis <strong>der</strong> Bahnstationen und von <strong>der</strong> sich wandelnden<br />

Stadtlandschaft.<br />

Bahnhöfe in Bayern<br />

In den letzten Jahren vollzog sich ein grundlegen<strong>der</strong> Wandel in den<br />

Bahnhöfen. Die großen Bahnhöfe wurden vielfach zu Einkaufspassagen<br />

mit diversen Verpflegungseinrichtungen umfunktioniert, während<br />

kleine Bahnhöfe durch Automatisierung und Elektronisierung<br />

des Betriebs ihre ursprüngliche Funktion verloren haben. Einige<br />

Stationsgebäude werden für Wohn- und Geschäftszwecke genutzt,<br />

stehen zum Verkauf o<strong>der</strong> wurden abgerissen.<br />

Zwischen den Bahnhöfen lagen auf freier Flur entlang <strong>der</strong> Bahnstrecken<br />

an den Schienen-Straßen-Kreuzungen die inzwischen fast völlig<br />

verschwundenen Bahnwärterhäuschen, in denen oft weit abseits<br />

<strong>der</strong> Ortschaften Familien wohnten, einen kleinen Garten bestellten<br />

und vielleicht Kleinvieh für den eigenen Bedarf hielten. In diesen<br />

auf Bil<strong>der</strong>n häufig nostalgisch verklärten Ensembles ging es in erster<br />

Linie darum, die vom Bahnverkehr ausgehenden Gefahren unter<br />

Kontrolle zu halten. Allein die Ostbahn AG erbaute bis 1861 in ihrem<br />

bis dahin auf 450 Kilometer angewachsenen Streckennetz 303<br />

Bahnwärterhäuser, 43 Wachthäuser aus Stein und 68 provisorische<br />

Holzhütten für die Überwachung.


Die Bahnstation Günzach im alpenländischen Stil von Karl Herrle (um 1855).<br />

Der Bahnhof von Erlangen in dem von Lorenz Valentin<br />

Kleinknecht verfassten „Allgemeinen Taschenatlas <strong>der</strong><br />

europäischen Eisenbahnen“ von 1845 und die Bahnhöfe<br />

von Nürnberg und Augsburg im „Ortsanzeiger für Reisende<br />

auf <strong>der</strong> Ludwigs-Süd-Nord-Bahn von München bis Hof und<br />

von Augsburg bis Lindau“ von 1854.<br />

E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Der 1854 fertig gestellte und für das damalige Dorf eigentlich überdimensionierte Bahnhof<br />

Veitshöchheim unmittelbar an <strong>der</strong> Sommerresidenz des bayerischen Königshauses erhielt<br />

neben <strong>der</strong> öffentlichen Empfangshalle einen über einen Wandelgang erreichbaren Königspavillon.<br />

König Ludwig I. hatte verhin<strong>der</strong>t, dass die Bahntrasse direkt durch den Schlosspark<br />

geführt wurde. Veitshöchheim mit dem berühmten Rokokogarten wurde zu einem<br />

beliebten Ausflugsziel.<br />

Der von Friedich Bürklein (1813–1872) und Jakob Graff (1820–1906) entworfene und bis<br />

1871 erbaute Bahnhof von Simbach mit dem 108 Meter langen Empfangsgebäude mit den<br />

markanten Rundbogentüren im Erdgeschoss gilt als einer <strong>der</strong> eindrucksvollsten Bahnhöfe<br />

in Bayern, dem jedoch seit längerem eine angemessene Nutzung fehlt. Die Postkarte gibt<br />

einen Hinweis auf die herzhafte Verköstigung, die das Bahnhofsrestaurant bot.<br />

73


74 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Die kolorierte Fe<strong>der</strong>zeichnung von 1860 zeigt einen Entwurf des<br />

Würzburger Bahnhofs von Gottfried von Neureuther, dem Erbauer zahlreicher<br />

Bahnhöfe in Bayern.<br />

Auf dem Aquarellentwurf für eine Ansichtskarte hat Eugen Felle das<br />

Bahnhofsgebäude von Pocking eigens herausgehoben.<br />

Die Postkarte von 1906 zeigt den 1863 errichteten Bahnhof von Würzburg,<br />

<strong>der</strong> den 1852 erbauten Ludwigsbahnhof ersetzte, dessen Kapazitäten<br />

bereits zehn Jahre später nicht mehr ausreichten. Das Gebäude im Stil <strong>der</strong><br />

Neo-Renaissance entstand nach Plänen des Königlichen Baurats Gottfried<br />

von Neureuther.<br />

Der Münchner Hauptbahnhof in einem nach<br />

einer Zeichnung von Jobst Riegel gestochenen<br />

Stahlstich von 1863 (links) sowie die<br />

„Einstieghalle“ in einer Lithografie von 1854.<br />

Die am 2. Oktober 1903 versandte Postkarte zeigt das Bahnhhofsgebäude<br />

in Bärnau in <strong>der</strong> Oberpfalz – eine Bahnhofsarchitektur, wie sie<br />

vielerorts zu finden war..


Mit <strong>der</strong> Eisenbahn zur Erholung aufs Land: Auf <strong>der</strong> Rückseite<br />

dieser Werbepostkarte empfiehlt sich das Bahnhofshotel<br />

in Wiesmühl bei Tittmoning wie folgt: „Gut eingerichtete<br />

Fremdenzimmer zu mäßigen Preisen“.<br />

E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Das um 1880/1900 entstandene Foto (links)<br />

zeigt den Grenzbahnhof Bayerisch-Eisenstein.<br />

Ab 1953 teilte <strong>der</strong> „Eiserne Vorhang“ mit hohen<br />

Stahlplatten und Drahtzaun die Bahnhofsanlage<br />

in zwei Teile. Der Grenzbahnhof wurde 1991<br />

durch Bundeskanzler Helmut Kohl feierlich<br />

wie<strong>der</strong>eröffnet (unten). Seit 2006 kann man<br />

mit <strong>der</strong> Waldbahn wie<strong>der</strong> über die Grenze bis<br />

Špicák/Spitzberg im Böhmerwald fahren.<br />

Anlässlich <strong>der</strong> Eröffnung des Alten Bahnhofs in Garmisch am 25. Juli 1889 versammelten<br />

sich die örtlichen Honoratioren an dem mit Girlanden geschmückten Gebäude.<br />

… und manchmal wird aus einem aufgelassenen Bahnhof ein ESS-Bahnhof, wie hier<br />

in Rimsting, wo zwei ambitionierte Gastwirte den 1911 erbauten und 1981 geschlossenen<br />

Bahnhof zu neuem Leben erwecken (www.kulturbahnhof-rimsting.de).<br />

Der Bahnhof St. Ottilien hat eine gewisse Berühmtheit erlangt – gäbe es einen<br />

Wettbewerb „Unser Bahnhof soll schöner werden“ – St. Ottilien wäre <strong>der</strong> Favorit!<br />

Das pensionierte Bahnwärterehepaar Polke sorgt Jahr für Jahr für den blühenden<br />

Blumenschmuck. Das im Jahr 1938 errichtete Bahnhofsgebäude an <strong>der</strong> Strecke<br />

Augsburg-Weilheim, die 1898 als „Ammerseebahn“ eröffnet wurde, zeigt an <strong>der</strong><br />

Stirnseite ein Fresko, das auf die beson<strong>der</strong>e Bedeutung dieses Bahnhofs hinweist: Ein<br />

Missionar im Benediktinergewand begegnet Menschen aus verschiedenen Erdteilen<br />

– ein Hinweis auf die Missionstätigkeit des Klosters St. Ottilien.<br />

75


76 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

ein neuer beruFsstanD:<br />

Der eisenbahner<br />

Die Bahn entwickelte sich bis zur Jahrhun<strong>der</strong>twende zum<br />

weitaus größten Arbeitgeber im Königreich Bayern. Beson<strong>der</strong>s<br />

an Eisenbahnknotenpunkten mit ihren zentralen Betriebseinrichtungen,<br />

Werkstätten und Verwaltungsstellen verän<strong>der</strong>te<br />

die Bahn den Arbeitsmarkt völlig. Der Eisenbahndienst bot eine große<br />

Anzahl von Arbeitsplätzen für Personen mit unterschiedlichster<br />

Vorbildung, in den verschiedensten Bereichen und Diensträngen,<br />

mit innerbetrieblichen Qualifikations- und Aufstiegsmöglichkeiten,<br />

unterwegs im Fahrdienst o<strong>der</strong> standortgebunden, vom Bauingenieur<br />

und Juristen über den Lokomotivführer, Schlosser, Heizer und<br />

Kontrolleur bis zum Gepäckträger. Die neuen Möglichkeiten im<br />

Bahndienst for<strong>der</strong>ten berufliche Flexibilität und örtliche Mobilität.<br />

Allein die Staatsbahnverwaltung verzeichnete zwischen dem Gründungsjahr<br />

1844 und dem Jahr 1914 ein immenses Wachstum von<br />

einigen Hun<strong>der</strong>t auf über 65000 Beschäftigte. Daneben gab es aber<br />

auch noch private Bahngesellschaften als Arbeitgeber.<br />

Ein eigenes Verkehrsministerium für Bayern<br />

Der stark angestiegenen Bedeutung des Verkehrssektors trug die Ausglie<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Verkehrsabteilung aus dem Außenministerium und<br />

die Einrichtung eines eigenen Staatsministeriums für Verkehrsangelegenheiten<br />

Rechnung, das von 1904 bis 1920 bestand. Das repräsentative<br />

Ministerialgebäude wurde von 1905 bis 1912 an <strong>der</strong> Arnulfstraße<br />

in unmittelbarer Nähe des Münchner Hauptbahnhofs errichtet.<br />

Es beherbergte im Untergeschoss die zentrale Briefsortieranlage <strong>der</strong><br />

Post, die mit einer unterirdischen Kleinbahn mit dem Hauptbahnhof<br />

verbunden war. Mit <strong>der</strong> Zunahme des Bahnverkehrs ging allgemein<br />

die Ausweitung des Post- und Telegrafenwesens einher.<br />

Schon 1920 endet die kurze <strong>Geschichte</strong> des bayerischen Verkehrsministeriums.<br />

Die Weimarer Verfassung von 1919 verfügte, dass die<br />

bayerischen Staatsbahnen mit einem inzwischen auf etwa 8500 Kilometer<br />

angewachsenen Schienennetz <strong>der</strong> Deutschen Reichsbahn zu<br />

unterstellen sind. Damit verlor <strong>der</strong> Freistaat Bayern 1920/21 einen<br />

Großteil seiner Staatseinnahmen; die Eisenbahnen hatten regelmäßig<br />

große Überschüsse erwirtschaftet.<br />

Der Sitz <strong>der</strong> Generaldirektion <strong>der</strong> königlich bayerischen Staatseisenbahnen<br />

in <strong>der</strong> Münchner Arnulfstraße, unweit des Hauptbahnhofs.<br />

Bis zum 1.1.1908 waren Eisenbahndienstsendungen portofrei, dann<br />

mussten sie frankiert werden mit Briefmarken, die durch den Aufdruck<br />

„E“ (für Eisenbahn“) o<strong>der</strong> ein gelochtes „E“ gekennzeichnet waren.


Mit Dienstanweisungen<br />

- wie <strong>der</strong><br />

97-seitigen Anweisung<br />

für den Einsatz<br />

<strong>der</strong> Luftdruck- und<br />

<strong>der</strong> Luftsaugebremse<br />

sowie Fachbüchern<br />

wie dem Signalbuch<br />

- hier in <strong>der</strong><br />

2. Ausgabe, gültig<br />

vom 1. August 1907 -<br />

wurde die komplizierte<br />

Materie des<br />

Eisenbahnwesens<br />

in technischer wie<br />

organisatorischer<br />

Hinsicht bewältigt.<br />

E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Dienstpost wurde mit eigenen<br />

Dienstsiegeln verschlossen.<br />

Da man auf <strong>der</strong> um 1910 zur Hauptbahn<br />

erklärten Ammerseebahn entsprechendes<br />

Personal benötigte, wurde das zuvor auf <strong>der</strong><br />

Saaletalbahn tätige Ehepaar Preisendörfer aus<br />

dem fränkischen Ochsenthal bei Hammelburg<br />

nach Kaltenberg versetzt. Katharina Preisendörfer,<br />

wie ihr Mann bei <strong>der</strong> Kgl. Bayer. Staatseisenbahn<br />

angestellt, war auf <strong>der</strong> Strecke zwischen<br />

Kaltenberg und Walleshausen zuständig<br />

für die Auffüllung <strong>der</strong> Signale mit Petroleum.<br />

Sie ist hier vor dem Bahnwärterhaus mit ihrem<br />

Mann August und ihrem kleinen Sohn Karl zu<br />

sehen. August Preisendörfer war bis zu seinem<br />

Tod 1958 als Streckengeher auf <strong>der</strong> Ammerseebahn<br />

unterwegs.<br />

Der 1876 gegründete Bayerische Verkehrsbeamtenverein<br />

vertrat die Interessen des<br />

mittleren Dienstes und besaß eine eigene<br />

Witwen- und Waisenkasse sowie eine Spar-<br />

und Darlehenskasse. Auch die Spardabank ist<br />

ursprünglich eine Eisenbahner-Bank.<br />

77


78 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Die Eisenbahn – ein begehrter Arbeitgeber<br />

Die Nachfrage nach Stellen bei <strong>der</strong> Bahn war meist sehr groß, denn<br />

<strong>der</strong> Bahndienst bot neben sicheren, gut bezahlten Arbeitsplätzen weitere<br />

Vorteile. Die „Eisenbahner“ wurden vom Arbeitgeber bis in das<br />

Privatleben patriarchalisch umsorgt. Soziale Sicherungen wie Krankenunterstützungs-,<br />

Invaliden- und Sterbekassen sowie Vergünstigungen<br />

wie Kantinenessen, Freifahrten, billige Kohlenversorgung<br />

und Stellung von Schrebergärten för<strong>der</strong>ten die Loyalität gegenüber<br />

dem Arbeitgeber. Die Bahn engagierte sich auch im Wohnungsbau.<br />

Beson<strong>der</strong>s an Verkehrsknotenpunkten entstanden Eisenbahnersiedlungen,<br />

die wie<strong>der</strong>um die Gruppenbildung för<strong>der</strong>ten. So wurde in<br />

Regensburg eine mehrere Straßenzüge umfassende Eisenbahnersiedlung<br />

realisiert. Am Eisbuckel östlich von Kumpfmühl und unweit des<br />

Bahngeländes erbauten die 1899 gegründete Baugenossenschaft des<br />

Verkehrspersonals und die Staatsbahnverwaltung bis 1914 insgesamt<br />

226 Wohnungen in vier geschlossenen zwei- und dreigeschossigen<br />

Gebäudegruppen.<br />

Der Eisenbahndienst wurde vielfach in <strong>der</strong> Familie „weitervererbt“,<br />

die Bahn etablierte sich als „Familienarbeitgeber“. Bei Neueinstellungen<br />

wurden Familienangehörige stets bevorzugt. In <strong>der</strong> Zentralwerkstätte<br />

Regensburg wurden um die Jahrhun<strong>der</strong>twende nur Lehrlinge<br />

aufgenommen, <strong>der</strong>en Väter Eisenbahnangehörige waren. Für<br />

den reibungslosen Ablauf des ständig anwachsenden Bahnverkehrs<br />

war loyales Personal erfor<strong>der</strong>lich, das sich mit den Interessen <strong>der</strong> Eisenbahnverwaltung<br />

identifizierte. Nur so konnte die Eisenbahn die<br />

wirtschaftliche und gesellschaftliche Schlüsselposition ausfüllen, die<br />

ihr seit den 1840er-Jahren zugewachsen war.<br />

Die Bahnbeamten sahen sich selbst als Diener des Staates. Der typische<br />

Bahnbeamte war stolz auf seine Stellung als „Amtsperson“,<br />

die er in Uniform und entsprechenden Rangabzeichen seiner Um-<br />

welt kundtun konnte, wobei das Selbstbewusstsein manches „Kondukteurs“<br />

übersteigert war, was vielfach Nie<strong>der</strong>schlag in Karikaturen<br />

und in <strong>der</strong> Literatur fand.<br />

Der Eisenbahndienst blieb bis zum Ersten Weltkrieg eine Domäne <strong>der</strong><br />

Männer. Frauen finden sich erst seit etwa 1890 zunächst als so genannte<br />

„Ablöswärterinnen“, die ihre Ehemänner im Bahnwärterdienst vertraten.<br />

Ab etwa 1900 gab es auch „Dienstfrauen“, Zugbegleiterinnen,<br />

die für die Hygiene in Schnellzügen zuständig waren. Erst nach 1908<br />

wurden Frauen als Bürogehilfinnen bei <strong>der</strong> Bahn beschäftigt.<br />

Es existieren kaum Quellen zu individuellen Lebensschicksalen von<br />

Bahnbediensteten. Eine facettenreiche Charakterschil<strong>der</strong>ung enthalten<br />

die Erinnerungen des Anton Mayer an seinen gleichnamigen<br />

Vater, <strong>der</strong> 1864 in Schwandorf in den Bahndienst eintrat. Er verkörpert<br />

ein typisches Schicksal seiner Zeit. Aus persönlichen und wirtschaftlichen<br />

Zwängen wechselte er von einem traditionellen, zeitlich<br />

und organisatorisch wenig reglementierten Handwerksberuf in den<br />

umfassend durchorganisierten Bahndienst, in dem Dienstantritt<br />

und Zugabfahrtszeiten den Tages- und Jahresablauf bestimmten.<br />

Anton Mayer sen. war vor allem auf Drängen seiner Frau zur Bahn<br />

gegangen. Schon dies beeinträchtigte seine Integrationsbereitschaft<br />

im Bahndienst. In vielen Familienstreitigkeiten warf er seiner Frau<br />

vor, dass sie Schuld daran habe, dass er, <strong>der</strong> gelernte Metzger, bei <strong>der</strong><br />

Eisenbahn gelandet sei. In den Wintermonaten konnte Anton Mayer<br />

seine frühere Tätigkeit mit <strong>der</strong> neuen Stellung verbinden: Er schlachtete<br />

Schweine und verkaufte Geräuchertes, Presssack und Würste in<br />

den „Bahnhofsrestaurationen“; beson<strong>der</strong>s in München fanden seine<br />

Waren „reißend Absatz“. Das „Grundübel“ in <strong>der</strong> Familie Mayer war<br />

„des Vaters Vorliebe fürs Bier“. In welchem Ausmaß sich diese in den<br />

Anfängen <strong>der</strong> Eisenbahn mit dem Bahndienst vereinbaren ließ, ist<br />

ganz erstaunlich. (Aus: Carl Amery (Hg.), Dortmals. Ein Leben in<br />

Bayern vor hun<strong>der</strong>t Jahren, München 1975, S. 28, 38)<br />

Dem auf das Jahr 1904 zurückgehenden Bahn-Sozialwerk liegt die Idee zu Grunde, eine Solidargemeinschaft<br />

<strong>der</strong> Eisenbahnerinnen und Eisenbahner zu bilden, die bei Krankheit und in Notfällen<br />

halfen, aber auch in <strong>der</strong> Geselligkeit Zusammenhalt boten – erwähnt seien Eisenbahnerchöre und<br />

-orchester, Sportvereine und Hobbyclubs. Mit <strong>der</strong> Bildung von Einkaufsgenossenschaften, dem Bau<br />

von Erholungsheimen, <strong>der</strong> Veranstaltung günstiger Ferienreisen bot und bietet das Bahn-Sozialwerk,<br />

heute eine Stiftung (BSW), dem Eisenbahnerstand Unterstützung in allen Lebensbereichen.


E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Fotoserie von 1902 (von links nach rechts): Vor den jeweiligen Bahnhöfen<br />

nimmt das Personal in Uniform und Dienstkleidung Aufstellung:<br />

Possenhofen, Vilshofen, Starnberg, Trostberg, Kirchseeon, Schweinfurt,<br />

Kolbermoor.<br />

79


80 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Die eisenbahn<br />

unD ihre wirkungen:<br />

aLLes VeränDert sich<br />

Die Eisenbahn verursachte eine Revolution im Güter- und<br />

im Personenverkehr. Das gesamte Wirtschaftsleben nahm<br />

neue Dimensionen an. Massengüter wie Kohle, Holz,<br />

Steine, Eisen konnten in bisher nicht gekanntem Ausmaß bewegt<br />

werden. Der Nah- und Fernhandel blühte auf. Güter, die an einem<br />

Ort im Überfluss vorhanden waren o<strong>der</strong> über den lokalen Bedarf<br />

hinaus produziert werden konnten, wurden durch die Eisenbahn<br />

zu Handelsobjekten und trugen zum wirtschaftlichen Aufschwung<br />

bei. Bisher lokal beschränkten Wirtschaftsräumen wurden einerseits<br />

ganz neue Absatzmärkte erschlossen, an<strong>der</strong>erseits wurde das von einer<br />

Bahnlinie durchzogene Gebiet zum Absatzgebiet für Waren aller<br />

Art aus fernen Regionen.<br />

Die wirtschaftliche Gesamtentwicklung wurde insbeson<strong>der</strong>e dadurch<br />

begünstigt, dass rohstoffarme Gegenden nun in großem Umfang mit<br />

Kohle, <strong>der</strong> Hauptenergiequelle des Industriezeitalters, versorgt werden<br />

konnten. Die traditionelle Wirtschaftsstruktur erfuhr durch die zunehmende<br />

Verbreitung von Fabrikprodukten für den alltäglichen Bedarf<br />

einen grundlegenden Wandel und erlitt schwere Beeinträchtigungen.<br />

Insgesamt verän<strong>der</strong>te die Eisenbahn mit ihren festen Routen und<br />

Zeiten die althergebrachten, oft flexibleren Verkehrsbeziehungen.<br />

Stichbahnen führten zu einseitigen Anbindungen an zentrale Orte<br />

und daraus folgend zu wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umorientierung.<br />

So stand zum Beispiel Ebrach traditionell in enger Beziehung<br />

zu Würzburg, wurde durch die Bahn jedoch mit Bamberg verbunden,<br />

während das früher bambergische Hollfeld durch die Bahn<br />

mit Bayreuth verbunden wurde. Die früheren Reichsstädte Dinkelsbühl<br />

und Rothenburg pflegten durch Postkurse noch enge Kontakte<br />

mit Württemberg, die Eisenbahn machte die Städte zu spät nach<br />

Norden und Osten angeschlossenen bayerischen „Grenzstädten“.<br />

Der Verlauf <strong>der</strong> Bahnlinien und die Lage des Bahnhofs hatten beträchtliche<br />

Auswirkungen auf die räumliche Glie<strong>der</strong>ung und künftige<br />

Entwicklung einer Siedlung. Industrielle Produktionsstätten,<br />

Fabriken und Großhandelsunternehmen <strong>der</strong> verschiedensten Branchen<br />

siedelten sich vorzugsweise in Bahnhofsnähe an. Aufgrund <strong>der</strong><br />

starken Ausweitung des Arbeitsmarktes stiegen die Bevölkerungszahlen<br />

rasch an, was wie<strong>der</strong>um eine Expansion <strong>der</strong> Wohnbebauung<br />

und eine Verdichtung <strong>der</strong> Besiedlung in <strong>der</strong> Nähe von Bahnhöfen<br />

zur Folge hatte. Während in verkehrsgünstig gelegenen Städten<br />

Kaufhäuser und Spezialgeschäfte florierten, gingen in bahnfernen<br />

Orten die Umsätze im Einzelhandel langfristig zurück. In <strong>der</strong> Nähe<br />

von größeren Bahnstationen wurden bald auch Behörden und Bildungseinrichtungen<br />

von überlokaler Bedeutung begründet o<strong>der</strong><br />

ausgebaut. Die Ausweitung <strong>der</strong> Verkehrs-, Gewerbe-, Behörden- und<br />

Wohnanlagen bewirkte eine Reduktion <strong>der</strong> landwirtschaftlich genutzten<br />

Fläche.<br />

Eisenbahnknotenpunkte boten beson<strong>der</strong>e Standortvorteile. Welch<br />

große Bedeutung <strong>der</strong> Erschließung des Landes durch die Eisenbahn<br />

zukam, wird an den großen Eisenbahnknotenpunkten München,<br />

Nürnberg und Augsburg deutlich. Am stärksten wuchs die Landeshauptstadt<br />

München, sie überflügelte bald alle an<strong>der</strong>en bayerischen<br />

Städte. Insgesamt verlagerte sich die Bevölkerung mehr und mehr<br />

von den ländlichen in die aufstrebenden städtischen Gemeinden.<br />

War ein Anschluss an das Bahnnetz bis in die zwanziger Jahre des<br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>ts eine existenzielle Frage für jede Gemeinde, so verän<strong>der</strong>te<br />

sich dies mit dem Aufkommen des Automobilverkehrs. Den<br />

großen gesamtwirtschaftlichen Vorteil <strong>der</strong> früh an das Hauptbahnnetz<br />

angeschlossenen Orte konnten bahnferne Gemeinden jedoch<br />

bis heute nicht aufholen.<br />

Von <strong>der</strong> „Eisenbahnzeit“<br />

zur Mitteleuropäischen Zeit<br />

Die Entwicklung Deutschlands im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t war insgesamt<br />

geprägt von <strong>der</strong> Vereinheitlichung verschiedener Faktoren des wirtschaftlichen<br />

und gesellschaftlichen Alltags. Dieser Vorgang begleitete<br />

und för<strong>der</strong>te das Zusammenwachsen <strong>der</strong> einzelnen Territorien seit<br />

<strong>der</strong> Gründung des Deutschen Zollvereins 1834. Die Eisenbahn leistete<br />

aus betrieblichen Notwendigkeiten heraus einen wichtigen Beitrag<br />

auf dem Weg zum kleindeutschen Nationalstaat. Als großräumig<br />

agierendes Transportunternehmen brauchte sie einheitliche Maße<br />

und Gewichte und eine einheitliche Währung. Ein beson<strong>der</strong>es Problem<br />

war die Zeit. Bis 1892 gab es keine allgemeingültigen Zeitangaben<br />

in Deutschland, wo die jeweiligen Orts- o<strong>der</strong> Landeszeiten galten.<br />

In den 1850er-Jahren war jede längere Zugfahrt mit ständigem<br />

Regulieren <strong>der</strong> Uhren verbunden. Die zunehmende Verdichtung des<br />

Bahnnetzes und die Notwendigkeit einer überregionalen Fahrplankoordination<br />

machte die Einführung einer einheitlichen Eisenbahnzeit<br />

erfor<strong>der</strong>lich, die sich bald zur verbindlichen Standardzeit entwickelte.<br />

Daneben bestanden aber noch Jahrzehnte lang die Lokalzeiten<br />

weiter. Erst 1893 wurde in Deutschland die Mitteleuropäische Zeit<br />

eingeführt, die große Erleichterungen für alle am Verkehrs- und<br />

Wirtschaftsleben Beteiligten mit sich brachte. Die neue Zeit basierte<br />

auf <strong>der</strong> Zeitzoneneinteilung durch die internationale Standard-Zeitkonferenz<br />

im Jahr 1884.


