BAYERN EDITION - Haus der Bayerischen Geschichte
BAYERN EDITION - Haus der Bayerischen Geschichte
BAYERN EDITION - Haus der Bayerischen Geschichte
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
SONDERHEFT # 01 / 10,– €<br />
EiSENbaHN iN bayERN<br />
1835 · 2010<br />
edition<br />
bayern<br />
g e s c h i c h t e<br />
die strecke<br />
des adlers<br />
geschichte <strong>der</strong><br />
eisenbahn in bayern<br />
krauss & comp.<br />
jubiläumsjahr 2010<br />
haus <strong>der</strong><br />
bayerischen<br />
geschichte
04 76 89<br />
16<br />
40<br />
54<br />
104<br />
Editorial von Richard Loibl 02<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Die Entstehung <strong>der</strong> Ludwigseisenbahn von Rainer Mertens 04<br />
Zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Fürther strasse<br />
von Regine Franzke und Matthias Murko 12<br />
„Da geht’s ja zu wie am Plärrer!“ 16<br />
Nomen est omen – Hercules 24<br />
Drei Villen und noch ein Palast 28<br />
Mikrokosmos Fürther Straße 32<br />
„Erst mal seh’n was Quelle hat!“ 34<br />
Triumphale Zeiten von Helmut Schwarz 40<br />
Schlafende Schönheiten: Triumph-Adler 44<br />
AEG – Aus Erfahrung gut? 46<br />
Schrauben – Spielzeug – Daten: Die (Vor-)<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> DATEV 50<br />
E I S E n b A h n I n b Ay E R n von Emma Mages<br />
Die Entwicklung des Hauptbahnnetzes 1835 bis 1880 54<br />
Vizinal- und Lokalbahnen 60<br />
Eisenbahnbau und Eisenbahnbauarbeiter 64<br />
Meisterwerke <strong>der</strong> Technik 68<br />
Exkurs: Die Wendelsteinbahn von Johann Vogt 71<br />
Bahnhöfe, Stadt- und Raumentwicklung 72<br />
Ein neuer Berufsstand: Der Eisenbahner 76<br />
Die Eisenbahn und ihre Wirkungen: Alles verän<strong>der</strong>t sich 80<br />
Mit <strong>der</strong> Eisenbahn ins Industriezeitalter 82<br />
Strukturwandel in <strong>der</strong> Landwirtschaft 84<br />
Eisenbahn und Personenverkehr: Mobilität für je<strong>der</strong>mann 87<br />
Mythos Eisenbahn 89<br />
K R Au S S & Co m p.<br />
Lokomotiven für alle Spurweiten von Richard Winkler 94<br />
S T I L Lg E L E g T E S T R E C K E n<br />
Ein Prellbock in <strong>der</strong> Landschaft von Wilfried Ernst Hölzler 98<br />
b A h n h o f A S C h A f f E n b u R g<br />
4 Aktionen von Evamaria Brockhoff / Udo Breitenbach 104<br />
D E R z u g I n S f R E I E<br />
Meine Isartalbahn 1926–1936 / München-Hauptbahnhof 21. März 1939<br />
von H. Peter Sinclair ✝ / Evamaria Brockhoff und Ludwig Eiber 108<br />
L E I D E n S C h A f T E I S E n b A h n<br />
Museen, Vereine, Nostalgiefahrten 112<br />
D A S j u b I L äu m S j A h R 2010<br />
Termine, Veranstaltungen, Service 116<br />
Impressum / Bildnachweis 120<br />
eisenbahn in bayern 1835 . 2010
2 E D I T o R I A L<br />
edition<br />
bayern<br />
Oben links: Postkartenmotive<br />
(Nürnberger Plärrer und Eisenbahndamm<br />
in Lindau)<br />
Oben rechts: Die Einstiegshalle<br />
des Münchner Ostbahnhofs<br />
Mitte: Freifahrtschein für Herrn<br />
Hellerbrand nebst Gattin<br />
Unten: Freistempler des Bahnsozialwerks<br />
und Modelleisenbahn<br />
im Grundstein des Münchner<br />
Maximilianeums<br />
eisenbahn in bayern 1835 . 2010
Im Jahr 2007 etablierte das <strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> <strong>Geschichte</strong><br />
mit <strong>der</strong> <strong>EDITION</strong> <strong>BAYERN</strong> eine neue Schriftenreihe, die sich<br />
zur Aufgabe gemacht hat, die Regionen Bayerns in ihrer historischen<br />
Eigenart und Tradition vorzustellen. Vorangegangen war ein<br />
Auftrag des <strong>Bayerischen</strong> Landtags, den Regionen Bayerns beson<strong>der</strong>e<br />
Aufmerksamkeit zu widmen und sie in Ausstellungen und Publikationen<br />
einem breiten Publikum nahe zu bringen. Mit den Heften zum<br />
„Passauer Land“, den „Haßbergen“, <strong>der</strong> Region „Unterallgäu und<br />
Memmingen“, dem „Werdenfelser Land“ ist uns ein guter Start gelungen,<br />
<strong>der</strong> in nächster Zeit seine Fortsetzung findet in Beiträgen zum<br />
Chiemgau, zu Amberg und zu Kronach.<br />
EinE REihE, die auf sich hält, veröffentlicht von Zeit zu Zeit Son<strong>der</strong>hefte.<br />
Und so ist es auch bei <strong>der</strong> <strong>EDITION</strong> <strong>BAYERN</strong>. Die Son<strong>der</strong>hefte<br />
greifen die Konzeption <strong>der</strong> früheren „Hefte zur <strong>Bayerischen</strong><br />
<strong>Geschichte</strong> und Kultur“ auf, indem sie ein Thema aus <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong><br />
Bayerns – Altes und Neues, Bekanntes und Abgelegenes – behandeln,<br />
wobei großer Wert darauf gelegt wird, nicht nur eine gut lesbare,<br />
son<strong>der</strong>n auch eine reich bebil<strong>der</strong>te Publikation vorzulegen, in<br />
<strong>der</strong> die Bil<strong>der</strong> nicht bloß illustrativ eingesetzt sind; vielmehr werden<br />
sie als historische Quelle ernst genommen und bilden so einen eigenen<br />
„Erzählstrang“.<br />
Mit dEM ERstEn sondERhEft zur <strong>EDITION</strong> <strong>BAYERN</strong> greifen<br />
wir ein Jubiläum auf, das in diesem Jahr allerorts begangen wird.<br />
Vor 175 Jahren, am 7. Dezember 1835, fuhr in Deutschland die erste<br />
reguläre Eisenbahn. Die Dampflok hatte kein Geringerer gebaut als<br />
George Stephenson aus Newcastle, <strong>der</strong> „Vater <strong>der</strong> Dampflokomotive“.<br />
Die Lok kam aber nicht etwa in Preußen zum Einsatz, wie man meinen<br />
könnte. Es war Bayern, das bereits im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t eine ganze<br />
Reihe von technischen Innovationen auf den Weg brachte. Vom<br />
Nürnberger Plärrer, wo sich Tausende Zuschauer versammelt hatten,<br />
startete <strong>der</strong> „Adler“ um 9 Uhr in <strong>der</strong> Früh, um bald darauf wohlbehalten<br />
im nahe gelegenen Fürth anzukommen.<br />
Warum wurde ausgerechnet die Fürther Straße die erste Eisenbahnstrecke?<br />
Die Chaussee zwischen Nürnberg und Fürth galt in den<br />
1820er-Jahren als die meist befahrene Straße des Königreichs Bayern.<br />
Deshalb widmet das Nürnberger Museum Industriekultur seine<br />
Jubiläumsausstellung <strong>der</strong> „Strecke des Adlers“ – unser Heft ist die<br />
begleitende Publikation zur Ausstellung, die vom 17. Juni bis zum<br />
12. Dezember 2010 gezeigt wird.<br />
iM MittElpunkt dER pRäsEntation steht die Entwicklung<br />
<strong>der</strong> Fürther Straße als Weg in die Mo<strong>der</strong>ne und als „Achse <strong>der</strong> Industrialisierung“.<br />
Die erste Eisenbahn in Deutschland war zugleich<br />
die Initialzündung <strong>der</strong> Industrialisierung, die sich entlang des rasch<br />
wachsenden Schienennetzes entwickelte und die Welt grundlegend<br />
verän<strong>der</strong>te. Aufschwung und Nie<strong>der</strong>gang, wirtschaftlicher, sozialer<br />
und kultureller Wandel – das alles hat sich in <strong>der</strong> Fürther Straße abgespielt,<br />
von <strong>der</strong> Dampflok bis zur fahrerlosen U-Bahn.<br />
Regine Franzke, Rainer Mertens, Matthias Murko und Helmut<br />
Schwarz stellen diese Entwicklung von <strong>der</strong> industriellen zur multikulturellen<br />
Städteachse Nürnberg-Fürth dar anhand großer Namen<br />
wie Quelle, Triumph, Hercules, Schuco, AEG und DATEV. Die Bei-<br />
E D I T o R I A L<br />
träge von Richard Winkler zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Fa. Krauss & Comp.,<br />
Wilfried Ernst Hölzler zum Thema <strong>der</strong> stillgelegten Strecken, Udo<br />
Breitenbach über eine Kunstaktion zum Aschaffenburger Bahnhof<br />
und H. Peter Sinclair mit einer sehr persönlichen Kindheits- und<br />
Jugen<strong>der</strong>innerung sind einzelnen Aspekten <strong>der</strong> Eisenbahngeschichte<br />
gewidmet. Emma Mages bietet wie<strong>der</strong>um den großen Überblick:<br />
von <strong>der</strong> Privatbahn zur Staatseisenbahn, von <strong>der</strong> Lokalbahn und den<br />
Meisterwerken von Technik und Architektur, den Brücken und den<br />
Bahnhöfen, vom Strukturwandel in <strong>der</strong> Landwirtschaft bis zur Industrialisierung.<br />
dass sich BayERn den Eisenbahnverkehr nach <strong>der</strong> Reichsgründung<br />
von 1870/71 als Separatrecht behielt, wirft ein Licht auf seine<br />
Bedeutung. Und auch wenn es in Zeiten von weltumspannendem<br />
Flugverkehr und Weltraumflügen für (fast) je<strong>der</strong>mann ganz außer<br />
Blick geraten ist: Es war die Eisenbahn, die den mobilen Menschen<br />
unserer Zeit hervorgebracht hat. Mit <strong>der</strong> Eisenbahn wurde es zum<br />
ersten Mal im großen Stil möglich, das von <strong>der</strong> Natur vorgegebene<br />
Tempo <strong>der</strong> Fortbewegung eklatant zu erhöhen, unabhängig von <strong>der</strong><br />
eigenen Marschleistung, unabhängig von Pferdestärken und Seegang.<br />
Und so wurde die Eisenbahn in Kunst und Literatur auch rasch<br />
ein Symbol nicht nur für den technischen Fortschritt, son<strong>der</strong>n vor<br />
allem auch für die Unaufhaltsamkeit <strong>der</strong> Zeit, für die Vergänglichkeit,<br />
für das haltlose Hinabstürzen in den Tunnel, wie es Friedrich<br />
Dürrenmatts gleichnamige Erzählung so bedrohlich beschreibt. Und<br />
auch Karl Valentins „Hinaus ins Freie. Komische Soloszene“ ist weniger<br />
komisch als abgründig surreal:<br />
„… Da haben nämlich ich, meine Freunde und wir vor kurzer Zeit<br />
einen Ausflug gemacht, das heißt, das ist eigentlich auch scho wie<strong>der</strong><br />
drei Jahr her. Bei diesem Ausflug haben wir mehr Verdruß g`habt,<br />
als wie Aerger. Am Bahnhof drauß`n is s`scho anganga, wie wir<br />
nämlich in`n Zug einsteig`n woll`n, sehn wir, dass <strong>der</strong> Zug blos 12<br />
Wäg`n g`habt hat; wir waren aber zu dreizehnt, jetzt hab ich mit`n<br />
nächsten Zug nachfahr`n müssen … Die Fahrt war sehr ermüdend,<br />
erstens wars furchtbar heiß an dem Tag`, und Aussicht hab`n wir<br />
gar keine g`habt, als wie links und rechts lauter Schneefel<strong>der</strong>. Kurz<br />
vor <strong>der</strong> Station entgleist auf einmal <strong>der</strong> Zug, fahrt über Böschung<br />
`nunter und überrennt Häuser und Bäume, rennt ins Dorf nei und<br />
direkt in ein Wirtschaftsgebäude hinein, mitten ins Lokal. Natürlich<br />
hab`n wir den Lokomotivführer glei die größten Grobheiten<br />
g`macht und hab`n ihn g`fragt, warum dass er mit dem Zug da ins<br />
Lokal nei fahrt, sagt er, dös muß er tun, vom Verkehrsministerium<br />
aus, weil das a Lokalzug is ...“<br />
füR diE gutE koopERation danke ich dem Nürnberger Museum<br />
Industriekultur. Den Autoren und den Institutionen, die Bildmaterial<br />
zur Verfügung stellten, gilt mein Dank, vor allem aber den<br />
Privatpersonen, die – wie Eva Detzel, Aribert Elpelt und Helmut List,<br />
selbst ein ehemaliger Eisenbahner, sowie Alwin Reiter, Urenkel eines<br />
Bahnwärterehepaars – ihre Schätze zur Verfügung stellten. Den Leserinnen<br />
und Lesern wünsche ich eine vergnügliche Fahrt durch unser<br />
Eisenbahnheft mit interessanten Einblicken und Ausblicken.<br />
dR. RichaRd loiBl<br />
diREktoR dEs hausEs dER BayERischEn gEschichtE<br />
3
4 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Die entstehung Der LuDwigseisenbahn<br />
Die Wiege <strong>der</strong> deutschen Eisenbahn steht in Nürnberg. Als sich dort am Morgen<br />
des 7. Dezember 1835 <strong>der</strong> Eröffnungszug <strong>der</strong> ersten deutschen Eisenbahn, gezogen<br />
von <strong>der</strong> Lokomotive „Adler“, vom Plärrer in Richtung Fürth in Bewegung setzte,<br />
war dies <strong>der</strong> Auftakt zu einer Entwicklung, die epochale Folgen haben sollte.<br />
Der Adler in voller Fahrt – ein Publikumsmagnet
Fahrkarten <strong>der</strong> Ludwigseisenbahn<br />
Zwar war das neue Verkehrssystem<br />
mit <strong>der</strong> revolutionären Wirkung<br />
nicht in Nürnberg o<strong>der</strong> Fürth erfunden<br />
worden, denn das Mutterland <strong>der</strong> Eisenbahn<br />
ist bekanntlich England. Auch war<br />
die private Initiative hiesiger Kaufleute und<br />
Honoratioren, die das Projekt auf die Beine<br />
stellten, keineswegs einmalig in Deutschland;<br />
Eisenbahnkomitees gab es allerorten,<br />
ob in München, Frankfurt, Dresden o<strong>der</strong><br />
Berlin. Genau genommen war die nur sechs<br />
Kilometer lange Strecke zwischen Nürnberg<br />
und Fürth nicht einmal die erste Eisenbahn<br />
in Deutschland, denn in Österreich, damals<br />
zum Deutschen Bund gehörig, hatte 1832<br />
eine private Gesellschaft mit staatlicher Unterstützung<br />
eine Bahnlinie von Linz nach<br />
Budweis verwirklicht, wenngleich die dabei<br />
verwendete Technologie wenig innovativ<br />
war: Die pferdebespannten Wagen liefen<br />
auf mit Eisen beschlagenen Holzschienen.<br />
Doch die Zukunft gehörte einer an<strong>der</strong>en<br />
Technologie, <strong>der</strong> in England entwickelten<br />
Kombination von Eisenschiene und Dampfwagen.<br />
Dieses System nach Deutschland<br />
transferiert und dort erfolgreich umgesetzt<br />
zu haben, ist das historische Verdienst <strong>der</strong><br />
Nürnberg-Fürther Eisenbahnpioniere.<br />
aM anfang waR diE kRisE<br />
Warum wurde die erste Eisenbahn Deutschlands<br />
ausgerechnet zwischen Nürnberg<br />
und Fürth verwirklicht? Sucht man nach<br />
den Gründen hierfür, so muss man auf<br />
dem Zeitstrahl <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> einige Jahrzehnte<br />
zurückgehen. Nürnberg war am<br />
Ende des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts immer noch<br />
ein bedeutendes Wirtschaftszentrum. Die<br />
großen Handelshäuser belieferten ganz Europa<br />
und die überseeischen Besitzungen<br />
<strong>der</strong> europäischen Mächte mit Nürnberger<br />
Gewerbeerzeugnissen. Zudem betrieben die<br />
Nürnberger Kaufleute einen ausgedehnten<br />
Durchgangshandel mit Waren aller Art<br />
und machten dadurch die Region zu einer<br />
Drehscheibe des europäischen Handels.<br />
Allerdings hatte die Stadt seit dem Dreißigjährigen<br />
Krieg ihre einstige politische<br />
Bedeutung eingebüßt und war in seinen inneren<br />
gesellschaftlichen Strukturen erstarrt.<br />
Das Nürnberger Gewerbe fiel gegenüber <strong>der</strong><br />
europäischen Konkurrenz mehr und mehr<br />
zurück, doch hielt sich die Region insgesamt<br />
nicht schlecht, da vor allem die benachbarten<br />
hohenzollerschen Territorien wirtschaftlich<br />
erstarkten.<br />
Erst als Nürnberg 1806 mitsamt seinem<br />
ausgedehnten Landgebiet dem neuen Königreich<br />
Bayern zugeschlagen wurde, wendete<br />
sich die Lage endgültig zum Schlechten.<br />
Das Handelsvolumen <strong>der</strong> Nürnberger<br />
Kaufhäuser halbierte sich durch Krieg und<br />
Kontinentalsperre binnen weniger Jahre<br />
und nach 1815 lähmte die protektionistische<br />
Wirtschaftspolitik Bayerns und aller übrigen<br />
europäischen Staaten die exportorientierte<br />
Wirtschaft vollends. Als 1817 eine durch<br />
Missernten verursachte Hungersnot dazu<br />
kam, geriet die Region an den Rand des<br />
wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruchs.<br />
Die prekäre Lage verschärfte sich durch die<br />
Rückständigkeit des Nürnberger Gewerbes<br />
hinsichtlich Organisation, Technologie und<br />
Produktdesign. Insgesamt wirkten sich <strong>der</strong><br />
rigide Zentralismus und die restaurativ-reaktionäre<br />
Innenpolitik Bayerns lähmend auf<br />
die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen<br />
aus und brachten das Land im Vergleich zu<br />
den sozial und wirtschaftlich fortschrittlicheren<br />
Staaten Europas ins Hintertreffen.<br />
Die dringend notwendigen Reformen nahmen<br />
Gestalt an in einer Bewegung, die ihre<br />
Anhänger einerseits in <strong>der</strong> bayerischen Beamtenschaft,<br />
an<strong>der</strong>erseits im liberalen Wirtschaftsbürgertum<br />
rekrutierte. Ihre Hochburgen<br />
lagen fast ausschließlich in Franken.<br />
Neben den üblichen For<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Zeit<br />
nach Verfassung, wirtschaftlicher Liberalisierung<br />
und Erneuerung des Bildungswe-<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
sens war die Verbesserung des Verkehrswesens<br />
eines <strong>der</strong> Hauptanliegen <strong>der</strong> bayerischen<br />
Reformer. Leistungsfähige und vor allem<br />
preiswerte Transitrouten sollten den europäischen<br />
Handel auf bayerisches Territorium<br />
lenken. Auf diese Weise sollte <strong>der</strong> zwischen<br />
den Großmächten Preußen und Österreich<br />
eingeschnürte Binnenstaat respektive <strong>der</strong><br />
Nürnberger Raum (wie<strong>der</strong>) zum Herzland<br />
des europäischen Handels werden.<br />
Als wichtigstes Projekt galt die Verbindung<br />
von Main und Donau. Hierzu gab es verschiedene<br />
Vorschläge – Chausseen, Kanäle,<br />
auch die Eisenbahn wurden diskutiert. So<br />
hatte <strong>der</strong> bayerische Bergbaubeamte Joseph<br />
v. Baa<strong>der</strong> um 1811 als Erster überhaupt in<br />
Deutschland das Projekt einer Eisenbahn<br />
erörtert. Baa<strong>der</strong>, <strong>der</strong> während eines Aufenthalts<br />
in England um 1790 die dortigen<br />
Grubenbahnen kennengelernt hatte, entwarf<br />
mit seinem „System <strong>der</strong> fortschaffenden<br />
Mechanik“ eine sehr eigentümliche Schienenbahn,<br />
<strong>der</strong>en Technologie sich erheblich<br />
von <strong>der</strong> später verwirklichten Eisenbahn<br />
unterschied. Im Bestreben, die Nachteile <strong>der</strong><br />
englischen Bergwerksbahnen zu vermeiden,<br />
entwarf Baa<strong>der</strong> ein ausgeklügeltes, aber auch<br />
sehr kompliziertes System. Er sah auf Pfeilern<br />
montierte Schienen vor, auf denen Wagen<br />
auf spurkranzlosen Rä<strong>der</strong>n laufen und<br />
von zusätzlichen, waagrecht am Gleis laufenden<br />
Rä<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Spur gehalten werden.<br />
Die Wagen sollten von Pferden gezogen werden<br />
und sowohl auf <strong>der</strong> Schiene als auch auf<br />
<strong>der</strong> Straße laufen. Am Berg sollten „Kompensationsmaschinen“<br />
die Energie talwärts<br />
fahren<strong>der</strong> Fuhrwerke mittels Fe<strong>der</strong>mechanik<br />
speichern und zum Hochziehen bergwärts<br />
fahren<strong>der</strong> Wagen nutzen.<br />
Im Jahr 1814 baute Baa<strong>der</strong> eine Demonstrationsanlage<br />
in München auf. Hierbei zog<br />
unter an<strong>der</strong>em ein Schoßhündchen einen<br />
mit drei Personen besetzten Wagen über das<br />
Gleis, um den staunenden Zuschauern den<br />
5
6 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Pferdebetrieb auf <strong>der</strong> Ludwigsbahn bei Fürth<br />
geringen Reibungswi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> Schienenbahn<br />
zu demonstrieren. Drei Jahre später<br />
ließ er in München eine etwa 100 Meter<br />
lange runde Bahn im Maßstab 1:2 aufbauen,<br />
auf <strong>der</strong> er zwei Jahre lang beinahe wöchentlich<br />
Versuchsfahrten durchführte. Im Jahr<br />
1818 tauchte in einem Vorschlag Baa<strong>der</strong>s<br />
erstmals die Idee auf, eine Strecke zwischen<br />
Nürnberg und Fürth als Ausgangspunkt für<br />
eine bayerische Eisenbahn anzulegen. 1819<br />
debattierte <strong>der</strong> Bayerische Landtag erstmals<br />
über die Frage einer Eisenbahn in Bayern.<br />
Baa<strong>der</strong> spielte in dieser Zeit mit seinen<br />
Schriften und öffentlichen Vorführungen<br />
die Rolle als unermüdlicher Werber für das<br />
neue Verkehrsmittel und machte das Thema<br />
einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.<br />
1826 gelang es ihm, mit Finanzmitteln, die<br />
ihm mit Unterstützung des Landtags von<br />
<strong>der</strong> Regierung bewilligt worden waren, im<br />
Nymphenburger Schlosspark eine Versuchs-<br />
strecke mit seinem und dem „englischen<br />
Sys tem“ im Maßstab 1:1 zu errichten. Zu den<br />
Vorführungen strömten mehrere Tausend<br />
Menschen. Der junge König Ludwig I. war<br />
begeistert von <strong>der</strong> Eisenbahnidee. Bei einem<br />
Besuch in Fürth im September 1826 äußerte<br />
<strong>der</strong> Monarch, eine Bahn zwischen den beiden<br />
Städten sei „wünschenswerth und leicht<br />
ausführbar“.<br />
Doch noch war die Skepsis groß im Lande.<br />
Unstreitig war, dass Bayern mo<strong>der</strong>ne<br />
Verkehrswege brauchte, wie diese jedoch<br />
beschaffen sein sollten, darüber schieden<br />
sich die Geister. So setzte die bayerische<br />
Bergbauverwaltung, <strong>der</strong> das Projekt einer<br />
Verbindung von Main und Donau oblegen<br />
hätte, wie<strong>der</strong> auf den Kanalbau. Eine Jury<br />
unter <strong>der</strong> Leitung des Hofbaurates Leo v.<br />
Klenze erteilte 1826 dem Baa<strong>der</strong>’schen System<br />
eine vernichtende Kritik: Es sei viel<br />
zu kompliziert und kostspielig. Auch die<br />
mittelfränkischen Kaufleute zögerten zunächst,<br />
sich für die Eisenbahn zu entscheiden;<br />
zu riskant erschienen die Investitionen<br />
in die neue Verkehrstechnologie. So meinte<br />
Bürgermeis ter Scharrer, später Direktor <strong>der</strong><br />
Ludwigsbahn, im Jahr 1827, dass gute Straßen<br />
den Bedürfnissen des Verkehrs durchaus<br />
genügen würden. Die Nürnberg-Fürther<br />
Kaufmannschaft und viele liberale Beamten<br />
waren sich ohnedies einig, dass für den Bau<br />
mo<strong>der</strong>ner Verkehrswege eine Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen<br />
in Richtung Freihandel unerlässliche Voraussetzung<br />
wäre. Seit 1827 war die Idee<br />
einer großen Verbindungsbahn zwischen<br />
Main und Donau somit praktisch tot. Auch<br />
Ludwig I. wandte sich, enttäuscht von den<br />
Baa<strong>der</strong>’schen Versuchsergebnissen, von <strong>der</strong><br />
Eisenbahn ab und favorisierte nun den Kanalbau.
Zeitgenössische Darstellung <strong>der</strong> Ludwigsbahnstrecke<br />
diE ludwigsBahn – Ein wERk dEs<br />
BüRgERtuMs<br />
Um 1830 wendete sich jedoch das Blatt wie<strong>der</strong><br />
zu Gunsten <strong>der</strong> Eisenbahn. Nun trat<br />
eine Verkettung von Ereignissen ein, die<br />
das Handeln <strong>der</strong> mittelfränkischen Bahnpioniere<br />
gewaltig beschleunigte. So wurde<br />
ein Zusammenschluss <strong>der</strong> größten Staaten<br />
des Bundes zu einem Zollverein immer<br />
wahrscheinlicher; bereits 1828 waren Verträge<br />
zwischen Bayern und Württemberg<br />
geschlossen worden und die Verhandlungen<br />
mit Preußen gingen zügig voran. Damit<br />
eröffnete sich die Aussicht auf eine rasche<br />
Verbesserung <strong>der</strong> wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.<br />
Zudem wurde 1830 zwischen<br />
Manchester und Liverpool die erste längere<br />
Eisenbahnstrecke <strong>der</strong> Welt eröffnet, die ausschließlich<br />
mit Dampfkraft bedient wurde.<br />
Ihr großer Erfolg verhalf <strong>der</strong> Kombination<br />
Schiene – mobile Dampfmaschine endgül-<br />
tig zum Durchbruch und zeigte vor allem,<br />
dass Eisenbahnen nicht nur für den Warentransport<br />
geeignet waren, son<strong>der</strong>n auch Personen<br />
schnell und sicher beför<strong>der</strong>n konnten.<br />
Schließlich war 1832 die Pferdebahn Linz—<br />
Budweis eröffnet worden. Diese immerhin<br />
130 Kilometer lange Eisenbahnlinie verband<br />
die Donau mit <strong>der</strong> Moldau und schuf eine<br />
neue Handelsroute für die Warenströme<br />
aus Südosteuropa in Richtung Sachsen und<br />
Preußen. Die Nürnberger Kaufleute mussten<br />
nun befürchten, dass die Handelsgüter noch<br />
mehr als bisher einen Bogen um Bayern und<br />
die Nürnberg-Fürther Region machen würden.<br />
Die in Aussicht stehende Gründung des<br />
Zollvereins, <strong>der</strong> Erfolg <strong>der</strong> Liverpool-Manchester-Bahn<br />
und <strong>der</strong> Linz-Budweiser „Bypass“<br />
– all dies brachte die zögernde Nürnberg-Fürther<br />
Kaufmannschaft in Zugzwang,<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
in Sachen Eisenbahn aktiv zu werden. Den<br />
Anfang machte Erhard Friedrich Leuchs,<br />
Herausgeber <strong>der</strong> Nürnberger „Allgemeinen<br />
Handelszeitung“, einem <strong>der</strong> wichtigsten Informationsmedien<br />
Süddeutschlands über<br />
technische und wirtschaftliche Entwicklungen<br />
in aller Welt. Die Handelszeitung<br />
hatte in den vergangenen Jahren immer<br />
wie<strong>der</strong> über die Entwicklung <strong>der</strong> Eisenbahn<br />
und ausführlich über den Lokomotiv-Wettbewerb<br />
von Rainhill und die Eröffnung <strong>der</strong><br />
Manchester-Liverpool-Bahn berichtet. Am<br />
2. Januar 1833 erschien ein von Leuchs selbst<br />
verfasster „Aufruf zur Gründung einer Eisenbahn<br />
von Nürnberg nach Fürth“. Dieser<br />
wurde in 1800 Exemplaren in Nürnberg und<br />
Fürth verteilt und fachte eine breite Diskussion<br />
in <strong>der</strong> Öffentlichkeit an. Zunächst<br />
hielt sich die Unterstützung für das Projekt<br />
in engen Grenzen: Während <strong>der</strong> Fürther<br />
Bürgermeister Bäumen und <strong>der</strong> Nürnber-<br />
7
8 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Plan <strong>der</strong> Ludwigseisenbahn von 1840<br />
ger Handelsvorstand unter <strong>der</strong> Führung des<br />
Marktvorstehers Georg Zacharias Platner<br />
den Aufruf unterstützten, verhielten sich<br />
die Gremien bei<strong>der</strong> Städte abwartend. Vor<br />
allem in Fürth wurden Bedenken laut, dass<br />
durch die Eisenbahn Fuhrleute ihre Arbeit<br />
verlieren könnten. Die Meinung <strong>der</strong> – erstaunlich<br />
breiten – Öffentlichkeit spiegelt<br />
sich in den zahlreichen Leserzuschriften <strong>der</strong><br />
Handelszeitung wi<strong>der</strong>. Positive Kommentare<br />
herrschten vor, viele Stimmen for<strong>der</strong>ten<br />
eine Beteiligung des Staates an <strong>der</strong> von <strong>der</strong><br />
Nürnberg-Fürther Bürgerschaft getragenen<br />
Initiative.<br />
Platner veranlasste, dass vorab Landtag und<br />
Regierung um Erlaubnis für das Projekt<br />
gebeten wurden. Am 12. Januar erfolgte<br />
schließlich <strong>der</strong> entscheidende Schritt: An<br />
diesem Tag traf er sich in seinem <strong>Haus</strong> im<br />
östlich von Nürnberg gelegenen Vorort Erlenstegen<br />
mit dem Nürnberger Kaufmann<br />
und Handelsvorstandsmitglied Johann Merkel,<br />
dem Fürther Bürgermeister Franz v.<br />
Bäumen und seinem alten Freund Johannes<br />
Scharrer, dem früheren Bürgermeister und<br />
<strong>der</strong>zeitigen Leiter <strong>der</strong> Polytechnischen<br />
Schule.<br />
Dieser kleine Kreis bürgerlicher Honoratioren<br />
kam in wenigen Stunden zu <strong>der</strong> historischen<br />
Entscheidung, Deutschlands erste<br />
Eisenbahn mit Dampfkraft zu realisieren. Es<br />
mag heute erstaunen, mit welcher Zielstrebigkeit,<br />
die in vieler Hinsicht an mo<strong>der</strong>nes<br />
Prozessmanagement erinnert, die vier ehrwürdigen<br />
Herren an die Sache herangingen.<br />
Noch in jener Besprechung beschlossen sie<br />
die nächsten Schritte: Als empirische Basis<br />
sollte eine bereits begonnene Verkehrszählung<br />
an <strong>der</strong> Fürther Straße weitergeführt<br />
werden, um zu ermitteln, ob das Verkehrsaufkommen<br />
zwischen den Nachbarstädten<br />
ausreicht, um eine Bahnlinie wirtschaftlich<br />
betreiben zu können. Würde das Ergebnis<br />
positiv ausfallen, wollte man als nächsten<br />
Schritt das Terrain vermessen lassen. Danach<br />
sollte über die technische Bauart <strong>der</strong><br />
neuen Eisenbahnlinie und <strong>der</strong> Fahrzeuge<br />
entschieden werden. Hierzu beabsichtig-<br />
ten die Eisenbahnpioniere Informationen<br />
vor allem aus England einzuholen. Nach<br />
<strong>der</strong> Entscheidung für die Bauart sollten die<br />
Kosten des Projekts ermittelt werden, um<br />
schließlich das Kapital zu beschaffen. Der<br />
gesamte Prozess sollte mit <strong>der</strong> Veröffentlichung<br />
einer Einladungsschrift zur Gründung<br />
einer Eisenbahngesellschaft spätestens<br />
im Mai abgeschlossen werden, um dann in<br />
die Phase <strong>der</strong> konkreten Planung und des<br />
Baus <strong>der</strong> Bahnlinie einzutreten.<br />
Die Ergebnisse <strong>der</strong> Verkehrszählung, die<br />
Ende März vorlagen, übertrafen alle Erwartungen:<br />
Danach verkehrten pro Jahr zwischen<br />
den beiden Städten 612 470 Personen,<br />
zu Fuß und auf Wagen, sowie 39 420 Fuhrwerke<br />
mit 86 140 Pferden. In den folgenden<br />
Wochen fällten die Nürnberger Eisenbahnpioniere<br />
zwei wichtige Entscheidungen. Da<br />
war zunächst die Art <strong>der</strong> technischen Ausführung.<br />
Trotz des Erfolgs <strong>der</strong> Manchester-Liverpool-Bahn<br />
war zu dieser Zeit die<br />
Systemfrage noch keineswegs zu Gunsten<br />
des dort verwendeten „englischen Systems“
entschieden. Hierbei wurde die Trasse<br />
möglichst gerade und eben geführt, Flüsse<br />
wurden mit aufwändigen Brückenbauten<br />
überspannt, Höhenzüge mit Tunneln o<strong>der</strong><br />
Einschnitten durchquert. Massive Schienen<br />
aus gewalztem Eisen trugen die Züge, die im<br />
Fall <strong>der</strong> Manchester-Liverpooler Linie ausschließlich<br />
mit Dampflokomotiven bewegt<br />
wurden. Die Vorteile dieser Bauart lagen in<br />
ihrer Haltbarkeit und <strong>der</strong> direkten Linienführung,<br />
die relativ hohe Geschwindigkeiten<br />
erlaubte. Nachteil waren die hohen Herstellungskosten.<br />
Dem gegenüber stand das „amerikanische<br />
System“. Hier wurde die Trasse dem Gelände<br />
angepasst angelegt: Steile Anstiege und<br />
enge Kurven wurden in Kauf genommen,<br />
dafür wurden teure Brücken- und Tunnelbauten<br />
vermieden. Der Fahrweg bestand<br />
aus eisenbeschlagenen Holzschienen, die auf<br />
hölzernen Schwellen befestigt waren. Die<br />
Wagen – längere Züge fuhren kaum – wurden<br />
sowohl von Dampflokomotiven als auch<br />
von Pferden gezogen. Diese Bauart hatte den<br />
Vorteil, dass sie wenig kostete und schnell<br />
herzustellen war. Mitte <strong>der</strong> 1830er-Jahre<br />
bestanden in den USA bereits 46 <strong>der</strong>artige<br />
Eisenbahnlinien, weitere 137 waren in Planung.<br />
Darunter waren schon echte Fernbahnen<br />
wie die über 500 Kilometer lange<br />
Linie von Baltimore nach Pittsburgh. Auch<br />
die erwähnte Eisenbahn von Linz nach<br />
Budweis war nach dem „amerikanischen<br />
System“ ausgeführt. Viele Eisenbahnpioniere,<br />
unter ihnen auch Friedrich List, <strong>der</strong> die<br />
US-Bahnen aus eigener Anschauung kannte,<br />
befürworteten diese Bauart.<br />
Auch Baa<strong>der</strong> schaltete sich noch einmal<br />
in die Diskussion ein und empfahl seine<br />
„fortschaffende Mechanik“ für das geplante<br />
Projekt. Damit standen drei Systeme zur<br />
Diskussion, doch die Nürnberg-Fürther<br />
Eisenbahnpioniere favorisierten von Beginn<br />
an das „englische System“. Schon <strong>der</strong><br />
Leuchs’sche Aufruf hatte sich für eine Linie<br />
nach dem Vorbild Liverpool-Manchester<br />
ausgesprochen. Nach einem Kostenvergleich<br />
entschieden sie sich für das englische<br />
System, obwohl dies nicht das günstigste<br />
war. Sie setzten damit einen Standard, dem<br />
fast alle Eisenbahnprojekte in Deutschland<br />
folgten.<br />
Weitblickend war auch die Entscheidung,<br />
die Bahn als mit privatem Kapital finanzierte<br />
Aktiengesellschaft zu organisieren. Diese in<br />
Deutschland noch wenig verbreitete Gesellschaftsform<br />
gab den Betreibern die für ein<br />
<strong>der</strong>artiges Unternehmen notwendige Entscheidungsfreiheit.<br />
Mit diesen Festlegungen sowie <strong>der</strong> Verkehrszählung<br />
und <strong>der</strong> Kostenermittlung waren<br />
die Voraussetzungen für die Gründung<br />
einer Bahngesellschaft erfüllt. Nun gingen<br />
die noch informell agierenden Eisenbahnpioniere<br />
daran, ihrem Projekt eine feste Form<br />
zu geben: Am 14. Mai 1833 veröffentlichten<br />
sie die „Einladung zur Gründung einer<br />
Gesellschaft für die Errichtung einer Eisenbahn<br />
mit Dampfkraft zwischen Nürnberg<br />
und Fürth“. Damit entfachten sie eine Diskussion,<br />
die weit intensiver geführt wurde<br />
als beim Leuchs’schen Aufruf. Hier kamen<br />
alle – teilweise durchaus berechtigten – Bedenken<br />
<strong>der</strong> Zeit zum Tragen: Die Fuhrleute<br />
würden arbeitslos, die Eisenbahn sei wenig<br />
zukunftsträchtig, ein Dampfwagen könne<br />
explodieren, <strong>der</strong> Übergang von Schiene zu<br />
Straße sei schwierig herzustellen, bei dem<br />
Verkehr auf Kanälen bleibe mehr Geld im<br />
Lande und vieles mehr. Die heute noch gerne<br />
zitierte Warnung bayerischer Ärzte, die<br />
hohe Geschwindigkeit <strong>der</strong> Eisenbahn würde<br />
die Fahrgäste wie die Passanten in den<br />
Wahnsinn treiben, muss dagegen ins Reich<br />
<strong>der</strong> Legenden verwiesen werden. Vermutlich<br />
wurde sie fünfzig Jahre später von Heinrich<br />
v. Treitschke in die Welt gesetzt. Für<br />
die Popularität sorgte dann wie<strong>der</strong> fünfzig<br />
Jahre später Adolf Hitler, <strong>der</strong> die <strong>Geschichte</strong><br />
immer dann zum Besten gab, wenn er sich<br />
über den Rat von Fachleuten hinwegsetzen<br />
wollte.<br />
Neben den Bedenken gab es aber auch breite<br />
Zustimmung aus <strong>der</strong> Bürgerschaft. Die<br />
Oberste Königliche Baubehörde stand dem<br />
Projekt wohlwollend gegenüber. So unentschieden<br />
die öffentliche Meinung war, so<br />
schleppend kamen die Gel<strong>der</strong> zusammen:<br />
Erst bis zum November hatte man die für<br />
den Bau nötigen 175 000 Gulden (nach heutigem<br />
Wert etwa fünf bis sechs Millionen<br />
Euro) aufgebracht. Zum Vergleich: Das zwei<br />
Jahre später ausgeschriebene Aktienkapital<br />
für den Bau <strong>der</strong> Leipzig-Dresdner Eisenbahn<br />
in Höhe von einer Million Talern (1,5<br />
Millionen Gulden) war innerhalb weniger<br />
Stunden gezeichnet. Fe<strong>der</strong>führend bei <strong>der</strong><br />
Finanzierung <strong>der</strong> Nürnberg-Fürther Bahn<br />
waren die großen Handelshäuser <strong>der</strong> Region.<br />
Allein Georg Zacharias Platner, Hauptinitiator<br />
<strong>der</strong> Eisenbahn, erwarb Aktien im<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Wert von 11 000 Gulden, nach heutigem<br />
Wert rund 330 000 Euro. Unter den 207 Aktionären<br />
fanden sich aber auch 101 Kleinaktionäre,<br />
Dienstboten, Krämer, städtische<br />
Angestellte, die jeweils nur eine o<strong>der</strong> zwei<br />
Aktien im Wert von 100 o<strong>der</strong> 200 Gulden<br />
erwarben. Enttäuschend fiel das finanzielle<br />
Engagement des bayerischen Staates aus, <strong>der</strong><br />
nur zwei Aktien kaufte und diese erst nach<br />
mehrmaliger Ermahnung bezahlte.<br />
dER Bau dER ludwigsEisEnBahn<br />
Am 18. November 1833 fand im Nürnberger<br />
Kleinen Rathaussaal die offizielle Gründung<br />
<strong>der</strong> ersten Eisenbahngesellschaft Deutschlands<br />
statt. Georg Zacharias Platner wurde<br />
zum Direktor gewählt, Scharrer war sein<br />
Stellvertreter und folgte ihm ein Jahr später<br />
auf den Direktorsposten, den er dann<br />
bis zu seinem Tod 1844 bekleidete. Weitere<br />
Mitglie<strong>der</strong> des Direktoriums waren unter<br />
an<strong>der</strong>em <strong>der</strong> Nürnberger Erste Bürgermeister<br />
Bin<strong>der</strong> und <strong>der</strong> Buchhändler Carl<br />
Mainberger, ein Vertrauter Scharrers. Hier<br />
waren wie<strong>der</strong> die Vertreter <strong>der</strong> bürgerlichen<br />
Oberschicht versammelt, die seit zwei Jahrzehnten<br />
versuchten, mit sozialen und wirtschaftlichen<br />
Reformen die schwere Krise <strong>der</strong><br />
Region zu überwinden und zu ihr neuem<br />
Gewicht in <strong>der</strong> Welt zu verhelfen. Mit <strong>der</strong><br />
Gründung <strong>der</strong> Eisenbahngesellschaft schien<br />
dieser Gruppe erstmals ein Projekt zu gelingen,<br />
das weit über die Grenzen <strong>der</strong> Stadt hinaus<br />
Beachtung fand.<br />
Doch während die vielerorts bereits gegründeten<br />
o<strong>der</strong> in Gründung befindlichen Eisenbahnkomitees<br />
ihre Blicke nach Nürnberg<br />
richteten, galt <strong>der</strong> Prophet im eigenen Land<br />
wenig. Die bayerische Regierung verhielt<br />
sich weiterhin zögerlich; immerhin half sie<br />
bei <strong>der</strong> Suche nach einem Bauingenieur: Auf<br />
Vermittlung des Hofbaurates Klenze kam<br />
Platner zu Beginn des Jahres 1834 in Kontakt<br />
mit dem im Dienst <strong>der</strong> königlichen Regierung<br />
stehenden Ingenieur Paul Camille<br />
Denis. Ungewöhnlich großzügig gewährte<br />
die Regierung ihm Son<strong>der</strong>urlaub, um die<br />
Trasse zu projektieren. Zudem erhielt die<br />
Bahngesellschaft vom König persönlich das<br />
Privileg <strong>der</strong> Personenbeför<strong>der</strong>ung zwischen<br />
Nürnberg und Fürth für dreißig Jahre erteilt.<br />
Hier hatten sich die Nürnberger zwar<br />
mehr erwartet, dennoch benannten sie nun<br />
ihr Projekt zu Ehren ihres Monarchen „Königlich<br />
privilegierte Ludwigs-Eisenbahn-<br />
Gesellschaft“. Der von seinen Pflichten freigestellte<br />
Denis begann seine Arbeit Anfang<br />
9
10 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Juli 1834. Nach gut drei Monaten übergab<br />
er dem Direktorium die fertigen Pläne am<br />
14. Oktober. Am 31. Oktober erteilte ihm die<br />
Regierung die Erlaubnis, weiter für die Bahn<br />
zu arbeiten. Denis übernahm in <strong>der</strong> Folge<br />
auch die Bauleitung.<br />
Eine beson<strong>der</strong>e Schwierigkeit stellte <strong>der</strong><br />
Erwerb <strong>der</strong> für den Bau <strong>der</strong> Bahn nötigen<br />
Grundstücke dar. Da es kein Enteignungsgesetz<br />
gab, war die Gesellschaft gezwungen, mit<br />
allen Grundstücksbesitzern einzeln zu verhandeln.<br />
Obwohl mit <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong> etwa<br />
90 Eigentümer eine rasche Einigung möglich<br />
war, zogen sich die Verhandlungen von März<br />
1834 bis September 1835 hin. Als beson<strong>der</strong>s<br />
hartnäckig erwies sich die Grundstücksbesitzerin<br />
– nomen est omen – Witwe Sperr, die<br />
schließlich für ihr Grundstück im Burgfrieden<br />
einen völlig überzogenen Preis herausschlug.<br />
Im Mai 1835, noch bevor alle Grundstücke<br />
erworben waren, begannen endlich die Arbeiten.<br />
Die Bauaufgabe war verhältnismäßig<br />
leicht: Entlang <strong>der</strong> Südseite <strong>der</strong> Fürther<br />
Chaussee musste auf einer Länge von 6 132<br />
Metern eine nahezu schnurgerade Strecke<br />
gebaut werden, die einen Höhenunterschied<br />
von nur etwa sechs Metern, abfallend von<br />
Nürnberg nach Fürth, aufwies. Gemäß dem<br />
„englischen System“ fiel die Bauweise sehr<br />
solide aus: Die Strecke verlief auf einem 4,37<br />
Meter breiten Damm von durchschnittlich<br />
4 bayerischen Fuß (1,17 Metern) Höhe. Die<br />
größte Höhe wurde mit 3,5 Meter bei Fürth<br />
erreicht. Auf dem Damm sollten Schienen<br />
in gusseisernen Befestigungen auf Steinqua<strong>der</strong>n<br />
befestigt werden. Zwischen den Schienen<br />
war ein aus gestampftem Kies bestehen<strong>der</strong><br />
Weg für Pferde vorgesehen, denn ein Teil<br />
des Betriebs sollte mit Pferdekraft bewerkstelligt<br />
werden. Drei Bahnübergänge mit<br />
Schranken und Warnschil<strong>der</strong>n für den kreuzenden<br />
Straßenverkehr waren vorgesehen.<br />
Zwischen 20 und 100 Tagelöhner, dazu 15<br />
bis 30 Fuhrleute, Akkordarbeiter, Pflasterer,<br />
Steinbohrer und Steinbrecher arbeiteten unter<br />
<strong>der</strong> Aufsicht von Denis auf <strong>der</strong> Baustelle.<br />
Während Material und Arbeitskräfte für die<br />
Erd- und Steinarbeiten vor Ort vorhanden<br />
waren, mussten die Schienen und Fahrzeuge<br />
an<strong>der</strong>enorts gefertigt werden. Deutschland<br />
war damals für diese Aufgabe in technologischer<br />
Hinsicht bei Weitem nicht up to date.<br />
Belastbare Schienen müssen aus Walzeisen<br />
bestehen, nicht aus sprödem Gusseisen, das<br />
jedoch kaum jemand in Deutschland herstellen<br />
konnte. Der Import aus England war<br />
aber wegen des hohen Einfuhrzolls zu teuer.<br />
Nach langer Suche fand sich das heute noch<br />
bestehende Eisenwerk Remy in Rasselstein<br />
bei Neuwied, das Schienen nach den Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> Ludwigsbahn liefern konnte.<br />
Nun fehlte nur noch <strong>der</strong> Dampfwagen. Als<br />
Fans <strong>der</strong> englischen Eisenbahn dachten die<br />
Nürnberg-Fürther Bahnpioniere von Anfang<br />
an daran, die bekanntesten englischen<br />
Lokomotivbauer zu beauftragen: George<br />
Stephenson und seinen Sohn Robert aus<br />
Newcastle. Bereits im Frühjahr 1833 hatte<br />
die Ludwigsbahn-Gesellschaft über die<br />
Londoner Firma Suse & Libeth Kontakt zu<br />
Stephenson aufgenommen, <strong>der</strong> am 9. Mai,<br />
also noch vor Herausgabe des Subskriptionsaufrufs,<br />
den Nürnbergern antwortete,<br />
er könne eine Lokomotive bauen. Am 4.<br />
Juli schickte Stephenson ein Angebot für<br />
den Bau von zwei Lokomotiven für 1 800<br />
Pfund Sterling (= 21 600 Gulden, entspricht<br />
etwa 650 000 Euro). Dies überstieg jedoch<br />
deutlich die Kalkulation <strong>der</strong> Ludwigsbahn-<br />
Gesellschaft, die mit 12 000 Gulden gerechnet<br />
hatte.<br />
Nun begann die Suche nach Alternativen:<br />
Nachdem sich bis Ende 1834 im Gebiet des<br />
gerade gegründeten Deutschen Zollvereins<br />
kein seriöser Anbieter gefunden hatte,<br />
muss ten sich die fränkischen Eisenbahngrün<strong>der</strong><br />
im Ausland umschauen. Sie kamen<br />
in Kontakt zum belgischen Maschinenbauer<br />
Cockerill in Lüttich, <strong>der</strong> die Ausrüstung<br />
für die Bahnstrecke Brüssel–Mechelen<br />
geliefert hatte, die am 5. Mai 1835 als erste<br />
öffentliche Eisenbahn mit Dampfkraft<br />
auf dem europäischen Kontinent eröffnet<br />
werden sollte. Doch auch Cockerill war<br />
nicht <strong>der</strong> richtige Mann: Als Platner und<br />
Mainberger Ende April 1835 von Neuwied<br />
aus, wo sie mit dem Eisenwerk Remy den<br />
Vertrag zur Lieferung <strong>der</strong> Schienen abgeschlossen<br />
hatten, nach Lüttich fuhren,<br />
stellte sich heraus, dass Cockerill keinerlei<br />
Erfahrung im Bau von Lokomotiven<br />
hatte. Dafür erfuhren sie, dass sich Robert<br />
Stephenson anlässlich <strong>der</strong> Eröffnung <strong>der</strong><br />
Eisenbahn Brüssel–Mechelen in Brüssel<br />
aufhielt. Kurz entschlossen machten sie<br />
sich dorthin auf und trafen tatsächlich Stephenson.<br />
Die Eröffnung <strong>der</strong> Bahn, auf <strong>der</strong><br />
auch eine Stephenson’sche „Patentee“-Lok<br />
zum Einsatz kam, scheint die beiden endgültig<br />
von den Qualitäten des Lokomotivbauers<br />
aus Newcastle überzeugt zu haben,<br />
denn nach ihrer Rückkehr in die Heimat<br />
wurde <strong>der</strong> Dampfwagen umgehend bei<br />
Stephenson bestellt. Die Englän<strong>der</strong> bauten<br />
nun innerhalb <strong>der</strong> nächsten vier Monate<br />
eine Lokomotive für ihre deutschen<br />
Auftraggeber. Es war ihre 118. Maschine,<br />
eine Zahl, die zeigt, dass die Stephensons<br />
schon fast in Serie produzierten. Die Lok<br />
gehörte zu dem bewährten „Patentee“-Typ,<br />
<strong>der</strong> schon alle wichtigen Merkmale einer<br />
klassischen Dampflokomotive aufweist:<br />
ein von zahlreichen Heizrohren durchzogener<br />
Langkessel, Dampfdom, Rauchkammer<br />
und Schornstein. Der Dampfwagen,<br />
<strong>der</strong> später den Namen „Adler“ erhalten<br />
sollte, war das kleinste bisher gebaute Patentee-Exemplar.<br />
Das Leergewicht betrug<br />
6 Tonnen; zusammen mit Ten<strong>der</strong>, Wasser<br />
und Kohle war es etwa 11 Tonnen schwer.<br />
Stephenson stellte für die Lok 800 Pfund<br />
Sterling in Rechnung, das entsprach knapp<br />
10 000 Gulden.<br />
Ende September, Wochen später als geplant,<br />
wurde <strong>der</strong> Dampfwagen, zerlegt in<br />
100 Einzelteile und verpackt in 19 Kisten,<br />
nach Rotterdam verschifft. Die Umstände<br />
des Transports nach Nürnberg lieferten<br />
den schlagenden Beweis, wie dringend Europa<br />
ein mo<strong>der</strong>nes Transportsystem benötigte:<br />
Die 1500 Kilometer lange Reise von<br />
Newcastle nach Nürnberg per Segelschiff,<br />
Lastkahn und Fuhrwerk dauerte beinahe<br />
neun Wochen. Als <strong>der</strong> Dampfwagen eintraf,<br />
waren die Arbeiten an <strong>der</strong> Ludwigsbahn<br />
erheblich hinter dem Zeitplan. Zwar<br />
hatten auf einer Teilstrecke schon erste
Der Nachbau des Adlers von 1935 und sein Zug auf einer heutigen Fahrt<br />
Probefahrten mit den von heimischen Betrieben<br />
hergestellten Wagen stattgefunden,<br />
von denen <strong>der</strong> erste bereits Ende August<br />
betriebsbereit war; doch die Gesamtstrecke<br />
war noch nicht fertig, außerdem musste<br />
<strong>der</strong> Dampfwagen erst zusammengebaut<br />
werden. Dies erledigte <strong>der</strong> Fabrikant Wilhelm<br />
Späth in seiner großen Werkstätte<br />
am Dutzendteich. Späth galt gegenüber den<br />
Zollbehörden als <strong>der</strong> eigentliche Empfänger<br />
des Dampfwagens; auf den Rat <strong>der</strong> Behörde<br />
selbst hin hatte die Ludwigsbahn-Gesellschaft<br />
den Dampfwagen zum Muster für den<br />
Nachbau durch Späth erklärt, um den hohen<br />
Einfuhrzoll zu vermeiden. So verzögerten<br />
sich die Tests für die Lokomotive weiter: Die<br />
erste Probefahrt mit dem Dampfwagen fand<br />
am 16. November unter großer Anteilnahme<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung statt. Der auf den 24. November<br />
festgesetzte Eröffnungstermin konnte<br />
nicht eingehalten werden.<br />
ERöffnung und histoRischE BEdEutung<br />
Die Eröffnung fand schließlich am 7. Dezember<br />
statt. Mehrere Tausend Menschen<br />
wohnten dem Ereignis am Nürnberger Plärrer,<br />
von wo <strong>der</strong> Zug um neun Uhr morgens<br />
startete, entlang <strong>der</strong> Strecke und in Fürth<br />
bei. Zahlreiche Zeitungskorrespondenten<br />
berichteten und die Eisenbahnkomitees<br />
in ganz Deutschland schickten begeisterte<br />
Grußbotschaften. Einzig die bayerische<br />
Obrigkeit glänzte durch Abwesenheit: Kein<br />
Angehöriger des Königshauses wohnte <strong>der</strong><br />
Eröffnung bei, als ranghöchster Regierungsvertreter<br />
war <strong>der</strong> Regierungspräsident von<br />
Mittelfranken entsandt worden.<br />
Doch auch ohne die Unterstützung von<br />
König und Regierung wurde die Nürnberg-<br />
Fürther Eisenbahn zu einem Erfolg, <strong>der</strong> die<br />
Erwartungen seiner Grün<strong>der</strong> weit übertraf<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
und in ganz Europa Wi<strong>der</strong>hall fand. Zudem<br />
erwies sich das Unternehmen rasch als Erfolg:<br />
Bereits im ersten Jahr transportierte<br />
die Bahn die schier unglaubliche Zahl von<br />
475 219 Passagieren. Entsprechend hoch fiel<br />
<strong>der</strong> Gewinn aus: Im ersten Geschäftsjahr erhielten<br />
die Aktionäre eine Dividende von 20<br />
Prozent. Auch in den folgenden Jahren betrugen<br />
die Ausschüttungen zwischen 15 und<br />
17 Prozent. Damit hatte die Ludwigsbahn<br />
den Beweis erbracht, dass sich Eisenbahnbau<br />
auszahlte. In ganz Deutschland brach<br />
ein regelrechtes Eisenbahnfieber aus; endlich<br />
wagten die an<strong>der</strong>en Eisenbahnkomitees<br />
und ihre Kapitalgeber, die Verwirklichung<br />
ihrer Pläne anzugehen. In nur wenigen Jahren<br />
entstanden überall im Deutschen Bund<br />
Eisenbahnstrecken, sodass bereits fünf Jahre<br />
nach <strong>der</strong> Eröffnung <strong>der</strong> Ludwigsbahn 541<br />
Kilometer Gleise verlegt waren.<br />
RainER MERtEns<br />
11
12 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Im Jahr 1796 übernahm Carl August<br />
Freiherr von Hardenberg, <strong>der</strong><br />
spätere preußische Staatskanzler, als<br />
Staatsminis ter des preußischen Königs Friedrich<br />
Wil helm II. die Regierungsgeschäfte in<br />
Ansbach. Zwar hatte <strong>der</strong> König, Herr über<br />
die Fürs tentümer Ansbach und Bayreuth,<br />
von einer Übernahme Nürnbergs Abstand<br />
genommen, Hardenberg aber sah das an<strong>der</strong>s.<br />
Der ‚Erwerb‘ Nürnbergs schien ihm<br />
notwendig, ein preußisches Nürnberg sei<br />
„vorteilhaft für das Commerz“, schrieb er<br />
1797. Die hoch verschuldete alte Reichsstadt,<br />
die wahrlich schon bessere Tage gesehen<br />
hatte, war wirtschaftlich immer noch<br />
von Bedeutung, die alteingesessenen Nürnberger<br />
Handelshäuser genossen auch in diesen<br />
Krisenzeiten einen untadeligen Ruf. Und<br />
konnte man <strong>der</strong> Stadt Nürnberg wirklich<br />
nicht habhaft werden, „so muß man suchen,<br />
die Vorstädte emporzubringen“.<br />
das gEschwächtE nüRnBERg hatte<br />
<strong>der</strong> Besetzung seiner Vororte bis unmittelbar<br />
vor die Tore <strong>der</strong> Stadt nichts entgegenzusetzen.<br />
Auch die Verlegung <strong>der</strong> markgräflichen<br />
Bank von Ansbach nach Fürth war<br />
ein deutliches Zeichen, wen man zu stärken<br />
bzw. zu schwächen gedachte. Neue Straßenplanungen<br />
schließlich sollten zur För<strong>der</strong>ung<br />
des in- und ausländischen Handels beitragen,<br />
die heimische Wirtschaft för<strong>der</strong>n und<br />
in einem speziellen Fall, <strong>der</strong> geplanten Land-<br />
Zur geschichte<br />
Der Fürther strasse<br />
regine franzke · matthias murko<br />
chaussee zwischen Fürth und Nürnberg,<br />
den Nürnbergern empfindliche Einbußen<br />
bringen, erhoben diese bis dato doch immer<br />
noch Zoll- und Geleitgebühren für die alten<br />
Nürnberger Handelswege über Land. Mit<br />
<strong>der</strong> Planung <strong>der</strong> neuen Direktverbindung<br />
zwischen den beiden Nachbarstädten, als<br />
Weiterführung <strong>der</strong> Fernstraße von Frankfurt,<br />
<strong>der</strong>en Instandsetzung schon bis vor die<br />
Tore Fürths gediehen war, wurde im Jahr<br />
1800 begonnen. Nach Begutachtung mehrerer<br />
Expertenvorschläge über <strong>der</strong>en Verlauf<br />
und Beschaffenheit entschied sich Hardenberg<br />
für die Strecke <strong>der</strong> heutigen Fürther<br />
Straße, für Pflasterbelag aus Wendelsteiner<br />
Quarzit und beidseitige Alleebepflanzung<br />
mit Pappeln. Da <strong>der</strong> Wendelsteiner Steinbruch<br />
Nürnberg gehörte, standen <strong>der</strong> Stadt<br />
Abgaben aus dem Verkauf <strong>der</strong> Steine zu.<br />
Wendelstein aber stand unter preußischer<br />
Hoheit, weshalb die Ansbacher Regierung<br />
keinerlei Anstalten machte, zu bezahlen.<br />
Das diesbezügliche Anschreiben des Nürnberger<br />
Rats blieb gänzlich unbeantwortet.<br />
Nun begann ein regelrechter Kleinkrieg mit<br />
allerlei findigen Unternehmungen, die Pflasterlieferungen<br />
aus Wendelstein zu behin<strong>der</strong>n<br />
bzw. zu forcieren. Es half alles nichts,<br />
die auf ca. eine Million Stück veranschlagten<br />
Steine erreichten dennoch ihr Ziel, <strong>der</strong><br />
Ausbau, begonnen im Frühling 1801, schritt<br />
voran. Nach knapp vier Jahren, im Winter<br />
1804, war die neue Straße fertig gestellt.<br />
1806, nachdem sowohl Nürnberg als auch<br />
Fürth bayerisch geworden waren, spielten<br />
die einstigen Konkurrenzgedanken und<br />
Hardenbergs Versuch, die preußische Provinz<br />
auf Kosten Nürnbergs voranzubringen,<br />
keine Rolle mehr. Es entstand ein<br />
lebhafter blühen<strong>der</strong> Handel zwischen den<br />
beiden Städten, <strong>der</strong> durch die schnelle,<br />
komfortable Verbindung wesentlich erleichtert<br />
wurde.<br />
Allerdings wurden schon bald erste Mängel<br />
im Straßenbau deutlich, Risse, Löcher und<br />
schlimmer noch, wegen <strong>der</strong> zu geringen Wölbung<br />
und des Verzichts auf seitliche Gräben,<br />
blieb bei Regen das Wasser auf <strong>der</strong> Straße<br />
stehen, bei Frost verwandelte sich die Pflasterfläche<br />
in eine Eisbahn, für Mensch und<br />
Tier gefährlich und zeitweise unpassierbar.<br />
Nach einer Flut von Beschwerden erfuhr die<br />
Fürther Straße von 1820 bis 1823 den Umbau<br />
von <strong>der</strong> Pflasterstraße zur Landchaussee – im<br />
Grunde ein Neubau, da Pflaster und Packlage<br />
entfernt werden mussten, das Pflaster zuunterst<br />
gelegt wurde, darauf Schotter aus <strong>der</strong><br />
wie<strong>der</strong> verwendeten Packlage und zu guter<br />
Letzt eine Auflage aus Kies – fertig war die<br />
Chaussee! Nun konnten Pferd und Reiter,<br />
Fuhrwerke, Kutschen und Fußgänger wie<strong>der</strong><br />
ohne Beeinträchtigung ihr Ziel erreichen.<br />
Erst im Zuge <strong>der</strong> Kanalisierung, die 1879<br />
abgeschlossen war, bekam die Fürther Straße<br />
erneut einen Pflasterbelag und von Gaslaternen<br />
beleuchtete, breite Gehsteige.