Der „Gruss aus Weigolshausen“ stellt den Bahnhof und das „Gasthaus zur Eisenbahn“ auf die gleiche Ebene wie<br />

die Kirche. Das im leeren Feld einmontierte Wappen <strong>der</strong> unterfränkischen Gemeinde zeigt in Rot ein silbernes<br />

Eisenbahnrad, das auf die große Bedeutung <strong>der</strong> Eisenbahn und <strong>der</strong> Schweinfurter Industrie für die Entwicklung<br />

des Ortes hinweist. Die Gemeinde war seit 1854 an die Hauptlinie Schweinfurt-Würzburg angeschlossen,<br />

doch erst die beson<strong>der</strong>s für den Güterverkehr wichtige Werntalbahn nach Gemünden machte Waigolshausen<br />

1879 zum Eisenbahnknotenpunkt.<br />

E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

„Es ist höchste Eisenbahn!“ Eisenbahn, Fahrplan und exakte<br />

Zugabfahrts- und Ankunftszeiten gehören untrennbar<br />

zusammen. Im Idealfall konnte man nach <strong>der</strong> Eisenbahn die<br />

Uhr stellen und bis heute sind Bahnhofsuhren, wie hier am<br />

Münchner Hauptbahnhof, die weithin sichtbaren Zeitmesser.<br />

Der hier gezeigte „Winterfahrplan 1889/90 <strong>der</strong> königl.<br />

bayer. Staats-Eisenbahnen“ enthält praktischerweise auch<br />

einen Jahreskalen<strong>der</strong>, wobei beson<strong>der</strong>s zu erwähnen ist,<br />

dass neben den christlichen auch die jüdischen Feiertage<br />

darin aufgelistet sind.<br />

81


82 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

mit Der eisenbahn<br />

ins inDustrieZeitaLter<br />

Die Eisenbahngeschichte ist untrennbar mit <strong>der</strong> Industrialisierung<br />

verbunden. Für den Bau und Betrieb von Eisenbahnen<br />

benötigte man Eisen – in erster Linie für Schienen<br />

und Lokomotiven, aber auch für viele an<strong>der</strong>e Bau- und Betriebsbereiche.<br />

Für die Eisengewinnung war Kohle erfor<strong>der</strong>lich; Kohle war<br />

aber auch unentbehrlich für den Betrieb von Lokomotiven, von<br />

Dampfmaschinen in den verschiedensten Produktionsbereichen und<br />

nicht zuletzt als Heizmaterial in den wachsenden Städten. So war es<br />

naheliegend auch die heimische Kohle zu nutzen. Erst durch den Anschluss<br />

an das Bahnnetz wurde <strong>der</strong> Abbau <strong>der</strong> oberbayerischen Kohle<br />

in Miesbach und <strong>Haus</strong>ham, in Penzberg und Peißenberg lohnend.<br />

Die Eisenbahn brachte den entscheidenden Schub im Einsatz von<br />

Dampfmaschinen und damit für die Industrialisierung. Um von <strong>der</strong><br />

Einfuhr von Eisen und Maschinen aus dem Ausland unabhängig zu<br />

werden, entstand durch den großen Einsatz von Persönlichkeiten aus<br />

Technik, Wirtschaft und Politik in wenigen Jahrzehnten auch in Bayern<br />

die erfor<strong>der</strong>liche Infrastruktur.<br />

Ein hervorragendes Beispiel für einen Unternehmer <strong>der</strong> frühen Industrialisierung<br />

ist <strong>der</strong> Münchner Josef Anton von Maffei (1790–1870),<br />

<strong>der</strong> ein weit verzweigtes Firmenimperium aufbaute. Maffei war 1835<br />

Gründungsmitglied <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> Hypotheken- und Wechsel-Bank,<br />

1834 Besitzer einer Papiermühle, 1841 Erbauer des Hotels Bayerischer<br />

Hof in München und 1837 Mitbegrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> München-Augsburger<br />

Eisenbahngesellschaft. Auch als Mitglied <strong>der</strong> Kammer <strong>der</strong> Abgeordneten<br />

setzte er sich für den Eisenbahnbau ein. 1838 kaufte er eine noch<br />

mit Wasserkraft betriebene Hammerschmiede mit Walzwerk in <strong>der</strong><br />

Hirschau in München und baute sie mit anfangs 160 Arbeitern und<br />

einem technischen Direktor aus England zu einer Fabrik für Lokomotiven<br />

und an<strong>der</strong>e Maschinen aus. Die erste in Bayern hergestellte Lokomotive<br />

wurde von König Ludwig I. „Der Münchner“ getauft.<br />

Neben dem Lokomotivenbau war Maffei in weiteren Bereichen tätig.<br />

1846 gründete er eine Werft für Dampfschiffe in Regensburg, <strong>der</strong><br />

1859 eine Eisenbrückenabteilung angeglie<strong>der</strong>t wurde (Brücken für<br />

die Ostbahn; 1859: 300 Arbeiter). 1853 wurde Maffei Hauptaktionär<br />

<strong>der</strong> Eisenwerk-Gesellschaft Maximilianshütte bei Haidhof, zu <strong>der</strong> ab<br />

1859 auch die Maxhütte bei Rosenberg gehörte. Außerdem besaß er<br />

ein Gut mit Torfstichen im Gebiet <strong>der</strong> Osterseen, an dem später die<br />

Bahnlinie nach Penzberg vorbeiführte. 1931 wurde die Maffei’sche<br />

Fabrik mit <strong>der</strong> 1866 gegründeten Lokomotivfabrik Krauss vereinigt;<br />

das Unternehmen nannte sich seit 1940 „Krauss-Maffei AG“.<br />

Weitere bedeutende Industrielle des jungen Industriezeitalters waren<br />

Theodor von Cramer-Klett (1817–1884), Rudolf Diesel (1858–1913) und<br />

Heinrich von Buz (1833–1918), die Väter <strong>der</strong> Maschinenfabrik Augsburg-<br />

Nürnberg (MAN, seit 1898), <strong>der</strong> Pionier <strong>der</strong> schwäbischen Textilindustrie<br />

Karl Ludwig Forster (1788–1877), <strong>der</strong> Augsburger Papierfabrikant<br />

Georg Haindl (1816–1878), <strong>der</strong> fränkische Bleistiftfabrikant Lothar von<br />

Faber (1817–1896), <strong>der</strong> Pionier <strong>der</strong> Aschaffenburger Papier- und Zellstoffindustrie<br />

Philipp Dessauer (1837–1900), die Schweinfurter Kugellagerfabrikanten<br />

Engelbert Fries (1861–1946), Karl Fichtel (1863–1911)<br />

und Ernst Sachs (1867–1932), Karl von Linde (1842–1934), <strong>der</strong> Erfin<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Ammoniak-Kältemaschine und Begrün<strong>der</strong> von Linde’s Eismaschinen<br />

AG in München (1879) – die Reihe ließe sich noch lange fortsetzen.<br />

Das heute in <strong>der</strong> Nachfolgefirma<br />

MAN Nutzfahrzeuge AG/Motoren<br />

in Nürnberg befindliche Gemälde<br />

von Eugen Napoleon Neureuther<br />

aus dem Jahr 1858 beleuchtet den<br />

Boom des Industriezeitalters: Die<br />

Ansicht <strong>der</strong> Cramer-Klett`schen<br />

Fabrik vor dem Wöhr<strong>der</strong> Tor in<br />

Nürnberg ist in eine kulissenartige<br />

Szenerie getaucht, die einerseits<br />

realistische Einsichten in Werkshallen<br />

gibt (links unten eine<br />

Waggonfabrikation), an<strong>der</strong>erseits<br />

in ihrer allegorisch-romantischen<br />

Darstellungsweise die Arbeit in <strong>der</strong><br />

Fabrik ins Heroische idealisiert.


Und auch hier das<br />

Zusammenwirken von<br />

Industrie und Bahnhof<br />

mit dem Bergwerk in<br />

Peißenberg.<br />

Welch großes Wachstum gerade <strong>der</strong> industrielle Maschinenbau in<br />

Bayern erlebte, zeigen die Beschäftigtenzahlen: 1847 waren es erst<br />

etwa 1000 Menschen, 1882 gut 6500 und 1907 fast 35500.<br />

Neue chemisch-technische Erkenntnisse im Brauwesen und <strong>der</strong><br />

Kältetechnik bildeten seit den 1870er-Jahren die Basis für die industrielle<br />

Organisation <strong>der</strong> Münchner Großbrauereien als Aktiengesellschaften.<br />

Als Pionier des mo<strong>der</strong>nen Brauwesens gilt Gabriel<br />

Sedlmayr (1811–1891). München überflügelte bald alle an<strong>der</strong>en<br />

Brauereistandorte in Bayern, Böhmen und Österreich. Münchner<br />

Bier wurde weltweit zum Begriff.<br />

München, Nürnberg, Augsburg, Schweinfurt – das sind die bekannten<br />

Industriestandorte Bayerns, doch auch abseits <strong>der</strong> großstädtischen<br />

Verdichtungsräume gibt es Orte, <strong>der</strong>en Entwicklung untrennbar<br />

mit dem Anschluss an das Eisenbahnnetz verbunden ist.<br />

Hier nur wenige Beispiele:<br />

Die Maxhütte –<br />

eine Schienenfabrik für Bayern<br />

Mit Beginn des Bahnbaus in Bayern setzte eine immense Nachfrage<br />

nach den dafür notwendigen Eisenprodukten ein. Obwohl <strong>der</strong> für<br />

den Transport von Massengütern – Roheisen, Kohle, Holz – unabdingbare<br />

unmittelbare Bahnanschluss noch fehlte, wurde im Sauforst<br />

zwischen Haidhof und Burglengenfeld 1851/53 die Eisenwerk-Gesellschaft<br />

Maximilianshütte gegründet. Entscheidend für die Standortwahl<br />

waren die Braunkohlelager im Sauforst. Das Schienenwalzwerk<br />

sollte von Lieferungen aus dem Ausland unabhängig machen<br />

Die neuesten technischen Entwicklungen fanden große Aufmerksamkeit<br />

bei den jährlichen Landesausstellungen. Die Privatganzsache von Bayern<br />

zeigt die auf <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> Jubiläums-Landes-Ausstellung Nürnberg<br />

1906 präsentierte 2`B2`-Lok, Baureihe S 2/6 <strong>der</strong> Firma Maffei, von <strong>der</strong> nur<br />

ein Exemplar gebaut wurde, das sich heute im Verkehrsmuseum Nürnberg<br />

befindet. Die am 3. Mai 1906 in Betrieb genommene Lokomotive stellte<br />

am 2. Juli 1907 mit 154,6 km/h einen Geschwindigkeitsweltrekord auf.<br />

E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Eine Werkslokomotive<br />

auf dem Gelände<br />

<strong>der</strong> Riedinger`schen<br />

Maschinenfabrik in<br />

Augsburg.<br />

und bildete eine wichtige Voraussetzung für die schon laufenden und<br />

noch bevorstehenden Bahnbauten in Bayern. 1859 sicherte sich die<br />

Gesellschaft durch den Erwerb <strong>der</strong> Sulzbacher Erzgruben die Erzzulieferung<br />

für die Stahlproduktion. Im selben Jahr wurde die Bahnlinie<br />

Nürnberg—Amberg—Regensburg eröffnet, die den Massentransport<br />

des Erzes zwischen Sulzbach und Haidhof entscheidend erleichterte.<br />

Nach <strong>der</strong> Eröffnung <strong>der</strong> Strecke Schwandorf—Furth im Wald 1861/62<br />

war auch die Kohlezufuhr aus Böhmen gesichert. Beim Dorf Rosenberg<br />

b. Sulzbach wurden 1864/65 zwei neue mo<strong>der</strong>ne Hochöfen<br />

errichtet; weitere Werksvergrößerungen folgten. Die Maxhütte Sulzbach-Rosenberg<br />

entwickelte sich zum bedeutendsten Hüttenstandort<br />

Süddeutschlands mit bis zu 10000 Beschäftigten (Stilllegung 2002).<br />

Ein weiteres Beispiel ist Kolbermoor. Die <strong>Geschichte</strong> des Ortes ist<br />

engstens verbunden mit <strong>der</strong> Erschließung des Mangfalltals durch<br />

die Eisenbahnlinie München—Rosenheim 1857. Mit <strong>der</strong> Eröffnung<br />

des Haltepunkts Kolbermoor 1859 begann die Industrialisierung im<br />

torf- und holzreichen Kolbermoos. Um die 1860 gegründete und bis<br />

1993 betriebene Baumwollspinnerei entwickelte sich die rasch wachsende<br />

Industriegemeinde Kolbermoor.<br />

Ebenfalls in enger Verbindung mit <strong>der</strong> Eisenbahn steht die <strong>Geschichte</strong><br />

von Kirchseeon. Die am Ebersberger Forst gelegene Siedlung entstand<br />

erst nach einer Naturkatastrophe 1889, bei <strong>der</strong> ein Großteil <strong>der</strong><br />

umliegenden ausgedehnten Waldungen dem Nonnenfraß zum Opfer<br />

fiel. Zur Verarbeitung des anfallenden Holzes errichteten die <strong>Bayerischen</strong><br />

Staatseisenbahnen 1889/90 ein großes Schwellenwerk, das<br />

sich zum Dorf Kirchseeon, dem Mittelpunkt <strong>der</strong> schnell wachsenden<br />

Industriegemeinde, entwickelte (seit 1959 Markt).<br />

Die Qualität <strong>der</strong> Schienen war entscheidend für die Verkehrssicherheit.<br />

Die Maxhütte arbeitete ständig an <strong>der</strong> Qualitätsverbesserung.<br />

Das Patent auf die „verschleißfeste Schiene“ stammt<br />

aus dem Jahr 1926; die Maxhütte warb dafür in einer Broschüre<br />

(wohl 1930er-Jahre). Schienen <strong>der</strong> Maxhütte waren auf dem<br />

internationalen Markt sehr gefragt, sie fanden beispielsweise<br />

beim U-Bahnbau in New York Verwendung.<br />

83


84 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

strukturwanDeL<br />

in Der LanDwirtschaFt<br />

In <strong>der</strong> ersten Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts waren Landwirtschaft<br />

und Viehzucht in weiten Teilen Bayerns die Haupterwerbszweige.<br />

We<strong>der</strong> im Ackerbau noch in <strong>der</strong> Viehzucht wurde handelsorientiert<br />

produziert. Die Deckung des eigenen und lokalen<br />

Bedarfs stand im Vor<strong>der</strong>grund. Der Handel auf lokaler Ebene war<br />

rege. Von verkehrsmäßig wenig erschlossenen Gebieten aus waren<br />

größere städtische Absatzmärkte nur schwer zu erreichen. Auch die<br />

allgemeinen Produktionsbedingungen verhin<strong>der</strong>ten eine zum Export<br />

motivierende Überschussproduktion.<br />

Erst die Verkehrserschließung durch die Eisenbahn und damit die Erleichterung<br />

und Beschleunigung des Transports führte langfristig zu<br />

einer Intensivierung <strong>der</strong> landwirtschaftlichen Produktion, die sich mit<br />

<strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Kühltechnik noch verstärkte. Die verschiedensten<br />

landwirtschaftlichen Erzeugnisse wie Getreide, Kartoffeln, Vieh, Milch,<br />

Butter, Käse, Eier und Geflügel konnten neuen Absatzmärkten, vor<br />

allem den wachsenden Industriestädten, zugeführt werden.<br />

Getreide wurde durch die Eisenbahn beliebig verkehrsfähig. Der<br />

Handel mit Getreide spielte sich immer weniger auf dem öffentlichen<br />

Gütertransport – ohne Bahn keine Ware: Die Mälzerei Seitz aus Deggendorf<br />

schickt am 29. August 1917 gebrauchte leere Jutesäcke mit einem<br />

Gewicht von 150 kg nach Gevelsberg-Haufe in Westfalen; die Fracht wird<br />

in Plattling, Gemunden, Kalk und Hagen umgeladen und kommt nach<br />

rund 10 Tagen beim Empfänger an.<br />

Markt, dafür zunehmend im Büro des Großhändlers ab. Die Eisenbahn<br />

ermöglichte die Ansammlung großer Gütermengen in zentral<br />

gelegenen Lagerhäusern, <strong>der</strong>en Verkauf nicht an bestimmte Markttermine<br />

gebunden war. Bisher war die Nachfrage stets dem Angebot<br />

voraus. Durch die Eisenbahn nahm das Angebot stark zu, überholte<br />

die Nachfrage und drückte den Preis, denn neue Erzeugungsgebiete,<br />

die USA, Kanada, Russland, Argentinien, drängten auf den Markt.<br />

Die europäische Landwirtschaft ging durch diese Konkurrenz einer<br />

Krise entgegen.<br />

Auch <strong>der</strong> Viehhandel erhielt in <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

neue Strukturen. Das traditionelle Verbot, Vieh außerhalb <strong>der</strong><br />

Märkte zu verkaufen, wurde aufgehoben. Händler und Metzger kauften<br />

Vieh zunehmend direkt bei den Bauern. Schlachthöfe wurden die<br />

neuen Viehhandelszentren. Mit den Fortschritten <strong>der</strong> Kühltechnik<br />

nahm <strong>der</strong> Fleischversand ganz neue Dimensionen an.<br />

Die Eisenbahn spielte eine wichtige Rolle bei <strong>der</strong> Entwicklung des<br />

Allgäus zum bedeutendsten Milchwirtschaftsgebiet Süddeutschlands.<br />

Zentrale Figur war <strong>der</strong> Molkereifachmann und Politiker Carl<br />

Ein beson<strong>der</strong>er Transport: ein „leben<strong>der</strong> Jagdhund“ mit einem Gewicht<br />

von 70 kg und dem Vermerk „Beschleunigtes Eilgut“ geht am 16 Juli<br />

1917 von Großeibstadt nach Gevelsberg-Haufe in Westfalen.


Hirnbein (1807–1871). Schon 1830 gründete er eine Weichkäserei in<br />

Wilhams. Er führte Zuchtvieh aus <strong>der</strong> Schweiz ein, erwarb im Allgäu<br />

Sennereien und Län<strong>der</strong>eien im großen Stil und wurde zum größten<br />

Milchaufkäufer. Die immense Nachfrage nach Milch führte dazu,<br />

dass <strong>der</strong> traditionelle Flachsanbau im Allgäu von extensiver Vieh-<br />

und Weidewirtschaft abgelöst wurde. Hirnbein war Mitinitiator <strong>der</strong><br />

Bahn Ulm—Kempten (1862/63), die dem Sennereinetzwerk neue<br />

Absatzmärkte erschloss. Auch die Anfänge des Allgäuer Tourismus<br />

sind mit seinem Namen verbunden. Hirnbein erbaute das erste Hotel<br />

in den Allgäuer Alpen, das 1855 eröffnete Grüntenhaus, das bequem<br />

von <strong>der</strong> Bahnstation Immenstadt aus zu erreichen war.<br />

Die Eisenbahn begünstigte auch den Anbau neuer Feldfrüchte<br />

wie <strong>der</strong> Zuckerrüben. Die Zuckerfabriken waren für die Heranschaffung<br />

<strong>der</strong> Rüben, Kohlen und an<strong>der</strong>er Materialien und den<br />

Abtransport <strong>der</strong> Zuckererzeugnisse und <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Landwirtschaft<br />

als Futtermittel geschätzten Rübenabfälle auf die Eisenbahn angewiesen.<br />

Allein zwischen 1898 und 1908 stieg in Bayern <strong>der</strong> Bahntransport<br />

von Zuckerrüben um 300 Prozent, von Zucker um 360<br />

Prozent an.<br />

Die Eisenbahn för<strong>der</strong>te auch den seit den fünfziger Jahren des 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts zunehmenden Einsatz von Ackergeräten und Maschinen.<br />

In mehreren bayerischen Städten wie Augsburg, Sonthofen,<br />

Altötting, Lauingen, Günzburg entstanden Landmaschinenfabriken,<br />

die zur Belieferung ihres Kundenkreises auf die Eisenbahn<br />

angewiesen waren. Die Verwendung von Landmaschinen war aber<br />

weiterhin von <strong>der</strong> Besitzgrößenstruktur und den allgemeinen Voraussetzungen<br />

wie <strong>der</strong> Bodengüte abhängig. So war zum Beispiel<br />

<strong>der</strong> nie<strong>der</strong>bayerische Gäuboden bei landwirtschaftlichen Innovationen<br />

an<strong>der</strong>en, weniger begünstigten Regionen immer weit voraus.<br />

Auch für die Einführung <strong>der</strong> Mineraldüngung war die Eisenbahn<br />

eine unabdingbare Voraussetzung. Nur ein auf Massengütertransport<br />

eingerichtetes Transportmittel ermöglichte den Einsatz von Thomasphosphat,<br />

Ammoniak und Kalisalzen auf breiter Basis. Durch<br />

die langfristige Bodenverbesserung konnten auch anspruchsvollere<br />

Pflanzen o<strong>der</strong> Produkte, die <strong>der</strong> Markt nachfragte, wie Zuckerrüben,<br />

angebaut werden. Noch 1906 waren Lothringen, das Saarrevier und<br />

die Regierungsbezirke Merseburg und Thüringen die wichtigsten<br />

Bezugsgebiete für Düngemittel. 1908 wurde das erste große deutsche<br />

Kalkstickstoffwerk, die Bayerische Stickstoffwerke AG im bayerischen<br />

Trostberg, gegründet. Bald kamen Produktionsstätten im<br />

Tal <strong>der</strong> Alz (Hart, Schalchen) hinzu; Wasserkraftwerke lieferten die<br />

nötige Energie. Hier liegen die Anfänge des bayerischen Chemie-<br />

Dampfsägewerk, „Electr.<br />

Zentrale“ und Bahnhofsanlagen<br />

– damit war das<br />

Sägewerk in Stadtlauringen<br />

in <strong>der</strong> Lage, seine<br />

Erzeugnisse weiter in die<br />

Region transportieren zu<br />

lassen (und dem Herausgeber<br />

<strong>der</strong> Ansichtskarte<br />

sei die „Wahlfahrtskapelle“<br />

verziehen!).<br />

E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

dreiecks. Die 1891 eröffnete Stichbahn Traunstein—Trostberg wurde<br />

1910 in Richtung Garching a. d. Alz an die seit 1908 durchgehende<br />

Strecke Mühldorf—Freilassing angebunden. Die Strecke München—<br />

Mühldorf—Freilassing ist aber bis heute nur eingleisig und nicht<br />

elektrifiziert, wodurch sich langfristig erhebliche Standortrisiken für<br />

die Industrie im Chemiedreieck Burghausen-Burgkirchen/Gendorf-<br />

Trostberg ergeben.<br />

Auch im Bereich <strong>der</strong> Viehzucht war die Bahn nicht ohne Wirkung.<br />