Ballonfahrt des Nürnberger Fotografen Herbert Liedel entlang <strong>der</strong> Fürther<br />
Straße: In <strong>der</strong> Bildmitte rechts ist <strong>der</strong> helle Klinkerbau des Quelle-Versands<br />
zu sehen, gegenüber die Gebäudekomplexe von TA und AEG.<br />
schon 1820 galt die Chaussee zwischen<br />
Nürnberg und Fürth als meist befahrene<br />
Straße des Königreichs Bayern. Sie war so<br />
stark frequentiert, dass Überlegungen zu<br />
ihrer Entlastung angestellt wurden, wie die<br />
Idee einer von Pferden gezogenen Schienenbahn.<br />
Bis zur Realisierung <strong>der</strong> ersten Eisenbahn<br />
in Deutschland, ihrer feierlichen Eröffnung<br />
und Jungfernfahrt entlang <strong>der</strong> rund<br />
6 Kilometer langen Chaussee am 7. Dezember<br />
1835 hatten die Nürnberger und Fürther<br />
Eisenbahnvisionäre viele Hin<strong>der</strong>nisse zu<br />
überwinden, die sich in ihrer ganzen Bandbreite<br />
erst nach und nach herausstellten.<br />
Rückblickend betrachtet, war das Projekt<br />
Ludwigsbahn eine unerhört beeindruckende<br />
unternehmerische Leistung, dabei eine<br />
„Gleichung mit vielen Unbekannten“, Neuland<br />
für alle Beteiligten und <strong>der</strong> Aufbruch in<br />
ein neues Zeitalter.<br />
Nachdem sich die erste Neugier gelegt und<br />
die in- und ausländische Presse sich beruhigt<br />
hatte, gehörte die Adlerlokomotive mit ihren<br />
gelben Wagen schon bald zum Alltagsbild<br />
<strong>der</strong> beiden Nachbarstädte. Ausgehend vom<br />
Ludwigsbahnhof am vorstädtischen Plärrer,<br />
dem noch bescheiden bebauten, weiten Platz<br />
am Spittlertor, passierte die Ludwigsbahn den<br />
Vorort Gostenhof, folgte Wiesen, Fel<strong>der</strong>n<br />
und vereinzelten Dörfern um nach gut sechs<br />
Kilometern den zweiten Ludwigsbahnhof am<br />
Fürther Stadtrand zu erreichen.<br />
dER gRossE ERfolg <strong>der</strong> Ludwigseisenbahn<br />
übertraf wohl selbst die kühnsten Erwartungen<br />
ihrer Initiatoren und Aktionäre.<br />
Hun<strong>der</strong>ttausende verkaufter Billetts schon im<br />
ersten Jahr, <strong>der</strong> Andrang vor den Cassahäuschen<br />
<strong>der</strong> Bahnhöfe Nürnberg und Fürth muss<br />
beachtlich gewesen sein. Und die Zahlen stie-<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Staatsminister Carl August Freiherr von Hardenberg, <strong>der</strong> Nürnberg<br />
so gern preußisch gesehen hätte.<br />
gen weiter. Die im Vorfeld prognostizierte<br />
Gefahr schwerer Unfälle blieb ebenso aus<br />
wie <strong>der</strong> Untergang <strong>der</strong> Fuhrwerksleute. Die<br />
Eisenbahn machte nicht nur Gewinn, sie war<br />
einer! Anfang <strong>der</strong> 1850er-Jahre waren stärkere,<br />
im Betrieb günstigere Loks <strong>der</strong> Kasseler<br />
Henschel-Werke angeschafft worden, <strong>der</strong> Adler<br />
wurde 1857 ausgemustert. Seit 1881 verkehrte<br />
auch eine Pferdestraßenbahn parallel<br />
zur Ludwigsbahn, was zwar Auswirkungen<br />
auf die Fahrpreispolitik, nicht aber auf die<br />
Fahrgastzahlen hatte. Der Vorteil <strong>der</strong> Straßenbahn<br />
bestand in den Zustiegsmöglichkeiten,<br />
während die Eisenbahn die „Expressverbindung“<br />
zwischen den Nachbarstädten<br />
blieb. Das Straßenbahnnetz wurde unterdessen<br />
zügig in verschiedene Richtungen erweitert,<br />
was für die stetig wachsende Stadt und<br />
ihre Bevölkerung notwendig geworden war.<br />
R. f.<br />
13
14 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Auf diesem von Hand kolorierten Nürnberg-Panorama aus <strong>der</strong> Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts ist auch <strong>der</strong> Adler, entlang <strong>der</strong><br />
von Pappeln gesäumten Chaussee in Richtung Fürth dampfend, zu sehen.<br />
Die Ludwigseisenbahn auf ländlicher Strecke, weit im Hintergrund ist die Stadtsilhouette Nürnbergs zu erkennen.
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Nicht alle waren begeistert vom<br />
neuen Verkehrsmittel Eisenbahn,<br />
wie dieser Vierzeiler auf dem<br />
Porzellaneinsatz eines Bierkrugdeckels<br />
aus <strong>der</strong> Zeit um 1850<br />
verdeutlicht.<br />
15
16 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Zweifellos gebührt <strong>der</strong> Adler-Dampflokomotive<br />
als technischem Novum<br />
hierzulande die Ehre, dem<br />
Dampfmaschinen-Zeitalter sozusagen<br />
vor an gefahren zu sein. „Impulsgeber“ für<br />
die fortschreitende Industrialisierung wird<br />
sie genannt und „Initialzündung“ für die<br />
Ansiedlung neuer Industriezweige, die<br />
durch den Einsatz von Dampfmaschinen<br />
aus Manufaktur-Werkstätten Fabriken erwachsen<br />
ließen. Und tatsächlich erfolgte<br />
<strong>der</strong> erste Industrialisierungsschub in Nürnberg<br />
in den 1830er-Jahren. Zu den großen<br />
Fabriken jener Zeit zählten die Klett’sche<br />
Maschinenfabrik und Johannes Zeltners Ultramarinfabrik,<br />
beide nicht an <strong>der</strong> Fürther<br />
Straße gelegen. Die Entwicklung unserer<br />
Landchaussee zur belebten Verkehrsa<strong>der</strong><br />
und „Achse <strong>der</strong> Industrialisierung“ sollte<br />
sich noch einige Jahrzehnte hinziehen.<br />
„da gEht’s ja zu wie am Plärrer“ – ein<br />
geflügeltes Wort unter den Nürnbergern und<br />
unmissverständliches Synonym für Hektik,<br />
Lärm, Gedränge. Das Wort Plärrer (alte<br />
Schreibweise ‚Plerrer‘) entstand aus dem<br />
mittelhochdeutschen Begriff ‚Plerre‘, was in<br />
etwa gleichbedeutend ist mit ‚freier Platz‘,<br />
an dem Händler, die keine Berechtigung für<br />
die innerstädtischen Märkte vorzuweisen<br />
hatten, ihre Waren feilbieten konnten. Mit<br />
<strong>der</strong> Errichtung des Ludwigsbahnhofs 1835<br />
und dem Bau einiger privater und gewerblich<br />
genutzter Häuser än<strong>der</strong>te sich langsam<br />
das Bild. Um 1850 hatten sich in <strong>der</strong> Nähe<br />
zwar schon einige Fabriken angesiedelt, zum<br />
Beispiel eine Zündholzfabrik und eine Haken-<br />
und Ösenfabrik, von reger Bautätigkeit<br />
„Da geht’s ja Zu wie am PLärrer!“<br />
konnte jedoch keine Rede sein. Der Grund<br />
dafür lag in einem staatlichen Bebauungsverbot<br />
des Gebiets rund um den alten Befestigungsring<br />
<strong>der</strong> mittelalterlichen Stadt, das<br />
für jedes neue Gebäude eine Son<strong>der</strong>genehmigung<br />
erfor<strong>der</strong>lich machte und erst im Jahr<br />
1866 aufgehoben wurde. Doch auch danach<br />
dauerte es noch rund 15 Jahre, bis <strong>der</strong> erste<br />
„Bauboom“ an <strong>der</strong> Fürther Straße einsetzte.<br />
dER nüRnBERgER fotogRaf Ferdinand<br />
Schmidt (1840–1909) hat wie kein an<strong>der</strong>er<br />
die Verän<strong>der</strong>ungen seiner Heimatstadt<br />
über Jahrzehnte dokumentiert. Mehr<br />
als 2000 Glasnegative sind erhalten, ein<br />
wahrer Schatz für alle, die auf den Spuren<br />
<strong>der</strong> alten Noris unterwegs sind. Die prägnanten<br />
Fotografien belegen eindrucksvoll,<br />
auch den Wandel des Stadtbilds jenseits <strong>der</strong><br />
Stadtmauer. Schmidts Blick auf den Plärrer,<br />
vom Spittlertorturm aus festgehalten,<br />
in den Jahren 1865 und 1905, verdeutlicht,<br />
welchen Sprung die westliche Vorstadt<br />
in nur 40 Jahren gemacht hat. Schon mit<br />
Einführung <strong>der</strong> Pferde-Straßenbahn 1881<br />
hatte <strong>der</strong> Platz vor dem Ludwigsbahnhof<br />
an Bedeutung gewonnen, 1896 schließlich,<br />
mit Inbetriebnahme <strong>der</strong> elektrifizierten<br />
Straßenbahn zwischen Nürnberg-Maxfeld<br />
und Fürth war er zum Knotenpunkt für<br />
mittlerweile fünf Linien geworden. Ferdinand<br />
Schmidts Interesse am Fortschritt<br />
in städtebaulicher, technischer, aber auch<br />
künstlerischer Hinsicht verdanken wir<br />
auch eine in ihrer kompositorischen<br />
Klarheit beeindruckende Aufnahme des<br />
„Kunstbrunnens zur Erinnerung an die<br />
erste deutsche Eisenbahn“ (heute schlicht<br />
„Eisenbahndenkmal“ genannt) an seinem<br />
ursprünglichen Aufstellungsort vor dem<br />
Ludwigsbahnhof am Plärrer. Der Grundsteinlegung<br />
am 50. Geburtstag <strong>der</strong> Adler-<br />
Jungfernfahrt, dem 7. Dezember 1885, folgte<br />
die Ausschreibung eines Kunstwettbewerbs,<br />
den <strong>der</strong> Bildhauer Heinrich Schwabe, seit<br />
1875 Professor für figürliche Plastik an<br />
<strong>der</strong> Nürnberger Kunstgewerbeschule, für<br />
sich entschied. Als Brunnen mit zwei ausladenden<br />
Auffangbecken konzipiert, erhebt<br />
sich ein hoher Sockel mit Obelisk, auf dem,<br />
an zwei gegenüberliegenden Seiten Bronzereliefs<br />
zum einen von <strong>der</strong> Beschwerlichkeit<br />
und den Gefahren des Reisens mit <strong>der</strong> Postkutsche,<br />
zum an<strong>der</strong>en von <strong>der</strong> Eröffnung<br />
<strong>der</strong> Ludwigseisenbahn als Triumphzug in<br />
die neue Zeit erzählen. Links und rechts des<br />
Sockels thronen die beiden Städteallegorien<br />
Noris und Furthia. Den Obelisk krönt<br />
ein Genius mit Flügelrad, dem Symbol <strong>der</strong><br />
Eisenbahn. 1890 feierlich enthüllt, musste<br />
das alsbald zum beliebten Postkartenmotiv<br />
avancierte Prunkstück im Jahr 1927 dem<br />
erneuten Straßenbahngleisausbau weichen.<br />
1929 wurde das Denkmal etwas stiefmütterlich<br />
an die Stadtgrenze zu Fürth verfrachtet,<br />
wo es bis zu seinem abermaligen<br />
Umzug 1965 blieb. Hier war es nun dem<br />
Bau <strong>der</strong> neuen Schnellstraße im Weg, fand<br />
aber 1966 erneut Aufstellung ein Stückchen<br />
weiter in einer kleinen Grünanlage nahe <strong>der</strong><br />
Zufahrt zur Stadtautobahn. 1993 schließlich<br />
musste es zum vierten Mal umziehen, in die<br />
Fürther Straße, Höhe Veit-Stoß-Anlage –<br />
zwar nicht zurück zum Plärrer, aber immerhin<br />
auf die ehemalige Strecke des Adlers.<br />
R. F.<br />
Auf dieser kleinen<br />
Grafik aus den<br />
1860er-Jahren rauchen<br />
im Vor<strong>der</strong>grund<br />
die Schornsteine<br />
<strong>der</strong> Zeltner’schen<br />
Ultramarinfabrik.<br />
Und auch in <strong>der</strong><br />
Nachbarschaft hat<br />
sich schon Industrie<br />
angesiedelt.
Ferdinand Schmidts Plärrer-Panoramen aus den Jahren 1865 (oben) und 1905 (unten).<br />
Auch dies eine <strong>der</strong><br />
bestechenden Aufnahmen<br />
des Nürnberger<br />
Fotografen<br />
Ferdinand Schmidt:<br />
das Eisenbahn-Denkmal<br />
am Plärrer vor<br />
dem Bahnhofsgebäude<br />
<strong>der</strong> Ludwigs-<br />
Eisenbahn.<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Gleisbauarbeiten<br />
für die Straßenbahn<br />
am Verkehrsknotenpunkt<br />
Plärrer im Jahr<br />
1899 (links) und <strong>der</strong><br />
Platz nach Beendigung<br />
<strong>der</strong> Bauarbeiten<br />
1900 (rechts),<br />
aufgenommen von<br />
Ferdinand Schmidt.<br />
Das Eisenbahn-<br />
Denkmal nach seinem<br />
ersten Umzug<br />
an die Nürnberg-<br />
Fürther Stadtgrenze,<br />
1930er-Jahre.<br />
17
18 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Der Plärrer in den 1930er-Jahren mit Blick auf den mo<strong>der</strong>nen Plärrer-Automat und den mittlerweile<br />
isoliert stehenden ehemaligen Ludwigsbahnhof.<br />
Der Plärrer-Automat 1933.<br />
dREi BEMERkEnswERtE BaulichE<br />
Verän<strong>der</strong>ungen markieren den Wandel<br />
des Nürnberger Plärrers von einst zum innerstädtischen<br />
Verkehrsknotenpunkt heute.<br />
Mit dem Bau des „Plärrer-Automaten“<br />
Anfang <strong>der</strong> 1930er-Jahre war <strong>der</strong> alte Platz<br />
sozusagen in <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne angekommen.<br />
Geradezu futuristisch muss <strong>der</strong> lichtdurchflutete<br />
Längsbau mit seinem Rondell gewirkt<br />
haben, beson<strong>der</strong>s abends, wenn die Leuchtschriften<br />
entlang des Flachdachs den Platz<br />
beschienen. Erbaut im Stil <strong>der</strong> klassischen<br />
Mo<strong>der</strong>ne, nach den Plänen des Architekten<br />
Walter Brugmann, erfüllte <strong>der</strong> Plärrer-Automat<br />
mehrere Ansprüche in einem: Wartehalle<br />
für die Fahrgäste, Automaten-Restaurant,<br />
Kiosk und „stummes Postamt“ mit<br />
Briefmarkenautomat, Briefkasten und meh-<br />
reren Telefonzellen. Anfangs noch kritisch<br />
beäugt, fand das elegante Gebäude schnell<br />
die verdiente Akzeptanz, was sich nicht zuletzt<br />
darin wi<strong>der</strong>spiegelt, dass man den erheblich<br />
beschädigten Bau nach Kriegsende<br />
bald wie<strong>der</strong> aufbaute. Einen zweiten, nicht<br />
weniger mo<strong>der</strong>nen Akzent setzten die Städtischen<br />
Werke mit <strong>der</strong> Errichtung des ersten<br />
Nürnberger Hochhauses am Plärrer, Ecke<br />
Rothenburger Straße/Südl. Fürther Straße,<br />
dem das letzte Nürnberger Relikt <strong>der</strong> ersten<br />
deutschen Eisenbahn, <strong>der</strong> Ludwigsbahnhof<br />
nämlich, weichen musste. Mit 56 Metern<br />
Höhe war das 15-stöckige Plärrer-Hochhaus<br />
damals das höchste Gebäude Bayerns! Errichtet<br />
1951 bis 1953, wurde <strong>der</strong> markante<br />
Bau des renommierten Nürnberger Architekten<br />
Wilhelm Schlegtendal für die noch<br />
Der Ausbau <strong>der</strong> U-Bahn-Strecke Richtung<br />
Fürth verwandelte den Plärrer − hier auf einer<br />
Aufnahme von 1978 − monatelang in eine<br />
Großbaustelle.<br />
immer von Kriegsschäden gezeichnete Stadt<br />
zum Sinnbild für Wie<strong>der</strong>aufbau und neue<br />
Größe. Last but not least folgte ab 1978 <strong>der</strong><br />
Bau <strong>der</strong> U-Bahn-Strecke Plärrer—Fürther<br />
Straße—Fürth. Die kontinuierliche Erweiterung<br />
des Nürnberger U-Bahn-Netzes seit<br />
dem ersten Spatenstich 1967 erreichte 1978<br />
den Plärrer; 1977, im Vorfeld <strong>der</strong> zwei Jahre<br />
währenden Großbaustelle war <strong>der</strong> Plärrer-<br />
Automat abgerissen worden. Der öffentliche<br />
Nahverkehr Richtung Fürth auf <strong>der</strong> einstigen<br />
Adlerstrecke verschwand nun in Etappen<br />
„unter Tage“. Mit dem Erreichen <strong>der</strong> letzten<br />
unterirdischen Station Eberhardshof und<br />
ihrer Verbindung mit <strong>der</strong> Hochbahnstrecke<br />
ging im Juni 1981 die 100-jährige <strong>Geschichte</strong><br />
<strong>der</strong> Nürnberg-Fürther-Straßenbahn zu<br />
Ende.
Kriegszerstörungen und Wie<strong>der</strong>aufbau am Nürnberger Plärrer, aufgenommen in den Jahren 1948 (oben) und 1953 (unten).<br />
Plärrer-Panorama 2009<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
19
20 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
nach diEsER klEinEn zEitREisE<br />
weit ins 20. Jahrhun<strong>der</strong>t kehren wir zurück<br />
zu den Anfängen <strong>der</strong> Fürther Straße, so wie<br />
wir sie kennen, die breite Großstadtstraße<br />
mit ihren auch heute noch zahlreichen historischen<br />
Fassaden. Mitte <strong>der</strong> 1880er-Jahre<br />
datieren die meisten <strong>der</strong> unweit des Plärrers<br />
gelegenen Mietshäuser, beginnend mit <strong>der</strong><br />
<strong>Haus</strong>nummer 2, dem so genannten Hansa-<br />
<strong>Haus</strong>. Das imposante Eckgebäude am Altstadtring<br />
ist ein Beispiel des „Nürnberger<br />
Stils“, eine Son<strong>der</strong>form des Historismus,<br />
die neben spätgotischen und Renaissance-<br />
Elementen auch lokaltypische Formenzitate<br />
verwendet, wie Fachwerk, reich verzierte,<br />
holzverkleidete Erker o<strong>der</strong> das für die Dürerzeit<br />
typische so genannte Chörlein. Rückbesinnung<br />
und Stolz eines traditionsbewussten<br />
Bürgertums auf die Blütezeit <strong>der</strong> alten Noris<br />
begegnet uns an solchen Fassaden. Daneben<br />
folgten herrschaftlich anmutende Mietshäuser<br />
im Neorenaissance- und Neobarockstil<br />
mit aufwändig gestalteten Vestibülen und<br />
Treppenhäusern. Nur wenige Gehminuten<br />
vom Plärrer entfernt, entstand zur gleichen<br />
Zeit auch das zu Recht als „Mietspalast“<br />
bezeichnete, im Neorenaissancestil gestaltete<br />
Doppelhaus Nr. 54/56, dessen elegante<br />
Das Postkartenmotiv von 1907 zeigt den Blick in die beginnende Fürther Straße Richtung Westen.<br />
gelbe Sandsteinfassade auch heute noch,<br />
ohne ihren einstigen Prachtgiebel und die<br />
flankierenden Kuppeldächer deutlich hervorsticht.<br />
Das Mittelstück <strong>der</strong> Fassade wird<br />
betont durch eine <strong>der</strong> Erdgeschoss-Rustika<br />
vorgelagerte Säulenreihe, auf <strong>der</strong> ein breites,<br />
zurückhaltend geglie<strong>der</strong>tes Gebälk mit Balustrade<br />
ruht. Darüber folgt die, um je eine<br />
Fensterbreite schmalere, dreigeschossige<br />
Ordnung aus vorgesetzten Säulen und Balustraden<br />
– großzügig, großstädtisch und<br />
geradezu herrschaftlich wirkt diese Fassade<br />
im Vergleich zu ihren Nachbarn.
Fassadenplan des aufwändig gestalteten Mietspalastes <strong>Haus</strong>-Nr. 54/56.<br />
Das Hansa-<strong>Haus</strong>, ein Beispiel des so genannten<br />
Nürnberger Stils, Baujahr 1895. Das<br />
imposante Eckgebäude bildet noch heute das<br />
„Entree“ zur historischen Fürther Straße.<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Das <strong>Haus</strong>-Nr. 54/56<br />
als Postkartenmotiv<br />
mit dem prächtigen<br />
Ziergiebel und den<br />
beiden flankierenden<br />
Kuppeln, die<br />
− nach schweren<br />
Beschädigungen im<br />
Zweiten Weltkrieg −<br />
nicht wie<strong>der</strong> ergänzt<br />
wurden.<br />
21
22 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Mannshohe Hopfensäcke im Hinterhof des Gebäudes Fürther Straße 17,<br />
<strong>der</strong> Adresse <strong>der</strong> Hopfenhandelsfirma Kirschbaum, 1912.<br />
Riemenwäl<strong>der</strong> – Alltagsbild in den Werkshallen damaliger Fabriken und<br />
oftmals tödliche Gefahrenquelle für die Arbeiterschaft.<br />
iM nöRdlichEn tEil <strong>der</strong> Fürther Straße<br />
siedelte sich zu Beginn <strong>der</strong> 1880er-Jahre<br />
vermehrt <strong>der</strong> reich gewordene Hopfenhandel<br />
an. Nürnberg hatte sich zum Hopfenhandelszentrum<br />
von Weltrang entwickelt.<br />
Die Gegend um den Plärrer und den<br />
mittlerweile neu errichteten, vergrößerten<br />
Ludwigsbahnhof wurde zur „ersten Adresse“<br />
<strong>der</strong> westlichen Vorstadt. Die meisten<br />
Gebäude dort hatten geräumige Hinterhöfe<br />
und Rückgebäude, in denen Lagerräume<br />
o<strong>der</strong> Gewerbebetriebe untergebracht waren,<br />
so zum Beispiel im Rückgebäude des<br />
Anwesens Fürther Straße 18. Hier fertigte<br />
die Firma Stierstorfer & Nägele seit Anfang<br />
des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts Treibriemen für<br />
industrielle Betriebe, die mit Dampfmaschinen<br />
und Transmissionen arbeiteten. In<br />
vielen Fabriken wurde die Antriebskraft <strong>der</strong><br />
großen Dampfmaschinen über stählerne<br />
Transmissionswellen an <strong>der</strong> Decke in die<br />
Werkshallen geleitet. Über Riemenscheiben<br />
an den Wellen wie<strong>der</strong>um liefen Treibriemen<br />
aus Le<strong>der</strong>, die die zentral erzeugte Kraft auf<br />
viele einzelne Maschinen übertrugen. Mit<br />
<strong>der</strong> Größe <strong>der</strong> Werkshallen und <strong>der</strong> Anzahl<br />
<strong>der</strong> Arbeitsplätze dort stieg auch die Zahl<br />
<strong>der</strong> Transmissionsriemen, daher <strong>der</strong> alte<br />
Begriff „Riemenwäl<strong>der</strong>“. In <strong>der</strong> industriellen<br />
Fabrikation gab es keine effizientere Kraftübertragung<br />
als die <strong>der</strong> Transmission. Das<br />
än<strong>der</strong>te sich erst mit <strong>der</strong> Entwicklung von<br />
industrietauglichen Elektromotoren, die es<br />
möglich machten, Maschinen ohne zentrale<br />
Kraftquelle einzeln zu betreiben. Dennoch<br />
blieben viele Fabriken noch für Jahrzehnte<br />
<strong>der</strong> Transmission treu und ergänzten allenfalls<br />
die bestehenden Bereiche durch mo<strong>der</strong>ne,<br />
elektrisch betriebene Maschinen, in<br />
erster Linie aus Kostengründen. So blieb<br />
Die Belegschaft <strong>der</strong> Treibriemenfabrik Stierstorfer & Nägele, versammelt<br />
vor dem Rückgebäude Fürther Straße 18, Mitte <strong>der</strong> 1930er-Jahre.<br />
Ein Bild vergangener Tage: An die Werkbank gelehnt, warten die sorgfältig<br />
aufgerollten fertigen Treibriemen auf ihre Abholung.<br />
auch die Treibriemenfabrik Stierstorfer &<br />
Nägele weiterhin im Geschäft. Erst in den<br />
1950er-Jahren kam das endgültige Aus für<br />
die Treibriemenherstellung. Stierstorfer &<br />
Nägele überlebte, weil man frühzeitig mit einer<br />
Le<strong>der</strong>handlung begonnen hatte. Bis zur<br />
Geschäftsaufgabe 1997 fertigte Hans-Karl<br />
Nägele, <strong>der</strong> Enkel des Firmengrün<strong>der</strong>s, in<br />
seiner Werkstatt an <strong>der</strong> Fürther Straße bei<br />
Bedarf auch noch Treibriemen, und das, von<br />
einigen wenigen Neuerungen abgesehen,<br />
ganz so wie schon sein Großvater – an den<br />
alten Maschinen: zum Bahnenschneiden <strong>der</strong><br />
Rin<strong>der</strong>häute, dem Abschärfen <strong>der</strong> Rän<strong>der</strong>,<br />
zum Pressen und Kleben und schließlich zur<br />
Einstellung <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Betriebsspannung.<br />
Einige dieser Maschinen und Werkzeuge<br />
sind heute im Museum Historischer<br />
Eisenhammer in Eckersmühlen/Landkreis<br />
Roth zu besichtigen.
Das Firmengebäude <strong>der</strong> „Fabrik für dynamoelektrische Maschinen und<br />
Apparate, Soldan & Co“ an <strong>der</strong> Fürther Straße 199, später Sitz <strong>der</strong> Münzprägeanstalt<br />
Balmberger.<br />
Ein zEittypischEs BEispiEl für<br />
die Ansiedlung industrieller Betriebe an<br />
<strong>der</strong> Fürther Straße ist die „Münzpräge- &<br />
Gravir anstalt C. Balmberger“, <strong>Haus</strong>nummer<br />
199. Im Jahr 1882 erwarb <strong>der</strong> Firmengrün<strong>der</strong><br />
Conrad Balmberger einen Betrieb<br />
zur Herstellung von Spielmarken für Brett-,<br />
Würfel- o<strong>der</strong> Kartenspiele. Seit den 1870er-<br />
Jahren war zunehmend auch Kin<strong>der</strong>spielgeld<br />
für Kaufläden und Kin<strong>der</strong>post in Mode<br />
gekommen. Die Verbreitung des „Reichskin<strong>der</strong>geldes“<br />
eröffnete auch für Balmberger<br />
Vertriebsmöglichkeiten in ganz Deutschland.<br />
Neben <strong>der</strong> Nürnberger Firma L. Ch.<br />
Lauer gehörte Balmberger zu den führenden<br />
deutschen Spielgeldproduzenten und<br />
-exporteuren. 1886 übernahm <strong>der</strong> Sohn des<br />
Grün<strong>der</strong>s, Friedrich Balmberger, die Firma<br />
und erwarb Anfang des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
nach einigen Umzügen und Erweiterungen<br />
des Betriebs das oben genannte Anwesen<br />
an <strong>der</strong> Fürther Straße, die vormalige „Fabrik<br />
für dynamoelektrische Maschinen<br />
und Apparate Soldan & Co.“. Das hübsche<br />
Der Katalog <strong>der</strong><br />
Firma C. Balmberger<br />
bot auch kleine<br />
Blechklappdosen an,<br />
in denen das Kin<strong>der</strong>spielgeld<br />
aufbewahrt<br />
werden konnte.<br />
zweistöckige Backsteingebäude mit seinen<br />
markanten steinernen Fensterrahmungen,<br />
Werkshof und angrenzenden Maschinenräumen<br />
stand damals noch allein auf weiter<br />
Flur, nur eine Straßenbreite entfernt von<br />
den Gleisen <strong>der</strong> Ludwigsbahn. Im Innern<br />
betrieb eine stattliche Dampfmaschine über<br />
Transmissionen die verschiedenen Fertigungsbereiche.<br />
Der Katalog <strong>der</strong> florierenden<br />
Prägeanstalt hatte neben Spielmarken und<br />
Kin<strong>der</strong>geld auch Son<strong>der</strong>münzen, Medaillen,<br />
Vereinsabzeichen und Orden im Angebot,<br />
ferner Bier-, Gar<strong>der</strong>oben- und Hundemarken,<br />
Etiketten, Wertmarken und Schil<strong>der</strong><br />
aller Art, Karnevalsschmuck und sogar<br />
Schuhlöffel. Vor allem das boomende Vereinswesen<br />
<strong>der</strong> damaligen Zeit – um die Jahrhun<strong>der</strong>twende<br />
existierten bereits über 1800<br />
Vereine in Nürnberg – bescherte Balmberger<br />
eine ausgezeichnete und sichere Einnahmequelle,<br />
die erst mit <strong>der</strong> Machtübernahme <strong>der</strong><br />
Nationalsozialisten, durch Gleichschaltung<br />
o<strong>der</strong> Auflösung des bestehenden Vereinswesens,<br />
versiegte. Nur die Abzeichen-Produk-<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Nach Jahrzehnten Leerstand hat das schmucke alte Gebäude eine neue<br />
Bestimmung gefunden – als Bäckerei und Café-Filiale.<br />
Auch das gab es im<br />
Warenkatalog <strong>der</strong><br />
„Münzpräge- und<br />
Graviranstalt Balmberger“<br />
– Schuhlöffel,<br />
die man zu<br />
Werbezwecken mit<br />
geprägtem Namenszug<br />
versehen lassen<br />
konnte.<br />
tion im Vorfeld <strong>der</strong> Reichsparteitage war ein,<br />
wenn auch zweifelhafter, finanzieller Lichtblick.<br />
Nach Kriegsausbruch musste auch bei<br />
Balmberger auf Rüstungsbedarf umgestellt<br />
werden. Nachdem das im Krieg erheblich<br />
beschädigte Gebäude Ende <strong>der</strong> 1940er-Jahre<br />
erneut bezogen werden konnte, fertigte man<br />
wie<strong>der</strong> unterschiedliche Marken, Son<strong>der</strong>münzen<br />
und Sammlermedaillen. 1980 wurde das<br />
alte Fabrikanwesen an den Quelle-Konzern<br />
verkauft, <strong>der</strong> die Gebäude zeitweise als Lager<br />
nutzte. Nach mehr als 20 Jahren Leerstand<br />
und einigen Umnutzungsideen, die allesamt<br />
Ideen blieben, wurde das voll e nds heruntergekommene<br />
Industriedenkmal Balmberger<br />
gründlich saniert und zu einer Bäckerei mit<br />
Café umgebaut. Der nahe gelegene Gebäudekomplex<br />
<strong>der</strong> Hercules-Werke, <strong>Haus</strong>nummer<br />
191–193, hatte da weniger Glück, er steht<br />
schon lange nicht mehr. Dabei war dieses einst<br />
so bedeutende Unternehmen maßgeblich an<br />
<strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong> Fürther Straße als „Achse<br />
<strong>der</strong> Industrialisierung“ beteiligt.<br />
R. F.<br />
23
24 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Unweit <strong>der</strong> großen Kreuzung Maximilianstraße,<br />
parallel zur Fürther<br />
Straße, verläuft die Fahrradstraße.<br />
Nein, kein für den motorisierten Verkehr<br />
gesperrter Radweg, die Straße heißt so. Und<br />
das ist kein Zufall. Man hatte die Zeichen<br />
<strong>der</strong> Zeit erkannt! Auch hierzulande erfreute<br />
sich <strong>der</strong> „Drahtesel“ immer größerer Beliebtheit<br />
– und so entstand in dem schnell<br />
wachsenden Industriestandort Nürnberg<br />
binnen weniger Jahrzehnte ein Zentrum<br />
deutscher Fahrradproduktion, das seinesgleichen<br />
suchte.<br />
ViER dER fünf namhaftesten Fahrradfabriken<br />
siedelten sich an <strong>der</strong> Fürther Straße<br />
an, und das als einer <strong>der</strong> ersten Industriezweige<br />
überhaupt. Der westlich gelegene Teil<br />
<strong>der</strong> Fürther Straße war damals noch weitgehend<br />
Landchaussee, umgeben von nichts als<br />
Wiesen, Fel<strong>der</strong>n und einigen Dörfern – viel<br />
Platz also für großzügige Planungen links<br />
und rechts <strong>der</strong> Ludwigsbahn, die ihr 50.<br />
Jubiläum schon hinter sich hatte, als Carl<br />
Marschütz am 5. April 1886 die Velocipedfabrik<br />
„Carl Marschütz & Co“ gründete. Er<br />
tat dies nicht allein aus geschäftlichen Erwägungen,<br />
son<strong>der</strong>n auch mit viel Herzblut<br />
für die Sache, ein echter Fahrradpionier ging<br />
nomen est omen – hercuLes<br />
hier ans Werk. 1883 als Sohn eines Lehrers<br />
in Burghaslach bei Nürnberg geboren, bekam<br />
<strong>der</strong> junge Carl <strong>der</strong>einst eine Draisine<br />
geschenkt, eine jener „Laufmaschinen nach<br />
Drais’schem System“, die, noch ohne Pedale,<br />
im Laufschritt vorwärts bewegt wurde. Dieser<br />
Urform des heutigen Fahrrads galt fortan<br />
seine Leidenschaft. Während seines Volontariats<br />
in <strong>der</strong> Neumarkter Ofenfabrik und<br />
Eisenhandlung Goldschmidt begegnete Carl<br />
Marschütz einem Englän<strong>der</strong> auf Durchreise,<br />
unterwegs auf dem Hochrad von London<br />
nach Wien! Dass dieses exquisite, aber teure<br />
Fortbewegungsmittel nur Wohlhabenden<br />
zur Verfügung stand, brachte ihn auf die<br />
Idee, selbst Fahrrä<strong>der</strong> zu konstruieren und<br />
hier zu bauen, um so die Preise zu senken<br />
und das Fahrrad für einen deutlich größeren<br />
Abnehmerkreis erschwinglich zu machen.<br />
„das glück ist mit dem Tüchtigen“ – für<br />
den erst 19-Jährigen bewahrheitete sich<br />
das Sprichwort. Er machte seinen Freund,<br />
den Mechaniker Eduard Pirzer, mit seinem<br />
Vorgesetzten Josef Goldschmidt bekannt<br />
und überzeugte die beiden Männer von seiner<br />
Idee, Neuland zu betreten und als Erste<br />
überhaupt in Deutschland Fahrrä<strong>der</strong> zu produzieren.<br />
Vier Jahre lernte und arbeitete Carl<br />
Marschütz in dieser ersten deutschen Fahrradfabrik<br />
im oberpfälzischen Neumarkt,<br />
angeleitet von einem Veloziped-Fachmann<br />
aus England, dem man die Werkstattleitung<br />
anvertraut hatte. Dann war es soweit – Marschütz<br />
verließ das Unternehmen und gründete<br />
1886 sein eigenes, in Nürnberg.<br />
laut fiRMEnchRonik zum 100-jährigen<br />
Bestehen beschäftigte Marschütz in<br />
seiner Werkstatt in <strong>der</strong> Bleichstraße anfangs<br />
zehn Arbeiter, die im Gründungsjahr<br />
schon 120 Hochrä<strong>der</strong> produzierten.<br />
Ein Jahr später stand aufgrund des weiter<br />
wachsenden Produktionsumfangs bereits<br />
<strong>der</strong> erste Umzug an. Marschütz entschied<br />
sich für die Fürther Straße und bezog 1887<br />
das Anwesen Nummer 61. Nicht außergewöhnlich<br />
für diese Zeit entschied sich auch<br />
Carl Marschütz für einen <strong>der</strong> griechischen<br />
Antike entlehnten Markennamen. Nomen<br />
est omen – Hercules, die antike Personifikation<br />
von Heldentum, Kraft und Stärke,<br />
Sohn des Zeus und Schutzgott <strong>der</strong> Gymnasien,<br />
wie die Sportstätten im Griechenland<br />
<strong>der</strong> Antike hießen, war eine kluge Wahl. Der<br />
Name war schlagkräftig und vermittelte einprägsam,<br />
was <strong>der</strong> Kaufinteressent erwarten<br />
durfte: ein zuverlässiges Markenprodukt von
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Briefkopf <strong>der</strong> Velocipedfabrik Carl Marschütz & Co. mit einer Ansicht des neuen Firmensitzes an <strong>der</strong> Fürther Straße 61.<br />
hoher Qualität und Langlebigkeit. Diesen<br />
Anspruch zu erfüllen hatte für den Unternehmer<br />
Carl Marschütz oberste Priorität<br />
und das machte sich bezahlt, wie die Jubiläumschronik<br />
von 1986 eindrucksvoll belegt:<br />
In nur fünf Jahren, zwischen 1889 und 1894<br />
stieg die Anzahl <strong>der</strong> Beschäftigten von 70<br />
auf 170, die Produktion steigerte sich von<br />
800 auf 4 700 Hoch- und, seit Anfang <strong>der</strong><br />
1890er-Jahre, auch Nie<strong>der</strong>rä<strong>der</strong>. Der beeindruckende<br />
Erfolg ist sicher nicht allein mit<br />
dem Fahrradboom dieser Epoche zu erklären,<br />
son<strong>der</strong>n ebenso mit dem ausgezeichneten<br />
Ruf, den die Hercules-Rä<strong>der</strong> genossen.<br />
Denn längst hatte Marschütz Konkurrenz<br />
bekommen. Etwa zeitgleich mit seinem<br />
Umzug an die Fürther Straße nahmen die<br />
Victoria-Werke die Produktion auf, gefolgt<br />
von Mars, Sirius und Triumph, und auch die<br />
Neumarkter Express-Werke, seine einstige<br />
Lehrstätte, produzierten weiterhin erfolgreich<br />
Markenrä<strong>der</strong>. Aber ein Hercules-Rad<br />
zu besitzen war etwas Beson<strong>der</strong>es.<br />
diE BEtRächtlich gEstiEgEnE Produktion<br />
und die Erweiterung des Modellangebots<br />
bewogen den erfolgreichen Unternehmer,<br />
sich nach neuen Werksräumen<br />
umzusehen. Marschütz entschied sich zum<br />
Ankauf eines weitläufigen Grundstücks an<br />
<strong>der</strong> Fürther Straße 191–193 und ließ dort ein<br />
stattliches Werk errichten, das 1895 bezogen<br />
werden konnte. Im Jahr 1900 „mo<strong>der</strong>nisierte“<br />
er auch den Firmennamen, man hieß<br />
nun schlicht „Nürnberger Hercules-Werke".<br />
tRotz dER inVEstitionskostEn<br />
konnte die erste große Absatzkrise des noch<br />
jungen Industriezweigs, Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts,<br />
– ausgelöst vor allem durch amerikanische<br />
Billigimporte – den Herkules unter<br />
den Nürnberger Fahrradproduzenten nicht<br />
in die Knie zwingen. Als umsichtiger Unternehmer<br />
hatte Marschütz gut gewirtschaftet<br />
und schaffte es, trotz deutlich zurückgegangener<br />
Stückzahlen, die Hercules-Werke über<br />
die Krisenjahre zu retten. Schon im Vorfeld<br />
hatte er an <strong>der</strong> Erweiterung und Umstellung<br />
<strong>der</strong> Produktpalette gearbeitet, die das Überleben<br />
<strong>der</strong> Hercules-Werke sichern konnte.<br />
Als Radfahrfan <strong>der</strong> ersten Stunde interessierte<br />
sich Carl Marschütz natürlich auch<br />
für die neuen motorisierten Gefährte und<br />
erkannte, dass diesen Vehikeln die Zukunft<br />
gehören würde. Parallel zu den Weiterentwicklungen<br />
auf dem Fahrradsektor<br />
beschäftigte sich Hercules unter an<strong>der</strong>em<br />
mit dem Bau eines Motorradprototyps wie<br />
auch sein Konkurrent, die Victoria-Werke.<br />
Beide stellten 1904 ihre Modelle <strong>der</strong> Öffentlichkeit<br />
vor. Schon ein Jahr später ging<br />
die Hercules-Maschine in Produktion, eine<br />
Art motorisiertes Fahrrad, ausgestattet mit<br />
einem belgischen 4,5 PS-Motor und Keilriemenantrieb.<br />
Im gleichen Jahr ging Hercules<br />
eine Erfolg versprechende Partnerschaft mit<br />
dem Schweinfurter Unternehmen Fichtel &<br />
Sachs ein, dessen Mitbegrün<strong>der</strong> Ernst Sachs<br />
1903 die für den Fahrradbau bahnbrechende<br />
Erfindung <strong>der</strong> „Torpedo-Freilaufnabe“ zum<br />
Patent angemeldet hatte.<br />
als wEitEREs standBEin bei Hercules<br />
kam ab 1908 die Produktion von Lastwagen<br />
unterschiedlicher Motorisierung hinzu, für<br />
den Transport von Gütern bis zu 5 Tonnen.<br />
Fahrrad- und Lastwagenfertigung sicherten<br />
die Zukunft <strong>der</strong> Hercules-Werke auch in<br />
Kriegs- und Inflationszeiten und lieferten<br />
den Grundstock für den Wie<strong>der</strong>einstieg in<br />
die Motorradbranche, <strong>der</strong>en Zukunftschancen<br />
sich schon kurz nach dem Ende des<br />
Ersten Weltkriegs abzeichneten. Marschütz<br />
blieb bei seiner Entscheidung, keine eigenen<br />
Motoren zu entwickeln, son<strong>der</strong>n vertiefte<br />
ab 1930 auch in diesem Bereich die Zusammenarbeit<br />
mit Fichtel & Sachs. Einige <strong>der</strong><br />
25
26 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Werbefaltblatt für Hercules-Fahrrä<strong>der</strong> aus den<br />
1950er-Jahren.<br />
Oldtimerraritäten aus dieser Zeit können in<br />
<strong>der</strong> großen Motorradsammlung des Museums<br />
Industriekultur Nürnberg bewun<strong>der</strong>t<br />
werden.<br />
1935, zuR BERlinER Automobil- und<br />
Motorradausstellung war Hercules mit einer<br />
stattlichen Zahl neuer Modelle vertreten.<br />
In <strong>der</strong> Jubiläumsbroschüre von 1986<br />
heißt es hierzu: „In <strong>der</strong> Motorfahrradklasse<br />
mit 98-ccm-Fichtel & Sachs-Motor je ein<br />
Herren- und Damenmodell. Das erstere mit<br />
einer kräftigen Parallelogramm-Gabel, das<br />
letztere mit einer Pendelgabel. Führerscheinfreie<br />
und steuerfreie Modelle unter 200 ccm<br />
gab es mit 2-Takt-Motoren von Bark mit<br />
angeblocktem 3-Gang-Getriebe in zwei<br />
Ausführungen und ebenso mit Bark-4-Takt-<br />
Motoren und Kette im Ölbad, jedoch schon<br />
mit 3-Gang-Getriebe versehen. Das Gewicht<br />
wurde mit 120 kg beziffert, die Höchstgeschwindigkeit<br />
mit 96 km/h. In <strong>der</strong> 350-ccm-<br />
Klasse gab es ebenfalls zwei Geländesportmodelle,<br />
wie man damals jene Modelle<br />
nannte, die hochgezogene Auspuffrohre aufwiesen.<br />
Eines dieser mit Columbus-Motoren<br />
versehenen 350er Modelle hatte ein 3-Gang-<br />
Getriebe mit ,Schwertschaltung‘, wie man<br />
die Handschaltung auch nannte. Das ande-<br />
re war mit einem fußgeschalteten 4-Gang-<br />
Getriebe ausgerüstet. In <strong>der</strong> Halbliterklasse<br />
wurde nurmehr ein seitengesteuertes Modell<br />
mit Küchen-Motor gezeigt.“<br />
Ein BEEindRuckEndEs Modell-Spektrum<br />
also, das drei Jahre später, 1938, mit<br />
<strong>der</strong> berühmten „Saxonette“, benannt nach<br />
dem neuen, kleinen 2-Takt-Motor von Fichtel<br />
& Sachs, <strong>der</strong> im Hinterrad des Fahrrads<br />
montiert war, erweitert wurde – ein frühes<br />
„Mofa“, wenn man so will, und eine Sensation!<br />
iM gl EichEn ja hR, 1938, nach <strong>der</strong><br />
Machtübernahme <strong>der</strong> Nationalsozialisten<br />
verlor <strong>der</strong> Jude Carl Marschütz im Zuge<br />
<strong>der</strong> so genannten „Arisierung“ sein Unternehmen.<br />
Nürnbergs großer Fahrradpionier<br />
musste seine Heimat, seine Firma, sein Lebenswerk<br />
aufgeben und Deutschland verlassen.<br />
Er kehrte nicht zurück, blieb Nürnberg<br />
und den Geschicken seiner einstigen Firma<br />
trotz des erlittenen Unrechts dennoch verbunden.<br />
Carl Marschütz starb 1957 im hohen<br />
Alter von 93 Jahren in Los Angeles.<br />
di E nac h k R i E gsgE schic h t E <strong>der</strong><br />
Hercules-Werke liest sich ganz ähnlich wie<br />
Eine echte Rarität<br />
heutzutage, ein<br />
Hercules-Straßenrennrad<br />
aus <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong><br />
Jahrhun<strong>der</strong>twende.<br />
Das Hercules-<br />
Einheitsmoped<br />
„Combinette“<br />
entstand 1953 als<br />
Gemeinschaftsprojekt<br />
<strong>der</strong> Nürnberger<br />
Zweiradhersteller<br />
Hercules, Triumph<br />
und Zündapp. Die<br />
„Combinette“ war<br />
das erste Moped und<br />
machte eine ganze<br />
Nation mobil.<br />
die zahlloser an<strong>der</strong>er deutscher Unternehmen:<br />
Kriegszerstörung und Wie<strong>der</strong>aufbauversuche,<br />
Verwaltung durch die Besatzungsmächte,<br />
Demontage. Mit viel Eigeninitiative<br />
konnte man, wenngleich in bescheidenem<br />
Rahmen, mit <strong>der</strong> Arbeit, zunächst als<br />
Fahrrad-Reparaturbetrieb, dann mit <strong>der</strong><br />
Produktion von Molkereigeräten beginnen.<br />
1950 produzierte Hercules dann wie<strong>der</strong> ausschließlich<br />
Fahrrä<strong>der</strong> und beschäftigte mittlerweile<br />
über 250 Mitarbeiter.<br />
sEit 1941 hatte Hercules zu dem Fürther<br />
Unternehmen Dr. Carl Soldan gehört, das<br />
die Firma 1944 zur GmbH umwandelte und<br />
1953 seine Anteile an die Dresdner Bank<br />
verkaufte. Ein Jahr später wechselte Hercules<br />
erneut den Besitzer und kam zu Grundig,<br />
<strong>der</strong> das Unternehmen 1963 an Fichtel<br />
& Sachs verkaufte. Die langjährige Zusammenarbeit<br />
<strong>der</strong> einstigen Geschäftspartner<br />
erwies sich nun als tragendes Konzept und<br />
Grundlage für die Zukunft. Produktqualität<br />
und exzellenter Service, geschulte Vertragshändler<br />
und -werkstätten garantierten<br />
sowohl dem Hercules-Radfahrer wie auch<br />
dem -Motorradfahrer seit den Dreißiger<br />
Jahren bestmögliche Betreuung. Daran wurde<br />
nun unter neuer Leitung weitergearbeitet.
Und man versuchte an die Vorkriegserfolge<br />
im Geländemotorsport anzuknüpfen. Die<br />
ersten Deutschlandfahrten wurden aus <strong>der</strong><br />
Taufe gehoben, gefolgt von <strong>der</strong> Deutschen<br />
Geländemeisterschaft und schließlich mehrtägigen<br />
In- und Auslandsfahrten. Ein Jahr<br />
nach <strong>der</strong> Übernahme durch Fichtel & Sachs<br />
holten gezählte „222 Hercules-Werks- und<br />
Privatfahrer nicht weniger als 1 049 Gold-,<br />
151 Silber- und 58 Bronzemedaillen“, wie die<br />
Festschrift von 1986 vermerkt. Die Erfolgsserie<br />
<strong>der</strong> Hercules/Sachs-Maschinen riss<br />
nicht ab, ihr unerreicht hoher Qualitätsstandard<br />
war legendär.<br />
iM hERculEs-aRchiV des Museums Industriekultur<br />
werden auch die Dankschreiben<br />
vieler zufriedener Kunden aufbewahrt,<br />
die von <strong>der</strong> Zuverlässigkeit, Langlebigkeit<br />
und Qualität ihrer Fahrrä<strong>der</strong>, Mopeds<br />
und Motorrä<strong>der</strong> berichten, was sie „zusammen“<br />
erlebt haben und über wie viele<br />
Jahre hinweg. „… erhalten habe ich mein<br />
HERCULES-Rad im Jahre 1903, als ich<br />
in die Lehre kam, ein treuer Begleiter, für<br />
mein ganzes Leben. So hat es mir bis heute<br />
46 Jahre treu gedient“, heißt es in einem<br />
<strong>der</strong> Briefe. Ein an<strong>der</strong>er schreibt: „Ich besitze<br />
ein HERCULES-Rad, welches 1908 gekauft<br />
wurde. Das Rad war je<strong>der</strong>zeit vollkommen<br />
zuverlässig. Das Tretlager ist bis heute noch<br />
nicht zerlegt worden. Ich wollte es vor Jahren<br />
nachsehen lassen. Man versicherte mir aber:<br />
,So gut bringen wir’s nicht mehr zusammen,<br />
wie es jetzt ist!’ Das Rad ist jetzt 42 Jahre<br />
alt ohne Rahmen- o<strong>der</strong> Gabelbruch; also:<br />
UNVERWÜSTLICH! Ich kann jedem Radfahrer<br />
nur ,HERCULES‘ empfehlen.“ Ein<br />
zufriedener Motorradfahrer schrieb 1953 an<br />
die Hercules-Werke, er wolle nur kurz mitteilen,<br />
dass er mit seiner 123ccm-Maschine<br />
„am heutigen Tage 100 000 km gefahren<br />
habe ohne eine nennenswerte Reparatur.<br />
Ich bin mit dem Hercules Krad bestens zufrieden<br />
und kann die Hercules Motorrä<strong>der</strong><br />
nur jedem empfehlen. Sollte ich mir mal ein<br />
neues Krad kaufen, so kommt für mich nur<br />
wie<strong>der</strong> ein Hercules Krad in Frage.“<br />
zuRück zuR fiRMEngEschichtE,<br />
zur Fürther Straße: Die Tage <strong>der</strong> Hercules-<br />
Werke an dieser Nürnberger Achse <strong>der</strong> Industrialisierung<br />
waren nach <strong>der</strong> Übernahme<br />
durch Fichtel & Sachs gezählt. Mitte <strong>der</strong><br />
1960er-Jahre war man abermals an Kapazitätsgrenzen<br />
gestoßen, das Gelände an <strong>der</strong><br />
Fürther Straße 191–193 wurde zu klein.<br />
Fahrrä<strong>der</strong>, Mofas, Roller und Mokicks, dazu<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Das Hercules Accu-<br />
Bike „E1“ war eine<br />
Reaktion auf die<br />
erste Energiekrise<br />
<strong>der</strong> 1970er-Jahre.<br />
Es bezog seine Kraft<br />
aus <strong>der</strong> Steckdose<br />
und durfte nach dem<br />
Motto „Fahr dich frei,<br />
fahr Hercules“ ab<br />
15 Jahren ohne Führerschein<br />
gefahren<br />
werden.<br />
Mopeds, wie die sehr erfolgreiche K50, und<br />
schwere Motorrä<strong>der</strong> bildeten das umfangreiche<br />
Hercules-Programm. Ein baldiger<br />
Umzug war unumgänglich. Als <strong>der</strong> Mutterkonzern<br />
kurz entschlossen die in finanzielle<br />
Schieflage geratene Zweirad Union,<br />
mit den Traditionsmarken Express, Victoria<br />
und DKW übernahm, stand fest, wohin die<br />
Reise gehen würde: in das ehemalige Victoria-Werk<br />
Nopitschstraße, seit 1958 Sitz <strong>der</strong><br />
Zweirad Union, ab 1966 nun auch Heimat<br />
von Hercules. Von 1987 bis 1991 verkauften<br />
die Sachs-Erben ihre Aktien an die Mannesmann<br />
AG. Diese veräußerte sie 1995 an die<br />
nie<strong>der</strong>ländische Firmengruppe Atag. Der<br />
motorisierte Fertigungszweig ging an das<br />
Mannesmann-Tochterunternehmen „Sachs<br />
Fahrzeug- und Motorentechnik GmbH“, die<br />
heutige SFM GmbH in Nürnberg, die den<br />
Markennamen Hercules nicht weiterführte.<br />
fahRRädER dER MaRkE Hercules werden<br />
bis heute – laut Händlerangaben „im<br />
europäischen Raum“ – produziert. Das Firmengelände<br />
Fürther Straße 191–193 wurde<br />
an den mächtigen Nachbarn Quelle verkauft<br />
und schließlich abgerissen. Heute steht dort<br />
– wen wun<strong>der</strong>t es – ein Supermarkt.<br />
R. f.<br />
27
28 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Wie um die Jahrhun<strong>der</strong>twende<br />
nicht unüblich, bauten wohlhabende<br />
Unternehmer ihre Stadtvillen<br />
gern in unmittelbarer Nähe zu ihren<br />
Fabrikanlagen. So auch die Celluloidwarenfabrikanten<br />
Gebrü<strong>der</strong> Wolff, <strong>Haus</strong>nummer<br />
176. Diese, ein wenig „trutzig“ wirkende, typische<br />
Grün<strong>der</strong>zeitvilla mit vorspringen<strong>der</strong>,<br />
kuppelbekrönter Fassadenmitte stand direkt<br />
vor den Fabrikgebäuden, von denen heute<br />
nur ein kurzer Querbau erhalten ist. 1909,<br />
dem Jahr <strong>der</strong> hartnäckigen Bestreikung <strong>der</strong><br />
Wolff ’schen Fabrik, gingen dort nicht nur<br />
etliche Fensterscheiben zu Bruch, es kam<br />
zu Gewalttätigkeiten zwischen Streikposten,<br />
Demonstranten und Streikbrechern.<br />
Schüsse fielen, ein Arbeiter starb. Immer<br />
wie<strong>der</strong> riefen die Fabrikanten die Polizei,<br />
Festnahmen, Geld- und Haftstrafen waren<br />
die Folge. Auslöser für die heftigen Unruhen<br />
waren massive Lohnkürzungen, die von den<br />
beiden Brü<strong>der</strong>n Wolff ohne viel Fe<strong>der</strong>lesens<br />
beschlossen wurden. Mit Vertretern aus <strong>der</strong><br />
Arbeiterschaft sprachen sie erst gar nicht,<br />
Gewerkschaften interessierten sie ebenso<br />
wenig. Das schnell zu Erfolg und Reichtum<br />
gelangte und ob seiner arbeiterfeindlichen<br />
Haltung als „Wölffe“ bezeichnete Brü<strong>der</strong>paar<br />
ließ sich nicht zum Einlenken bewegen.<br />
Nach dem Begräbnis des ermordeten Kollegen,<br />
dem Tausende die letzte Ehre erwiesen<br />
hatten, zog die Menschenmenge zur Fürther<br />
Straße, wo sie von Polizeikräften mit Waffengewalt<br />
zurückgedrängt wurde. Tags darauf<br />
verbot <strong>der</strong> Magistrat <strong>der</strong> Stadt jede weitere<br />
Drei ViLLen unD noch ein PaLast<br />
Zusammenkunft in <strong>der</strong> Fürther Straße. Erst<br />
nachdem sich <strong>der</strong> Nürnberger Oberbürgermeister<br />
v. Schuh an den Verhandlungstisch<br />
setzte, wendete sich das Blatt – zu Gunsten<br />
<strong>der</strong> Arbeiterschaft: Rücknahme <strong>der</strong> Lohnkürzungen,<br />
Wie<strong>der</strong>einstellung aller Arbeiterinnen<br />
und Arbeiter und die verbindliche<br />
Zusage, zukünftig mit <strong>der</strong> Vertretung <strong>der</strong><br />
Arbeiterschaft zu kooperieren.<br />
Ein wEitEREs BEispiEl historistischer<br />
Villenarchitektur an <strong>der</strong> Fürther Straße ist<br />
die „Straßenbahner-Villa“, wie das reich dekorierte<br />
Gebäude bei den „alten“ Straßenbahnern,<br />
die es noch gekannt haben, heißt.<br />
<strong>Haus</strong>nummer 150 an <strong>der</strong> Kreuzung Maximilianstraße<br />
diente als Verwaltungsgebäude<br />
<strong>der</strong> Straßenbahndirektion und Wohnung<br />
des jeweiligen Herrn Direktor. Bei Baubeginn<br />
1897 war das direkt angrenzende Straßenbahnhauptdepot,<br />
<strong>der</strong> älteste Betriebshof<br />
<strong>der</strong> Nürnberg-Fürther Straßenbahn, schon<br />
rund 16 Jahre genutzt und stetig erweitert<br />
worden. 1897, ein Jahr nach <strong>der</strong> Elektrifizierung<br />
<strong>der</strong> Straßenbahn, bestand das Hauptwerk<br />
Fürther Straße aus mittlerweile drei<br />
großen, mehrgleisigen Wagenhallen, in denen<br />
alle Wartungs- und Reparaturarbeiten<br />
durchgeführt wurden, und einem eigenen<br />
Dampfkraftwerk zur Stromerzeugung. 1906<br />
schon war das Hauptwerk zu klein geworden,<br />
man musste auf an<strong>der</strong>e Betriebshöfe<br />
ausweichen, bis zur 1912 begonnenen und<br />
nach zwei Jahren fertig gestellten weitläufigen<br />
Zentralwerkstatt in <strong>der</strong> Muggenhofer<br />
Straße. Im Zuge des U-Bahnbaus musste<br />
die „Straßenbahner-Villa“ Ende <strong>der</strong> 1970er-<br />
Jahre dem Neubau <strong>der</strong> U-Bahnstation Maximilianstraße<br />
weichen. Das einstige Hauptwerk<br />
wurde 2004 stillgelegt, in den früheren<br />
Wagenhallen befindet sich noch heute die<br />
Gleisbau- und Fahrleitungswerkstatt.<br />
Ein dRittER VillEnBau soll an dieser<br />
Stelle nicht unerwähnt bleiben, die „Radlmaier-Villa“.<br />
Der dem „Nürnberger Stil“<br />
verpflichtete Bau mit seinen Erkern, Balkonen<br />
und Dachgauben, dreigeschossig mit<br />
steilem Giebel, wurde 1896 fertig gestellt.<br />
Der Bauherr, <strong>der</strong> dort mit seiner großen<br />
Familie wohnte, war <strong>der</strong> Fabrikant Georg<br />
Radlmaier, Besitzer einer „Kunststein- und<br />
Cementwaarenfabrik“, in <strong>der</strong> alles, was in<br />
Zement zu gießen möglich war, gegossen<br />
wurde, in erster Linie Fertigteile zur Fassadengestaltung,<br />
von denen man in <strong>der</strong> Blütezeit<br />
des Historismus sozusagen nicht genug<br />
haben konnte. Wesentlich preiswerter als<br />
handwerklich hergestellte Teile, fanden die<br />
Fabrikstücke reißenden Absatz und machten<br />
den Fabrikanten zum wohlhabenden<br />
Mann. Die Fabrik gibt es schon lange nicht<br />
mehr, aber die Radlmaiers: Bis heute bewohnen<br />
seine Nachkommen die alte Villa in <strong>der</strong><br />
Fürther Straße 319.<br />
BEi dEM oBEn erwähnten „Palast“ handelt<br />
es sich nicht etwa um ein weiteres üppig ausgestattetes<br />
Mietshaus son<strong>der</strong>n um das weitläufige<br />
und gleichermaßen imposante Nürn-
Die Wolff’sche Villa heute. Im Hintergrund ragt <strong>der</strong> erhalten gebliebene<br />
Querbau <strong>der</strong> einstigen Fabrikanlage ins Bild.<br />
Das Hauptwerk Fürther Straße, <strong>der</strong> älteste Betriebshof <strong>der</strong> Nürnberg-<br />
Fürther-Straßenbahn, um 1905.<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Briefkopf <strong>der</strong> Gebr.<br />
Wolff mit Ansicht<br />
<strong>der</strong> Villa und des<br />
Werksgeländes an<br />
<strong>der</strong> Fürther Straße<br />
Nr. 176.<br />
Das Luftbild aus dem Jahr 1927 zeigt den Blick auf das Straßenbahn-<br />
Hauptdepot.<br />
Die „Straßenbahner-Villa“ an <strong>der</strong> Ecke Fürther Straße/ Maximilianstraße<br />
mit einem Wagen <strong>der</strong> elektrifizierten Nürnberg-Fürther Straßenbahn im<br />
Jahr 1913.<br />
29
30 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
berger Justizgebäude, das von 1909 bis 1916,<br />
nach den Plänen des Architekten Hugo von<br />
Höfl errichtet wurde, kurz – um den „Justizpalast“.<br />
Die Planung eines, selbst für heutige<br />
Verhältnisse, riesigen Neubaukomplexes<br />
war aus unterschiedlichen Gründen notwendig<br />
geworden, wie <strong>der</strong> Zusammenfassung<br />
<strong>der</strong> bisher dezentral untergebrachten<br />
einzelnen Justizbehörden und <strong>der</strong> Platznot,<br />
<strong>der</strong> man mit zum Teil unzumutbaren Ausweichquartieren<br />
begegnete. Ursächlich hierfür<br />
waren die grundlegenden Justizreformen<br />
seit 1848, die das Aufgabenfeld <strong>der</strong> Justiz enorm<br />
vergrößert hatten, und das beachtliche<br />
Bevölkerungswachstum, das den Gerichten<br />
zwangsläufig ein Mehr an Arbeit bescherte.<br />
Nicht weniger als sieben mögliche Standorte<br />
für das neue Justizgebäude wurden ab<br />
1906 diskutiert. Das Gelände an <strong>der</strong> Fürther<br />
Straße war zunächst als zu abgelegen verworfen<br />
worden, wurde aber wie<strong>der</strong> aufge-<br />
Visitenkarte <strong>der</strong> Radlmaier’schen Kunststein- und Zementwarenfabrik.<br />
griffen, nicht zuletzt weil Grund und Boden<br />
dem Staat schon gehörten und hier zudem<br />
die Möglichkeit bestand, das nördlich <strong>der</strong><br />
Fürther Straße gelegene Zellengefängnis<br />
baulich zu integrieren. Inwieweit die positive<br />
Beurteilung dieses Bauplatzes durch Prinz<br />
Ludwig, den späteren bayerischen König<br />
Ludwig III., die Entscheidung beeinfluss te,<br />
sei dahingestellt. Das neue und größte bayerische<br />
Gerichtsgebäude jedenfalls fand ob<br />
seiner würdevoll zurückhaltenden, am Stil<br />
<strong>der</strong> deutschen Renaissance angelehnten<br />
Gestaltung bei <strong>der</strong> Bevölkerung großen Anklang.<br />
Knapp 190 Meter zieht sich die Straßenfassade<br />
des mächtigen, drei Innenhöfe<br />
umfassenden Carrée-Gebäudes entlang <strong>der</strong><br />
Fürther Straße, links und rechts von stattlichen<br />
Nebengebäuden flankiert. Das Gebäude<br />
rechterhand gelangte nach Ende des<br />
Zweiten Weltkriegs zu einiger Berühmtheit,<br />
als hier im eigens umgebauten ehemaligen<br />
Schwurgerichtssaal 600, von November<br />
1945 bis Oktober 1946 <strong>der</strong> Hauptkriegsverbrecherprozess<br />
gegen die einstigen Herren<br />
des NS-Staates stattfand. Der Prozess war<br />
ein historisches Novum: Das internationale<br />
Militärtribunal, geführt von den vier Siegermächten<br />
USA, Sowjetunion, Großbritannien<br />
und Frankreich, zog die Kriegsverursacher<br />
vor den Augen <strong>der</strong> Weltöffentlichkeit<br />
zur Rechenschaft.<br />
dER saal 600 wird bis heute für Verhandlungen<br />
genutzt und ist deshalb nur bedingt<br />
zu besichtigen. Das ebenfalls im Ostgebäude<br />
angesiedelte, <strong>der</strong>zeit im Aufbau befindliche<br />
„Memorium Nürnberger Prozesse“ wird als<br />
Informations- und Erinnerungsstätte über<br />
Vorgeschichte, Verlauf und Nachwirkungen<br />
<strong>der</strong> Nürnberger Prozesse Auskunft geben.<br />
R. f.<br />
1881 die erste Pferde-Straßenbahn verkehrt zwischen dem<br />
Staatsbahnhof Nürnberg und Fürth Stadtgrenze<br />
1882 Einführung von Fahrplänen, die Strecke Fürther Straße heißt<br />
nun „weiße Linie“<br />
1886 Elektrifizierung <strong>der</strong> Straßenbahn<br />
1903 städtische Übernahme <strong>der</strong> Straßenbahn und kontinuierlicher<br />
Ausbau des Streckennetzes<br />
1905 Erweiterung <strong>der</strong> „rothen Linie“ vom Plärrer bis zur Bataillons–<br />
kaserne, die Fürther Straße wird nun von zwei Linien befahren.<br />
1906 Umstellung auf Nummern: Linie 1 (bis Fürth), Linie 2<br />
(bis zur Kaserne)<br />
1922 Stilllegung <strong>der</strong> Ludwigseisenbahn<br />
1925 sechs Straßenbahnlinien befahren die Fürther Straße,<br />
darunter eine Gepäcklinie<br />
1927 Schnellstraßenbahn mit nur 3 Haltepunkten („die rote 31er“)<br />
1938 Ausglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> städtischen Versorgungsabteilungen<br />
Wasser, Gas, Strom und Straßenbahn und Gründung des<br />
städtischen Eigenbetriebs „Städtische Werke Nürnberg“<br />
1959 Umwandlung zur GmbH: Energie- und Wasserversorgung<br />
(EWAG) und Verkehr (VAG)<br />
1978 Ausbau des U-Bahn-Netzes ab Plärrer<br />
1981 Fertigstellung des letzten U-Bahn-Tunnelabschnitts<br />
(Eberhardshof ), Stilllegung <strong>der</strong> Straßenbahn zwischen<br />
Nürnberg und Fürth<br />
TIpp: Anlässlich <strong>der</strong> Jubiläumsausstellung „Die Strecke des Adlers“ im<br />
Museum Industriekultur Nürnberg veranstaltet <strong>der</strong> Verein „Freunde<br />
<strong>der</strong> Nürnberg-Fürther Straßenbahn e. V.“ Son<strong>der</strong>fahrten in historischen<br />
Bussen vom Museum Industriekultur aus nach Fürth und zurück – auf<br />
<strong>der</strong> einstigen Strecke des Adlers.