Mit <strong>der</strong> Eisenbahn konnte Schlachtvieh ohne Gewichtsverluste zum<br />

Konsumenten gelangen. Die durch die billigen Getreideimporte beeinträchtigten<br />

landwirtschaftlichen Betriebe stellten sich auf Viehmast<br />

um. Mit <strong>der</strong> Zunahme <strong>der</strong> Rin<strong>der</strong>zucht ging die Schafhaltung<br />

zurück, Wolle wurde zum Importartikel. Zugleich konnte Zuchtvieh<br />

auch in weiter entfernte Gebiete transportiert werden. Auf diese Weise<br />

trug die Eisenbahn seit Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts auch entscheidend<br />

zur Rassenbereinigung in <strong>der</strong> Viehzucht bei.<br />

Die Eisenbahn –<br />

„Hauptschädiger“ <strong>der</strong> Landwirtschaft?<br />

Seit den 1880er- und 90er-Jahren wurde die Eisenbahn und damit<br />

<strong>der</strong> Staat von vielen Seiten für die Schwierigkeiten <strong>der</strong> deutschen<br />

Landwirtschaft verantwortlich gemacht. Fritz Bachmeier bezeichnete<br />

in seiner Schrift „Angenehmere Landwirtschaft“ 1895 die Eisenbahn<br />

als „Hauptschädiger des deutschen Bodengewerbes“ und begründete<br />

dies mit vier Argumenten:<br />

„1. Sobald <strong>der</strong> Bahnbau in einer Gegend begonnen hatte, stellte sich<br />

<strong>der</strong> früher unbekannte Mangel an Dienstboten und ländlichen Arbeitern<br />

ein; rasch stiegen sowohl die Löhne, als auch die Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

an teuerere Kost, insbeson<strong>der</strong>e an Vermehrung <strong>der</strong> Getränke ...<br />

2. Die Eisenbahnen rentierten in manchen Län<strong>der</strong>n sich nicht in<br />

<strong>der</strong> Höhe des Zinsfußes <strong>der</strong> Staatsschulden und mußten deshalb die<br />

Steuern um die Fehlbetragsquote erhöht werden. Hierdurch wurde<br />

die Landwirtschaft beson<strong>der</strong>s getroffen, da sie ja bisher die Hauptsteuerquelle<br />

war ...<br />

3. Die Steigerung des Zinsfußes durch die in Folge <strong>der</strong> vielen Staatsanleihen<br />

vermehrte Nachfrage nach Kapital schädigte selbstverständlich<br />

auch alle damals schon mit Schulden behafteten Landwirte.<br />

4. Der Hauptschlag aber, welchen die Eisenbahnen <strong>der</strong> Landwirtschaft<br />

versetzen, ist die Herbeiziehung <strong>der</strong> übermächtigen Konkurrenz<br />

frem<strong>der</strong> Län<strong>der</strong>, welche jedenfalls noch ein halbes Menschenalter<br />

andauern wird, bis diese Län<strong>der</strong> auch mit Industrie gesättigt sind,<br />

85


86 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Das als Vorlage für eine Ansichtskarte gefertigte Aquarell zeigt den Verlauf<br />

<strong>der</strong> Eisenbahnstrecke in Trostberg mit den Brücken im Vor<strong>der</strong>grund<br />

und dem Bahnhof ganz in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Stickstoffwerke (links).<br />

was beson<strong>der</strong>s im Land <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Wun<strong>der</strong>, in Amerika allerdings<br />

in vielleicht unerwartet kurzer Zeit <strong>der</strong> Fall sein wird.“<br />

Um die Jahrhun<strong>der</strong>twende wurde <strong>der</strong> Arbeitskräftemangel in <strong>der</strong><br />

Landwirtschaft vielfach beklagt. Georg Ernst bemerkte 1907 dazu:<br />

„Früher war <strong>der</strong> Eisenbahndienst verpönt, gewissermaßen gefürchtet,<br />

zur Zeit aber trachtet je<strong>der</strong> Bauernknecht unter die schwarze Mütze<br />

zu kommen.“ Freiherr von Schnurbein kritisierte in <strong>der</strong> Kammer <strong>der</strong><br />

Reichsräte am 11. April 1910, es sei „in den letzten Jahren ... öfter vorgekommen,<br />

daß während <strong>der</strong> Heu- und namentlich während <strong>der</strong> eigentlichen<br />

Ernte ... auf den Bahnstrecken 24- bis 37jährige Arbeiter nichts<br />

Besseres zu tun hatten als die Schienen auszugrasen“. In <strong>der</strong> Hoffnung<br />

auf Abhilfe stellte man For<strong>der</strong>ungen an den Staat, wie: „Der Staat sollte<br />

angewiesen werden, einen ledigen Burschen unter 30 Jahren nicht anzunehmen.<br />

Nach <strong>der</strong> Militärzeit läuft alles zur Bahn. Diese Arbeiten<br />

gehören ... den verheirateten Arbeitern, nicht aber den ledigen.“ (Ein<br />

Bauer aus dem Bezirksamt Dachau, zit. nach Georg Ernst.) Verlangt<br />

wurde auch, den Bahnbediensteten und Bahnbauarbeitern niedrigere<br />

Löhne zu zahlen. Das für die Staatsbahnen zuständige Staatsministerium<br />

des Königlichen <strong>Haus</strong>es und des Äußern ging darauf nicht ein; es<br />

erklärte sich nur bereit, die Bahnunterhaltungsarbeiten während <strong>der</strong><br />

Erntezeit auf das Notwendigste zu beschränken (Bayerisches Hauptstaatsarchiv,<br />

Verkehrsarchiv 4717, 21. August 1900).<br />

Die Problematik für die Landwirtschaft lag insgesamt darin, dass<br />

man einerseits auf die Eisenbahn mit ihren Verkehrserleichterungen<br />

und Transportverbilligungen angewiesen war, an<strong>der</strong>erseits entzogen<br />

gerade die Lokalbahnen erst für den Bau, dann für den ständigen<br />

Betrieb landwirtschaftliche Arbeitskräfte. Der Arbeitskräftemangel<br />

trieb zu Rationalisierung und wurde zum Hauptmotiv für den verstärkten<br />

Einsatz von Landmaschinen.<br />

Die neue, im Stadtosten unmittelbar an <strong>der</strong> Bahn gelegene Zuckerfabrik Regensburg<br />

wurde 1899 gegründet und 2008 stillgelegt. Die Zuckerfabriken<br />

Ochsenfurt, Rain und Plattling sind jünger (gegründet 1951/57/61). (Die<br />

Abbildung von 1913 ist entnommen aus: Die Industrie <strong>der</strong> Oberpfalz in Wort<br />

und Bild, hg. v. d. Handelskammer Regensburg, Regensburg 1914, S. 91)<br />

Das Zuckerrübenfeld von Johann Eggerstorfer<br />

in Oberzeitldorn im Landkreis Straubing.<br />

Vor allem in Krisenzeiten kam <strong>der</strong> Eisenbahn große Bedeutung in<br />

<strong>der</strong> Tarifgestaltung zu. Durch Festsetzung von Son<strong>der</strong>tarifen, die die<br />

Verfrachtung landwirtschaftlicher Produkte begünstigten, konnte<br />

die Eisenbahn positiv auf den Agrarsektor einwirken. Ausnahmetarife<br />

und Tarifermäßigungen wurden eingeführt: 1888 für Torfstreu,<br />

1889 für Zuchtvieh, 1892 für Milchsendungen, 1893 für Getreide-<br />

und Mühlenprodukte zur Ausfuhr über deutsche Seehäfen, 1894 für<br />

Düngemittel, 1896 für Zuchtkälber in Kisten und Almweidevieh,<br />

1898 für Gerste und Zuckerrüben. Seit 1893 galt ein Notstandstarif<br />

für Futtermittel wie Kleie, Treber, Kartoffeln, Ölsaaten, Heu und<br />

Stroh. Durch die Gestaltung <strong>der</strong> Frachttarife konnten die internationalen<br />

Konkurrenzverhältnisse beeinflusst, großräumige Mo<strong>der</strong>nisierungsmaßnahmen,<br />

zum Beispiel ein Saatwechsel, beschleunigt und<br />

neue landwirtschaftliche Organisationsformen entscheidend gestützt<br />

werden.<br />

Gerade für den Aufbau des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens,<br />

dem seit <strong>der</strong> Agrarkrise <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>twende eine wichtige<br />

Rolle zufiel, war die Eisenbahn grundlegende Voraussetzung. Die<br />

Raiffeisenvereine gingen seit den 1890er-Jahren immer mehr zum<br />

genossenschaftlichen Bezug von Dünge-, Futtermittel, Saatgetreide,<br />

Sämereien, Maschinen, Brennmaterial und auch zum genossenschaftlichen<br />

Warenabsatz über. In Bahnhofsnähe wurden große Lagerhäuser<br />

errichtet. Den Endstationen von Stichbahnen kam in diesem Zusammenhang<br />

beson<strong>der</strong>e Bedeutung zu, da sie als Übergangspunkte<br />

von einem min<strong>der</strong>wertigen (Fuhrwerk) zu einem höherwertigen Verkehrsmittel<br />

(Bahn) zu Umschlagplätzen landwirtschaftlicher Erzeugnisse<br />

mit beson<strong>der</strong>s großem Einzugsgebiet wurden.


eisenbahn unD PersonenVerkehr:<br />

mobiLität Für jeDermann<br />

Im Bahnhotel – hier bei Hans Schinkinger in Mühldorf – lässt es sich gut wohnen.<br />

Wie die Eisenbahn den Güterverkehr revolutionierte, so<br />

verän<strong>der</strong>te sie auch den Personenverkehr ganz grundlegend.<br />

Reisen wurde einfacher, schneller, bequemer und<br />

billiger. Allen Bevölkerungsschichten erwuchsen langfristig ganz neue<br />

Möglichkeiten in <strong>der</strong> Lebensgestaltung, in <strong>der</strong> Wahl des Berufs, des<br />

Arbeitsplatzes, auf dem Bildungssektor und bei Privatreisen. Auch<br />

größere Entfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz konnten<br />

mit <strong>der</strong> Bahn täglich zurückgelegt werden; die Zahl <strong>der</strong> Pendler stieg<br />

rasch an. Durch wirtschaftliche Zwänge sehen sich viele Menschen<br />

heute mehr denn je dazu gezwungen, Teile ihrer Lebenszeit auf unwirtlichen<br />

Bahnsteigen und in vollen Zügen zu verbringen.<br />

Die Eisenbahn leistete einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung<br />

des Reisens, das nicht länger einer kleinen Oberschicht vorbehalten<br />

war, wenn auch die Eisenbahnwaggons nach Komfort und Preis erst<br />

in vier, dann drei und heute zwei Klassen gestuft sind. Im Eisenbahnverkehr<br />

liegen die Anfänge des Massentourismus. Bahnstationen wurden<br />

zu regelrechten Ausflugszielen mit florieren<strong>der</strong> Gastronomie. Das<br />

E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

stille, bislang kaum bekannte Dörfchen Lochhausen nordwestlich von<br />

München war 1839 für einige Monate Endstation <strong>der</strong> München-Augsburger<br />

Bahn. Ein Zeitgenosse berichtet: „Damit ging ein glücklicher<br />

Stern auf für Lochhausen, das überrascht und freudetrunken täglich<br />

Hun<strong>der</strong>te von Hauptstädtern ankommen sah, die die Eisenbahn hatten<br />

probiren wollen. Die Frequenz hat allerlei abgesetzt; ein solcher<br />

Nie<strong>der</strong>schlag ist zum Beispiel <strong>der</strong> schmucke Wirthshauspavillon von<br />

Holz rechts <strong>der</strong> Bahn und das mächtige Belve<strong>der</strong>e gleichen Stoffes zu<br />

seiner Seite, eigens erbaut, damit die früher angekommenen Münchner<br />

den später daher rollenden entgegensehen können.“ Ein beliebtes<br />

Ziel für die Münchner war seit 1854 <strong>der</strong> Starnberger See, dessen reizvolle<br />

Umgebung seit langem von den bayerischen Kurfürsten und<br />

Königen und seit Anfang des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts auch von begüterten<br />

Bürgern und Künstlern hoch geschätzt wurde. Der Bodensee mit Lindau<br />

war schon seit 1853/54 mit <strong>der</strong> Bahn zu erreichen. Die Erschließung<br />

<strong>der</strong> bayerischen Alpen, des Allgäus, des <strong>Bayerischen</strong> Waldes und<br />

des Fichtelgebirges für den Tourismus folgte erst später. Sonthofen<br />

87


88 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

erhielt 1873 einen Bahnhof, Oberstdorf und Berchtesgaden erst 1888,<br />

Garmisch und Partenkirchen 1889. Die hochalpine Zugspitzbahn zwischen<br />

Garmisch und dem Schneefernerhaus wurde 1929/30 eröffnet.<br />

Mit dem Bahnverkehr stiegen die Gästezahlen überall rasch an.<br />

Auch <strong>der</strong> Chiemgau mit seinen landschaftlichen Reizen wurde ein<br />

beliebtes Feriengebiet. Prien war seit 1860 Station an <strong>der</strong> Linie München—Rosenheim—Salzburg.<br />

Zu einer Touristenattraktion entwickelte<br />

sich nach dem Tod König Ludwigs II. (1886) das Schloss Herrenchiemsee,<br />

das durch die nur etwa zwei Kilometer lange und in zwei<br />

Monaten 1887 fertig gestellte private Chiemseebahn Prien—Stock mit<br />

Anschluss an die Chiemseeschifffahrt bestens erreichbar war. Die noch<br />

heute betriebene Dampfbahn steht seit 1980 unter Denkmalschutz.<br />

Die neuen Möglichkeiten <strong>der</strong> Eisenbahn hatten aber auch ihre Schattenseiten.<br />

Mit den wachsenden Beför<strong>der</strong>ungskapazitäten ergaben sich<br />

neue Dimensionen <strong>der</strong> Kriegführung; schnelle Truppen- und Materialtransporte<br />

über weite Entfernungen verän<strong>der</strong>ten die Kampfbedingungen<br />

seit Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts entscheidend. Verwundete und<br />

Kriegsgefangene wurden per Bahn beför<strong>der</strong>t. Das dunkelste Kapitel<br />

<strong>der</strong> deutschen <strong>Geschichte</strong>, <strong>der</strong> Betrieb von Vernichtungslagern für Juden<br />

und an<strong>der</strong>e „volksschädliche“ Personenkreise in <strong>der</strong> Zeit des Nationalsozialismus<br />

wäre ohne die Eisenbahn und ihre Viehtransportwägen<br />

nicht durchführbar gewesen.<br />

Auch soll nicht vergessen werden, dass die Eisenbahn – wie alle Technik<br />

– nicht vollkommen ist. Die Tragik von Eisenbahnunglücken lässt<br />

niemanden unberührt. Dass Menschen, die freiwillig aus dem Leben<br />

scheiden wollen, in <strong>der</strong> Eisenbahn dazu eine Möglichkeit sehen, ist ein<br />

weiteres dunkles Kapitel. Das Eisenbahnunglück bei Hochzoll/Augsburg<br />

vom 29. Oktober 1908 fand Wi<strong>der</strong>hall in mehreren Fotografien, die als<br />

Postkarte erschienen, wie hier die in <strong>der</strong> Graph. Anstalt H. Winckler,<br />

Augsburg, herausgegeben Karte.<br />

Kaum etwas könnte das Ende<br />

<strong>der</strong> bayerischen Staatseisenbahn<br />

besser dokumentieren als dieser<br />

Dienstbrief, <strong>der</strong> aus Würzburg an<br />

den Regierungsbaurat Langen in<br />

Berlin ging: Fein säuberlich sind<br />

die Worte „Bayer. Staats …“ durchgestrichen<br />

und mit „Reichs…“<br />

ersetzt – und selbst den Plural hat<br />

<strong>der</strong> gewissenhafte Beamte korrigiert:<br />

Aus den „Königlich <strong>Bayerischen</strong><br />

Staatsbahnen“ wurde die<br />

„Deutsche Reichsbahn“.<br />

Mit den beliebten Reklamemarken stellte <strong>der</strong> Bayerische Verkehrsbeamtenverein<br />

die Bahn in ihrem besten Licht dar: Eine beson<strong>der</strong>s schön gestaltete<br />

Serie zeigt verschiedene Motive aus dem Eisenbahnwesen, hier eine mit<br />

Volldampf durch die Gebirgslandschaft brausende Lokomotive sowie eine<br />

wan<strong>der</strong>lustige Familie, die offenbar gerade mit dem Zug aus <strong>der</strong> Stadt<br />

angekommen ist, um im Gebirge eine Wan<strong>der</strong>ung anzutreten, neugierig<br />

beäugt von einer Einheimischen in Berchtesgadner Trachtenjacke, die an<br />

eine in den Jugendstil gewendete Kirchgängerin Wilhelm Leibls erinnert.<br />

Mit dieser Postkarte, die einen Sanitätszug des Internationalen Roten<br />

Kreuzes zeigt, <strong>der</strong> Kriegsverwundete abtransportiert, warb das bayerische<br />

Landeskomitee um Spenden für die „Freiwillige Krankenpflege im<br />

Kriege“.


mythos eisenbahn<br />

Die Eisenbahn, eine zentrale Thematik <strong>der</strong> politischen<br />

und wirtschaftlichen Diskussion seit den 1830er-Jahren,<br />

und die alle Sinne erfassende Faszination <strong>der</strong> ersten von<br />

Dampflokomotiven bewegten Züge fanden vielfach Nie<strong>der</strong>schlag in<br />

<strong>der</strong> zeitgenössischen Publizistik. Beson<strong>der</strong>s Karikaturen vermitteln<br />

die Bandbreite <strong>der</strong> Empfindungen von ungläubigem Staunen und<br />

überschwänglicher Begeisterung bis zu realen Gefahren bei Bahnfahrten<br />

und diffusen Ängsten vor dem eisernen Ungetüm. Mit <strong>der</strong><br />

Zeit und Raum revolutionierenden Neuerung und <strong>der</strong> Atmosphäre<br />

auf Bahnhöfen und in Zügen beschäftigten sich Schriftsteller, Maler,<br />

Fotografen und Filmschaffende ausgiebig. Die Eisenbahn ist eine<br />

vielschichtige Metapher in <strong>der</strong> gesamten Kunst.<br />

Faszinierende Eisenbahnwelten<br />

Die Eisenbahn fasziniert Menschen vom Kleinkind bis ins hohe Alter.<br />

Über viele Generationen war „Lokomotivführer“ <strong>der</strong> Traumberuf<br />

für Buben. „Wir haben alle mal Lokomotivführer werden wollen<br />

… Uns lockte das Vor- und Rückwärtsfahren, das Bremsen, das Hantieren<br />

an den Hebeln, das Herumsteigen auf <strong>der</strong> Lokomotive während<br />

<strong>der</strong> Fahrt (dieses beson<strong>der</strong>s!), das Pfeifen, das Rangieren und<br />

Von Spitzweg bis Graffiti. Die Eisenbahn als Motiv in <strong>der</strong> Kunst umfasst<br />

nahezu alle Genres – von <strong>der</strong> realistischen Darstellung einer revolutionären<br />

Technik bis zur allegorisch-symbolhaften Überhöhung als Metapher<br />

für die Unaufhaltsamkeit <strong>der</strong> Zeit, für Vergänglichkeit und Tod. Die<br />

zeitgenössische Graffitikunst wie<strong>der</strong>um nutzt Eisenbahn und Bahnhofsgelände<br />

als „Malgrundlage“ – ohne das Eisenbahnwesen scheint <strong>der</strong><br />

Siegeszug <strong>der</strong> Graffitikunst kaum denkbar. Links ein seit einiger Zeit auf<br />

E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

das Sausen durch die Nacht … Um den Lokomotivführer ist Gemütlichkeit,<br />

trotz Schnelligkeit und genauer Zeit. Es hängt ihm noch ein<br />

Rest <strong>der</strong> Bie<strong>der</strong>meierstimmung an, aus <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> ersten Lokomotive,<br />

als Herren mit Zylin<strong>der</strong>n hinter turmhohen Schornsteinen die<br />

zauberhafte Maschine bedienten.“ (Walter Foitzick, 1942)<br />

Ungezählt sind die <strong>Geschichte</strong>n von Eisenbahnen, von personifizierten<br />

Lokomotiven – am bekanntesten wohl die Lokomotive<br />

Emma mit ihren Freunden Lukas dem Lokomotivführer und Jim<br />

Knopf. Seit dem Aufkommen <strong>der</strong> Eisenbahn gibt es Spielzeugeisenbahnen<br />

in den unterschiedlichsten Materialien und Ausführungen.<br />

Sie waren für Generationen die großen Favoriten in <strong>der</strong> Spielzeugwelt.<br />

Für Modelleisenbahnen begeistern sich nicht nur Kin<strong>der</strong>, vor<br />

allem <strong>der</strong>en Väter zeigen großes Engagement in <strong>der</strong> Anlage und im<br />

Ausbau von Miniatur-Eisenbahnwelten. Auch von Ministerpräsident<br />

Horst Seehofer ist bekannt, dass er zu den begeisterten Modelleisenbahnern<br />

gehört. Vielerorts haben sich Eisenbahnfreunde in Vereinen<br />

zusammengeschlossen, um ihrem Hobby in geselliger Form nachzugehen.<br />

Sie pflegen die Eisenbahngeschichte, veranstalten Fahrten mit<br />

historischen Zügen, restaurieren alte Dampfloks o<strong>der</strong> treffen sich bei<br />

Modellbahnbörsen.<br />

EMMa MagEs<br />

einer Mauer kurz vor dem Münchner Hauptbahnhof befindliches Piece;<br />

HCCB steht wohl für “High Capacity Color Barcode” – ein Strichcode von<br />

Microsoft. Und wohl vom selben Sprayer stammt das nicht weit entfernt<br />

an <strong>der</strong> gegenüberliegenden Seite <strong>der</strong> Bahnstrecke befindliche „Logo“ <strong>der</strong><br />

bayerischen Daily-soap „Dahoam ist dahoam“ – ein liebevoll verziertes<br />

Lebkuchenherz.<br />

89


90 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Paul Klee: München Hauptbahnhof II, 1911 (Fe<strong>der</strong>/Papier auf Karton, 9,1 x 19,6 cm); Zentrum Paul Klee, Bern<br />

Carl Spitzweg, Gnom, Eisenbahn<br />

betrachtend, um 1848, Öl/Holz<br />

(Zigarrenkistendeckel), fränkischer<br />

Privatbesitz.<br />

Das im Jahr 2008 vom Auktionshaus<br />

Ketterer angebotene<br />

eigenwillige Motiv zeigt einen<br />

Gnom, <strong>der</strong> – aus sicherem Abstand<br />

– eine vorbei dampfende<br />

Eisenbahn beobachtet. Der Gnom<br />

(in <strong>der</strong> ausgeführten Form sind<br />

es zwei) symbolisiert die „alte“<br />

Welt; er betrachtet aus sicherem<br />

Abstand die „neue Zeit“, die mit<br />

<strong>der</strong> dahinbrausenden Eisenbahn<br />

herankommt. Die Entmythologisierung<br />

<strong>der</strong> Welt – so scheint<br />

es das Fabelwesen zu sehen – ist<br />

wohl nicht mehr aufzuhalten.