Der Mittelbau des Nürnberger Justizpalastes, aufgenommen im Jahr 1911.<br />
Der dominante Uhrenturm mit einer Bronzestatue <strong>der</strong> Justitia stürzte nach<br />
schweren Bombentreffern am 21. Februar 1945 in den Hof. Nach Instandsetzung<br />
des Dachs und <strong>der</strong> in Mitleidenschaft gezogenen Stockwerke<br />
entschied man sich, den Uhrenturm nicht wie<strong>der</strong> aufzubauen.<br />
Im östlich des Hauptgebäudes angrenzenden Bau befindet sich <strong>der</strong> Saal<br />
600, Schauplatz des Hauptkriegsverbrecherprozesses 1945/46. Das zu<br />
dieser Zeit entstandene Foto belegt die US-militärische Präsenz an <strong>der</strong><br />
Fürther Straße während <strong>der</strong> gesamten Dauer des Prozesses.<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Auf dieser Bildpostkarte aus den 1920er-Jahren ist auch die strahlenförmig<br />
konzipierte Anlage des alten Zellengefängnisses zu sehen, die zwischen<br />
1984 und 1998 abgerissen und durch Neubauten ersetzt wurde.<br />
Die Angeklagten im Saal 600 während des Prozesses.<br />
Der US-Armeefotograf Ray D’Addario dokumentierte nicht nur den Prozess<br />
im Saal 600, er fotografierte auch den Gerichtsalltag und, wie auf<br />
dieser seltenen Farbaufnahme zu sehen, den Trakt des Zellengefängnisses,<br />
in dem die Angeklagten des Hauptkriegsverbrecherprozesses<br />
inhaftiert waren. Um Selbstmordversuche <strong>der</strong> Insassen zu verhin<strong>der</strong>n,<br />
war vor je<strong>der</strong> Zelle Einzelbewachung postiert.<br />
31
32 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
mikrokosmos Fürther strasse<br />
Was einst als Pappelallee begann, die man, das Auge<br />
schweifend über Wiesen, Fel<strong>der</strong> und Weiler, hoch zu<br />
Ross o<strong>der</strong> im offenen Landauer passieren konnte, mauserte<br />
sich in gut 200 Jahren zur stark frequentierten, pulsierenden<br />
Verkehrsa<strong>der</strong>. Bei<strong>der</strong>seits <strong>der</strong> breiten Großstadtstraße entstand ein<br />
nonkonformistisches Neben-, Durch- und Miteinan<strong>der</strong>, wie es kein<br />
zweites in Nürnberg gibt. Ein „Mikrokosmos“ <strong>der</strong>, scheinbar autark,<br />
ein eigenes Leben innerhalb des großen Ganzen führt. So gut wie<br />
alles existentiell Wesentliche entwickelte sich hier mit einer, rückblickend<br />
betrachtet, erstaunlichen Vielfalt und Selbstverständlichkeit.<br />
schon uM diE jahRhundERtwEndE war die Bebauung <strong>der</strong><br />
Fürther Straße mit weiteren Wohnhäusern und Fabrikanlagen bis<br />
jenseits <strong>der</strong> Kreuzung Maximilianstraße vorangekommen. Kaum einer<br />
von denen, die hier tagtäglich die Werkstore passierten, wohnte<br />
in einer <strong>der</strong> vergleichsweise teuren, neuen Mietwohnungen. Die Arbeiterschaft,<br />
darunter viele, die aus ländlichen Gegenden zugezogen<br />
waren in <strong>der</strong> Hoffnung auf eine bessere Zukunft in <strong>der</strong> aufstrebenden<br />
Stadt, wohnte in bescheidenen bis erbärmlichen Verhältnissen in<br />
den angrenzenden Vierteln. Das Alltagsleben in <strong>der</strong> Fürther Straße,<br />
„ihrer“ Straße, bestimmten sie mit, neben und mit den direkten<br />
Anwohnern. Allein das breit gefächerte Angebot an Vereinslokalen,<br />
Kneipen, Cafés, Wirtshäusern und Restaurants lässt den Schluss zu,<br />
dass hier ein vielschichtiges Publikum unterwegs war. So etwa auch<br />
die Soldaten aus <strong>der</strong> Bataillonskaserne, die in Scharen jeden Abend<br />
ihre Stammlokale bevölkerten. Der idyllische Rosenau-Park am einen<br />
Ende, wie auch das an <strong>der</strong> Eisenbahn gelegene Ausflugslokal<br />
„Feldschlösschen“ am an<strong>der</strong>en Ende <strong>der</strong> Fürther Straße belegen, dass<br />
für jeden Geschmack gesorgt war. Und man flanierte auf den breiten<br />
Trottoirs, besah sich die Auslagen <strong>der</strong> vielen Geschäfte und verglich<br />
die Angebote. Alles, was man zum täglichen Leben brauchte, war in<br />
Hülle und Fülle vorhanden. Anwälte, Ärzte und Apotheker gingen<br />
hier ihrer Arbeit ebenso nach wie Schnei<strong>der</strong>innen, Schreiner o<strong>der</strong><br />
Fuhrleute. Nur einen Steinwurf vom Plärrer entfernt, erwartete das<br />
Volksbad seine Badegäste, Lichtspielhäuser wurden eröffnet. Schulen<br />
und Kirchen wurden gebaut, Gemeinden entwickelten sich. Der Bau<br />
des Justizpalastes schloss nicht nur eine große Baulücke, er hob das<br />
Blick über den alten<br />
Nürnberger Stadtteil<br />
St. Johannis hinweg<br />
in südwestliche<br />
Richtung, aufgenommen<br />
in den<br />
1880er-Jahren von<br />
Ferdinand Schmidt.<br />
Deutlich in <strong>der</strong> Ferne<br />
zu erkennen, liegt<br />
die von Pappeln<br />
gesäumte Fürther<br />
Straße, die nach dem<br />
Zellengefängnis<br />
(am linken Bildrand)<br />
noch gänzlich unbebaut<br />
war.<br />
Ansehen <strong>der</strong> gesamten westlichen Vorstadt. Schon lange versorgte<br />
Nürnbergs erstes Gaswerk in Plärrernähe auch die Fürther Straße<br />
mit Licht, nun kam das erste Klärwerk an <strong>der</strong> Maximilianstraße<br />
dazu, die Kanalisation wurde ausgebaut. Weitere Fabriken siedelten<br />
sich an und schließlich zog auch das Volksfest an die Fürther Straße<br />
und blieb, unterbrochen nur durch die Kriegsjahre, fester Bestandteil<br />
<strong>der</strong>selben. Erst Anfang <strong>der</strong> 1950er-Jahre, als Gustav Schickedanz das<br />
Gelände kaufte, war es damit vorbei. Dafür entstand an gleicher Stelle<br />
ein gigantisches Unternehmen und sorgte für neues Leben.<br />
diE füRthER stRassE hat im Lauf ihrer über 200-jährigen <strong>Geschichte</strong><br />
vieles erlebt, wachsen und vergehen gesehen: den Aufbruch<br />
ins industrielle Zeitalter, den Wandel zur Industriemetropole, Aufschwung<br />
und Nie<strong>der</strong>gang bedeuten<strong>der</strong> Unternehmen. Die massiven<br />
Bombardierungen Nürnbergs im Zweiten Weltkrieg hinterließen<br />
auch hier ihre Spuren. 20 Prozent <strong>der</strong> Gebäude waren zerstört, nur<br />
10 Prozent blieben heil, <strong>der</strong> Rest war zum Teil erheblich beschädigt.<br />
Knapp 40 Prozent davon wurde wie<strong>der</strong> aufgebaut. Nach und nach<br />
schlossen sich die kriegsbedingten Lücken und verän<strong>der</strong>ten das Straßenbild<br />
weiter. Ein nicht immer gelungenes Nebeneinan<strong>der</strong> von Alt<br />
und Neu entstand.<br />
stRuktuRwandEl, MigRation und MultikultuR, seit<br />
den 1970er-Jahren aktuell und längst prägen<strong>der</strong> Bestandteil <strong>der</strong><br />
Fürther Straße und ihrer nächsten Umgebung, haben ein lebendiges,<br />
spannungs- wie facettenreiches Bild geschaffen. Ein Boulevard ist<br />
bekanntlich nicht aus ihr geworden, obwohl sie, wie auf historischen<br />
Fotografien <strong>der</strong> 1920er-Jahre erkennbar, durchaus das Zeug dazu<br />
gehabt hätte. Vielmehr ist sie nun ein multikulturell-urbanes, temporeiches<br />
„Fließband“, das auf den ersten, schnellen Blick nicht zum<br />
Verweilen einlädt. Ein zweiter Blick aber genügt und man entdeckt<br />
ihr trotz <strong>der</strong> vielen alten und jüngeren „Narben“ ganz unverwechselbares,<br />
interessantes Gesicht. Vor kurzem erst ist eine neue Wunde,<br />
eine, die noch lange Zeit nicht heilen wird, hinzugekommen – „Quelle“:<br />
das Ende eines Imperiums und einer <strong>der</strong> unternehmerischen<br />
Erfolgsstorys in Deutschland schlechthin.<br />
R. f.
Blick in das nördliche Teilstück <strong>der</strong> Fürther Straße, aufgenommen<br />
1929. Viele kleine Geschäfte, Passanten und<br />
Fahrradfahrer bestimmen das lebhafte Straßenbild.<br />
Historische Bildpostkarten <strong>der</strong> evangelischen Dreieinigkeitskirche und <strong>der</strong><br />
katholischen Antoniuskirche, beide unweit <strong>der</strong> Fürther Straße gelegen.<br />
Die Fürther Straße gegen Osten, in Richtung Plärrer. Auch<br />
hier, bei<strong>der</strong>seits <strong>der</strong> Straßenbahn, ein ähnlich belebtes Bild.<br />
Ampeln brauchte man noch nicht, heutzutage − beson<strong>der</strong>s<br />
an <strong>der</strong> Fürther Straße − undenkbar!<br />
Ein beliebtes Postkartenmotiv war dieser<br />
Blick auf die Strecke <strong>der</strong> Ludwigsbahn, die<br />
benachbarte Straßenbahn und die repräsentativen<br />
Bauten entlang <strong>der</strong> Fürther Straße, Höhe<br />
Veit-Stoß-Anlage, um 1910.<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Der Gasthof „Alpenhütte“,<br />
heute „Kartoffel“,<br />
das älteste<br />
noch vorhandene<br />
Gebäude an <strong>der</strong><br />
Fürther Straße, aufgenommen<br />
in den<br />
1940er-Jahren (links)<br />
und 2009 (rechts).<br />
Die <strong>Haus</strong>nummern<br />
35–41, aufgenommen<br />
1912 und 2009.<br />
33
34 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
„erst maL seh’n, was QueLLe hat!“<br />
Kurz vor seinem 28. Geburtstag,<br />
im Dezember 1922, gründete<br />
<strong>der</strong> gelernte Kaufmann Gustav<br />
Schickedanz seine erste eigene Firma<br />
„Gustav Schickedanz Kurzwaren en<br />
gros“ in Fürth. Er begann im Kleinen,<br />
verkaufte Kurz-, Weiß- und Wollwaren<br />
an den Einzelhandel in <strong>der</strong> Region und<br />
lieferte selbst aus. Schon nach dem ersten<br />
Geschäftsjahr verzeichnete das junge Unternehmen ein Vermögen<br />
von rund 10000 Reichsmark. Nur vier Jahre nach Geschäftsgründung<br />
beschäftigte Schickedanz bereits fünf Angestellte, wenig später<br />
folgte <strong>der</strong> Eintrag des neuen Firmennamens „Quelle“ ins Handelsregister<br />
– jener Name, <strong>der</strong> zum Inbegriff einer deutschen Erfolgsgeschichte<br />
werden sollte.<br />
auf diE idEE, parallel zum Geschäft mit dem Großhandel auch<br />
Privathaushalte zu beliefern, hatten ihn, wie er sich gern erinnerte,<br />
Frauen aus <strong>der</strong> Nachbarschaft gebracht, die ohne den Umweg über<br />
den Einzelhandel preiswert bei ihm bestellen und sozusagen „an<br />
<strong>der</strong> Quelle“ kaufen wollten. Mitte <strong>der</strong> 1960er-Jahre veröffentlichte<br />
<strong>der</strong> Pressedienst des Versandhauses eine Kurzchronik, in <strong>der</strong> diese<br />
Geschäftsphilosophie wie folgt beschrieben ist: „… Der Name<br />
war glücklich gewählt: eine Quelle sprudelt, ihre Wasser sind rein<br />
und klar wie es die Grundsätze waren, die Gustav Schickedanz seinem<br />
Unternehmen gab, sie mehren sich, sie werden zum Fluß und<br />
schließlich zum Strom, <strong>der</strong> das Land durchzieht. Der junge Kaufmann<br />
war sich bewusst, dass ein glücklicher Name aber nur dann<br />
etwas bedeutet, wenn sich mit diesem Namen eine ganz bestimmte<br />
Vorstellung verbindet. Er ging darauf aus, ein Vertrauensverhältnis<br />
zu schaffen zwischen <strong>der</strong> Familie, die in einem einsamen Dorf den<br />
Katalog sorgfältig prüfte, und dem Unternehmen, das sich als ‚Quelle‘<br />
anbot. Bei einem solchen Vertrauensverhältnis bildet sich eine an<strong>der</strong>e<br />
Beziehung zwischen Kaufmann und Kunde heraus als bei so genannten<br />
‚Laufkunden‘, also Käufern, die einmal bedient werden und<br />
von denen <strong>der</strong> Kaufmann oft nie wie<strong>der</strong> hört. Und das ist vielleicht<br />
das eigentliche Geschäftsgeheimnis <strong>der</strong> ‚Quelle‘, Der einmal gewonnene<br />
Kunde blieb, er wartete auf den Katalog und die ‚Quelle‘ auf<br />
Der elegant gestaltete Titel<br />
des Herbst/Winter-Katalogs<br />
1960/61 vermittelt jenen<br />
„Hauch von Luxus“, den sich<br />
die Quelle-Kundin leisten<br />
wollte, im Zweifelsfall durch<br />
Ratenkauf.<br />
seine Bestellung. Es war aus dem Kunden<br />
<strong>der</strong> ‚Quelle‘ weitab von Fürth, ein<br />
Freund des <strong>Haus</strong>es geworden, <strong>der</strong> mit<br />
seinen Freunden wie<strong>der</strong>um, ganz aus<br />
freien Stücken, von <strong>der</strong> ‚Quelle‘ sprach.<br />
So ist es zu erklären, dass die Kartei <strong>der</strong><br />
Kunden 1936 die erste Million überschritt.<br />
Die Jahre zwischen 1927 und<br />
1936 zeigten einen konsequenten Aufstieg<br />
des <strong>Haus</strong>es.“ Und so erklärt sich auch, dass nach etlichen, im<br />
Lauf <strong>der</strong> Jahrzehnte wechselnden Quelle-Slogans im Jahr 1990 eben<br />
dieses Vertrauensverhältnis zwischen Versand und Besteller mit dem<br />
kürzesten und zugleich persönlichsten aller Slogans betont wurde:<br />
„Meine Quelle“.<br />
gustaV schickEdanz’ gEschäftsphilosophiE und zugleich<br />
Erfolgsrezept seines <strong>Haus</strong>es lautete: „Vom kleinen Gewinn<br />
zum großen Nutzen für möglichst viele Menschen.“ Die konsequent<br />
durchgehaltene Handelsmaxime knapper Kalkulation in An- und<br />
Verkauf rechnete sich für alle Beteiligten: für die Lieferanten, <strong>der</strong>en<br />
Gewinnspanne zwar geringer war, die sich jedoch, solange Qualität<br />
und Preis stimmten, konstante Aufträge sicherten, ebenso wie für die<br />
Verbraucher, die auf stabile, erschwingliche Preise zählen konnten,<br />
auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, etwa in <strong>der</strong> Weltwirtschaftskrise<br />
1929 bis 1932. Quelle war in dieser Zeit gefragter denn je.<br />
1934, knapp elf Jahre nach <strong>der</strong> Firmengründung beschäftigte Quelle,<br />
nun das größte Wollgeschäft Deutschlands, bereits 500 Angestellte.<br />
1938 betrug <strong>der</strong> Jahresumsatz 40 Millionen Mark. Im Zuge <strong>der</strong><br />
beginnenden „Arisierung“ <strong>der</strong> deutschen Wirtschaft erwarb Gustav<br />
Schickedanz nun Produktionsstätten und eingeführte Marken,<br />
die wesentlich zum Aufstieg des Unternehmens beitrugen, so zum<br />
Beispiel schon 1935 die Vereinigten Papierwerke und <strong>der</strong>en Marke<br />
„Tempo“, vormals im Besitz einer jüdischen Unternehmerfamilie.<br />
dER zunEhMEnd nEgatiVEn Haltung <strong>der</strong> Nationalsozialisten<br />
gegenüber Kaufhaus- und Versandhandelsgeschäften versuchte man<br />
mit dem zweifelhaften Zusatz „rein arisches Unternehmen“ zu begegnen.<br />
Trotz guter Kontakte auf ministerialer Ebene, die es Quelle
Wollmusterkatalog des „Gross-Versandhauses<br />
Quelle, Fürth i. Bayern“, um 1938<br />
erlaubten, auch Lebensmittelmarken als Zahlungsmittel zu akzeptieren,<br />
legten die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs den Handel<br />
weitgehend lahm. Ein Bombenangriff im Herbst 1943 zerstörte große<br />
Teile <strong>der</strong> Firmengebäude; in Ausweichquartieren arbeitete man in<br />
bescheidenem Umfang weiter, bis zum Zusammenbruch 1945. Die<br />
Firmenanlagen waren fast vollständig verloren, die wenigen noch bestehenden<br />
Lager geplün<strong>der</strong>t, Firmenunterlagen und Vermögenswerte<br />
beschlagnahmt. Gustav Schickedanz erhielt im Zuge <strong>der</strong> Entnazifizierung<br />
Berufsverbot, 1949 kehrte er in sein Unternehmen zurück.<br />
1929 hatte Gustav Schickedanz bei einem Autounfall seine Frau, seinen<br />
kleinen Sohn und seinen Vater verloren. 1942 heiratete er ein<br />
zweites Mal. Seine Frau Grete, seit 1927 im Unternehmen tätig, hatte<br />
es, ob ihrer Tüchtigkeit und ihres Geschäftssinns in wenigen Jahren<br />
vom damals 15-jährigen Lehrmädchen zur Leiterin des Einkaufs gebracht.<br />
Sie war es, die nach Kriegsende und während des Berufsverbots<br />
ihres Mannes ein kleines Textilgeschäft im nahen Hersbruck eröffnete,<br />
alte und neue Kontakte zu Lieferanten und Kunden aufbaute<br />
und so den Grundstein für den Wie<strong>der</strong>einstieg in den Versandhandel<br />
legte. 1948 erzielte sie bereits einen Umsatz von 315 000 Mark.<br />
dER VERsandkatalog vom Frühjahr 1951 umfasste bescheidene<br />
16 Seiten, acht Jahre später waren es bereits 272 (mehr als die<br />
Hälfte davon farbig), wie<strong>der</strong>um sechs Jahre später erschien <strong>der</strong> Quelle-Katalog<br />
schon 582 Seiten stark mit rund 9 000 Artikeln/28 000<br />
Positionen in einer Auflage von 6,2 Millionen Exemplaren. Das<br />
Angebot umfasste nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens, vom<br />
Taschentuch bis zum Fertighaus. Mit Ausnahme des zuletzt genannten<br />
wurden die meisten Artikel durch den hauseigenen Versand in<br />
alle Welt verschickt. 1965 verzeichnete Quelle den Versand von 19,5<br />
Millionen Paketstücken, <strong>der</strong> Jahresumsatz betrug 1,9 Milliarden<br />
DM. Das Unternehmen zählte international zu Spitzenzeiten 26 000<br />
Beschäftigte und besaß mittlerweile 97 Verkaufsagenturen und 13<br />
Kaufhäuser. Zweidrittel des Gesamtumsatzes aber wurden mit dem<br />
Versandhandel erzielt – Post und Bahn erwirtschafteten allein mit<br />
Quelle einen Betrag von 91 Millionen DM.<br />
diEsER atEMBERauBEndEn Entwicklung war ein Kraftakt<br />
beachtlichen Ausmaßes vorangegangen: die komplette Neupla-<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Noch Mitte <strong>der</strong> 1950er-Jahre, wie hier im<br />
Frühjahr/Sommer-Katalog 1956, finden sich<br />
kolorierte Modezeichnungen im Wechsel mit<br />
Schwarz/Weiß- und vereinzelt auch Farb-Fotografien.<br />
Die Kataloge werden umfangreicher<br />
und aufwändiger in <strong>der</strong> Gestaltung.<br />
„In <strong>der</strong> Küche bunt beschürzt, macht immer frohe Laune“, so die<br />
vollständige Überschrift des Angebots an Schürzen unterschiedlichster<br />
Schnitte und Muster aus dem Herbst/Winter-Katalog 1958/59<br />
35
36 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Die Quelle-Jahrbücher wurden als Aufmerksamkeit des <strong>Haus</strong>es an treue<br />
Kunden verschickt. Neben Kalen<strong>der</strong>seiten, Gedichten und Kurzgeschichten<br />
informierten die Jahrbücher über beson<strong>der</strong>e Quelle-Aktivitäten,<br />
etwa Modenschauen, Pressespiegel, geschäftliche Neuigkeiten. Die Werbeseiten<br />
sollten sowohl die Produktvielfalt wie auch die Vorzüge des<br />
Versandeinkaufs betonen und fielen, bunt und pfiffig gestaltet, sofort<br />
ins Auge – hier einige Beispiele aus den späten 1950er-Jahren.
nung und -entwicklung des Versandsystems,<br />
eine logistische Meisterleistung, die noch<br />
Jahre später als „Wun<strong>der</strong>werk“ bezeichnet<br />
wurde. Auf dem ehemaligen Volksfestplatz<br />
an <strong>der</strong> Fürther Straße, <strong>Haus</strong>nummer<br />
205–215, erstand Mitte <strong>der</strong> 1950er-Jahre ein<br />
Neubau von beeindrucken<strong>der</strong> Größe und<br />
Ausdehnung für die Versandabteilung. Mit<br />
180 Meter Fassadenlänge, 60 Meter Breite<br />
und 24 in <strong>der</strong> Höhe setzte <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne, klar<br />
strukturierte Bau nicht nur architektonisch<br />
deutliche Akzente – dem Unternehmen gelang<br />
damit <strong>der</strong> Sprung an die Spitze zu Europas<br />
größtem Versandhaus. Neubauten für<br />
Hauptlager, Warenannahme und Auslieferung<br />
sowie neu entwickelte Großrechenanlagen<br />
wurden nötig, um <strong>der</strong> nach wie vor<br />
steigenden Nachfrage verwaltungstechnisch<br />
gerecht zu werden. 1960 eröffnete zudem<br />
<strong>der</strong> „Quelle-Markt“ das erste Großkaufhaus<br />
an <strong>der</strong> Fürther Straße.<br />
hintER dER hEllEn klinkERfassadE<br />
des Versand-Neubaus (noch heute nennen<br />
altgediente Quelle-Mitarbeiter das Gebäude<br />
so) sorgte nun ein perfekt organisiertes Betriebssystem<br />
für den reibungslosen Ablauf,<br />
vom Eingang des Bestellscheins in <strong>der</strong> Poststelle<br />
bis zur Verladung des versandfertigen<br />
Pakets. Vereinfacht dargestellt, wurden die<br />
einzelnen Artikel <strong>der</strong> meist mehrteiligen<br />
Bestellungen aus den jeweiligen Regallagern<br />
durch elektronisch gesteuerte Paternoster<br />
und Laufbän<strong>der</strong> transportiert, die wie<strong>der</strong>um<br />
so synchronisiert waren, dass sie immer dort<br />
anhielten, wo die passenden Sammelwannen,<br />
ebenfalls elektronisch gesteuert und<br />
zugeführt, bereitstanden. Diese wurden weitergeleitet<br />
zu den nächsten Umladestationen<br />
bis zur Endkontrolle und danach zur Verpackung<br />
in <strong>der</strong> Kartonage-Abteilung, um<br />
dann Wiegeplatz und Verschließabteilung<br />
zu durchlaufen, wo auch das Porto berechnet<br />
wurde. Der gesamte Durchlauf vom Ein-<br />
gang <strong>der</strong> Bestellung bis zum Verladen eines<br />
Pakets dauerte nicht länger als sechs Stunden:<br />
alles in allem ein bis ins Letzte durchdachtes,<br />
hocheffizientes Betriebssystem, das<br />
über Jahrzehnte Maßstäbe setzte.<br />
Mit gREtE und gustaV Schickedanz<br />
standen zwei Unternehmerpersönlichkeiten<br />
an <strong>der</strong> Spitze, die nicht nur präsent geblieben<br />
waren, son<strong>der</strong>n auch erreichbar. Sie<br />
fühlten sich den Mitarbeitern verpflichtet<br />
und pflegten den Kontakt zu ihnen. Arbeitsbedingungen<br />
und soziale Leistungen im<br />
Unternehmen galten als vorbildlich. Dazu<br />
gehörten auch Son<strong>der</strong>vergütungen wie<br />
Weihnachtsgratifikationen, Anwesenheitsför<strong>der</strong>ungsprämien<br />
und Treueprämien in<br />
Form vermögensbilden<strong>der</strong> Anlagen. So war<br />
es keine Ausnahme, dass ganze Familien,<br />
zum Teil schon in zweiter und dritter Generation<br />
bei Quelle beschäftigt waren. Diese<br />
gewissermaßen „familiäre“ Zugehörigkeit<br />
wurde von <strong>der</strong> Firmenleitung begrüßt und<br />
unterstützt. 50 Jahre nach Firmengründung,<br />
im Jubiläumsjahr 1977, starb Gustav Schickedanz.<br />
Seine Witwe führte das Unternehmen<br />
in bewährter Form weiter, an ihrer Seite<br />
die beiden Schwiegersöhne. Rückblickend betrachtet,<br />
war <strong>der</strong> Zenit fast erreicht, <strong>der</strong> Markt<br />
für Konsumgüter zunehmend gesättigt.<br />
noch in dEn 1980ER-jahREn zählte das<br />
Unternehmen 156 Verkaufsstellen, 28 Kaufhäuser<br />
und Tochtergesellschaften im In- und<br />
Ausland. Schon in den Sechzigerjahren erschlossene<br />
Terrains wie Quelle-Reisedienst,<br />
Foto-Quelle, Quelle-Fertighaus, Quelle-Bausparen<br />
und -lebensversicherungen gehörten<br />
dazu ebenso wie die Norisbank und eigene<br />
Fabrikationsbetriebe. Wirtschaftshistoriker<br />
begründen rückblickend den beginnenden<br />
Nie<strong>der</strong>gang des einstigen Erfolgsunternehmens<br />
mit Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Absatzmärkte,<br />
des Kaufverhaltens und gesellschaftlichen<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Je<strong>der</strong> Katalog begrüßte den Kunden mit<br />
einem Brief von Gustav Schickedanz. In <strong>der</strong><br />
Herbst/Winter-Ausgabe 1960/61 wurden voller<br />
Stolz auch die neuen Erweiterungsgebäude<br />
auf dem rückwärtigen Areal und <strong>der</strong> „Quelle-<br />
Markt“, im Vor<strong>der</strong>grund, vorgestellt.<br />
Umbrüchen, auf die ein unbeweglicher Versandriese<br />
wie Quelle, <strong>der</strong> traditionsverhaftet<br />
und in gewohnter „Verteilermentalität“ seine<br />
Waren in entlegenste Winkel bringen wollte,<br />
nicht in erfor<strong>der</strong>lichem Maße reagiert hatte.<br />
„In dem Bestreben, Kontinuität zu wahren,<br />
verschläft die Führung gesellschaftliche und<br />
ökonomische Verän<strong>der</strong>ungen“, hieß es dazu<br />
in <strong>der</strong> ZEIT vom 5.6.2003. Dabei schwächten<br />
unrentabel gewordene Geschäftsbereiche den<br />
Umsatz ebenso wie <strong>der</strong> kommende Konkurrent<br />
Internet als zügig expandieren<strong>der</strong> Warenanbieter.<br />
Nach den beiden Verlustjahren<br />
1984/85 schrieb Quelle aufgrund deutlicher<br />
Umstrukturierungsmaßnahmen zunächst<br />
wie<strong>der</strong> schwarze Zahlen und erlebte im Zuge<br />
<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung Deutschlands einen<br />
beachtlichen Aufschwung. Hier griff noch<br />
einmal das Prinzip des Universalanbieters,<br />
die Käuferschaft in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />
reagierte geradezu euphorisch auf das „allumfassende“<br />
Angebot im über 1 000 Seiten<br />
starken Katalog. 1991, drei Jahre vor ihrem<br />
Tod, investierte Grete Schickedanz noch<br />
1 Milliarde DM in die Erschließung des neuen<br />
Marktes und den Bau eines hochmo<strong>der</strong>nen<br />
Versandzentrums in Leipzig, die Inbetriebnahme<br />
erlebte sie nicht mehr.<br />
auch diE 1999 umgesetzte Fusion mit<br />
Karstadt zu KarstadtQuelle, später Arcandor,<br />
mit <strong>der</strong> massive Sparmaßnahmen,<br />
Stellenkürzungen und die Schließung von<br />
Kaufhäusern, Verkaufsagenturen etc. einhergingen,<br />
brachte nicht den gewünschten<br />
Erfolg. Wechselnde Managements versuchten<br />
das Unternehmen zu sanieren und<br />
scheiterten, <strong>der</strong> Abwärtstrend war nicht<br />
mehr aufzuhalten. Im Juni 2009, nach einer<br />
langen Kette von Fehlentscheidungen kam<br />
<strong>der</strong> vorläufige Schlusspunkt: Insolvenz – und<br />
die Zusage eines 50 Millionen-Massekredits<br />
als Soforthilfe. Die Zukunft von Quelle war<br />
jedoch nicht mehr zu sichern. Ein Viel-<br />
37
38 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Gustav und Grete Schickedanz in ihrem „Quelle-Markt“ an <strong>der</strong> Fürther Straße, in dem 60 000<br />
Artikel angeboten wurden. „Ruhe vor dem Sturm“ hieß es zu diesem kurz vor <strong>der</strong> Eröffnung des<br />
neuen Großkaufhauses entstandenen Foto in den „Nürnberger Nachrichten“.<br />
Der große Busparkplatz neben dem Quelle-<br />
Areal. Auswärtige Arbeitnehmer wurden<br />
täglich von und zu ihren bis zu 100 Kilometer<br />
entfernten Wohnorten gebracht. Vor allem<br />
in <strong>der</strong> Vorweihnachtszeit wurden tausende<br />
Aushilfen benötigt. Die organisierte An- und<br />
Rückfahrt in bequemen Reisebussen sowie<br />
Einkaufsrabatte, auch für Aushilfskräfte, waren<br />
für viele ausschlaggebend, die weite Entfernung<br />
zum Arbeitsplatz in Kauf zu nehmen.<br />
Die Sammelwannen auf dem Weg zur Packerin.<br />
Von oben zugeführt, traf zeitgleich das<br />
passende Verpackungsmaterial ein.<br />
In <strong>der</strong> Poststelle. Saugluft erleichterte das<br />
Herausnehmen <strong>der</strong> Bestellscheine aus den<br />
maschinell geöffneten Kuverts.<br />
Letzte Station vor dem Versand. Hier wurden<br />
die Pakete verschlossen, gewogen und<br />
frankiert. Dann rollten sie weiter in Richtung<br />
Auslieferung.
Der Neubau an <strong>der</strong> Fürther Straße, feierlich eröffnet am 24. März 1956,<br />
erstreckte sich über eine Grundfläche von 11 000 qm und prägte in<br />
seiner Mo<strong>der</strong>nität das Gesicht <strong>der</strong> Verkehrsa<strong>der</strong> zwischen Nürnberg und<br />
seiner Nachbarstadt Fürth wie kein an<strong>der</strong>es Gebäude zu dieser Zeit.<br />
Im Jahr 1962 war das „Quelle-Universum“<br />
komplett: Fertighäuser wurden ins Programm<br />
aufgenommen. Zwei Jahre später war Quelle<br />
das größte Versandhaus Europas. Werbeanzeige<br />
für ein mo<strong>der</strong>nes Eigenheim aus dem<br />
Jahrbuch von 1966: vom Taschentuch bis<br />
zum <strong>Haus</strong>, nun konnte alles aus einer „Quelle“<br />
geschöpft werden.<br />
Aus dem 1966 letztmalig gedruckten Quelle-Jahrbuch: Der Quelle-Fachverkäufer<br />
erklärt <strong>der</strong> Kundin eine „Revue“, die Eigenmarke des <strong>Haus</strong>es<br />
für Filme, Fotoapparate und Ferngläser.<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
faches dieser Summe wäre notwendig gewesen, so die Meinung von<br />
Wirtschaftsexperten, um den Konzern zu einem konkurrenzfähigen<br />
Wettbewerber umzubauen, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> nötigen Flexibilität auf wechselnde<br />
Trends, differenzierte Käuferschichten und ein überwiegend<br />
vom Internetangebot bestimmtes Kaufverhalten reagieren kann.<br />
diE folgEn sind gRaViEREnd, wie immer bei Pleiten dieser<br />
Größenordnung, allem voran für die Beschäftigten, aber auch für<br />
Tochterunternehmen, Vertragsfirmen und Zulieferbetriebe im Inund<br />
Ausland, für die Region, für Nürnberg und Fürth und nicht zuletzt<br />
auch für die unmittelbare Nachbarschaft an <strong>der</strong> Fürther Straße,<br />
die in den letzten Jahrzehnten mehrfach Bekanntschaft gemacht hat<br />
mit Betriebsschließungen, wirkungslosen Protesten <strong>der</strong> Betroffenen,<br />
Arbeitslosigkeit. Bereits Anfang <strong>der</strong> 1990er-Jahre hatte es den Nachbarn<br />
des Quelle-Versands getroffen, das Traditionsunternehmen<br />
Triumph Adler, und auch hier war es das bittere Ende einer echten<br />
Fürther Straßen-Erfolgsstory …<br />
R. f.<br />
Pfeiffer, Gerhard: Zur <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Nürnberg-Fürther Straße, in: „Fränkische Heimat.<br />
Beiträge zur fränkischen Heimat- und Volkskunde, Nürnberg 1958; Ortner, Peter:<br />
„Wahrhaft mo<strong>der</strong>n: Leistung mit Leichtheit zu verbinden.“ Der Plärrer-Automat, in: Gostenhof.<br />
<strong>Geschichte</strong> eines Stadtteils, Nürnberg 2005; Lübbeke, Hans Wolfram: Denkmäler<br />
in Bayern. Mittelfranken, Bd. 5, München 1986; Schwarz, Helmut: Le<strong>der</strong> im Getriebe,<br />
in: Aufriss 5. Die Fürther Straße. Centrum Industriekultur Nürnberg, 1985; 100 JAHRE<br />
HERCULES. Ein Jahrhun<strong>der</strong>t für zwei Rä<strong>der</strong>, hg. von Hercules. Ein Unternehmen <strong>der</strong><br />
Fichtel & Sachs Gruppe, Nürnberg 1986; Schwarz, Helmut: Unter Wölffen, in: Aufriss<br />
5. Die Fürther Straße. Centrum Industriekultur Nürnberg, 1985; „Die <strong>Geschichte</strong> des<br />
Nürnberger Justizpalastes“. Redemanuskript des damaligen Präsidenten des Oberlandesgerichts<br />
Nürnberg, Dr. Maximilian Nüchterlein, anläßlich des Abschlusses des Wie<strong>der</strong>einzugs<br />
<strong>der</strong> Justiz in das Justizgebäude Nürnberg am 2.5.1977<br />
39
40 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Die Gründung <strong>der</strong> „Triumph-<br />
Werke“ verdankt sich einem ungewöhnlichen<br />
fränkisch-britischen<br />
Doppelpass. 1884 ließ sich Siegfried Bettmann,<br />
Sohn eines Nürnberger Kaufmanns,<br />
in London nie<strong>der</strong>. Der unternehmungslustige<br />
21-Jährige arbeitete zunächst in einem<br />
Adressenverlag, verkaufte als Vertreter einer<br />
amerikanischen Firma in Europa und Nordafrika<br />
Sämaschinen, sattelte aber bereits<br />
1885 auf Fahrrä<strong>der</strong> um. Das einstige „Hobby<br />
Horse“ spleeniger Reicher schickte sich<br />
damals eben an, in Gestalt des Nie<strong>der</strong>rads<br />
ein Massenpublikum zu erobern. Bettmann<br />
sah glänzende Aussichten für den Export<br />
britischer Qualitätsfahrrä<strong>der</strong> auf den europäischen<br />
Kontinent. Der zu erwartende Triumphzug<br />
des neuen Fortbewegungsmittels<br />
regte ihn dazu an, seine zunächst aus Birmingham<br />
bezogenen Fahrrä<strong>der</strong> unter dem<br />
Namen Triumph anzubieten, eine Markenbezeichnung,<br />
die in Englisch, Deutsch und<br />
Französisch einen gleichermaßen leicht verständlichen<br />
Wohlklang besitzt.<br />
diE gEschäftE gingEn bald so gut für<br />
den jungen fränkischen Unternehmer, dass<br />
er 1887 zusammen mit dem ebenfalls aus<br />
Deutschland stammenden Techniker Moritz<br />
Schulte die „Triumph Cycle Company“<br />
gründete. Wenig später wagte Bettmann den<br />
Schritt vom reinen Handel zur Produktion<br />
und verlegte den Firmensitz nach Coventry,<br />
ins Herz <strong>der</strong> englischen Fahrradindustrie.<br />
Mit Einlagen britischer Finanziers begann<br />
Triumph dort 1889 in einer kleinen Fabrik<br />
mit <strong>der</strong> Herstellung eigener Fahrrä<strong>der</strong>. Getragen<br />
von einer ungeheuren Radl-Euphorie,<br />
expandierte das junge Unternehmen<br />
rasch. 1896 schien Bettmann <strong>der</strong> Zeitpunkt<br />
gekommen, den (Triumph)-Bogen von den<br />
englischen Midlands ins heimische Franken-<br />
triumPhaLe Zeiten<br />
land zu schlagen. Mit dem Geld Nürnberger<br />
und Fürther Kommerzienräte wurde am 15.<br />
Juli diesen Jahres unter Führung des Bankhauses<br />
„Josef Kohn & Söhne“ die „Deutsche<br />
Triumph Fahrradwerke AG“ gegründet.<br />
Die Wahl Nürnbergs als Sitz des Tochterunternehmens<br />
verdankte sich neben den<br />
persönlichen Beziehungen Bettmanns zur<br />
Geschäftswelt seiner Heimatstadt auch <strong>der</strong><br />
Tatsache, dass die fränkische Industriemetropole<br />
– hierin durchaus Coventry vergleichbar<br />
– zu einer Hochburg <strong>der</strong> deutschen<br />
Fahrradproduktion geworden war. Während<br />
auf <strong>der</strong> grünen Wiese an <strong>der</strong> Fürther Straße<br />
ein mo<strong>der</strong>ner Fabrikbau entstand, stellten<br />
die ersten Triumph-Mitarbeiter ab Oktober<br />
1896 in gemieteten Räumen in <strong>der</strong> Ha<strong>der</strong>mühle<br />
die notwendigen Spezialmaschinen<br />
und Werkzeuge her. Mit einer Belegschaft<br />
von etwa 60 Mann wurde im Januar 1897 <strong>der</strong><br />
Neubau an <strong>der</strong> Fürther Straße/Ecke Regerstraße<br />
bezogen. Nach kurzer Zeit lag die tägliche<br />
Produktion bei 30 bis 35 Fahrrä<strong>der</strong>n.<br />
als REaktion auf die Fahrradkrise<br />
1898/99 suchte und fand man bald weitere<br />
Produkte. So verdrängten Bettgestelle aus<br />
Messing und patentierte Drahtmatratzen<br />
die Fahrrä<strong>der</strong> aus den Nürnberger Werkshallen,<br />
während man sich in Coventry auf<br />
Motorradproduktion umstellte. Bettmann<br />
und sein Kompagnon Schulte hatten schon<br />
in den neunziger Jahren die Entwicklung<br />
auf diesem Gebiet verfolgt und überlegt,<br />
Lizenzen <strong>der</strong> Münchner Motorradpioniere<br />
„Hildebrand & Wolfmüller“ zu erwerben.<br />
Doch erst als im Zuge <strong>der</strong> großen Fahrradkrise<br />
englische Firmen wie „Ariel“, „Excelsior“<br />
o<strong>der</strong> „Matchless“ Motorrä<strong>der</strong> herzustellen<br />
begannen und die Finanziers <strong>der</strong><br />
„Dunlop“-Reifen bei Triumph einstiegen,<br />
schien die Zeit reif für die eigene Produktion<br />
knattern<strong>der</strong> Varianten <strong>der</strong> bewährten Drahtesel.<br />
Mit einjähriger Verzögerung nahm das<br />
Nürnberger Tochterunternehmen die Motorfahrradproduktion<br />
nach englischem Vorbild<br />
auf.<br />
MotoRRadfahREn waR zu jener Zeit<br />
noch das Privileg einiger begüterter Sportbegeisterter,<br />
die sich nach dem Wandel des<br />
Fahrrads vom „Hobby Horse“ zum alltäglichen<br />
Fortbewegungsmittel ein neues exklusives<br />
Steckenpferd suchten. Erste Erfolge<br />
In <strong>der</strong> Werbebroschüre aus dem Jahr 1911<br />
stellte Triumph stolz das neue Werk vor. Linkerhand<br />
<strong>der</strong> Fassade ist die Fahrrad-Testbahn<br />
zu erkennen, im Vor<strong>der</strong>grund dampft die<br />
Ludwigsbahn vorbei.
Zeitungsanzeige <strong>der</strong> Triumph-Werke von 1913 mit dem Hinweis auf den neuesten Katalog.<br />
von Triumph-Motorrä<strong>der</strong>n bei Rennen und<br />
Fernfahrten blieben zwar nicht aus, doch<br />
<strong>der</strong> Abnehmerkreis vergrößerte sich kaum.<br />
Höchstens vier Motorzweirä<strong>der</strong> pro Tag verließen<br />
die Nürnberger Werkshallen, sodass<br />
bereits 1907 die unrentable Fertigung von<br />
Motorzweirä<strong>der</strong>n im Werk an <strong>der</strong> Fürther<br />
Straße wie<strong>der</strong> eingestellt wurde.<br />
1909 ERgaB sich für die vorsichtig wirtschaftenden<br />
Nürnberger Manager eine gute<br />
Gelegenheit, ihr Unternehmen in einem<br />
neuen Wachstumsmarkt zu etablieren: Sie<br />
erwarben die in Konkurs gegangene Nürnberger<br />
Schreibmaschinenfabrik „Kürth &<br />
Riegelmann“ mit <strong>der</strong> Marke „Norica“ und<br />
bauten unter <strong>der</strong> Leitung des ehemaligen<br />
Teilhabers Carl Riegelmann eine eigene<br />
Schreibmaschinenabteilung auf. Im Gefolge<br />
dieser Neustrukturierung wurde die Firma<br />
1911 in „Triumph Werke Nürnberg AG“<br />
umbenannt. Mehrere Gründe mögen für<br />
den Schritt in die Bürowelt ausschlaggebend<br />
gewesen sein. Der Fahrradabsatz unterlag<br />
starken saisonalen Schwankungen. Während<br />
<strong>der</strong> Wintermonate sank die Auslastung<br />
<strong>der</strong> Fabrikationsanlagen rapide, die Schreibmaschinenherstellung<br />
kannte diese jahreszeitlich<br />
bedingten Schwierigkeiten hingegen<br />
nicht. Während des ganzen Jahres bestand<br />
ein gleich bleibend großer Bedarf an den<br />
mittlerweile weitgehend ausgereiften Maschinen;<br />
die maschinenschriftliche Korrespondenz<br />
gehörte damals bereits zum guten<br />
Geschäftston. Aber es gab auch ein gewichtiges<br />
technisches Argument: Der Herstellungsprozess<br />
von Fahrrä<strong>der</strong>n und Schreibmaschinen<br />
wies etliche Parallelen auf, beide<br />
Erzeugnisse waren nahezu ausschließlich<br />
Ganzmetallprodukte hoher Präzision. Zu ihrer<br />
Fabrikation benötigte man eine gut ausgestattete<br />
Gießerei, Pressen, Stanzen, Bohr-<br />
maschinen, Metalldrehbänke und Fräsen.<br />
Mit Kriegsausbruch 1914 waren allerdings<br />
we<strong>der</strong> Fahrrä<strong>der</strong> noch Schreibmaschinen<br />
beson<strong>der</strong>s gefragt. Stattdessen arbeitete man<br />
an <strong>der</strong> Fürther Straße nun vor allem für den<br />
erhofften „Triumph <strong>der</strong> Waffen“, <strong>der</strong> sich<br />
jedoch entgegen den allerhöchst geschürten<br />
Erwartungen nicht einstellen sollte. Der<br />
Gewinn bringende Zynismus <strong>der</strong> Kriegsproduktion<br />
zeigte sich auch bei Triumph in<br />
vollem Maße: Die Fabrik lieferte Munition<br />
und Artilleriezün<strong>der</strong> an die Front, verdiente<br />
aber auch recht gut an Feldbettstellen, Operationstischen<br />
und Lazarettbetten für die<br />
zerschossenen Opfer <strong>der</strong> endlosen Grabenkämpfe.<br />
Neue Werkshallen entstanden, die<br />
Produktion wurde auf elektrischen Antrieb<br />
umgestellt, die Maschinen ruhten auch während<br />
<strong>der</strong> Nacht nicht mehr.<br />
nach kRiEgsEndE kehrten die Nürnberger<br />
Triumph-Werke mit ihrer bescheiden-liebevoll<br />
„Knirps“ genannten<br />
2-PS-Zweitakt-Maschine in die Motorwelt<br />
zurück. Sie war im Wesentlichen ein Nachbau<br />
<strong>der</strong> bewährten „Triumph-Junior“, die in<br />
England seit 1914 auf dem Markt war. Der<br />
Zeitpunkt für das Erscheinen <strong>der</strong> „Knirps“<br />
im Jahr 1919 war günstig, denn entgegen<br />
mancher Erwartung hatte sich <strong>der</strong> Automobilmarkt<br />
noch nicht so weit entwickelt, dass<br />
Autos für breitere Käuferkreise erschwinglich<br />
gewesen wären.<br />
ungEachtEt dER inflationskRisE<br />
erfuhr das Triumph-Werksgelände bis Mitte<br />
<strong>der</strong> Zwanzigerjahre in allen Geschäftsbereichen<br />
eine erhebliche Erweiterung. Die<br />
Errichtung eines lang gezogenen Motorradbaus<br />
parallel zur Fürther Straße zeigte<br />
1922, dass man bei Triumph angesichts des<br />
allgemeinen Motorisierungsschubs nun in<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
großem Maßstab in die Kraftradherstellung<br />
einsteigen wollte. Der Erfolg gab <strong>der</strong> Firmenleitung<br />
unter Generaldirektor Carl Schwemmer<br />
durchaus Recht: Zwischen 1923/24 und<br />
1928/29 stieg die Jahresproduktion von 1600<br />
auf 13 500 Motorrä<strong>der</strong>! Im selben Zeitraum<br />
nahm das Fahrradgeschäft deutlich ab: Die<br />
Zahl <strong>der</strong> jährlich hergestellten Fahrrä<strong>der</strong><br />
ging von 22 000 auf 16 800 zurück. Unter den<br />
Zweirä<strong>der</strong>n schien eindeutig dem Motorrad<br />
die Zukunft zu gehören.<br />
diE 1929 EinsEtzEndE Weltwirtschaftskrise<br />
fügte jedoch <strong>der</strong> expandierenden Motorradbranche<br />
erhebliche Absatzeinbrüche<br />
zu. Auch bei Triumph ging die Produktion<br />
rapide zurück: 1931/32 wurden nur noch<br />
2600 Maschinen gebaut, ein Fünftel <strong>der</strong> bisherigen<br />
Rekordziffern. Die Zahl <strong>der</strong> Beschäftigten<br />
sank dementsprechend von 1 600 auf<br />
1 000. Das Schwergewicht <strong>der</strong> Produktion<br />
verlagerte sich nun wie<strong>der</strong> auf den Bau <strong>der</strong><br />
billigeren Krafträ<strong>der</strong> bis 200 ccm Hubraum.<br />
In dieser schwierigen Situation bewahrte<br />
die immer noch gut laufende Schreibmaschinenproduktion<br />
das Unternehmen vor<br />
größerem Schaden. Ab 1933/34 schrieb <strong>der</strong><br />
Betrieb auch im Fahrzeugbereich wie<strong>der</strong><br />
schwarze Zahlen. Die Mitarbeiterzahlen<br />
stiegen bis 1939 auf 1 800 Beschäftigte an,<br />
große Neubauten wuchsen an <strong>der</strong> Fürther<br />
Straße empor. Mit 15 Millionen Reichsmark<br />
Umsatz – mehr als die Hälfte hiervon entfielen<br />
auf den Fahrzeugbereich – erzielten die<br />
Triumph-Werke im letzten Friedensjahr sogar<br />
ein neues Rekor<strong>der</strong>gebnis. Wie schon im<br />
Ersten Weltkrieg wurde das Unternehmen<br />
ab September 1939 voll in die Kriegswirtschaft<br />
einbezogen. Neben Militärmaschinen<br />
stellten die Triumph-Werke hauptsächlich<br />
Munition und Schiffsteile für die Marine<br />
her. 1942 musste die Schreibmaschinenfer-<br />
41
42 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Während <strong>der</strong> Fahrer seine Zweitaktmaschine mit Öl<br />
versorgt, strahlt die Dame, ganz im Flair <strong>der</strong> Zwanzigerjahre<br />
– eine Fahrt in diesem Outfit, wie sie das Plakat <strong>der</strong><br />
Triumph-Werke von 1928 zeigt, ist allerdings nur schwer<br />
vorstellbar.<br />
Luftaufnahme <strong>der</strong> Nürnberger Triumph-Werke an <strong>der</strong> Fürther Straße aus<br />
den 1950er-Jahren.<br />
Triumph-Präsentation 1932: Die linke <strong>der</strong> drei Maschinen im Vor<strong>der</strong>grund<br />
ist eine <strong>der</strong> seltenen Triumph-Schönheiten vom Typ ‚200 K’ aus<br />
dem „vergessenen“ Kellerraum bei Triumph-Adler, die heute im Nürnberger<br />
Motorradmuseum bewun<strong>der</strong>t werden können.<br />
Ganz im Sinne des Fortschritts: Triumph-Schreibmaschinen-Werbung,<br />
um 1930.<br />
Werbeblatt für die Triumph-Matura<br />
aus den 1950er-Jahren, die „Königin<br />
<strong>der</strong> Schreibmaschinen“ ihrer<br />
Zeit. Mit dieser Neuentwicklung<br />
im Bereich Büroschreibmaschinen<br />
gelang Triumph ein internationaler<br />
Verkaufsschlager.
Blick auf das TA-Mittelstandszentrum 2009<br />
tigung für den zivilen Markt eingestellt werden.<br />
Mehr und mehr Stammarbeiter wurden<br />
zum Kriegsdienst eingezogen, Frauen und<br />
zahlreiche Zwangsarbeiter ersetzten sie.<br />
1943 wurde das Werk zweimal von Fliegerbomben<br />
getroffen. Bei <strong>der</strong> Einnahme Nürnbergs<br />
1945 geriet das Werk zeitweise unter<br />
den Artilleriebeschuss <strong>der</strong> vorrückenden<br />
amerikanischen Truppen. Doch bereits wenige<br />
Wochen nach Kriegsende wurde mit einer<br />
Belegschaft von 220 Personen die Arbeit<br />
wie<strong>der</strong> aufgenommen. Trümmer wurden<br />
beseitigt, Maschinen repariert und alte Verbindungen<br />
zu Rohstoff- und Teilelieferanten<br />
neu geknüpft. Wie je<strong>der</strong> Betrieb mussten<br />
auch die Triumph-Werke angesichts von<br />
Materialknappheit, Energiemangel, Bezugsscheinsystem<br />
und Geldentwertung stark improvisieren,<br />
bis 1948 die Währungsreform<br />
die Grundlage für die Wie<strong>der</strong>aufnahme <strong>der</strong><br />
Motorradfertigung schuf.<br />
iM zEichEn wachsEndEn Wohlstands<br />
erlebte die Motorradbranche zu Beginn<br />
<strong>der</strong> Fünfzigerjahre einen ungeheuren Aufschwung.<br />
Neue Werkshallen entstanden an<br />
<strong>der</strong> Fürther Straße, die Belegschaft wuchs<br />
auf knapp 3 000 Personen an. Mitte <strong>der</strong><br />
1950er-Jahre blies jedoch auch dem erfolgsverwöhnten<br />
Löwen des Triumph-Wappens<br />
ein scharfer Gegenwind ins Gesicht. Die Triumph-Produktion<br />
hatte ihren Schwerpunkt<br />
auf mittelschweren Motorradtypen; <strong>der</strong> auf<br />
die wachsende Konsumkraft und die modischen<br />
Bedürfnisse einer neuen Generation<br />
motorbegeisterter Jugendlicher zugeschnittene<br />
Moped- und Motorrollersektor war<br />
hingegen vernachlässigt worden. An diesen<br />
immer noch expandierenden Markt suchte<br />
man nun Anschluss zu finden. In Zusammenarbeit<br />
mit „Hercules“ und „Zündapp“<br />
stellte Triumph 1953 unter dem traditionsreichen<br />
Namen „Knirps“ erstmals auch ein<br />
Moped vor. Zum Preis von 548 Mark fand<br />
dieses mit dem Zündapp-Motor, später mit<br />
einem Fichtel & Sachs-Aggregat ausgestattete<br />
Gefährt zwar zahlreiche Käufer, doch erfüllten<br />
sich die hochgespannten Verkaufserwartungen<br />
insgesamt nicht. Wenig besser<br />
erging es den Nachfolgemodellen „Fips“ und<br />
„Sportfips“, <strong>der</strong>en „lustiges Schnurren“, wie<br />
es die Werbung anpries, die trübe Stimmung<br />
an <strong>der</strong> Fürther Straße nicht aufheitern konnte.<br />
Hatte Triumph im Erfolgsjahr 1953 noch<br />
20 000 Motorrä<strong>der</strong> auf die Straßen bringen<br />
können, so fielen die Verkaufszahlen 1955<br />
auf 8 000 und nur noch 2 200 im darauf<br />
folgenden Jahr. In einem letzten Versuch,<br />
die Motorradflaute zu überstehen, ging Triumph<br />
im Oktober 1956 mit den ebenfalls<br />
krisengeschüttelten Konkurrenten „Adler“<br />
und „Hercules“ eine Verkaufsgemeinschaft<br />
ein. Doch auch diese Notmaßnahme konnte<br />
das Ende nicht mehr aufhalten.<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Ein nüRnBERgER kaufMann, Siegfried<br />
Bettmann, hatte 1887 im fernen Coventry<br />
die „Triumph-Werke“ aus <strong>der</strong> Taufe<br />
gehoben. Siebzig Jahre später trug ein<br />
Fürther Industrieller, <strong>der</strong> Radio-Pionier<br />
Max Grundig, die Nürnberger Motorradlegende<br />
„Triumph“ zu Grabe. Im Januar<br />
1957 übernahm er die Triumph-Werke, im<br />
September wurde die Zweiradproduktion<br />
endgültig eingestellt. Grundigs Interesse galt<br />
ausschließlich <strong>der</strong> Büromaschinenfertigung,<br />
Motorrä<strong>der</strong> ließen ihn kalt – während <strong>der</strong><br />
zwölfjährigen Zugehörigkeit des Unternehmens<br />
zu seinem Konzern soll er die Werkshallen<br />
an <strong>der</strong> Fürther Straße nur zweimal<br />
betreten haben: das erste Mal, um <strong>der</strong> Belegschaft<br />
zu verkünden, dass in Zukunft nur<br />
noch Büromaschinen produziert werden<br />
sollten; das zweite Mal, um zu kontrollieren,<br />
ob seine Or<strong>der</strong> auch eingehalten wurde.<br />
Als er in einer Fabrikhalle ein nagelneues<br />
Motorrad sah, schenkte er es wutentbrannt<br />
dem nächstbesten Arbeiter mit <strong>der</strong> Auflage,<br />
es ihm sofort aus den Augen zu schaffen.<br />
Ob wahr o<strong>der</strong> unwahr – diese <strong>Geschichte</strong><br />
illustriert eine in <strong>der</strong> Fortschrittseuphorie<br />
<strong>der</strong> Fünfzigerjahre weit verbreitete Haltung,<br />
die in Motorrä<strong>der</strong>n nichts als Relikte vergangener<br />
Zeiten sah, reif für die Schrotthalden<br />
<strong>der</strong> Verkehrsgeschichte …<br />
hElMut schwaRz<br />
43
44 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Etwas hatte er jedoch übersehen,<br />
Max Grundig, einen kleinen Raum<br />
im Untergeschoss des weitläufigen<br />
Firmenareals, <strong>der</strong> einst <strong>der</strong> Schulung von<br />
Triumph-Motorradhändlern und Vertretern<br />
diente. Die Tür blieb über Jahrzehnte verschlossen<br />
und <strong>der</strong> Kellerraum geriet in Vergessenheit<br />
– doch dazu später mehr.<br />
Max gRundig hattE also die Triumph<br />
Werke an <strong>der</strong> Fürther Straße gekauft und<br />
sie mit den Frankfurter Adler-Werken, an<br />
denen er beteiligt war, fusioniert. Triumph-<br />
Adler produzierte fortan ausschließlich Büromaschinen.<br />
Ende <strong>der</strong> 1960er-Jahre stieg Max Grundig<br />
in das Geschäft mit Farbfernsehern ein und<br />
verkaufte den erfolgreichen Büromaschinenhersteller<br />
TA an den US-Konzern Litton.<br />
1979 kam TA zurück nach Deutschland und<br />
gehörte nun zum Volkswagenkonzern. Inzwischen<br />
umbenannt in TA AG wurde TA<br />
im Jahr 1986 vom italienischen Büromaschinenhersteller<br />
Olivetti übernommen. Zehn<br />
Jahre später verkaufte man den bekannten<br />
Markennamen, die Mitarbeiter wurden allesamt<br />
entlassen. Nur ein kleiner Teil, die TA<br />
AG, die von einem Aktionärskonsortium<br />
bereits 1994 ausgeglie<strong>der</strong>t worden war, besteht<br />
als Mittelstandsholding und Spezialist<br />
für die Optimierung digitaler Bürokommunikation<br />
bis heute.<br />
Das riesige Triumph-Fabrikareal allerdings<br />
war bald geräumt und sollte einer neuen<br />
Nutzung zugeführt werden. Und hier<br />
kommt <strong>der</strong> oben erwähnte Kellerraum<br />
Motorrad-Legenden. Nürnberg 1994<br />
schLaFenDe schönheiten:<br />
triumPh-aDLer<br />
wie<strong>der</strong> ins Spiel: Auf <strong>der</strong> Suche nach firmenhistorischen<br />
Dokumenten, vor allem<br />
aber nach alten Triumph-Motorrä<strong>der</strong>n recherchierten<br />
Mitarbeiter des Nürnberger<br />
Museums Industriekultur bei Triumph. Einige<br />
altgediente „Triumphler“ erwähnten<br />
dabei hinter vorgehaltener Hand jenen<br />
stets verschlossenen Kellerraum, für den es<br />
sogar noch einen Schlüssel gab. Der Raum<br />
entpuppte sich als Traum jedes „Museumsmenschen“:<br />
Für Händlerschulungen hatte<br />
man die wichtigsten Triumph-Motorrä<strong>der</strong><br />
als Schnittmodelle angefertigt – und alle<br />
waren noch da! Die legendären Triumph-<br />
Zweitakter <strong>der</strong> 1930er- und 1950er-Jahre<br />
waren dann rasch verladen und wurden<br />
unter Missachtung aller Kompetenzen, unterstützt<br />
von ehemaligen TA-Mitarbeitern,<br />
in die Ausstellung des Museums Industriekultur<br />
verbracht. Dies ging so lange gut bis<br />
einige vom Olivetti-Vorstand auf das Thema<br />
angesetzte italienische Sammler nach dem<br />
Verbleib <strong>der</strong> Fahrzeuge zu suchen begannen.<br />
Die Motorrä<strong>der</strong> waren bald gefunden,<br />
schließlich wurden sie im Museum präsentiert.<br />
An <strong>der</strong> Rückgabe und damit an <strong>der</strong><br />
Übernahme durch die italienischen Sammler<br />
schien kein Weg mehr vorbei zu führen.<br />
Der Olivetti-Vorstand drohte mit Zwangsmaßnahmen<br />
und da die Eigentumsverhältnisse<br />
unklar waren, war auch die Nürnberger<br />
Stadtspitze machtlos.<br />
just in diEsEn wochEn liefen die<br />
Verkaufsverhandlungen bezüglich des TA-<br />
Geländes, das ja einer neuen Verwendung<br />
zugeführt werden sollte. Verhandlungspartner<br />
<strong>der</strong> Italiener war auf Nürnberger Seite<br />
<strong>der</strong> erfahrene Immobilienspezialist Gerd<br />
Schmelzer. Er war zugleich die letzte Hoffnung<br />
des Museums. Gerd Schmelzer hat<br />
die historischen Motorrä<strong>der</strong> kurzerhand<br />
zum Bestandteil des anzukaufenden Areals<br />
erklärt und damit alle Wi<strong>der</strong>stände im<br />
Handstreich beseitigt. Ihm ist es zu verdanken,<br />
dass diese für die Nürnberger Zweiradgeschichte<br />
wichtigen Triumph-Motorrä<strong>der</strong><br />
heute im Motorradmuseum bestaunt werden<br />
können.<br />
doch sEin EigEntlichEs Anliegen<br />
war die neue Nutzung des großen Triumph-Areals.<br />
Auch das ist gelungen. Das<br />
TA-Mittelstandszentrum bietet Raum für<br />
fast 65 Unternehmen aus unterschiedlichen<br />
Branchen, überwiegend mittelständische<br />
Betriebe aus Dienstleistung und Handel. Zudem<br />
gibt es – und das trägt wesentlich bei<br />
zum Erfolg dieses „Revitalisierungsmodells“<br />
– eine Kin<strong>der</strong>tagesstätte und kulturelle Einrichtungen,<br />
attraktive gastronomische Angebote<br />
und Einkaufsmöglichkeiten runden<br />
das Bild ab, das sich heute dem Nutzer und<br />
dem Besucher bietet. Das Konzept hat Vorbildcharakter<br />
für die Wie<strong>der</strong>belebung von<br />
Industriebrachen wie jenen von Quelle und<br />
AEG an <strong>der</strong> Fürther Straße. Letzterem, dem<br />
direkten Nachbarn des TA-Geländes wenden<br />
wir uns nun zu: den traditionsreichen<br />
Nürnberger AEG-<strong>Haus</strong>gerätewerken.<br />
M. M.
Detailansicht des geschnittenen Nasenkolben-Zweitaktmotors <strong>der</strong> heute sehr<br />
seltenen Triumph 200 K von 1934.<br />
Die SSK 350 war eine <strong>der</strong> schönsten Triumph-Sportmaschinen. Mit ihr verbinden<br />
sich die Siege <strong>der</strong> einst sehr bekannten Rennfahrer Toni Fleischmann und Otto Ley.<br />
Die schnittige Kardanmaschine Triumph 200 K war eine Entwicklung des<br />
legendären Zweiradkonstrukteurs Otto Reitz. Dem technisch anspruchsvollen<br />
Motorrad war allerdings kein Markterfolg beschieden.<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Blick auf den Doppelkolben-Zweitakter <strong>der</strong> Triumph Cornet von 1953. Die Doppelkolbentechnik,<br />
eine Spezialität von Triumph, war damals Hightech vom Feinsten.<br />
Auch die Triumph BD 250 war eine Kreation von Otto Reitz. Die preisgünstige Maschine<br />
war gleichermaßen im Alltagseinsatz wie beim Zuverlässigkeitssport beliebt.<br />
Die ungewöhnlichen Kühlrippen brachten ihr den Namen „Stachelschwein“ ein.<br />
Die Boss war das letzte Flaggschiff von Triumph, bevor das Auto <strong>der</strong> Zweiradindustrie<br />
endgültig den Boden entzog und Max Grundig bei Triumph den<br />
Bann über die letzten Zweirä<strong>der</strong> verhängte.<br />
45
46 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Mit <strong>der</strong> Glühlampe fing alles an.<br />
Der Berliner Ingenieur Emil<br />
Rathenau hatte auf einer Ausstellung<br />
die neueste Erfindung des Amerikaners<br />
Thomas Alva Edison kennen gelernt, die<br />
Glühlampe. Er erwarb die deutsche Lizenz<br />
für die Edison-Patente und gründete in Berlin<br />
1887 die „Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft“,<br />
kurz AEG.<br />
Fließbandfertigung in <strong>der</strong> AEG-<br />
Waschmaschinenproduktion im<br />
Jahr 1957. Auf diese so genannten<br />
Standard-Waschmaschinen<br />
mit Wring-Aufsatz folgte ein Jahr<br />
später <strong>der</strong> erste Waschautomat<br />
„Lavamat“ mit drei zeitgesteuerten<br />
Waschprogrammen und<br />
einem Schleu<strong>der</strong>gang.<br />
aeg – aus erFahrung gut ?<br />
diE nacht wuRdE zum Tag, das neue<br />
elektrische Licht wurde mit großer Begeisterung<br />
aufgenommen. Elektrizitätswerke<br />
schossen wie Pilze aus dem Boden. Fabriken,<br />
Wohnhäuser und öffentliche Gebäude<br />
wurden an das Stromnetz angeschlossen.<br />
Da jedoch <strong>der</strong> Strom zur Beleuchtung nur<br />
bei Dunkelheit benötigt wurde, waren die<br />
Strom erzeugenden Maschinen <strong>der</strong> Kraft-<br />
werke tagsüber nicht ausgelastet. Mit <strong>der</strong><br />
Elektrifizierung <strong>der</strong> Produktionsprozesse<br />
und später auch <strong>der</strong> <strong>Haus</strong>halte sowie <strong>der</strong> öffentlichen<br />
Verkehrsmittel wurde dieses Problem<br />
jedoch behoben.<br />
Es Entstand Ein BooMEndER Wachstumsmarkt<br />
rund um die neue Energieform.<br />
In den besser gestellten <strong>Haus</strong>halten gab es
neben dem elektrischen Licht bald auch elektrische<br />
Kochplatten, Bügeleisen, Heizgeräte,<br />
Eierkocher, Teekessel und vieles mehr. Auch<br />
in Nürnberg wurde diese Entwicklung rasch<br />
erkannt: Der Bing-<strong>Haus</strong>haltswarenkonzern<br />
gründete 1917 eine eigene Elektroabteilung<br />
zur Herstellung von Kochplatten, Heizsonnen,<br />
Bügeleisen und Kleinmotoren, mit<br />
denen Geräte wie Staubsauger o<strong>der</strong> Küchenmixer<br />
betrieben werden konnten. 1922 fusionierte<br />
Elektro-Bing mit <strong>der</strong> Berliner AEG,<br />
die ihre <strong>Haus</strong>geräteabteilung daraufhin nach<br />
Nürnberg an die Fürther Straße verlegte. Die<br />
rasch voranschreitende Elektrifizierung <strong>der</strong><br />
<strong>Haus</strong>halte bekam in den 1920er-Jahren sozusagen<br />
Stromstöße von zwei Seiten: Einerseits<br />
wollten die Anbieter elektrischer Geräte<br />
den neuen Markt rasch erobern, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Seite stand das Interesse <strong>der</strong> Stromkonzerne,<br />
die privaten <strong>Haus</strong>halte als Kunden<br />
zu gewinnen. Mit großem Werbeaufwand<br />
wurden Veranstaltungen wie „elektrische<br />
Wochen“ o<strong>der</strong> „Lichtfeste“ inszeniert. Bei<br />
<strong>der</strong> AEG mit über 1 000 Mitarbeitern war<br />
längst die Fließbandfertigung eingeführt, als<br />
in den 1930er-Jahren die deutschen <strong>Haus</strong>halte<br />
mit über einer Million Elektroherden<br />
beglückt wurden. Weit höher noch lagen die<br />
Zahlen <strong>der</strong> vielfältigen Elektrokleingeräte<br />
im umfangreichen AEG-Produktsortiment.<br />
Mit Kriegsbeginn hielt auch bei <strong>der</strong> AEG die<br />
Rüstungsproduktion Einzug in die Werkshallen,<br />
die bisherige Produktion geriet in<br />
Das AEG-Gebäude an <strong>der</strong> Fürther Straße im Jahr 1966.<br />
Stillstand. Gegen Kriegsende wurden große<br />
Teile <strong>der</strong> Fabrikanlage zerstört.<br />
diE kaRgEn jahRE des Wie<strong>der</strong>aufbaus<br />
mündeten rasch in die als „Wirtschaftswun<strong>der</strong>“<br />
bezeichnete Boomphase. 1950 entstand<br />
in Frankfurt am Main die neue AEG-Unternehmenszentrale.<br />
Es waren nun nicht mehr<br />
nur die wohlhabenden, son<strong>der</strong>n die <strong>Haus</strong>halte<br />
aller gesellschaftlichen Schichten, die<br />
von <strong>der</strong> Fürther Straße aus in großen Schritten<br />
elektrifiziert wurden. Stromverbrauch<br />
wurde quasi zum Maßstab für den Lebensstandard.<br />
Bald konnte sich je<strong>der</strong> einen elektrischen<br />
Herd, einen Kühlschrank o<strong>der</strong> eine<br />
Waschmaschine leisten.<br />
diE aEg-nüRnBERg beschäftigte gut<br />
4 000 Mitarbeiter und war zur größten europäischen<br />
Fabrik für „Elektrowärmgeräte“<br />
aufgestiegen. Diese Entwicklung fand ihren<br />
Nie<strong>der</strong>schlag auch in einigen Neubauten,<br />
am markantesten das lang gestreckte Fünfzigerjahre-Fabrikgebäude<br />
entlang <strong>der</strong> Fürther<br />
Straße.<br />
ManchE innoVation MusstE sich<br />
erst gegen Wi<strong>der</strong>stände durchsetzen, so die<br />
„Lavamat“-Waschmaschine, die 1951 in<br />
Nürnberg in Serie ging. Mit dieser Waschmaschine<br />
konnte auch in <strong>der</strong> Etagenwohnung<br />
gewaschen werden, sodass <strong>der</strong><br />
beschwerliche Gang zur Gemeinschafts-<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
waschmaschine im Keller entfiel, ebenso das<br />
aufwändige Kochen <strong>der</strong> Wäsche in <strong>der</strong> Wohnung,<br />
das viele Vermieter wegen <strong>der</strong> starken<br />
Dampfentwicklung ohnehin untersagten.<br />
Und genau da lag das Problem: Die AEG<br />
musste erst in einer umfangreichen Werbekampagne<br />
vermitteln, dass bei <strong>der</strong> neuen<br />
Waschmaschine nur so viel Dampf entsteht<br />
wie beim Kochen eines Eintopfgerichts. Als<br />
sich diese Einsicht durchgesetzt hatte, wurde<br />
die Waschmaschine das umsatzstärkste Produkt<br />
<strong>der</strong> AEG. Die millionenfach verkaufte<br />
„Lavamat“ von AEG wurde, wie <strong>der</strong> Fernseher<br />
von Grundig, <strong>der</strong> Quelle-Katalog o<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> „Käfer“ von VW zum Symbol des deutschen<br />
Wirtschaftswun<strong>der</strong>s. Die Beschäftigtenzahlen<br />
an den Fließbän<strong>der</strong>n <strong>der</strong> AEG<br />
an <strong>der</strong> Fürther Straße stiegen und stiegen,<br />
später nur leicht gebremst durch die Einführung<br />
von Automatisierungstechniken in<br />
einigen Bereichen.<br />
als in dER MittE <strong>der</strong> 1960er-Jahre die<br />
räumlichen Erweiterungsmöglichkeiten an<br />
<strong>der</strong> Fürther Straße erschöpft waren, wurde<br />
die Fertigung von Elektroherden, Staubsaugern<br />
und verschiedenen Kleingeräten<br />
verlegt. Später wan<strong>der</strong>ten weitere Fertigungsbereiche<br />
in an<strong>der</strong>e Städte ab, während<br />
die Hauptverwaltung und die Produktion<br />
von Wasch- und Spülmaschinen<br />
vorläufig in Nürnberg blieben. Zu Beginn<br />
<strong>der</strong> 1980er-Jahre brachte eine Reihe von<br />
47
48 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Fehlentscheidungen des Managements den<br />
gesamten AEG-Konzern in eine gefährliche<br />
wirtschaftliche Schieflage. Nicht zuletzt aufgrund<br />
zweistelliger Zuwachsraten aus <strong>der</strong><br />
Nürnberger Produktion und mit <strong>der</strong> finanziellen<br />
Potenz <strong>der</strong> Daimler Benz AG, inzwischen<br />
Eigentümerin <strong>der</strong> AEG, konnte diese<br />
Krise gemeistert werden.<br />
nachdEM das „wEltkonzERn-konzEpt“<br />
von Daimler Benz gescheitert war, beschloss<br />
die AEG-Konzernspitze in Frankfurt 1993<br />
die Nürnberger Tochter für fast eine Milliarde<br />
DM komplett an den schwedischen<br />
Elektrolux-Konzern zu verkaufen. Diese<br />
aus Nürnberger Sicht „ferngesteuerte Entscheidung“<br />
wurde damit begründet, dass<br />
die Konkurrenz <strong>der</strong> großen Anbieter von<br />
„weißer Ware“ (<strong>Haus</strong>geräte) auf Dauer keine<br />
Überlebenschance ließ, obwohl die AEG-<br />
<strong>Haus</strong>haltsgeräte-Sparte, die Unternehmensperle<br />
in <strong>der</strong> Region, bei <strong>der</strong> Übernahme<br />
mit Gewinn wirtschaftete. Drei Jahre später<br />
kam <strong>der</strong> Schock an <strong>der</strong> Fürther Straße: Eine<br />
Einsparungsoffensive mit <strong>der</strong> Bezeichnung<br />
„Smart96“ sollte mit Einsparungen und<br />
Personalabbau nach dem Rasenmäher-<br />
Prinzip alle Elektrolux-Standorte effizienter<br />
machen. Zwar schrieben die Nürnberger<br />
nach wie vor schwarze Zahlen, blieben aber<br />
nicht von Stellenstreichungen und Produktionsauslagerungen<br />
verschont. 1997 folgte<br />
ein neues Paket mit so genannten Strukturmaßnahmen<br />
– diesmal traf es nur die<br />
Nürnberger, an<strong>der</strong>e Elektrolux-Töchter blieben<br />
ungeschoren. Begründungen waren die<br />
Stärkung <strong>der</strong> Wettbewerbsposition und Steigerung<br />
des Aktienkurses. Und immer noch<br />
schrieb man an <strong>der</strong> Fürther Straße schwarze<br />
Zahlen und <strong>der</strong> Elektrolux-Konzern sicherte<br />
sich die Dienste <strong>der</strong> Nürnberger AEG samt<br />
dem Slogan „Aus Erfahrung Gut“. Der Elektrolux-Chef<br />
Hans Straberg spielte auf Zeit.<br />
Am 12. Dezember 2005 platzte dann die<br />
Bombe: Der Aufsichtsrat von Elektrolux entschied,<br />
das AEG-Werk an <strong>der</strong> Fürther Straße<br />
mit 1700 Beschäftigten zu schließen und<br />
die Produktion von Waschmaschinen und<br />
Geschirrspülern nach Polen und Italien zu<br />
verlegen. Gegen die Umsetzung dieses Beschlusses<br />
wehrten sich die AEG-Mitarbeiter<br />
mit mächtigen Kundgebungen, Streiks und<br />
Demonstrationen. Getragen von breiter Solidarität<br />
<strong>der</strong> Nürnberger Bevölkerung, stand<br />
Titelblatt einer Werbebroschüre für die<br />
damals heiß begehrte „Lavamat“.<br />
das Thema AEG nochmals im Mittelpunkt<br />
bundesweiten Medieninteresses.<br />
Gewerkschaftlich organisiert, erkämpften<br />
Belegschaften und Betriebsrat tragfähige Sozialpläne.<br />
An<strong>der</strong>s als später bei <strong>der</strong> Quelle-<br />
Insolvenz hatte man mit Hans Straberg ein<br />
echtes Feindbild, das man für solidarische<br />
Aktionen mobilisieren konnte. Weniger im<br />
Blick <strong>der</strong> Öffentlichkeit stand dagegen die<br />
Tatsache, dass Straberg nur ein Rad im Getriebe<br />
des internationalen Finanz- und Firmenimperiums<br />
<strong>der</strong> einflussreichen schwedischen<br />
Wallenberg-Dynastie war.<br />
so wuRdEn das EndE von AEG und<br />
die Verlagerung aller Fabrikarbeitsplätze in<br />
Billiglohnlän<strong>der</strong> zum Lehrstück für die Gesetzmäßigkeit<br />
globalisierter Märkte. Mehr<br />
als 700 überwiegend höher qualifizierte<br />
Mitarbeiter aus Verwaltung, Entwicklung,<br />
Werbung und Öffentlichkeitsarbeit konnten<br />
im Großkonzern weiterarbeiten. Der Slogan<br />
„Aus Erfahrung Gut“ wurde umgedichtet in:<br />
„Ausverkauf Einer Gesellschaft“. Der Verlust<br />
vorwiegend gering qualifizierter Arbeitsplätze<br />
ist symptomatisch für den tief greifenden
Werbeprospekte <strong>der</strong> 1960er-Jahre für elektrische „<strong>Haus</strong>haltshelfer“,<br />
darunter auch ein echter Klassiker, <strong>der</strong> verchromte AEG-Haartrockner.<br />
Strukturwandel, <strong>der</strong> den Weg Nürnbergs von<br />
einer Stadt <strong>der</strong> Schwerindustrie hin zum Mittelpunkt<br />
einer von Dienstleistung, Forschung,<br />
Wirtschaft und Kommunikation geprägten<br />
Metropolregion kennzeichnet. Dieser Strukturwandel<br />
ist allerdings kein einseitiger Prozess<br />
des wirtschaftlichen Nie<strong>der</strong>gangs und<br />
Verlustes von Arbeitsplätzen. Vielmehr hält<br />
sich die Zahl <strong>der</strong> verlorenen Arbeitsplätze<br />
durchaus die Waage mit den im Zuge dieses<br />
Wandels neu hinzugekommenen. Und eben<br />
diese Entwicklung lässt sich auch am „Mikrokosmos“<br />
Fürther Straße aufzeigen.<br />
„auf aEg“ hEisst das Projekt einer<br />
Berliner Immobiliengesellschaft zur Neubelebung<br />
des über 160 000 qm großen<br />
Fabrikareals. 60 Millionen Euro sollen<br />
investiert werden, ein Teilbereich wurde<br />
bereits saniert. Hier betreibt Elektrolux<br />
seine Deutschland-Zentrale mit rund 700<br />
Mitarbeitern. In einem an<strong>der</strong>en Gebäude<br />
hat Siemens Teile seiner Transformatorenfertigung<br />
untergebracht. Nach den Plänen<br />
des Nürnberger Architekten Jürgen Bisch<br />
verbleibt ein U-förmiger, mehrgeschossiger<br />
Gebäudebestand. Flachbauten werden groß-<br />
teils entfernt, was Innenhöfe und Parkplätze<br />
schafft. Die 400 Meter lange Gebäudefront<br />
an <strong>der</strong> Fürther Straße soll mit Showrooms<br />
und Präsentationsflächen des Einzelhandels<br />
versehen werden. Ziel des Projekts ist eine<br />
Mischform aus Büro, Gewerbe, Groß- und<br />
Einzelhandel, Wohnen, Gastronomie, Kunst<br />
und Kultur. Im ehemaligen Pförtnerhaus hat<br />
sich zwar bereits ein Café etabliert und in<br />
den riesigen ehemaligen Produktionshallen<br />
blühen die ersten kulturellen Pflanzen, insgesamt<br />
allerdings dominiert noch Leerstand<br />
das Bild. Die Chancen, dass sich dies auf absehbare<br />
Zeit än<strong>der</strong>t, sind durch die Quelle-<br />
Pleite nicht gewachsen.<br />
doch gEhEn wiR vom Ende <strong>der</strong> einstigen<br />
„Achse <strong>der</strong> Industrialisierung“ entlang<br />
<strong>der</strong> Fürther Straße noch einmal weit<br />
zurück bis zu <strong>der</strong> Stelle, an <strong>der</strong> nördliche<br />
und südliche Fürther Straße zusammentreffen.<br />
Unweit davon befindet sich heute<br />
die DATEV, entstanden im Zuge des strukturellen<br />
Wandels und gewachsen auf den<br />
Grundmauern ehemaliger Nürnberger Industriebetriebe.<br />
M. M.<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Leerstand und Verlassenheit so weit das Auge reicht:<br />
die lang gezogene AEG-Fassade im Jahr 2009.<br />
49
50 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
War es früher die industrielle<br />
Herstellung materieller Güter,<br />
die die Großunternehmen <strong>der</strong><br />
Metall-, Fahrzeug-, Spielzeug- o<strong>der</strong> Elektroindustrie<br />
entlang <strong>der</strong> Fürther Straße prägte,<br />
so ist es heute, hier wie überall in <strong>der</strong> Metropolregion<br />
und <strong>der</strong> ganzen westlichen<br />
Welt, die Mehrwertschöpfung aus Ideen und<br />
Kommunikationstechnologien. Die globalen<br />
Netzwerke <strong>der</strong> Kommunikation übersteigen<br />
längst den Wert herkömmlicher Produktionsanlagen<br />
und haben diese, zumindest in<br />
Deutschland, in weiten Teilen abgelöst.<br />
noch in dEn 1960ER-jahREn schienen<br />
die Großunternehmen die Herren <strong>der</strong><br />
Welt zu sein. Nur sie verfügten über das<br />
Kapital für den Einsatz von Großrechnern<br />
und damit über die wirtschaftliche Macht.<br />
Der Mittelstand hingegen, <strong>der</strong> die deutsche<br />
Wirtschaft insgesamt mehr o<strong>der</strong> weniger<br />
dominierte und noch heute prägt, erschien<br />
ohne Chancen. Die Gründung <strong>der</strong> DATEV<br />
im Jahr 1966 erwies sich als erfolgreiches<br />
Modell, das eben diesem Mittelstand ganz<br />
neue Möglichkeiten eröffnete. Nun war auch<br />
für kleine und mittlere Betriebe <strong>der</strong> Zugriff<br />
auf Techniken möglich, <strong>der</strong>en ökonomische<br />
Vorteile bisher nur die Großindustrie hatte<br />
nutzen können. Grundlage für diesen grundlegenden<br />
Wandel war das genossenschaftliche<br />
Prinzip <strong>der</strong> „Hilfe zur Selbsthilfe“.<br />
hEutE ist diE datEV ein global tätiges<br />
Softwarehaus und ein IT-Dienstleister<br />
für Steuerberater, Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer.<br />
Sie beschäftigt 5 700 Mitarbeiter<br />
und erzielt einen Jahresumsatz von<br />
über 670 Millionen Euro. Gegründet wurde<br />
schrauben – sPieLZeug – Daten<br />
Die (Vor-)<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> DATEV<br />
die DATEV 1966 in Nürnberg als genossenschaftliche<br />
Organisation von Steuerbevollmächtigten.<br />
Den Anstoß dafür gaben<br />
für den Initiator, den Nürnberger Steuerbevollmächtigten<br />
Heinz Seliger, <strong>der</strong> Arbeitskräftemangel<br />
<strong>der</strong> Wirtschaftswun<strong>der</strong>jahre<br />
und die geplante Einführung <strong>der</strong> Mehrwertsteuer.<br />
Mithilfe <strong>der</strong> DATEV sollten für die<br />
zumeist mittelständischen „Genossen“ die<br />
neuen Einsatzmöglichkeiten <strong>der</strong> EDV erschlossen<br />
werden. 1968 verlegte die DATEV<br />
ihren Sitz an die Fürther Straße und mietete<br />
Räume im ehemaligen Fabrikgebäude<br />
<strong>der</strong> „Nürnberger Schraubenfabrik“ (NSF).<br />
Hier, an <strong>der</strong> Fürther Straße 101, hatte seit<br />
1889 die „älteste und größte Fabrik dieser<br />
Branche in ganz Bayern“ ihren Sitz, wie eine<br />
Firmenschrift <strong>der</strong> „Nürnberger Schraube“<br />
betont. Die Rüstungsproduktion im Ersten<br />
Weltkrieg hatte für einen erneuten Wachstumsschub<br />
gesorgt, eine Nie<strong>der</strong>lassung in<br />
Berlin wurde eingerichtet. In Nürnberg kam<br />
zur Herstellung von Schrauben und Kleinteilen<br />
aller Art die Fertigung mechanischtechnischer<br />
Radioteile und Komponenten.<br />
Und als die NS-Machthaber ihr wichtigstes<br />
Propagandamedium, den „Volksempfänger“,<br />
massenhaft zu produzieren begannen,<br />
waren fast immer auch Komponenten aus<br />
<strong>der</strong> Fürther Straße dabei – keine „Goebbels-<br />
Schnauze“ ohne NSF. Das Geschäft florierte.<br />
Die jüdischen Eigentümer <strong>der</strong> NSF sollen<br />
anfangs gezielt jüdische o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>weitig<br />
bei den Machthabern unliebsame Mitarbeiter<br />
beschäftigt und diesen damit gewissermaßen<br />
Schutz geboten haben, doch das<br />
ging nicht lange gut. Bald sahen sich die<br />
NSF-Inhaber Diskriminierungen und Bedrohungen<br />
durch die Nationalsozialisten<br />
ausgesetzt. 1938 wurden sie gezwungen,<br />
ihr Unternehmen an die Berliner Ludwig<br />
Loewe & Co. A.G. zu verkaufen. 1941 fusionierte<br />
die zwischenzeitlich vollständig auf<br />
Rüstungsproduktion umgestellte NSF mit<br />
<strong>der</strong> AEG. 1945 wurde das Fabrikareal durch<br />
alliierte Bomben schwer beschädigt. Nach<br />
Kriegsende und Wie<strong>der</strong>aufbau konnte für<br />
einige Jahre an die erfolgreiche Geschäftslage<br />
<strong>der</strong> Vorkriegszeit angeknüpft werden, bis<br />
die Krise in <strong>der</strong> Nürnberger Metallindustrie<br />
auch auf die NSF durchschlug. Die Gute<br />
Hoffnung Hütte übernahm die NSF und verlagerte<br />
die Produktion nach Schwerte. 1968<br />
mietete dann die DATEV erstmals Räume<br />
in <strong>der</strong> ehemaligen Schraubenfabrik. Ständig<br />
wachsen<strong>der</strong> Raumbedarf führte 1976 zum<br />
Erwerb des gesamten Gebäudekomplexes.<br />
Aus <strong>der</strong> Schraubenfabrik wurde ein Rechenzentrum.<br />
Und dessen Expansion ging<br />
weiter: 1969 wurde <strong>der</strong> erste eigene Großrechner<br />
feierlich in Betrieb genommen. Zuvor<br />
waren die von den DATEV-Mitglie<strong>der</strong>n<br />
per Post eingesandten Lochstreifen bei <strong>der</strong><br />
IBM verarbeitet worden. 1974 löste schließlich<br />
das Magnetband die Lochstreifen als<br />
Datenträger ab. Noch erfolgte die Datenübertragung<br />
über Fernsprechleitungen, zwei<br />
Jahre später wurde ein eigenes bundesweites<br />
Netz zur Datenfernübertragung eingerichtet.<br />
Am Ende des Jahrzehnts war das Areal<br />
<strong>der</strong> ehemaligen Schraubenfabrik für die<br />
rasch wachsende DATEV bereits wie<strong>der</strong><br />
zu klein geworden. Man richtete den Blick<br />
nun auf die Gebäude <strong>der</strong> ehemaligen Spielwarenfabrik<br />
Schuco, schräg gegenüber an<br />
<strong>der</strong> Fürther Straße. Auch hier soll ein Blick<br />
in die <strong>Geschichte</strong> den strukturellen Wandel<br />
beleuchten.
Ab Juni 1933, einen<br />
Monat bevor das<br />
Gerät auf den Markt<br />
kam, wurde mit<br />
diesem Plakat für<br />
den Volksempfänger<br />
in den Schaufenstern<br />
geworben.<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Das Studio-Auto 1050 war<br />
das meistverkaufte Schuco-<br />
Auto überhaupt. Seit 1936<br />
auf dem Markt, wurde<br />
es über 40 Jahre hinweg<br />
produziert.<br />
Das Firmenschild<br />
mit dem bekannten<br />
Schriftzug am<br />
Schuco-Gebäude in<br />
<strong>der</strong> Fürther Straße.<br />
Sammler-Raritäten:<br />
Der marschierende<br />
„Automato“-Bär von<br />
1914, ein kleiner<br />
Blechflieger aus den<br />
1930er-Jahren, das<br />
berühmte Garagenauto<br />
und die<br />
Servicestation, beide<br />
1950er-Jahre.<br />
51
52 D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
nüRnBERgs tRadition als Spielzeugstadt<br />
reicht über Jahrhun<strong>der</strong>te zurück<br />
bis in die Zeit, als sich in <strong>der</strong> Noris die alten<br />
Handelswege kreuzten, auf denen <strong>der</strong><br />
„Nürnberger Tand“ in alle Welt ging. Im<br />
Verlauf <strong>der</strong> Industrialisierung entwickelte<br />
sich Nürnberg dann zu einer Hochburg <strong>der</strong><br />
Spielwarenindustrie. Das Nürnberger Blechspielzeug<br />
eroberte in wenigen Jahrzehnten<br />
den Weltmarkt. Der wohl bekannteste<br />
Nürnberger Spielwarenhersteller war Schuco<br />
(Kurzbezeichnung aus Schreyer & Co.).<br />
1912 gegründet vom Kaufmann Heinrich<br />
Schreyer und dem Erfin<strong>der</strong>, Techniker und<br />
Unternehmer Heinrich Müller, begann <strong>der</strong><br />
rasante Aufstieg von Schuco, beispielsweise<br />
mit lauffähigen Figuren, die − passend zur<br />
Zeit − militärische Bewegungen vollführen<br />
konnten. Hinter all den vielen kreativen und<br />
erfolgreichen Schuco-Spielzeugen steckte<br />
<strong>der</strong> innovative „Kopf “ Heinrich Müller.<br />
Nicht zuletzt dank seiner langjährigen Tätigkeit<br />
in den Bing-Werken kannte er die Erfor<strong>der</strong>nisse<br />
<strong>der</strong> Branche ganz genau und entwickelte<br />
eine erfolgreiche Blechspielzeugfigur<br />
nach <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en.<br />
zahlREichE nüRnBERgER Spielwarenhersteller<br />
überlebten die Nachkriegsjahre<br />
und wirtschaftlichen Krisen <strong>der</strong> 1920er-Jahre<br />
nicht. Bei den stark exportorientierten Schuco-Werken<br />
verlief die Geschäftsentwicklung<br />
dagegen fast explosionsartig. Akuter Raumnotstand<br />
führte so 1928 zum Erwerb einer<br />
ehemaligen Schuhfabrik an <strong>der</strong> Fürther Straße<br />
28−32.<br />
Bald hiElt das auto Einzug in die Schuco-Spielzeugwelt.<br />
Das legendäre „Wendeauto“<br />
überfuhr dank ausgeklügelter Technik nie die<br />
Tischkante – und war mit dem Verkaufspreis<br />
von nur einer Mark für jeden Geldbeutel erschwinglich.<br />
Entworfen nach dem Vorbild<br />
Der Schuco-Neubau an <strong>der</strong> Fürther<br />
Straße, aufgenommen 1953.<br />
des Mercedes Silberpfeil, war das steuerbare<br />
„Fahrschul-Auto Schuco-Studio“ ein „hightec-Leckerbissen“,<br />
<strong>der</strong> noch heute die Sammler<br />
elektrisiert. Auf fast 6 000 m² Produktionsfläche<br />
wurden an <strong>der</strong> Fürther Straße nun aus 101<br />
Einzelteilen täglich 8 000 Silberpfeile zusammengebaut.<br />
Mit Kriegsausbruch 1938 kam die<br />
Spielzeugfabrikation rasch zum Erliegen. Auch<br />
bei Schuco wurden nun Handgranaten, Minen<br />
und „kriegswichtige“ Kleinteile gefertigt.<br />
Bald nach kRiEgsEndE erreichte Schuco<br />
wie<strong>der</strong> eine marktbeherrschende Stellung<br />
für technisches Spielzeug. 1952 wurde die Fabrik<br />
an <strong>der</strong> Fürther Straße um- und ausgebaut.<br />
Dabei entstand das sechsstöckige Gebäude,<br />
das mit seiner breiten Durchfahrt in <strong>der</strong> Mitte<br />
und <strong>der</strong> mit viel Glas gestalteten Fassade das<br />
Straßenbild an dieser Stelle noch heute prägt.<br />
sEit dEM tod hEinRich MüllERs<br />
1958 fehlten bei Schuco innovative Neuentwicklungen<br />
ebenso wie kreatives Aufgreifen<br />
neuer Trends. Um 1966 stellte man zwar auf<br />
Plastikspielzeug und Zinkdruckguss um,<br />
aber <strong>der</strong> alte Erfolg stellte sich nicht mehr<br />
ein. Zehn Jahre später musste die Nürnberger<br />
Traditionsfirma Konkurs anmelden. Viel zu<br />
lange hatte man am Blechspielzeug festgehalten<br />
und den Siegeszug des Plastikspielzeugs<br />
als vorübergehenden Trend fehlinterpretiert.<br />
1978 wurde das Gebäude an <strong>der</strong> Fürther<br />
Straße versteigert, die DATEV erhielt den<br />
Zuschlag. Nach Plänen des Architekten Sepp<br />
Ruf wurde nun aus <strong>der</strong> ehemaligen Spielzeugfabrik<br />
ein Bürogebäude, das bis heute gelegentlich<br />
als „Schuco-Gebäude“ bezeichnet<br />
wird. Mitte <strong>der</strong> 1980er-Jahre wurden die Personalcomputer<br />
leistungsfähiger, DATEV baute<br />
die vorteilhafte Verbindung von zentralem<br />
Rechenzentrum mit dezentralen PCs weiter<br />
aus und blieb mit diesem Modell auf Erfolgskurs.<br />
Weitere Standorte in Nürnberg folgten<br />
Das mo<strong>der</strong>nisierte, erweiterte DATEV-Gebäude<br />
2009.<br />
ebenso wie bundesweit fast 200 so genannte<br />
Systemhäuser zur datentechnischen Betreuung<br />
<strong>der</strong> Genossenschaftsmitglie<strong>der</strong> vor Ort.<br />
iM jahR 2000 wurde <strong>der</strong> Zugang zum<br />
Internet-Portal <strong>der</strong> DATEV freigegeben.<br />
Damit verlagerte sich fast alles ins „worldwide-web“,<br />
womit die Problematik <strong>der</strong> Datensicherheit<br />
verstärkt in den Vor<strong>der</strong>grund<br />
trat. Seit 2003 hat je<strong>der</strong> „Genosse“ Internetzugang<br />
zum Rechenzentrum. Dabei gilt es,<br />
die Daten nicht nur vor unbefugtem Zugriff<br />
zu schützen, son<strong>der</strong>n auch die Speicherung<br />
und die Archivierung <strong>der</strong> Datenmassen sind<br />
große technische Herausfor<strong>der</strong>ungen: sensible<br />
Daten und zentrale Rechner in nahezu<br />
sauerstofffreier Umgebung – da kann nun<br />
wirklich nichts anbrennen. Um den Unternehmenserfolg<br />
zu sichern, versucht die<br />
DATEV neue Geschäftsfel<strong>der</strong> zu erschließen.<br />
Eigene „Trend-Scouts“ gehen aktuellen<br />
Entwicklungen in den unterschiedlichsten<br />
gesellschaftlichen Bereichen nach. Auf diese<br />
Weise sollen Entwicklungen frühzeitig erkannt<br />
werden, damit man mit den entsprechenden<br />
Produkten reagieren kann und immer<br />
vorne dabei ist.<br />
M. M.<br />
Alles elektrisch, 100 Jahre AEG <strong>Haus</strong>geräte, Jubiläumsschrift<br />
AEG und Centrum Industriekultur,<br />
o. J.; Aufriss 5, Die Fürther Straße, Centrum<br />
Industriekultur; DATEV-Chronik, 2005; Der Fall<br />
AEG, Son<strong>der</strong>beilage <strong>der</strong> Nürnberger Nachrichten,<br />
2006; Der AEG Streik in Nürnberg, hg. von<br />
<strong>der</strong> IG-Metall, 2006; Nürnberger <strong>Geschichte</strong><br />
rund um die DATEV, Firmenchronik, o.J.; Vollmer,<br />
Raimund: Das Milliarden-Mandat – Die<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> DATEV, Frankfurt 1991
Beim Application Service Providing (ASP) kommen<br />
im Nürnberger Rechenzentrum <strong>der</strong> DA-<br />
TEV windows-basierte Server zum Einsatz. Als<br />
Komplettlösung enthält DATEVasp Dienstleistungen<br />
von <strong>der</strong> Bereitstellung <strong>der</strong> Server und<br />
des Betriebssystems bis zum Management <strong>der</strong><br />
IT-Infrastruktur. Dazu gehören beispielsweise<br />
Server- und Netz-Monitoring, die Wartung<br />
und Administration <strong>der</strong> Server genauso wie<br />
das Einspielen <strong>der</strong> Software-Updates und die<br />
Datensicherung.<br />
Dieser Roboter sichert Daten von Kunden,<br />
die ihre Anwendungen im ASP von DATEV<br />
betreiben lassen.<br />
Abenddämmerung über <strong>der</strong><br />
Fürther Straße, aufgenommen<br />
von <strong>der</strong> Dachterrasse des Plärrer-<br />
Hochhauses, 2009.<br />
Am Großrechner im Rechenzentrum des Nürnberger<br />
IT-Dienstleisters laufen Daten von über<br />
39 000 DATEV-Mitgliedskanzleien und <strong>der</strong>en<br />
Mandanten zusammen. Unter an<strong>der</strong>em werden<br />
dort die Finanzbuchführungsdaten von<br />
rund 2,5 Millionen <strong>der</strong> meist mittelständischen<br />
Unternehmen in Deutschland verarbeitet und<br />
gespeichert. Der Großteil <strong>der</strong> 9,5 Millionen<br />
Lohn- und Gehaltsabrechnungen verlässt<br />
jeden Monat das DATEV-Rechen-, Druck- und<br />
Versandzentrum.<br />
D I E S T R E C K E D E S A D L E R S<br />
Im Application-Control-Center haben die<br />
Mitarbeiter die Prozesse im DATEV-Rechenzentrum<br />
je<strong>der</strong>zeit sicher im Griff. Alle wichtigen<br />
Informationen aus <strong>der</strong> Online- und Batchverarbeitung<br />
laufen dort auf einer Großbildtechnik<br />
zusammen, die jede Abweichung vom<br />
Normalbetrieb umgehend anzeigt.<br />
53
54 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
eisenbahn in bayern<br />
Die entwickLung Des<br />
hauPtbahnnetZes 1835 bis 1880<br />
Die 1835 eröffnete kurze Bahnstrecke Nürnberg—Fürth<br />
gilt als Keimzelle des bayerischen und deutschen Eisenbahnnetzes.<br />
Mit ihr begann eine neue Epoche, das<br />
„Eisenbahnzeitalter“. Die Eisenbahn verdrängte Fuhrwerke und<br />
Kutschen bald von den wichtigsten Verkehrsrouten, weil sie die<br />
herkömmlichen Verkehrsmittel an Schnelligkeit, Bequemlichkeit<br />
und vor allem an Beför<strong>der</strong>ungskapazität übertraf. Diese früh absehbare<br />
Entwicklung führte dazu, dass von staatlicher Seite schon<br />
1836/37 grundlegende rechtliche Voraussetzungen für den Bahnbau<br />
größeren Stils geschaffen wurden. Die Regierung sicherte sich<br />
die Möglichkeit <strong>der</strong> Einflussnahme auf die Streckenführung. Für<br />
alle Bahnbauten wurden Auflagen wie etwa Genehmigung <strong>der</strong> Tarife<br />
und gleiche Spurweite festgesetzt. Das Enteignungsgesetz von<br />
1837 ermöglichte die Zwangsenteignung von Grundstücken für<br />
öffentliche Zwecke, wozu auch die „Errichtung von Eisenbahnen<br />
zur Beför<strong>der</strong>ung des inneren o<strong>der</strong> äußeren Handels und Verkehrs“<br />
gehörte.<br />
1843 Übergang zum Staatsbahnprinzip<br />
Die erste längere bayerische Bahnstrecke von München nach Augsburg<br />
ging noch auf Privatinitiative zurück. Sie wurde von einer 1835<br />
von Münchner und Augsburger Banken und Handelshäusern gegründeten<br />
Aktiengesellschaft gebaut und 1840 eröffnet. Im Jahr 1843<br />
ging man in Bayern zum Staatsbahnprinzip über. Schon 1841 hatten<br />
Bayern, Sachsen und Sachsen-Altenburg einen Vertrag über den Bau<br />
einer grenzüberschreitenden Eisenbahn von Nürnberg über Bamberg<br />
und Hof nach Leipzig geschlossen.<br />
1844 wurde als erste staatliche Strecke die Bahn Nürnberg—Erlangen—Forchheim—Bamberg<br />
eröffnet und die München-Augsburger<br />
Bahn durch den Staat erworben. Ein Jahrzehnt später waren die Ludwigs-Nord-Süd-Bahn<br />
Hof—Neuenmarkt—Lichtenfels—Bamberg—<br />
Nürnberg—Gunzenhausen—Nördlingen—Donauwörth—Augsburg—Buchloe—Kaufbeuren—Kempten—Immenstadt—Lindau<br />
(1844–1853), die Ludwigs-West-Bahn Bamberg—Schweinfurt—<br />
Würzburg—Gemünden—Aschaffenburg—Kahl (1852/54) mit Weiterführung<br />
nach Frankfurt und die Staatsbahnstrecke Augsburg—<br />
Ulm (1853/54) fertig gestellt. 1854 wurden die Strecken München/<br />
Pasing—Starnberg und München—Großhesselohe eröffnet. Die<br />
Fortsetzung <strong>der</strong> Maximilians-Bahn von Großhesselohe über Deisenhofen,<br />
Holzkirchen und Aibling nach Rosenheim folgte erst 1857.<br />
Damit waren die wichtigsten nord- und südbayerischen Städte an das<br />
Staatsbahnnetz angeschlossen und gute Verbindungen in das Gebiet<br />
des Deutschen Zollvereins, nach Leipzig, Berlin, Frankfurt am Main<br />
und Stuttgart hergestellt, während Anbindungen an Böhmen und<br />
Österreich, nach Prag und Wien, noch gänzlich fehlten. Ostbayern<br />
blieb bis 1859 eine viel beklagte „Eisenbahnwüste“.<br />
Der lange Weg zur Erschließung<br />
<strong>der</strong> „Eisenbahnwüste“ Ostbayern<br />
Den Initiatoren <strong>der</strong> Nürnberg-Fürther Eisenbahn war es von Anfang<br />
an um die Realisierung einer Strecke Würzburg—Nürnberg—Regensburg—Passau,<br />
also einer Nordwest-Südost-Achse durch Bayern<br />
als Verbindung zwischen Westeuropa und Vor<strong>der</strong>asien, gegangen.<br />
Der große Erfolg <strong>der</strong> ersten kurzen Strecke führte dazu, dass die<br />
Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft schon 1836 ihr ursprüngliches<br />
Projekt wie<strong>der</strong> in Angriff nahm. Zusammen mit Bürgern <strong>der</strong> Städte<br />
Regensburg und Würzburg richtete sie eine Bittschrift an den König,<br />
in <strong>der</strong> sie die internationale Bedeutung dieser Strecke und die<br />
vorteilhaften Wirkungen auf den Kanalverkehr im Hinblick auf die<br />
Warenzufuhr und die Ergänzung des Kanals durch schnellen Transport<br />
herausstellte. Das aufwändige Großprojekt war jedoch aus verschiedenen<br />
Gründen zunächst nicht realisierbar. Mit <strong>der</strong> Gründung<br />
des Deutschen Zollvereins 1834 verstärkte sich die wirtschaftliche<br />
Ausrichtung Bayerns nach Norden und Westen. Zudem war <strong>der</strong> seit<br />
1825 regierende König Ludwig I. zwar an den Eisenbahnplänen interessiert,<br />
doch bevorzugte er als Verbindung zwischen Donau und<br />
Main den seit 1835 in Bau befindlichen Donau-Main-Kanal. Dieses<br />
Lieblingsprojekt des Königs sollte nicht von Anfang an durch eine<br />
konkurrierende Eisenbahn zwischen Nürnberg und Regensburg belastet<br />
werden. Viele Bittschriften aus <strong>der</strong> Region führten lange nicht<br />
zum Ziel und als sich dann die Erkenntnis durchsetzte, dass <strong>der</strong> 1846<br />
eröffnete Kanal den Verkehrsbedürfnissen in keiner Weise gerecht<br />
werden konnte, fehlten <strong>der</strong> Staatskasse die nötigen Mittel.
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Ein sensationeller Fund bei Bauarbeiten im Landtag 1998: Diese voll funktionsfähige Lokomotive mit <strong>der</strong> Aufschrift „Blochmann Dresden 1838“ samt<br />
Ten<strong>der</strong> hatte König Maximilian II. am 6. Oktober 1857 in den Grundstein des <strong>Bayerischen</strong> Landtags einmauern lassen. Das hervorragend erhaltene<br />
Modell war in Vergessenheit geraten. Es zeigt uns heute, wie sehr die Eisenbahn für das 19. Jahrhun<strong>der</strong>t steht.<br />
Die Eröffnung <strong>der</strong> Eisenbahnlinie Augsburg—München<br />
am 4. Oktober 1840 war ein<br />
Großereignis. Die Skizze zeigt den Entwurf<br />
<strong>der</strong> eindrucksvollen Ehrenpforte, die an <strong>der</strong><br />
Lechbrücke errichtet wurde. Und es sei erwähnt,<br />
dass auch <strong>der</strong> damals noch gänzlich unbekannte<br />
Dichter Gottfried Keller, <strong>der</strong> sich zu dieser Zeit<br />
in München als Maler ausbilden lassen wollte,<br />
einmal eine Vergnügungsfahrt mit Kommilitonen<br />
von München nach Augsburg unternommen<br />
hat.<br />
55
56 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Das Aquarell von Albert Emil Kirchner von 1859 zeigt den ersten Bahnhof in Landshut.<br />
Abkehr vom Staatsbahnprinzip 1855<br />
Die Durchführung von Bahnprojekten scheiterte um die Mitte des<br />
19. Jahrhun<strong>der</strong>ts vor allem an <strong>der</strong> allgemein schlechten Finanzlage<br />
des Staates. Die geringen Staatsbahnerträge ließen den Ausbau des<br />
Streckennetzes nicht lukrativ erscheinen. Hatte die bayerische Regierung<br />
unter Minister von Abel noch 1845 eine Übergabe des Bahnbetriebs<br />
in private Hände völlig ausgeschlossen, so zeichnete sich<br />
ein Jahrzehnt später ein Gesinnungswandel ab. Die Entwicklung des<br />
Streckennetzes und die wichtige Anbindung an die Nachbarlän<strong>der</strong><br />
konnte nur durch die Abkehr vom Staatsbahnprinzip vorwärts gebracht<br />
werden. Und die Zeit drängte, da 1851 in einem Staatsvertrag<br />
mit Österreich die Vorbereitung einer Strecke Nürnberg—Regensburg—Linz<br />
vereinbart worden war.<br />
Die rechtlichen Voraussetzungen für die Gründung <strong>der</strong> Ostbahngesellschaft<br />
schufen die Bestimmungen vom 20. Juni 1855 über die<br />
Erbauung von Eisenbahnen. Nun konnten von Privatleuten gebildete<br />
Vereine nach Erlangung einer staatlichen Konzession für Projektierung,<br />
Bau und Betrieb Eisenbahnlinien bauen. Der Ostbahngesellschaft<br />
stand nichts mehr im Weg. Vertreter <strong>der</strong> Städte Nürnberg,<br />
Fürth, Regensburg und Amberg trafen konkrete Vorbereitungen.<br />
Der Industrielle und Kaufmann Theodor von Cramer-Klett und <strong>der</strong><br />
Regensburger Großhändler Georg Neuffer sollten als Bevollmächtigte<br />
<strong>der</strong> Städte mit den Bankiers von Hirsch und von Eichthal gleichberechtigt<br />
ein Konzessionsgesuch für die Bahn Nürnberg—Amberg—<br />
Regensburg einreichen. Als fünfter Konzessionsträger sollte Staatsrat<br />
von Hermann hinzukommen. In den folgenden Monaten konnten<br />
weitere Interessenten gewonnen und die Verhandlungen mit <strong>der</strong><br />
Staatsregierung abgeschlossen werden. Rechte und Pflichten einer<br />
privaten Bahnbaugesellschaft wurden per Gesetz vom 19. März 1856<br />
allgemein geregelt.<br />
Die Gründung <strong>der</strong><br />
Ostbahngesellschaft 1856<br />
Unter Beteiligung <strong>der</strong> Königlichen Bank in Nürnberg, des <strong>Haus</strong>es<br />
Thurn und Taxis, <strong>der</strong> Bankiers Eichthal (München), Hirsch (Würzburg),<br />
Rothschild (Frankfurt) und Bischofsheim (Brüssel) sowie<br />
<strong>der</strong> Städte Nürnberg, Fürth, Regensburg und Amberg wurde am<br />
12. April 1856 die Ostbahn-Aktiengesellschaft gegründet. Die Konzession<br />
bezog sich zunächst auf Bau und Betrieb <strong>der</strong> Eisenbahnen<br />
von Nürnberg über Amberg nach Regensburg, von München über<br />
Landshut an die Donau, von Regensburg über Straubing nach Passau<br />
an die Landesgrenze und von <strong>der</strong> Amberg—Regensburger Linie<br />
an die böhmische Grenze. Die Bauzeit war auf sieben Jahre befristet.<br />
Die Ostbahngesellschaft erhielt eine staatliche Zinsgarantie von 4<br />
1/2 Prozent. Das Grundkapital <strong>der</strong> Gesellschaft war auf 60 Millionen<br />
Gulden festgesetzt. Davon waren fünf Millionen Gulden zur öffentlichen<br />
Zeichnung aufgelegt. Da es sich um eine sichere Investition<br />
handelte, war die Nachfrage nach den Aktien (je 200 Gulden) sehr<br />
groß. Nach einem bestimmten Verteilungsschlüssel erhielt <strong>der</strong> Privataktionär<br />
bei einer gezeichneten Aktie eine halbe, bei 250 gezeichneten<br />
zehn Aktien. Einer <strong>der</strong> Hauptaktionäre, Fürst von Thurn und<br />
Taxis, sicherte sich sofort vier Millionen Gulden und ein Optionsrecht<br />
auf weitere acht Millionen Gulden.<br />
Am 14. Juli 1856 genehmigte König Maximilian II. den Verlauf <strong>der</strong><br />
Bahnlinie von Nürnberg über Lauf, Hersbruck, Sulzbach, Amberg,<br />
Schwandorf, Regenstauf nach Regensburg, behielt sich aber Än<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> Trasse vor, falls dies wegen des Anschlusses <strong>der</strong> Bahn<br />
nach Pilsen erfor<strong>der</strong>lich würde. Die längere Bahn über Schwandorf<br />
bot gegenüber <strong>der</strong> Alternativstrecke durch das Naab- und Vilstal –<br />
ohne beträchtliche Mehrkosten – den Vorteil, dass sie dem Haupthandelsweg<br />
von Regensburg in die Oberpfalz und nach Oberfranken
Die ausgedehnten Bahnanlagen in Furth im Wald wurden von <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> Ostbahn und <strong>der</strong> Böhmischen Westbahn gleichermaßen genutzt. Längst hat<br />
<strong>der</strong> Bahnhof – hier ein Aquarell von Albert Emil Kirchner von 1862 – seine frühere Bedeutung als personalintensive Zoll- und Wechselstation verloren.<br />
folgte und die einzigen Bodenschätze <strong>der</strong> Oberpfalz, die Braunkohlelager<br />
im Sauforst bei Burglengenfeld und die Eisenerzlager bei<br />
Sulzbach und Amberg, berührte. In militärischer Hinsicht bot die<br />
Bahn über Schwandorf eine wichtige strategische Operationsbasis<br />
in Richtung Bayerischer Wald und Böhmen.<br />
Vorarbeiten für die wichtige Bahnverbindung zwischen München<br />
und <strong>der</strong> Donau waren schon 1853 in einem Gesetzentwurf<br />
beschlossen worden. Es standen drei Trassen zur Diskussion: von<br />
München dem Isartal folgend über Landshut nach Plattling, von<br />
München über Landshut nach Straubing o<strong>der</strong> von München über<br />
Landshut nach Regensburg. Die Ostbahngesellschaft übernahm die<br />
bis 1856 durchgeführten staatlichen Projektierungsarbeiten und<br />
setzte in <strong>der</strong> Trassenführung die kostengünstigste Kompromisslösung<br />
durch, die Gabel von Geiselhöring. Die Ostbahnstrecke<br />
München—Landshut konnte schon am 3. November 1858 eröffnet<br />
werden, die Strecke Nürnberg—Amberg—Regensburg—Geiselhöring—Landshut<br />
ging am 12. Dezember 1859 in Betrieb. Die Weiterführung<br />
<strong>der</strong> Strecke von Geiselhöring über Straubing nach Passau<br />
wurde am 20. September 1860 dem Verkehr übergeben.<br />
Schon im folgenden Jahr wurde die Personenschifffahrt zwischen<br />
Regensburg und Passau eingestellt; <strong>der</strong> Transport auf dem Wasser<br />
spielte nur im Massengüterverkehr weiter eine wichtige Rolle. Im<br />
September 1862 wurde die erst 1846 gegründete Königlich Bayerische<br />
Donau-Dampfschifffahrt einschließlich ihrer Werft und Werkstätten<br />
in Regensburg an die Österreichische Donau-Dampfschifffahrts-Gesellschaft<br />
verkauft, die sich zur Übernahme <strong>der</strong> Personenschifffahrt<br />
bis Donauwörth verpflichtete, solange es noch keine Eisenbahn dorthin<br />
gab. An die Linie Regensburg—Amberg—Nürnberg wurde bei<br />
Schwandorf die über Cham und Furth im Wald nach Pilsen und Prag<br />
führende Strecke angeschlossen und 1861/62 eröffnet.<br />
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Die im Wiener „Figaro“ vom 19.10.1861 erschienene Karikatur ist anspielungsreich:<br />
Der bayerische und <strong>der</strong> böhmische Löwe – beide Län<strong>der</strong><br />
haben ihn als Wappentier – stoßen mit Bier, das sowohl Bayern wie<br />
Böhmen als ihr je ureignes Nationalgetränk für sich reklamieren, auf die<br />
Eröffnung <strong>der</strong> neuen Eisenbahnverbindung an. Die etwas gezwungen<br />
wirkende Annäherung mag auch ein Hinweis auf Unstimmigkeiten sein,<br />
da die Tschechen sich provoziert fühlten, dass die Eröffnungslokomotive<br />
den Namen „Pilsen“ nur in deutscher Schreibweise trug und auch<br />
die Bahnverwaltung in Böhmen angeblich nur mit deutschstämmigem<br />
Personal besetzt werden sollte.<br />
57
58 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Böhmische Kohle für Bayern<br />
Die Anbindung nach Böhmen war beson<strong>der</strong>s für die Kohleversorgung<br />
Bayerns wichtig. Erst böhmische Kohle schuf die Voraussetzung<br />
für die mo<strong>der</strong>ne oberpfälzische Eisenhüttenindustrie. Die<br />
Hauptstandorte lagen unmittelbar an Ostbahnlinien: die Maxhütte<br />
bei Haidhof und in Sulzbach-Rosenberg, die staatlichen Hüttenwerke<br />
in Amberg (seit 1911 Luitpoldhütte) und Bodenwöhr. Die Böhmerlinie<br />
über Schwandorf und Furth im Wald sicherte die Kohle- und<br />
Holzversorgung dieser Großunternehmen. Die Maxhütte arbeitete<br />
aber neben <strong>der</strong> böhmischen Braunkohle auch um 1865/66 schon mit<br />
Steinkohle aus Zwickau und nach 1870 vermehrt mit Saarkoks, <strong>der</strong><br />
mit <strong>der</strong> pfälzischen Ludwigsbahn nach Ludwigshafen und von dort<br />
ins rechtsrheinische Bayern verfrachtet wurde.<br />
Nach Fertigstellung <strong>der</strong> 1856 genehmigten Bahnen verblieb <strong>der</strong><br />
Ostbahngesellschaft ein Kapital von 1,5 Millionen Gulden. Deshalb<br />
erhielt sie 1861 die Konzession zum Bau <strong>der</strong> Strecken Schwandorf<br />
(Irrenlohe)—Weiden, Weiden—Bayreuth (beide 1863 eröffnet) und<br />
Weiden—Eger (1864/65 eröffnet). Damit war eine weitere, für die<br />
Kohleversorgung wichtige Bahnverbindung nach Böhmen geschaffen.<br />
Auch <strong>der</strong> Personenverkehr in die böhmischen Bä<strong>der</strong> lief über<br />
Eger. Die nördliche Oberpfalz war mit <strong>der</strong> Kreishauptstadt Regensburg<br />
verbunden, <strong>der</strong> Verkehr mit Oberfranken, Sachsen und Thüringen<br />
beträchtlich erleichtert.<br />
Weitere Grenzübergänge nach Österreich waren inzwischen durch<br />
die Staatsbahn realisiert worden. Von Rosenheim aus konnte man<br />
1858 weiter nach Kufstein, ab 1860 auch über Endorf, Prien, Traunstein<br />
und Freilassing nach Salzburg fahren. Damit war die durchgehende<br />
Eisenbahnverbindung von Paris über München nach Wien<br />
hergestellt. Eine Reise von München nach Paris dauerte mit Übernachtung<br />
in Karlsruhe und mehrmaligem Wechsel <strong>der</strong> Eisenbahngesellschaft<br />
40 Stunden.<br />
Neben den Staatsbahnen und Ostbahnen wurden meist auf Initiative<br />
von Städten auch einige Pachtbahnen realisiert. Die privaten Bahngesellschaften<br />
bauten die Strecke und verpachteten sie an den Staat,<br />
bis die Baukosten gedeckt waren. So entstanden auf Betreiben <strong>der</strong><br />
Stadt Memmingen die sehr erfolgreiche Linie Ulm—Memmingen—<br />
Kempten (1862/63 eröffnet, 1876 vom Staat übernommen) und<br />
durch das Engagement <strong>der</strong> Stadt Deggendorf eine Bahnverbindung<br />
nach Plattling (1866). Weitere Pachtbahnen waren unter an<strong>der</strong>em die<br />
Strecken München—Starnberg, Starnberg—Penzberg, Tutzing—Peißenberg,<br />
Holzkirchen—Miesbach.<br />
Die aus dem Jahr 1860 stammende Ansicht <strong>der</strong> Stadt Schwandorf von<br />
Carl Loritz zeigt im Vor<strong>der</strong>grund die Eisenbahnbrücke über die Naab.<br />
Ausbau des Bahnnetzes<br />
und Abkürzungslinien<br />
In den 1860er- und 1870er-Jahren wurde das Hauptbahnnetz weiter<br />
ausgebaut. Man hatte erkannt, dass die bestehenden Bahnstrecken<br />
einen für den Durchgangsverkehr ungünstigen Verlauf hatten. War<br />
es bei den ersten Bahnlinien darum gegangen, möglichst viele größere<br />
Orte zu berühren, so sah man nun die Notwendigkeit, Abkürzungslinien<br />
zwischen den größeren Städten zu schaffen. Dadurch<br />
ergaben sich volks- und betriebswirtschaftliche Vorteile. Wichtige<br />
neue Staatsbahnen waren die Abkürzungsstrecken Nürnberg/<br />
Fürth—Neustadt a. d. Aisch—Kitzingen—Würzburg (1865) und<br />
Gunzenhausen—Treuchtlingen—Eichstätt—Ingolstadt (1869/70).<br />
Die Ostbahn AG wollte in ihrem Verkehrsgebiet auch staatlichen<br />
Konkurrenzlinien zuvorkommen. Die 1873 fertig gestellte direkte<br />
Bahnlinie Regensburg—Neumarkt—Nürnberg brachte beson<strong>der</strong>s<br />
für den Durchgangsverkehr von Österreich nach Westdeutschland<br />
Vorteile. Die Abkürzungslinien Neufahrn—Obertraubling und<br />
Straubing—Sünching (beide 1873) verbesserten die Bahnverbindungen<br />
München—Regensburg und Regensburg—Straubing; die<br />
Gabel von Geiselhöring verlor damit ihre Bedeutung. Auch die wichtige,<br />
1875 eröffnete Verbindung Mühldorf—Neumarkt St. Veit—<br />
Landau—Plattling wurde noch von <strong>der</strong> Ostbahn gebaut.<br />
Wie<strong>der</strong> mehr Staatsbahnbau –<br />
Verstaatlichung <strong>der</strong> Ostbahnen 1875<br />
Seit Anfang <strong>der</strong> 1870er-Jahre engagierte sich <strong>der</strong> Staat wie<strong>der</strong> stärker<br />
im Bahnbau. Wichtige neue Staatsbahnstrecken waren die Linien<br />
München—Markt Schwaben—Dorfen—Mühldorf—Neuötting—<br />
Simbach (1871), München—Grafing—Rosenheim (1871), München—Geltendorf—Kaufering—Buchloe—Türkheim—Mindelheim—Ungerhausen—Memmingen<br />
(1872/74), die Donautalbahn<br />
Regensburg—Ingolstadt—Donauwörth (1874) mit Weiterführung<br />
nach Dillingen, Gundelfingen und Neuoffingen (1876/77) und die<br />
Verbindung Ingolstadt—Augsburg (1875). Bald nach Eröffnung <strong>der</strong><br />
Donautalbahn wurde <strong>der</strong> Schiffsverkehr auf <strong>der</strong> oberen Donau eingestellt.<br />
Auch Mittelgebirgslandschaften mit bautechnisch schwierigem<br />
Gelände wurden zunehmend erschlossen (1871 Schweinfurt—<br />
Bad Kissingen, 1872 Gemünden—Jossa, 1874 Ebenhausen—Bad<br />
Neustadt a. d. Saale—Mellrichstadt, 1877 Deggendorf—Zwiesel—<br />
Bayerisch Eisenstein mit Anschluss nach Klattau/Böhmen, 1877/79<br />
Nürnberg—Schnaittach—Ranna—Schnabelwaid—Kirchenlaibach—<br />
Neusorg—Marktredwitz—Schirnding, 1883 Fortsetzung bis Eger).<br />
Da das Nebeneinan<strong>der</strong> von Staatsbahnen und Ostbahnen zu Problemen<br />
in <strong>der</strong> Streckenplanung sowie im Bau und Betrieb führte<br />
und auch allgemeine politische und wirtschaftliche Erwägungen<br />
dafür sprachen, entschloss sich die bayerische Regierung 1875, die<br />
Ostbahnen mit einem Streckennetz von fast 800 Kilometern zu verstaatlichen.<br />
Bis Mitte <strong>der</strong> 1870er-Jahre hatten sich neben den frühen<br />
bayerischen Eisenbahnverkehrszentren München, Nürnberg und<br />
Augsburg auch Regensburg, Würzburg, Buchloe, Gunzenhausen,<br />
Ingolstadt, Holzkirchen, Rosenheim und Schwandorf zu wichtigen<br />
Eisenbahnknotenpunkten entwickelt.