Wassily Kandinsky, Eisenbahn bei Murnau, auch genannt ‚Murnau – Aussicht mit Eisenbahn und<br />

Schloss’, Sommer 1909 (GMS 9, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München)<br />

E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

91


92 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

„Promotionsvisualisierung“: Diese Zeichnung (Filzstift/gelochtes Endlospapier, 107 x 21cm)<br />

des damals siebenjährigen Florian Schilhabel ist 1983 entstanden, während seine Mutter die<br />

Promotionsarbeit von Emma Mages „Eisenbahnbau, Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft in <strong>der</strong><br />

südlichen Oberpfalz“ auf <strong>der</strong> Schreibmaschine schrieb.<br />

LITERATUR<br />

AUSSTELLUNGSKATALOGE<br />

Aufbruch ins Industriezeitalter, 4 Bde., hg. von Claus Grimm, hier bes. Bd.<br />

4: Führer durch die Ausstellung zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte<br />

Bayerns von 1750–1850 in Augsburg, München 1985 (Veröffentlichungen<br />

zur bayerischen <strong>Geschichte</strong> und Kultur Nr. 3–6/85)<br />

Ein Jahrhun<strong>der</strong>t unter Dampf. Die Eisenbahn in Deutschland 1835–1919,<br />

2. Aufl., Nürnberg 2009 (<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Eisenbahn in Deutschland. Katalog<br />

zur Dauerausstellung des DB Museums 1)<br />

Leben und Arbeiten im Industriezeitalter. Ausstellung zur Wirtschafts-<br />

und Sozialgeschichte Bayerns seit 1850 in Nürnberg, hg. von Gerhard<br />

Bott, Stuttgart 1985<br />

Weichenstellungen. Eisenbahnen in Bayern 1835–1920, München 2001<br />

(Ausstellungskataloge <strong>der</strong> Staatlichen Archive Bayerns 43)<br />

Zug <strong>der</strong> Zeit – Zeit <strong>der</strong> Züge. Deutsche Eisenbahn 1835–1985, 2 Bde.,<br />

Berlin 1985<br />

WEITERE LITERATUR<br />

Amedick, Sigrid: Männer am Schienenstrang. Sozialgeschichte <strong>der</strong><br />

unteren bayerischen Eisenbahnbeamten 1844–1914, Stuttgart 1997<br />

(Industrielle Welt 57)<br />

Bartelsheim, Ursula: Versailles auf Rä<strong>der</strong>n. Ludwig II. und sein Hofzug,<br />

Nürnberg 2009 (Objektgeschichten aus dem DB Museum 1)<br />

Bayerischer Geschichtsatlas, hg. von Max Spindler, Redaktion: Gertrud<br />

Diepol<strong>der</strong>, München 1969 (Karte 39a und S. 109–111, Bearbeiter G.<br />

Wenisch)<br />

Gall, Lothar/Pohl, Manfred (Hg.): Die Eisenbahn in Deutschland. Von den<br />

Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999<br />

Glaser, Hermann: Kulturgeschichte <strong>der</strong> Deutschen Eisenbahn, Gunzenhausen<br />

2009<br />

Glaser, Hermann: Maschinenwelt und Alltagsleben. Industriekultur in<br />

Deutschland vom Bie<strong>der</strong>meier bis zur Weimarer Republik, Frankfurt 1981<br />

Handbuch <strong>der</strong> bayerischen <strong>Geschichte</strong>. Bd. IV: Das Neue Bayern. Von<br />

1800 bis zur Gegenwart, begr. von Max Spindler, 2. Aufl. neu hg. von Alois<br />

Schmid: 1. Teilband: Staat und Politik, München 2003; 2. Teilband: Innere<br />

Entwicklung und kulturelles Leben, München 2007 (bes. Beiträge von<br />

Wilhelm Volkert und Rainer Gömmel)<br />

Knauß, Hans: Halb Fabrik, halb historischer Palast. Bahnhöfe in Bayern<br />

– Zur Entwicklung eines Bautypus, in: Unser Bayern. Heimatbeilage <strong>der</strong><br />

<strong>Bayerischen</strong> Staatszeitung 34/7 (1985), S. 52–54<br />

Liebl, Anton J.: Die Privateisenbahn München-Augsburg (1835–1844).<br />

Entstehung, Bau und Betrieb. Ein Beitrag zur Strukturanalyse <strong>der</strong> frühen<br />

Industrialisierung Bayerns, München 1982 (Miscellanea Bavarica Monacensia<br />

103)<br />

Lobenhofer-Hirschbold, Franziska: Fremdenverkehr (von den Anfängen<br />

bis 1945), in: Historisches Lexikon Bayerns, S. 1–10, URL: (15. Oktober 2009)


Lohmann, Fritz: Die Entwicklung <strong>der</strong> Lokalbahnen in Bayern, Leipzig 1901<br />

(Wirtschafts- und Verwaltungsstudien mit beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung<br />

Bayerns 11)<br />

Löwenstein, Theodor: Die bayerische Eisenbahnbaupolitik bis zum Eintritt<br />

Deutschlands in die Weltwirtschaft 1825 bis 1890, Diss. Frankfurt am Main<br />

1926, Teildruck Berlin 1927<br />

Luth, Kosmas: Der Bau <strong>der</strong> bayerischen Eisenbahnen rechts des Rheines,<br />

München/Leipzig 1883<br />

Mages, Emma: Eisenbahnbau, Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft in<br />

<strong>der</strong> südlichen Oberpfalz (1850–1920), Kallmünz 1984 (Regensburger<br />

Historische Forschungen 10)<br />

Mages, Emma: „… mit Dampfesflügeln auf <strong>der</strong> Eisenstraße fahren …“ 150<br />

Jahre Eisenbahn im Regensburger Land, in: Regensburger Land 2 (2009),<br />

S. 45–62<br />

Mages, Emma: „…um Wohl und Wehe für alle Zeiten“. Zum 150-jährigen<br />

Jubiläum <strong>der</strong> Eisenbahn im Landkreis Amberg-Sulzbach, in: Der Eisengau<br />

32 (2009), S. 6–36<br />

Marggraff, Hugo: Die königlich bayerischen Staatseisenbahnen in<br />

geschichtlicher und statistischer Beziehung. Gedenkschrift zum 50. Jahrestag<br />

<strong>der</strong> Inbetriebsetzung <strong>der</strong> 1. Staatsbahnstrecke Nürnberg-Bamberg<br />

am 1. Oktober 1844, München 1894<br />

Ringsdorf, Ulrich Otto: Der Eisenbahnbau südlich Nürnbergs 1841–1849.<br />

Organisatorische, technische und soziale Probleme, Diss. Würzburg 1977,<br />

Nürnberg 1978 (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte<br />

24)<br />

E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />

Schäfer, Hans-Peter: Die Entstehung des mainfränkischen Eisenbahn-<br />

Netzes, Teil 1: Planung und Bau <strong>der</strong> Hauptstrecken bis 1879, Würzburg<br />

1979 (Würzburger Geographische Arbeiten 48)<br />

Schweizer, Karl: 150 Jahre Eisenbahn im Landkreis Lindau, in: Jahrbuch<br />

des Landkreises Lindau 18 (2003), S. 9–38<br />

Sendner-Rieger, Beatrice: Die Bahnhöfe <strong>der</strong> Ludwig-Süd-Nord-Bahn<br />

1841–1853, zur <strong>Geschichte</strong> des bayerischen Staatsbauwesens im 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t, Karlsruhe 1989<br />

Weigelt, Horst: Bayerische Eisenbahnen. Vom Saumpfad zum Intercity,<br />

Stuttgart 1982<br />

Witt, Günther: Die Entstehung des nordostbayerischen Eisenbahnnetzes,<br />

politische, wirtschaftliche und verkehrsgeographische Motive und Probleme,<br />

Diss. Erlangen-Nürnberg 1968<br />

Zeitler, Walther: Eisenbahnen in Nie<strong>der</strong>bayern und <strong>der</strong> Oberpfalz. Die<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Eisenbahn in Ostbayern, 2. Aufl., Amberg 1997<br />

Zeitler, Walther/Hufschläger, Helge: Die Eisenbahn in Schwaben 1840 bis<br />

heute. <strong>Geschichte</strong>, Betrieb, Technik, Stuttgart 1980<br />

93


94 K R A u S S & C o m p.<br />

Lokomotivfabrik Krauss & Comp. mit <strong>der</strong> festlich geschmückten 1000. Lokomotive, 1882<br />

LokomotiVen Für aLLe sPurweiten<br />

Die Münchner Lokomotivfabrik Krauss & Comp.


Georg Krauß, Fotografie, 1901<br />

Als Georg Krauß am 17. Juli 1866<br />

den Gründungsvertrag <strong>der</strong> Lokomotivfabrik<br />

„Krauss & Comp.“ unterzeichnete,<br />

befuhren Dampflokomotiven<br />

aus deutscher Produktion bereits 25 Jahre<br />

lang das Schienennetz des Zollvereins. Borsig<br />

in Berlin, Maffei in München, Kessler in<br />

Karlsruhe, Egestorff in Hannover, Henschel<br />

in Kassel und Hartmann in Chemnitz – alle<br />

diese Lokomotivbauunternehmen <strong>der</strong> ersten<br />

Stunde hatten schon 500 und mehr Maschinen<br />

geliefert, als <strong>der</strong> Newcomer Krauß<br />

sich in das hart umkämpfte Geschäft wagte.<br />

Weniger wohlmeinende Zeitgenossen unkten<br />

bereits über die Aussichtslosigkeit eines<br />

solchen Unterfangens, als Krauß mit einem<br />

Paukenschlag alle Zweifler zum Verstummen<br />

brachte: Auf <strong>der</strong> Weltausstellung in Paris im<br />

April 1867 erhielt die „Landwührden“, seine<br />

erste in München gefertigte Lokomotive, die<br />

Große Goldene Medaille – die höchste Auszeichnung.<br />

Sie war nach einer neuen Bauart<br />

konstruiert, die nun als „System Krauß“ allgemeine<br />

Anerkennung fand.<br />

diEsER ERfolg waR hart erarbeitet.<br />

Der damals 41-jährige Krauß war kein<br />

akademisch gebildeter Maschinenbauingenieur.<br />

1826 in Augsburg als Sohn eines<br />

Webermeis ters geboren, besuchte er nach<br />

Volks- und Gewerbeschule die Polytechnische<br />

Schule seiner Heimatstadt. An<strong>der</strong>thalb<br />

Jahre verbrachte er als Volontär<br />

in <strong>der</strong> Lokomotivfabrik von Joseph Anton<br />

von Maffei in München. Dann arbeitete er<br />

sich bei den Königlich <strong>Bayerischen</strong> Staatseisenbahnen<br />

vom Lokführer zum Obermaschinisten<br />

und zum Bahnbetriebsleiter<br />

in Kempten und Lindau hoch. Während<br />

dieser Jahre erwarb Krauß ein qualifiziertes<br />

Fachwissen in <strong>der</strong> Lokomotivtechnik. 1857<br />

wechselte er als Maschinenmeister zur Züricher<br />

Nord-Ost-Bahn, <strong>der</strong> größten Eisenbahngesellschaft<br />

<strong>der</strong> Schweiz. Dort konnte<br />

er seine Fähigkeiten als Maschinenbauer<br />

erstmals unter Beweis stellen. 1864 betraute<br />

ihn die Direktion mit dem Bau neuer Lokomotiven,<br />

die er ganz nach seinen Ideen<br />

gestaltete.<br />

K R A u S S & C o m p.<br />

Die erste Lokomotive <strong>der</strong> Firma Krauss, die „Landwührden“, 1867<br />

Münchner Dampfstraßenbahn mit Krauss-Lokomotive am Stiglmaierplatz,<br />

1885<br />

diE loks solltEn über wenig Eigengewicht,<br />

aber doch über große Zugkraft<br />

verfügen. Krauß löste die Aufgabe durch<br />

die Einführung <strong>der</strong> Kastenbauweise für das<br />

Fahrgestell <strong>der</strong> Maschine. Die Kastenform<br />

bewirkte eine Verschlankung <strong>der</strong> Konstruktion<br />

bei erhöhter Stabilität und senkte die<br />

Materialkosten. Das eingesparte Gewicht<br />

erlaubte größere, leistungsfähigere Kessel.<br />

Außerdem konnte <strong>der</strong> Rahmen zugleich als<br />

Wasserbehälter genutzt werden. Eine flexible<br />

Regulierung <strong>der</strong> Wassermenge gestattete die<br />

Anpassung des Lok-Gewichts an die jeweiligen<br />

Witterungs- und Steigungsverhältnisse<br />

und bewirkte eine optimale Schienenhaftung.<br />

EndE 1864 BautE Krauß für seinen<br />

Schweizer Arbeitgeber die vierte Lokomotive.<br />

Damals fasste er den Entschluss,<br />

Zürich zu verlassen und sich in München<br />

unternehmerisch selbstständig zu machen.<br />

Schwieriger als gedacht verlief die Kapitalbeschaffung.<br />

Georg Krauß selbst verfügte<br />

95


96 K R A u S S & C o m p.<br />

Urkunde zur Verleihung <strong>der</strong> Fortschrittsmedaille an Krauss & Co. auf <strong>der</strong> Wiener Weltausstellung von 1873<br />

über 40 000 Gulden. Nur mit Mühe gelang<br />

es ihm, Geldgeber für die noch fehlenden<br />

260 000 Gulden zu finden. Verantwortlich<br />

für die Zurückhaltung <strong>der</strong> Investoren war<br />

sein ehemaliger Münchner Arbeitgeber<br />

Maffei. Er versuchte aus Sorge vor unliebsamer<br />

Konkurrenz mit allen Mitteln, Krauß’<br />

Pläne zu durchkreuzen, was aber letztlich<br />

nicht gelang.<br />

aM 9. MäRz 1866 erhielt Krauß von den<br />

Behörden grünes Licht für die Errichtung<br />

seiner Fabrik auf dem Marsfeld unweit des<br />

Münchner Hauptbahnhofs. Am 15. März<br />

1867 verließ die in Paris prämierte „Landwührden“<br />

die Werkshallen. Auf <strong>der</strong> Wiener<br />

Weltausstellung 1873 wurden Krauss-<br />

Lokomotiven mit <strong>der</strong> Fortschrittsmedaille<br />

ausgezeichnet. Für Aufsehen sorgte 1875 die<br />

Eröffnung <strong>der</strong> Uetlibergbahn, als eine von<br />

Krauß gelieferte Lok mehrere Personenwagen<br />

auf den Gipfel des Züricher Aussichtsberges<br />

schob. Auf <strong>der</strong> 10 km langen Strecke<br />

waren Steigungen von bis zu 7,9 Prozent zu<br />

überwinden – eine Leistung, die normalerweise<br />

nur von Zahnradbahnen erbracht<br />

wurde. Die Linie galt als steilste normalspurige<br />

Adhäsionsbahn Europas, was Krauß’<br />

Ansehen weiter steigerte und die Auftragsbücher<br />

füllen half. 1872 wurde die 200., 1882<br />

die 1000., 1888 die 2000. und 1904 die 5000.<br />

Lokomotive ausgeliefert. Der Jahresumsatz<br />

wuchs von 1867 bis 1874 von 0,5 auf 4,1 Millionen<br />

Mark, die Zahl <strong>der</strong> Arbeiter von 198<br />

auf 705. 1872 eröffnete Krauß ein zweites<br />

Werk am Münchner Südbahnhof, 1880 ein<br />

drittes im oberösterreichischen Linz a. d.<br />

Donau.<br />

Ein VoRzug dEs „systEMs kRauss“<br />

lag in seiner flexiblen Verwendung für alle<br />

Maschinengrößen und Spurweiten. Bis zur<br />

Jahrhun<strong>der</strong>twende lieferte die Münchner<br />

Fabrik Lokomotiven mit 106 verschiedenen<br />

Spurmaßen bei einer Leistung von 5 bis<br />

800 PS. Krauß bediente damit vor allem<br />

die wachsende Nachfrage nach Klein- und<br />

Schmalspurlokomotiven. Beim innerbetrieblichen<br />

Materialtransport, in Untertagegruben,<br />

Steinbrüchen o<strong>der</strong> auf Großbaustellen<br />

kamen die als unverwüstlich<br />

geltenden Triebfahrzeuge in Feld- und Industriebahnen<br />

zum Einsatz. Die Hälfte <strong>der</strong><br />

bis 1904 produzierten Maschinen entfiel auf<br />

dieses Segment. Auch im Geschäft mit den<br />

Eisenbahngesellschaften spielte <strong>der</strong> Schmalspursektor<br />

eine große Rolle. Um 1875 waren<br />

die Hauptbahnstrecken überwiegend gebaut.<br />

Nun ging es um die Erschließung des<br />

flachen Landes durch Nebenbahnen.<br />

uM diEsE liniEn rentabel zu betreiben,<br />

mussten die Bau- und Betriebskosten gering<br />

gehalten werden, was mit kostensparenden<br />

Schmalspurbahnen gelang. 43 Prozent <strong>der</strong><br />

von Krauß bis 1904 an Eisenbahngesellschaften<br />

gelieferten Lokomotiven kamen auf<br />

Sekundärstrecken zum Einsatz. Um den Absatz<br />

seiner Loks zu för<strong>der</strong>n, betätigte Krauß


sich als Generalunternehmer für den Bau<br />

von Bahnlinien. In Thüringen errichtete und<br />

betrieb er die 44 km lange „Feldabahn“ –<br />

Deutschlands erste meterspurige Eisenbahn.<br />

In Oberösterreich folgte 1880 die über 61 km<br />

von Linz a. d. Donau nach Klaus führende<br />

„Kremstalbahn“, im elsässischen Colmar<br />

1885 die 25 km lange „Kaysersberger Talbahn“.<br />

1883 eröffnete Krauß in Wien den<br />

Betrieb einer „Dampftramway“ mit einem<br />

42 km umfassenden Schienennetz. Im gleichen<br />

Jahr startete die Münchner Dampfstraßenbahn.<br />

Sie führte vom Starnberger<br />

Bahnhof über den Stiglmaier-Platz nach<br />

Nymphenburg, erreichte mit den von Krauß<br />

gelieferten Loks eine Geschwindigkeit von<br />

16 km/h und blieb bis 1900 in Betrieb. Auch<br />

in Städten Oberitaliens und <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande<br />

fuhren Tramwayloks von Krauß.<br />

tRagEndE säulE dEs Geschäfts war<br />

<strong>der</strong> Export. Über die Hälfte <strong>der</strong> Lokomotiven<br />

ging ins europäische Ausland, nach<br />

Schmuckblatt anlässlich <strong>der</strong> Fertigstellung <strong>der</strong> 3000. Lokomotive, 1894<br />

Asien und Südamerika. Ab 1875 führte die<br />

extreme Konjunkturabhängigkeit des Lokbaues<br />

auch bei Krauß zu tiefen und länger<br />

anhaltenden Umsatzeinbrüchen. Erst ab<br />

1890 setzte erneut ein starkes Wachstum<br />

ein. 1900 war mit 2200 Beschäftigten und<br />

einem Jahresumsatz von 11,7 Millionen<br />

Mark <strong>der</strong> Höhepunkt erreicht. Zu diesem<br />

Zeitpunkt hatte Georg Krauß sich längst aus<br />

dem operativen Geschäft zurückgezogen.<br />

Nachdem sein einziger Sohn Konrad 1885<br />

tödlich verunglückt war, vollzog er 1886 die<br />

Umwandlung des Unternehmens in eine<br />

Aktiengesellschaft und wechselte als Vorsitzen<strong>der</strong><br />

in den Aufsichtsrat. Ein Jahr vor seinem<br />

Tod verlieh die Technische Hochschule<br />

München dem in den Adelsstand erhobenen<br />

Unternehmer 1905 „in Anerkennung seiner<br />

bahnbrechenden Leistungen auf dem Gebiet<br />

des Lokomotivbaus“ die Ehrendoktorwürde.<br />

füR nEuE auftRägE sorgte die beginnende<br />

Elektrifizierung <strong>der</strong> Eisenbahn. 1909<br />

K R A u S S & C o m p.<br />

fertigte das Unternehmen den Fahrzeugteil<br />

<strong>der</strong> ersten bayerischen Elektrolokomotive,<br />

die auf <strong>der</strong> Strecke Murnau—Oberammergau<br />

zum Einsatz kam. Heeresaufträge im Ersten<br />

Weltkrieg und Reparationslieferungen<br />

an die Siegermächte brachten die Produktion<br />

noch einmal in Fahrt. 1923 verließ die 8000.<br />

Lokomotive das neue Werk in München-<br />

Allach. Danach bescherten Überkapazitäten<br />

und die Weltwirtschaftskrise allen Herstellern<br />

rote Zahlen. Dabei kam die „Krauss &<br />

Comp. AG“ noch glimpflich davon. 1931<br />

übernahm sie den schwer angeschlagenen<br />

Münchner Konkurrenten Maffei und ging<br />

als „Krauss-Maffei AG“ gestärkt aus <strong>der</strong> Krise<br />

hervor. Das Ende <strong>der</strong> mit dem Namen<br />

Krauß verbundenen Tradition kam 2001, als<br />

Siemens die Verkehrssparte <strong>der</strong> aufgelösten<br />

Krauss-Maffei AG übernahm. An die Anfänge<br />

erinnert noch heute die „Landwührden“,<br />

Krauß’ preisgekröntes Erstlingswerk, das im<br />

Deutschen Museum bewun<strong>der</strong>t werden kann.<br />

RichaRd winklER<br />

97


98 S T I L L g E L E g T E S T R E C K E n<br />

ein PreLLbock in Der LanDschaFt – stiLLgeLegte strecken<br />

Simbach (Inn)—Kößlarn, ehemalige Einfahrt von Süden in den Bahnhof Tuttling


Kempten Stellwerk I—Kempten (Allgäu) Hauptbahnhof, zwei ehemalige<br />

Illerbrücken <strong>der</strong> ursprünglichen Ludwig-Süd-Nord-Bahn-Trasse zum<br />

1971 abgerissenen Kopfbahnhof. Die linke Holzfachwerkträgerbrücke<br />

wurde von 1852 bis 1904 verwendet und dann durch die rechte Betonbrücke<br />

ersetzt (Aufnahme 1999).<br />

Als die ersten Hauptbahnen voller<br />

Enthusiasmus und oft unter größten<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen gebaut<br />

wurden und als ein halbes Jahrhun<strong>der</strong>t später<br />

das Eisenbahnfieber in den Regionen<br />

zum zweiten Mal ausbrach, dachte wohl<br />

niemand daran, dass die „eisernen Bahnen“,<br />

welche sich zu regelrechten Lebensa<strong>der</strong>n<br />

entwickelt hatten, einmal überflüssig werden<br />

würden. Niemand konnte sich wohl<br />

vorstellen, dass im Lauf einiger Jahrzehnte<br />

fast 150 Strecken und damit ein Drittel des<br />

bayerischen Schienennetzes stillgelegt werden<br />

würde. Es waren zum großen Teil die<br />

Nebenbahnen, welche ungefähr die Hälfte<br />

des Gesamtnetzes ausmachten, die nach und<br />

nach verschwanden, aber auch aufwändig<br />

für zwei Gleise trassierte Hauptbahnlinien,<br />

die teilweise sogar über Grenzen hinweg<br />

Län<strong>der</strong> verbanden und an welche einstmals<br />

große Erwartungen geknüpft waren, fielen<br />

<strong>der</strong> Stilllegung zum Opfer.<br />

Obwohl im Zweiten Weltkrieg fast die Hälfte<br />

aller Bahnanlagen zerstört wurde, waren<br />

Kriegsschäden nur zu einem geringen Teil<br />

und in Bayern nur in einem einzigen Fall<br />

Auslöser für die Stilllegung eines Streckenabschnitts.<br />

So sprengten Angehörige <strong>der</strong><br />

Deutschen Wehrmacht im April 1945 in Kitzingen<br />

die Mainbrücke <strong>der</strong> nach Schweinfurt<br />

führenden Steigerwaldbahn, eine <strong>der</strong><br />

längsten Nebenbahnen in Bayern. Trotz<br />

stetiger Bemühungen <strong>der</strong> Stadt wurde diese<br />

nie wie<strong>der</strong> aufgebaut, sodass die Strecke nur<br />

noch von Norden her befahrbar war.<br />

Bald nach kRiEgsEndE begann eine<br />

Phase intensiven Wie<strong>der</strong>aufbaus <strong>der</strong> zer-<br />

störten Eisenbahnstrecken, wenngleich dies<br />

oft nur mit einfachsten Mitteln und häufig<br />

provisorisch erfolgte: In Schweinfurt wurde<br />

<strong>der</strong> Main 38 Jahre lang mittels einer damals<br />

errichteten Behelfsbrücke überquert! Die<br />

Wie<strong>der</strong>instandsetzung <strong>der</strong> Eisenbahnstrecken<br />

trug zum allmählich einsetzenden wirtschaftlichen<br />

Aufschwung bei. In weiten Teilen<br />

wurde das lahm gelegte Netz befahrbar<br />

gemacht und auch scheinbar unbedeutende<br />

Orte mit weniger als 2 000 Einwohnern,<br />

welche durch Stichbahnen Anschluss an<br />

die weite Welt gefunden hatten, waren nun<br />

wie<strong>der</strong> mit dem Zug erreichbar. Man konnte<br />

mit „seiner“ Bahn nach Heimbuchenthal,<br />

Leupoldsdorf, Rügland-Unternbibert, Alling,<br />

Haidmühle, Obing o<strong>der</strong> Lechbruck<br />

und an die zahlreichen Unterwegsstationen<br />

gelangen.<br />

ungünstig füR dEn foRtBEstand<br />

einer Strecke war bisweilen – abgesehen von<br />

<strong>der</strong> geringen Größe einer Gemeinde – die<br />

Tatsache, dass die Bahnhöfe manchmal relativ<br />

weit außerhalb des Ortes lagen, was in <strong>der</strong><br />

Topografie bzw. Streckenführung begründet<br />

lag (Wallenfels, Heideck, Bad Heilbrunn,<br />

Roßhaupten). Mancherorts konnte man sich<br />

nicht auf einen Bahnhof einigen (Aub-Bal<strong>der</strong>sheim,<br />

Höchstädt-Thierstein, Asch-Lee<strong>der</strong>)<br />

und zuweilen fiel die Entscheidung im<br />

Interesse Einzelner, wie dies schon Ludwig<br />

Thoma in seinem Stück „Die Lokalbahn“ beschrieben<br />

hat: Wegen <strong>der</strong> Ziegelei des Barons<br />

kommt <strong>der</strong> Bahnhof „eine Viertelstunde vor<br />

die Stadt hinaus“. Insgesamt aber verän<strong>der</strong>te<br />

sich das Verkehrswesen in <strong>der</strong> Zeit von Wie<strong>der</strong>aufbau<br />

und Wirtschaftswun<strong>der</strong> grundle-<br />

S T I L L g E L E g T E S T R E C K E n<br />

Gunzenhausen—Nördlingen („Ludwig-Süd-Nord-Bahn“), Formsignale<br />

im Bahnhof Wassertrüdingen (Aufnahme 1995)<br />

gend. Omnibusse und <strong>der</strong> zunehmende Individualverkehr<br />

bedrängten die Bahnen im<br />

Hinblick auf den Personentransport, so wie<br />

die Eisenbahn seinerzeit Kanalbetreibern<br />

und Kutschern Konkurrenz gemacht hatte.<br />

Aber auch Bahnen haben Bahnen verdrängt:<br />

Neue Strecken entwickelten sich zu Konkurrenzlinien,<br />

sodass manche ehemalige Hauptbahn<br />

zur Nebenstrecke herabgestuft o<strong>der</strong><br />

ganz stillgelegt wurde. So war die Strecke<br />

(Pleinfeld—)Gunzenhausen—Nördlingen,<br />

bereits 1848 als Teil <strong>der</strong> Ludwig-Süd-Nord-<br />

Bahn eröffnet, Glied einer Magistrale von<br />

Sachsen in die Schweiz; 1906, als die wesentlich<br />

kürzere Verbindung über Treuchtlingen<br />

nach Donauwörth endgültig fertig gestellt<br />

wurde, hatte sie nur noch lokale Bedeutung,<br />

bis dann <strong>der</strong> Personenverkehr zwischen<br />

Gunzenhausen und Nördlingen 1985 ganz<br />

eingestellt wurde.<br />

häufigER gRund für eine Stilllegung<br />

war die Tatsache, dass eine Strecke bei städtebaulichen<br />

o<strong>der</strong> Straßenbaumaßnahmen<br />

einfach im Weg war. Dies war <strong>der</strong> Fall bei<br />

<strong>der</strong> Verbindung von Berchtesgaden Hauptbahnhof<br />

nach Salzburg Lokalbahnhof; diese<br />

Strecke wurde bereits 1939 trotz hoher Frequentierung<br />

und Rentabilität bis zur Landesgrenze<br />

abgebrochen, weil sie beim Bau <strong>der</strong><br />

Zufahrtsstraße zum Obersalzberg hin<strong>der</strong>lich<br />

war. Auch Wasserbaumaßnahmen musste<br />

manche Bahnlinie weichen: So beschleunigte<br />

<strong>der</strong> Bau des Eixendorfer Stausees den<br />

Untergang <strong>der</strong> Bahnlinie von Bodenwöhr<br />

Nord über Neunburg vorm Wald nach Rötz<br />

in <strong>der</strong> Oberpfalz und verschlang etliche Kilometer<br />

<strong>der</strong> Trasse.<br />

99


100 S T I L L g E L E g T E S T R E C K E n<br />

Neustadt (Aisch) Bahnhof—Demantsfürth-<br />

Ühlfeld, Haltestelle Dachsbach mit hölzernem<br />

Agenturgebäude (Aufnahme 1995)<br />

Bamberg—Scheßlitz, Trasse westlich von Memmelsdorf (Aufnahme 1999)<br />

Haßfurt—Hofheim (Unterfranken), Bahnhof<br />

Königsberg (Bayern) mit Dienstgebäude und<br />

Güterschuppen (Aufnahme 1999)<br />

Gessertshausen—Türkheim (Bayern) Bahnhof („Staudenbahn“), Trasse nördlich von Ettringen (Aufnahme 1995)<br />

Pressath—Kirchenthumbach, Bahnhofsanlagen<br />

Eschenbach (Oberpfalz), im Hintergrund<br />

das Dienstgebäude (Aufnahme 1997)<br />

Sinzing—Alling, Dienstgebäude des Bahnhofs Alling (Aufnahme 2002)


S T I L L g E L E g T E S T R E C K E n<br />

Pilsting—Abzweigstelle Elsenbach/Neumarkt-St. Veit, Relikt einer für zwei Gleise angelegten Brücke südlich von Mamming (Aufnahme 1996)<br />

Mellrichstadt Bahnhof–Fladungen, Bahnhof Nordheim vor <strong>der</strong> Rhön mit Dienstgebäude, Güterschuppen und La<strong>der</strong>ampe (Aufnahme 1999)<br />

101


102 S T I L L g E L E g T E S T R E C K E n<br />

Der preisgekrönte Spielfilm „Wallers letzter Gang“ mit Rolf Euba in <strong>der</strong> Hauptrolle (Buch und Regie: Christian Wagner) ist<br />

literarisch und dokumentarisch zugleich: Er fußt zum einen auf dem Roman „Die Strecke“ von Gerhard Köpf und ist zum<br />

an<strong>der</strong>en inspiriert von akribischen Recherchen an <strong>der</strong> Bahnlinie Isny—Kempten und ausführlichen Interviews mit dem<br />

Streckengeher Anton Kretzler. Die DVD zum Film enthält ausführliche Materialien zur Entstehung des Film, aber auch zur<br />

<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> 1989 endgültig abgebauten Bahnstrecke. (www.wagnerfilm.de)<br />

diE aufgaBE EinER BahnstREckE<br />

erfolgte in den wenigsten Fällen stillschweigend.<br />

Nach intensiven Planungsphasen und<br />

oft hohen finanziellen Aufwendungen <strong>der</strong><br />

betroffenen Gemeinden, <strong>der</strong> feierlichen Einweihung<br />

mit dem Jahrzehnte währenden<br />

Betrieb war die „eigene“ Bahn zu einem<br />

festen Bestandteil des Alltags geworden, mit<br />

<strong>der</strong> man sich stark identifizierte. Dies zeigt<br />

sich auch an den liebevollen Bezeichnungen,<br />

die <strong>der</strong> Volksmund für seine Eisenbahn<br />

fand: „Schäätzer Bockäla“, „Seekuh“, „Falkensteiner<br />

Bockerl“ o<strong>der</strong> „Legauer Rutsch“<br />

sind nur einige Beispiele. Stilllegungspläne<br />

führten häufig zu Protesten in den Gemeinden<br />

und das Ende war eine Inszenierung, die<br />

viel mit <strong>der</strong> Einweihung gemein hatte: Der<br />

letzte planmäßig verkehrende Zug, festlich<br />

geschmückt wie bei <strong>der</strong> Eröffnung, war voll<br />

besetzt wie bei <strong>der</strong> Jungfernfahrt. Im Fall <strong>der</strong><br />

Rötzer Bahn ging <strong>der</strong> Protest so weit, dass<br />

Bürgermeister und Stadtrat ihre Ämter nie<strong>der</strong>legten<br />

und die Regierung <strong>der</strong> Oberpfalz<br />

einen Kommissär entsandte, um die Lage zu<br />

beruhigen.<br />

In <strong>der</strong> Regel wurde zunächst <strong>der</strong> Personenverkehr<br />

auf <strong>der</strong> Bahnstrecke eingestellt und<br />

auf Omnibusverkehr umgestellt; nur auf we-<br />

nigen Strecken blieb ein, meist bescheidener,<br />

Güterverkehr aufrechterhalten; bisweilen<br />

erfährt eine Strecke eine Neubelebung<br />

durch die Veranstaltung touristischer Son<strong>der</strong>fahrten.<br />

Am stärksten war Oberfranken<br />

von <strong>der</strong> Stilllegungswelle betroffen (474,9<br />

Kilometer, 29 Strecken), am wenigsten Mittelfranken<br />

(262,7 Kilometer, 15 Strecken),<br />

obwohl dieser Bezirk 13 Quadratkilometer<br />

größer ist und eine um 600 000 höhere Einwohnerzahl<br />

hat.<br />

Die Gleise <strong>der</strong> stillgelegten Strecken wurden<br />

meist abgebaut, die Trassen kann man aber<br />

vielerorts noch aufspüren, häufig auch begehen,<br />

wenn man sich an alten Landkarten<br />

und Fahrplänen orientiert. Man kann den<br />

Charme unbekannter Orte entdecken, die<br />

Landschaft in sich aufnehmen, den Reiz des<br />

Vergänglichen im Augenblick spüren, aber<br />

auch die einstige kulturelle und verkehrsgeografische<br />

Bedeutung <strong>der</strong> Bahn gerade auf<br />

dem Land erahnen − und seine Gedanken<br />

auch in die Zukunft schweifen lassen. Und<br />

bestimmt würde man sonst nie nach Sameister<br />

und Freßlesreuthe, Wullenstetten und<br />

Witzighausen, Hexenagger und Tettenagger,<br />

Wiesenthau und Pinzberg, Unterleinleiter,<br />

Voccawind, Pflaumheim-Wenigumstadt,<br />

Poppen lauer, Leichendorf und Vincenzenbronn,<br />

Hohe Tanne, Altenplos und Krumme<br />

Fohre, Krummennaab, Kleinschloppen,<br />

Schnabelweis o<strong>der</strong> Knadlarn kommen. Und<br />

wüsste vielleicht gar nicht, dass Königsberg<br />

in Bayern liegt.<br />

diE untERgEgangEnEn schiEnEnwEgE<br />

sind auf die unterschiedlichste Weise<br />

gegenwärtig und durch allerhand Hoch-,<br />

Kunst- und Erdbauten bezeugt. Bis zum<br />

Ende <strong>der</strong> 1990er-Jahre waren immerhin<br />

noch ungefähr 300 Bahnhofsbauten und<br />

500 Brücken erhalten. Völlig untergegangen<br />

ist eine einzige Strecke: ausgerechnet die legendäre<br />

Ludwigsbahn von Nürnberg nach<br />

Fürth, von <strong>der</strong> eine rasante Entwicklung<br />

ihren Anfang genommen hatte. Bis zu ihrer<br />

Stilllegung 1922 hatte sie über 85 Jahre lang<br />

als reiner Inselbetrieb ohne Anschluss an<br />

das bayerische Netz existiert, trotz <strong>der</strong> Konkurrenz<br />

durch die Ludwig-Süd-Nord-Bahn,<br />

welche nach einer Neutrassierung auch<br />

Fürth berührte, und trotz einer direkt daneben<br />

liegenden zweigleisigen elektrischen<br />

Straßenbahn.<br />

Ob Relikte früherer Bahnstrecken erhalten<br />

bleiben und welcher Nutzung sie zugeführt


werden, ist sehr unterschiedlich: Eine vor<br />

über 110 Jahren stillgelegte Linie in Nie<strong>der</strong>bayern<br />

(Perkam—Abzweigstelle Atting)<br />

weist noch mächtige Erdbauten und den<br />

ehemaligen Bahnhof von Pilling auf, welcher<br />

als solcher allerdings nicht mehr zu<br />

erkennen ist und als Bauernhof genutzt<br />

wird. Deggendorfs erstes Stationsgebäude<br />

im Ortsteil Fischerdorf, vor über 130 Jahren<br />

wegen einer Streckenverlegung aufgegeben,<br />

ist gut erhalten und dient heute als Wohnhaus,<br />

während die Trasse in Fel<strong>der</strong>n völlig<br />

aufgegangen ist. Dagegen gibt es Linien, die<br />

wesentlich später stillgelegt wurden, von<br />

denen aber kein einziges Empfangsgebäude<br />

mehr vorhanden ist.<br />

So präsentieren sich diese Zeugnisse des Industriezeitalters<br />

in sehr unterschiedlichen<br />

Zuständen. Es gibt romantisch anmutende<br />

Trassenüberreste ohne Überbauung durch<br />

Siedlungen o<strong>der</strong> Bereinigung von Fluren;<br />

melancholisch stimmende Schottertrassen,<br />

morsche Schwellen, rostige Schienen, funktionslose<br />

Signale, vergessene Waggons und<br />

verlassene Gebäude; schwer zu erkennende<br />

Einschnitte und Erhebungen, Schneisen<br />

durch Wäl<strong>der</strong>, charakteristischen Bewuchs,<br />

Feldwege und Straßen, welche sich dem Eisenbahnarchäologen<br />

mit entsprechendem<br />

Gespür und manches Mal nur mithilfe von<br />

Zeitzeugen erschließen. Das Ende <strong>der</strong> Strecke<br />

o<strong>der</strong> ihren Anfang markieren häufig <strong>der</strong><br />

symbolträchtige Prellbock, zwischen Schienen<br />

gekreuzte Schwellen, die Haltscheibe<br />

o<strong>der</strong> das Gleisende ... Oft findet man auch<br />

zu Radwan<strong>der</strong>wegen ausgebaute Trassen,<br />

allein in Bayern hun<strong>der</strong>te Kilometer, wobei<br />

man <strong>der</strong> ursprünglichen Streckenführung<br />

teilweise nur auf einzelnen Abschnitten bis<br />

zu Landkreis- o<strong>der</strong> Gemeindegrenzen folgen<br />

kann.<br />

ManchE ungEnutztE stREckE blieb<br />

aber auch im ursprünglichen Zustand erhalten,<br />

sie wird „vorgehalten“ und nur die<br />

Vegetation bemächtigt sich ihrer und lässt<br />

sie „verkrauten“. Hintergrund sind meist<br />

potenzielle Militärtransporte o<strong>der</strong> die Hoff-<br />

nung auf eine Wie<strong>der</strong>inbetriebnahme. Die<br />

grenzüberschreitende Linie vom oberfränkischen<br />

Selb-Plößberg nach Asch (Böhmen)<br />

beispielsweise, ursprünglich Teil <strong>der</strong><br />

Pachtbahn von Oberkotzau (bei Hof) nach<br />

Eger – in den 1970er- und 1990er-Jahren<br />

zur Nebenbahn zurückgestuft (während <strong>der</strong><br />

tschechische Teil bis heute den Status einer<br />

Hauptbahn hat) – könnte je<strong>der</strong>zeit wie<strong>der</strong> in<br />

Betrieb genommen werden und die Regionen<br />

<strong>der</strong> beiden Nachbarlän<strong>der</strong> verknüpfen.<br />

Es gibt auch Strecken, die funktionstüchtig<br />

bleiben für einen vereinfachten Betrieb o<strong>der</strong><br />

sogar elektrifiziert und hauptbahnmäßig<br />

ausgebaut werden wie die Verbindung Waigolshausen—Wernfels,<br />

die als Abkürzung<br />

für den Güterverkehr von Schweinfurt nach<br />

Gemünden dient. Auf manchen Strecken,<br />

beispielsweise in Mellrichstadt—Fladungen<br />

o<strong>der</strong> Ebermannstadt—Behringersmühle,<br />

findet in den Sommermonaten ein nostalgischer<br />

Museumszugverkehr statt.<br />

In Bayern wurde im Jahr 1995 mit <strong>der</strong> Auflassung<br />

<strong>der</strong> unterfränkischen Nebenbahn<br />

von Haßfurt nach Hofheim, an welcher<br />

übrigens das bayerische Königsberg liegt,<br />

die Welle <strong>der</strong> Stilllegungen gebannt. Ob das<br />

Ende dieses „Rückbaus“ endgültig o<strong>der</strong> nur<br />

vorläufig ist, bleibt abzuwarten.<br />

nuR diE allERwEnigstEn <strong>der</strong> stillgelegten<br />

Bahnen sind jemals wie<strong>der</strong> in Betrieb<br />

genommen worden. So wurden bald<br />

nach dem Mauerfall und <strong>der</strong> Öffnung <strong>der</strong><br />

Grenzen von Mellrichstadt und Neustadt<br />

bei Coburg 1991 zwei Verbindungen nach<br />

Thüringen (Rentwertshausen und Sonneberg)<br />

wie<strong>der</strong> eröffnet sowie die mit 0,0 Kilometern<br />

kürzeste aller Strecken von Bayerisch<br />

Eisenstein nach Böhmisch Eisenstein<br />

reaktiviert; die deutsch-tschechische Grenze<br />

verlief mitten durch das seit 1878 bestehende<br />

gemeinschaftliche Dienstgebäude, über<br />

Gleise und Bahnsteige – <strong>der</strong> trennende Zaun<br />

wurde abgebaut und so wie<strong>der</strong> ein durchgehen<strong>der</strong><br />

Verkehr nach Pilsen ermöglicht. Von<br />

den rein innerbayerischen Strecken hat man<br />

nur zwei wie<strong>der</strong> belebt. 1994 wurde <strong>der</strong> Ab-<br />

S T I L L g E L E g T E S T R E C K E n<br />

„Zug ist hier schon lange keiner mehr durchgekommen.<br />

Die Bahnhöfe verfallen, die Wartehäuschen sind windschief, die Bahnsteige verkommen …<br />

keine Anschlusszüge mehr. Irgendwo liegt ein Kursbuch herum,<br />

<strong>der</strong> Wind spielt mit den knisternden Seiten …“<br />

(Gerhard Köpf, Die Strecke)<br />

schnitt Mühldorf (Inn)—Wasserburg (Inn)<br />

Bahnhof <strong>der</strong> Linie nach Rosenheim neuerlich<br />

in Betrieb genommen, auf welchem <strong>der</strong><br />

Verkehr seit 1985 geruht hatte, nachdem<br />

die Fahrgäste einige Jahre lang vor <strong>der</strong> für<br />

Züge gesperrten 150 Meter langen Innbrücke<br />

bei Jettenbach aussteigen und diese zu<br />

Fuß überqueren mussten, um dann wie<strong>der</strong><br />

zur Fortsetzung <strong>der</strong> Fahrt in einen an<strong>der</strong>en<br />

Triebwagen einzusteigen. Die von <strong>der</strong> Deutschen<br />

Bahn geplante Stilllegung war vom<br />

Bund nicht befürwortet worden, vor allem<br />

auch aus militärstrategischen Gründen, und<br />

so konnte nach <strong>der</strong> Sanierung zweier Brücken<br />

die 1876 als Hauptbahn eröffnete Linie<br />

von Mühldorf nach Rosenheim wie<strong>der</strong><br />

durchgängig befahren werden. Außerdem<br />

wurde <strong>der</strong> erst 1952 eingerichtete Personenverkehr<br />

auf <strong>der</strong> oberbayerischen „Kurzstrecke“<br />

Hörpolding—Traunreut, welcher über<br />

40 Jahre geruht hatte, 2006 wie<strong>der</strong> aufgenommen<br />

und bietet seitdem einen attraktiven<br />

Fahrplan.<br />

Die Reaktivierungsversuche stillgelegter Bahnen<br />

in Bayern sind über private Planungen<br />

und Machbarkeitsstudien, wie im Fall des<br />

traditionsreichen Süd-Nord-Bahnabschnitts<br />

von Gunzenhausen nach Nördlingen, bisher<br />

nicht hinausgekommen. Dass sich so manche<br />

Gemeinde wie<strong>der</strong> einen Bahnanschluss<br />

wünscht, steht auf einem an<strong>der</strong>en Blatt und<br />

in vielen Fällen ist <strong>der</strong> letzte Zug sicherlich<br />

für immer abgefahren. Es gibt zwar Busse<br />

(nicht immer) und (schon längst) das Auto,<br />

aber vielleicht hätte man lieber mit <strong>der</strong> Bahn<br />

o<strong>der</strong> sogar nur wegen <strong>der</strong> Bahn an manchen<br />

Ort fahren wollen.<br />

wilfRiEd ERnst hölzlER<br />

NB: Wilfried Ernst Hölzler ist <strong>der</strong> wohl beste<br />

Kenner <strong>der</strong> 152 stillgelegten Eisenbahnlinien<br />

in Bayern, die er sich auf über 3000 km „ergangen“<br />

und mit seiner Spiegelreflexkamera<br />

in atmosphärisch dichten Bil<strong>der</strong>n dokumentiert<br />

hat. In seinem Buch „Gehen, wo man<br />

nicht mehr fahren kann“ (Buchloe 2007, ISBN<br />

978-3-927781-37-5) setzt er den Strecken in<br />

Schwaben ein Denkmal.<br />

103


104 b A h n h o f A S C h A f f E n b u R g<br />

bahnhoF aschaFFenburg: 4 aktionen<br />

Die Installation GÖTTERBOTE des Künstlers Udo Breitenbach<br />

– zu sehen 2009 in einer Kabinettausstellung des Aschaffenburger<br />

KunstLanding – war Teil einer Kunstaktion, die im<br />

Zusammenhang mit dem Abriss des Bahnhofs Aschaffenburg<br />

stattfand, <strong>der</strong> in seiner Entstehungszeit als <strong>der</strong> schönste Bahnhof<br />

<strong>der</strong> jungen Republik galt. Mit dem Abriss des Aschaffenburger<br />

Bahnhofs wäre <strong>der</strong> keramische Fassadenwandschmuck<br />

unwie<strong>der</strong>bringlich verloren gegangen, hätte Breitenbach den<br />

„Götterboten” nicht in allerletzter Minute gerettet.