Schützenscheibe <strong>der</strong> Kgl. Priv. Schützengesellschaft<br />
Mainbernheim zur Eröffnung <strong>der</strong> Bahnlinie Nürnberg—<br />
Würzburg.<br />
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Die von Moritz von Schwind gestaltete Karte zur festlichen Eröffnung <strong>der</strong><br />
Bahnlinie München—Salzburg im August 1860 zeigt den bis 1849 erbauten<br />
Münchner Zentralbahnhof des Architekten Friedrich Bürklein (1813–1872), <strong>der</strong><br />
auch die Münchner Maximiliansstraße, das Maximilianeum und eine ganze Reihe<br />
von bayerischen Bahnhöfen plante. Ein Festessen und eine Galavorstellung<br />
im Münchner Hoftheater bildeten den feierlichen Rahmen des Ereignisses.<br />
59
60 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
ViZinaL- unD LokaLbahnen<br />
Beim Aufbau des weitmaschigen Hauptbahnnetzes orientierte<br />
man sich, von an<strong>der</strong>en übergeordneten Erwägungen<br />
abgesehen, am Verkehrsaufkommen. Wirtschaftlich bereits<br />
begünstigte Orte bzw. Gegenden wurden weiter geför<strong>der</strong>t, während<br />
abseits <strong>der</strong> Eisenbahn gelegene Ortschaften zurückblieben.<br />
Diese Entwicklung zu verbessern war das Hauptmotiv für den Ausbau<br />
des Vizinal- und Lokalbahnnetzes. Zwischen den Hauptlinien<br />
sollten Querverbindungen hergestellt werden, Stichbahnen sollten<br />
bahnferne Gebiete mit dem Hauptbahnnetz verknüpfen und damit<br />
wirtschaftlich erschließen. Zugleich konnte eine weitere Verdichtung<br />
des Bahnnetzes das Verkehrsaufkommen auf den Hauptlinien för<strong>der</strong>n.<br />
In vielen Fällen erfüllten sich die Hoffnungen nicht, da gerade<br />
Stichbahnen die Entleerungstendenzen zugunsten eines Bahnknotenpunktes<br />
begünstigten. Hinzukam, dass <strong>der</strong> Lokalbahnbau und<br />
-betrieb durch gesetzliche Hürden und zusätzliche finanzielle Belastungen<br />
behin<strong>der</strong>t war.<br />
Erste Regelungen enthielt das Vizinalbahngesetz von 1869. Artikel<br />
2 legte fest, dass Bahnverbindungen von lokaler Bedeutung nur<br />
dann Aussicht auf Unterstützung hätten, wenn <strong>der</strong> Grun<strong>der</strong>werb<br />
und sämtliche Erdarbeiten ohne Inanspruchnahme staatlicher Gel<strong>der</strong><br />
gesichert seien, also von den Bahninteressenten selbst finanziert<br />
würden. Um die zahlreichen Wünsche nach einem Bahnanschluss<br />
schneller erfüllen zu können, sollten die Vizinalbahnen einfacher<br />
ausgestattet werden, aber um den Güterverkehr nicht zu beeinträchtigen,<br />
volle Spurweite erhalten. Ein Vizinalbahnfonds wurde gebildet,<br />
aus dem die staatlichen Baukosten zur Hälfte gedeckt werden<br />
konnten. Bis 1876 erhielten nur 14 Vizinalbahnen eine staatliche<br />
Konzession. Die seit 1869 geltenden Regelungen bewährten sich<br />
nicht. Die finanziellen Belastungen <strong>der</strong> Interessenten waren zu groß,<br />
manche Gemeinden standen vor dem Ruin. Ende <strong>der</strong> 1870er-Jahre<br />
verstärkte sich die Diskussion um die Än<strong>der</strong>ung des Gesetzes.<br />
Das Lokalbahngesetz von 1882<br />
Das 2. Vizinalbahngesetz über die Behandlung <strong>der</strong> bestehenden Vizinalbahnen<br />
und den Bau von Sekundärbahnen von 1882, kurz Lokalbahngesetz<br />
genannt, regelte den Bau von untergeordneten Bahnen<br />
neu. Die Gemeinden und Privatleute, die in die Vizinalbahnen investiert<br />
hatten, erhielten Rückvergütungen. Einen wichtigen Fortschritt<br />
brachte Artikel 5. Er legte fest, dass „Bahnen von lokaler Bedeutung<br />
… nur dann durch den Staat zur Ausführung kommen, wenn die<br />
Interessenten mindestens den für den Bahnbau und dessen Zugehör<br />
nötigen Grund und Boden kostenfrei zur Verfügung stellen“. Die<br />
Interessenten waren dadurch zwar wenigstens von den Kosten <strong>der</strong><br />
Erdarbeiten befreit, doch schon <strong>der</strong> Grun<strong>der</strong>werb war eine schwer<br />
zu überwindende Hürde. Es bemühten sich ja gerade diejenigen<br />
Gemeinden um einen Bahnanschluss, die wirtschaftlich und finanziell<br />
deutlich schlechter gestellt waren als diejenigen, die längst vom<br />
Bahnverkehr profitierten.<br />
Das Gesetz von 1882 regelte noch einige an<strong>der</strong>e Punkte. In Artikel<br />
4 wurde die Verwendung <strong>der</strong> Überschüsse genau festgelegt und je<strong>der</strong><br />
Anspruch <strong>der</strong> Interessenten auf Teilhabe daran ausgeschlossen.<br />
Der Bau privater Lokalbahnen wurde grundsätzlich gestattet; es gab<br />
sogar staatliche Zuschüsse dafür (Art. 5). Um Kosten zu sparen galt<br />
allgemein: einfachste Konstruktion, vereinfachter Betrieb, niedrigere<br />
Fahrgeschwindigkeit als bei Vizinalbahnen, keine Bahnkörperüberwachung.<br />
Folgende Einschränkungen waren vorgesehen:<br />
„1. Die Bahnen hatten möglichst viele Orte zu berühren, wenn sie<br />
dadurch auch mäßig verlängert werden.<br />
2. Ohne wesentliche Nachteile für den Betrieb können größere Steigungen<br />
und schärfere Kurven zugelassen werden.<br />
3. Es wird durchaus nur ein Gleis ‚auf currenter Bahn‘ vorgesehen.
Die Postkartenfotografie – betitelt mit „S.K.H. Prinzregent Luitpold von<br />
Bayern und Prinzess Ludwig von Bayern. Abreise von Leutstetten“ – zeigt<br />
die zum Zug eilenden hohen Herrschaften, die wohl vom Wittelsbacher<br />
Schloss Leutstetten kommen. Der Prinzregent bereiste die entlegensten<br />
Anlass für liebevollen Spott: Der Schaffner springt schon vor <strong>der</strong><br />
Lokalbahnstation Obernie<strong>der</strong>tupfing vom Zug und rennt voraus zum<br />
Bahnhof …, denn er ist zugleich Stationsvorstand!<br />
Gegenden des Königreichs und wurde überall mit „großem Bahnhof“<br />
empfangen. 1898 ließ er einen eigenen Eisenbahn-Salonwagen bauen –<br />
viel schlichter als <strong>der</strong> Prunkwagen König Ludwigs II., <strong>der</strong> hier in einem in<br />
prachtvollem Königsblau gehaltenen Entwurf zu sehen ist.<br />
Kundendienst – ein Thema damals wie heute.<br />
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
61
62 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Der Bahnhof Königsberg i.B. an <strong>der</strong> 1892 eröffneten Lokalbahn Haßfurt-<br />
Hofheim<br />
4. Die Kronenbreite des Bahnkörpers kann wesentlich verschmälert<br />
werden.<br />
5. Es genügen leichtere Schienen o<strong>der</strong> auch ausgewechselte alte <strong>der</strong><br />
Hauptbahnen.<br />
6. Die Einfriedungen und Schranken lassen sich auf eine geringere<br />
Anzahl reduzieren.<br />
7. Nur die frequentesten Überfahrten erhalten Bahnwärterposten.<br />
8. Die Stationen können nach Maßgabe des geringeren Verkehrs<br />
kleiner, die Gebäude beschränkter, die Ausweichgleise ganz entbehrt<br />
o<strong>der</strong> kürzer gehalten werden.<br />
9. Es ist weniger und, was die Lokomotiven betrifft, auch billigeres<br />
Fahrmaterial anzuschaffen usw.“<br />
(zit. nach Löwenstein 116)<br />
Ein Vergleich <strong>der</strong> Baukosten für die verschiedenen Bahntypen im<br />
Jahr 1892 belegt die Effektivität <strong>der</strong> kostensparenden Maßnahmen:<br />
1 Kilometer Lokalbahn 58000 Mark; 1 Kilometer Vizinalbahn 92000<br />
Mark; 1 Kilometer Hauptbahn 250000 Mark.<br />
Das Lokalbahnfieber setzt ein!<br />
Nach <strong>der</strong> gesetzlichen Regelung des Lokalbahnbaues setzte das Lokalbahnfieber<br />
ein, das bis in den Ersten Weltkrieg andauerte. Das<br />
Hauptmotiv für den Kampf um eine Lokalbahn war stets die durch<br />
die Verkehrsferne bedingte allgemeine wirtschaftliche Notlage einer<br />
Region. Der Landtag hatte sich mit einer Flut von Petitionen auseinan -<br />
<strong>der</strong>zusetzen. Aus den Bittschriften tönten mitunter dramatische Hilferufe.<br />
Die Verfechter <strong>der</strong> Bahnen sahen sich in historischer Verantwortung<br />
für ihre Nachkommen.<br />
So heißt es etwa in einer Petition aus Kötzting vom 2. Januar 1884:<br />
„Kann es, fragen wir, etwas Trostloseres geben als das Unglück zu haben,<br />
in diesem vergessenen Winkel Bayerns zu leben? Sind wir nicht<br />
auch Unterthanen des lieben Bayernlandes? ... Zahlen wir unsere<br />
Abgaben nicht ebenso gut wie an<strong>der</strong>e Provinzen, welche mit durchziehenden<br />
Eisenbahnen und herrlichen Staatsstraßen versehen sind?<br />
Wie kann sich unter solchen Verhältnissen Industrie, Handel und<br />
Landwirtschaft entwickeln? ... Trotz unseres enormen Reichthumes<br />
an Holz, trotz unserer gesegneten Fluren muß eine allmähliche Ver-<br />
Im Vor<strong>der</strong>grund <strong>der</strong> Ansicht von Martin Brand aus dem Jahr 1880 ist die<br />
Paartalbahn zu erkennen.<br />
armung eintreten, weil wir abgeschlossen sind von <strong>der</strong> Aussenwelt,<br />
abgeschlossen von dem öffentlichen Weltmarkte, weil wir dadurch<br />
nicht konkurrenzfähig sind. Das sind traurige Thatsachen, das ist ein<br />
‘Nothschrei’ <strong>der</strong> Bevölkerung des oberen bayerischen Waldes, es ist<br />
ein Nothschrei, welcher durch alle Thäler hallt und dort wie<strong>der</strong> sein<br />
Echo findet.“ (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Verkehrsarchiv 5178,<br />
2. Januar 1884)<br />
Von 1884 bis 1896 wurden insgesamt 71 Lokalbahnen genehmigt, im<br />
Jahr 1900 weitere 34 und 1904 nochmals 30. Die letzten Lokalbahnen<br />
wurden in den 1920er-Jahren fertig gestellt. War eine Lokalbahn<br />
einmal in Betrieb, so hatte die von ihr durchzogene Gegend weitere<br />
Lasten zu tragen. Zur Deckung <strong>der</strong> höheren Betriebskosten wurde<br />
ursprünglich auf alle Gütertransporte ein Lokalbahnzuschlag erhoben<br />
(Juli 1877: je 100 Kilogramm 0,12 Mark bei Eilgut; 0,10 Mark<br />
bei Stückgut; 0,06 Mark bei Wagenladungsgütern); Massengüter wie<br />
Kohle, Brennholz, Zement, Düngemittel, Sand, Steine wurden im<br />
Oktober 1877 vom Zuschlag befreit. Im Vergleich mit Vollbahnen<br />
war bei den Lokalbahnen die Masse <strong>der</strong> zu beför<strong>der</strong>nden Güter und<br />
Personen viel geringer und die Transportstrecke meist weitaus kürzer,<br />
sodass auch die Einnahmen entsprechend geringer ausfielen. Aus<br />
volkswirtschaftlicher Sicht wurden durch den Zuschlag alle auf den<br />
Gütertransport durch eine Lokalbahn angewiesenen Betriebe, die<br />
schon durch ihre Marktferne wenig konkurrenzfähig waren, zusätzlich<br />
belastet. Deshalb wurde 1898 ein reformiertes System <strong>der</strong> Lokalbahnzuschläge<br />
eingeführt: Normaltarife (ohne Zuschlag) sollten auf<br />
allen nicht dauernd defizitären Strecken gelten, wenn <strong>der</strong> Konkurrenz<br />
<strong>der</strong> Fuhrwerke zu begegnen war und bei neu gebauten Bahnen<br />
nach dem ersten Betriebsjahr. Infolge dieser dehnbaren Regelungen<br />
wurden nach 1898 nur mehr bei acht bayerischen Lokalbahnen Zuschläge<br />
erhoben.<br />
Trotz aller Nachteile wirkten sich Lokalbahnen insgesamt positiv auf<br />
die allgemeine Verkehrssituation aus, wenn auch <strong>der</strong> Rückstand in<br />
<strong>der</strong> wirtschaftlichen Gesamtentwicklung in <strong>der</strong> Regel nicht mehr aufzuholen<br />
war. Mit dem Einsetzen des Automobilverkehrs entstanden<br />
dann neue Rahmenbedingungen, sodass gerade die spät gebauten<br />
Lokalbahnen zu den ersten gehörten, die seit den 1960er-Jahren <strong>der</strong><br />
Stilllegung zum Opfer fielen.
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Die liebevoll „Seekuh“ genannte<br />
Eisenbahn zwischen Erlangen<br />
und Markt Eschenau fuhr durch<br />
Dormitz auf <strong>der</strong> Straße, wobei sie<br />
hier den Verkehrsregeln unterworfen<br />
war und einer Geschwindigkeitsbegrenzung<br />
von 15 km/h<br />
unterlag. Die Fotografie wurde<br />
um 1960 aufgenommen.<br />
Die Postkarte, die 1910 anlässlich<br />
<strong>der</strong> Eröffnung <strong>der</strong> Lokalbahn<br />
Krumbach—Pfaffenhausen—<br />
Mindelheim erschien, vermerkt<br />
auf <strong>der</strong> Rückseite praktischerweise<br />
den Fahrplan für das Jahr<br />
1911: Viermal am Tag verkehrte<br />
<strong>der</strong> Zug von Krumbach nach<br />
Mindelheim und zurück, beginnend<br />
mit <strong>der</strong> Abfahrt um 3.50 in<br />
<strong>der</strong> Nacht und letztmals um 6.40<br />
abends.<br />
63
64 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
eisenbahnbau unD<br />
eisenbahnbauarbeiter<br />
Durch den Bahnbau wurden in einer an chronischer Unterbeschäftigung<br />
leidenden Gesellschaft über viele Jahrzehnte<br />
zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen. Einen Eindruck vom<br />
Umfang <strong>der</strong> zu leistenden Arbeiten und <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Baumaterialien<br />
vermittelt schon <strong>der</strong> Aufbau des Bahnkörpers. Er besteht<br />
aus dem Unterbau und dem Oberbau. Der Unterbau ist <strong>der</strong> arbeitsintensivste<br />
Teil des Bahnbaus. Er umfasst alle Erdarbeiten: Dämme,<br />
Einschnitte, Entwässerungen, Böschungsbefestigungen, Stütz- und<br />
Futtermauern sowie alle Kunstbauten wie Brücken, Tunnels, Wegübergänge<br />
und -unterführungen. Unter dem Oberbau versteht man<br />
die eigentliche Fahrbahn, die sich in Bettung, Schienenunterlagen,<br />
Schienenbefestigungsmittel und Schienen glie<strong>der</strong>t. Hinzu kamen<br />
zahlreiche Stationsanlagen, Bahnhöfe, Werkstätten, Lagerhäuser,<br />
Wohnhäuser für das Personal und Wärterhäuser entlang <strong>der</strong> Strecken.<br />
Auch <strong>der</strong> Bau von Zufuhrstraßen, die Anpassung des bisherigen<br />
Wegenetzes und des Wasser- und Kanalsystems waren erfor<strong>der</strong>lich.<br />
Die Ausführung eines Bahnprojekts brachte Absatzmöglichkeiten für<br />
vielerlei Baustoffe, aber auch neue Aufträge für die verschiedensten<br />
Sparten des Handwerks und <strong>der</strong> Industrie und einen Aufschwung<br />
für die Versorgungsgewerbe. Neben großen Bahnbauunternehmen,<br />
die ganze Arbeiterheere für den arbeitsintensiven Unterbau stellten,<br />
hatten zahlreiche Handwerksmeister mit oft aufgestocktem Personal<br />
Arbeiten beson<strong>der</strong>s an den Bahnstationen übernommen. Im Umfeld<br />
des Bahnbaus, in <strong>der</strong> Innenausstattung <strong>der</strong> Gebäude und <strong>der</strong> Züge,<br />
fanden Schreiner, Schlosser, Glaser, Le<strong>der</strong>er, Schnei<strong>der</strong> ein Auskommen.<br />
Viele Arbeiter waren für die Bahn in Steinbrüchen, Sand- und<br />
Kiesgruben, in <strong>der</strong> Eisen- und Holzverarbeitung und im Transportgewerbe<br />
beschäftigt. Bahnbauspezialisten und Facharbeiter für<br />
Gleisbau waren in <strong>der</strong> Regel bei <strong>der</strong> Staatsbahn bzw. Ostbahn direkt<br />
angestellt. Viele Arbeitsplätze boten auch die Schwellenimprägnieranstalten,<br />
so zum Beispiel in Schwandorf.<br />
Die wan<strong>der</strong>nden Bahnbaustellen för<strong>der</strong>ten die Flexibilisierung und<br />
Mobilisierung des gesamten Arbeitsmarktes. Auch nach Abschluss<br />
des Streckenbaus trugen Phasen lebhafter Bautätigkeit wie die Erweiterung<br />
von Bahnanlagen, Dienstgebäuden und Werkstätten zu einer<br />
breiten Belebung des örtlichen Gewerbes bei.<br />
Negative Begleiterscheinungen<br />
Der Bahnbau hatte jedoch nicht nur wirtschaftsför<strong>der</strong>nde Wirkungen.<br />
Gerade die überwiegend in <strong>der</strong> Landwirtschaft tätige Bevölkerung<br />
hatte zum Teil unter schwerwiegenden Beeinträchtigungen<br />
<strong>der</strong> bisherigen ökonomischen Abläufe zu leiden. Erst waren in<br />
großem Stil Grundstücke abzutreten, dann waren schon während<br />
<strong>der</strong> Projektierung und Aussteckung einer Trasse vielfache Behin<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> landwirtschaftlichen Arbeiten hinzunehmen. Die<br />
Bauarbeiten brachten Flur- und Ernteschäden mit sich; Schadenersatzfor<strong>der</strong>ungen<br />
waren innerhalb kurzer Fristen anzumelden. Die<br />
Bahnstrecken durchschnitten das Wegenetz. Geländeeinschnitte und<br />
Dammaufschüttungen verän<strong>der</strong>ten die Landschaft; die Nutzung <strong>der</strong><br />
Fel<strong>der</strong> und Wiesen war oft nicht mehr möglich. Es verwun<strong>der</strong>t daher<br />
nicht, dass <strong>der</strong> Bahnbau gerade im ländlichen Raum verbreitet auf<br />
Ablehnung stieß. Erst nach dem Bau von Bahnübergängen, Unter-<br />
und Überführungen konnte sich wie<strong>der</strong> ein geregelter Ablauf des<br />
landwirtschaftlichen Verkehrs etablieren. Doch althergebrachte Zusammenhänge<br />
waren unwi<strong>der</strong>ruflich durchschnitten, die landwirtschaftlich<br />
nutzbare Fläche insgesamt reduziert.<br />
Viele Ortschaften wurden durch die Bahn in zwei Teile geteilt, wie dieses<br />
Ortsschild bei Amberg zeigt.
Das Aquarell von Karl Herrle zeigt, wie in mühevoller Handarbeit ein Heer von Arbeitern den berühmten Rentershofener Bahndamm bei Röthenbach-Oberhäuser<br />
(Allgäu) erstellt. Die zur Feier <strong>der</strong> Vollendung am 14. August 1853 gestiftete Schützenscheibe von 1853 spricht von 2000 Arbeitern.<br />
Eisenbahnschwellen wurden in aufwändiger handwerklicher<br />
Arbeit direkt im Wald hergestellt, zunächst mit <strong>der</strong><br />
Axt geschlagen, dann mit <strong>der</strong> Gestellsäge besäumt, <strong>der</strong><br />
Länge nach eingeschnitten, zum Trocknen gestapelt und<br />
schließlich abtransportiert.<br />
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Die technischen Leistungen beim Eisenbahnbau wurden häufig auf Postkartenfotografien<br />
festgehalten wie hier <strong>der</strong> Eisenbahnneubau auf <strong>der</strong> Strecke Viechtach-Blaibach.<br />
Ein Schwellenhauerbeil fand<br />
Eingang in das Gemeindewappen<br />
<strong>der</strong> unterfränkischen Gemeinde<br />
Rechtenbach. Es erinnert daran,<br />
dass viele Bewohner <strong>der</strong> waldreichen<br />
Spessartgemeinde mit<br />
dem Einsetzen des Bahnbaues<br />
Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts als<br />
Schwellenhauer und -säger Arbeit<br />
fanden.<br />
65
66 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Die kolorierte Fotografie zeigt die Großbaustelle <strong>der</strong> 1876 erbauten<br />
Deffernikbrücke östlich von Ludwigsthal (bei Zwiesel).<br />
Die Eisenbahnbauarbeiter<br />
Ein großes gesellschaftliches Problem in <strong>der</strong> ersten Hälfte des 19.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts war <strong>der</strong> Mangel an Verdienstmöglichkeiten für breite<br />
Bevölkerungsschichten. Die Armut <strong>der</strong> wachsenden arbeitslosen<br />
Unterschicht, <strong>der</strong> so genannte Pauperismus, for<strong>der</strong>te staatliches Handeln.<br />
Der Aspekt <strong>der</strong> Arbeitsbeschaffung wurde schon bei Streckenplanungen<br />
vor <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>tmitte berücksichtigt, denn <strong>der</strong> Bahnbau<br />
schuf in den jeweils berührten Gebieten vorübergehend eine<br />
große Anzahl von Arbeitsplätzen. Bahnbaumaßnahmen waren nicht<br />
zuletzt ein sozialpolitisches Instrument, Notleidenden den Lebensunterhalt<br />
zu sichern. Dieser Aspekt spielte auch in <strong>der</strong> bayerischen<br />
Verkehrspolitik eine Rolle. König Maximilian II. bemühte sich seit<br />
1848 <strong>der</strong> Not des Proletariats durch große staatliche Baumaßnahmen<br />
abzuhelfen. König Ludwig II. sah noch 1869 eine Möglichkeit, dem<br />
sehr großen „Nothstand unter <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>n Klasse <strong>der</strong> Münchener<br />
Bevölkerung“ durch „Beschaffung von Arbeitsgelegenheit“ beim<br />
Bahnbau entgegenzuwirken (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Verkehrsarchiv<br />
6408, 20. April 1869). Allein die Tatsache, dass bis in die<br />
1870er-Jahre das bayerische Hauptbahnnetz vollendet werden konnte,<br />
zeigt, dass die frühindustrielle Gesellschaft eine große ungenutzte<br />
Arbeiterreserve hatte.<br />
Die Arbeiter kamen zum Teil aus <strong>der</strong> näheren Umgebung <strong>der</strong> Baustellen,<br />
zum Teil aus entfernteren Landesteilen und aus benachbarten<br />
deutschen Staaten. Auch Auslän<strong>der</strong>, vor allem Böhmen und Italiener,<br />
arbeiteten beim Bahnbau in Bayern; sie waren beson<strong>der</strong>s dann willkommen,<br />
wenn nicht genügend einheimische Arbeitskräfte zur Verfügung<br />
standen. Neben den wenigen in leiten<strong>der</strong> Funktion tätigen<br />
Ingenieuren bildeten die weitaus größere Gruppe die in Bauberufen<br />
geübten Handwerker wie Maurer, Zimmerleute, Schlosser, Schmiede,<br />
die vor allem bei Brücken-, Damm- und Tunnelbauten und bei<br />
<strong>der</strong> Errichtung <strong>der</strong> Stationsanlagen beschäftigt waren. Das Gros <strong>der</strong><br />
Eisenbahnbauarbeiter stellten diejenigen Personen, die Erd-, Transport-<br />
und Handlangerarbeiten verrichteten, meist Wan<strong>der</strong>arbeiter<br />
und Taglöhner, die keinen Beruf erlernt hatten o<strong>der</strong> in ihrem Beruf<br />
keine Arbeit fanden. Diese Arbeiter entstammten <strong>der</strong> Unterschicht<br />
Der Eisenbahndamm in Lindau in einer Fotografie von 1902.<br />
bzw. wurden ihr zugerechnet, sobald sie beim Bahnbau arbeiteten.<br />
Viele hatten keinen festen Wohnsitz und lebten von <strong>der</strong> Hand in<br />
den Mund. Die Armenkassen wurden allgemein häufig in Anspruch<br />
genommen, und wenn es nur zur Deckung <strong>der</strong> Reisekosten bis zur<br />
nächsten Baustelle o<strong>der</strong> zum Heimatort war.<br />
Auch Frauen stellten einen beträchtlichen Teil <strong>der</strong> beim Bahnbau Beschäftigten.<br />
Noch in den 1860er-Jahren wurde eine Heiratserlaubnis<br />
nur bei gesichertem „Nahrungsstand“ und Ansässigmachung erteilt.<br />
Dies führte zwangsläufig dazu, dass viele mittellose Paare ohne Trauschein<br />
zusammenlebten. So kam es, „daß tausende von Arbeitern<br />
mit ihren Geliebtinen beim Bahnbau sich beschäftigten, und es zur<br />
größten Seltenheit zählte, wenn eine ledige Person weiblichen Geschlechtes<br />
ohne ihren Geliebten in Arbeit trat; es ist sogar ... Praxis<br />
geworden, daß ledige Weibsleute allein gar nicht aufgenommen<br />
werden, weil diese erfahrungsgemäß lie<strong>der</strong>liche Dirnen sind, welche<br />
nicht selten die Venerie [Syphilis] auf den Bauplätzen verbreiten“.<br />
(Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Verkehrsarchiv 6408, 5. Feb. 1870)<br />
Ein gesundheitspolitisches Problem war die bahnbaubedingte Verbreitung<br />
von Geschlechtskrankheiten. Die vorgeschriebenen Untersuchungen<br />
vor Arbeitsaufnahme waren offensichtlich unzulänglich,<br />
denn immer wie<strong>der</strong> traten erkrankte Personen die Arbeit an. Auch<br />
die Zunahme von nichtehelichen Geburten wurde dem Eisenbahnbau<br />
zugeschrieben. Erst das Gesetz über Heimat, Verehelichung und<br />
Aufenthalt von 1868 ließ einen langsamen Rückgang <strong>der</strong> Konkubinate<br />
erwarten. Der Anteil tatsächlich bei Bauarbeiten mitwirken<strong>der</strong><br />
Frauen dürfte kaum mehr als 15 bis 20 Prozent betragen haben.<br />
Ein Bericht des Stadtmagistrats Furth im Wald (Staatsarchiv Amberg,<br />
BA Cham 1104, 20. Aug. 1859) wirft ein Schlaglicht auf<br />
die soziale Lage <strong>der</strong> Bahnbauarbeiter: „Von den auf Grund erlangter<br />
Arbeiter-Aufnahme- u[nd] ärztlicher Visitationskarten mit<br />
landgerichtl[ichen] Aufenthalts-Karten für den Stadtgemeinde-Bezirk<br />
Furth versehenen Weibspersonen benützt ein großer Theil diese<br />
Karten lediglich nur zum Aufenthalte dafür (:bei ihren Liebhabern:)<br />
ohne alle Arbeit, wie dieß bei Eva Hammer und Barbara Lang, welche<br />
seit ihrem Hiersein ohne Arbeit sind, und wovon die erstere erst<br />
jüngst, die letztere vor 6 Wochen unehel[iche] Kin<strong>der</strong>, diese noch
insbeson<strong>der</strong>e ein total erblindetes und sieches Mädchen, geboren<br />
haben, <strong>der</strong> Fall, und belästigen durch Borgen, Bettel und Holzdiebstähle<br />
mit ihren Kin<strong>der</strong>n die Gemeinde; manches led[ige] Paar weiß<br />
sich sogar landgerichtliche Aufenthaltskarten zum Aufenthalte in<br />
ein- u[nd] demselben <strong>Haus</strong>e zu verschaffen, wie dieß bei Mathias<br />
Zintl und Anna Frischholz <strong>der</strong> Fall, die man vorgestern auf erfolgte<br />
Gendarmerie-Anzeige ortspolizeilich auseinan<strong>der</strong> schaffen mußte<br />
... Wo nur die angestrengteste u[nd] ununterbrochene Arbeit kaum<br />
den Arbeiter selbst ausreichend nährt, ist keine Möglichkeit vorhanden,<br />
daß von diesem auch arbeits- u[nd] verdienstlose zweite u[nd]<br />
dritte u[nd] noch mehr solche Personen ernährt werden könne, es<br />
liegt also die gegründete Annahme vor, daß diese sich auf unerlaubte<br />
Weise nähren u[nd] die Aufenthalts-Gemeinde belästigen, abgesehen<br />
von an<strong>der</strong>en Ungehörigkeiten.“<br />
Insgesamt hatten die Polizeibehörden viel Arbeit mit den Bahnbauarbeitern.<br />
Ruhe- und Ordnungsstörungen, Raufereien und Diebstähle<br />
waren an <strong>der</strong> Tagesordnung, auch schwere Kriminalität kam vor.<br />
Die Delikte reichten vom „Nachtschwärmen“ bis zum „Konkubinat“,<br />
vom Werkzeugdiebstahl bis zum Totschlag. In Etterzhausen wurden<br />
Anfang Juni 1871 drei Italiener nach einem Gaststättenbesuch von<br />
Unbekannten überfallen, einer <strong>der</strong> Italiener kam dabei durch einen<br />
Messerstich ins Genick ums Leben. Mögliche Motive für dieses grausame<br />
Verbrechen sah man darin, dass sich einheimische Burschen<br />
durch die Italiener in ihren Verdienstchancen beim Bahnbau o<strong>der</strong>,<br />
was subjektiv schwerer wog, in ihren Aussichten „bei <strong>der</strong> Etterzhausener<br />
‚Damenwelt‘“ beeinträchtigt fühlten. Die Bauleitung bat die<br />
Regierung <strong>der</strong> Oberpfalz dringendst um Verstärkung <strong>der</strong> Gendarmerie<br />
an <strong>der</strong> Strecke Neumarkt—Regensburg, nachdem kurz zuvor<br />
<strong>der</strong> Gendarmerie-Stationskommandant von Laaber von Bahnbauarbeitern<br />
erschlagen worden war.<br />
Häufig mussten Ordnungskräfte den sozialen Frieden an den Bauplätzen<br />
schützen o<strong>der</strong> wie<strong>der</strong>herstellen. Auseinan<strong>der</strong>setzungen gerade<br />
bei den Lohnauszahlungen waren nicht selten und manchmal<br />
auch berechtigt. Es gab Akkordanten, die den Arbeitern den ihnen<br />
zustehenden Lohn vorenthielten. Einen sehr schlechten Ruf hatte <strong>der</strong><br />
Akkordant Klein, <strong>der</strong> 1898 Bahnbauarbeiten bei Plattling leitete. Un-<br />
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Das 1857 entstandene<br />
Aquarell von<br />
Eduard Gerhardt<br />
lässt erkennen,<br />
wie die Eisenbahn<br />
die Landschaft bei<br />
Regenstauf durchschneidet.<br />
ter den etwa 400 Arbeitern herrschte „große Mißstimmung“ gegen<br />
ihn, da er die Arbeiter ausnutzte, schlecht behandelte und schlecht<br />
bezahlte. Die Anwesenheit von Polizisten bei den Lohnauszahlungen<br />
wurde an allen Bahnbaustellen üblich.<br />
In ländlichen Gegenden hatte sich vor <strong>der</strong> Zeit des Bahnbaus in <strong>der</strong><br />
Regel kaum eine größere Anzahl Frem<strong>der</strong> für längere Zeit aufgehalten.<br />
Allem Unbekannten begegnete man mit Skepsis und manchem<br />
Vorurteil, umso mehr, als die Bahnbauarbeiter einen schlechten Ruf<br />
hatten. Vor allem für die frühe Zeit des Bahnbaus gilt, dass die Arbeiter<br />
trotz schwerster Arbeit nicht genug verdienten, um eine Familie<br />
zu ernähren und eine Heiratserlaubnis zu bekommen. Illegales Zusammenleben<br />
und Selbstversorgung <strong>der</strong> Angehörigen durch Bettelei,<br />
Diebstahl und Prostitution waren die Konsequenzen, denen man nur<br />
mit polizeilichen Zwangsmaßnahmen zu begegnen wusste.<br />
Eine deutsch-italienische Romanze um 1870<br />
Aber es gab sicherlich auch positive Begegnungen zwischen <strong>der</strong> Bevölkerung<br />
und den Eisenbahnbauarbeitern, auch wenn sie von <strong>der</strong><br />
staatlichen und kirchlichen Führung als Gefahren für Moral und<br />
Sitte galten. Gerade die Anwesenheit von Italienern war nicht ohne<br />
Reize für die weibliche Bevölkerung. Eine deutsch-italienische Romanze,<br />
die sich um 1870 beim Bau <strong>der</strong> Strecke Regensburg—Nürnberg<br />
zugetragen haben soll, schil<strong>der</strong>t Joseph Schlicht in <strong>der</strong> humorvollen<br />
Skizze „Der italiänisch Bua und’s boarisch Dianl“: Ein Bauer<br />
gab einem bei Felsensprengungen arbeitenden Italiener Quartier:<br />
„und dieser? – hinterläßt allerdings einige Eisenbahngul<strong>der</strong>ln als<br />
Herbergszins, brennt aber dafür mit dem blutjungen liebedürstenden<br />
Töchterl durch in’s Land <strong>der</strong> süßen goldenen Pomeranzen“. Zum<br />
Glück war die per Telegraf eingeleitete Suche bald erfolgreich: In<br />
einem Gasthaus in Bregenz wurde das Paar entdeckt und das 17-jährige<br />
Mädchen nach <strong>Haus</strong>e geschickt, wo es sich bald mit einem bayerischen<br />
Bauern verheiratete. (Joseph Schlicht, Bayerisch Land und<br />
Bayerisch Volk, München 1875, S. 368–370)<br />
67
68 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
meisterwerke Der technik<br />
Einige Meisterleistungen <strong>der</strong> Ingenieurskunst wurden schon<br />
beim Bau <strong>der</strong> Ludwig-Nord-Süd-Bahn in den 1840er Jahren<br />
vollbracht. Der Tunnel durch den Burgberg in Erlangen gilt<br />
als ältester Bahntunnel Bayerns. Er wurde 1841/44 gebaut und ist 341<br />
Meter lang. Das Südportal wird noch heute von zwei bayerischen Löwen<br />
bewacht.<br />
Große Höhenzüge waren im Farnkenwald zwischen Bamberg und<br />
Hof zu überwinden. Eine beson<strong>der</strong>e Attraktion ist noch heute die<br />
Schiefe Ebene zwischen den Bahnhöfen Neuenmarkt-Wirsberg und<br />
Marktschorgast im Kreis Kulmbach, eine <strong>der</strong> steilsten Eisenbahnstrecken<br />
in Deutschland. Zur Bauzeit (1844–1848) war dies die erste<br />
Strecke in Europa, die den großen Höhenunterschied von 158 Metern<br />
bei einer konstanten Steigung von 1:40 (25 Prozent) überwand.<br />
Auf bis zu 32 Meter hohen Steindämmen, drei Straßen- und zehn<br />
Bahnbrücken und einer Reihe von Durchlässen und Wasserkaskaden<br />
lehnt sich die Trasse an die Berghänge und überquert Seitentäler.<br />
Nach <strong>der</strong> ursprünglichen Planung sollten die Züge auf drei Rampen<br />
mithilfe von Seilen und ortsfesten Dampfmaschinen hochgezogen<br />
werden. Durch kostengünstigere technische Neuentwicklungen aus<br />
Amerika wurde es möglich, die sieben Kilometer lange Trasse mit<br />
nur einer zusätzlichen Vorspannlokomotive (später Schiebebetrieb)<br />
und ohne weitere technische Hilfsmittel zu befahren. Die Schiefe<br />
Ebene gilt als Prototyp aller späteren Gebirgsbahnen.<br />
Als beson<strong>der</strong>s beeindruckende Leistung beim Bau <strong>der</strong> 1854 eröffneten<br />
Ludwigs-West-Bahn Bamberg—Schweinfurt—Würzburg—<br />
Aschaffenburg gilt <strong>der</strong> fast einen Kilometer lange Schwarzkopftunnel<br />
bei Heigenbrücken, <strong>der</strong> Scheiteltunnel <strong>der</strong> Main-Spessart-Bahn, <strong>der</strong><br />
den Durchbruch vom Aubach- bzw. Lohrtal ins Aschafftal herstellte.<br />
Wegen des großen Lokomotivenaufwands für den Schiebe- und<br />
Vorspannverkehr auf <strong>der</strong> Spessartrampe waren in Heigenbrücken<br />
umfangreiche Gleisanlagen erfor<strong>der</strong>lich. Da am Bahnhof auch<br />
Schnellzüge hielten, entwickelte sich <strong>der</strong> Ort zu einer beliebten Sommerfrische.<br />
Der Tunnel von Heigenbrücken fand 1977 Eingang in das<br />
Gemeindewappen. In bayerischen Beamtenkreisen scheint dieser Ei-<br />
Der Burgbergtunnel in Erlangen in einem weit verbreiteten Stahlstich<br />
nach Carl August Lebschée.<br />
senbahntunnel früher eine gefürchtete „Laufbahn-Schwelle“ gewesen<br />
zu sein. Es ging die Redensart: „Wenn du einmal durch den Tunnel<br />
von Heigenbrücken bist, kommst du nicht mehr zurück!“ Mancher<br />
Staatsdiener befürchtete, dass es bei einer Versetzung in den Raum<br />
Aschaffenburg nie mehr eine Rückkehr in die Heimat geben werde.<br />
Eisenbahnbrücken<br />
Die Überquerung von Flüssen stellte beim Bahnbau eine beson<strong>der</strong>e<br />
technische Herausfor<strong>der</strong>ung dar, die soweit möglich vermieden<br />
wurde. Deshalb wurde beispielsweise die Stadt Deggendorf 1859/60<br />
nicht an die Ostbahn angeschlossen; weit kostengünstiger war es, die<br />
Bahn auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite <strong>der</strong> Donau über Plattling Richtung Passau<br />
zu führen. Größere Brückenbauten waren meist langjährige und<br />
teure Großbaustellen mit vielfältigen technischen Problemen.<br />
Die Großhesseloher Brücke wurde in den Jahren 1851 bis 1857 mit <strong>der</strong><br />
Strecke München—Holzkirchen erbaut. Sie überquerte südlich von<br />
München in einer Höhe von 31 Metern die Isar. Höher war zu dieser Zeit<br />
nur die 1846/51 erbaute Göltzschtalbrücke bei Reichenbach im Vogtland<br />
an <strong>der</strong> Bayerisch-Sächsischen Eisenbahn (78 Meter hohe Ziegelbrücke<br />
mit bis zu vier Etagen). Die Planung <strong>der</strong> Brücke mit den linsenförmigen<br />
Fachwerkträgern, auch Fischbauch- o<strong>der</strong> Pauli-Träger genannt, lag bei<br />
Friedrich August von Pauli, die Ausführung bei <strong>der</strong> Brückenbauanstalt<br />
Klett, Nürnberg. Die Brücke wurde 1908/09 teilweise erneuert, später<br />
wie<strong>der</strong>holt mo<strong>der</strong>nisiert und 1983/85 ganz neu gebaut.<br />
Die erste elektrisch betriebene Bergbahn in Bayern war die 1912 eröffnete<br />
Wendelsteinbahn. Die vom Industriellen Otto von Steinbeis<br />
gebaute 10 Kilometer lange schmalspurige Zahnradbahn mit eigenem<br />
Kraftwerk überwand von Brannenburg am Inn über zwölf Brücken,<br />
acht Galerien und sieben Tunnel einen Höhenunterschied von<br />
1250 Metern bis zum 1838 Meter hohen Wendelstein. Bei <strong>der</strong> damals<br />
größten Baustelle in Bayern waren viele Italiener und Kroaten mit<br />
Felsarbeiten beschäftigt.<br />
Die um 1851 entstandene Lithografie von G. Könitzer feiert die technische<br />
Meisterleistung <strong>der</strong> Schiefen Ebene durch den Frankenwald.
Das Flügelrad, ein<br />
Symbol für den<br />
Eisenbahnverkehr,<br />
steht für die große<br />
Bedeutung <strong>der</strong><br />
Eisenbahn in <strong>der</strong><br />
Entwicklung <strong>der</strong><br />
oberfränkischen Gemeinde<br />
Neuenmarkt.<br />
Das zuvor unbedeutende<br />
kleine Bauerndorf<br />
mit 57 Häusern<br />
erlebte seit dem<br />
Bau <strong>der</strong> Schiefen<br />
Ebene eine rasante<br />
Entwicklung.<br />
Die um 1860 entstandene Ansicht von J. Buck zeigt die Eisenbahnbrücke bei Kempten.<br />
Am 4. April 1909<br />
berichtet <strong>der</strong><br />
Schreiber dieser<br />
Postkarte, die die<br />
Eisenbahnbrücke<br />
bei Kempten zeigt:<br />
„Sind gut angekommen;<br />
fahren<br />
mit dem Eilzug um<br />
9.47 nach Lindau<br />
weiter.”<br />
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Der 1863 entstandene Stahlstich<br />
von Karl August Lebschée zeigt<br />
die in den Jahren 1851 bis 1857<br />
erbaute Isarbrücke bei Großhesselohe.<br />
Die kolorierte Postkartenfotografie einer mehrteiligen Serie<br />
dokumentiert die eindrucksvolle Schlossbach-Brücke <strong>der</strong><br />
Mittenwaldbahn.<br />
69
70 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
1864 hielt Karl Herrle die Eisenbahnbrücke über den Main bei Würzburg-Heidingsfeld<br />
in einer Strichzeichnung fest.<br />
Das 1859 entstandene Aquarell von Albert Emil Kirchner zeigt die bis<br />
1859 von <strong>der</strong> Ostbahngesellschaft errichtete Donaubrücke bei Regensburg-Schwabelweis.<br />
Die Portale im Stil <strong>der</strong> Maximiliansgotik wurden im<br />
Zuge des Brückenneubaus 1933 beseitigt.<br />
Das Aquarell von Albert Emil Kirchner zeigt die bis 1859 von <strong>der</strong><br />
Ostbahngesellschaft errichtete Donaubrücke bei Regensburg-Schwabelweis.<br />
Die Portale im Stil <strong>der</strong> Maximiliansgotik wurden im Zuge des<br />
Brückenneubaus 1933 beseitigt.<br />
Die Hackerbrücke München, eine <strong>der</strong> wenigen erhaltenen Stahlbogenbrücken<br />
aus dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t, wurde 1890 bis 1894 von <strong>der</strong><br />
MAN erbaut; sie überspannt die Gleisanlagen im Vorfeld des Münchner<br />
Hauptbahnhofs.<br />
Die 1904 eröffnete Bahnstrecke Passau-Hauzenberg war standortbestimmend<br />
für die Granitunternehmen in dieser „steinreichen“ Region.<br />
Sie zählt heute mit den zahlreichen Natursteinbrücken zu den<br />
schönsten Eisenbahnstrecken Deutschlands. Beim Brückenbau wurden<br />
bevorzugt italienische Arbeiter eingesetzt, die als Spezialisten für solche<br />
Natursteinbauten wie die hier gezeigte Brücke im Erlautal galten.
Dem Weitblick des 1860 aus Baden nach Brannenburg zugezogenen Kommerzienrats<br />
Otto von Steinbeis ist es zu verdanken, dass auf den Wendelstein eine <strong>der</strong> ersten<br />
Bergbahnen Deutschlands gebaut wurde. Steinbeis verfügte über die nötigen finanziellen<br />
Mittel, hatte Durchsetzungskraft und Erfahrung im Bahnbau. Die meisten <strong>der</strong><br />
800 Arbeiter, die er für den Bau <strong>der</strong> Wendelsteinstrecke benötigte, rekrutierte er in<br />
Bosnien und Kroatien, wo er bereits Schmalspurbahnen für den Holztransport erbaut<br />
hatte.<br />
Auch wenn es in Brannenburg zu Beginn des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts noch keinen Strom<br />
gab, kam ein Dampfzug für Otto von Steinbeis nicht in Frage. „Seine“ Zahnradbahn<br />
sollte mit elektrischer Energie fahren. In Hinterkronberg wurde ein Wasserkraftwerk<br />
mit zwei Turbinen zur Erzeugung von Gleichstrom für die Zahnradbahn errichtet, das<br />
die Bremsenergie des Zuges bei <strong>der</strong> Talfahrt für die gleichzeitige Bergfahrt ausnutzt<br />
- hier zeigt sich <strong>der</strong> Weitblick des Pioniers. Um die Brannenburger von den Vorteilen<br />
<strong>der</strong> Elektrizität zu überzeugen, griff Steinbeis zu einer List: Er erleuchtete seine Villa<br />
in <strong>der</strong> Nacht taghell, bis sich schließlich auch die Einwohner von Brannenburg und<br />
Flintsbach an die mo<strong>der</strong>ne Zeit anschlossen und Strom aus dem Kraftwerk in Hinterkronberg<br />
bezogen.<br />
Für die Arbeiter an <strong>der</strong> Zahnradbahn wurde <strong>der</strong> Wendelstein zwei Jahre lang zur<br />
Heimat. Sie arbeiteten bei je<strong>der</strong> Witterung, selbst im Winter, und mit härtestem<br />
körperlichen Einsatz an <strong>der</strong> 9,95 Kilometer langen, zu zwei Drittel sehr steilen Strecke<br />
und errichteten sieben Tunnels, acht Galerien, zwölf Brücken und aufwändige Stützmauern.<br />
Jeden Samstagabend gab es ein Fass Freibier für die Männer; so wurde aus<br />
dem Sonntag für die meisten tatsächlich ein Ruhetag und am Montag früh waren alle<br />
wie<strong>der</strong> zur Stelle.<br />
Werkzeug, Baumaterial und Lebensmittel wurden mit Pferden o<strong>der</strong> Mulis zur Baustelle<br />
beför<strong>der</strong>t, im steilen Gelände setzte man auch Seilwinden ein. Die Trasse wurde<br />
mit einfachstem Handwerkszeug – Pickel, Hammer, Meißel und Schaufel – errichtet;<br />
über 1000 Kubikmeter Aushubmaterial wurde an <strong>der</strong> Bergseite abgetragen und auf<br />
<strong>der</strong> Talseite wie<strong>der</strong> aufgeschüttet. Insgesamt verbrauchte man 35000 kg Schwarzpulver.<br />
Wenn man bedenkt, dass man in ein von Hand geschlagenes Bohrloch maximal<br />
2 kg Sprengstoff brachte, so kann man sich ausrechnen, wie viele Sprenglöcher<br />
gebohrt werden mussten. Das Steinfundament für die Schienen wurde von Hand mit<br />
dem Handstampfer und einem Kramperpickel bearbeitet.<br />
Das imposanteste und schwierigste Bauwerk <strong>der</strong> Strecke ist die 127 Meter lange<br />
„Hohe Mauer“ mit einer Höhe von 17 Metern. Der Schienenverlauf lässt die Bahn in<br />
den Berg verschwinden und führt sie in einem sehr engen Bogen zum Bergbahnhof<br />
unterhalb des Wendelsteinkircherls. Im letzten Tunnel erreicht die Strecke ihre größte<br />
Steigung mit 23,7 Prozent.<br />
Am 12. Mai 1912 befuhr <strong>der</strong> erste Zug die Strecke, die am 25. Mai feierlich eingeweiht<br />
wurde. Betrug die Fahrzeit damals 75 Minuten, so ist man heute dank zweier mo<strong>der</strong>ner<br />
Doppeltriebwagen in 20 (Bergfahrt) bzw. 30 Minuten (Talfahrt) am jeweiligen Ziel.<br />
johann Vogt<br />
www.wendelsteinbahn.de<br />
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
71
72 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Karl Herrle dokumentierte den Bau <strong>der</strong> Ludwigs-Nord-Südbahn in heute idyllisch anmutenden Bil<strong>der</strong>n, hier <strong>der</strong> Bahnhof von Schwabmünchen (um 1850).<br />
bahnhöFe, staDt-<br />
unD raumentwickLung<br />
Mit dem Bau von Eisenbahnen waren Bahnhöfe anzulegen<br />
und städtebaulich zu integrieren. Zudem wurden an Eisenbahnknotenpunkten<br />
ausgedehnte Areale durch Rangieranlagen,<br />
Stellwerke, Lokschuppen und Wartungseinrichtungen<br />
belegt. Die ersten Bahnhöfe waren häufig nur provisorische Einsteighallen<br />
aus Holz, doch schon bald entstanden vor allem an wichtigen<br />
Verkehrsknotenpunkten repräsentative Gebäudekomplexe in den<br />
verschiedenen Stilrichtungen des Historismus. Das Formenreservoir<br />
reichte von <strong>der</strong> Antike über die Gotik und Renaissance bis zum Barock;<br />
meistens fanden sich die Stilelemente in einer Mischform wie<strong>der</strong>.<br />
Am Bahnhof zeigte sich dem Reisenden <strong>der</strong> „erste Eindruck“<br />
einer Stadt. Gerade großstädtische Bahnhöfe mit ihrer Zweiteilung<br />
in Bahnsteighalle und Empfangsgebäude wurden zu viel beachteten<br />
Prestigeobjekten. Während in <strong>der</strong> Bahnsteighalle, überwiegend<br />
in Eisen und Glas ausgeführt, die Technik dominierte, setzten die<br />
in Stein gebauten Empfangsgebäude einen <strong>der</strong> Stadt zugewandten<br />
städtebaulichen Akzent. Der Bahnhof entwickelte sich zum Zentrum<br />
des gesellschaftlichen und politischen Lebens, wurde Schauplatz für<br />
große Empfänge und Abschiede, aber auch ein Ort des ganz individuellen<br />
Willkommens und Auseinan<strong>der</strong>gehens. Beson<strong>der</strong>en Charakter<br />
hatten Grenzbahnhöfe mit ihren ausgedehnten Gleisanlagen und<br />
Zolleinrichtungen. An kleineren Bahnstationen fielen die Bahnhofsgebäude<br />
in <strong>der</strong> Regel bescheidener aus. Da meist ein Architekt für<br />
ganze Streckenbereiche zuständig war, setzten sich bewährte, zweckmäßige<br />
Gebäudetypen durch, die je nach örtlichem Bedarf in <strong>der</strong><br />
Größe variabel in Serie gebaut wurden, wie zum Beispiel Gottfried<br />
Neureuthers Typensystem mit vier Größenkategorien o<strong>der</strong> Eduard<br />
Rübers „Normalpläne“ mit sechs Klassen. Die Bahnhöfe mit ihren<br />
Vorplätzen o<strong>der</strong> Empfangshallen waren beliebte Postkartenmotive.<br />
Auch gesellschaftliche Ereignisse wie Staatsbesuche, Jubiläen o<strong>der</strong><br />
Paradekonzerte, aber auch <strong>der</strong> Abschied o<strong>der</strong> die Heimkehr von<br />
Truppen wurden auf Postkarten festgehalten. Die Eisenbahnpostkarten<br />
vermitteln heute einen nostalgischen Eindruck vom pulsierenden<br />
Leben im Umkreis <strong>der</strong> Bahnstationen und von <strong>der</strong> sich wandelnden<br />
Stadtlandschaft.<br />
Bahnhöfe in Bayern<br />
In den letzten Jahren vollzog sich ein grundlegen<strong>der</strong> Wandel in den<br />
Bahnhöfen. Die großen Bahnhöfe wurden vielfach zu Einkaufspassagen<br />
mit diversen Verpflegungseinrichtungen umfunktioniert, während<br />
kleine Bahnhöfe durch Automatisierung und Elektronisierung<br />
des Betriebs ihre ursprüngliche Funktion verloren haben. Einige<br />
Stationsgebäude werden für Wohn- und Geschäftszwecke genutzt,<br />
stehen zum Verkauf o<strong>der</strong> wurden abgerissen.<br />
Zwischen den Bahnhöfen lagen auf freier Flur entlang <strong>der</strong> Bahnstrecken<br />
an den Schienen-Straßen-Kreuzungen die inzwischen fast völlig<br />
verschwundenen Bahnwärterhäuschen, in denen oft weit abseits<br />
<strong>der</strong> Ortschaften Familien wohnten, einen kleinen Garten bestellten<br />
und vielleicht Kleinvieh für den eigenen Bedarf hielten. In diesen<br />
auf Bil<strong>der</strong>n häufig nostalgisch verklärten Ensembles ging es in erster<br />
Linie darum, die vom Bahnverkehr ausgehenden Gefahren unter<br />
Kontrolle zu halten. Allein die Ostbahn AG erbaute bis 1861 in ihrem<br />
bis dahin auf 450 Kilometer angewachsenen Streckennetz 303<br />
Bahnwärterhäuser, 43 Wachthäuser aus Stein und 68 provisorische<br />
Holzhütten für die Überwachung.
Die Bahnstation Günzach im alpenländischen Stil von Karl Herrle (um 1855).<br />
Der Bahnhof von Erlangen in dem von Lorenz Valentin<br />
Kleinknecht verfassten „Allgemeinen Taschenatlas <strong>der</strong><br />
europäischen Eisenbahnen“ von 1845 und die Bahnhöfe<br />
von Nürnberg und Augsburg im „Ortsanzeiger für Reisende<br />
auf <strong>der</strong> Ludwigs-Süd-Nord-Bahn von München bis Hof und<br />
von Augsburg bis Lindau“ von 1854.<br />
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Der 1854 fertig gestellte und für das damalige Dorf eigentlich überdimensionierte Bahnhof<br />
Veitshöchheim unmittelbar an <strong>der</strong> Sommerresidenz des bayerischen Königshauses erhielt<br />
neben <strong>der</strong> öffentlichen Empfangshalle einen über einen Wandelgang erreichbaren Königspavillon.<br />
König Ludwig I. hatte verhin<strong>der</strong>t, dass die Bahntrasse direkt durch den Schlosspark<br />
geführt wurde. Veitshöchheim mit dem berühmten Rokokogarten wurde zu einem<br />
beliebten Ausflugsziel.<br />
Der von Friedich Bürklein (1813–1872) und Jakob Graff (1820–1906) entworfene und bis<br />
1871 erbaute Bahnhof von Simbach mit dem 108 Meter langen Empfangsgebäude mit den<br />
markanten Rundbogentüren im Erdgeschoss gilt als einer <strong>der</strong> eindrucksvollsten Bahnhöfe<br />
in Bayern, dem jedoch seit längerem eine angemessene Nutzung fehlt. Die Postkarte gibt<br />
einen Hinweis auf die herzhafte Verköstigung, die das Bahnhofsrestaurant bot.<br />
73
74 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Die kolorierte Fe<strong>der</strong>zeichnung von 1860 zeigt einen Entwurf des<br />
Würzburger Bahnhofs von Gottfried von Neureuther, dem Erbauer zahlreicher<br />
Bahnhöfe in Bayern.<br />
Auf dem Aquarellentwurf für eine Ansichtskarte hat Eugen Felle das<br />
Bahnhofsgebäude von Pocking eigens herausgehoben.<br />
Die Postkarte von 1906 zeigt den 1863 errichteten Bahnhof von Würzburg,<br />
<strong>der</strong> den 1852 erbauten Ludwigsbahnhof ersetzte, dessen Kapazitäten<br />
bereits zehn Jahre später nicht mehr ausreichten. Das Gebäude im Stil <strong>der</strong><br />
Neo-Renaissance entstand nach Plänen des Königlichen Baurats Gottfried<br />
von Neureuther.<br />
Der Münchner Hauptbahnhof in einem nach<br />
einer Zeichnung von Jobst Riegel gestochenen<br />
Stahlstich von 1863 (links) sowie die<br />
„Einstieghalle“ in einer Lithografie von 1854.<br />
Die am 2. Oktober 1903 versandte Postkarte zeigt das Bahnhhofsgebäude<br />
in Bärnau in <strong>der</strong> Oberpfalz – eine Bahnhofsarchitektur, wie sie<br />
vielerorts zu finden war..