Aktion 1: HERMES-RETTUNG<br />

Die Rettungsaktion entstand aus dem Impuls, ein dem Untergang<br />

geweihtes Kunstwerk im öffentlichen Raum zu erhalten und die, aus<br />

Sicht des Künstlers, mangelnde Wertschätzung von Alltagskultur aufzuzeigen:<br />

Mit dem Votum <strong>der</strong> Aschaffenburger Bürger für den Abriss<br />

des mustergültigen Fünfzigerjahrebahnhofs war auch das Schicksal<br />

<strong>der</strong> Fliesenbil<strong>der</strong> besiegelt, die den Götterboten Hermes und ein geflügeltes<br />

Rad, das Symbol <strong>der</strong> Eisenbahn, zeigten. Den Stadträten waren<br />

die Kosten für eine fachgerechte Demontage – von den Museen<br />

<strong>der</strong> Stadt Aschaffenburg empfohlen – mit mindestens 20 000 EURO<br />

zu hoch, zumal sich die Frage stelle, ob das überhaupt Kunst sei, und<br />

man ohnehin nicht wisse, was man mit den Fliesen anfangen solle.<br />

Als bereits die Bagger mit dem Abriss beschäftigt waren, entschloss<br />

sich Udo Breitenbach, die Rettung des „Hermes“ zu versuchen, die<br />

ihm die Abrissfirma ermöglichte: „Der kommt eh’ auf die Bauschuttdeponie!“.<br />

In einer 14-stündigen Notbergung mit Gerüst, Flex und<br />

Hammer konnte Breitenbach 243 Fliesen des Wandbildes retten, ehe<br />

die Aktion wegen Einsturzgefahr des benachbarten Gebäudeflügels<br />

abgebrochen werden musste. Ein Teil des luftigen Schals <strong>der</strong> Hermesfigur<br />

ging für immer verloren, ebenso das komplette „Geflügelte Rad“.<br />

Die beiden Wandbil<strong>der</strong> waren von dem Keramiker und Formgestalter<br />

Theo Rathgeber 1954 für den Aschaffenburger Bahnhof entworfen<br />

worden. Die Architektur des Bahnhofs wie auch die Wandbil<strong>der</strong><br />

spiegeln den Optimismus des beginnenden Wirtschaftswun<strong>der</strong>s wi<strong>der</strong>.<br />

Der stilisierte geflügelte „Götterbote“ mit zwei gelben Koffern<br />

und wehendem Schal steht symbolisch für den Aufbruch in eine<br />

neue Zeit, die das Drama des Krieges hinter sich lässt.<br />

Aktion 2: HERMES-ENTSORGUNG<br />

Mit <strong>der</strong> Performance „Hermes-Entsorgung“ vollzog Breitenbach<br />

den Willen <strong>der</strong> Bürgervertreter symbolisch nach und entsorgte das<br />

Fliesenbild „ordnungsgemäß“ auf <strong>der</strong> Ringheimer Bauschuttdeponie,<br />

im Rahmen des Kulturevents „Kunst am Grenzweg“ – ganz in<br />

<strong>der</strong> Nähe des 1936/37 unter strengster Geheimhaltung errichteten<br />

Forschungsfliegerbunkers Ringheim, in dem nach Kriegsende zahlreiche<br />

Flüchtlinge Unterkunft fanden.<br />

Aktion 3: KULTUR-RECYCLING<br />

An Ort und Stelle rekonstruierte Breitenbach im Sinne einer „Alltagsarchäologie“<br />

die Bruchstücke des „Hermes“ und gab diesem eine<br />

neue Identität „als Phönix aus <strong>der</strong> Asche“.<br />

Aktion 4: Installation GÖTTERBOTE<br />

im KunstLanding<br />

Bei seiner Installation „GÖTTERBOTE“ im KunstLanding nutzte<br />

Breitenbach die Mittel <strong>der</strong> Spurensicherung, Objektkunst, Malerei,<br />

Fotografie, Animation und Satire, um auf den aus seiner Sicht tragischen<br />

Verlust von Alltagskultur hinzuweisen. Die raumbezogene<br />

Installation bestand aus fünf Einzelarbeiten:<br />

1. „GÖTTERBOTE“: Das raumbeherrschende Wand-/Deckengemälde<br />

in Acrylfarben bestimmt die Kabinettausstellung. Im Sinne<br />

<strong>der</strong> Pop-Art ist <strong>der</strong> „Götterbote“ ikonenhaft überhöht und wird zum<br />

Idol stilisiert. Die lebensgroße Darstellung erstreckt sich über Wände<br />

und Decke des kleinen Ausstellungsraums und scheint den „Kultur-<br />

Raum Aschaffenburg“ zu sprengen.<br />

b A h n h o f A S C h A f f E n b u R g<br />

105


106 b A h n h o f A S C h A f f E n b u R g<br />

Alltagsarchäologe Breitenbach<br />

Götterbote neu Das geht mir wirklich an den Nierentisch Die Gnade(nlosigkeit) <strong>der</strong> späten Geburt


2. fRagMEntE dEs oRiginalEn wandBildEs „hERMEs“<br />

Dem Bild zu Füßen liegen die Reste des originalen Wandbilds als Fragment.<br />

Die handbemalten Fliesen rhythmisieren den Boden des Ausstellungsraums.<br />

Sie rekonstruieren nicht das Abbild des Hermes, son<strong>der</strong>n<br />

dekonstruieren die Darstellung des Götterboten, die idealtypisch<br />

den „Aufbruch in eine neue Zeit“ nach dem Drama des Nationalsozialismus<br />

symbolisierte. Die Installation zeigt die Eigenästhetik <strong>der</strong><br />

Fragmente: Jede Kachel ist ein kleines abstraktes Kunstwerk für sich.<br />

3. „das gEht MiR wiRklich an dEn niEREn-tisch!“<br />

Platz nehmen kann <strong>der</strong> Betrachter auf einer mo<strong>der</strong>nistischen Bahnhofsbank<br />

des Designers Harry Bertoia, die 1954 die Wartehalle des<br />

supermo<strong>der</strong>nen Bahnhofs Aschaffenburg zierte. Sie gehört zu einer<br />

Installation, bei <strong>der</strong> sich zwei Monitore auf einem Nierentisch gegenüber<br />

stehen. Das futuristische Design des Fernsehgeräts „WEGA“<br />

steht für den uneingeschränkten Zukunftsglauben und Willen zur<br />

„demokratisierten Mo<strong>der</strong>ne“ <strong>der</strong> „Wirtschafts-Wun<strong>der</strong>kin<strong>der</strong>“. Die<br />

Jetzt-Perspektive ist durch eine Fotodokumentation des Bahnhofsabrisses<br />

in einer Performance „Götterbote“ in Ringheim präsent, die<br />

mit den inzwischen bereits als historisch empfundenen Designobjekten<br />

kontrastiert.<br />

Die Installation zitiert die künstlerischen Ausdrucksmittel des Fluxus<br />

(Nam June Paik) und stellt so einen Bezug zu den Anfängen <strong>der</strong><br />

gesellschafts- und medienkritischen Aktions- und Videokunst <strong>der</strong><br />

frühen 1960er-Jahre her. Fluxus postuliert den fließenden Übergang<br />

bzw. die Einheit von Kunst und Leben: „Es geht um in das Leben<br />

einwirkende Produktionsprozesse und nicht um die Abschottung<br />

<strong>der</strong> Kunst vor dem Leben.“ „Das Leben ist ein Kunstwerk, und das<br />

Kunstwerk ist Leben.“ (Emmett Williams)<br />

4. „diE gnadE(nlosigkEit) dER spätEn gEBuRt“<br />

Mit dem Titel dekonstruiert Breitenbach das berühmte Zitat von <strong>der</strong><br />

„Gnade <strong>der</strong> späten Geburt“ und bricht es ironisch. Ein Ausstellungsobjekt<br />

unter einer Glashaube, eine zeittypische 1950er-Jahre-Vase<br />

des Keramikers Theo Rathgeber, wird kontrastiert mit einem Betonfragment,<br />

das auf dem Standardwerk zur „Keramik <strong>der</strong> 50er Jahre“,<br />

lastet und es zu erdrücken droht. In dem Buch von Horst Markus<br />

sind Arbeiten des Schöpfers des Aschaffenburger „Hermes“ abgebildet,<br />

<strong>der</strong> mit einem Porträt gewürdigt und hier nun gleichsam erdrückt wird.<br />

5. „Blah“. satiRE-zEitung<br />

Mit <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>ausgabe „BLAH“, einer BILD-Zeitungspersiflage,<br />

persifliert Breitenbach den „Hermes-Komplex“, den er als „kulturellen<br />

Kollateralschaden“ und Realsatire empfand. BLAH beinhaltet<br />

unter an<strong>der</strong>em die Fotomontage „Hermes flüchtet aus <strong>der</strong> Kulturstadt!“<br />

Das Layout ist als Wandzeitung in <strong>der</strong> Ausstellung zu sehen.<br />

Zitiert wird dort auch <strong>der</strong> Katalog <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> Landesausstel-<br />

b A h n h o f A S C h A f f E n b u R g<br />

lung 2009 in <strong>der</strong> Würzburger Residenz, für die an den Ortseingängen<br />

von Aschaffenburg mit großen Transparenten geworben wurde. Der<br />

Katalog zur Landesausstellung beklagt im Schlusssatz zum Thema<br />

Architektur: „Und während in <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> Landesausstellung<br />

‚Wie<strong>der</strong>aufbau und Wirtschaftswun<strong>der</strong>, die Architektur <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

präsentiert wird, fällt <strong>der</strong> elegante Aschaffenburger Hauptbahnhof<br />

von 1954/55 <strong>der</strong> Abrissbirne zum Opfer.“<br />

Spurensicherungsarbeiten<br />

im Œuvre Breitenbachs<br />

Die Kulturrettungsaktion steht in Udo Breitenbachs Œeuvre nicht<br />

alleine, beginnend 1994 mit <strong>der</strong> Spurensicherung zur Wendezeit<br />

(zusammen mit Eva Haak), gefolgt 1999 von <strong>der</strong> Translution eines<br />

ortstypischen Fachwerkhauses und 2009 dem (gescheiterten) Rettungsversuch<br />

des letzten authentischen DDR-Grenzbahnhofs in<br />

Probstzella als Schicksalsort, an dem 20 Millionen Transitreisende<br />

mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> großen Schikanen ausgesetzt waren, versucht<br />

<strong>der</strong> Künstler Bewusstsein für den identitätsstiftenden Wert von so<br />

genannter Alltagskultur zu schaffen. Nicht die Musealisierung, son<strong>der</strong>n<br />

die Integration von <strong>Geschichte</strong> in den Alltag ist sein Anliegen<br />

– his torischer Fluxus könnte man sagen, in dem die Gegenwart in<br />

ein lebendiges, „lebendes“ Verhältnis zur Vergangenheit tritt. Die<br />

Hermes-Rettung soll auf das akut vom Verfall bedrohte Wandbild<br />

„Weltbaum – Grün ist Leben“ (1975) aufmerksam machen, das zu<br />

den frühen Werken <strong>der</strong> „Fassadenmalerei“ gehört. Den größten Teil<br />

des monumentalen Wandbilds von 1975 an <strong>der</strong> Fassade des Siegmundshofs<br />

in <strong>der</strong> Berliner Straße des 17. Juni entwarf <strong>der</strong> Aschaffenburger<br />

Künstler Siegfried Rischar.<br />

Aktuell setzt sich Udo Breitenbach für die Erhaltung des heute als<br />

Spielsalon genutzten Geburtshauses des Malers Ernst Ludwig Kirchner<br />

ein, <strong>der</strong> in Aschaffenburg die ersten drei Jahre seines Lebens<br />

verbrachte. Das in Bahnhofsnähe gelegene <strong>Haus</strong> steht zum Verkauf.<br />

Ernst Ludwig Kirchner hat <strong>der</strong> Prägung, die er hier erhalten hat,<br />

große Bedeutung beigemessen, wenn er schreibt: „Ich bin am Bahnhof<br />

geboren. Das erste, was ich im Leben sah, waren die fahrenden<br />

Lokomotiven und Züge, sie zeichnete ich, als ich drei Jahre alt war.<br />

Vielleicht kommt es von daher, daß mich beson<strong>der</strong>s die Beobachtung<br />

<strong>der</strong> Bewegung zum Schaffen anregt. Aus ihr kommt mir das gesteigerte<br />

Lebensgefühl, das <strong>der</strong> Ursprung des künstlerischen Werkes ist.“<br />

So ist <strong>der</strong> Bahnhof Aschaffenburg Erlebnisraum und künstlerische<br />

Inspirationsquelle, von Ernst Ludwig Kirchner über Theo Rathgeber<br />

bis hin zu Udo Breitenbach.<br />

EVaMaRia BRockhoff nach EinEM tExt Von<br />

udo BREitEnBach<br />

Interessierte für die Spurensicherungsarbeiten Udo Breitenbachs sind<br />

zu den Bürozeiten (Mo–Fr, 10–17 Uhr) im Kreativbüro Breitenbach &<br />

Pötschick, Pompejanumstraße 4, Aschaffenburg, Tel. 06021 412060<br />

je<strong>der</strong>zeit willkommen.<br />

107


108 D E R z u g I n S f R E I E<br />

Der Zug ins Freie<br />

Meine schönste Erinnerung an Eisenbahnfahrten reicht weit<br />

in meine Kindheit zurück ... wir wohnten in München, als<br />

mein Vater 1926 in Walchensee ein Wochenendrefugium<br />

für uns errichtete, das fortan unser heiß geliebtes „Häusl“ war. Entworfen<br />

hat es übrigens <strong>der</strong> berühmte Münchner Architekt Richard Riemerschmid.<br />

Ich war damals fünf Jahre alt. Doch trotz <strong>der</strong> seither verstrichenen<br />

84 Jahre kann ich mich genau an bestimmte Eindrücke auf<br />

unseren Fahrten mit <strong>der</strong> Isartalbahn erinnern: <strong>der</strong> eigentümliche Geruch<br />

<strong>der</strong> Dampflokomotive, die Waggons in <strong>der</strong> 3. Klasse, die mit einfachen<br />

Holzbänken aus lackierten Latten ausgestattet waren. Beleuchtet<br />

wurden die Abteile mit Karbidlampen. Unvergesslich ist mir das<br />

klackernde Geräusch, das die eisernen Rä<strong>der</strong> auf den ungeschweißten<br />

Schienen machten, und zwischen den einzelnen Waggons konnte man<br />

den zischenden Dampf sehen, <strong>der</strong> aus den Bremsschläuchen entwich.<br />

Das von Richard Riemerschmid entworfene Fertighaus <strong>der</strong> Familie<br />

Siegel, innerhalb weniger Tage aufgestellt und bezogen, war eine kleine<br />

Sensation in Walchensee.<br />

Von <strong>der</strong> Isartalbahn, mit <strong>der</strong> die Familie Siegel so oft wie möglich aufs<br />

Land in ihr Wochenendrefugium fuhr, wurden <strong>der</strong> nördliche und <strong>der</strong><br />

südliche Teil abgebrochen. Hier sind heute nur noch Relikte erhalten<br />

wie die Überreste <strong>der</strong> Loisachbrücke bei Feltzen.<br />

Meine Isartalbahn 1926 – 1936<br />

Es war eine zweistündige Fahrt, die wir unternahmen, vom Isartalbahnhof<br />

in Sendling nach Bichl/Kochel am Kochelsee, durch Fel<strong>der</strong> und<br />

Wäl<strong>der</strong>. Der Zug hielt an jedem Ort, kaum eine Station war länger als<br />

eine Viertelstunde vom nächsten Halt entfernt. Aus dem offenen Waggonfenster<br />

in die Landschaft zu schauen brachte garantiert erst Ruß<br />

und dann Tränen in die Augen. Aber es waren wun<strong>der</strong>bare Fahrten<br />

und geregnet hat es meiner Erinnerung nach niemals!<br />

In Kochel angekommen, ging es dann, samt umfangreichem Gepäck,<br />

mit dem Postbus über den Kesselberg und Urfeld bis nach Dorf Walchensee<br />

und ins Häusl. Für mich sind dies herrliche Erinnerungen aus<br />

<strong>der</strong> Kindheit und auf jeden Fall gab es viel mehr zu sehen und zu erleben<br />

als dies heute in <strong>der</strong> halben Zeit mit dem Auto auf <strong>der</strong> Autobahn<br />

möglich ist.<br />

h. pEtER sinclaiR<br />

Der Münchner<br />

Rechtsanwalt<br />

Dr. jur. et rer. pol.<br />

Michael Siegel mit<br />

seinem Sohn Peter.


münchen-hauPtbahnhoF<br />

Vater Michael, Mutter Tilde und Onkel Ernst verabschieden<br />

sich von dem gerade 18 Jahre alten Hans Peter. Nach jüdischem<br />

Brauch segnet ihn <strong>der</strong> Vater vor <strong>der</strong> Abreise, die<br />

Mutter weint, versucht dies aber hinter einem Taschentuch zu verbergen,<br />

und Onkel Ernst macht noch schnell eine Blitzlichtaufnahme<br />

von Peter, <strong>der</strong> sich zum Abschied aus dem Abteilfenster beugt.<br />

Peter denkt vor allem an das große Abenteuer, das ihn nun erwartet.<br />

Ziel: London, England.<br />

Er besitzt einen Reisepass des Deutschen Reichs, versehen mit dem<br />

decouvrierenden „J“, er hat die erlaubten 10 Reichsmark in <strong>der</strong> Tasche<br />

sowie ein Visum nach England und er nimmt zwei Koffer mit<br />

dem Nötigsten mit. Der junge Mann musste aus dem nationalsozialistischen<br />

Deutschland emigrieren, nur weil er jüdisch war und im Land<br />

seiner Geburt keinerlei Zukunft mehr hatte.<br />

21. März 1939 gegen Mitternacht<br />

Nach <strong>der</strong> Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 verloren alle<br />

noch in Deutschland lebenden Juden jedes bürgerliche Recht. Man lief<br />

Gefahr, je<strong>der</strong>zeit von <strong>der</strong> SA, <strong>der</strong> SS o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gestapo verhaftet und in<br />

ein Konzentrationslager wie Dachau gebracht zu werden – viele überlebten<br />

dies nicht.<br />

Für die Familie Siegel war die Abreise des ältesten Sohnes <strong>der</strong> Beginn<br />

großer Abschiede: die späte Flucht seiner Eltern aus Deutschland<br />

im Jahr 1940 um die halbe Welt; die Deportation seiner Großmutter<br />

Hilda Waldner und ihres Sohnes, des Pianisten Joseph Waldner, die<br />

beide den Holocaust nicht überlebten. Peter hat in England Fuß gefasst,<br />

er ist seit 1939 „zu <strong>Haus</strong>e in England“, seine Heimat aber bleibt<br />

München und Oberbayern.<br />

h. pEtER sinclaiR<br />

Hans Peter Siegel bei seiner Abreise aus München am 22. März 1938, rechts im Bild sein Vater.<br />

D E R z u g I n S f R E I E<br />

109


110 D E R z u g I n S f R E I E<br />

Die Ausstellung „Das Gleis. Die<br />

Logistik des Rassenwahns“ ist <strong>der</strong><br />

Beitrag des Dokumentationszentrums<br />

Reichsparteitagsgelände<br />

in Nürnberg zum Bahnjubiläum<br />

2010. Die vom Büro Müller-Rieger<br />

entworfene Installation verbindet<br />

via Bildübertragung einen „Täterort“<br />

– Nürnberg, wo vor 75 Jahren<br />

die so genannten Rassengesetze<br />

verkündet wurden – unmittelbar<br />

mit Auschwitz – und an<strong>der</strong>en<br />

Stätten <strong>der</strong> Vernichtung. Das<br />

"Gleisbett" ist gefüllt mit 60 000<br />

Namenskärtchen. Je<strong>der</strong> Name<br />

eines Ermordeten steht stellvertretend<br />

für 100 weitere Opfer.<br />

www.das-gleis-nuernberg.de


EditoRischE notiz H. Peter Sinclair wurde 1921 geboren als<br />

Hans Peter Siegel, Sohn des renommierten Münchner Rechtsanwalts<br />

Michael Siegel und <strong>der</strong> Riemerschmid-Absolventin Mathilde<br />

Waldner. Dr. jur. et rer.pol. Michael Siegel wurde als Opfer erster NS-<br />

Terroraktionen gegen Juden zum Symbol. Er wurde im März 1933<br />

bei einem Anhörungstermin für seinen in so genannte Schutzhaft<br />

genommenen Mandanten Max Uhlfel<strong>der</strong> im Münchner Polizeipräsidium<br />

von SA-Schergen zusammengeschlagen und anschließend mit<br />

abgeschnittenen Hosenbeinen und einem Schild um den Hals mit<br />

<strong>der</strong> Aufschrift „Ich bin Jude. Ich werde mich nie mehr bei <strong>der</strong> Polizei<br />

beschweren“ durch die Innenstadt bis zum Hauptbahnhof getrieben.<br />

Die von dem zufällig anwesenden Bildjournalisten Heinrich Sanden<br />

aufgenommenen beiden Fotos dieser Untat, die dieser an eine amerikanische<br />

Agentur verkaufte, gingen damals um die Welt – heute sind<br />

sie eine Ikone <strong>der</strong> Geschichtsbücher über den Nationalsozialismus. H.<br />

Peter Sinclair gelangte 1939 mit einem Studienvisum nach London,<br />

kurz darauf folgte seine jüngere Schwester Beate mit einem Kin<strong>der</strong>transport.<br />

Den Eltern gelang noch 1940 die Ausreise von München<br />

nach Berlin und weiter mit <strong>der</strong> transsibirischen Eisenbahn nach Japan,<br />

Korea über den Pazifik nach Los Angeles und von dort in ihre neue<br />

Heimat Peru, wo sie am 9. November, auf den Tag genau zwei Jahre<br />

nach <strong>der</strong> Reichspogromnacht, in Lima ankamen.<br />

H. Peter Sinclair starb am 27. März 2010 im Alter von 89 Jahren in<br />

London. Sein Beitrag für dieses Heft ist aus zwei Perspektiven geschrieben:<br />

Während die Kindheitserinnerung in <strong>der</strong> Ich-Form erscheint, ist<br />

die Schil<strong>der</strong>ung seiner Abreise aus München, die einem endgültigen Abschied<br />

gleichkam, in <strong>der</strong> dritten Person verfasst, so als sei das Geschehen<br />

nur aus dieser Distanz wie<strong>der</strong>zugeben.<br />

Der Beitrag von H. Peter Sinclair ist <strong>der</strong> Erinnerung an die Rolle<br />

<strong>der</strong> Bahn gewidmet, ohne die die massenhafte Deportation <strong>der</strong> jüdischen<br />

Bürger in die Konzentrations- und Vernichtungslager nicht<br />

Deportation von Würzburger Juden. Die Aufnahme stammt aus dem<br />

2006 wie<strong>der</strong> aufgefundenen Album mit 119 Fotografien, die die Gestapo<br />

von den drei Deportation aus Würzburg zwischen November 1941<br />

und April 1942 anfertigen ließ. Dabei wurden insgesamt 2063 Juden aus<br />

dem Regierungsbezirk Mainfranken deportiert, keine fünfzig von ihnen<br />

haben überlebt. (Staatsarchiv Würzburg, Deportationsalbum / Gestapostelle<br />

Würzburg 18880a)<br />

D E R z u g I n S f R E I E<br />

hätte durchgeführt werden können. So wurden im Frühsommer 1938<br />

über 1500 Juden aus Wien und nach <strong>der</strong> Pogromnacht vom 9. November<br />

1938 etwa 11000 Juden aus dem ganzen Reichsgebiet mit <strong>der</strong><br />

Bahn in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Ab 1941 begann<br />

im Zuge <strong>der</strong> so genannten „Endlösung“ des Völkermords an den Juden<br />

und später auch an Sinti und Roma die Deportation per Bahn in<br />

die Vernichtungsstätten und -lager im Osten unter unvorstellbaren<br />

Bedingungen. Zu den letzten und schrecklichsten Geschehnissen auf<br />

den Bahnstrecken gehörte <strong>der</strong> Abtransport völlig entkräfteter und<br />

sterben<strong>der</strong> Häftlinge aus den Konzentrationslagern, mit dem man<br />

ihre Befreiung durch die alliierten Truppen zu verhin<strong>der</strong>n trachtete.<br />

Die Deutsche Bahn als Rechtsnachfolgerin <strong>der</strong> Reichsbahn ist sich<br />

<strong>der</strong> Verantwortung dieser historischen Last bewusst. Sie unterstützt<br />

nun auch den Verein, <strong>der</strong> seit Jahren mit dem „Zug <strong>der</strong> Erinnerung“<br />

durch ganz Deutschland tourt mit <strong>der</strong> von Beate und Serge<br />

Klarsfeld initiierten Ausstellung über das Schicksal deportierter<br />

jüdischer Kin<strong>der</strong>. Die Deutsche Bahn selbst ist mit <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ausstellung<br />

„Son<strong>der</strong>züge in den Tod“ unterwegs. Einschlägige Publikationen,<br />

zuletzt zum bisher in <strong>der</strong> Forschung kaum beachteten<br />

Wi<strong>der</strong>stand von Eisenbahnern, gibt das Bundesverkehrsministerium<br />

heraus. Im DB Museum Nürnberg wurde auf Anregung des<br />

Nürnberger Kulturreferenten Hermann Glaser 1985 eine mit rund<br />

2500 Exponaten bestückte Abteilung „Im Dienst von Demokratie<br />

und Diktatur. Die Reichsbahn 1920 bis 1945“ eingerichtet. Im Jubiläumsjahr<br />

2010 zeigt das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände<br />

in Nürnberg die Ausstellung „Das Gleis. Die Logistik<br />

des Rassenwahns“. Im Mittelpunkt steht eine Installation, die den<br />

„Täter-Ort“, in dem 1935 die so genannten Rassengesetze verkündet<br />

wurden, in Form einer Bild übertragung unmittelbar und direkt mit<br />

<strong>der</strong> Gedenkstätte Auschwitz und an<strong>der</strong>en Erinnerungsstätten des<br />

Holocaust verbindet.<br />

EVaMaRia BRockhoff / ludwig EiBER<br />

111


112 L E I D E n S C h A f T E I S E n b A h n – m u S E E n , V E R E I n E , n o S T A L g I E f A h R T E n<br />

E I S E n b A h n m u S E E n , m u S E u m S -<br />

b A h n E n u n D V E R E I n E<br />

I m I n T E R n E T<br />

www.eisenbahnnostalgie.de<br />

Übersichtliches Verzeichnis <strong>der</strong> deutschen<br />

Museums- und Touristikbahnen, nach<br />

Bundeslän<strong>der</strong>n geglie<strong>der</strong>t, Übersichtskarte<br />

und ausführliche Informationen<br />

zu je<strong>der</strong> aufgeführten Einrichtung<br />

www.eisenbahn-webkatalog.de<br />

Umfangreicher Katalog zum Thema Eisenbahn<br />

und Modelleisenbahn, Auflistung<br />

von Museen und Museumsbahnen, meist<br />

mit kurzer Beschreibung und Webadresse<br />

www.eisenbahnwelt.com<br />

Deutsches Museumsbahnverzeichnis,<br />

Deutschlandkarte mit Link zur jeweiligen<br />

Einrichtung und umfangreiche<br />

alphabetische Vereinsliste mit Links<br />

www.museum.bahnen-und-busse.de<br />

Eisenbahnmuseen und Museumseisenbahnen<br />

nach Bundeslän<strong>der</strong>n geordnet,<br />

Auflistung mit kurzer Beschreibung und<br />

Link zu <strong>der</strong> jeweiligen Einrichtung<br />

www.ostbayernbahn.de<br />

Bayerns Museumsbahnen, Übersichtskarte<br />

nach Regierungsbezirken<br />

geglie<strong>der</strong>t, direkter Link zu den jeweiligen<br />

Homepages <strong>der</strong> Bahnen<br />

www.vdmt.de<br />

Verband deutscher Museums- und Touristikbahnen,<br />

die Dachorganisation <strong>der</strong><br />

nicht-staatlichen Museumsbahnen und<br />

Eisenbahnmuseen in Deutschland, Übersichtskarte<br />

nach Bundeslän<strong>der</strong>n sortiert,<br />

mit Kontaktadresse <strong>der</strong> Einrichtungen<br />

Die Mutter aller Eisenbahnen ist und bleibt <strong>der</strong><br />

„Adler“, sei es als – heute schon eine Kostbarkeit<br />

darstellendes – liebevolles Guckkastenleporello,<br />

sei es als internationale Briefmarkensammlung.<br />

Das bei G.W. Faber in Nürnberg<br />

erschienene Leporello gibt beim Blick in das<br />

Guckloch einen Eindruck von <strong>der</strong> Strecke des<br />

Adlers zwischen Nürnberg und Fürth.<br />

www.bdef.de<br />

Bundesverband Deutscher Eisenbahn-<br />

Freunde e.V. für Modelleisenbahner und<br />

Eisenbahn-Freunde, über 300 Clubadressen<br />

nach Postleitzahlen sortiert<br />

www.lok-report.de<br />

LOK Report: europäisches Nachrichtenmagazin<br />

mit umfassenden Informationen<br />

und einer umfangreichen Linkliste rund<br />

um das Thema Eisenbahn, Linkliste<br />

zu Museumsbahnen und Vereinen<br />

www.bahn-express.de<br />

Bahn-Express: Magazin für Werkbahnfreunde,<br />

Liste von Industrie- und<br />

Hafenbahnen sowie Feldbahnen<br />

m u S E E n<br />

bahnpark Augsburg<br />

86159 Augsburg-Hochfeld,<br />

Firnhaberstraße 22<br />

Tel. 0821 6507590<br />

E-Mail: service@bahnpark-augsburg.de<br />

www.bahnpark-augsburg.de<br />

Der Bahnpark Augsburg bietet Besuchern<br />

eine gläserne Dampflokwerkstatt, in <strong>der</strong><br />

sich unter an<strong>der</strong>em Dampflokomotiven<br />

<strong>der</strong> Baureihe 44 und 41, <strong>der</strong> legendäre Blue<br />

Star Train und Botschafterloks finden.<br />

Ein begehbares Depot, in dem ein Postbahn-<br />

und Eisenbahnmuseum untergebracht<br />

sind, imposante denkmalgeschützte<br />

Hallen und ein großzügiges Freigelände<br />

aus <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> königlich bayerischen<br />

Staatsbahn machen diesen Bahnpark<br />

einmalig in Bayern. Vom Bahnpark aus<br />

starten auch Son<strong>der</strong>zugfahrten, unter<br />

an<strong>der</strong>em mit dem König Ludwig Dampf<br />

Express nach Prien am Chiemsee.<br />

bayerischer Localbahnverein –<br />

Localbahnmuseum in bayerisch Eisenstein<br />

94252 Bayerisch Eisenstein,<br />

Bahnhofstraße 44<br />

Tel. 09925 1376<br />

www.localbahnverein.de<br />

Im Localbahnmuseum, das im Lokomotivschuppen<br />

in Bayerisch Eisenstein<br />

untergebracht ist, werden mehr als 20<br />

historische Lokomotiven <strong>der</strong> Lokalbahnen<br />

präsentiert, die zusammen mit einer<br />

Reihe von Exponaten einen Einblick in die<br />

Lokalbahngeschichte bieten. Von Landshut<br />

aus sind Son<strong>der</strong>fahrten mit historischen<br />

E-Loks und Dampfzügen möglich.<br />

bayerisches Eisenbahnmuseum<br />

86720 Nördlingen, Am hohen Weg 6a<br />

Tel. 09083 340<br />

E-Mail: info@bayerischeseisenbahnmuseum.de<br />

www.bayerisches-eisenbahnmuseum.de<br />

Im <strong>Bayerischen</strong> Eisenbahnmuseum findet<br />

sich ein Bahnbetriebswerk im Stil <strong>der</strong><br />

Fünfzigerjahre, das mit zahlreichen, teils<br />

auch betriebsbereiten Eisenbahnfahrzeugen<br />

einen Einblick in den realistischen<br />

Eisenbahnbetrieb bietet. Die Museumsbahn<br />

„Romantische Schiene“, bestehend<br />

aus Dampf- und Dieselzügen des Museums,<br />

fährt von Nördlingen aus durch das<br />

Nördlinger Ries über Dinkelsbühl nach<br />

Feuchtwangen. Eine weitere Strecke führt<br />

von Nördlingen aus nach Gunzenhausen.<br />

bergbau- und Industriemuseum ostbayern<br />

Schloss Theuern<br />

92245 Kümmersbruck, Portnerstraße 1<br />

Tel. 09624 832<br />

E-Mail: info@museumtheuern.de<br />

www.museum-theuern.de<br />

Im Bergbau- und Industriemuseum im<br />

Schloss Theuern sind zahlreiche Gruben-<br />

und Feldbahnfahrzeuge ausgestellt.


Db museum nürnberg<br />

90443 Nürnberg, Lessingstraße 6<br />

Tel. 01804 44223<br />

E-Mail: info@dbmuseum.de<br />

www.dbmuseum.de<br />

Besucher des DB Museums erfahren auf<br />

7500 m² alles über die Entwicklung <strong>der</strong><br />

deutschen Eisenbahn. Darüber hinaus<br />

gibt es ein „Museum zum Anfassen“,<br />

zahlreiche Original- und Modellfahrzeuge<br />

und die ausführliche Dokumentation<br />

jeglicher Eisenbahntechnik.<br />

Deutsches Dampflokomotiv-museum<br />

95339 Neuenmarkt, Birkenstraße 5<br />

Tel. 09227 5700<br />

E-Mail: ddm@dampflokmuseum.de<br />

www.dampflokmuseum.de<br />

Das Kernstück des Deutschen Dampflok-<br />

Museums, in dem unter an<strong>der</strong>em über 30<br />

Dampflokomotiven ausgestellt sind, ist ein<br />

15-ständiger Lokschuppen mit Segmentdrehscheibe.<br />

Das große Freigelände erlaubt<br />

einen umfassenden Einblick in die deutsche<br />

Eisenbahngeschichte. Eine Museumsbahn<br />

fährt über die Eisenbahnsteilstrecke „Schiefe<br />

Ebene“, bei <strong>der</strong> bei einer Neigung von<br />

1:40 ein Höhenunterschied von 158 Metern<br />

überwunden werden muss, zum <strong>Bayerischen</strong><br />

Brauereimuseum nach Kulmbach.<br />

Deutsches museum Verkehrszentrum<br />

80339 München, Theresienhöhe 14a<br />

Tel. 089 500806762<br />

E-Mail: verkehrszentrum@<br />

deutsches-museum.de<br />

www.deutsches-museum.de/verkehrszentrum<br />

In <strong>der</strong> Eisenbahnausstellung des Deutschen<br />

Museums finden sich unter an<strong>der</strong>em die<br />

legendäre „S 3/6“ Schnellzug-Dampflokomotive<br />

<strong>der</strong> Königlich <strong>Bayerischen</strong><br />

Staatseisenbahn, die erste dieselhydraulische<br />

Großlokomotive V140 und auch<br />

die erste Magnetschwebebahn. Neben<br />

diesem Querschnitt durch die <strong>Geschichte</strong><br />

L E I D E n S C h A f T E I S E n b A h n – m u S E E n , V E R E I n E , n o S T A L g I E f A h R T E n<br />

des Schienenverkehrs werden Themen<br />

wie Fahrzeugtechnik, Sicherungstechnik<br />

und Logistik <strong>der</strong> Eisenbahn dargestellt.<br />

feldbahn-museum 500 e.V.<br />

90453 Nürnberg, Drahtzieherstraße 20<br />

Tel. 0911 6802200<br />

E-Mail: info@feldbahn500.de<br />

www.feldbahn500.de<br />

Im Feldbahnmuseum 500 werden die<br />

meisten <strong>der</strong> 62 ausgestellten Lokomotiven,<br />

Maschinen und Geräte in <strong>der</strong><br />

Praxis vorgeführt und anschaulich<br />

erklärt, sodass die alte Technik für den<br />

Besucher wie<strong>der</strong> lebendig wird.<br />

fränkisches feldbahnmuseum<br />

c/o Jürgen Wening<br />

91580 Petersaurach-Wicklesgreuth,<br />

Tannenstraße 10<br />

Tel. 09802 80529<br />

E-Mail: frankenfeldbahn@web.de<br />

www.frankenfeldbahn.de<br />

Das Museum und die Strecke <strong>der</strong> Museumsbahn<br />

befinden sich im Aufbau.<br />

Besichtigt werden können aber bereits<br />

zahlreiche Wagen und Lokomotiven.<br />

Interessengemeinschaft Deutsche feldund<br />

Waldbahnen – feldbahnmuseum<br />

82256 Fürstenfeldbruck, Senserbergstraße<br />

66a<br />

Tel. 08141 27335<br />

E-Mail: info@mec-ffb.de<br />

www.mec-ffb.de<br />

Das Feldbahnmuseum beherbergt Fahrzeuge<br />

aus den Bereichen Waldbahn,<br />

Feldbahn, Bergbau und vergleichbare<br />

Bahnen mit 600 mm Spurweite. Die<br />

Sammlung umfasst <strong>der</strong>zeit 14 betriebsbereite<br />

Lokomotiven, 4 Draisinen und<br />

mehr als 60 Wagen. Auf dem Gelände<br />

werden Fahrten veranstaltet.<br />

Lokwelt freilassing<br />

83395 Freilassing, Westendstraße 5<br />

Tel. 08654 771224<br />

E-Mail: lokwelt@freilassing.de<br />

www.lokwelt.freilassing.de<br />

In <strong>der</strong> Lokwelt Freilassing sind in einem<br />

1905 errichteten Rundlokschuppen, <strong>der</strong><br />

noch eine originalgetreue Drehscheibe<br />

beherbergt, auf 20 Gleisständen zahlreiche<br />

Lokomotiven, Exponate zum<br />

Thema Eisenbahn und eine Modellbahn<br />

des Bw Freilassing ausgestellt.<br />

modellbahnmuseum muggendorf<br />

91346 Wiesenttal, Bayreuther Straße 23<br />

Tel. 09196 1630<br />

E-Mail: info@modellbahnmuseum.de<br />

www.modellbahnmuseum.de<br />

Das Modellbahnmuseum Muggendorf<br />

bietet die größte Sammlung <strong>der</strong> seltenen<br />

Spur-„S“-Fahrzeuge. Einen weiteren<br />

Schwerpunkt stellt die Sammlung <strong>der</strong> Spur-<br />

„0“-Fahrzeuge alter Nürnberger Firmen dar.<br />

modell- und Eisenbahnclub Selb/<br />

Rehau e.V. – Eisenbahnmuseum<br />

95100 Selb, Bergstraße 3<br />

Tel. 0170 7064230<br />

E-Mail: info@muecselb.de<br />

www.muecselb.de<br />

Das Eisenbahnmuseum befindet sich auf<br />

dem Gelände <strong>der</strong> ehemaligen Bw-Außenstelle<br />

Selb. Neben einem vierständigen<br />

Ringlokschuppen von 1914, einer Drehscheibe<br />

von 1936 und einem <strong>der</strong> ersten<br />

Gleisbildstellwerke mit Fahrstraßensteuerung<br />

erwarten den Besucher ca. 30 Eisenbahnfahrzeuge,<br />

größtenteils Triebfahrzeuge.<br />

Im nahe gelegenen Europäischen Industriemuseum<br />

für Porzellan sind Son<strong>der</strong>fahrten<br />

mit einer Diesellok des Museums möglich.<br />

113


114 L E I D E n S C h A f T E I S E n b A h n – m u S E E n , V E R E I n E , n o S T A L g I E f A h R T E n<br />

m u S E u m S b A h n E n<br />

blue Star Train – ESg – Eisenbahn und<br />

Son<strong>der</strong>wagenbetriebsgesellschaft mbh<br />

86179 Augsburg, Mittlerer Lechfeldweg 2f<br />

Tel. 0821 541512<br />

www.blue-star-train.de<br />

Dampfeisenbahn im Augsburger<br />

zoo – bahnhof zoo<br />

86161 Augsburg, Brehmplatz 1<br />

Tel. 0821 5671490<br />

E-Mail: info@bahnhof-zoo.com<br />

www.dampfbahn-im-zoo.de<br />

Wendelsteinbahn gmbh<br />

83098 Brannenburg, Kerschelweg 30<br />

Tel. 08034 3080<br />

E-Mail: info@wendelsteinbahn.de<br />

www.wendelsteinbahn.de<br />

Dampfbahn fränkische Schweiz e.V. (DfS)<br />

91316 Ebermannstadt, Postfach 1101<br />

Tel. 09194 794541<br />

E-Mail: tickets@dfs.ebermannstadt.de<br />

www.dfs.ebermannstadt.de<br />

Staudenbahn – bbg Stauden mbh<br />

86850 Fischach, An <strong>der</strong> Sägemühle 5<br />

Tel. 08236 962149<br />

E-Mail: info@staudenbahn.de<br />

www.staudenbahn.de<br />

fränkisches freilandmuseum fladungen<br />

– Rhön-zügle<br />

97650 Fladungen, Bahnhofstraße 19<br />

Tel. 09778 91230<br />

E-Mail: info@freilandmuseum-fladungen.de<br />

www.freilandmuseum-fladungen.de<br />

Draisinenfreunde bayern e.V.<br />

82256 Fürstenfeldbruck, Hochrainerstraße 41<br />

Tel. 08141 227890<br />

E-Mail: info@draisi.de<br />

www.draisi.de<br />

modelleisenbahnclub fürstenfeldbruck<br />

e.V. – feldbahnmuseum<br />

82256 Fürstenfeldbruck, Senserbergstraße<br />

66a<br />

Tel. 08141 27335<br />

E-Mail: info@mec-ffb.de<br />

www.mec-ffb.de<br />

Torfbahnhof Rottau – feldbahn<br />

83224 Grassau, Samerweg 8<br />

Tel. 08641 2126<br />

E-Mail: mail@torfbahnhof-rottau.de<br />

www.torfbahnhof-rottau.de<br />

Wan<strong>der</strong>bahn im Regental e.V.<br />

82181 Gröbenzell, Postfach 1329<br />

Tel. 0170 2425013<br />

E-Mail: info@wan<strong>der</strong>bahn.de<br />

www.wan<strong>der</strong>bahn.org<br />

parkeisenbahn im freizeitpark Schloss<br />

Thurn – Erlebnispark Schloss Thurn<br />

91336 Heroldsbach, Schlossplatz 4<br />

Tel. 09190 929898<br />

E-Mail: info@schloss-turn.de<br />

www.schloss-thurn.de<br />

DgEg-Arbeitskreis Würzburg<br />

97204 Höchberg, Bergmannweg 5<br />

www.dampflok527409.de<br />

Wachtlbahn – museums-Eisenbahngemeinschaft<br />

Wachtl e.V.<br />

83033 Kiefersfelden, Am Rain 60<br />

Tel. 08031 87340<br />

E-Mail: gunterziegler@t-online.de<br />

www.wachtl-bahn.de<br />

Laabertalbahn – Lokalbahn<br />

Schierling-Langquaid<br />

84085 Langquaid, Am Bahnhof 5<br />

Tel. 09452 949707<br />

E-Mail: info@laabertalbahn.de<br />

www.laabertalbahn.de<br />

Dampflok-gesellschaft münchen e.V.<br />

80807 München, Illungshofstraße 2<br />

Tel. 089 5808482<br />

E-Mail: info@dgm-41018.de<br />

www.dgm-41018.de<br />

Eisenbahnfreunde Rodachtalbahn<br />

e.V. – Rodachtalbahn<br />

96365 Nordhalben, Krögelsmühle 1<br />

Tel. 09267 8130<br />

E-Mail: rodachtalbahn@vr-web.de<br />

www.eisenbahnfreunde-rodachtalbahn.de<br />

fränkische museums-Eisenbahn e.V. (fmE)<br />

90411 Nürnberg, Klingenhofstraße 70<br />

Tel. 0911 5109638<br />

E-Mail: info@fraenkischemuseumseisenbahn.de<br />

www.fraenkische-museumseisenbahn.de<br />

Schwaben-Dampf e.V. neuoffingen<br />

89362 Offingen, Am Bahnhof Neuoffingen 3<br />

Tel. 08244 801140<br />

E-Mail: info@schwabendampf.de<br />

www.schwabendampf.de<br />

passauer Eisenbahnfreunde<br />

e.V. – nostalgiebahn<br />

94032 Passau, Haitzingerstraße 12<br />

Tel. 0851 9663971<br />

E-Mail: pef@passauer-eisenbahn.de<br />

www.passauer-eisenbahn.de<br />

bockerlbahner e.V. peißenberg<br />

82380 Peißenberg, Am Tiefstollen 2<br />

Tel. 08805 418<br />

E-Mail: info@diebockerlbahner.de<br />

www.diebockerlbahner.de<br />

DbV-för<strong>der</strong>verein Steigerwald-Express e.V.<br />

97357 Prichsenstadt, Karl-<br />

Ebenauer-Ring 28<br />

Tel. 0160 7202393<br />

E-Mail: post@steigerwald-express.de<br />

www.fv-steigerwald-express.de


Chiemsee Schifffahrt – Chiemseebahn<br />

83209 Prien am Chiemsee, Seestraße 108<br />

Tel. 08051 6090<br />

E-Mail: info@chiemsee-schifffahrt.de<br />

www.chiemsee-schifffahrt.de<br />

feld- und Waldbahn Riedlhütte (fWR)<br />

94566 Riedlhütte<br />

Tel. 08141 537653<br />

E-Mail: info@feldbahn-fraenking.de<br />

www.feldbahn-riedlhütte.de<br />

Chiemgauer Lokalbahn e.V.<br />

83340 Tacherting, Postfach 1104<br />

E-Mail: info@chiemgauer-lokalbahn.de<br />

www.chiemgauer-lokalbahn.de<br />

bayerischer Localbahnverein e.V.<br />

83682 Tegernsee, Postfach 1311<br />

Tel. 089 4481288<br />

www.localbahnverein.de<br />

Interessengemeinschaft mainschleifenbahn<br />

e.V.<br />

97332 Volkach, Industriestraße 3<br />

Tel. 0152 02482125<br />

E-Mail: info@mainschleifenbahn.de<br />

www.mainschleifenbahn.de<br />

DgEg Eisenbahnmuseum Würzburg<br />

97080 Würzburg, Veitshöchheimer<br />

Straße 107b<br />

Tel. 09321 927415<br />

E-Mail: wuerzburg@dgeg.de<br />

www.eisenbahnmuseum-wuerzburg.de<br />

Zusammenstellung:<br />

MichaEla MohR<br />

L E I D E n S C h A f T E I S E n b A h n – m u S E E n , V E R E I n E , n o S T A L g I E f A h R T E n<br />

Die hier gezeigte Modellbahnanlage gehört ursprünglich zu den „Königswelten“, die im Foyer des<br />

am Ufer des Forggensees errichteten „Musicaltheater Neuschwanstein“ zu sehen waren , in dem<br />

von 2000 bis 2003 das Musical „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“ aufgeführt wurde.<br />

Nach einer Idee <strong>der</strong> Architektin Josephine Barbarino schufen die Bühnenbildner Marc und Claudia<br />

Calame-Rüll die Anlagenbereiche <strong>der</strong> Welten, die Ludwig II. in seiner Fantasie durchfährt - hier die<br />

ureigenste Heimat des Königs mit Schloss Neuschwanstein. Die von den Bühnenbildnern und <strong>der</strong><br />

traditionsreichen Firma Märklin gebauten Anlagen sind heute im Besitz des Modelleisenbahnclubs<br />

Ostallgäu/Außerfern, <strong>der</strong> die „Königswelten“ in seinen Clubräumen in Füssen aufgebaut hat.<br />

(http://home.arcor.de/gerhardbayer/mecoal/)<br />

E I S E n b A h n f o T o S I m I n T E R n E T<br />

Stellen Sie Ihre interessantesten<br />

Eisenbahn fotos aus bayerischen<br />

Strecken ins Internet ein!<br />

Auf <strong>der</strong> Website des <strong>Haus</strong>es<br />

<strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> <strong>Geschichte</strong>:<br />

www.editionbayern.hdbg.de<br />

115


116 D A S j u b I L ä u m S j A h R 2 0 1 0


Die strecke Des aDLers<br />

Museum Industriekultur Nürnberg, 17. Juni bis 12. Dezember 2010<br />

Mit dem „Adler“ kam <strong>der</strong> Aufschwung:<br />

Die erste deutsche<br />

Eisenbahn zog die staunenden<br />

Bürger und bald darauf rührige Unternehmer<br />

an, die sich mit ihren Firmen entlang <strong>der</strong><br />

Strecke ansiedelten: Schuco, Triumph und<br />

die Hercules-Werke etwa, AEG und Quelle.<br />

Wie sich die Landstraße entlang <strong>der</strong> Bahnstrecke<br />

von Nürnberg nach Fürth in eine<br />

pulsierende Verkehrsa<strong>der</strong> und die Stadt zur<br />

Industriemetropole entwickelt hat, zeigt zum<br />

Bahnjubiläum das Museum Industriekultur.<br />

„Die Strecke des Adlers“ rollt mit zahlreichen<br />

Ausstellungsstücken, Ansichten und mo<strong>der</strong>nen<br />

Medien die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Fürther<br />

Straße von 1835 bis in die heutige Zeit auf<br />

58a<br />

1927<br />

Fassadenplan 1898<br />

b E g L E I TA n g E b oT E z u R Au S S T E L Lu n g :<br />

54/ 56<br />

52 bis 58<br />

1944<br />

52a<br />

• Fahrten im Oldtimerbus in die Fürther Straße mit Führung jeweils am:<br />

So 4.7., So 8.8., Sa 21.8., So 5.9., So 3.10., So 7.11.<br />

• Familienführungen durch die Ausstellung jeden Sonntag um 15 Uhr<br />

• Museumspädagogische Angebote durch das KPZ<br />

VERAnSTALTER unD InfoRmATIon<br />

museum Industriekultur<br />

Tel. 0911 231-3875<br />

www.museen.nuernberg.de<br />

36<br />

und vermittelt so beispielhaft einen Eindruck<br />

von wirtschaftlichem, sozialem und<br />

kulturellem Wandel in <strong>der</strong> Metropolregion.<br />

Der Besucherrundgang beginnt bei einer<br />

<strong>Geschichte</strong> des „Adlers“ und einem Blick<br />

auf vergangene Jubiläen, die ihm zu Ehren<br />

gefeiert wurden. Dem schließt sich ein<br />

Gang durch die Fürther Straße an, <strong>der</strong> drei<br />

zeitliche Ebenen verbindet, verknüpft und<br />

überblendet: 1835 – um 1900 – 2010.<br />

1835 fährt <strong>der</strong> „Adler“ im Modell die<br />

Chaussee entlang, die 1801 als schnurgerade<br />

Verbindung zwischen Nürnberg und Fürth<br />

angelegt worden war. Teile <strong>der</strong> Modell-<br />

um 19235<br />

Nördliche fürther strasse<br />

1929<br />

D A S j u b I L ä u m S j A h R 2 0 1 0<br />

Strecke sind von Pappeln gesäumt und die<br />

„Strecke des Adlers“ durchschneidet ländliche<br />

Gegend mit einzelnen Bauernhöfen.<br />

Eine zweite Ebene <strong>der</strong> Ausstellung zeigt die<br />

Zeit, als knapp ein Jahrhun<strong>der</strong>t später die<br />

Fürther Straße zu einer prototypischen Achse<br />

<strong>der</strong> Industrialisierung entlang <strong>der</strong> Eisenbahn<br />

geworden war. Schließlich thematisiert eine<br />

dritte Ebene den Blick auf die Fürther Straße<br />

heute und den strukturellen Wandel, <strong>der</strong> sich<br />

im Untergang <strong>der</strong> traditionsreichen Unternehmen<br />

und in <strong>der</strong> Entstehung neuer Betriebe<br />

wie z. B. Datev u. a., aber auch im Wandel <strong>der</strong><br />

einstigen Chaussee zur multikulturellen, von<br />

Migration geprägten Städteachse zeigt.<br />

16 bis 20<br />

12<br />

6b<br />

4a<br />

F a s s a d e n p l a n u m 1912 1954<br />

1980<br />

117


118 D A S j u b I L ä u m S j A h R 2 0 1 0<br />

175 jahre eisenbahn – ein jubiLäum Der besonDeren art<br />

Die erste Eisenbahn in Deutschland rollte in Bayern über die<br />

Schiene: Der legendäre „Adler“ fuhr am 7. Dezember 1835 auf<br />

<strong>der</strong> rund sechs Kilometer langen Strecke zwischen Nürnberg und<br />