Mit <strong>der</strong> Eisenbahn zur Erholung aufs Land: Auf <strong>der</strong> Rückseite<br />
dieser Werbepostkarte empfiehlt sich das Bahnhofshotel<br />
in Wiesmühl bei Tittmoning wie folgt: „Gut eingerichtete<br />
Fremdenzimmer zu mäßigen Preisen“.<br />
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Das um 1880/1900 entstandene Foto (links)<br />
zeigt den Grenzbahnhof Bayerisch-Eisenstein.<br />
Ab 1953 teilte <strong>der</strong> „Eiserne Vorhang“ mit hohen<br />
Stahlplatten und Drahtzaun die Bahnhofsanlage<br />
in zwei Teile. Der Grenzbahnhof wurde 1991<br />
durch Bundeskanzler Helmut Kohl feierlich<br />
wie<strong>der</strong>eröffnet (unten). Seit 2006 kann man<br />
mit <strong>der</strong> Waldbahn wie<strong>der</strong> über die Grenze bis<br />
Špicák/Spitzberg im Böhmerwald fahren.<br />
Anlässlich <strong>der</strong> Eröffnung des Alten Bahnhofs in Garmisch am 25. Juli 1889 versammelten<br />
sich die örtlichen Honoratioren an dem mit Girlanden geschmückten Gebäude.<br />
… und manchmal wird aus einem aufgelassenen Bahnhof ein ESS-Bahnhof, wie hier<br />
in Rimsting, wo zwei ambitionierte Gastwirte den 1911 erbauten und 1981 geschlossenen<br />
Bahnhof zu neuem Leben erwecken (www.kulturbahnhof-rimsting.de).<br />
Der Bahnhof St. Ottilien hat eine gewisse Berühmtheit erlangt – gäbe es einen<br />
Wettbewerb „Unser Bahnhof soll schöner werden“ – St. Ottilien wäre <strong>der</strong> Favorit!<br />
Das pensionierte Bahnwärterehepaar Polke sorgt Jahr für Jahr für den blühenden<br />
Blumenschmuck. Das im Jahr 1938 errichtete Bahnhofsgebäude an <strong>der</strong> Strecke<br />
Augsburg-Weilheim, die 1898 als „Ammerseebahn“ eröffnet wurde, zeigt an <strong>der</strong><br />
Stirnseite ein Fresko, das auf die beson<strong>der</strong>e Bedeutung dieses Bahnhofs hinweist: Ein<br />
Missionar im Benediktinergewand begegnet Menschen aus verschiedenen Erdteilen<br />
– ein Hinweis auf die Missionstätigkeit des Klosters St. Ottilien.<br />
75
76 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
ein neuer beruFsstanD:<br />
Der eisenbahner<br />
Die Bahn entwickelte sich bis zur Jahrhun<strong>der</strong>twende zum<br />
weitaus größten Arbeitgeber im Königreich Bayern. Beson<strong>der</strong>s<br />
an Eisenbahnknotenpunkten mit ihren zentralen Betriebseinrichtungen,<br />
Werkstätten und Verwaltungsstellen verän<strong>der</strong>te<br />
die Bahn den Arbeitsmarkt völlig. Der Eisenbahndienst bot eine große<br />
Anzahl von Arbeitsplätzen für Personen mit unterschiedlichster<br />
Vorbildung, in den verschiedensten Bereichen und Diensträngen,<br />
mit innerbetrieblichen Qualifikations- und Aufstiegsmöglichkeiten,<br />
unterwegs im Fahrdienst o<strong>der</strong> standortgebunden, vom Bauingenieur<br />
und Juristen über den Lokomotivführer, Schlosser, Heizer und<br />
Kontrolleur bis zum Gepäckträger. Die neuen Möglichkeiten im<br />
Bahndienst for<strong>der</strong>ten berufliche Flexibilität und örtliche Mobilität.<br />
Allein die Staatsbahnverwaltung verzeichnete zwischen dem Gründungsjahr<br />
1844 und dem Jahr 1914 ein immenses Wachstum von<br />
einigen Hun<strong>der</strong>t auf über 65000 Beschäftigte. Daneben gab es aber<br />
auch noch private Bahngesellschaften als Arbeitgeber.<br />
Ein eigenes Verkehrsministerium für Bayern<br />
Der stark angestiegenen Bedeutung des Verkehrssektors trug die Ausglie<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Verkehrsabteilung aus dem Außenministerium und<br />
die Einrichtung eines eigenen Staatsministeriums für Verkehrsangelegenheiten<br />
Rechnung, das von 1904 bis 1920 bestand. Das repräsentative<br />
Ministerialgebäude wurde von 1905 bis 1912 an <strong>der</strong> Arnulfstraße<br />
in unmittelbarer Nähe des Münchner Hauptbahnhofs errichtet.<br />
Es beherbergte im Untergeschoss die zentrale Briefsortieranlage <strong>der</strong><br />
Post, die mit einer unterirdischen Kleinbahn mit dem Hauptbahnhof<br />
verbunden war. Mit <strong>der</strong> Zunahme des Bahnverkehrs ging allgemein<br />
die Ausweitung des Post- und Telegrafenwesens einher.<br />
Schon 1920 endet die kurze <strong>Geschichte</strong> des bayerischen Verkehrsministeriums.<br />
Die Weimarer Verfassung von 1919 verfügte, dass die<br />
bayerischen Staatsbahnen mit einem inzwischen auf etwa 8500 Kilometer<br />
angewachsenen Schienennetz <strong>der</strong> Deutschen Reichsbahn zu<br />
unterstellen sind. Damit verlor <strong>der</strong> Freistaat Bayern 1920/21 einen<br />
Großteil seiner Staatseinnahmen; die Eisenbahnen hatten regelmäßig<br />
große Überschüsse erwirtschaftet.<br />
Der Sitz <strong>der</strong> Generaldirektion <strong>der</strong> königlich bayerischen Staatseisenbahnen<br />
in <strong>der</strong> Münchner Arnulfstraße, unweit des Hauptbahnhofs.<br />
Bis zum 1.1.1908 waren Eisenbahndienstsendungen portofrei, dann<br />
mussten sie frankiert werden mit Briefmarken, die durch den Aufdruck<br />
„E“ (für Eisenbahn“) o<strong>der</strong> ein gelochtes „E“ gekennzeichnet waren.
Mit Dienstanweisungen<br />
- wie <strong>der</strong><br />
97-seitigen Anweisung<br />
für den Einsatz<br />
<strong>der</strong> Luftdruck- und<br />
<strong>der</strong> Luftsaugebremse<br />
sowie Fachbüchern<br />
wie dem Signalbuch<br />
- hier in <strong>der</strong><br />
2. Ausgabe, gültig<br />
vom 1. August 1907 -<br />
wurde die komplizierte<br />
Materie des<br />
Eisenbahnwesens<br />
in technischer wie<br />
organisatorischer<br />
Hinsicht bewältigt.<br />
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Dienstpost wurde mit eigenen<br />
Dienstsiegeln verschlossen.<br />
Da man auf <strong>der</strong> um 1910 zur Hauptbahn<br />
erklärten Ammerseebahn entsprechendes<br />
Personal benötigte, wurde das zuvor auf <strong>der</strong><br />
Saaletalbahn tätige Ehepaar Preisendörfer aus<br />
dem fränkischen Ochsenthal bei Hammelburg<br />
nach Kaltenberg versetzt. Katharina Preisendörfer,<br />
wie ihr Mann bei <strong>der</strong> Kgl. Bayer. Staatseisenbahn<br />
angestellt, war auf <strong>der</strong> Strecke zwischen<br />
Kaltenberg und Walleshausen zuständig<br />
für die Auffüllung <strong>der</strong> Signale mit Petroleum.<br />
Sie ist hier vor dem Bahnwärterhaus mit ihrem<br />
Mann August und ihrem kleinen Sohn Karl zu<br />
sehen. August Preisendörfer war bis zu seinem<br />
Tod 1958 als Streckengeher auf <strong>der</strong> Ammerseebahn<br />
unterwegs.<br />
Der 1876 gegründete Bayerische Verkehrsbeamtenverein<br />
vertrat die Interessen des<br />
mittleren Dienstes und besaß eine eigene<br />
Witwen- und Waisenkasse sowie eine Spar-<br />
und Darlehenskasse. Auch die Spardabank ist<br />
ursprünglich eine Eisenbahner-Bank.<br />
77
78 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Die Eisenbahn – ein begehrter Arbeitgeber<br />
Die Nachfrage nach Stellen bei <strong>der</strong> Bahn war meist sehr groß, denn<br />
<strong>der</strong> Bahndienst bot neben sicheren, gut bezahlten Arbeitsplätzen weitere<br />
Vorteile. Die „Eisenbahner“ wurden vom Arbeitgeber bis in das<br />
Privatleben patriarchalisch umsorgt. Soziale Sicherungen wie Krankenunterstützungs-,<br />
Invaliden- und Sterbekassen sowie Vergünstigungen<br />
wie Kantinenessen, Freifahrten, billige Kohlenversorgung<br />
und Stellung von Schrebergärten för<strong>der</strong>ten die Loyalität gegenüber<br />
dem Arbeitgeber. Die Bahn engagierte sich auch im Wohnungsbau.<br />
Beson<strong>der</strong>s an Verkehrsknotenpunkten entstanden Eisenbahnersiedlungen,<br />
die wie<strong>der</strong>um die Gruppenbildung för<strong>der</strong>ten. So wurde in<br />
Regensburg eine mehrere Straßenzüge umfassende Eisenbahnersiedlung<br />
realisiert. Am Eisbuckel östlich von Kumpfmühl und unweit des<br />
Bahngeländes erbauten die 1899 gegründete Baugenossenschaft des<br />
Verkehrspersonals und die Staatsbahnverwaltung bis 1914 insgesamt<br />
226 Wohnungen in vier geschlossenen zwei- und dreigeschossigen<br />
Gebäudegruppen.<br />
Der Eisenbahndienst wurde vielfach in <strong>der</strong> Familie „weitervererbt“,<br />
die Bahn etablierte sich als „Familienarbeitgeber“. Bei Neueinstellungen<br />
wurden Familienangehörige stets bevorzugt. In <strong>der</strong> Zentralwerkstätte<br />
Regensburg wurden um die Jahrhun<strong>der</strong>twende nur Lehrlinge<br />
aufgenommen, <strong>der</strong>en Väter Eisenbahnangehörige waren. Für<br />
den reibungslosen Ablauf des ständig anwachsenden Bahnverkehrs<br />
war loyales Personal erfor<strong>der</strong>lich, das sich mit den Interessen <strong>der</strong> Eisenbahnverwaltung<br />
identifizierte. Nur so konnte die Eisenbahn die<br />
wirtschaftliche und gesellschaftliche Schlüsselposition ausfüllen, die<br />
ihr seit den 1840er-Jahren zugewachsen war.<br />
Die Bahnbeamten sahen sich selbst als Diener des Staates. Der typische<br />
Bahnbeamte war stolz auf seine Stellung als „Amtsperson“,<br />
die er in Uniform und entsprechenden Rangabzeichen seiner Um-<br />
welt kundtun konnte, wobei das Selbstbewusstsein manches „Kondukteurs“<br />
übersteigert war, was vielfach Nie<strong>der</strong>schlag in Karikaturen<br />
und in <strong>der</strong> Literatur fand.<br />
Der Eisenbahndienst blieb bis zum Ersten Weltkrieg eine Domäne <strong>der</strong><br />
Männer. Frauen finden sich erst seit etwa 1890 zunächst als so genannte<br />
„Ablöswärterinnen“, die ihre Ehemänner im Bahnwärterdienst vertraten.<br />
Ab etwa 1900 gab es auch „Dienstfrauen“, Zugbegleiterinnen,<br />
die für die Hygiene in Schnellzügen zuständig waren. Erst nach 1908<br />
wurden Frauen als Bürogehilfinnen bei <strong>der</strong> Bahn beschäftigt.<br />
Es existieren kaum Quellen zu individuellen Lebensschicksalen von<br />
Bahnbediensteten. Eine facettenreiche Charakterschil<strong>der</strong>ung enthalten<br />
die Erinnerungen des Anton Mayer an seinen gleichnamigen<br />
Vater, <strong>der</strong> 1864 in Schwandorf in den Bahndienst eintrat. Er verkörpert<br />
ein typisches Schicksal seiner Zeit. Aus persönlichen und wirtschaftlichen<br />
Zwängen wechselte er von einem traditionellen, zeitlich<br />
und organisatorisch wenig reglementierten Handwerksberuf in den<br />
umfassend durchorganisierten Bahndienst, in dem Dienstantritt<br />
und Zugabfahrtszeiten den Tages- und Jahresablauf bestimmten.<br />
Anton Mayer sen. war vor allem auf Drängen seiner Frau zur Bahn<br />
gegangen. Schon dies beeinträchtigte seine Integrationsbereitschaft<br />
im Bahndienst. In vielen Familienstreitigkeiten warf er seiner Frau<br />
vor, dass sie Schuld daran habe, dass er, <strong>der</strong> gelernte Metzger, bei <strong>der</strong><br />
Eisenbahn gelandet sei. In den Wintermonaten konnte Anton Mayer<br />
seine frühere Tätigkeit mit <strong>der</strong> neuen Stellung verbinden: Er schlachtete<br />
Schweine und verkaufte Geräuchertes, Presssack und Würste in<br />
den „Bahnhofsrestaurationen“; beson<strong>der</strong>s in München fanden seine<br />
Waren „reißend Absatz“. Das „Grundübel“ in <strong>der</strong> Familie Mayer war<br />
„des Vaters Vorliebe fürs Bier“. In welchem Ausmaß sich diese in den<br />
Anfängen <strong>der</strong> Eisenbahn mit dem Bahndienst vereinbaren ließ, ist<br />
ganz erstaunlich. (Aus: Carl Amery (Hg.), Dortmals. Ein Leben in<br />
Bayern vor hun<strong>der</strong>t Jahren, München 1975, S. 28, 38)<br />
Dem auf das Jahr 1904 zurückgehenden Bahn-Sozialwerk liegt die Idee zu Grunde, eine Solidargemeinschaft<br />
<strong>der</strong> Eisenbahnerinnen und Eisenbahner zu bilden, die bei Krankheit und in Notfällen<br />
halfen, aber auch in <strong>der</strong> Geselligkeit Zusammenhalt boten – erwähnt seien Eisenbahnerchöre und<br />
-orchester, Sportvereine und Hobbyclubs. Mit <strong>der</strong> Bildung von Einkaufsgenossenschaften, dem Bau<br />
von Erholungsheimen, <strong>der</strong> Veranstaltung günstiger Ferienreisen bot und bietet das Bahn-Sozialwerk,<br />
heute eine Stiftung (BSW), dem Eisenbahnerstand Unterstützung in allen Lebensbereichen.
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Fotoserie von 1902 (von links nach rechts): Vor den jeweiligen Bahnhöfen<br />
nimmt das Personal in Uniform und Dienstkleidung Aufstellung:<br />
Possenhofen, Vilshofen, Starnberg, Trostberg, Kirchseeon, Schweinfurt,<br />
Kolbermoor.<br />
79
80 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Die eisenbahn<br />
unD ihre wirkungen:<br />
aLLes VeränDert sich<br />
Die Eisenbahn verursachte eine Revolution im Güter- und<br />
im Personenverkehr. Das gesamte Wirtschaftsleben nahm<br />
neue Dimensionen an. Massengüter wie Kohle, Holz,<br />
Steine, Eisen konnten in bisher nicht gekanntem Ausmaß bewegt<br />
werden. Der Nah- und Fernhandel blühte auf. Güter, die an einem<br />
Ort im Überfluss vorhanden waren o<strong>der</strong> über den lokalen Bedarf<br />
hinaus produziert werden konnten, wurden durch die Eisenbahn<br />
zu Handelsobjekten und trugen zum wirtschaftlichen Aufschwung<br />
bei. Bisher lokal beschränkten Wirtschaftsräumen wurden einerseits<br />
ganz neue Absatzmärkte erschlossen, an<strong>der</strong>erseits wurde das von einer<br />
Bahnlinie durchzogene Gebiet zum Absatzgebiet für Waren aller<br />
Art aus fernen Regionen.<br />
Die wirtschaftliche Gesamtentwicklung wurde insbeson<strong>der</strong>e dadurch<br />
begünstigt, dass rohstoffarme Gegenden nun in großem Umfang mit<br />
Kohle, <strong>der</strong> Hauptenergiequelle des Industriezeitalters, versorgt werden<br />
konnten. Die traditionelle Wirtschaftsstruktur erfuhr durch die zunehmende<br />
Verbreitung von Fabrikprodukten für den alltäglichen Bedarf<br />
einen grundlegenden Wandel und erlitt schwere Beeinträchtigungen.<br />
Insgesamt verän<strong>der</strong>te die Eisenbahn mit ihren festen Routen und<br />
Zeiten die althergebrachten, oft flexibleren Verkehrsbeziehungen.<br />
Stichbahnen führten zu einseitigen Anbindungen an zentrale Orte<br />
und daraus folgend zu wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umorientierung.<br />
So stand zum Beispiel Ebrach traditionell in enger Beziehung<br />
zu Würzburg, wurde durch die Bahn jedoch mit Bamberg verbunden,<br />
während das früher bambergische Hollfeld durch die Bahn<br />
mit Bayreuth verbunden wurde. Die früheren Reichsstädte Dinkelsbühl<br />
und Rothenburg pflegten durch Postkurse noch enge Kontakte<br />
mit Württemberg, die Eisenbahn machte die Städte zu spät nach<br />
Norden und Osten angeschlossenen bayerischen „Grenzstädten“.<br />
Der Verlauf <strong>der</strong> Bahnlinien und die Lage des Bahnhofs hatten beträchtliche<br />
Auswirkungen auf die räumliche Glie<strong>der</strong>ung und künftige<br />
Entwicklung einer Siedlung. Industrielle Produktionsstätten,<br />
Fabriken und Großhandelsunternehmen <strong>der</strong> verschiedensten Branchen<br />
siedelten sich vorzugsweise in Bahnhofsnähe an. Aufgrund <strong>der</strong><br />
starken Ausweitung des Arbeitsmarktes stiegen die Bevölkerungszahlen<br />
rasch an, was wie<strong>der</strong>um eine Expansion <strong>der</strong> Wohnbebauung<br />
und eine Verdichtung <strong>der</strong> Besiedlung in <strong>der</strong> Nähe von Bahnhöfen<br />
zur Folge hatte. Während in verkehrsgünstig gelegenen Städten<br />
Kaufhäuser und Spezialgeschäfte florierten, gingen in bahnfernen<br />
Orten die Umsätze im Einzelhandel langfristig zurück. In <strong>der</strong> Nähe<br />
von größeren Bahnstationen wurden bald auch Behörden und Bildungseinrichtungen<br />
von überlokaler Bedeutung begründet o<strong>der</strong><br />
ausgebaut. Die Ausweitung <strong>der</strong> Verkehrs-, Gewerbe-, Behörden- und<br />
Wohnanlagen bewirkte eine Reduktion <strong>der</strong> landwirtschaftlich genutzten<br />
Fläche.<br />
Eisenbahnknotenpunkte boten beson<strong>der</strong>e Standortvorteile. Welch<br />
große Bedeutung <strong>der</strong> Erschließung des Landes durch die Eisenbahn<br />
zukam, wird an den großen Eisenbahnknotenpunkten München,<br />
Nürnberg und Augsburg deutlich. Am stärksten wuchs die Landeshauptstadt<br />
München, sie überflügelte bald alle an<strong>der</strong>en bayerischen<br />
Städte. Insgesamt verlagerte sich die Bevölkerung mehr und mehr<br />
von den ländlichen in die aufstrebenden städtischen Gemeinden.<br />
War ein Anschluss an das Bahnnetz bis in die zwanziger Jahre des<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>ts eine existenzielle Frage für jede Gemeinde, so verän<strong>der</strong>te<br />
sich dies mit dem Aufkommen des Automobilverkehrs. Den<br />
großen gesamtwirtschaftlichen Vorteil <strong>der</strong> früh an das Hauptbahnnetz<br />
angeschlossenen Orte konnten bahnferne Gemeinden jedoch<br />
bis heute nicht aufholen.<br />
Von <strong>der</strong> „Eisenbahnzeit“<br />
zur Mitteleuropäischen Zeit<br />
Die Entwicklung Deutschlands im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t war insgesamt<br />
geprägt von <strong>der</strong> Vereinheitlichung verschiedener Faktoren des wirtschaftlichen<br />
und gesellschaftlichen Alltags. Dieser Vorgang begleitete<br />
und för<strong>der</strong>te das Zusammenwachsen <strong>der</strong> einzelnen Territorien seit<br />
<strong>der</strong> Gründung des Deutschen Zollvereins 1834. Die Eisenbahn leistete<br />
aus betrieblichen Notwendigkeiten heraus einen wichtigen Beitrag<br />
auf dem Weg zum kleindeutschen Nationalstaat. Als großräumig<br />
agierendes Transportunternehmen brauchte sie einheitliche Maße<br />
und Gewichte und eine einheitliche Währung. Ein beson<strong>der</strong>es Problem<br />
war die Zeit. Bis 1892 gab es keine allgemeingültigen Zeitangaben<br />
in Deutschland, wo die jeweiligen Orts- o<strong>der</strong> Landeszeiten galten.<br />
In den 1850er-Jahren war jede längere Zugfahrt mit ständigem<br />
Regulieren <strong>der</strong> Uhren verbunden. Die zunehmende Verdichtung des<br />
Bahnnetzes und die Notwendigkeit einer überregionalen Fahrplankoordination<br />
machte die Einführung einer einheitlichen Eisenbahnzeit<br />
erfor<strong>der</strong>lich, die sich bald zur verbindlichen Standardzeit entwickelte.<br />
Daneben bestanden aber noch Jahrzehnte lang die Lokalzeiten<br />
weiter. Erst 1893 wurde in Deutschland die Mitteleuropäische Zeit<br />
eingeführt, die große Erleichterungen für alle am Verkehrs- und<br />
Wirtschaftsleben Beteiligten mit sich brachte. Die neue Zeit basierte<br />
auf <strong>der</strong> Zeitzoneneinteilung durch die internationale Standard-Zeitkonferenz<br />
im Jahr 1884.
Der „Gruss aus Weigolshausen“ stellt den Bahnhof und das „Gasthaus zur Eisenbahn“ auf die gleiche Ebene wie<br />
die Kirche. Das im leeren Feld einmontierte Wappen <strong>der</strong> unterfränkischen Gemeinde zeigt in Rot ein silbernes<br />
Eisenbahnrad, das auf die große Bedeutung <strong>der</strong> Eisenbahn und <strong>der</strong> Schweinfurter Industrie für die Entwicklung<br />
des Ortes hinweist. Die Gemeinde war seit 1854 an die Hauptlinie Schweinfurt-Würzburg angeschlossen,<br />
doch erst die beson<strong>der</strong>s für den Güterverkehr wichtige Werntalbahn nach Gemünden machte Waigolshausen<br />
1879 zum Eisenbahnknotenpunkt.<br />
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
„Es ist höchste Eisenbahn!“ Eisenbahn, Fahrplan und exakte<br />
Zugabfahrts- und Ankunftszeiten gehören untrennbar<br />
zusammen. Im Idealfall konnte man nach <strong>der</strong> Eisenbahn die<br />
Uhr stellen und bis heute sind Bahnhofsuhren, wie hier am<br />
Münchner Hauptbahnhof, die weithin sichtbaren Zeitmesser.<br />
Der hier gezeigte „Winterfahrplan 1889/90 <strong>der</strong> königl.<br />
bayer. Staats-Eisenbahnen“ enthält praktischerweise auch<br />
einen Jahreskalen<strong>der</strong>, wobei beson<strong>der</strong>s zu erwähnen ist,<br />
dass neben den christlichen auch die jüdischen Feiertage<br />
darin aufgelistet sind.<br />
81
82 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
mit Der eisenbahn<br />
ins inDustrieZeitaLter<br />
Die Eisenbahngeschichte ist untrennbar mit <strong>der</strong> Industrialisierung<br />
verbunden. Für den Bau und Betrieb von Eisenbahnen<br />
benötigte man Eisen – in erster Linie für Schienen<br />
und Lokomotiven, aber auch für viele an<strong>der</strong>e Bau- und Betriebsbereiche.<br />
Für die Eisengewinnung war Kohle erfor<strong>der</strong>lich; Kohle war<br />
aber auch unentbehrlich für den Betrieb von Lokomotiven, von<br />
Dampfmaschinen in den verschiedensten Produktionsbereichen und<br />
nicht zuletzt als Heizmaterial in den wachsenden Städten. So war es<br />
naheliegend auch die heimische Kohle zu nutzen. Erst durch den Anschluss<br />
an das Bahnnetz wurde <strong>der</strong> Abbau <strong>der</strong> oberbayerischen Kohle<br />
in Miesbach und <strong>Haus</strong>ham, in Penzberg und Peißenberg lohnend.<br />
Die Eisenbahn brachte den entscheidenden Schub im Einsatz von<br />
Dampfmaschinen und damit für die Industrialisierung. Um von <strong>der</strong><br />
Einfuhr von Eisen und Maschinen aus dem Ausland unabhängig zu<br />
werden, entstand durch den großen Einsatz von Persönlichkeiten aus<br />
Technik, Wirtschaft und Politik in wenigen Jahrzehnten auch in Bayern<br />
die erfor<strong>der</strong>liche Infrastruktur.<br />
Ein hervorragendes Beispiel für einen Unternehmer <strong>der</strong> frühen Industrialisierung<br />
ist <strong>der</strong> Münchner Josef Anton von Maffei (1790–1870),<br />
<strong>der</strong> ein weit verzweigtes Firmenimperium aufbaute. Maffei war 1835<br />
Gründungsmitglied <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> Hypotheken- und Wechsel-Bank,<br />
1834 Besitzer einer Papiermühle, 1841 Erbauer des Hotels Bayerischer<br />
Hof in München und 1837 Mitbegrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> München-Augsburger<br />
Eisenbahngesellschaft. Auch als Mitglied <strong>der</strong> Kammer <strong>der</strong> Abgeordneten<br />
setzte er sich für den Eisenbahnbau ein. 1838 kaufte er eine noch<br />
mit Wasserkraft betriebene Hammerschmiede mit Walzwerk in <strong>der</strong><br />
Hirschau in München und baute sie mit anfangs 160 Arbeitern und<br />
einem technischen Direktor aus England zu einer Fabrik für Lokomotiven<br />
und an<strong>der</strong>e Maschinen aus. Die erste in Bayern hergestellte Lokomotive<br />
wurde von König Ludwig I. „Der Münchner“ getauft.<br />
Neben dem Lokomotivenbau war Maffei in weiteren Bereichen tätig.<br />
1846 gründete er eine Werft für Dampfschiffe in Regensburg, <strong>der</strong><br />
1859 eine Eisenbrückenabteilung angeglie<strong>der</strong>t wurde (Brücken für<br />
die Ostbahn; 1859: 300 Arbeiter). 1853 wurde Maffei Hauptaktionär<br />
<strong>der</strong> Eisenwerk-Gesellschaft Maximilianshütte bei Haidhof, zu <strong>der</strong> ab<br />
1859 auch die Maxhütte bei Rosenberg gehörte. Außerdem besaß er<br />
ein Gut mit Torfstichen im Gebiet <strong>der</strong> Osterseen, an dem später die<br />
Bahnlinie nach Penzberg vorbeiführte. 1931 wurde die Maffei’sche<br />
Fabrik mit <strong>der</strong> 1866 gegründeten Lokomotivfabrik Krauss vereinigt;<br />
das Unternehmen nannte sich seit 1940 „Krauss-Maffei AG“.<br />
Weitere bedeutende Industrielle des jungen Industriezeitalters waren<br />
Theodor von Cramer-Klett (1817–1884), Rudolf Diesel (1858–1913) und<br />
Heinrich von Buz (1833–1918), die Väter <strong>der</strong> Maschinenfabrik Augsburg-<br />
Nürnberg (MAN, seit 1898), <strong>der</strong> Pionier <strong>der</strong> schwäbischen Textilindustrie<br />
Karl Ludwig Forster (1788–1877), <strong>der</strong> Augsburger Papierfabrikant<br />
Georg Haindl (1816–1878), <strong>der</strong> fränkische Bleistiftfabrikant Lothar von<br />
Faber (1817–1896), <strong>der</strong> Pionier <strong>der</strong> Aschaffenburger Papier- und Zellstoffindustrie<br />
Philipp Dessauer (1837–1900), die Schweinfurter Kugellagerfabrikanten<br />
Engelbert Fries (1861–1946), Karl Fichtel (1863–1911)<br />
und Ernst Sachs (1867–1932), Karl von Linde (1842–1934), <strong>der</strong> Erfin<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Ammoniak-Kältemaschine und Begrün<strong>der</strong> von Linde’s Eismaschinen<br />
AG in München (1879) – die Reihe ließe sich noch lange fortsetzen.<br />
Das heute in <strong>der</strong> Nachfolgefirma<br />
MAN Nutzfahrzeuge AG/Motoren<br />
in Nürnberg befindliche Gemälde<br />
von Eugen Napoleon Neureuther<br />
aus dem Jahr 1858 beleuchtet den<br />
Boom des Industriezeitalters: Die<br />
Ansicht <strong>der</strong> Cramer-Klett`schen<br />
Fabrik vor dem Wöhr<strong>der</strong> Tor in<br />
Nürnberg ist in eine kulissenartige<br />
Szenerie getaucht, die einerseits<br />
realistische Einsichten in Werkshallen<br />
gibt (links unten eine<br />
Waggonfabrikation), an<strong>der</strong>erseits<br />
in ihrer allegorisch-romantischen<br />
Darstellungsweise die Arbeit in <strong>der</strong><br />
Fabrik ins Heroische idealisiert.
Und auch hier das<br />
Zusammenwirken von<br />
Industrie und Bahnhof<br />
mit dem Bergwerk in<br />
Peißenberg.<br />
Welch großes Wachstum gerade <strong>der</strong> industrielle Maschinenbau in<br />
Bayern erlebte, zeigen die Beschäftigtenzahlen: 1847 waren es erst<br />
etwa 1000 Menschen, 1882 gut 6500 und 1907 fast 35500.<br />
Neue chemisch-technische Erkenntnisse im Brauwesen und <strong>der</strong><br />
Kältetechnik bildeten seit den 1870er-Jahren die Basis für die industrielle<br />
Organisation <strong>der</strong> Münchner Großbrauereien als Aktiengesellschaften.<br />
Als Pionier des mo<strong>der</strong>nen Brauwesens gilt Gabriel<br />
Sedlmayr (1811–1891). München überflügelte bald alle an<strong>der</strong>en<br />
Brauereistandorte in Bayern, Böhmen und Österreich. Münchner<br />
Bier wurde weltweit zum Begriff.<br />
München, Nürnberg, Augsburg, Schweinfurt – das sind die bekannten<br />
Industriestandorte Bayerns, doch auch abseits <strong>der</strong> großstädtischen<br />
Verdichtungsräume gibt es Orte, <strong>der</strong>en Entwicklung untrennbar<br />
mit dem Anschluss an das Eisenbahnnetz verbunden ist.<br />
Hier nur wenige Beispiele:<br />
Die Maxhütte –<br />
eine Schienenfabrik für Bayern<br />
Mit Beginn des Bahnbaus in Bayern setzte eine immense Nachfrage<br />
nach den dafür notwendigen Eisenprodukten ein. Obwohl <strong>der</strong> für<br />
den Transport von Massengütern – Roheisen, Kohle, Holz – unabdingbare<br />
unmittelbare Bahnanschluss noch fehlte, wurde im Sauforst<br />
zwischen Haidhof und Burglengenfeld 1851/53 die Eisenwerk-Gesellschaft<br />
Maximilianshütte gegründet. Entscheidend für die Standortwahl<br />
waren die Braunkohlelager im Sauforst. Das Schienenwalzwerk<br />
sollte von Lieferungen aus dem Ausland unabhängig machen<br />
Die neuesten technischen Entwicklungen fanden große Aufmerksamkeit<br />
bei den jährlichen Landesausstellungen. Die Privatganzsache von Bayern<br />
zeigt die auf <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> Jubiläums-Landes-Ausstellung Nürnberg<br />
1906 präsentierte 2`B2`-Lok, Baureihe S 2/6 <strong>der</strong> Firma Maffei, von <strong>der</strong> nur<br />
ein Exemplar gebaut wurde, das sich heute im Verkehrsmuseum Nürnberg<br />
befindet. Die am 3. Mai 1906 in Betrieb genommene Lokomotive stellte<br />
am 2. Juli 1907 mit 154,6 km/h einen Geschwindigkeitsweltrekord auf.<br />
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Eine Werkslokomotive<br />
auf dem Gelände<br />
<strong>der</strong> Riedinger`schen<br />
Maschinenfabrik in<br />
Augsburg.<br />
und bildete eine wichtige Voraussetzung für die schon laufenden und<br />
noch bevorstehenden Bahnbauten in Bayern. 1859 sicherte sich die<br />
Gesellschaft durch den Erwerb <strong>der</strong> Sulzbacher Erzgruben die Erzzulieferung<br />
für die Stahlproduktion. Im selben Jahr wurde die Bahnlinie<br />
Nürnberg—Amberg—Regensburg eröffnet, die den Massentransport<br />
des Erzes zwischen Sulzbach und Haidhof entscheidend erleichterte.<br />
Nach <strong>der</strong> Eröffnung <strong>der</strong> Strecke Schwandorf—Furth im Wald 1861/62<br />
war auch die Kohlezufuhr aus Böhmen gesichert. Beim Dorf Rosenberg<br />
b. Sulzbach wurden 1864/65 zwei neue mo<strong>der</strong>ne Hochöfen<br />
errichtet; weitere Werksvergrößerungen folgten. Die Maxhütte Sulzbach-Rosenberg<br />
entwickelte sich zum bedeutendsten Hüttenstandort<br />
Süddeutschlands mit bis zu 10000 Beschäftigten (Stilllegung 2002).<br />
Ein weiteres Beispiel ist Kolbermoor. Die <strong>Geschichte</strong> des Ortes ist<br />
engstens verbunden mit <strong>der</strong> Erschließung des Mangfalltals durch<br />
die Eisenbahnlinie München—Rosenheim 1857. Mit <strong>der</strong> Eröffnung<br />
des Haltepunkts Kolbermoor 1859 begann die Industrialisierung im<br />
torf- und holzreichen Kolbermoos. Um die 1860 gegründete und bis<br />
1993 betriebene Baumwollspinnerei entwickelte sich die rasch wachsende<br />
Industriegemeinde Kolbermoor.<br />
Ebenfalls in enger Verbindung mit <strong>der</strong> Eisenbahn steht die <strong>Geschichte</strong><br />
von Kirchseeon. Die am Ebersberger Forst gelegene Siedlung entstand<br />
erst nach einer Naturkatastrophe 1889, bei <strong>der</strong> ein Großteil <strong>der</strong><br />
umliegenden ausgedehnten Waldungen dem Nonnenfraß zum Opfer<br />
fiel. Zur Verarbeitung des anfallenden Holzes errichteten die <strong>Bayerischen</strong><br />
Staatseisenbahnen 1889/90 ein großes Schwellenwerk, das<br />
sich zum Dorf Kirchseeon, dem Mittelpunkt <strong>der</strong> schnell wachsenden<br />
Industriegemeinde, entwickelte (seit 1959 Markt).<br />
Die Qualität <strong>der</strong> Schienen war entscheidend für die Verkehrssicherheit.<br />
Die Maxhütte arbeitete ständig an <strong>der</strong> Qualitätsverbesserung.<br />
Das Patent auf die „verschleißfeste Schiene“ stammt<br />
aus dem Jahr 1926; die Maxhütte warb dafür in einer Broschüre<br />
(wohl 1930er-Jahre). Schienen <strong>der</strong> Maxhütte waren auf dem<br />
internationalen Markt sehr gefragt, sie fanden beispielsweise<br />
beim U-Bahnbau in New York Verwendung.<br />
83
84 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
strukturwanDeL<br />
in Der LanDwirtschaFt<br />
In <strong>der</strong> ersten Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts waren Landwirtschaft<br />
und Viehzucht in weiten Teilen Bayerns die Haupterwerbszweige.<br />
We<strong>der</strong> im Ackerbau noch in <strong>der</strong> Viehzucht wurde handelsorientiert<br />
produziert. Die Deckung des eigenen und lokalen<br />
Bedarfs stand im Vor<strong>der</strong>grund. Der Handel auf lokaler Ebene war<br />
rege. Von verkehrsmäßig wenig erschlossenen Gebieten aus waren<br />
größere städtische Absatzmärkte nur schwer zu erreichen. Auch die<br />
allgemeinen Produktionsbedingungen verhin<strong>der</strong>ten eine zum Export<br />
motivierende Überschussproduktion.<br />
Erst die Verkehrserschließung durch die Eisenbahn und damit die Erleichterung<br />
und Beschleunigung des Transports führte langfristig zu<br />
einer Intensivierung <strong>der</strong> landwirtschaftlichen Produktion, die sich mit<br />
<strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Kühltechnik noch verstärkte. Die verschiedensten<br />
landwirtschaftlichen Erzeugnisse wie Getreide, Kartoffeln, Vieh, Milch,<br />
Butter, Käse, Eier und Geflügel konnten neuen Absatzmärkten, vor<br />
allem den wachsenden Industriestädten, zugeführt werden.<br />
Getreide wurde durch die Eisenbahn beliebig verkehrsfähig. Der<br />
Handel mit Getreide spielte sich immer weniger auf dem öffentlichen<br />
Gütertransport – ohne Bahn keine Ware: Die Mälzerei Seitz aus Deggendorf<br />
schickt am 29. August 1917 gebrauchte leere Jutesäcke mit einem<br />
Gewicht von 150 kg nach Gevelsberg-Haufe in Westfalen; die Fracht wird<br />
in Plattling, Gemunden, Kalk und Hagen umgeladen und kommt nach<br />
rund 10 Tagen beim Empfänger an.<br />
Markt, dafür zunehmend im Büro des Großhändlers ab. Die Eisenbahn<br />
ermöglichte die Ansammlung großer Gütermengen in zentral<br />
gelegenen Lagerhäusern, <strong>der</strong>en Verkauf nicht an bestimmte Markttermine<br />
gebunden war. Bisher war die Nachfrage stets dem Angebot<br />
voraus. Durch die Eisenbahn nahm das Angebot stark zu, überholte<br />
die Nachfrage und drückte den Preis, denn neue Erzeugungsgebiete,<br />
die USA, Kanada, Russland, Argentinien, drängten auf den Markt.<br />
Die europäische Landwirtschaft ging durch diese Konkurrenz einer<br />
Krise entgegen.<br />
Auch <strong>der</strong> Viehhandel erhielt in <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
neue Strukturen. Das traditionelle Verbot, Vieh außerhalb <strong>der</strong><br />
Märkte zu verkaufen, wurde aufgehoben. Händler und Metzger kauften<br />
Vieh zunehmend direkt bei den Bauern. Schlachthöfe wurden die<br />
neuen Viehhandelszentren. Mit den Fortschritten <strong>der</strong> Kühltechnik<br />
nahm <strong>der</strong> Fleischversand ganz neue Dimensionen an.<br />
Die Eisenbahn spielte eine wichtige Rolle bei <strong>der</strong> Entwicklung des<br />
Allgäus zum bedeutendsten Milchwirtschaftsgebiet Süddeutschlands.<br />
Zentrale Figur war <strong>der</strong> Molkereifachmann und Politiker Carl<br />
Ein beson<strong>der</strong>er Transport: ein „leben<strong>der</strong> Jagdhund“ mit einem Gewicht<br />
von 70 kg und dem Vermerk „Beschleunigtes Eilgut“ geht am 16 Juli<br />
1917 von Großeibstadt nach Gevelsberg-Haufe in Westfalen.
Hirnbein (1807–1871). Schon 1830 gründete er eine Weichkäserei in<br />
Wilhams. Er führte Zuchtvieh aus <strong>der</strong> Schweiz ein, erwarb im Allgäu<br />
Sennereien und Län<strong>der</strong>eien im großen Stil und wurde zum größten<br />
Milchaufkäufer. Die immense Nachfrage nach Milch führte dazu,<br />
dass <strong>der</strong> traditionelle Flachsanbau im Allgäu von extensiver Vieh-<br />
und Weidewirtschaft abgelöst wurde. Hirnbein war Mitinitiator <strong>der</strong><br />
Bahn Ulm—Kempten (1862/63), die dem Sennereinetzwerk neue<br />
Absatzmärkte erschloss. Auch die Anfänge des Allgäuer Tourismus<br />
sind mit seinem Namen verbunden. Hirnbein erbaute das erste Hotel<br />
in den Allgäuer Alpen, das 1855 eröffnete Grüntenhaus, das bequem<br />
von <strong>der</strong> Bahnstation Immenstadt aus zu erreichen war.<br />
Die Eisenbahn begünstigte auch den Anbau neuer Feldfrüchte<br />
wie <strong>der</strong> Zuckerrüben. Die Zuckerfabriken waren für die Heranschaffung<br />
<strong>der</strong> Rüben, Kohlen und an<strong>der</strong>er Materialien und den<br />
Abtransport <strong>der</strong> Zuckererzeugnisse und <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Landwirtschaft<br />
als Futtermittel geschätzten Rübenabfälle auf die Eisenbahn angewiesen.<br />
Allein zwischen 1898 und 1908 stieg in Bayern <strong>der</strong> Bahntransport<br />
von Zuckerrüben um 300 Prozent, von Zucker um 360<br />
Prozent an.<br />
Die Eisenbahn för<strong>der</strong>te auch den seit den fünfziger Jahren des 19.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts zunehmenden Einsatz von Ackergeräten und Maschinen.<br />
In mehreren bayerischen Städten wie Augsburg, Sonthofen,<br />
Altötting, Lauingen, Günzburg entstanden Landmaschinenfabriken,<br />
die zur Belieferung ihres Kundenkreises auf die Eisenbahn<br />
angewiesen waren. Die Verwendung von Landmaschinen war aber<br />
weiterhin von <strong>der</strong> Besitzgrößenstruktur und den allgemeinen Voraussetzungen<br />
wie <strong>der</strong> Bodengüte abhängig. So war zum Beispiel<br />
<strong>der</strong> nie<strong>der</strong>bayerische Gäuboden bei landwirtschaftlichen Innovationen<br />
an<strong>der</strong>en, weniger begünstigten Regionen immer weit voraus.<br />
Auch für die Einführung <strong>der</strong> Mineraldüngung war die Eisenbahn<br />
eine unabdingbare Voraussetzung. Nur ein auf Massengütertransport<br />
eingerichtetes Transportmittel ermöglichte den Einsatz von Thomasphosphat,<br />
Ammoniak und Kalisalzen auf breiter Basis. Durch<br />
die langfristige Bodenverbesserung konnten auch anspruchsvollere<br />
Pflanzen o<strong>der</strong> Produkte, die <strong>der</strong> Markt nachfragte, wie Zuckerrüben,<br />
angebaut werden. Noch 1906 waren Lothringen, das Saarrevier und<br />
die Regierungsbezirke Merseburg und Thüringen die wichtigsten<br />
Bezugsgebiete für Düngemittel. 1908 wurde das erste große deutsche<br />
Kalkstickstoffwerk, die Bayerische Stickstoffwerke AG im bayerischen<br />
Trostberg, gegründet. Bald kamen Produktionsstätten im<br />
Tal <strong>der</strong> Alz (Hart, Schalchen) hinzu; Wasserkraftwerke lieferten die<br />
nötige Energie. Hier liegen die Anfänge des bayerischen Chemie-<br />
Dampfsägewerk, „Electr.<br />
Zentrale“ und Bahnhofsanlagen<br />
– damit war das<br />
Sägewerk in Stadtlauringen<br />
in <strong>der</strong> Lage, seine<br />
Erzeugnisse weiter in die<br />
Region transportieren zu<br />
lassen (und dem Herausgeber<br />
<strong>der</strong> Ansichtskarte<br />
sei die „Wahlfahrtskapelle“<br />
verziehen!).<br />
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
dreiecks. Die 1891 eröffnete Stichbahn Traunstein—Trostberg wurde<br />
1910 in Richtung Garching a. d. Alz an die seit 1908 durchgehende<br />
Strecke Mühldorf—Freilassing angebunden. Die Strecke München—<br />
Mühldorf—Freilassing ist aber bis heute nur eingleisig und nicht<br />
elektrifiziert, wodurch sich langfristig erhebliche Standortrisiken für<br />
die Industrie im Chemiedreieck Burghausen-Burgkirchen/Gendorf-<br />
Trostberg ergeben.<br />
Auch im Bereich <strong>der</strong> Viehzucht war die Bahn nicht ohne Wirkung.<br />
Mit <strong>der</strong> Eisenbahn konnte Schlachtvieh ohne Gewichtsverluste zum<br />
Konsumenten gelangen. Die durch die billigen Getreideimporte beeinträchtigten<br />
landwirtschaftlichen Betriebe stellten sich auf Viehmast<br />
um. Mit <strong>der</strong> Zunahme <strong>der</strong> Rin<strong>der</strong>zucht ging die Schafhaltung<br />
zurück, Wolle wurde zum Importartikel. Zugleich konnte Zuchtvieh<br />
auch in weiter entfernte Gebiete transportiert werden. Auf diese Weise<br />
trug die Eisenbahn seit Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts auch entscheidend<br />
zur Rassenbereinigung in <strong>der</strong> Viehzucht bei.<br />
Die Eisenbahn –<br />
„Hauptschädiger“ <strong>der</strong> Landwirtschaft?<br />
Seit den 1880er- und 90er-Jahren wurde die Eisenbahn und damit<br />
<strong>der</strong> Staat von vielen Seiten für die Schwierigkeiten <strong>der</strong> deutschen<br />
Landwirtschaft verantwortlich gemacht. Fritz Bachmeier bezeichnete<br />
in seiner Schrift „Angenehmere Landwirtschaft“ 1895 die Eisenbahn<br />
als „Hauptschädiger des deutschen Bodengewerbes“ und begründete<br />
dies mit vier Argumenten:<br />
„1. Sobald <strong>der</strong> Bahnbau in einer Gegend begonnen hatte, stellte sich<br />
<strong>der</strong> früher unbekannte Mangel an Dienstboten und ländlichen Arbeitern<br />
ein; rasch stiegen sowohl die Löhne, als auch die Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
an teuerere Kost, insbeson<strong>der</strong>e an Vermehrung <strong>der</strong> Getränke ...<br />
2. Die Eisenbahnen rentierten in manchen Län<strong>der</strong>n sich nicht in<br />
<strong>der</strong> Höhe des Zinsfußes <strong>der</strong> Staatsschulden und mußten deshalb die<br />
Steuern um die Fehlbetragsquote erhöht werden. Hierdurch wurde<br />
die Landwirtschaft beson<strong>der</strong>s getroffen, da sie ja bisher die Hauptsteuerquelle<br />
war ...<br />
3. Die Steigerung des Zinsfußes durch die in Folge <strong>der</strong> vielen Staatsanleihen<br />
vermehrte Nachfrage nach Kapital schädigte selbstverständlich<br />
auch alle damals schon mit Schulden behafteten Landwirte.<br />
4. Der Hauptschlag aber, welchen die Eisenbahnen <strong>der</strong> Landwirtschaft<br />
versetzen, ist die Herbeiziehung <strong>der</strong> übermächtigen Konkurrenz<br />
frem<strong>der</strong> Län<strong>der</strong>, welche jedenfalls noch ein halbes Menschenalter<br />
andauern wird, bis diese Län<strong>der</strong> auch mit Industrie gesättigt sind,<br />
85
86 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Das als Vorlage für eine Ansichtskarte gefertigte Aquarell zeigt den Verlauf<br />
<strong>der</strong> Eisenbahnstrecke in Trostberg mit den Brücken im Vor<strong>der</strong>grund<br />
und dem Bahnhof ganz in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Stickstoffwerke (links).<br />
was beson<strong>der</strong>s im Land <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Wun<strong>der</strong>, in Amerika allerdings<br />
in vielleicht unerwartet kurzer Zeit <strong>der</strong> Fall sein wird.“<br />
Um die Jahrhun<strong>der</strong>twende wurde <strong>der</strong> Arbeitskräftemangel in <strong>der</strong><br />
Landwirtschaft vielfach beklagt. Georg Ernst bemerkte 1907 dazu:<br />
„Früher war <strong>der</strong> Eisenbahndienst verpönt, gewissermaßen gefürchtet,<br />
zur Zeit aber trachtet je<strong>der</strong> Bauernknecht unter die schwarze Mütze<br />
zu kommen.“ Freiherr von Schnurbein kritisierte in <strong>der</strong> Kammer <strong>der</strong><br />
Reichsräte am 11. April 1910, es sei „in den letzten Jahren ... öfter vorgekommen,<br />
daß während <strong>der</strong> Heu- und namentlich während <strong>der</strong> eigentlichen<br />
Ernte ... auf den Bahnstrecken 24- bis 37jährige Arbeiter nichts<br />
Besseres zu tun hatten als die Schienen auszugrasen“. In <strong>der</strong> Hoffnung<br />
auf Abhilfe stellte man For<strong>der</strong>ungen an den Staat, wie: „Der Staat sollte<br />
angewiesen werden, einen ledigen Burschen unter 30 Jahren nicht anzunehmen.<br />
Nach <strong>der</strong> Militärzeit läuft alles zur Bahn. Diese Arbeiten<br />
gehören ... den verheirateten Arbeitern, nicht aber den ledigen.“ (Ein<br />
Bauer aus dem Bezirksamt Dachau, zit. nach Georg Ernst.) Verlangt<br />
wurde auch, den Bahnbediensteten und Bahnbauarbeitern niedrigere<br />
Löhne zu zahlen. Das für die Staatsbahnen zuständige Staatsministerium<br />
des Königlichen <strong>Haus</strong>es und des Äußern ging darauf nicht ein; es<br />
erklärte sich nur bereit, die Bahnunterhaltungsarbeiten während <strong>der</strong><br />
Erntezeit auf das Notwendigste zu beschränken (Bayerisches Hauptstaatsarchiv,<br />
Verkehrsarchiv 4717, 21. August 1900).<br />
Die Problematik für die Landwirtschaft lag insgesamt darin, dass<br />
man einerseits auf die Eisenbahn mit ihren Verkehrserleichterungen<br />
und Transportverbilligungen angewiesen war, an<strong>der</strong>erseits entzogen<br />
gerade die Lokalbahnen erst für den Bau, dann für den ständigen<br />
Betrieb landwirtschaftliche Arbeitskräfte. Der Arbeitskräftemangel<br />
trieb zu Rationalisierung und wurde zum Hauptmotiv für den verstärkten<br />
Einsatz von Landmaschinen.<br />
Die neue, im Stadtosten unmittelbar an <strong>der</strong> Bahn gelegene Zuckerfabrik Regensburg<br />
wurde 1899 gegründet und 2008 stillgelegt. Die Zuckerfabriken<br />
Ochsenfurt, Rain und Plattling sind jünger (gegründet 1951/57/61). (Die<br />
Abbildung von 1913 ist entnommen aus: Die Industrie <strong>der</strong> Oberpfalz in Wort<br />
und Bild, hg. v. d. Handelskammer Regensburg, Regensburg 1914, S. 91)<br />
Das Zuckerrübenfeld von Johann Eggerstorfer<br />
in Oberzeitldorn im Landkreis Straubing.<br />
Vor allem in Krisenzeiten kam <strong>der</strong> Eisenbahn große Bedeutung in<br />
<strong>der</strong> Tarifgestaltung zu. Durch Festsetzung von Son<strong>der</strong>tarifen, die die<br />
Verfrachtung landwirtschaftlicher Produkte begünstigten, konnte<br />
die Eisenbahn positiv auf den Agrarsektor einwirken. Ausnahmetarife<br />
und Tarifermäßigungen wurden eingeführt: 1888 für Torfstreu,<br />
1889 für Zuchtvieh, 1892 für Milchsendungen, 1893 für Getreide-<br />
und Mühlenprodukte zur Ausfuhr über deutsche Seehäfen, 1894 für<br />
Düngemittel, 1896 für Zuchtkälber in Kisten und Almweidevieh,<br />
1898 für Gerste und Zuckerrüben. Seit 1893 galt ein Notstandstarif<br />
für Futtermittel wie Kleie, Treber, Kartoffeln, Ölsaaten, Heu und<br />
Stroh. Durch die Gestaltung <strong>der</strong> Frachttarife konnten die internationalen<br />
Konkurrenzverhältnisse beeinflusst, großräumige Mo<strong>der</strong>nisierungsmaßnahmen,<br />
zum Beispiel ein Saatwechsel, beschleunigt und<br />
neue landwirtschaftliche Organisationsformen entscheidend gestützt<br />
werden.<br />
Gerade für den Aufbau des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens,<br />
dem seit <strong>der</strong> Agrarkrise <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>twende eine wichtige<br />
Rolle zufiel, war die Eisenbahn grundlegende Voraussetzung. Die<br />
Raiffeisenvereine gingen seit den 1890er-Jahren immer mehr zum<br />
genossenschaftlichen Bezug von Dünge-, Futtermittel, Saatgetreide,<br />
Sämereien, Maschinen, Brennmaterial und auch zum genossenschaftlichen<br />
Warenabsatz über. In Bahnhofsnähe wurden große Lagerhäuser<br />
errichtet. Den Endstationen von Stichbahnen kam in diesem Zusammenhang<br />
beson<strong>der</strong>e Bedeutung zu, da sie als Übergangspunkte<br />
von einem min<strong>der</strong>wertigen (Fuhrwerk) zu einem höherwertigen Verkehrsmittel<br />
(Bahn) zu Umschlagplätzen landwirtschaftlicher Erzeugnisse<br />
mit beson<strong>der</strong>s großem Einzugsgebiet wurden.
eisenbahn unD PersonenVerkehr:<br />
mobiLität Für jeDermann<br />
Im Bahnhotel – hier bei Hans Schinkinger in Mühldorf – lässt es sich gut wohnen.<br />
Wie die Eisenbahn den Güterverkehr revolutionierte, so<br />
verän<strong>der</strong>te sie auch den Personenverkehr ganz grundlegend.<br />
Reisen wurde einfacher, schneller, bequemer und<br />
billiger. Allen Bevölkerungsschichten erwuchsen langfristig ganz neue<br />
Möglichkeiten in <strong>der</strong> Lebensgestaltung, in <strong>der</strong> Wahl des Berufs, des<br />
Arbeitsplatzes, auf dem Bildungssektor und bei Privatreisen. Auch<br />
größere Entfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz konnten<br />
mit <strong>der</strong> Bahn täglich zurückgelegt werden; die Zahl <strong>der</strong> Pendler stieg<br />
rasch an. Durch wirtschaftliche Zwänge sehen sich viele Menschen<br />
heute mehr denn je dazu gezwungen, Teile ihrer Lebenszeit auf unwirtlichen<br />
Bahnsteigen und in vollen Zügen zu verbringen.<br />
Die Eisenbahn leistete einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung<br />
des Reisens, das nicht länger einer kleinen Oberschicht vorbehalten<br />
war, wenn auch die Eisenbahnwaggons nach Komfort und Preis erst<br />
in vier, dann drei und heute zwei Klassen gestuft sind. Im Eisenbahnverkehr<br />
liegen die Anfänge des Massentourismus. Bahnstationen wurden<br />
zu regelrechten Ausflugszielen mit florieren<strong>der</strong> Gastronomie. Das<br />
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
stille, bislang kaum bekannte Dörfchen Lochhausen nordwestlich von<br />
München war 1839 für einige Monate Endstation <strong>der</strong> München-Augsburger<br />
Bahn. Ein Zeitgenosse berichtet: „Damit ging ein glücklicher<br />
Stern auf für Lochhausen, das überrascht und freudetrunken täglich<br />
Hun<strong>der</strong>te von Hauptstädtern ankommen sah, die die Eisenbahn hatten<br />
probiren wollen. Die Frequenz hat allerlei abgesetzt; ein solcher<br />
Nie<strong>der</strong>schlag ist zum Beispiel <strong>der</strong> schmucke Wirthshauspavillon von<br />
Holz rechts <strong>der</strong> Bahn und das mächtige Belve<strong>der</strong>e gleichen Stoffes zu<br />
seiner Seite, eigens erbaut, damit die früher angekommenen Münchner<br />
den später daher rollenden entgegensehen können.“ Ein beliebtes<br />
Ziel für die Münchner war seit 1854 <strong>der</strong> Starnberger See, dessen reizvolle<br />
Umgebung seit langem von den bayerischen Kurfürsten und<br />
Königen und seit Anfang des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts auch von begüterten<br />
Bürgern und Künstlern hoch geschätzt wurde. Der Bodensee mit Lindau<br />
war schon seit 1853/54 mit <strong>der</strong> Bahn zu erreichen. Die Erschließung<br />
<strong>der</strong> bayerischen Alpen, des Allgäus, des <strong>Bayerischen</strong> Waldes und<br />
des Fichtelgebirges für den Tourismus folgte erst später. Sonthofen<br />
87
88 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
erhielt 1873 einen Bahnhof, Oberstdorf und Berchtesgaden erst 1888,<br />
Garmisch und Partenkirchen 1889. Die hochalpine Zugspitzbahn zwischen<br />
Garmisch und dem Schneefernerhaus wurde 1929/30 eröffnet.<br />
Mit dem Bahnverkehr stiegen die Gästezahlen überall rasch an.<br />
Auch <strong>der</strong> Chiemgau mit seinen landschaftlichen Reizen wurde ein<br />
beliebtes Feriengebiet. Prien war seit 1860 Station an <strong>der</strong> Linie München—Rosenheim—Salzburg.<br />
Zu einer Touristenattraktion entwickelte<br />
sich nach dem Tod König Ludwigs II. (1886) das Schloss Herrenchiemsee,<br />
das durch die nur etwa zwei Kilometer lange und in zwei<br />
Monaten 1887 fertig gestellte private Chiemseebahn Prien—Stock mit<br />
Anschluss an die Chiemseeschifffahrt bestens erreichbar war. Die noch<br />
heute betriebene Dampfbahn steht seit 1980 unter Denkmalschutz.<br />
Die neuen Möglichkeiten <strong>der</strong> Eisenbahn hatten aber auch ihre Schattenseiten.<br />
Mit den wachsenden Beför<strong>der</strong>ungskapazitäten ergaben sich<br />
neue Dimensionen <strong>der</strong> Kriegführung; schnelle Truppen- und Materialtransporte<br />
über weite Entfernungen verän<strong>der</strong>ten die Kampfbedingungen<br />
seit Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts entscheidend. Verwundete und<br />
Kriegsgefangene wurden per Bahn beför<strong>der</strong>t. Das dunkelste Kapitel<br />
<strong>der</strong> deutschen <strong>Geschichte</strong>, <strong>der</strong> Betrieb von Vernichtungslagern für Juden<br />
und an<strong>der</strong>e „volksschädliche“ Personenkreise in <strong>der</strong> Zeit des Nationalsozialismus<br />
wäre ohne die Eisenbahn und ihre Viehtransportwägen<br />
nicht durchführbar gewesen.<br />
Auch soll nicht vergessen werden, dass die Eisenbahn – wie alle Technik<br />
– nicht vollkommen ist. Die Tragik von Eisenbahnunglücken lässt<br />
niemanden unberührt. Dass Menschen, die freiwillig aus dem Leben<br />
scheiden wollen, in <strong>der</strong> Eisenbahn dazu eine Möglichkeit sehen, ist ein<br />
weiteres dunkles Kapitel. Das Eisenbahnunglück bei Hochzoll/Augsburg<br />
vom 29. Oktober 1908 fand Wi<strong>der</strong>hall in mehreren Fotografien, die als<br />
Postkarte erschienen, wie hier die in <strong>der</strong> Graph. Anstalt H. Winckler,<br />
Augsburg, herausgegeben Karte.<br />
Kaum etwas könnte das Ende<br />
<strong>der</strong> bayerischen Staatseisenbahn<br />
besser dokumentieren als dieser<br />
Dienstbrief, <strong>der</strong> aus Würzburg an<br />
den Regierungsbaurat Langen in<br />
Berlin ging: Fein säuberlich sind<br />
die Worte „Bayer. Staats …“ durchgestrichen<br />
und mit „Reichs…“<br />
ersetzt – und selbst den Plural hat<br />
<strong>der</strong> gewissenhafte Beamte korrigiert:<br />
Aus den „Königlich <strong>Bayerischen</strong><br />
Staatsbahnen“ wurde die<br />
„Deutsche Reichsbahn“.<br />
Mit den beliebten Reklamemarken stellte <strong>der</strong> Bayerische Verkehrsbeamtenverein<br />
die Bahn in ihrem besten Licht dar: Eine beson<strong>der</strong>s schön gestaltete<br />
Serie zeigt verschiedene Motive aus dem Eisenbahnwesen, hier eine mit<br />
Volldampf durch die Gebirgslandschaft brausende Lokomotive sowie eine<br />
wan<strong>der</strong>lustige Familie, die offenbar gerade mit dem Zug aus <strong>der</strong> Stadt<br />
angekommen ist, um im Gebirge eine Wan<strong>der</strong>ung anzutreten, neugierig<br />
beäugt von einer Einheimischen in Berchtesgadner Trachtenjacke, die an<br />
eine in den Jugendstil gewendete Kirchgängerin Wilhelm Leibls erinnert.<br />
Mit dieser Postkarte, die einen Sanitätszug des Internationalen Roten<br />
Kreuzes zeigt, <strong>der</strong> Kriegsverwundete abtransportiert, warb das bayerische<br />
Landeskomitee um Spenden für die „Freiwillige Krankenpflege im<br />
Kriege“.
mythos eisenbahn<br />
Die Eisenbahn, eine zentrale Thematik <strong>der</strong> politischen<br />
und wirtschaftlichen Diskussion seit den 1830er-Jahren,<br />
und die alle Sinne erfassende Faszination <strong>der</strong> ersten von<br />
Dampflokomotiven bewegten Züge fanden vielfach Nie<strong>der</strong>schlag in<br />
<strong>der</strong> zeitgenössischen Publizistik. Beson<strong>der</strong>s Karikaturen vermitteln<br />
die Bandbreite <strong>der</strong> Empfindungen von ungläubigem Staunen und<br />
überschwänglicher Begeisterung bis zu realen Gefahren bei Bahnfahrten<br />
und diffusen Ängsten vor dem eisernen Ungetüm. Mit <strong>der</strong><br />
Zeit und Raum revolutionierenden Neuerung und <strong>der</strong> Atmosphäre<br />
auf Bahnhöfen und in Zügen beschäftigten sich Schriftsteller, Maler,<br />
Fotografen und Filmschaffende ausgiebig. Die Eisenbahn ist eine<br />
vielschichtige Metapher in <strong>der</strong> gesamten Kunst.<br />
Faszinierende Eisenbahnwelten<br />
Die Eisenbahn fasziniert Menschen vom Kleinkind bis ins hohe Alter.<br />
Über viele Generationen war „Lokomotivführer“ <strong>der</strong> Traumberuf<br />
für Buben. „Wir haben alle mal Lokomotivführer werden wollen<br />
… Uns lockte das Vor- und Rückwärtsfahren, das Bremsen, das Hantieren<br />
an den Hebeln, das Herumsteigen auf <strong>der</strong> Lokomotive während<br />
<strong>der</strong> Fahrt (dieses beson<strong>der</strong>s!), das Pfeifen, das Rangieren und<br />
Von Spitzweg bis Graffiti. Die Eisenbahn als Motiv in <strong>der</strong> Kunst umfasst<br />
nahezu alle Genres – von <strong>der</strong> realistischen Darstellung einer revolutionären<br />
Technik bis zur allegorisch-symbolhaften Überhöhung als Metapher<br />
für die Unaufhaltsamkeit <strong>der</strong> Zeit, für Vergänglichkeit und Tod. Die<br />
zeitgenössische Graffitikunst wie<strong>der</strong>um nutzt Eisenbahn und Bahnhofsgelände<br />
als „Malgrundlage“ – ohne das Eisenbahnwesen scheint <strong>der</strong><br />
Siegeszug <strong>der</strong> Graffitikunst kaum denkbar. Links ein seit einiger Zeit auf<br />
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
das Sausen durch die Nacht … Um den Lokomotivführer ist Gemütlichkeit,<br />
trotz Schnelligkeit und genauer Zeit. Es hängt ihm noch ein<br />
Rest <strong>der</strong> Bie<strong>der</strong>meierstimmung an, aus <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> ersten Lokomotive,<br />
als Herren mit Zylin<strong>der</strong>n hinter turmhohen Schornsteinen die<br />
zauberhafte Maschine bedienten.“ (Walter Foitzick, 1942)<br />
Ungezählt sind die <strong>Geschichte</strong>n von Eisenbahnen, von personifizierten<br />
Lokomotiven – am bekanntesten wohl die Lokomotive<br />
Emma mit ihren Freunden Lukas dem Lokomotivführer und Jim<br />
Knopf. Seit dem Aufkommen <strong>der</strong> Eisenbahn gibt es Spielzeugeisenbahnen<br />
in den unterschiedlichsten Materialien und Ausführungen.<br />
Sie waren für Generationen die großen Favoriten in <strong>der</strong> Spielzeugwelt.<br />
Für Modelleisenbahnen begeistern sich nicht nur Kin<strong>der</strong>, vor<br />
allem <strong>der</strong>en Väter zeigen großes Engagement in <strong>der</strong> Anlage und im<br />
Ausbau von Miniatur-Eisenbahnwelten. Auch von Ministerpräsident<br />
Horst Seehofer ist bekannt, dass er zu den begeisterten Modelleisenbahnern<br />
gehört. Vielerorts haben sich Eisenbahnfreunde in Vereinen<br />
zusammengeschlossen, um ihrem Hobby in geselliger Form nachzugehen.<br />
Sie pflegen die Eisenbahngeschichte, veranstalten Fahrten mit<br />
historischen Zügen, restaurieren alte Dampfloks o<strong>der</strong> treffen sich bei<br />
Modellbahnbörsen.<br />
EMMa MagEs<br />
einer Mauer kurz vor dem Münchner Hauptbahnhof befindliches Piece;<br />
HCCB steht wohl für “High Capacity Color Barcode” – ein Strichcode von<br />
Microsoft. Und wohl vom selben Sprayer stammt das nicht weit entfernt<br />
an <strong>der</strong> gegenüberliegenden Seite <strong>der</strong> Bahnstrecke befindliche „Logo“ <strong>der</strong><br />
bayerischen Daily-soap „Dahoam ist dahoam“ – ein liebevoll verziertes<br />
Lebkuchenherz.<br />
89
90 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Paul Klee: München Hauptbahnhof II, 1911 (Fe<strong>der</strong>/Papier auf Karton, 9,1 x 19,6 cm); Zentrum Paul Klee, Bern<br />
Carl Spitzweg, Gnom, Eisenbahn<br />
betrachtend, um 1848, Öl/Holz<br />
(Zigarrenkistendeckel), fränkischer<br />
Privatbesitz.<br />
Das im Jahr 2008 vom Auktionshaus<br />
Ketterer angebotene<br />
eigenwillige Motiv zeigt einen<br />
Gnom, <strong>der</strong> – aus sicherem Abstand<br />
– eine vorbei dampfende<br />
Eisenbahn beobachtet. Der Gnom<br />
(in <strong>der</strong> ausgeführten Form sind<br />
es zwei) symbolisiert die „alte“<br />
Welt; er betrachtet aus sicherem<br />
Abstand die „neue Zeit“, die mit<br />
<strong>der</strong> dahinbrausenden Eisenbahn<br />
herankommt. Die Entmythologisierung<br />
<strong>der</strong> Welt – so scheint<br />
es das Fabelwesen zu sehen – ist<br />
wohl nicht mehr aufzuhalten.