Fürth. Damals kamen die Lokomotive und <strong>der</strong> Lokführer noch aus<br />

England. Doch das än<strong>der</strong>te sich schnell. Zum 175-jährigen Jubiläum<br />

finden zahlreiche Veranstaltungen an den verschiedensten Orten<br />

statt. Der Verband Deutscher Museums- und Touristikbahnen<br />

(VDMT) und seine Bahnen bieten Veranstaltungen das ganze Jubiläumsjahr<br />

über. Unter www.vdmt.de finden Sie eine Übersicht. Die<br />

bayerischen Museumsbahnen haben sich zusammengeschlossen und<br />

liefern Informationen zu den Veranstaltungen unter<br />

www.175-Jahre-Bahn-in-Bayern.de.<br />

A u S S T E L L u n g E n<br />

19.5.–31.10.2010 – Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände<br />

„Das gleis. Die Logistik des Rassenwahns“<br />

Die Installation „Das Gleis“ steht als künstlerische Metapher<br />

im Zentrum <strong>der</strong> Ausstellung. Sie verbindet Nürnberg als Ort,<br />

an dem 1935 die „Rassengesetze“ verkündet wurden, mit den<br />

zentralen Stätten <strong>der</strong> Vernichtung – durch eine direkte Bildübertragung<br />

aus den Gedenkstätten Auschwitz-Birkenau, Bełżec,<br />

Majdanek, Treblinka und Sobibór. So werden „Täterort“ und<br />

„Tatort“ in Beziehung gesetzt. Noch eine Beson<strong>der</strong>heit: Das<br />

gesamte Erdgeschoss wird dem Besucher für die Dauer <strong>der</strong><br />

Ausstellung zugänglich gemacht. Ein Rundgang führt auch in<br />

Räumlichkeiten, die ansonsten nicht besichtigt werden können.<br />

www.das-gleis-nuernberg.de<br />

1.6. –27.6.2010 – zeughaus Augsburg,Toskanische Säulenhalle<br />

fotoausstellung von burkhard Wollny<br />

Der Bahnpark Augsburg zeigt im Augsburger Zeughaus über<br />

180 großformatige Schwarzweiß-Fotografien von Burkhard<br />

Wollny, dem Meister <strong>der</strong> (Dampf-)Eisenbahnfotografie.<br />

www.bahnpark-augsburg.de<br />

www.burkhard-wollny-eisenbahnfotografie.de<br />

7.7.2010–27.2.2011 – Db museum nürnberg<br />

„planet Eisenbahn“<br />

Die Son<strong>der</strong>ausstellung zeigt faszinierende Exponate aus <strong>der</strong><br />

internationalen Eisenbahngeschichte und blickt zurück auf<br />

175 Jahre Eisenbahngeschichte – von den Anfängen bis in die<br />

Gegenwart. Spannende Themen werden dem Besucher geboten:<br />

Wann und wo entstanden die ersten Eisenbahnen in<br />

an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n. Aber auch <strong>der</strong> Frage nach den Geldgebern<br />

wird nachgegangen, <strong>der</strong> Berufstand des Eisenbahners näher<br />

beleuchtet, <strong>der</strong> Einfluss des Eisenbahnbaus auf die Gesellschaft<br />

und <strong>der</strong>en Entwicklung betrachtet und vieles mehr.<br />

www.planet-eisenbahn.de<br />

Im Fokus steht natürlich Nürnberg: Unter www.bahnjahr2010.nuernberg.de<br />

werden alle Veranstaltungen in Nürnberg und Fürth aufgeführt.<br />

Viel ist geplant in diesem Jubiläumsjahr: Ausstellungen und<br />

Son<strong>der</strong>schauen, Lokschuppen-Feste und jede Menge Son<strong>der</strong>fahrten<br />

in historischen Zügen. Dazu kommen zahlreiche Führungen und<br />

Vorträge zum Thema „175 Jahre Eisenbahn“. So wird die <strong>Geschichte</strong><br />

<strong>der</strong> Eisenbahn lebendig und erlebbar.<br />

Eine kleine Auswahl an Veranstaltungen haben wir für Sie zusammengestellt.<br />

Ansonsten finden Sie auf den einschlägigen Webseiten<br />

mehr Informationen.<br />

www.175-Jahre-Bahn-in-Bayern.de.<br />

www.bahnjahr2010.nuernberg.de<br />

6.8.2010–31.10.2010 – Db museum nürnberg<br />

„Adler, Rocket & Co. Die ersten Lokomotiven Europas“<br />

In dieser großen Fahrzeugschau sind Raritäten aus den Anfängen<br />

<strong>der</strong> Eisenbahn zu sehen. Aus ganz Europa stammen<br />

die Pionierlokomotiven, die hier präsentiert werden. Natürlich<br />

gehören dazu die berühmte „Rocket“ – 1829 in England gebaut<br />

– und <strong>der</strong> legendäre „Adler“, <strong>der</strong> das Eisenbahnzeitalter in<br />

Deutschland einläutete und dessen Nachbau zum Museumsbestand<br />

gehört. Eine Multimediashow bringt die Besucher zurück<br />

in die Zeit, als die ersten Lokomotiven in Europa fuhren.<br />

www.planet-eisenbahn.de<br />

W E I T E R E V E R A n S T A L T u n g E n<br />

18.07.2010 – oldtimertreffen in Ebermannstadt<br />

Dampfbahn Fränkische Schweiz e.V. lädt ein zum „Oldtimertreffen<br />

<strong>der</strong> Schiene und Straße“ in Ebermannstadt und<br />

Behringersmühle. Damit alles zueinan<strong>der</strong> passt, gibt es eine<br />

interessante Altersbegrenzung: Die Fahrzeuge sollen möglichst<br />

nicht jünger als 30 Jahre sein. Gefragt sind PKWs, Motorrä<strong>der</strong><br />

und Fahrrä<strong>der</strong> sowie Schlepper/Nutzfahrzeuge.<br />

www.dfs.ebermannstadt.de<br />

25.07./07.08.2010 – Klassik open Air in nürnberg<br />

Die größte Freiluftveranstaltung mit klassischer Musik in Europa<br />

„Klassik Open Air beim Picknick im Park“ steht im Zeichen <strong>der</strong><br />

Bahn(-Reisen). Am 25. Juli spielen die Nürnberger Philharmoniker<br />

unter <strong>der</strong> Leitung von Christoph Prick. Am 7. August laden die<br />

Nürnberger Symphoniker unter <strong>der</strong> Leitung von Alexan<strong>der</strong> Shelley<br />

zu einer Zeitreise ein: „Bahn frei! Der Adler geht auf Reisen“ lautet<br />

das Motto. Zur Aufführung kommen Werke von Eduard Strauß,<br />

Hector Berlioz, Joseph Haydn, Sergej Rachmaninow, Peter Tschaikowsky<br />

u.a. Sie führen vom Beginn <strong>der</strong> Eisenbahn über den Orientexpress<br />

bis zum EuroCity – ein Streifzug durch die <strong>Geschichte</strong>.<br />

www.klassikopenair.de


25.07.–31.07.2010 Eisenbahnfilme in Augsburg<br />

Etwas Beson<strong>der</strong>es hat sich <strong>der</strong> Bahnpark Augsburg einfallen<br />

lassen: Im Cinemaxx laufen „Die besten Eisenbahnfilme aller<br />

Zeiten“ – ein Muss für alle Cineasten. Ob „Der große Eisenbahnraub“<br />

von Michael Crichton mit Sean Connery und Donald<br />

Sutherland o<strong>der</strong> „Spiel mir das Lied vom Tod“, inszeniert von<br />

Sergio Leone und meisterhaft gespielt von Charles Bronson,<br />

Henry Fonda und Claudia Cardinale. Weiter stehen auf dem<br />

Spielplan: „Der Polarexpress“ und „Thomas, die fantastische<br />

Lokomotive“ sowie „Der letzte Zug“ und „Zug des Lebens“.<br />

www.cinemaxx.de<br />

30.07.–01.08.2010 – bardentreffen in nürnberg<br />

Das Weltmusikfestival „Bardentreffen“ findet zum 35. Mal statt<br />

und steht diesmal ganz unter dem Motto „Railroad Songs“.<br />

Um nur ein Highlight zu nennen: Arlo Guthrie, Sohn <strong>der</strong> Folklegende<br />

Woody, wird sich die Ehre geben und zusammen<br />

mit Hans-Eckardt Wenzel auftreten. Der Berliner Lie<strong>der</strong>macher<br />

hat die Songs von Woody Guthrie ins Deutsche übertragen.<br />

Und wer denkt nicht sofort an „City of New Orleans“!<br />

www.bardentreffen.de<br />

13.08.–29.08.2010 – Aktion in fürth<br />

Die Stadt Fürth hat ein beson<strong>der</strong>es Highlight geplant: den<br />

Nachbau des Ludwigsbahnhofs auf <strong>der</strong> Fürther Freiheit. Der<br />

Bahnhof wurde 1938 abgerissen und wird nun an seinem ursprünglichen<br />

Standort wie<strong>der</strong> errichtet, und zwar mit Gerüsten<br />

und Planen. Neben zahlreichen Events wird dann am 28. und<br />

29. August ein großes Eisenbahnfest auf <strong>der</strong> Freiheit gefeiert<br />

– mit einem attraktiven Programm für Jung und Alt.<br />

www.fürth.de<br />

21.08.2010 – Dampflokfest in nürnberg<br />

Beim Dampflokfest werden etwa zehn Dampflokomotiven und<br />

weitere historische Eisenbahnfahrzeuge aus ganz Deutschland<br />

von 10 bis 20 Uhr im Bahnbetriebswerk Gostenhof gezeigt. Die<br />

Lokomotiven werden ab 14 Uhr auf <strong>der</strong> Drehscheibe präsentiert.<br />

www.dbmuseum.de<br />

21.08.2010 – jubiläumsfahrt zum Dampflokfest in nürnberg<br />

Die Jubiläumsfahrt mit <strong>der</strong> Dampflok 41 018 führt von München<br />

über Augsburg zur Teilnahme an den Dampflok-Sternfahrten<br />

zum Dampflokfest des DB-Museums in Nürnberg-Gostenhof.<br />

Mit eingeschlossen ist <strong>der</strong> Besuch <strong>der</strong> großen Lok-Schau.<br />

www.bahnpark-augsburg.de<br />

09.–11.09. und 25./26.09.2010 – Spielzeugmuseum in nürnberg<br />

Auch im Spielzeugmuseum dreht sich im Jubiläumsjahr viel<br />

um die Bahn: Vom 09. bis 11. September heißt es „Lummerland<br />

im Spielzeugmuseum“. Jeweils von 11 bis 16 Uhr können<br />

die Kin<strong>der</strong> ihre eigene „Insel mit zwei Bergen …“ – mit Schienen,<br />

Lok und Tunnel ganz nach ihrer Fantasie gestalten.<br />

Am 25. und 26. September kommen kleine Baumeister ganz groß<br />

heraus. Jeweils von 10 bis 17 Uhr im Dachgeschoss des Spielzeugmuseums<br />

ein großes Schienennetz für eine Eichhorn-Holzeisenbahn<br />

gebaut, damit <strong>der</strong> Zug dann auf die Reise gehen kann.<br />

www.museen.nuernberg.de<br />

D A S j u b I L ä u m S j A h R 2 0 1 0<br />

18.09.–26.09.2010 – Eisenbahn-Romantik-Rundfahrt<br />

Wer Eisenbahn „satt“ erleben möchte, kann die Eisenbahn-Romantik-Son<strong>der</strong>zugreise<br />

buchen. Mit 14 verschiedenen Dampflokomotiven<br />

führt die Reise über 4300 Kilometer durch alle Bundeslän<strong>der</strong><br />

Deutschlands. Los geht es im Bahnpark Augsburg mit<br />

einer großen „Andampf-Party“ am 17. September und hier endet<br />

die Reise auch. Dazwischen gibt es jede Menge Spaß und Unterhaltung,<br />

so eine exklusive Führung im DB-Museum in Nürnberg,<br />

ein sächsisches Grillfest o<strong>der</strong> ein zünftiges Fischessen. Ob ein<br />

Ausflug mit <strong>der</strong> Schmalspurbahn „Molli“ o<strong>der</strong> eine Schiffsrundfahrt<br />

im Hamburger Hafen – hier ist sicher für jeden etwas dabei.<br />

www.bahnurlaub.de<br />

01.10.2010 – nicolaus-Copernicus-planetarium in nürnberg<br />

„Vom Adler zum Spaceshuttle – Die Welt in Bewegung“<br />

Ab 01. Oktober (Premiere) kann man im Planetarium auf<br />

Zeitreise gehen: angefangen bei <strong>der</strong> Postkutsche über die<br />

Eisenbahn zum Auto und zur Raumstation. Eine spannende<br />

<strong>Geschichte</strong> wie sich die Welt verän<strong>der</strong>t hat – und<br />

damit die Dimensionen von Entfernung und Reisen.<br />

www.naa.net/ncp<br />

07.12.2010 – martinsumzug in fürth<br />

Zum Jahrestag <strong>der</strong> ersten Adler-Fahrt veranstaltet die Stadt<br />

Fürth einen Martinsumzug. Die Kin<strong>der</strong> werden mit ihren Laternen<br />

die Strecke von <strong>der</strong> Freiheit bis hin zur Hornschuchpromenade<br />

illuminieren. Außerdem sorgt die Stadt für eine<br />

zusätzliche beson<strong>der</strong>e Beleuchtung, die die Promenade bis zum<br />

23. Dezember in ein stimmungsvolles Licht tauchen soll.<br />

www.fürth.de<br />

07.12.–30.12. – filmreihe im filmhaus nürnberg<br />

Zwei Aspekte markieren die Industrialisierung im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t:<br />

Eisenbahn und Film. Mit <strong>der</strong> Reihe „Schienenzeit – die Eisenbahn<br />

und das Kino“ widmet sich das Filmhaus dieser Beziehung<br />

zwischen Film, Eisenbahn und Bewegung. Ein vielfältiges und<br />

spannendes Programm wird geboten: vom Stumm- und Tonfilm<br />

über Dokumentar- und Tonfilm bis zu Kurz- und Experimentalfilm.<br />

www.filmhaus.nuernberg.de<br />

12. 12. 2010 – Adler-geburtstag im Db museum nürnberg<br />

Das Jahr stand ganz im Zeichen des 175. Geburtstages <strong>der</strong> Eisenbahn<br />

in Deutschland. Zum Abschluss veranstaltet das DB Museum<br />

ein großes Fest für alle mit einem bunten Programm und<br />

vielen Attraktionen rund um das Thema Eisenbahn. Eintritt frei!<br />

www.dbmuseum.de<br />

119


120 I m p R E S S u m<br />

edition<br />

bayern<br />

<strong>EDITION</strong> <strong>BAYERN</strong> # 01 SONDERHEFT<br />

Herausgegeben vom <strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> <strong>Geschichte</strong><br />

© 2010 Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst<br />

<strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> <strong>Geschichte</strong>, Augsburg<br />

www.hdbg.de<br />

Redaktion: Evamaria Brockhoff, Dr. Wolfgang Jahn<br />

Gestaltung: Manfred Wilhelm, Büro Wilhelm, Amberg<br />

Lithografie: EZM Echtzeitmedien, Nürnberg und media men GmbH, Augsburg<br />

Druck: Kessler Druck + Medien GmbH & Co. KG, Bobingen<br />

Vertrieb: Verlag Friedrich Pustet ∙ Regensburg, Gutenbergstraße 8 ∙ 93051 Regensburg<br />

Tel.: 0941 92022-0 ∙ Fax: 0941 92022-330 ∙ E-Mail: verlag@pustet.de ∙ www.verlag-pustet.de<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

Printed in Germany<br />

ISBN 978-3-7917-2302-0<br />

eisenbahn in bayern 1835 . 2010<br />

haus <strong>der</strong><br />

bayerischen<br />

geschichte<br />

Gedruckt auf umweltschonend hergestelltem Papier „Symbol Freelife Satin“<br />

von Fedrigoni Deutschland GmbH, Unterhaching<br />

BILDNACHWEIS<br />

Architekturmuseum <strong>der</strong> TU München: S. 74 o. li.<br />

Judith Bauer, München: S. 1 o. re., 89<br />

Bayerische Staatsbibliothek München / Porträt- und<br />

Ansichtensammlung: S. 59 o., 61 li., 60 o. re.,<br />

73 li. Mitte und u., 74 Mitte, 75 o. li. und Mitte re. o.<br />

Bayerischer Landtag / Stiftung Maximilianeum,<br />

München: S. 1 li. (4. v. o.), 2 u., 55<br />

Bayerisches Wirtschaftsarchiv, München: S. 94−97<br />

Udo Bernstein, Stein b. Nürnberg: S. 116, Umschlagrückseite<br />

Bestand Uwe von Poblocki: S. 21 re., 31 o. re.<br />

Bildagentur für Kunst, Kultur und <strong>Geschichte</strong>,<br />

Berlin: S. 51 o. li.<br />

Bildarchiv <strong>der</strong> Nürnberger Nachrichten:<br />

S. 18 o. re., 38, 51 o. re.<br />

Udo Breitenbach, Aschaffenburg: S. 1 li. u., 104−107<br />

DATEV eG Nürnberg: S. 53 o., 53 Mitte li.<br />

DB AG: Umschlagvor<strong>der</strong>seite o. (Foto: Ralf Kranert) und<br />

u. (Foto: Stefan Warter), S. 70 o. re. (Foto: Annette Koch),<br />

81 u. re. (Foto: Christian Bedeschinski<br />

DB Museum Nürnberg: S. 1 o. li. und Mitte, 2. o. re., 56, 57,<br />

61 u., 65 o.li., 66 li., 67, 70 o. li., 70 Mitte li. und u., 72, 73<br />

o., 73 Mitte re. und u. Mitte und re., 75 o. re., 79<br />

Eva Detzel, Lauingen: S. 112 li.<br />

Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände,<br />

Nürnberg (© Büro Müller-Rieger): S. 110<br />

Aribert Elpelt, Waigolshausen: S. 74 o. re., 77. u. li., 81 o., 85<br />

Foto Berger, Prien a. Chiemsee: S. 69 Mitte li., 82<br />

Gemeinde Neuenmarkt: S. 60 o. li.<br />

Gemeinde Rechtenbach: S. 65 unten<br />

Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg: S. 68 re.<br />

Grafische Sammlung Nürnberg: S. 1 li. (2. v. o.), 13 re.,<br />

14/15 o., 14 u., 16; 117 o.<br />

Martin Grundmeyer: S. 26 o. re.;<br />

<strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> <strong>Geschichte</strong>, Augsburg: S. 55 u. li.,<br />

58 (Foto: v. Voithenberg), 59 li. (Foto: Voithenberg), 59 u. re.,<br />

62 re., 63 o., 65 o. re. (Foto: v. Voithenberg), 68 u.li.,<br />

74 u. li., 83 o. re., 86 o. li. und u., 87<br />

Monika Hippe: S. 75 Mitte u.<br />

Wilfried Ernst Hölzler, Marktoberdorf: S. 62 li., 98−101, 108 u.<br />

Fa. Ideenreich: S. 75 Mitte u. re.<br />

Ketterer Kunst GmbH & Co. KG, München<br />

(www.kettererkunst.de): S. 90 o.<br />

Kunstsammlungen und Museen Augsburg: S. 55 u. re.<br />

Herbert Liedel: S. 13 li., 19 u., 23 o. re., 29 Mitte li.,<br />

33 o. re., Mitte re., 43, 49 u., 52 o. re., 53 re.<br />

Emma Mages, Alteglofsheim: S. 64<br />

Wolfgang Mair Abersee, Augsburg: S. 75 u.<br />

Christian Mayerhofer, Essbahnhof im Kulturbahnhof<br />

Rimsting: S. 75 Mitte u. li.<br />

MEC Ostallgäu/Außerfern e.V.: S. 115 (Foto: Reinhard<br />

Graf, Füssen)<br />

Museum Industriekultur, Nürnberg:<br />

S. 1 li. (3. v. o.), 20, 21 li., 22, 23 Mitte, 25, 26 li., 26 Mitte<br />

re., 27, 29 u. li., 30, 34−37, 39 u., 40, 41, 42 o., Mitte re., u.,<br />

45, 46, 48/49 o., 51 Mitte, u., 117 Mitte<br />

Privatbesitz: S. 2 o. li. und Mitte, 63 u., 65 Mitte re., 66 li.,<br />

60 u. li. und re., 74 u. re., 75 Mitte li., 76, 77 o., 77 u. Mitte<br />

und re., 78, 81 u.li., 83 o. li. und u.li., 84, 88, 112 re., 113<br />

Alwin Reiter, Geltendorf: S. 77 Mitte<br />

H. Peter Sinclair (by courtesy Jonathan Sinclair, London):<br />

S. 108−109<br />

Florian Schilhalbel: S. 92/93<br />

Staatsarchiv Würzburg: S. 111<br />

Stadtarchiv Fürth: S. 17 u. re.<br />

Stadtarchiv Lauf an <strong>der</strong> Pegnitz: S. 15 u.<br />

Stadtarchiv Nürnberg: S. 17, 18 oben u. Mitte,<br />

19 o. u. Mitte, 21 o., 23 o. li., 29 o., Mitte re., u. re.,<br />

31, 32, 33, 39 o., 42 Mitte li., 47, 52 Mitte o.<br />

Städtische Galerie im Lenbachhaus, München: S. 91<br />

Stadtmuseum Sulzbach-Rosenberg: S. 83 u. re.<br />

Technische Universität München, Lehrstuhl für Forstliche<br />

Arbeitswissenschaft und Angewandte Informatik, Freising:<br />

S. 65 Mitte li.<br />

Christian Wagner Film, München (www.wagnerfilm.de):<br />

S. 102<br />

Wendelsteinbahn GmbH, Brannenburg: S. 71<br />

Wittelsbacher Ausgleichsfonds, München<br />

(Inv.-Nr. B II 163): S. 61 re.<br />

Zentrum Paul Klee, Bern (© VG Bild-Kunst): S. 90 u.<br />

bayerische Eisenbahngeschichte<br />

Josef Dollhofer<br />

Feuerross und Flügelrad in Ostbayern<br />

Die Ära <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> Ostbahnen<br />

ca. 380 Seiten, mit ca. 230 Abbildungen<br />

ISBN 978-3-7917-2300-6<br />

Der spannende Aufbruch ins Eisenbahnzeitalter<br />

in Nie<strong>der</strong>bayern und <strong>der</strong> Oberpfalz!<br />

Ausgestattet mit historischem, vielfach noch<br />

nicht veröffentlichtem Bildmaterial.<br />

Eisenbahn in Regensburg<br />

150 Jahre Schienenverkehr<br />

Herausgegeben von den Regensburger<br />

Eisenbahnfreunden RSWE e.V.<br />

ca. 168 Seiten, mit 120 z.T. farbigen<br />

Abbildungen<br />

ISBN 978-3-7917-2274-0<br />

Die Entwicklung <strong>der</strong> Eisenbahn-Region<br />

Regensburg von <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> Ostbahn<br />

bis zur Deutschen Bundesbahn heute.<br />

beide bücher erscheinen im September.<br />

Verlag friedrich pustet<br />

www.verlag-pustet.de

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