Wassily Kandinsky, Eisenbahn bei Murnau, auch genannt ‚Murnau – Aussicht mit Eisenbahn und<br />
Schloss’, Sommer 1909 (GMS 9, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München)<br />
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
91
92 E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
„Promotionsvisualisierung“: Diese Zeichnung (Filzstift/gelochtes Endlospapier, 107 x 21cm)<br />
des damals siebenjährigen Florian Schilhabel ist 1983 entstanden, während seine Mutter die<br />
Promotionsarbeit von Emma Mages „Eisenbahnbau, Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft in <strong>der</strong><br />
südlichen Oberpfalz“ auf <strong>der</strong> Schreibmaschine schrieb.<br />
LITERATUR<br />
AUSSTELLUNGSKATALOGE<br />
Aufbruch ins Industriezeitalter, 4 Bde., hg. von Claus Grimm, hier bes. Bd.<br />
4: Führer durch die Ausstellung zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte<br />
Bayerns von 1750–1850 in Augsburg, München 1985 (Veröffentlichungen<br />
zur bayerischen <strong>Geschichte</strong> und Kultur Nr. 3–6/85)<br />
Ein Jahrhun<strong>der</strong>t unter Dampf. Die Eisenbahn in Deutschland 1835–1919,<br />
2. Aufl., Nürnberg 2009 (<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Eisenbahn in Deutschland. Katalog<br />
zur Dauerausstellung des DB Museums 1)<br />
Leben und Arbeiten im Industriezeitalter. Ausstellung zur Wirtschafts-<br />
und Sozialgeschichte Bayerns seit 1850 in Nürnberg, hg. von Gerhard<br />
Bott, Stuttgart 1985<br />
Weichenstellungen. Eisenbahnen in Bayern 1835–1920, München 2001<br />
(Ausstellungskataloge <strong>der</strong> Staatlichen Archive Bayerns 43)<br />
Zug <strong>der</strong> Zeit – Zeit <strong>der</strong> Züge. Deutsche Eisenbahn 1835–1985, 2 Bde.,<br />
Berlin 1985<br />
WEITERE LITERATUR<br />
Amedick, Sigrid: Männer am Schienenstrang. Sozialgeschichte <strong>der</strong><br />
unteren bayerischen Eisenbahnbeamten 1844–1914, Stuttgart 1997<br />
(Industrielle Welt 57)<br />
Bartelsheim, Ursula: Versailles auf Rä<strong>der</strong>n. Ludwig II. und sein Hofzug,<br />
Nürnberg 2009 (Objektgeschichten aus dem DB Museum 1)<br />
Bayerischer Geschichtsatlas, hg. von Max Spindler, Redaktion: Gertrud<br />
Diepol<strong>der</strong>, München 1969 (Karte 39a und S. 109–111, Bearbeiter G.<br />
Wenisch)<br />
Gall, Lothar/Pohl, Manfred (Hg.): Die Eisenbahn in Deutschland. Von den<br />
Anfängen bis zur Gegenwart, München 1999<br />
Glaser, Hermann: Kulturgeschichte <strong>der</strong> Deutschen Eisenbahn, Gunzenhausen<br />
2009<br />
Glaser, Hermann: Maschinenwelt und Alltagsleben. Industriekultur in<br />
Deutschland vom Bie<strong>der</strong>meier bis zur Weimarer Republik, Frankfurt 1981<br />
Handbuch <strong>der</strong> bayerischen <strong>Geschichte</strong>. Bd. IV: Das Neue Bayern. Von<br />
1800 bis zur Gegenwart, begr. von Max Spindler, 2. Aufl. neu hg. von Alois<br />
Schmid: 1. Teilband: Staat und Politik, München 2003; 2. Teilband: Innere<br />
Entwicklung und kulturelles Leben, München 2007 (bes. Beiträge von<br />
Wilhelm Volkert und Rainer Gömmel)<br />
Knauß, Hans: Halb Fabrik, halb historischer Palast. Bahnhöfe in Bayern<br />
– Zur Entwicklung eines Bautypus, in: Unser Bayern. Heimatbeilage <strong>der</strong><br />
<strong>Bayerischen</strong> Staatszeitung 34/7 (1985), S. 52–54<br />
Liebl, Anton J.: Die Privateisenbahn München-Augsburg (1835–1844).<br />
Entstehung, Bau und Betrieb. Ein Beitrag zur Strukturanalyse <strong>der</strong> frühen<br />
Industrialisierung Bayerns, München 1982 (Miscellanea Bavarica Monacensia<br />
103)<br />
Lobenhofer-Hirschbold, Franziska: Fremdenverkehr (von den Anfängen<br />
bis 1945), in: Historisches Lexikon Bayerns, S. 1–10, URL: (15. Oktober 2009)
Lohmann, Fritz: Die Entwicklung <strong>der</strong> Lokalbahnen in Bayern, Leipzig 1901<br />
(Wirtschafts- und Verwaltungsstudien mit beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung<br />
Bayerns 11)<br />
Löwenstein, Theodor: Die bayerische Eisenbahnbaupolitik bis zum Eintritt<br />
Deutschlands in die Weltwirtschaft 1825 bis 1890, Diss. Frankfurt am Main<br />
1926, Teildruck Berlin 1927<br />
Luth, Kosmas: Der Bau <strong>der</strong> bayerischen Eisenbahnen rechts des Rheines,<br />
München/Leipzig 1883<br />
Mages, Emma: Eisenbahnbau, Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft in<br />
<strong>der</strong> südlichen Oberpfalz (1850–1920), Kallmünz 1984 (Regensburger<br />
Historische Forschungen 10)<br />
Mages, Emma: „… mit Dampfesflügeln auf <strong>der</strong> Eisenstraße fahren …“ 150<br />
Jahre Eisenbahn im Regensburger Land, in: Regensburger Land 2 (2009),<br />
S. 45–62<br />
Mages, Emma: „…um Wohl und Wehe für alle Zeiten“. Zum 150-jährigen<br />
Jubiläum <strong>der</strong> Eisenbahn im Landkreis Amberg-Sulzbach, in: Der Eisengau<br />
32 (2009), S. 6–36<br />
Marggraff, Hugo: Die königlich bayerischen Staatseisenbahnen in<br />
geschichtlicher und statistischer Beziehung. Gedenkschrift zum 50. Jahrestag<br />
<strong>der</strong> Inbetriebsetzung <strong>der</strong> 1. Staatsbahnstrecke Nürnberg-Bamberg<br />
am 1. Oktober 1844, München 1894<br />
Ringsdorf, Ulrich Otto: Der Eisenbahnbau südlich Nürnbergs 1841–1849.<br />
Organisatorische, technische und soziale Probleme, Diss. Würzburg 1977,<br />
Nürnberg 1978 (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte<br />
24)<br />
E I S E n b A h n I n b A y E R n<br />
Schäfer, Hans-Peter: Die Entstehung des mainfränkischen Eisenbahn-<br />
Netzes, Teil 1: Planung und Bau <strong>der</strong> Hauptstrecken bis 1879, Würzburg<br />
1979 (Würzburger Geographische Arbeiten 48)<br />
Schweizer, Karl: 150 Jahre Eisenbahn im Landkreis Lindau, in: Jahrbuch<br />
des Landkreises Lindau 18 (2003), S. 9–38<br />
Sendner-Rieger, Beatrice: Die Bahnhöfe <strong>der</strong> Ludwig-Süd-Nord-Bahn<br />
1841–1853, zur <strong>Geschichte</strong> des bayerischen Staatsbauwesens im 19.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t, Karlsruhe 1989<br />
Weigelt, Horst: Bayerische Eisenbahnen. Vom Saumpfad zum Intercity,<br />
Stuttgart 1982<br />
Witt, Günther: Die Entstehung des nordostbayerischen Eisenbahnnetzes,<br />
politische, wirtschaftliche und verkehrsgeographische Motive und Probleme,<br />
Diss. Erlangen-Nürnberg 1968<br />
Zeitler, Walther: Eisenbahnen in Nie<strong>der</strong>bayern und <strong>der</strong> Oberpfalz. Die<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Eisenbahn in Ostbayern, 2. Aufl., Amberg 1997<br />
Zeitler, Walther/Hufschläger, Helge: Die Eisenbahn in Schwaben 1840 bis<br />
heute. <strong>Geschichte</strong>, Betrieb, Technik, Stuttgart 1980<br />
93
94 K R A u S S & C o m p.<br />
Lokomotivfabrik Krauss & Comp. mit <strong>der</strong> festlich geschmückten 1000. Lokomotive, 1882<br />
LokomotiVen Für aLLe sPurweiten<br />
Die Münchner Lokomotivfabrik Krauss & Comp.
Georg Krauß, Fotografie, 1901<br />
Als Georg Krauß am 17. Juli 1866<br />
den Gründungsvertrag <strong>der</strong> Lokomotivfabrik<br />
„Krauss & Comp.“ unterzeichnete,<br />
befuhren Dampflokomotiven<br />
aus deutscher Produktion bereits 25 Jahre<br />
lang das Schienennetz des Zollvereins. Borsig<br />
in Berlin, Maffei in München, Kessler in<br />
Karlsruhe, Egestorff in Hannover, Henschel<br />
in Kassel und Hartmann in Chemnitz – alle<br />
diese Lokomotivbauunternehmen <strong>der</strong> ersten<br />
Stunde hatten schon 500 und mehr Maschinen<br />
geliefert, als <strong>der</strong> Newcomer Krauß<br />
sich in das hart umkämpfte Geschäft wagte.<br />
Weniger wohlmeinende Zeitgenossen unkten<br />
bereits über die Aussichtslosigkeit eines<br />
solchen Unterfangens, als Krauß mit einem<br />
Paukenschlag alle Zweifler zum Verstummen<br />
brachte: Auf <strong>der</strong> Weltausstellung in Paris im<br />
April 1867 erhielt die „Landwührden“, seine<br />
erste in München gefertigte Lokomotive, die<br />
Große Goldene Medaille – die höchste Auszeichnung.<br />
Sie war nach einer neuen Bauart<br />
konstruiert, die nun als „System Krauß“ allgemeine<br />
Anerkennung fand.<br />
diEsER ERfolg waR hart erarbeitet.<br />
Der damals 41-jährige Krauß war kein<br />
akademisch gebildeter Maschinenbauingenieur.<br />
1826 in Augsburg als Sohn eines<br />
Webermeis ters geboren, besuchte er nach<br />
Volks- und Gewerbeschule die Polytechnische<br />
Schule seiner Heimatstadt. An<strong>der</strong>thalb<br />
Jahre verbrachte er als Volontär<br />
in <strong>der</strong> Lokomotivfabrik von Joseph Anton<br />
von Maffei in München. Dann arbeitete er<br />
sich bei den Königlich <strong>Bayerischen</strong> Staatseisenbahnen<br />
vom Lokführer zum Obermaschinisten<br />
und zum Bahnbetriebsleiter<br />
in Kempten und Lindau hoch. Während<br />
dieser Jahre erwarb Krauß ein qualifiziertes<br />
Fachwissen in <strong>der</strong> Lokomotivtechnik. 1857<br />
wechselte er als Maschinenmeister zur Züricher<br />
Nord-Ost-Bahn, <strong>der</strong> größten Eisenbahngesellschaft<br />
<strong>der</strong> Schweiz. Dort konnte<br />
er seine Fähigkeiten als Maschinenbauer<br />
erstmals unter Beweis stellen. 1864 betraute<br />
ihn die Direktion mit dem Bau neuer Lokomotiven,<br />
die er ganz nach seinen Ideen<br />
gestaltete.<br />
K R A u S S & C o m p.<br />
Die erste Lokomotive <strong>der</strong> Firma Krauss, die „Landwührden“, 1867<br />
Münchner Dampfstraßenbahn mit Krauss-Lokomotive am Stiglmaierplatz,<br />
1885<br />
diE loks solltEn über wenig Eigengewicht,<br />
aber doch über große Zugkraft<br />
verfügen. Krauß löste die Aufgabe durch<br />
die Einführung <strong>der</strong> Kastenbauweise für das<br />
Fahrgestell <strong>der</strong> Maschine. Die Kastenform<br />
bewirkte eine Verschlankung <strong>der</strong> Konstruktion<br />
bei erhöhter Stabilität und senkte die<br />
Materialkosten. Das eingesparte Gewicht<br />
erlaubte größere, leistungsfähigere Kessel.<br />
Außerdem konnte <strong>der</strong> Rahmen zugleich als<br />
Wasserbehälter genutzt werden. Eine flexible<br />
Regulierung <strong>der</strong> Wassermenge gestattete die<br />
Anpassung des Lok-Gewichts an die jeweiligen<br />
Witterungs- und Steigungsverhältnisse<br />
und bewirkte eine optimale Schienenhaftung.<br />
EndE 1864 BautE Krauß für seinen<br />
Schweizer Arbeitgeber die vierte Lokomotive.<br />
Damals fasste er den Entschluss,<br />
Zürich zu verlassen und sich in München<br />
unternehmerisch selbstständig zu machen.<br />
Schwieriger als gedacht verlief die Kapitalbeschaffung.<br />
Georg Krauß selbst verfügte<br />
95
96 K R A u S S & C o m p.<br />
Urkunde zur Verleihung <strong>der</strong> Fortschrittsmedaille an Krauss & Co. auf <strong>der</strong> Wiener Weltausstellung von 1873<br />
über 40 000 Gulden. Nur mit Mühe gelang<br />
es ihm, Geldgeber für die noch fehlenden<br />
260 000 Gulden zu finden. Verantwortlich<br />
für die Zurückhaltung <strong>der</strong> Investoren war<br />
sein ehemaliger Münchner Arbeitgeber<br />
Maffei. Er versuchte aus Sorge vor unliebsamer<br />
Konkurrenz mit allen Mitteln, Krauß’<br />
Pläne zu durchkreuzen, was aber letztlich<br />
nicht gelang.<br />
aM 9. MäRz 1866 erhielt Krauß von den<br />
Behörden grünes Licht für die Errichtung<br />
seiner Fabrik auf dem Marsfeld unweit des<br />
Münchner Hauptbahnhofs. Am 15. März<br />
1867 verließ die in Paris prämierte „Landwührden“<br />
die Werkshallen. Auf <strong>der</strong> Wiener<br />
Weltausstellung 1873 wurden Krauss-<br />
Lokomotiven mit <strong>der</strong> Fortschrittsmedaille<br />
ausgezeichnet. Für Aufsehen sorgte 1875 die<br />
Eröffnung <strong>der</strong> Uetlibergbahn, als eine von<br />
Krauß gelieferte Lok mehrere Personenwagen<br />
auf den Gipfel des Züricher Aussichtsberges<br />
schob. Auf <strong>der</strong> 10 km langen Strecke<br />
waren Steigungen von bis zu 7,9 Prozent zu<br />
überwinden – eine Leistung, die normalerweise<br />
nur von Zahnradbahnen erbracht<br />
wurde. Die Linie galt als steilste normalspurige<br />
Adhäsionsbahn Europas, was Krauß’<br />
Ansehen weiter steigerte und die Auftragsbücher<br />
füllen half. 1872 wurde die 200., 1882<br />
die 1000., 1888 die 2000. und 1904 die 5000.<br />
Lokomotive ausgeliefert. Der Jahresumsatz<br />
wuchs von 1867 bis 1874 von 0,5 auf 4,1 Millionen<br />
Mark, die Zahl <strong>der</strong> Arbeiter von 198<br />
auf 705. 1872 eröffnete Krauß ein zweites<br />
Werk am Münchner Südbahnhof, 1880 ein<br />
drittes im oberösterreichischen Linz a. d.<br />
Donau.<br />
Ein VoRzug dEs „systEMs kRauss“<br />
lag in seiner flexiblen Verwendung für alle<br />
Maschinengrößen und Spurweiten. Bis zur<br />
Jahrhun<strong>der</strong>twende lieferte die Münchner<br />
Fabrik Lokomotiven mit 106 verschiedenen<br />
Spurmaßen bei einer Leistung von 5 bis<br />
800 PS. Krauß bediente damit vor allem<br />
die wachsende Nachfrage nach Klein- und<br />
Schmalspurlokomotiven. Beim innerbetrieblichen<br />
Materialtransport, in Untertagegruben,<br />
Steinbrüchen o<strong>der</strong> auf Großbaustellen<br />
kamen die als unverwüstlich<br />
geltenden Triebfahrzeuge in Feld- und Industriebahnen<br />
zum Einsatz. Die Hälfte <strong>der</strong><br />
bis 1904 produzierten Maschinen entfiel auf<br />
dieses Segment. Auch im Geschäft mit den<br />
Eisenbahngesellschaften spielte <strong>der</strong> Schmalspursektor<br />
eine große Rolle. Um 1875 waren<br />
die Hauptbahnstrecken überwiegend gebaut.<br />
Nun ging es um die Erschließung des<br />
flachen Landes durch Nebenbahnen.<br />
uM diEsE liniEn rentabel zu betreiben,<br />
mussten die Bau- und Betriebskosten gering<br />
gehalten werden, was mit kostensparenden<br />
Schmalspurbahnen gelang. 43 Prozent <strong>der</strong><br />
von Krauß bis 1904 an Eisenbahngesellschaften<br />
gelieferten Lokomotiven kamen auf<br />
Sekundärstrecken zum Einsatz. Um den Absatz<br />
seiner Loks zu för<strong>der</strong>n, betätigte Krauß
sich als Generalunternehmer für den Bau<br />
von Bahnlinien. In Thüringen errichtete und<br />
betrieb er die 44 km lange „Feldabahn“ –<br />
Deutschlands erste meterspurige Eisenbahn.<br />
In Oberösterreich folgte 1880 die über 61 km<br />
von Linz a. d. Donau nach Klaus führende<br />
„Kremstalbahn“, im elsässischen Colmar<br />
1885 die 25 km lange „Kaysersberger Talbahn“.<br />
1883 eröffnete Krauß in Wien den<br />
Betrieb einer „Dampftramway“ mit einem<br />
42 km umfassenden Schienennetz. Im gleichen<br />
Jahr startete die Münchner Dampfstraßenbahn.<br />
Sie führte vom Starnberger<br />
Bahnhof über den Stiglmaier-Platz nach<br />
Nymphenburg, erreichte mit den von Krauß<br />
gelieferten Loks eine Geschwindigkeit von<br />
16 km/h und blieb bis 1900 in Betrieb. Auch<br />
in Städten Oberitaliens und <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lande<br />
fuhren Tramwayloks von Krauß.<br />
tRagEndE säulE dEs Geschäfts war<br />
<strong>der</strong> Export. Über die Hälfte <strong>der</strong> Lokomotiven<br />
ging ins europäische Ausland, nach<br />
Schmuckblatt anlässlich <strong>der</strong> Fertigstellung <strong>der</strong> 3000. Lokomotive, 1894<br />
Asien und Südamerika. Ab 1875 führte die<br />
extreme Konjunkturabhängigkeit des Lokbaues<br />
auch bei Krauß zu tiefen und länger<br />
anhaltenden Umsatzeinbrüchen. Erst ab<br />
1890 setzte erneut ein starkes Wachstum<br />
ein. 1900 war mit 2200 Beschäftigten und<br />
einem Jahresumsatz von 11,7 Millionen<br />
Mark <strong>der</strong> Höhepunkt erreicht. Zu diesem<br />
Zeitpunkt hatte Georg Krauß sich längst aus<br />
dem operativen Geschäft zurückgezogen.<br />
Nachdem sein einziger Sohn Konrad 1885<br />
tödlich verunglückt war, vollzog er 1886 die<br />
Umwandlung des Unternehmens in eine<br />
Aktiengesellschaft und wechselte als Vorsitzen<strong>der</strong><br />
in den Aufsichtsrat. Ein Jahr vor seinem<br />
Tod verlieh die Technische Hochschule<br />
München dem in den Adelsstand erhobenen<br />
Unternehmer 1905 „in Anerkennung seiner<br />
bahnbrechenden Leistungen auf dem Gebiet<br />
des Lokomotivbaus“ die Ehrendoktorwürde.<br />
füR nEuE auftRägE sorgte die beginnende<br />
Elektrifizierung <strong>der</strong> Eisenbahn. 1909<br />
K R A u S S & C o m p.<br />
fertigte das Unternehmen den Fahrzeugteil<br />
<strong>der</strong> ersten bayerischen Elektrolokomotive,<br />
die auf <strong>der</strong> Strecke Murnau—Oberammergau<br />
zum Einsatz kam. Heeresaufträge im Ersten<br />
Weltkrieg und Reparationslieferungen<br />
an die Siegermächte brachten die Produktion<br />
noch einmal in Fahrt. 1923 verließ die 8000.<br />
Lokomotive das neue Werk in München-<br />
Allach. Danach bescherten Überkapazitäten<br />
und die Weltwirtschaftskrise allen Herstellern<br />
rote Zahlen. Dabei kam die „Krauss &<br />
Comp. AG“ noch glimpflich davon. 1931<br />
übernahm sie den schwer angeschlagenen<br />
Münchner Konkurrenten Maffei und ging<br />
als „Krauss-Maffei AG“ gestärkt aus <strong>der</strong> Krise<br />
hervor. Das Ende <strong>der</strong> mit dem Namen<br />
Krauß verbundenen Tradition kam 2001, als<br />
Siemens die Verkehrssparte <strong>der</strong> aufgelösten<br />
Krauss-Maffei AG übernahm. An die Anfänge<br />
erinnert noch heute die „Landwührden“,<br />
Krauß’ preisgekröntes Erstlingswerk, das im<br />
Deutschen Museum bewun<strong>der</strong>t werden kann.<br />
RichaRd winklER<br />
97
98 S T I L L g E L E g T E S T R E C K E n<br />
ein PreLLbock in Der LanDschaFt – stiLLgeLegte strecken<br />
Simbach (Inn)—Kößlarn, ehemalige Einfahrt von Süden in den Bahnhof Tuttling
Kempten Stellwerk I—Kempten (Allgäu) Hauptbahnhof, zwei ehemalige<br />
Illerbrücken <strong>der</strong> ursprünglichen Ludwig-Süd-Nord-Bahn-Trasse zum<br />
1971 abgerissenen Kopfbahnhof. Die linke Holzfachwerkträgerbrücke<br />
wurde von 1852 bis 1904 verwendet und dann durch die rechte Betonbrücke<br />
ersetzt (Aufnahme 1999).<br />
Als die ersten Hauptbahnen voller<br />
Enthusiasmus und oft unter größten<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen gebaut<br />
wurden und als ein halbes Jahrhun<strong>der</strong>t später<br />
das Eisenbahnfieber in den Regionen<br />
zum zweiten Mal ausbrach, dachte wohl<br />
niemand daran, dass die „eisernen Bahnen“,<br />
welche sich zu regelrechten Lebensa<strong>der</strong>n<br />
entwickelt hatten, einmal überflüssig werden<br />
würden. Niemand konnte sich wohl<br />
vorstellen, dass im Lauf einiger Jahrzehnte<br />
fast 150 Strecken und damit ein Drittel des<br />
bayerischen Schienennetzes stillgelegt werden<br />
würde. Es waren zum großen Teil die<br />
Nebenbahnen, welche ungefähr die Hälfte<br />
des Gesamtnetzes ausmachten, die nach und<br />
nach verschwanden, aber auch aufwändig<br />
für zwei Gleise trassierte Hauptbahnlinien,<br />
die teilweise sogar über Grenzen hinweg<br />
Län<strong>der</strong> verbanden und an welche einstmals<br />
große Erwartungen geknüpft waren, fielen<br />
<strong>der</strong> Stilllegung zum Opfer.<br />
Obwohl im Zweiten Weltkrieg fast die Hälfte<br />
aller Bahnanlagen zerstört wurde, waren<br />
Kriegsschäden nur zu einem geringen Teil<br />
und in Bayern nur in einem einzigen Fall<br />
Auslöser für die Stilllegung eines Streckenabschnitts.<br />
So sprengten Angehörige <strong>der</strong><br />
Deutschen Wehrmacht im April 1945 in Kitzingen<br />
die Mainbrücke <strong>der</strong> nach Schweinfurt<br />
führenden Steigerwaldbahn, eine <strong>der</strong><br />
längsten Nebenbahnen in Bayern. Trotz<br />
stetiger Bemühungen <strong>der</strong> Stadt wurde diese<br />
nie wie<strong>der</strong> aufgebaut, sodass die Strecke nur<br />
noch von Norden her befahrbar war.<br />
Bald nach kRiEgsEndE begann eine<br />
Phase intensiven Wie<strong>der</strong>aufbaus <strong>der</strong> zer-<br />
störten Eisenbahnstrecken, wenngleich dies<br />
oft nur mit einfachsten Mitteln und häufig<br />
provisorisch erfolgte: In Schweinfurt wurde<br />
<strong>der</strong> Main 38 Jahre lang mittels einer damals<br />
errichteten Behelfsbrücke überquert! Die<br />
Wie<strong>der</strong>instandsetzung <strong>der</strong> Eisenbahnstrecken<br />
trug zum allmählich einsetzenden wirtschaftlichen<br />
Aufschwung bei. In weiten Teilen<br />
wurde das lahm gelegte Netz befahrbar<br />
gemacht und auch scheinbar unbedeutende<br />
Orte mit weniger als 2 000 Einwohnern,<br />
welche durch Stichbahnen Anschluss an<br />
die weite Welt gefunden hatten, waren nun<br />
wie<strong>der</strong> mit dem Zug erreichbar. Man konnte<br />
mit „seiner“ Bahn nach Heimbuchenthal,<br />
Leupoldsdorf, Rügland-Unternbibert, Alling,<br />
Haidmühle, Obing o<strong>der</strong> Lechbruck<br />
und an die zahlreichen Unterwegsstationen<br />
gelangen.<br />
ungünstig füR dEn foRtBEstand<br />
einer Strecke war bisweilen – abgesehen von<br />
<strong>der</strong> geringen Größe einer Gemeinde – die<br />
Tatsache, dass die Bahnhöfe manchmal relativ<br />
weit außerhalb des Ortes lagen, was in <strong>der</strong><br />
Topografie bzw. Streckenführung begründet<br />
lag (Wallenfels, Heideck, Bad Heilbrunn,<br />
Roßhaupten). Mancherorts konnte man sich<br />
nicht auf einen Bahnhof einigen (Aub-Bal<strong>der</strong>sheim,<br />
Höchstädt-Thierstein, Asch-Lee<strong>der</strong>)<br />
und zuweilen fiel die Entscheidung im<br />
Interesse Einzelner, wie dies schon Ludwig<br />
Thoma in seinem Stück „Die Lokalbahn“ beschrieben<br />
hat: Wegen <strong>der</strong> Ziegelei des Barons<br />
kommt <strong>der</strong> Bahnhof „eine Viertelstunde vor<br />
die Stadt hinaus“. Insgesamt aber verän<strong>der</strong>te<br />
sich das Verkehrswesen in <strong>der</strong> Zeit von Wie<strong>der</strong>aufbau<br />
und Wirtschaftswun<strong>der</strong> grundle-<br />
S T I L L g E L E g T E S T R E C K E n<br />
Gunzenhausen—Nördlingen („Ludwig-Süd-Nord-Bahn“), Formsignale<br />
im Bahnhof Wassertrüdingen (Aufnahme 1995)<br />
gend. Omnibusse und <strong>der</strong> zunehmende Individualverkehr<br />
bedrängten die Bahnen im<br />
Hinblick auf den Personentransport, so wie<br />
die Eisenbahn seinerzeit Kanalbetreibern<br />
und Kutschern Konkurrenz gemacht hatte.<br />
Aber auch Bahnen haben Bahnen verdrängt:<br />
Neue Strecken entwickelten sich zu Konkurrenzlinien,<br />
sodass manche ehemalige Hauptbahn<br />
zur Nebenstrecke herabgestuft o<strong>der</strong><br />
ganz stillgelegt wurde. So war die Strecke<br />
(Pleinfeld—)Gunzenhausen—Nördlingen,<br />
bereits 1848 als Teil <strong>der</strong> Ludwig-Süd-Nord-<br />
Bahn eröffnet, Glied einer Magistrale von<br />
Sachsen in die Schweiz; 1906, als die wesentlich<br />
kürzere Verbindung über Treuchtlingen<br />
nach Donauwörth endgültig fertig gestellt<br />
wurde, hatte sie nur noch lokale Bedeutung,<br />
bis dann <strong>der</strong> Personenverkehr zwischen<br />
Gunzenhausen und Nördlingen 1985 ganz<br />
eingestellt wurde.<br />
häufigER gRund für eine Stilllegung<br />
war die Tatsache, dass eine Strecke bei städtebaulichen<br />
o<strong>der</strong> Straßenbaumaßnahmen<br />
einfach im Weg war. Dies war <strong>der</strong> Fall bei<br />
<strong>der</strong> Verbindung von Berchtesgaden Hauptbahnhof<br />
nach Salzburg Lokalbahnhof; diese<br />
Strecke wurde bereits 1939 trotz hoher Frequentierung<br />
und Rentabilität bis zur Landesgrenze<br />
abgebrochen, weil sie beim Bau <strong>der</strong><br />
Zufahrtsstraße zum Obersalzberg hin<strong>der</strong>lich<br />
war. Auch Wasserbaumaßnahmen musste<br />
manche Bahnlinie weichen: So beschleunigte<br />
<strong>der</strong> Bau des Eixendorfer Stausees den<br />
Untergang <strong>der</strong> Bahnlinie von Bodenwöhr<br />
Nord über Neunburg vorm Wald nach Rötz<br />
in <strong>der</strong> Oberpfalz und verschlang etliche Kilometer<br />
<strong>der</strong> Trasse.<br />
99
100 S T I L L g E L E g T E S T R E C K E n<br />
Neustadt (Aisch) Bahnhof—Demantsfürth-<br />
Ühlfeld, Haltestelle Dachsbach mit hölzernem<br />
Agenturgebäude (Aufnahme 1995)<br />
Bamberg—Scheßlitz, Trasse westlich von Memmelsdorf (Aufnahme 1999)<br />
Haßfurt—Hofheim (Unterfranken), Bahnhof<br />
Königsberg (Bayern) mit Dienstgebäude und<br />
Güterschuppen (Aufnahme 1999)<br />
Gessertshausen—Türkheim (Bayern) Bahnhof („Staudenbahn“), Trasse nördlich von Ettringen (Aufnahme 1995)<br />
Pressath—Kirchenthumbach, Bahnhofsanlagen<br />
Eschenbach (Oberpfalz), im Hintergrund<br />
das Dienstgebäude (Aufnahme 1997)<br />
Sinzing—Alling, Dienstgebäude des Bahnhofs Alling (Aufnahme 2002)
S T I L L g E L E g T E S T R E C K E n<br />
Pilsting—Abzweigstelle Elsenbach/Neumarkt-St. Veit, Relikt einer für zwei Gleise angelegten Brücke südlich von Mamming (Aufnahme 1996)<br />
Mellrichstadt Bahnhof–Fladungen, Bahnhof Nordheim vor <strong>der</strong> Rhön mit Dienstgebäude, Güterschuppen und La<strong>der</strong>ampe (Aufnahme 1999)<br />
101
102 S T I L L g E L E g T E S T R E C K E n<br />
Der preisgekrönte Spielfilm „Wallers letzter Gang“ mit Rolf Euba in <strong>der</strong> Hauptrolle (Buch und Regie: Christian Wagner) ist<br />
literarisch und dokumentarisch zugleich: Er fußt zum einen auf dem Roman „Die Strecke“ von Gerhard Köpf und ist zum<br />
an<strong>der</strong>en inspiriert von akribischen Recherchen an <strong>der</strong> Bahnlinie Isny—Kempten und ausführlichen Interviews mit dem<br />
Streckengeher Anton Kretzler. Die DVD zum Film enthält ausführliche Materialien zur Entstehung des Film, aber auch zur<br />
<strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> 1989 endgültig abgebauten Bahnstrecke. (www.wagnerfilm.de)<br />
diE aufgaBE EinER BahnstREckE<br />
erfolgte in den wenigsten Fällen stillschweigend.<br />
Nach intensiven Planungsphasen und<br />
oft hohen finanziellen Aufwendungen <strong>der</strong><br />
betroffenen Gemeinden, <strong>der</strong> feierlichen Einweihung<br />
mit dem Jahrzehnte währenden<br />
Betrieb war die „eigene“ Bahn zu einem<br />
festen Bestandteil des Alltags geworden, mit<br />
<strong>der</strong> man sich stark identifizierte. Dies zeigt<br />
sich auch an den liebevollen Bezeichnungen,<br />
die <strong>der</strong> Volksmund für seine Eisenbahn<br />
fand: „Schäätzer Bockäla“, „Seekuh“, „Falkensteiner<br />
Bockerl“ o<strong>der</strong> „Legauer Rutsch“<br />
sind nur einige Beispiele. Stilllegungspläne<br />
führten häufig zu Protesten in den Gemeinden<br />
und das Ende war eine Inszenierung, die<br />
viel mit <strong>der</strong> Einweihung gemein hatte: Der<br />
letzte planmäßig verkehrende Zug, festlich<br />
geschmückt wie bei <strong>der</strong> Eröffnung, war voll<br />
besetzt wie bei <strong>der</strong> Jungfernfahrt. Im Fall <strong>der</strong><br />
Rötzer Bahn ging <strong>der</strong> Protest so weit, dass<br />
Bürgermeister und Stadtrat ihre Ämter nie<strong>der</strong>legten<br />
und die Regierung <strong>der</strong> Oberpfalz<br />
einen Kommissär entsandte, um die Lage zu<br />
beruhigen.<br />
In <strong>der</strong> Regel wurde zunächst <strong>der</strong> Personenverkehr<br />
auf <strong>der</strong> Bahnstrecke eingestellt und<br />
auf Omnibusverkehr umgestellt; nur auf we-<br />
nigen Strecken blieb ein, meist bescheidener,<br />
Güterverkehr aufrechterhalten; bisweilen<br />
erfährt eine Strecke eine Neubelebung<br />
durch die Veranstaltung touristischer Son<strong>der</strong>fahrten.<br />
Am stärksten war Oberfranken<br />
von <strong>der</strong> Stilllegungswelle betroffen (474,9<br />
Kilometer, 29 Strecken), am wenigsten Mittelfranken<br />
(262,7 Kilometer, 15 Strecken),<br />
obwohl dieser Bezirk 13 Quadratkilometer<br />
größer ist und eine um 600 000 höhere Einwohnerzahl<br />
hat.<br />
Die Gleise <strong>der</strong> stillgelegten Strecken wurden<br />
meist abgebaut, die Trassen kann man aber<br />
vielerorts noch aufspüren, häufig auch begehen,<br />
wenn man sich an alten Landkarten<br />
und Fahrplänen orientiert. Man kann den<br />
Charme unbekannter Orte entdecken, die<br />
Landschaft in sich aufnehmen, den Reiz des<br />
Vergänglichen im Augenblick spüren, aber<br />
auch die einstige kulturelle und verkehrsgeografische<br />
Bedeutung <strong>der</strong> Bahn gerade auf<br />
dem Land erahnen − und seine Gedanken<br />
auch in die Zukunft schweifen lassen. Und<br />
bestimmt würde man sonst nie nach Sameister<br />
und Freßlesreuthe, Wullenstetten und<br />
Witzighausen, Hexenagger und Tettenagger,<br />
Wiesenthau und Pinzberg, Unterleinleiter,<br />
Voccawind, Pflaumheim-Wenigumstadt,<br />
Poppen lauer, Leichendorf und Vincenzenbronn,<br />
Hohe Tanne, Altenplos und Krumme<br />
Fohre, Krummennaab, Kleinschloppen,<br />
Schnabelweis o<strong>der</strong> Knadlarn kommen. Und<br />
wüsste vielleicht gar nicht, dass Königsberg<br />
in Bayern liegt.<br />
diE untERgEgangEnEn schiEnEnwEgE<br />
sind auf die unterschiedlichste Weise<br />
gegenwärtig und durch allerhand Hoch-,<br />
Kunst- und Erdbauten bezeugt. Bis zum<br />
Ende <strong>der</strong> 1990er-Jahre waren immerhin<br />
noch ungefähr 300 Bahnhofsbauten und<br />
500 Brücken erhalten. Völlig untergegangen<br />
ist eine einzige Strecke: ausgerechnet die legendäre<br />
Ludwigsbahn von Nürnberg nach<br />
Fürth, von <strong>der</strong> eine rasante Entwicklung<br />
ihren Anfang genommen hatte. Bis zu ihrer<br />
Stilllegung 1922 hatte sie über 85 Jahre lang<br />
als reiner Inselbetrieb ohne Anschluss an<br />
das bayerische Netz existiert, trotz <strong>der</strong> Konkurrenz<br />
durch die Ludwig-Süd-Nord-Bahn,<br />
welche nach einer Neutrassierung auch<br />
Fürth berührte, und trotz einer direkt daneben<br />
liegenden zweigleisigen elektrischen<br />
Straßenbahn.<br />
Ob Relikte früherer Bahnstrecken erhalten<br />
bleiben und welcher Nutzung sie zugeführt
werden, ist sehr unterschiedlich: Eine vor<br />
über 110 Jahren stillgelegte Linie in Nie<strong>der</strong>bayern<br />
(Perkam—Abzweigstelle Atting)<br />
weist noch mächtige Erdbauten und den<br />
ehemaligen Bahnhof von Pilling auf, welcher<br />
als solcher allerdings nicht mehr zu<br />
erkennen ist und als Bauernhof genutzt<br />
wird. Deggendorfs erstes Stationsgebäude<br />
im Ortsteil Fischerdorf, vor über 130 Jahren<br />
wegen einer Streckenverlegung aufgegeben,<br />
ist gut erhalten und dient heute als Wohnhaus,<br />
während die Trasse in Fel<strong>der</strong>n völlig<br />
aufgegangen ist. Dagegen gibt es Linien, die<br />
wesentlich später stillgelegt wurden, von<br />
denen aber kein einziges Empfangsgebäude<br />
mehr vorhanden ist.<br />
So präsentieren sich diese Zeugnisse des Industriezeitalters<br />
in sehr unterschiedlichen<br />
Zuständen. Es gibt romantisch anmutende<br />
Trassenüberreste ohne Überbauung durch<br />
Siedlungen o<strong>der</strong> Bereinigung von Fluren;<br />
melancholisch stimmende Schottertrassen,<br />
morsche Schwellen, rostige Schienen, funktionslose<br />
Signale, vergessene Waggons und<br />
verlassene Gebäude; schwer zu erkennende<br />
Einschnitte und Erhebungen, Schneisen<br />
durch Wäl<strong>der</strong>, charakteristischen Bewuchs,<br />
Feldwege und Straßen, welche sich dem Eisenbahnarchäologen<br />
mit entsprechendem<br />
Gespür und manches Mal nur mithilfe von<br />
Zeitzeugen erschließen. Das Ende <strong>der</strong> Strecke<br />
o<strong>der</strong> ihren Anfang markieren häufig <strong>der</strong><br />
symbolträchtige Prellbock, zwischen Schienen<br />
gekreuzte Schwellen, die Haltscheibe<br />
o<strong>der</strong> das Gleisende ... Oft findet man auch<br />
zu Radwan<strong>der</strong>wegen ausgebaute Trassen,<br />
allein in Bayern hun<strong>der</strong>te Kilometer, wobei<br />
man <strong>der</strong> ursprünglichen Streckenführung<br />
teilweise nur auf einzelnen Abschnitten bis<br />
zu Landkreis- o<strong>der</strong> Gemeindegrenzen folgen<br />
kann.<br />
ManchE ungEnutztE stREckE blieb<br />
aber auch im ursprünglichen Zustand erhalten,<br />
sie wird „vorgehalten“ und nur die<br />
Vegetation bemächtigt sich ihrer und lässt<br />
sie „verkrauten“. Hintergrund sind meist<br />
potenzielle Militärtransporte o<strong>der</strong> die Hoff-<br />
nung auf eine Wie<strong>der</strong>inbetriebnahme. Die<br />
grenzüberschreitende Linie vom oberfränkischen<br />
Selb-Plößberg nach Asch (Böhmen)<br />
beispielsweise, ursprünglich Teil <strong>der</strong><br />
Pachtbahn von Oberkotzau (bei Hof) nach<br />
Eger – in den 1970er- und 1990er-Jahren<br />
zur Nebenbahn zurückgestuft (während <strong>der</strong><br />
tschechische Teil bis heute den Status einer<br />
Hauptbahn hat) – könnte je<strong>der</strong>zeit wie<strong>der</strong> in<br />
Betrieb genommen werden und die Regionen<br />
<strong>der</strong> beiden Nachbarlän<strong>der</strong> verknüpfen.<br />
Es gibt auch Strecken, die funktionstüchtig<br />
bleiben für einen vereinfachten Betrieb o<strong>der</strong><br />
sogar elektrifiziert und hauptbahnmäßig<br />
ausgebaut werden wie die Verbindung Waigolshausen—Wernfels,<br />
die als Abkürzung<br />
für den Güterverkehr von Schweinfurt nach<br />
Gemünden dient. Auf manchen Strecken,<br />
beispielsweise in Mellrichstadt—Fladungen<br />
o<strong>der</strong> Ebermannstadt—Behringersmühle,<br />
findet in den Sommermonaten ein nostalgischer<br />
Museumszugverkehr statt.<br />
In Bayern wurde im Jahr 1995 mit <strong>der</strong> Auflassung<br />
<strong>der</strong> unterfränkischen Nebenbahn<br />
von Haßfurt nach Hofheim, an welcher<br />
übrigens das bayerische Königsberg liegt,<br />
die Welle <strong>der</strong> Stilllegungen gebannt. Ob das<br />
Ende dieses „Rückbaus“ endgültig o<strong>der</strong> nur<br />
vorläufig ist, bleibt abzuwarten.<br />
nuR diE allERwEnigstEn <strong>der</strong> stillgelegten<br />
Bahnen sind jemals wie<strong>der</strong> in Betrieb<br />
genommen worden. So wurden bald<br />
nach dem Mauerfall und <strong>der</strong> Öffnung <strong>der</strong><br />
Grenzen von Mellrichstadt und Neustadt<br />
bei Coburg 1991 zwei Verbindungen nach<br />
Thüringen (Rentwertshausen und Sonneberg)<br />
wie<strong>der</strong> eröffnet sowie die mit 0,0 Kilometern<br />
kürzeste aller Strecken von Bayerisch<br />
Eisenstein nach Böhmisch Eisenstein<br />
reaktiviert; die deutsch-tschechische Grenze<br />
verlief mitten durch das seit 1878 bestehende<br />
gemeinschaftliche Dienstgebäude, über<br />
Gleise und Bahnsteige – <strong>der</strong> trennende Zaun<br />
wurde abgebaut und so wie<strong>der</strong> ein durchgehen<strong>der</strong><br />
Verkehr nach Pilsen ermöglicht. Von<br />
den rein innerbayerischen Strecken hat man<br />
nur zwei wie<strong>der</strong> belebt. 1994 wurde <strong>der</strong> Ab-<br />
S T I L L g E L E g T E S T R E C K E n<br />
„Zug ist hier schon lange keiner mehr durchgekommen.<br />
Die Bahnhöfe verfallen, die Wartehäuschen sind windschief, die Bahnsteige verkommen …<br />
keine Anschlusszüge mehr. Irgendwo liegt ein Kursbuch herum,<br />
<strong>der</strong> Wind spielt mit den knisternden Seiten …“<br />
(Gerhard Köpf, Die Strecke)<br />
schnitt Mühldorf (Inn)—Wasserburg (Inn)<br />
Bahnhof <strong>der</strong> Linie nach Rosenheim neuerlich<br />
in Betrieb genommen, auf welchem <strong>der</strong><br />
Verkehr seit 1985 geruht hatte, nachdem<br />
die Fahrgäste einige Jahre lang vor <strong>der</strong> für<br />
Züge gesperrten 150 Meter langen Innbrücke<br />
bei Jettenbach aussteigen und diese zu<br />
Fuß überqueren mussten, um dann wie<strong>der</strong><br />
zur Fortsetzung <strong>der</strong> Fahrt in einen an<strong>der</strong>en<br />
Triebwagen einzusteigen. Die von <strong>der</strong> Deutschen<br />
Bahn geplante Stilllegung war vom<br />
Bund nicht befürwortet worden, vor allem<br />
auch aus militärstrategischen Gründen, und<br />
so konnte nach <strong>der</strong> Sanierung zweier Brücken<br />
die 1876 als Hauptbahn eröffnete Linie<br />
von Mühldorf nach Rosenheim wie<strong>der</strong><br />
durchgängig befahren werden. Außerdem<br />
wurde <strong>der</strong> erst 1952 eingerichtete Personenverkehr<br />
auf <strong>der</strong> oberbayerischen „Kurzstrecke“<br />
Hörpolding—Traunreut, welcher über<br />
40 Jahre geruht hatte, 2006 wie<strong>der</strong> aufgenommen<br />
und bietet seitdem einen attraktiven<br />
Fahrplan.<br />
Die Reaktivierungsversuche stillgelegter Bahnen<br />
in Bayern sind über private Planungen<br />
und Machbarkeitsstudien, wie im Fall des<br />
traditionsreichen Süd-Nord-Bahnabschnitts<br />
von Gunzenhausen nach Nördlingen, bisher<br />
nicht hinausgekommen. Dass sich so manche<br />
Gemeinde wie<strong>der</strong> einen Bahnanschluss<br />
wünscht, steht auf einem an<strong>der</strong>en Blatt und<br />
in vielen Fällen ist <strong>der</strong> letzte Zug sicherlich<br />
für immer abgefahren. Es gibt zwar Busse<br />
(nicht immer) und (schon längst) das Auto,<br />
aber vielleicht hätte man lieber mit <strong>der</strong> Bahn<br />
o<strong>der</strong> sogar nur wegen <strong>der</strong> Bahn an manchen<br />
Ort fahren wollen.<br />
wilfRiEd ERnst hölzlER<br />
NB: Wilfried Ernst Hölzler ist <strong>der</strong> wohl beste<br />
Kenner <strong>der</strong> 152 stillgelegten Eisenbahnlinien<br />
in Bayern, die er sich auf über 3000 km „ergangen“<br />
und mit seiner Spiegelreflexkamera<br />
in atmosphärisch dichten Bil<strong>der</strong>n dokumentiert<br />
hat. In seinem Buch „Gehen, wo man<br />
nicht mehr fahren kann“ (Buchloe 2007, ISBN<br />
978-3-927781-37-5) setzt er den Strecken in<br />
Schwaben ein Denkmal.<br />
103
104 b A h n h o f A S C h A f f E n b u R g<br />
bahnhoF aschaFFenburg: 4 aktionen<br />
Die Installation GÖTTERBOTE des Künstlers Udo Breitenbach<br />
– zu sehen 2009 in einer Kabinettausstellung des Aschaffenburger<br />
KunstLanding – war Teil einer Kunstaktion, die im<br />
Zusammenhang mit dem Abriss des Bahnhofs Aschaffenburg<br />
stattfand, <strong>der</strong> in seiner Entstehungszeit als <strong>der</strong> schönste Bahnhof<br />
<strong>der</strong> jungen Republik galt. Mit dem Abriss des Aschaffenburger<br />
Bahnhofs wäre <strong>der</strong> keramische Fassadenwandschmuck<br />
unwie<strong>der</strong>bringlich verloren gegangen, hätte Breitenbach den<br />
„Götterboten” nicht in allerletzter Minute gerettet.
Aktion 1: HERMES-RETTUNG<br />
Die Rettungsaktion entstand aus dem Impuls, ein dem Untergang<br />
geweihtes Kunstwerk im öffentlichen Raum zu erhalten und die, aus<br />
Sicht des Künstlers, mangelnde Wertschätzung von Alltagskultur aufzuzeigen:<br />
Mit dem Votum <strong>der</strong> Aschaffenburger Bürger für den Abriss<br />
des mustergültigen Fünfzigerjahrebahnhofs war auch das Schicksal<br />
<strong>der</strong> Fliesenbil<strong>der</strong> besiegelt, die den Götterboten Hermes und ein geflügeltes<br />
Rad, das Symbol <strong>der</strong> Eisenbahn, zeigten. Den Stadträten waren<br />
die Kosten für eine fachgerechte Demontage – von den Museen<br />
<strong>der</strong> Stadt Aschaffenburg empfohlen – mit mindestens 20 000 EURO<br />
zu hoch, zumal sich die Frage stelle, ob das überhaupt Kunst sei, und<br />
man ohnehin nicht wisse, was man mit den Fliesen anfangen solle.<br />
Als bereits die Bagger mit dem Abriss beschäftigt waren, entschloss<br />
sich Udo Breitenbach, die Rettung des „Hermes“ zu versuchen, die<br />
ihm die Abrissfirma ermöglichte: „Der kommt eh’ auf die Bauschuttdeponie!“.<br />
In einer 14-stündigen Notbergung mit Gerüst, Flex und<br />
Hammer konnte Breitenbach 243 Fliesen des Wandbildes retten, ehe<br />
die Aktion wegen Einsturzgefahr des benachbarten Gebäudeflügels<br />
abgebrochen werden musste. Ein Teil des luftigen Schals <strong>der</strong> Hermesfigur<br />
ging für immer verloren, ebenso das komplette „Geflügelte Rad“.<br />
Die beiden Wandbil<strong>der</strong> waren von dem Keramiker und Formgestalter<br />
Theo Rathgeber 1954 für den Aschaffenburger Bahnhof entworfen<br />
worden. Die Architektur des Bahnhofs wie auch die Wandbil<strong>der</strong><br />
spiegeln den Optimismus des beginnenden Wirtschaftswun<strong>der</strong>s wi<strong>der</strong>.<br />
Der stilisierte geflügelte „Götterbote“ mit zwei gelben Koffern<br />
und wehendem Schal steht symbolisch für den Aufbruch in eine<br />
neue Zeit, die das Drama des Krieges hinter sich lässt.<br />
Aktion 2: HERMES-ENTSORGUNG<br />
Mit <strong>der</strong> Performance „Hermes-Entsorgung“ vollzog Breitenbach<br />
den Willen <strong>der</strong> Bürgervertreter symbolisch nach und entsorgte das<br />
Fliesenbild „ordnungsgemäß“ auf <strong>der</strong> Ringheimer Bauschuttdeponie,<br />
im Rahmen des Kulturevents „Kunst am Grenzweg“ – ganz in<br />
<strong>der</strong> Nähe des 1936/37 unter strengster Geheimhaltung errichteten<br />
Forschungsfliegerbunkers Ringheim, in dem nach Kriegsende zahlreiche<br />
Flüchtlinge Unterkunft fanden.<br />
Aktion 3: KULTUR-RECYCLING<br />
An Ort und Stelle rekonstruierte Breitenbach im Sinne einer „Alltagsarchäologie“<br />
die Bruchstücke des „Hermes“ und gab diesem eine<br />
neue Identität „als Phönix aus <strong>der</strong> Asche“.<br />
Aktion 4: Installation GÖTTERBOTE<br />
im KunstLanding<br />
Bei seiner Installation „GÖTTERBOTE“ im KunstLanding nutzte<br />
Breitenbach die Mittel <strong>der</strong> Spurensicherung, Objektkunst, Malerei,<br />
Fotografie, Animation und Satire, um auf den aus seiner Sicht tragischen<br />
Verlust von Alltagskultur hinzuweisen. Die raumbezogene<br />
Installation bestand aus fünf Einzelarbeiten:<br />
1. „GÖTTERBOTE“: Das raumbeherrschende Wand-/Deckengemälde<br />
in Acrylfarben bestimmt die Kabinettausstellung. Im Sinne<br />
<strong>der</strong> Pop-Art ist <strong>der</strong> „Götterbote“ ikonenhaft überhöht und wird zum<br />
Idol stilisiert. Die lebensgroße Darstellung erstreckt sich über Wände<br />
und Decke des kleinen Ausstellungsraums und scheint den „Kultur-<br />
Raum Aschaffenburg“ zu sprengen.<br />
b A h n h o f A S C h A f f E n b u R g<br />
105
106 b A h n h o f A S C h A f f E n b u R g<br />
Alltagsarchäologe Breitenbach<br />
Götterbote neu Das geht mir wirklich an den Nierentisch Die Gnade(nlosigkeit) <strong>der</strong> späten Geburt
2. fRagMEntE dEs oRiginalEn wandBildEs „hERMEs“<br />
Dem Bild zu Füßen liegen die Reste des originalen Wandbilds als Fragment.<br />
Die handbemalten Fliesen rhythmisieren den Boden des Ausstellungsraums.<br />
Sie rekonstruieren nicht das Abbild des Hermes, son<strong>der</strong>n<br />
dekonstruieren die Darstellung des Götterboten, die idealtypisch<br />
den „Aufbruch in eine neue Zeit“ nach dem Drama des Nationalsozialismus<br />
symbolisierte. Die Installation zeigt die Eigenästhetik <strong>der</strong><br />
Fragmente: Jede Kachel ist ein kleines abstraktes Kunstwerk für sich.<br />
3. „das gEht MiR wiRklich an dEn niEREn-tisch!“<br />
Platz nehmen kann <strong>der</strong> Betrachter auf einer mo<strong>der</strong>nistischen Bahnhofsbank<br />
des Designers Harry Bertoia, die 1954 die Wartehalle des<br />
supermo<strong>der</strong>nen Bahnhofs Aschaffenburg zierte. Sie gehört zu einer<br />
Installation, bei <strong>der</strong> sich zwei Monitore auf einem Nierentisch gegenüber<br />
stehen. Das futuristische Design des Fernsehgeräts „WEGA“<br />
steht für den uneingeschränkten Zukunftsglauben und Willen zur<br />
„demokratisierten Mo<strong>der</strong>ne“ <strong>der</strong> „Wirtschafts-Wun<strong>der</strong>kin<strong>der</strong>“. Die<br />
Jetzt-Perspektive ist durch eine Fotodokumentation des Bahnhofsabrisses<br />
in einer Performance „Götterbote“ in Ringheim präsent, die<br />
mit den inzwischen bereits als historisch empfundenen Designobjekten<br />
kontrastiert.<br />
Die Installation zitiert die künstlerischen Ausdrucksmittel des Fluxus<br />
(Nam June Paik) und stellt so einen Bezug zu den Anfängen <strong>der</strong><br />
gesellschafts- und medienkritischen Aktions- und Videokunst <strong>der</strong><br />
frühen 1960er-Jahre her. Fluxus postuliert den fließenden Übergang<br />
bzw. die Einheit von Kunst und Leben: „Es geht um in das Leben<br />
einwirkende Produktionsprozesse und nicht um die Abschottung<br />
<strong>der</strong> Kunst vor dem Leben.“ „Das Leben ist ein Kunstwerk, und das<br />
Kunstwerk ist Leben.“ (Emmett Williams)<br />
4. „diE gnadE(nlosigkEit) dER spätEn gEBuRt“<br />
Mit dem Titel dekonstruiert Breitenbach das berühmte Zitat von <strong>der</strong><br />
„Gnade <strong>der</strong> späten Geburt“ und bricht es ironisch. Ein Ausstellungsobjekt<br />
unter einer Glashaube, eine zeittypische 1950er-Jahre-Vase<br />
des Keramikers Theo Rathgeber, wird kontrastiert mit einem Betonfragment,<br />
das auf dem Standardwerk zur „Keramik <strong>der</strong> 50er Jahre“,<br />
lastet und es zu erdrücken droht. In dem Buch von Horst Markus<br />
sind Arbeiten des Schöpfers des Aschaffenburger „Hermes“ abgebildet,<br />
<strong>der</strong> mit einem Porträt gewürdigt und hier nun gleichsam erdrückt wird.<br />
5. „Blah“. satiRE-zEitung<br />
Mit <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>ausgabe „BLAH“, einer BILD-Zeitungspersiflage,<br />
persifliert Breitenbach den „Hermes-Komplex“, den er als „kulturellen<br />
Kollateralschaden“ und Realsatire empfand. BLAH beinhaltet<br />
unter an<strong>der</strong>em die Fotomontage „Hermes flüchtet aus <strong>der</strong> Kulturstadt!“<br />
Das Layout ist als Wandzeitung in <strong>der</strong> Ausstellung zu sehen.<br />
Zitiert wird dort auch <strong>der</strong> Katalog <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> Landesausstel-<br />
b A h n h o f A S C h A f f E n b u R g<br />
lung 2009 in <strong>der</strong> Würzburger Residenz, für die an den Ortseingängen<br />
von Aschaffenburg mit großen Transparenten geworben wurde. Der<br />
Katalog zur Landesausstellung beklagt im Schlusssatz zum Thema<br />
Architektur: „Und während in <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> Landesausstellung<br />
‚Wie<strong>der</strong>aufbau und Wirtschaftswun<strong>der</strong>, die Architektur <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />
präsentiert wird, fällt <strong>der</strong> elegante Aschaffenburger Hauptbahnhof<br />
von 1954/55 <strong>der</strong> Abrissbirne zum Opfer.“<br />
Spurensicherungsarbeiten<br />
im Œuvre Breitenbachs<br />
Die Kulturrettungsaktion steht in Udo Breitenbachs Œeuvre nicht<br />
alleine, beginnend 1994 mit <strong>der</strong> Spurensicherung zur Wendezeit<br />
(zusammen mit Eva Haak), gefolgt 1999 von <strong>der</strong> Translution eines<br />
ortstypischen Fachwerkhauses und 2009 dem (gescheiterten) Rettungsversuch<br />
des letzten authentischen DDR-Grenzbahnhofs in<br />
Probstzella als Schicksalsort, an dem 20 Millionen Transitreisende<br />
mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> großen Schikanen ausgesetzt waren, versucht<br />
<strong>der</strong> Künstler Bewusstsein für den identitätsstiftenden Wert von so<br />
genannter Alltagskultur zu schaffen. Nicht die Musealisierung, son<strong>der</strong>n<br />
die Integration von <strong>Geschichte</strong> in den Alltag ist sein Anliegen<br />
– his torischer Fluxus könnte man sagen, in dem die Gegenwart in<br />
ein lebendiges, „lebendes“ Verhältnis zur Vergangenheit tritt. Die<br />
Hermes-Rettung soll auf das akut vom Verfall bedrohte Wandbild<br />
„Weltbaum – Grün ist Leben“ (1975) aufmerksam machen, das zu<br />
den frühen Werken <strong>der</strong> „Fassadenmalerei“ gehört. Den größten Teil<br />
des monumentalen Wandbilds von 1975 an <strong>der</strong> Fassade des Siegmundshofs<br />
in <strong>der</strong> Berliner Straße des 17. Juni entwarf <strong>der</strong> Aschaffenburger<br />
Künstler Siegfried Rischar.<br />
Aktuell setzt sich Udo Breitenbach für die Erhaltung des heute als<br />
Spielsalon genutzten Geburtshauses des Malers Ernst Ludwig Kirchner<br />
ein, <strong>der</strong> in Aschaffenburg die ersten drei Jahre seines Lebens<br />
verbrachte. Das in Bahnhofsnähe gelegene <strong>Haus</strong> steht zum Verkauf.<br />
Ernst Ludwig Kirchner hat <strong>der</strong> Prägung, die er hier erhalten hat,<br />
große Bedeutung beigemessen, wenn er schreibt: „Ich bin am Bahnhof<br />
geboren. Das erste, was ich im Leben sah, waren die fahrenden<br />
Lokomotiven und Züge, sie zeichnete ich, als ich drei Jahre alt war.<br />
Vielleicht kommt es von daher, daß mich beson<strong>der</strong>s die Beobachtung<br />
<strong>der</strong> Bewegung zum Schaffen anregt. Aus ihr kommt mir das gesteigerte<br />
Lebensgefühl, das <strong>der</strong> Ursprung des künstlerischen Werkes ist.“<br />
So ist <strong>der</strong> Bahnhof Aschaffenburg Erlebnisraum und künstlerische<br />
Inspirationsquelle, von Ernst Ludwig Kirchner über Theo Rathgeber<br />
bis hin zu Udo Breitenbach.<br />
EVaMaRia BRockhoff nach EinEM tExt Von<br />
udo BREitEnBach<br />
Interessierte für die Spurensicherungsarbeiten Udo Breitenbachs sind<br />
zu den Bürozeiten (Mo–Fr, 10–17 Uhr) im Kreativbüro Breitenbach &<br />
Pötschick, Pompejanumstraße 4, Aschaffenburg, Tel. 06021 412060<br />
je<strong>der</strong>zeit willkommen.<br />
107
108 D E R z u g I n S f R E I E<br />
Der Zug ins Freie<br />
Meine schönste Erinnerung an Eisenbahnfahrten reicht weit<br />
in meine Kindheit zurück ... wir wohnten in München, als<br />
mein Vater 1926 in Walchensee ein Wochenendrefugium<br />
für uns errichtete, das fortan unser heiß geliebtes „Häusl“ war. Entworfen<br />
hat es übrigens <strong>der</strong> berühmte Münchner Architekt Richard Riemerschmid.<br />
Ich war damals fünf Jahre alt. Doch trotz <strong>der</strong> seither verstrichenen<br />
84 Jahre kann ich mich genau an bestimmte Eindrücke auf<br />
unseren Fahrten mit <strong>der</strong> Isartalbahn erinnern: <strong>der</strong> eigentümliche Geruch<br />
<strong>der</strong> Dampflokomotive, die Waggons in <strong>der</strong> 3. Klasse, die mit einfachen<br />
Holzbänken aus lackierten Latten ausgestattet waren. Beleuchtet<br />
wurden die Abteile mit Karbidlampen. Unvergesslich ist mir das<br />
klackernde Geräusch, das die eisernen Rä<strong>der</strong> auf den ungeschweißten<br />
Schienen machten, und zwischen den einzelnen Waggons konnte man<br />
den zischenden Dampf sehen, <strong>der</strong> aus den Bremsschläuchen entwich.<br />
Das von Richard Riemerschmid entworfene Fertighaus <strong>der</strong> Familie<br />
Siegel, innerhalb weniger Tage aufgestellt und bezogen, war eine kleine<br />
Sensation in Walchensee.<br />
Von <strong>der</strong> Isartalbahn, mit <strong>der</strong> die Familie Siegel so oft wie möglich aufs<br />
Land in ihr Wochenendrefugium fuhr, wurden <strong>der</strong> nördliche und <strong>der</strong><br />
südliche Teil abgebrochen. Hier sind heute nur noch Relikte erhalten<br />
wie die Überreste <strong>der</strong> Loisachbrücke bei Feltzen.<br />
Meine Isartalbahn 1926 – 1936<br />
Es war eine zweistündige Fahrt, die wir unternahmen, vom Isartalbahnhof<br />
in Sendling nach Bichl/Kochel am Kochelsee, durch Fel<strong>der</strong> und<br />
Wäl<strong>der</strong>. Der Zug hielt an jedem Ort, kaum eine Station war länger als<br />
eine Viertelstunde vom nächsten Halt entfernt. Aus dem offenen Waggonfenster<br />
in die Landschaft zu schauen brachte garantiert erst Ruß<br />
und dann Tränen in die Augen. Aber es waren wun<strong>der</strong>bare Fahrten<br />
und geregnet hat es meiner Erinnerung nach niemals!<br />
In Kochel angekommen, ging es dann, samt umfangreichem Gepäck,<br />
mit dem Postbus über den Kesselberg und Urfeld bis nach Dorf Walchensee<br />
und ins Häusl. Für mich sind dies herrliche Erinnerungen aus<br />
<strong>der</strong> Kindheit und auf jeden Fall gab es viel mehr zu sehen und zu erleben<br />
als dies heute in <strong>der</strong> halben Zeit mit dem Auto auf <strong>der</strong> Autobahn<br />
möglich ist.<br />
h. pEtER sinclaiR<br />
Der Münchner<br />
Rechtsanwalt<br />
Dr. jur. et rer. pol.<br />
Michael Siegel mit<br />
seinem Sohn Peter.
münchen-hauPtbahnhoF<br />
Vater Michael, Mutter Tilde und Onkel Ernst verabschieden<br />
sich von dem gerade 18 Jahre alten Hans Peter. Nach jüdischem<br />
Brauch segnet ihn <strong>der</strong> Vater vor <strong>der</strong> Abreise, die<br />
Mutter weint, versucht dies aber hinter einem Taschentuch zu verbergen,<br />
und Onkel Ernst macht noch schnell eine Blitzlichtaufnahme<br />
von Peter, <strong>der</strong> sich zum Abschied aus dem Abteilfenster beugt.<br />
Peter denkt vor allem an das große Abenteuer, das ihn nun erwartet.<br />
Ziel: London, England.<br />
Er besitzt einen Reisepass des Deutschen Reichs, versehen mit dem<br />
decouvrierenden „J“, er hat die erlaubten 10 Reichsmark in <strong>der</strong> Tasche<br />
sowie ein Visum nach England und er nimmt zwei Koffer mit<br />
dem Nötigsten mit. Der junge Mann musste aus dem nationalsozialistischen<br />
Deutschland emigrieren, nur weil er jüdisch war und im Land<br />
seiner Geburt keinerlei Zukunft mehr hatte.<br />
21. März 1939 gegen Mitternacht<br />
Nach <strong>der</strong> Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 verloren alle<br />
noch in Deutschland lebenden Juden jedes bürgerliche Recht. Man lief<br />
Gefahr, je<strong>der</strong>zeit von <strong>der</strong> SA, <strong>der</strong> SS o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gestapo verhaftet und in<br />
ein Konzentrationslager wie Dachau gebracht zu werden – viele überlebten<br />
dies nicht.<br />
Für die Familie Siegel war die Abreise des ältesten Sohnes <strong>der</strong> Beginn<br />
großer Abschiede: die späte Flucht seiner Eltern aus Deutschland<br />
im Jahr 1940 um die halbe Welt; die Deportation seiner Großmutter<br />
Hilda Waldner und ihres Sohnes, des Pianisten Joseph Waldner, die<br />
beide den Holocaust nicht überlebten. Peter hat in England Fuß gefasst,<br />
er ist seit 1939 „zu <strong>Haus</strong>e in England“, seine Heimat aber bleibt<br />
München und Oberbayern.<br />
h. pEtER sinclaiR<br />
Hans Peter Siegel bei seiner Abreise aus München am 22. März 1938, rechts im Bild sein Vater.<br />
D E R z u g I n S f R E I E<br />
109
110 D E R z u g I n S f R E I E<br />
Die Ausstellung „Das Gleis. Die<br />
Logistik des Rassenwahns“ ist <strong>der</strong><br />
Beitrag des Dokumentationszentrums<br />
Reichsparteitagsgelände<br />
in Nürnberg zum Bahnjubiläum<br />
2010. Die vom Büro Müller-Rieger<br />
entworfene Installation verbindet<br />
via Bildübertragung einen „Täterort“<br />
– Nürnberg, wo vor 75 Jahren<br />
die so genannten Rassengesetze<br />
verkündet wurden – unmittelbar<br />
mit Auschwitz – und an<strong>der</strong>en<br />
Stätten <strong>der</strong> Vernichtung. Das<br />
"Gleisbett" ist gefüllt mit 60 000<br />
Namenskärtchen. Je<strong>der</strong> Name<br />
eines Ermordeten steht stellvertretend<br />
für 100 weitere Opfer.<br />
www.das-gleis-nuernberg.de
EditoRischE notiz H. Peter Sinclair wurde 1921 geboren als<br />
Hans Peter Siegel, Sohn des renommierten Münchner Rechtsanwalts<br />
Michael Siegel und <strong>der</strong> Riemerschmid-Absolventin Mathilde<br />
Waldner. Dr. jur. et rer.pol. Michael Siegel wurde als Opfer erster NS-<br />
Terroraktionen gegen Juden zum Symbol. Er wurde im März 1933<br />
bei einem Anhörungstermin für seinen in so genannte Schutzhaft<br />
genommenen Mandanten Max Uhlfel<strong>der</strong> im Münchner Polizeipräsidium<br />
von SA-Schergen zusammengeschlagen und anschließend mit<br />
abgeschnittenen Hosenbeinen und einem Schild um den Hals mit<br />
<strong>der</strong> Aufschrift „Ich bin Jude. Ich werde mich nie mehr bei <strong>der</strong> Polizei<br />
beschweren“ durch die Innenstadt bis zum Hauptbahnhof getrieben.<br />
Die von dem zufällig anwesenden Bildjournalisten Heinrich Sanden<br />
aufgenommenen beiden Fotos dieser Untat, die dieser an eine amerikanische<br />
Agentur verkaufte, gingen damals um die Welt – heute sind<br />
sie eine Ikone <strong>der</strong> Geschichtsbücher über den Nationalsozialismus. H.<br />
Peter Sinclair gelangte 1939 mit einem Studienvisum nach London,<br />
kurz darauf folgte seine jüngere Schwester Beate mit einem Kin<strong>der</strong>transport.<br />
Den Eltern gelang noch 1940 die Ausreise von München<br />
nach Berlin und weiter mit <strong>der</strong> transsibirischen Eisenbahn nach Japan,<br />
Korea über den Pazifik nach Los Angeles und von dort in ihre neue<br />
Heimat Peru, wo sie am 9. November, auf den Tag genau zwei Jahre<br />
nach <strong>der</strong> Reichspogromnacht, in Lima ankamen.<br />
H. Peter Sinclair starb am 27. März 2010 im Alter von 89 Jahren in<br />
London. Sein Beitrag für dieses Heft ist aus zwei Perspektiven geschrieben:<br />
Während die Kindheitserinnerung in <strong>der</strong> Ich-Form erscheint, ist<br />
die Schil<strong>der</strong>ung seiner Abreise aus München, die einem endgültigen Abschied<br />
gleichkam, in <strong>der</strong> dritten Person verfasst, so als sei das Geschehen<br />
nur aus dieser Distanz wie<strong>der</strong>zugeben.<br />
Der Beitrag von H. Peter Sinclair ist <strong>der</strong> Erinnerung an die Rolle<br />
<strong>der</strong> Bahn gewidmet, ohne die die massenhafte Deportation <strong>der</strong> jüdischen<br />
Bürger in die Konzentrations- und Vernichtungslager nicht<br />
Deportation von Würzburger Juden. Die Aufnahme stammt aus dem<br />
2006 wie<strong>der</strong> aufgefundenen Album mit 119 Fotografien, die die Gestapo<br />
von den drei Deportation aus Würzburg zwischen November 1941<br />
und April 1942 anfertigen ließ. Dabei wurden insgesamt 2063 Juden aus<br />
dem Regierungsbezirk Mainfranken deportiert, keine fünfzig von ihnen<br />
haben überlebt. (Staatsarchiv Würzburg, Deportationsalbum / Gestapostelle<br />
Würzburg 18880a)<br />
D E R z u g I n S f R E I E<br />
hätte durchgeführt werden können. So wurden im Frühsommer 1938<br />
über 1500 Juden aus Wien und nach <strong>der</strong> Pogromnacht vom 9. November<br />
1938 etwa 11000 Juden aus dem ganzen Reichsgebiet mit <strong>der</strong><br />
Bahn in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Ab 1941 begann<br />
im Zuge <strong>der</strong> so genannten „Endlösung“ des Völkermords an den Juden<br />
und später auch an Sinti und Roma die Deportation per Bahn in<br />
die Vernichtungsstätten und -lager im Osten unter unvorstellbaren<br />
Bedingungen. Zu den letzten und schrecklichsten Geschehnissen auf<br />
den Bahnstrecken gehörte <strong>der</strong> Abtransport völlig entkräfteter und<br />
sterben<strong>der</strong> Häftlinge aus den Konzentrationslagern, mit dem man<br />
ihre Befreiung durch die alliierten Truppen zu verhin<strong>der</strong>n trachtete.<br />
Die Deutsche Bahn als Rechtsnachfolgerin <strong>der</strong> Reichsbahn ist sich<br />
<strong>der</strong> Verantwortung dieser historischen Last bewusst. Sie unterstützt<br />
nun auch den Verein, <strong>der</strong> seit Jahren mit dem „Zug <strong>der</strong> Erinnerung“<br />
durch ganz Deutschland tourt mit <strong>der</strong> von Beate und Serge<br />
Klarsfeld initiierten Ausstellung über das Schicksal deportierter<br />
jüdischer Kin<strong>der</strong>. Die Deutsche Bahn selbst ist mit <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ausstellung<br />
„Son<strong>der</strong>züge in den Tod“ unterwegs. Einschlägige Publikationen,<br />
zuletzt zum bisher in <strong>der</strong> Forschung kaum beachteten<br />
Wi<strong>der</strong>stand von Eisenbahnern, gibt das Bundesverkehrsministerium<br />
heraus. Im DB Museum Nürnberg wurde auf Anregung des<br />
Nürnberger Kulturreferenten Hermann Glaser 1985 eine mit rund<br />
2500 Exponaten bestückte Abteilung „Im Dienst von Demokratie<br />
und Diktatur. Die Reichsbahn 1920 bis 1945“ eingerichtet. Im Jubiläumsjahr<br />
2010 zeigt das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände<br />
in Nürnberg die Ausstellung „Das Gleis. Die Logistik<br />
des Rassenwahns“. Im Mittelpunkt steht eine Installation, die den<br />
„Täter-Ort“, in dem 1935 die so genannten Rassengesetze verkündet<br />
wurden, in Form einer Bild übertragung unmittelbar und direkt mit<br />
<strong>der</strong> Gedenkstätte Auschwitz und an<strong>der</strong>en Erinnerungsstätten des<br />
Holocaust verbindet.<br />
EVaMaRia BRockhoff / ludwig EiBER<br />
111
112 L E I D E n S C h A f T E I S E n b A h n – m u S E E n , V E R E I n E , n o S T A L g I E f A h R T E n<br />
E I S E n b A h n m u S E E n , m u S E u m S -<br />
b A h n E n u n D V E R E I n E<br />
I m I n T E R n E T<br />
www.eisenbahnnostalgie.de<br />
Übersichtliches Verzeichnis <strong>der</strong> deutschen<br />
Museums- und Touristikbahnen, nach<br />
Bundeslän<strong>der</strong>n geglie<strong>der</strong>t, Übersichtskarte<br />
und ausführliche Informationen<br />
zu je<strong>der</strong> aufgeführten Einrichtung<br />
www.eisenbahn-webkatalog.de<br />
Umfangreicher Katalog zum Thema Eisenbahn<br />
und Modelleisenbahn, Auflistung<br />
von Museen und Museumsbahnen, meist<br />
mit kurzer Beschreibung und Webadresse<br />
www.eisenbahnwelt.com<br />
Deutsches Museumsbahnverzeichnis,<br />
Deutschlandkarte mit Link zur jeweiligen<br />
Einrichtung und umfangreiche<br />
alphabetische Vereinsliste mit Links<br />
www.museum.bahnen-und-busse.de<br />
Eisenbahnmuseen und Museumseisenbahnen<br />
nach Bundeslän<strong>der</strong>n geordnet,<br />
Auflistung mit kurzer Beschreibung und<br />
Link zu <strong>der</strong> jeweiligen Einrichtung<br />
www.ostbayernbahn.de<br />
Bayerns Museumsbahnen, Übersichtskarte<br />
nach Regierungsbezirken<br />
geglie<strong>der</strong>t, direkter Link zu den jeweiligen<br />
Homepages <strong>der</strong> Bahnen<br />
www.vdmt.de<br />
Verband deutscher Museums- und Touristikbahnen,<br />
die Dachorganisation <strong>der</strong><br />
nicht-staatlichen Museumsbahnen und<br />
Eisenbahnmuseen in Deutschland, Übersichtskarte<br />
nach Bundeslän<strong>der</strong>n sortiert,<br />
mit Kontaktadresse <strong>der</strong> Einrichtungen<br />
Die Mutter aller Eisenbahnen ist und bleibt <strong>der</strong><br />
„Adler“, sei es als – heute schon eine Kostbarkeit<br />
darstellendes – liebevolles Guckkastenleporello,<br />
sei es als internationale Briefmarkensammlung.<br />
Das bei G.W. Faber in Nürnberg<br />
erschienene Leporello gibt beim Blick in das<br />
Guckloch einen Eindruck von <strong>der</strong> Strecke des<br />
Adlers zwischen Nürnberg und Fürth.<br />
www.bdef.de<br />
Bundesverband Deutscher Eisenbahn-<br />
Freunde e.V. für Modelleisenbahner und<br />
Eisenbahn-Freunde, über 300 Clubadressen<br />
nach Postleitzahlen sortiert<br />
www.lok-report.de<br />
LOK Report: europäisches Nachrichtenmagazin<br />
mit umfassenden Informationen<br />
und einer umfangreichen Linkliste rund<br />
um das Thema Eisenbahn, Linkliste<br />
zu Museumsbahnen und Vereinen<br />
www.bahn-express.de<br />
Bahn-Express: Magazin für Werkbahnfreunde,<br />
Liste von Industrie- und<br />
Hafenbahnen sowie Feldbahnen<br />
m u S E E n<br />
bahnpark Augsburg<br />
86159 Augsburg-Hochfeld,<br />
Firnhaberstraße 22<br />
Tel. 0821 6507590<br />
E-Mail: service@bahnpark-augsburg.de<br />
www.bahnpark-augsburg.de<br />
Der Bahnpark Augsburg bietet Besuchern<br />
eine gläserne Dampflokwerkstatt, in <strong>der</strong><br />
sich unter an<strong>der</strong>em Dampflokomotiven<br />
<strong>der</strong> Baureihe 44 und 41, <strong>der</strong> legendäre Blue<br />
Star Train und Botschafterloks finden.<br />
Ein begehbares Depot, in dem ein Postbahn-<br />
und Eisenbahnmuseum untergebracht<br />
sind, imposante denkmalgeschützte<br />
Hallen und ein großzügiges Freigelände<br />
aus <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> königlich bayerischen<br />
Staatsbahn machen diesen Bahnpark<br />
einmalig in Bayern. Vom Bahnpark aus<br />
starten auch Son<strong>der</strong>zugfahrten, unter<br />
an<strong>der</strong>em mit dem König Ludwig Dampf<br />
Express nach Prien am Chiemsee.<br />
bayerischer Localbahnverein –<br />
Localbahnmuseum in bayerisch Eisenstein<br />
94252 Bayerisch Eisenstein,<br />
Bahnhofstraße 44<br />
Tel. 09925 1376<br />
www.localbahnverein.de<br />
Im Localbahnmuseum, das im Lokomotivschuppen<br />
in Bayerisch Eisenstein<br />
untergebracht ist, werden mehr als 20<br />
historische Lokomotiven <strong>der</strong> Lokalbahnen<br />
präsentiert, die zusammen mit einer<br />
Reihe von Exponaten einen Einblick in die<br />
Lokalbahngeschichte bieten. Von Landshut<br />
aus sind Son<strong>der</strong>fahrten mit historischen<br />
E-Loks und Dampfzügen möglich.<br />
bayerisches Eisenbahnmuseum<br />
86720 Nördlingen, Am hohen Weg 6a<br />
Tel. 09083 340<br />
E-Mail: info@bayerischeseisenbahnmuseum.de<br />
www.bayerisches-eisenbahnmuseum.de<br />
Im <strong>Bayerischen</strong> Eisenbahnmuseum findet<br />
sich ein Bahnbetriebswerk im Stil <strong>der</strong><br />
Fünfzigerjahre, das mit zahlreichen, teils<br />
auch betriebsbereiten Eisenbahnfahrzeugen<br />
einen Einblick in den realistischen<br />
Eisenbahnbetrieb bietet. Die Museumsbahn<br />
„Romantische Schiene“, bestehend<br />
aus Dampf- und Dieselzügen des Museums,<br />
fährt von Nördlingen aus durch das<br />
Nördlinger Ries über Dinkelsbühl nach<br />
Feuchtwangen. Eine weitere Strecke führt<br />
von Nördlingen aus nach Gunzenhausen.<br />
bergbau- und Industriemuseum ostbayern<br />
Schloss Theuern<br />
92245 Kümmersbruck, Portnerstraße 1<br />
Tel. 09624 832<br />
E-Mail: info@museumtheuern.de<br />
www.museum-theuern.de<br />
Im Bergbau- und Industriemuseum im<br />
Schloss Theuern sind zahlreiche Gruben-<br />
und Feldbahnfahrzeuge ausgestellt.
Db museum nürnberg<br />
90443 Nürnberg, Lessingstraße 6<br />
Tel. 01804 44223<br />
E-Mail: info@dbmuseum.de<br />
www.dbmuseum.de<br />
Besucher des DB Museums erfahren auf<br />
7500 m² alles über die Entwicklung <strong>der</strong><br />
deutschen Eisenbahn. Darüber hinaus<br />
gibt es ein „Museum zum Anfassen“,<br />
zahlreiche Original- und Modellfahrzeuge<br />
und die ausführliche Dokumentation<br />
jeglicher Eisenbahntechnik.<br />
Deutsches Dampflokomotiv-museum<br />
95339 Neuenmarkt, Birkenstraße 5<br />
Tel. 09227 5700<br />
E-Mail: ddm@dampflokmuseum.de<br />
www.dampflokmuseum.de<br />
Das Kernstück des Deutschen Dampflok-<br />
Museums, in dem unter an<strong>der</strong>em über 30<br />
Dampflokomotiven ausgestellt sind, ist ein<br />
15-ständiger Lokschuppen mit Segmentdrehscheibe.<br />
Das große Freigelände erlaubt<br />
einen umfassenden Einblick in die deutsche<br />
Eisenbahngeschichte. Eine Museumsbahn<br />
fährt über die Eisenbahnsteilstrecke „Schiefe<br />
Ebene“, bei <strong>der</strong> bei einer Neigung von<br />
1:40 ein Höhenunterschied von 158 Metern<br />
überwunden werden muss, zum <strong>Bayerischen</strong><br />
Brauereimuseum nach Kulmbach.<br />
Deutsches museum Verkehrszentrum<br />
80339 München, Theresienhöhe 14a<br />
Tel. 089 500806762<br />
E-Mail: verkehrszentrum@<br />
deutsches-museum.de<br />
www.deutsches-museum.de/verkehrszentrum<br />
In <strong>der</strong> Eisenbahnausstellung des Deutschen<br />
Museums finden sich unter an<strong>der</strong>em die<br />
legendäre „S 3/6“ Schnellzug-Dampflokomotive<br />
<strong>der</strong> Königlich <strong>Bayerischen</strong><br />
Staatseisenbahn, die erste dieselhydraulische<br />
Großlokomotive V140 und auch<br />
die erste Magnetschwebebahn. Neben<br />
diesem Querschnitt durch die <strong>Geschichte</strong><br />
L E I D E n S C h A f T E I S E n b A h n – m u S E E n , V E R E I n E , n o S T A L g I E f A h R T E n<br />
des Schienenverkehrs werden Themen<br />
wie Fahrzeugtechnik, Sicherungstechnik<br />
und Logistik <strong>der</strong> Eisenbahn dargestellt.<br />
feldbahn-museum 500 e.V.<br />
90453 Nürnberg, Drahtzieherstraße 20<br />
Tel. 0911 6802200<br />
E-Mail: info@feldbahn500.de<br />
www.feldbahn500.de<br />
Im Feldbahnmuseum 500 werden die<br />
meisten <strong>der</strong> 62 ausgestellten Lokomotiven,<br />
Maschinen und Geräte in <strong>der</strong><br />
Praxis vorgeführt und anschaulich<br />
erklärt, sodass die alte Technik für den<br />
Besucher wie<strong>der</strong> lebendig wird.<br />
fränkisches feldbahnmuseum<br />
c/o Jürgen Wening<br />
91580 Petersaurach-Wicklesgreuth,<br />
Tannenstraße 10<br />
Tel. 09802 80529<br />
E-Mail: frankenfeldbahn@web.de<br />
www.frankenfeldbahn.de<br />
Das Museum und die Strecke <strong>der</strong> Museumsbahn<br />
befinden sich im Aufbau.<br />
Besichtigt werden können aber bereits<br />
zahlreiche Wagen und Lokomotiven.<br />
Interessengemeinschaft Deutsche feldund<br />
Waldbahnen – feldbahnmuseum<br />
82256 Fürstenfeldbruck, Senserbergstraße<br />
66a<br />
Tel. 08141 27335<br />
E-Mail: info@mec-ffb.de<br />
www.mec-ffb.de<br />
Das Feldbahnmuseum beherbergt Fahrzeuge<br />
aus den Bereichen Waldbahn,<br />
Feldbahn, Bergbau und vergleichbare<br />
Bahnen mit 600 mm Spurweite. Die<br />
Sammlung umfasst <strong>der</strong>zeit 14 betriebsbereite<br />
Lokomotiven, 4 Draisinen und<br />
mehr als 60 Wagen. Auf dem Gelände<br />
werden Fahrten veranstaltet.<br />
Lokwelt freilassing<br />
83395 Freilassing, Westendstraße 5<br />
Tel. 08654 771224<br />
E-Mail: lokwelt@freilassing.de<br />
www.lokwelt.freilassing.de<br />
In <strong>der</strong> Lokwelt Freilassing sind in einem<br />
1905 errichteten Rundlokschuppen, <strong>der</strong><br />
noch eine originalgetreue Drehscheibe<br />
beherbergt, auf 20 Gleisständen zahlreiche<br />
Lokomotiven, Exponate zum<br />
Thema Eisenbahn und eine Modellbahn<br />
des Bw Freilassing ausgestellt.<br />
modellbahnmuseum muggendorf<br />
91346 Wiesenttal, Bayreuther Straße 23<br />
Tel. 09196 1630<br />
E-Mail: info@modellbahnmuseum.de<br />
www.modellbahnmuseum.de<br />
Das Modellbahnmuseum Muggendorf<br />
bietet die größte Sammlung <strong>der</strong> seltenen<br />
Spur-„S“-Fahrzeuge. Einen weiteren<br />
Schwerpunkt stellt die Sammlung <strong>der</strong> Spur-<br />
„0“-Fahrzeuge alter Nürnberger Firmen dar.<br />
modell- und Eisenbahnclub Selb/<br />
Rehau e.V. – Eisenbahnmuseum<br />
95100 Selb, Bergstraße 3<br />
Tel. 0170 7064230<br />
E-Mail: info@muecselb.de<br />
www.muecselb.de<br />
Das Eisenbahnmuseum befindet sich auf<br />
dem Gelände <strong>der</strong> ehemaligen Bw-Außenstelle<br />
Selb. Neben einem vierständigen<br />
Ringlokschuppen von 1914, einer Drehscheibe<br />
von 1936 und einem <strong>der</strong> ersten<br />
Gleisbildstellwerke mit Fahrstraßensteuerung<br />
erwarten den Besucher ca. 30 Eisenbahnfahrzeuge,<br />
größtenteils Triebfahrzeuge.<br />
Im nahe gelegenen Europäischen Industriemuseum<br />
für Porzellan sind Son<strong>der</strong>fahrten<br />
mit einer Diesellok des Museums möglich.<br />
113
114 L E I D E n S C h A f T E I S E n b A h n – m u S E E n , V E R E I n E , n o S T A L g I E f A h R T E n<br />
m u S E u m S b A h n E n<br />
blue Star Train – ESg – Eisenbahn und<br />
Son<strong>der</strong>wagenbetriebsgesellschaft mbh<br />
86179 Augsburg, Mittlerer Lechfeldweg 2f<br />
Tel. 0821 541512<br />
www.blue-star-train.de<br />
Dampfeisenbahn im Augsburger<br />
zoo – bahnhof zoo<br />
86161 Augsburg, Brehmplatz 1<br />
Tel. 0821 5671490<br />
E-Mail: info@bahnhof-zoo.com<br />
www.dampfbahn-im-zoo.de<br />
Wendelsteinbahn gmbh<br />
83098 Brannenburg, Kerschelweg 30<br />
Tel. 08034 3080<br />
E-Mail: info@wendelsteinbahn.de<br />
www.wendelsteinbahn.de<br />
Dampfbahn fränkische Schweiz e.V. (DfS)<br />
91316 Ebermannstadt, Postfach 1101<br />
Tel. 09194 794541<br />
E-Mail: tickets@dfs.ebermannstadt.de<br />
www.dfs.ebermannstadt.de<br />
Staudenbahn – bbg Stauden mbh<br />
86850 Fischach, An <strong>der</strong> Sägemühle 5<br />
Tel. 08236 962149<br />
E-Mail: info@staudenbahn.de<br />
www.staudenbahn.de<br />
fränkisches freilandmuseum fladungen<br />
– Rhön-zügle<br />
97650 Fladungen, Bahnhofstraße 19<br />
Tel. 09778 91230<br />
E-Mail: info@freilandmuseum-fladungen.de<br />
www.freilandmuseum-fladungen.de<br />
Draisinenfreunde bayern e.V.<br />
82256 Fürstenfeldbruck, Hochrainerstraße 41<br />
Tel. 08141 227890<br />
E-Mail: info@draisi.de<br />
www.draisi.de<br />
modelleisenbahnclub fürstenfeldbruck<br />
e.V. – feldbahnmuseum<br />
82256 Fürstenfeldbruck, Senserbergstraße<br />
66a<br />
Tel. 08141 27335<br />
E-Mail: info@mec-ffb.de<br />
www.mec-ffb.de<br />
Torfbahnhof Rottau – feldbahn<br />
83224 Grassau, Samerweg 8<br />
Tel. 08641 2126<br />
E-Mail: mail@torfbahnhof-rottau.de<br />
www.torfbahnhof-rottau.de<br />
Wan<strong>der</strong>bahn im Regental e.V.<br />
82181 Gröbenzell, Postfach 1329<br />
Tel. 0170 2425013<br />
E-Mail: info@wan<strong>der</strong>bahn.de<br />
www.wan<strong>der</strong>bahn.org<br />
parkeisenbahn im freizeitpark Schloss<br />
Thurn – Erlebnispark Schloss Thurn<br />
91336 Heroldsbach, Schlossplatz 4<br />
Tel. 09190 929898<br />
E-Mail: info@schloss-turn.de<br />
www.schloss-thurn.de<br />
DgEg-Arbeitskreis Würzburg<br />
97204 Höchberg, Bergmannweg 5<br />
www.dampflok527409.de<br />
Wachtlbahn – museums-Eisenbahngemeinschaft<br />
Wachtl e.V.<br />
83033 Kiefersfelden, Am Rain 60<br />
Tel. 08031 87340<br />
E-Mail: gunterziegler@t-online.de<br />
www.wachtl-bahn.de<br />
Laabertalbahn – Lokalbahn<br />
Schierling-Langquaid<br />
84085 Langquaid, Am Bahnhof 5<br />
Tel. 09452 949707<br />
E-Mail: info@laabertalbahn.de<br />
www.laabertalbahn.de<br />
Dampflok-gesellschaft münchen e.V.<br />
80807 München, Illungshofstraße 2<br />
Tel. 089 5808482<br />
E-Mail: info@dgm-41018.de<br />
www.dgm-41018.de<br />
Eisenbahnfreunde Rodachtalbahn<br />
e.V. – Rodachtalbahn<br />
96365 Nordhalben, Krögelsmühle 1<br />
Tel. 09267 8130<br />
E-Mail: rodachtalbahn@vr-web.de<br />
www.eisenbahnfreunde-rodachtalbahn.de<br />
fränkische museums-Eisenbahn e.V. (fmE)<br />
90411 Nürnberg, Klingenhofstraße 70<br />
Tel. 0911 5109638<br />
E-Mail: info@fraenkischemuseumseisenbahn.de<br />
www.fraenkische-museumseisenbahn.de<br />
Schwaben-Dampf e.V. neuoffingen<br />
89362 Offingen, Am Bahnhof Neuoffingen 3<br />
Tel. 08244 801140<br />
E-Mail: info@schwabendampf.de<br />
www.schwabendampf.de<br />
passauer Eisenbahnfreunde<br />
e.V. – nostalgiebahn<br />
94032 Passau, Haitzingerstraße 12<br />
Tel. 0851 9663971<br />
E-Mail: pef@passauer-eisenbahn.de<br />
www.passauer-eisenbahn.de<br />
bockerlbahner e.V. peißenberg<br />
82380 Peißenberg, Am Tiefstollen 2<br />
Tel. 08805 418<br />
E-Mail: info@diebockerlbahner.de<br />
www.diebockerlbahner.de<br />
DbV-för<strong>der</strong>verein Steigerwald-Express e.V.<br />
97357 Prichsenstadt, Karl-<br />
Ebenauer-Ring 28<br />
Tel. 0160 7202393<br />
E-Mail: post@steigerwald-express.de<br />
www.fv-steigerwald-express.de
Chiemsee Schifffahrt – Chiemseebahn<br />
83209 Prien am Chiemsee, Seestraße 108<br />
Tel. 08051 6090<br />
E-Mail: info@chiemsee-schifffahrt.de<br />
www.chiemsee-schifffahrt.de<br />
feld- und Waldbahn Riedlhütte (fWR)<br />
94566 Riedlhütte<br />
Tel. 08141 537653<br />
E-Mail: info@feldbahn-fraenking.de<br />
www.feldbahn-riedlhütte.de<br />
Chiemgauer Lokalbahn e.V.<br />
83340 Tacherting, Postfach 1104<br />
E-Mail: info@chiemgauer-lokalbahn.de<br />
www.chiemgauer-lokalbahn.de<br />
bayerischer Localbahnverein e.V.<br />
83682 Tegernsee, Postfach 1311<br />
Tel. 089 4481288<br />
www.localbahnverein.de<br />
Interessengemeinschaft mainschleifenbahn<br />
e.V.<br />
97332 Volkach, Industriestraße 3<br />
Tel. 0152 02482125<br />
E-Mail: info@mainschleifenbahn.de<br />
www.mainschleifenbahn.de<br />
DgEg Eisenbahnmuseum Würzburg<br />
97080 Würzburg, Veitshöchheimer<br />
Straße 107b<br />
Tel. 09321 927415<br />
E-Mail: wuerzburg@dgeg.de<br />
www.eisenbahnmuseum-wuerzburg.de<br />
Zusammenstellung:<br />
MichaEla MohR<br />
L E I D E n S C h A f T E I S E n b A h n – m u S E E n , V E R E I n E , n o S T A L g I E f A h R T E n<br />
Die hier gezeigte Modellbahnanlage gehört ursprünglich zu den „Königswelten“, die im Foyer des<br />
am Ufer des Forggensees errichteten „Musicaltheater Neuschwanstein“ zu sehen waren , in dem<br />
von 2000 bis 2003 das Musical „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“ aufgeführt wurde.<br />
Nach einer Idee <strong>der</strong> Architektin Josephine Barbarino schufen die Bühnenbildner Marc und Claudia<br />
Calame-Rüll die Anlagenbereiche <strong>der</strong> Welten, die Ludwig II. in seiner Fantasie durchfährt - hier die<br />
ureigenste Heimat des Königs mit Schloss Neuschwanstein. Die von den Bühnenbildnern und <strong>der</strong><br />
traditionsreichen Firma Märklin gebauten Anlagen sind heute im Besitz des Modelleisenbahnclubs<br />
Ostallgäu/Außerfern, <strong>der</strong> die „Königswelten“ in seinen Clubräumen in Füssen aufgebaut hat.<br />
(http://home.arcor.de/gerhardbayer/mecoal/)<br />
E I S E n b A h n f o T o S I m I n T E R n E T<br />
Stellen Sie Ihre interessantesten<br />
Eisenbahn fotos aus bayerischen<br />
Strecken ins Internet ein!<br />
Auf <strong>der</strong> Website des <strong>Haus</strong>es<br />
<strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> <strong>Geschichte</strong>:<br />
www.editionbayern.hdbg.de<br />
115
116 D A S j u b I L ä u m S j A h R 2 0 1 0
Die strecke Des aDLers<br />
Museum Industriekultur Nürnberg, 17. Juni bis 12. Dezember 2010<br />
Mit dem „Adler“ kam <strong>der</strong> Aufschwung:<br />
Die erste deutsche<br />
Eisenbahn zog die staunenden<br />
Bürger und bald darauf rührige Unternehmer<br />
an, die sich mit ihren Firmen entlang <strong>der</strong><br />
Strecke ansiedelten: Schuco, Triumph und<br />
die Hercules-Werke etwa, AEG und Quelle.<br />
Wie sich die Landstraße entlang <strong>der</strong> Bahnstrecke<br />
von Nürnberg nach Fürth in eine<br />
pulsierende Verkehrsa<strong>der</strong> und die Stadt zur<br />
Industriemetropole entwickelt hat, zeigt zum<br />
Bahnjubiläum das Museum Industriekultur.<br />
„Die Strecke des Adlers“ rollt mit zahlreichen<br />
Ausstellungsstücken, Ansichten und mo<strong>der</strong>nen<br />
Medien die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> Fürther<br />
Straße von 1835 bis in die heutige Zeit auf<br />
58a<br />
1927<br />
Fassadenplan 1898<br />
b E g L E I TA n g E b oT E z u R Au S S T E L Lu n g :<br />
54/ 56<br />
52 bis 58<br />
1944<br />
52a<br />
• Fahrten im Oldtimerbus in die Fürther Straße mit Führung jeweils am:<br />
So 4.7., So 8.8., Sa 21.8., So 5.9., So 3.10., So 7.11.<br />
• Familienführungen durch die Ausstellung jeden Sonntag um 15 Uhr<br />
• Museumspädagogische Angebote durch das KPZ<br />
VERAnSTALTER unD InfoRmATIon<br />
museum Industriekultur<br />
Tel. 0911 231-3875<br />
www.museen.nuernberg.de<br />
36<br />
und vermittelt so beispielhaft einen Eindruck<br />
von wirtschaftlichem, sozialem und<br />
kulturellem Wandel in <strong>der</strong> Metropolregion.<br />
Der Besucherrundgang beginnt bei einer<br />
<strong>Geschichte</strong> des „Adlers“ und einem Blick<br />
auf vergangene Jubiläen, die ihm zu Ehren<br />
gefeiert wurden. Dem schließt sich ein<br />
Gang durch die Fürther Straße an, <strong>der</strong> drei<br />
zeitliche Ebenen verbindet, verknüpft und<br />
überblendet: 1835 – um 1900 – 2010.<br />
1835 fährt <strong>der</strong> „Adler“ im Modell die<br />
Chaussee entlang, die 1801 als schnurgerade<br />
Verbindung zwischen Nürnberg und Fürth<br />
angelegt worden war. Teile <strong>der</strong> Modell-<br />
um 19235<br />
Nördliche fürther strasse<br />
1929<br />
D A S j u b I L ä u m S j A h R 2 0 1 0<br />
Strecke sind von Pappeln gesäumt und die<br />
„Strecke des Adlers“ durchschneidet ländliche<br />
Gegend mit einzelnen Bauernhöfen.<br />
Eine zweite Ebene <strong>der</strong> Ausstellung zeigt die<br />
Zeit, als knapp ein Jahrhun<strong>der</strong>t später die<br />
Fürther Straße zu einer prototypischen Achse<br />
<strong>der</strong> Industrialisierung entlang <strong>der</strong> Eisenbahn<br />
geworden war. Schließlich thematisiert eine<br />
dritte Ebene den Blick auf die Fürther Straße<br />
heute und den strukturellen Wandel, <strong>der</strong> sich<br />
im Untergang <strong>der</strong> traditionsreichen Unternehmen<br />
und in <strong>der</strong> Entstehung neuer Betriebe<br />
wie z. B. Datev u. a., aber auch im Wandel <strong>der</strong><br />
einstigen Chaussee zur multikulturellen, von<br />
Migration geprägten Städteachse zeigt.<br />
16 bis 20<br />
12<br />
6b<br />
4a<br />
F a s s a d e n p l a n u m 1912 1954<br />
1980<br />
117
118 D A S j u b I L ä u m S j A h R 2 0 1 0<br />
175 jahre eisenbahn – ein jubiLäum Der besonDeren art<br />
Die erste Eisenbahn in Deutschland rollte in Bayern über die<br />
Schiene: Der legendäre „Adler“ fuhr am 7. Dezember 1835 auf<br />
<strong>der</strong> rund sechs Kilometer langen Strecke zwischen Nürnberg und<br />
Fürth. Damals kamen die Lokomotive und <strong>der</strong> Lokführer noch aus<br />
England. Doch das än<strong>der</strong>te sich schnell. Zum 175-jährigen Jubiläum<br />
finden zahlreiche Veranstaltungen an den verschiedensten Orten<br />
statt. Der Verband Deutscher Museums- und Touristikbahnen<br />
(VDMT) und seine Bahnen bieten Veranstaltungen das ganze Jubiläumsjahr<br />
über. Unter www.vdmt.de finden Sie eine Übersicht. Die<br />
bayerischen Museumsbahnen haben sich zusammengeschlossen und<br />
liefern Informationen zu den Veranstaltungen unter<br />
www.175-Jahre-Bahn-in-Bayern.de.<br />
A u S S T E L L u n g E n<br />
19.5.–31.10.2010 – Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände<br />
„Das gleis. Die Logistik des Rassenwahns“<br />
Die Installation „Das Gleis“ steht als künstlerische Metapher<br />
im Zentrum <strong>der</strong> Ausstellung. Sie verbindet Nürnberg als Ort,<br />
an dem 1935 die „Rassengesetze“ verkündet wurden, mit den<br />
zentralen Stätten <strong>der</strong> Vernichtung – durch eine direkte Bildübertragung<br />
aus den Gedenkstätten Auschwitz-Birkenau, Bełżec,<br />
Majdanek, Treblinka und Sobibór. So werden „Täterort“ und<br />
„Tatort“ in Beziehung gesetzt. Noch eine Beson<strong>der</strong>heit: Das<br />
gesamte Erdgeschoss wird dem Besucher für die Dauer <strong>der</strong><br />
Ausstellung zugänglich gemacht. Ein Rundgang führt auch in<br />
Räumlichkeiten, die ansonsten nicht besichtigt werden können.<br />
www.das-gleis-nuernberg.de<br />
1.6. –27.6.2010 – zeughaus Augsburg,Toskanische Säulenhalle<br />
fotoausstellung von burkhard Wollny<br />
Der Bahnpark Augsburg zeigt im Augsburger Zeughaus über<br />
180 großformatige Schwarzweiß-Fotografien von Burkhard<br />
Wollny, dem Meister <strong>der</strong> (Dampf-)Eisenbahnfotografie.<br />
www.bahnpark-augsburg.de<br />
www.burkhard-wollny-eisenbahnfotografie.de<br />
7.7.2010–27.2.2011 – Db museum nürnberg<br />
„planet Eisenbahn“<br />
Die Son<strong>der</strong>ausstellung zeigt faszinierende Exponate aus <strong>der</strong><br />
internationalen Eisenbahngeschichte und blickt zurück auf<br />
175 Jahre Eisenbahngeschichte – von den Anfängen bis in die<br />
Gegenwart. Spannende Themen werden dem Besucher geboten:<br />
Wann und wo entstanden die ersten Eisenbahnen in<br />
an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n. Aber auch <strong>der</strong> Frage nach den Geldgebern<br />
wird nachgegangen, <strong>der</strong> Berufstand des Eisenbahners näher<br />
beleuchtet, <strong>der</strong> Einfluss des Eisenbahnbaus auf die Gesellschaft<br />
und <strong>der</strong>en Entwicklung betrachtet und vieles mehr.<br />
www.planet-eisenbahn.de<br />
Im Fokus steht natürlich Nürnberg: Unter www.bahnjahr2010.nuernberg.de<br />
werden alle Veranstaltungen in Nürnberg und Fürth aufgeführt.<br />
Viel ist geplant in diesem Jubiläumsjahr: Ausstellungen und<br />
Son<strong>der</strong>schauen, Lokschuppen-Feste und jede Menge Son<strong>der</strong>fahrten<br />
in historischen Zügen. Dazu kommen zahlreiche Führungen und<br />
Vorträge zum Thema „175 Jahre Eisenbahn“. So wird die <strong>Geschichte</strong><br />
<strong>der</strong> Eisenbahn lebendig und erlebbar.<br />
Eine kleine Auswahl an Veranstaltungen haben wir für Sie zusammengestellt.<br />
Ansonsten finden Sie auf den einschlägigen Webseiten<br />
mehr Informationen.<br />
www.175-Jahre-Bahn-in-Bayern.de.<br />
www.bahnjahr2010.nuernberg.de<br />
6.8.2010–31.10.2010 – Db museum nürnberg<br />
„Adler, Rocket & Co. Die ersten Lokomotiven Europas“<br />
In dieser großen Fahrzeugschau sind Raritäten aus den Anfängen<br />
<strong>der</strong> Eisenbahn zu sehen. Aus ganz Europa stammen<br />
die Pionierlokomotiven, die hier präsentiert werden. Natürlich<br />
gehören dazu die berühmte „Rocket“ – 1829 in England gebaut<br />
– und <strong>der</strong> legendäre „Adler“, <strong>der</strong> das Eisenbahnzeitalter in<br />
Deutschland einläutete und dessen Nachbau zum Museumsbestand<br />
gehört. Eine Multimediashow bringt die Besucher zurück<br />
in die Zeit, als die ersten Lokomotiven in Europa fuhren.<br />
www.planet-eisenbahn.de<br />
W E I T E R E V E R A n S T A L T u n g E n<br />
18.07.2010 – oldtimertreffen in Ebermannstadt<br />
Dampfbahn Fränkische Schweiz e.V. lädt ein zum „Oldtimertreffen<br />
<strong>der</strong> Schiene und Straße“ in Ebermannstadt und<br />
Behringersmühle. Damit alles zueinan<strong>der</strong> passt, gibt es eine<br />
interessante Altersbegrenzung: Die Fahrzeuge sollen möglichst<br />
nicht jünger als 30 Jahre sein. Gefragt sind PKWs, Motorrä<strong>der</strong><br />
und Fahrrä<strong>der</strong> sowie Schlepper/Nutzfahrzeuge.<br />
www.dfs.ebermannstadt.de<br />
25.07./07.08.2010 – Klassik open Air in nürnberg<br />
Die größte Freiluftveranstaltung mit klassischer Musik in Europa<br />
„Klassik Open Air beim Picknick im Park“ steht im Zeichen <strong>der</strong><br />
Bahn(-Reisen). Am 25. Juli spielen die Nürnberger Philharmoniker<br />
unter <strong>der</strong> Leitung von Christoph Prick. Am 7. August laden die<br />
Nürnberger Symphoniker unter <strong>der</strong> Leitung von Alexan<strong>der</strong> Shelley<br />
zu einer Zeitreise ein: „Bahn frei! Der Adler geht auf Reisen“ lautet<br />
das Motto. Zur Aufführung kommen Werke von Eduard Strauß,<br />
Hector Berlioz, Joseph Haydn, Sergej Rachmaninow, Peter Tschaikowsky<br />
u.a. Sie führen vom Beginn <strong>der</strong> Eisenbahn über den Orientexpress<br />
bis zum EuroCity – ein Streifzug durch die <strong>Geschichte</strong>.<br />
www.klassikopenair.de
25.07.–31.07.2010 Eisenbahnfilme in Augsburg<br />
Etwas Beson<strong>der</strong>es hat sich <strong>der</strong> Bahnpark Augsburg einfallen<br />
lassen: Im Cinemaxx laufen „Die besten Eisenbahnfilme aller<br />
Zeiten“ – ein Muss für alle Cineasten. Ob „Der große Eisenbahnraub“<br />
von Michael Crichton mit Sean Connery und Donald<br />
Sutherland o<strong>der</strong> „Spiel mir das Lied vom Tod“, inszeniert von<br />
Sergio Leone und meisterhaft gespielt von Charles Bronson,<br />
Henry Fonda und Claudia Cardinale. Weiter stehen auf dem<br />
Spielplan: „Der Polarexpress“ und „Thomas, die fantastische<br />
Lokomotive“ sowie „Der letzte Zug“ und „Zug des Lebens“.<br />
www.cinemaxx.de<br />
30.07.–01.08.2010 – bardentreffen in nürnberg<br />
Das Weltmusikfestival „Bardentreffen“ findet zum 35. Mal statt<br />
und steht diesmal ganz unter dem Motto „Railroad Songs“.<br />
Um nur ein Highlight zu nennen: Arlo Guthrie, Sohn <strong>der</strong> Folklegende<br />
Woody, wird sich die Ehre geben und zusammen<br />
mit Hans-Eckardt Wenzel auftreten. Der Berliner Lie<strong>der</strong>macher<br />
hat die Songs von Woody Guthrie ins Deutsche übertragen.<br />
Und wer denkt nicht sofort an „City of New Orleans“!<br />
www.bardentreffen.de<br />
13.08.–29.08.2010 – Aktion in fürth<br />
Die Stadt Fürth hat ein beson<strong>der</strong>es Highlight geplant: den<br />
Nachbau des Ludwigsbahnhofs auf <strong>der</strong> Fürther Freiheit. Der<br />
Bahnhof wurde 1938 abgerissen und wird nun an seinem ursprünglichen<br />
Standort wie<strong>der</strong> errichtet, und zwar mit Gerüsten<br />
und Planen. Neben zahlreichen Events wird dann am 28. und<br />
29. August ein großes Eisenbahnfest auf <strong>der</strong> Freiheit gefeiert<br />
– mit einem attraktiven Programm für Jung und Alt.<br />
www.fürth.de<br />
21.08.2010 – Dampflokfest in nürnberg<br />
Beim Dampflokfest werden etwa zehn Dampflokomotiven und<br />
weitere historische Eisenbahnfahrzeuge aus ganz Deutschland<br />
von 10 bis 20 Uhr im Bahnbetriebswerk Gostenhof gezeigt. Die<br />
Lokomotiven werden ab 14 Uhr auf <strong>der</strong> Drehscheibe präsentiert.<br />
www.dbmuseum.de<br />
21.08.2010 – jubiläumsfahrt zum Dampflokfest in nürnberg<br />
Die Jubiläumsfahrt mit <strong>der</strong> Dampflok 41 018 führt von München<br />
über Augsburg zur Teilnahme an den Dampflok-Sternfahrten<br />
zum Dampflokfest des DB-Museums in Nürnberg-Gostenhof.<br />
Mit eingeschlossen ist <strong>der</strong> Besuch <strong>der</strong> großen Lok-Schau.<br />
www.bahnpark-augsburg.de<br />
09.–11.09. und 25./26.09.2010 – Spielzeugmuseum in nürnberg<br />
Auch im Spielzeugmuseum dreht sich im Jubiläumsjahr viel<br />
um die Bahn: Vom 09. bis 11. September heißt es „Lummerland<br />
im Spielzeugmuseum“. Jeweils von 11 bis 16 Uhr können<br />
die Kin<strong>der</strong> ihre eigene „Insel mit zwei Bergen …“ – mit Schienen,<br />
Lok und Tunnel ganz nach ihrer Fantasie gestalten.<br />
Am 25. und 26. September kommen kleine Baumeister ganz groß<br />
heraus. Jeweils von 10 bis 17 Uhr im Dachgeschoss des Spielzeugmuseums<br />
ein großes Schienennetz für eine Eichhorn-Holzeisenbahn<br />
gebaut, damit <strong>der</strong> Zug dann auf die Reise gehen kann.<br />
www.museen.nuernberg.de<br />
D A S j u b I L ä u m S j A h R 2 0 1 0<br />
18.09.–26.09.2010 – Eisenbahn-Romantik-Rundfahrt<br />
Wer Eisenbahn „satt“ erleben möchte, kann die Eisenbahn-Romantik-Son<strong>der</strong>zugreise<br />
buchen. Mit 14 verschiedenen Dampflokomotiven<br />
führt die Reise über 4300 Kilometer durch alle Bundeslän<strong>der</strong><br />
Deutschlands. Los geht es im Bahnpark Augsburg mit<br />
einer großen „Andampf-Party“ am 17. September und hier endet<br />
die Reise auch. Dazwischen gibt es jede Menge Spaß und Unterhaltung,<br />
so eine exklusive Führung im DB-Museum in Nürnberg,<br />
ein sächsisches Grillfest o<strong>der</strong> ein zünftiges Fischessen. Ob ein<br />
Ausflug mit <strong>der</strong> Schmalspurbahn „Molli“ o<strong>der</strong> eine Schiffsrundfahrt<br />
im Hamburger Hafen – hier ist sicher für jeden etwas dabei.<br />
www.bahnurlaub.de<br />
01.10.2010 – nicolaus-Copernicus-planetarium in nürnberg<br />
„Vom Adler zum Spaceshuttle – Die Welt in Bewegung“<br />
Ab 01. Oktober (Premiere) kann man im Planetarium auf<br />
Zeitreise gehen: angefangen bei <strong>der</strong> Postkutsche über die<br />
Eisenbahn zum Auto und zur Raumstation. Eine spannende<br />
<strong>Geschichte</strong> wie sich die Welt verän<strong>der</strong>t hat – und<br />
damit die Dimensionen von Entfernung und Reisen.<br />
www.naa.net/ncp<br />
07.12.2010 – martinsumzug in fürth<br />
Zum Jahrestag <strong>der</strong> ersten Adler-Fahrt veranstaltet die Stadt<br />
Fürth einen Martinsumzug. Die Kin<strong>der</strong> werden mit ihren Laternen<br />
die Strecke von <strong>der</strong> Freiheit bis hin zur Hornschuchpromenade<br />
illuminieren. Außerdem sorgt die Stadt für eine<br />
zusätzliche beson<strong>der</strong>e Beleuchtung, die die Promenade bis zum<br />
23. Dezember in ein stimmungsvolles Licht tauchen soll.<br />
www.fürth.de<br />
07.12.–30.12. – filmreihe im filmhaus nürnberg<br />
Zwei Aspekte markieren die Industrialisierung im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t:<br />
Eisenbahn und Film. Mit <strong>der</strong> Reihe „Schienenzeit – die Eisenbahn<br />
und das Kino“ widmet sich das Filmhaus dieser Beziehung<br />
zwischen Film, Eisenbahn und Bewegung. Ein vielfältiges und<br />
spannendes Programm wird geboten: vom Stumm- und Tonfilm<br />
über Dokumentar- und Tonfilm bis zu Kurz- und Experimentalfilm.<br />
www.filmhaus.nuernberg.de<br />
12. 12. 2010 – Adler-geburtstag im Db museum nürnberg<br />
Das Jahr stand ganz im Zeichen des 175. Geburtstages <strong>der</strong> Eisenbahn<br />
in Deutschland. Zum Abschluss veranstaltet das DB Museum<br />
ein großes Fest für alle mit einem bunten Programm und<br />
vielen Attraktionen rund um das Thema Eisenbahn. Eintritt frei!<br />
www.dbmuseum.de<br />
119
120 I m p R E S S u m<br />
edition<br />
bayern<br />
<strong>EDITION</strong> <strong>BAYERN</strong> # 01 SONDERHEFT<br />
Herausgegeben vom <strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> <strong>Geschichte</strong><br />
© 2010 Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst<br />
<strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> <strong>Geschichte</strong>, Augsburg<br />
www.hdbg.de<br />
Redaktion: Evamaria Brockhoff, Dr. Wolfgang Jahn<br />
Gestaltung: Manfred Wilhelm, Büro Wilhelm, Amberg<br />
Lithografie: EZM Echtzeitmedien, Nürnberg und media men GmbH, Augsburg<br />
Druck: Kessler Druck + Medien GmbH & Co. KG, Bobingen<br />
Vertrieb: Verlag Friedrich Pustet ∙ Regensburg, Gutenbergstraße 8 ∙ 93051 Regensburg<br />
Tel.: 0941 92022-0 ∙ Fax: 0941 92022-330 ∙ E-Mail: verlag@pustet.de ∙ www.verlag-pustet.de<br />
Alle Rechte vorbehalten<br />
Printed in Germany<br />
ISBN 978-3-7917-2302-0<br />
eisenbahn in bayern 1835 . 2010<br />
haus <strong>der</strong><br />
bayerischen<br />
geschichte<br />
Gedruckt auf umweltschonend hergestelltem Papier „Symbol Freelife Satin“<br />
von Fedrigoni Deutschland GmbH, Unterhaching<br />
BILDNACHWEIS<br />
Architekturmuseum <strong>der</strong> TU München: S. 74 o. li.<br />
Judith Bauer, München: S. 1 o. re., 89<br />
Bayerische Staatsbibliothek München / Porträt- und<br />
Ansichtensammlung: S. 59 o., 61 li., 60 o. re.,<br />
73 li. Mitte und u., 74 Mitte, 75 o. li. und Mitte re. o.<br />
Bayerischer Landtag / Stiftung Maximilianeum,<br />
München: S. 1 li. (4. v. o.), 2 u., 55<br />
Bayerisches Wirtschaftsarchiv, München: S. 94−97<br />
Udo Bernstein, Stein b. Nürnberg: S. 116, Umschlagrückseite<br />
Bestand Uwe von Poblocki: S. 21 re., 31 o. re.<br />
Bildagentur für Kunst, Kultur und <strong>Geschichte</strong>,<br />
Berlin: S. 51 o. li.<br />
Bildarchiv <strong>der</strong> Nürnberger Nachrichten:<br />
S. 18 o. re., 38, 51 o. re.<br />
Udo Breitenbach, Aschaffenburg: S. 1 li. u., 104−107<br />
DATEV eG Nürnberg: S. 53 o., 53 Mitte li.<br />
DB AG: Umschlagvor<strong>der</strong>seite o. (Foto: Ralf Kranert) und<br />
u. (Foto: Stefan Warter), S. 70 o. re. (Foto: Annette Koch),<br />
81 u. re. (Foto: Christian Bedeschinski<br />
DB Museum Nürnberg: S. 1 o. li. und Mitte, 2. o. re., 56, 57,<br />
61 u., 65 o.li., 66 li., 67, 70 o. li., 70 Mitte li. und u., 72, 73<br />
o., 73 Mitte re. und u. Mitte und re., 75 o. re., 79<br />
Eva Detzel, Lauingen: S. 112 li.<br />
Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände,<br />
Nürnberg (© Büro Müller-Rieger): S. 110<br />
Aribert Elpelt, Waigolshausen: S. 74 o. re., 77. u. li., 81 o., 85<br />
Foto Berger, Prien a. Chiemsee: S. 69 Mitte li., 82<br />
Gemeinde Neuenmarkt: S. 60 o. li.<br />
Gemeinde Rechtenbach: S. 65 unten<br />
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg: S. 68 re.<br />
Grafische Sammlung Nürnberg: S. 1 li. (2. v. o.), 13 re.,<br />
14/15 o., 14 u., 16; 117 o.<br />
Martin Grundmeyer: S. 26 o. re.;<br />
<strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> <strong>Geschichte</strong>, Augsburg: S. 55 u. li.,<br />
58 (Foto: v. Voithenberg), 59 li. (Foto: Voithenberg), 59 u. re.,<br />
62 re., 63 o., 65 o. re. (Foto: v. Voithenberg), 68 u.li.,<br />
74 u. li., 83 o. re., 86 o. li. und u., 87<br />
Monika Hippe: S. 75 Mitte u.<br />
Wilfried Ernst Hölzler, Marktoberdorf: S. 62 li., 98−101, 108 u.<br />
Fa. Ideenreich: S. 75 Mitte u. re.<br />
Ketterer Kunst GmbH & Co. KG, München<br />
(www.kettererkunst.de): S. 90 o.<br />
Kunstsammlungen und Museen Augsburg: S. 55 u. re.<br />
Herbert Liedel: S. 13 li., 19 u., 23 o. re., 29 Mitte li.,<br />
33 o. re., Mitte re., 43, 49 u., 52 o. re., 53 re.<br />
Emma Mages, Alteglofsheim: S. 64<br />
Wolfgang Mair Abersee, Augsburg: S. 75 u.<br />
Christian Mayerhofer, Essbahnhof im Kulturbahnhof<br />
Rimsting: S. 75 Mitte u. li.<br />
MEC Ostallgäu/Außerfern e.V.: S. 115 (Foto: Reinhard<br />
Graf, Füssen)<br />
Museum Industriekultur, Nürnberg:<br />
S. 1 li. (3. v. o.), 20, 21 li., 22, 23 Mitte, 25, 26 li., 26 Mitte<br />
re., 27, 29 u. li., 30, 34−37, 39 u., 40, 41, 42 o., Mitte re., u.,<br />
45, 46, 48/49 o., 51 Mitte, u., 117 Mitte<br />
Privatbesitz: S. 2 o. li. und Mitte, 63 u., 65 Mitte re., 66 li.,<br />
60 u. li. und re., 74 u. re., 75 Mitte li., 76, 77 o., 77 u. Mitte<br />
und re., 78, 81 u.li., 83 o. li. und u.li., 84, 88, 112 re., 113<br />
Alwin Reiter, Geltendorf: S. 77 Mitte<br />
H. Peter Sinclair (by courtesy Jonathan Sinclair, London):<br />
S. 108−109<br />
Florian Schilhalbel: S. 92/93<br />
Staatsarchiv Würzburg: S. 111<br />
Stadtarchiv Fürth: S. 17 u. re.<br />
Stadtarchiv Lauf an <strong>der</strong> Pegnitz: S. 15 u.<br />
Stadtarchiv Nürnberg: S. 17, 18 oben u. Mitte,<br />
19 o. u. Mitte, 21 o., 23 o. li., 29 o., Mitte re., u. re.,<br />
31, 32, 33, 39 o., 42 Mitte li., 47, 52 Mitte o.<br />
Städtische Galerie im Lenbachhaus, München: S. 91<br />
Stadtmuseum Sulzbach-Rosenberg: S. 83 u. re.<br />
Technische Universität München, Lehrstuhl für Forstliche<br />
Arbeitswissenschaft und Angewandte Informatik, Freising:<br />
S. 65 Mitte li.<br />
Christian Wagner Film, München (www.wagnerfilm.de):<br />
S. 102<br />
Wendelsteinbahn GmbH, Brannenburg: S. 71<br />
Wittelsbacher Ausgleichsfonds, München<br />
(Inv.-Nr. B II 163): S. 61 re.<br />
Zentrum Paul Klee, Bern (© VG Bild-Kunst): S. 90 u.<br />
bayerische Eisenbahngeschichte<br />
Josef Dollhofer<br />
Feuerross und Flügelrad in Ostbayern<br />
Die Ära <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> Ostbahnen<br />
ca. 380 Seiten, mit ca. 230 Abbildungen<br />
ISBN 978-3-7917-2300-6<br />
Der spannende Aufbruch ins Eisenbahnzeitalter<br />
in Nie<strong>der</strong>bayern und <strong>der</strong> Oberpfalz!<br />
Ausgestattet mit historischem, vielfach noch<br />
nicht veröffentlichtem Bildmaterial.<br />
Eisenbahn in Regensburg<br />
150 Jahre Schienenverkehr<br />
Herausgegeben von den Regensburger<br />
Eisenbahnfreunden RSWE e.V.<br />
ca. 168 Seiten, mit 120 z.T. farbigen<br />
Abbildungen<br />
ISBN 978-3-7917-2274-0<br />
Die Entwicklung <strong>der</strong> Eisenbahn-Region<br />
Regensburg von <strong>der</strong> <strong>Bayerischen</strong> Ostbahn<br />
bis zur Deutschen Bundesbahn heute.<br />
beide bücher erscheinen im September.<br />
Verlag friedrich pustet<br />
www.verlag-pustet.de